13. Jahrgang | Nummer 8 | 26. April 2010

Die Wut des Karl Kraus

von Jörn Schütrumpf

»Der Kommunismus … – der Teufel hole seine Praxis, aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen … Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht noch frecher werde, damit die Gesellschaft der ausschließlich Genußberechtigten … wenigstens doch auch mit einem Alpdruck zu Bett gehe! Damit ihnen wenigstens die Lust vergehe, ihren Opfern Moral zu predigen, und der Humor, über sie Witze zu machen.« Diese Worte des Karl Kraus, gebürtig aus Jitschin (Jicin), las ich erstmals vor zehn Jahren bei Peter Nettl, der sie seiner Rosa-Luxemburg-Biographie voranstellte (London 1957, deutsch: Köln 1967). Den dahinterstehenden Zusammenhang lernte ich allerdings erst kennen, als ich mich in Kraus‘ »Fackel« versenkte. Zu meiner Schande sei gesagt: Das hätte ich schon viel früher haben können; aber in der von Dietrich Simon unter Mitarbeit von Kurt Krolop und Roland Links herausgegebenen Auswahl (Volk & Welt) hatte ich die Geschichte übersehen. Es stimmt schon: In der DDR galt »Jedes Buch – ein Sieg!«; nur manches Mal waren wir zu stumpf, diese Siege zu begreifen.

Nun liegt die Geschichte als schmales Heft vor, wunderschön und edel aufbereitet, wie alles, was Katharina Wagenbach aus ihrer Friedenauer Presse in die Reste der noch lesenden Welt entläßt. Der Vorgang ist kurz erzählt: Kraus‘ hatte 1920 – Rosa Luxemburgs »Briefe aus dem Gefängnis« waren kurz zuvor im Verlag »Junge Garde« erschienen (selten habe ich mich über ein Geschenk so gefreut wie über diese Erstausgabe) – den berühmten »Büffelbrief« veröffentlicht (»Ach, Sonitschka, ich habe hier einen scharfen Schmerz erlebt.«). Was eine Ida von Lill-Rastern von Lilienbach veranlaßte, zur Feder zu greifen: »Es gibt eben viele hysterische Frauen, die sich gern in Alles hineinmischen u. immer Einen gegen den Anderen hetzen möchten; sie werden, wenn sie Geist und einen guten Stil haben, von der Menge willig gehört u. stiften viel Unheil in der Welt, so daß man nicht zu sehr erstaunt sein darf, wenn eine solche, die so oft Gewalt gepredigt hat, auch ein gewaltsames Ende nimmt.«

Kraus, Moralist und mehr den Frauen zugetan als der Politik, antwortete so politisch wie nie zuvor und auch danach: »Was ich meine, ist, daß neben dem Brief der Rosa Luxemburg, wenn sich die sogenannten Republiken (gemeint sind Österreich und Deutschland – J. S.) dazu aufraffen könnten, ihn durch ihre Lesebücher den aufwachsenden Generationen zu überliefern, gleich der Brief der Megäre abgedruckt werden müßte, um der Jugend nicht allein Ehrfurcht vor der Erhabenheit der menschlichen Natur beizubringen, sondern auch Abscheu vor ihrer Niedrigkeit und an dem handgreiflichsten Beispiel ein Gruseln vor der unausrottbaren Geistesart deutscher Fortpflanzerinnen, die uns das Leben bis zur todsichern Aussicht auf neue Kriege verhunzen wollen und die dem Satan einen Treueid geschworen zu haben scheinen, eben das, was sie anno 1914 aus Heldentodgeilheit nicht verhindert haben, immer wieder geschehen lassen. [.] Böses vor allem für die prädestinierten Besitzer von Leuten (u. Tieren), deren Verfügungsrecht einer göttlichen Satzung entspricht, die nur Aufwiegler und landfremde Elemente wie zum Beispiel jener Jesus Christus antasten wollen, die aber in Geltung bleibt, da das Streben nach irdischen Gütern Gottseidank älter ist als das christliche Gebot und dieses überleben wird. So meine ich!«

In Jicin stehe ich jedes Mal auf dem wunderschönen Doppelmarktplatz ziemlich fassungslos: Ein jeglicher Hinweis auf Karl Kraus fehlt. Es geht ihm da allerdings nur wenig schlechter als Rosa Luxemburg. Im wunderschönen Zamosc, längst Weltkulturerbe, ist alles vom Feinsten restauriert – bis auf ein Haus: das, in dem rote Jüdin geboren wurde. Es verfällt.