Kommerzielle Koordinierung
Die Praxis, Politiker an Firmen zu Werbezwecken praktisch zu verkaufen, wie das in NRW und Sachsen nun ruchbar geworden ist, rückt einen längst vergangen geglaubten Vorgang in ein ganz neues Licht. Dieser ist zwar lange her und hat als auch in einer ganz andersdemokratischen Umgebung stattgefunden, ihm lag nach neuer Sicht auf die Dinge aber vielleicht eben doch ein ähnlich feiner Geschäftssinn zugrunde wie bei – den natürlichen ahnungslosen – Rüttgers und Tillich.
Denn gesetzt den Fall, für jedes der 41 Fotos im damaligen „Neuen Deutschland“, die den Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrade der DDR, Erich Honecker, beim Rundgang auf der Leipziger Messe im Jahre 1987 im kurzen Gespräch mit ausländischen Wirtschaftsleuten zeigten, hätte Koko-Chef Schalck-Golodkowski 20 000 DM eingesackt (ein für einen Staatschef sicher nicht zu hoch angesetzter Wert), wären dabei stolze 820 000 Mark zusammengekommen!
Wenn man dann noch kalkuliert, daß besagter Messerundgang in Leipzig zweimal jährlich stattfand, hätte das also – fairerweise abgerundet – 1,5 Millionen eingebracht.
Wer sich zu erinnern vermag, was die DDR alles verkloppt hat, um ja an Devisen zu kommen, dürfte dieses Gedankenspiel keineswegs absurd vorkommen. Zumal das Geld ja totsicher zum Wohle des Volkes ausgegeben worden wäre. Zum Beispiel, indem es die Wandlitzversorgung mit Konsumgütern aus dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) sichergestellt hätte, ohne noch mehr an der Versorgung der Bevölkerung mit Südfrüchten sparen zu müssen.
Was einst als peinlicher Akt des Personenkultus erschien, kommt auf den zweiten, nun erfahrungsgetränkten Blick als beispielgebende finanzpolitische Cleverness daher. Eigentlich genial!
Helge Jürgs
Der Untergrund im Hinterhof
„In den 70er Jahren hatten wir erfahren, daß der furztrockene und von uns aus gesehen steinalte Staat unsere lebendige Aufmüpfigkeit ablehnte“, notiert Bert Papenfuß, dessen Beitrag „Für uns“ einen Sammelband eröffnet, der einen Einblick gewährt in die überaus facettenreiche Geschichte der Literaten- und Künstlerszene Ost-Berlins von 1979 bis 1989. Die konzentrierte sich in jenen Jahren auf den Prenzlauer Berg, der damals als Kiez nicht „hipp“ war, sondern ein grauer, von den Spuren des Jahres 1945 gezeichneter Teil Berlins. Adolf Endler brachte das seinerzeit auf die griffige Formel „Prenzlauer-Berg-Connection“.
Einig war sich diese Künstlergeneration – für die auf Seiten der Dichtung Jan Faktor, Johannes Jansen, Andreas Koziol, Elke Erb und Uwe Kolbe stellvertretend genannt sein mögen – in dem Wissen, daß man das, was der Honecker-Staat als offizielle Kunstpolitik propagierte, rundheraus ablehnte. „Wir fühlten uns dem Arbeiter- und Bauernsalat gegenüber zu nichts verpflichtet“, so Bert Papenfuß. Und so erblühte in der Hauptstadt der DDR eine einzigartige Subkultur. Dieser künstlerische Untergrund war vor allem im Hinterhof aktiv: In meist schäbigen, aber sehr preiswerten Wohnungen und Ateliers wurde von Literaten, bildenden Künstlern und Musikern der Aufstand geprobt. Daß das nicht unbeobachtet blieb, war jedem Beteiligten klar. Dennoch war das Erstaunen groß, als sich nach der Wende herausstellte, daß mit Sascha Anderson (seit 1975) und Rainer Schedlinski (seit 1979) maßgebliche Protagonisten Informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit gewesen waren.
Den künstlerischen Wert dessen, was zwischen 1979 und 1989 in der Alternativszene Ost-Berlins entstanden ist, kann das nicht schmälern. Peter Geist faßt in dem Essay „Die Lyrik der nichtoffiziellen Literaturszene“ die Fülle der Autoren und Ausdrucksformen zusammen. Warum die Lyrik in dieser Gegenliteratur das wichtigste Genre war, dafür fand Papenfuß die folgende Erklärung: „Niemand schrieb Romane. Das Leben hatte keine Handlung.“ Und selbst wenn Romane geschrieben worden wären, wer hätte sie veröffentlichen sollen? Die staatlichen Verlage und die ihr vorgeschaltete Zensur? Also blieb man lieber unter sich und publizierte in Kleinstauflagen Periodika: „Entwerter/Oder“, „ariadnefabrik“ und „Schaden“. Ausnahme war die Edition „Außer der Reihe“, die Tilo Köhler mit Gerhard Wolf bei Aufbau begründete, um damit randständigen Autoren „aus ihrer selbst gewählten Isolation“ zu holen.
Mehr Öffentlichkeit als die Dichter hatten seinerzeit jene Musikgruppen, die sich nicht mehr ins Schema der Konzert- und Gastspieldirektion pressen lassen wollten. An ihren Namen sollt ihr sie erkennen, so hätte in den achtziger Jahren das Motto lauten können. Diese alternativen Bands nannten sich „Expander des Fortschritts“, „Ich-Funktion“, „Ornament und Verbrechen“ und „Die Vision“. Erst 1986 wurde ihnen mit der Sendung „Parocktikum“ auch auf den Sender DT 64 ein Programmplatz gewährt. Roland Galenza widmet diesen „anderen Bands“ den mit viel Originalton von einstigen Beteiligten flankierten Beitrag „Die Situation war nicht tanzbar“.
Der typographisch wie eine Samisdat-Publikation gestaltete Band „Die Addition der Differenzen“ bietet einen ebenso umfassenden wie detaillierten Einblick in die Geschichte einer Gegenkultur, wie sie sich nur in einer Diktatur wie der DDR entwickeln konnte.
Die Addition der Differenzen. Die Literaten- und Künstlerszene Ostberlins 1979 bis 1989, Hrsg. von Uwe Warnke und Ingeborg Quaas, Verbrecher-Verlag, Berlin 2009, 320 Seiten, 19,90 Euro
Kai Agthe
Berliner Polithund
Isses nich süühss, das Niebelchen? Es, das ohne jedes Casting die ministerielle Hauptrolle im Politthriller „Entwicklungshilfe“ spielt, vermag nicht nur den inneren Konflikt zu bewältigen, einem Ministerium vorzustehen, das es vorher für schließungswürdig hielt. Nein, Dirki, wie seine nunmehr nach Millionen zählenden Freunde zu ihm sagen dürfen, kann nicht nur auf parteipolitische Ansage hin menscheln, er vermag zugleich auch noch zu tierlen.
Für seinen Vierbeiner Hermann, dem Herrchen spätestens dann an Putzigkeit nicht unterlegen ist, wenn er (Hermann!) mit Niebelchens Bundeswehrmütze abgelichtet wird, gibt es eine eigene Hundehomepage.
Aufschlußreich wird dort auch Hermann heutiges Selbstverständnis erklärt: „Und jetzt bin ich ein Berliner Polit-Hund … “ Man sagt ja gern, daß Hund und Herr sich – zumindest nach längerem Zusammenleben – immer ähnlicher werden. Immerhin hat Hermann es in vergleichsweiser Zeit geschafft, die mehrjährige Funktion seines Papis zu übernehmen. Als Generalsekretär der FDP war das Niebelchen nahezu ausschließlich in hündischer Selbstdarstellung zu erleben: Entweder in schwanzwedelnder Verneigung vor den „Noch-Größeren“ der Kleinpartei. Oder als Wadenbeißer, den man vorschickte, um per maßloser Übertreibung von Forderungen per Nachverhandlung wenigstens die Hälfte davon realisierbar zu machen.
Wow, wow, Dirk, Hermann loves you und wir alle ohnehin; wie fade wäre Politik ohne jemanden wie Sie …
Wen es interessiert: Auf www.dogzunited.de nach Hermann suchen, der Typ mit der Brille ist es.
HWK
Kopflos
„Was für ein grausames Schauspiel! Britische Soldaten beißen im irakischen Basra lebendigen Hühnern den Kopf ab! Ihre Kameraden jubeln dazu, stacheln sie noch an. Das Ganze hielten die Soldaten selbst auf Video fest.“ Ist in einer Zeitung zu lesen. Während Herakles mit einer schrecklichen Hydra, einem mächtigen Löwen und einem widerborstigen Eber kämpfte, beweisen britische Soldaten ihr Heldentum an Hühnern. „Mit seinen Zähnen“, so wird von einem der Tapferen berichtet, „reißt er den Kopf ab, dann spuckt er ihn wieder aus. Blut und Federn sind in seinem Mund. Während das enthauptete Tier zuckend am Boden liegt, grinst der Soldat in die Kamera. Dann schreit ein Kamerad: ,Eine Runde Applaus´.“ Natürlich ist solcher Umgang mit Geflügel lustig und unterhaltsam. Aber nicht deshalb beißen die Kameraden den Hühnern den Kopf ab. Diese Tötungen sind nach Militärangaben vielmehr „Teil einer Übung für Überlebens-Training“. Offenbar geraten britische Soldaten in Lebensgefahr, wenn sie Hühnern nicht die Köpfe abbeißen und dabei lustig sind. Deshalb verbietet sich jedwede Entrüstung. Außerdem muß man die Sache politisch sehen. Bei politischer Betrachtungsweise wird man feststellen, daß es sich lediglich um irakische Hühner handelt und daß die Viecher schließlich mitgemacht haben.
Günter Krone
Schnell vergessen
Eine Studie der FU Berlin schwebt durch die Medien und gibt Anlaß zur Aufregung, da die Schüler dieses Landes nicht die nötige Bildung besäßen um einen vergangenen Staat zu beurteilen: Jeder dritte Schüler wüßte nicht, das Konrad Adenauer ein Kalter Krieger des Westens war. Nur ein Detail von vielen.
In diesem Zusammenhang wird gefragt: Warum wissen unsere Schüler so wenig über die DDR? Nicht über die Vergangenheit allgemein. Die Antwort hören wir auf jedem Sender und in jeder Zeitung: Die Lehrer, die das Thema nicht behandelten, und die Eltern, die diesen Teil der deutschen Geschichte miterlebten, seien schuld.
Eine richtige Frage wurde gestellt: Warum ist es, wie es ist? Die Antwort bleibt unzureichend.
Die nicht vorhandene Motivation der Jugendlichen, etwas zu wissen, was sie im Arbeits- oder Privatleben nicht gebrauchen müssen oder können, wird nicht thematisiert, stattdessen wird der Sachverhalt breitgetreten.
Anstatt zu analysieren, wie Jugendliche durch ein mangelndes Bildungssystem zu Ausbeutungsobjekten heran gezogen und durch Medien jeder Art zu willigen Konsumenten gefügig gemacht werden, wird die Chance genutzt sich über junge Menschen lustig zu machen – im Sinne der Auflagenstärke und der Einschaltquoten.
Dadurch können Jugendliche erst recht kein Interesse an der Geschichte entwickeln. Ihre Interessen werden viel eher durch die erzwungene Konzentration auf das eigentliche festgelegt: Das richtige Leben.
Statt das Ausschlachten der Details, ohne die Zusammenhänge zu benennen – wie es in der Schule oft vonstatten geht – folgen die Medien selbst immer öfter diesem Schema.
Aber Details sind schnell vergessen, ebenso wie Skandale.
Paul
Schlagwörter: Basra, Dirk Niebel, Erich Honecker, Geschichte, Günter Krone, Helge Jürgs, Hermann, Huhn, Hund, Ingeborg Quaas, Irak, Jürgen Rüttgers, Kai Agthe, Paul, Prenzlauer Berg, Stanislaw Tillich, Uwe Warnke