27. Jahrgang | Nummer 10 | 6. Mai 2024

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (XVII)

von Wolfram Adolphi

Wie schon in der Zeit der nazi-faschistischen Herrschaft, so waren auch in den ersten Jahren danach in Sachen China- und Mao-Information die Deutschen, die im Exil lebten, ihren Landsleuten in Deutschland gegenüber klar im Vorteil. So veröffentlichte das in Buenos Aires erscheinende „Organ der demokratischen Deutschen in Südamerika“ La Otra Alemania. Das andere Deutschland in Nummer 129 am 1. November 1946 unter dem Titel „Konterrevolution in China“ einen aus der linksliberalen US-amerikanischen Zeitschrift The Nation übersetzten Artikel von Hugh Dean, in dem die Politik der Guomindang und der mit ihr verbündeten USA einer vernichtenden Kritik unterzogen wurde.

„Die Vereinigten Staaten“, so war zu lesen, „intervenieren in China zu dem gleichen Zweck, zu dem sie in Spanien [1936-39 – W.A.] nicht intervenierten: zur Erdrosselung der Revolution.“ Der überall als „Bürgerkrieg“ beschriebene Konflikt sei „in Wahrheit eine Konterrevolution, […] unternommen, weil die reaktionären Gruppen der Kuomintang [Guomindang], mit denen Chiang Kai-shek [Jiang Jieshi] identisch ist, begreifen, dass für sie ein wirklicher Ausgleich mit den Kommunisten und Liberalen nicht in Frage kommt, denn ein solcher würde ihr politisches Monopol zerstören.“ Und so handelten sie also „wie die Emigranten im Jahre 1792, wie die Südstaaten 1861, wie die zaristischen und spanischen Offiziere 1918 und 1936“: Sie spielten als „Verteidiger des status quo ihre traditionelle Trumpfkarte ‚Krieg‘ aus“.

Die scharfe Sprache war auf ein klares Lagebild gestützt. „Während des achtjährigen Kampfes gegen die Japaner“ habe in China eine „Machtverschiebung“ stattgefunden, „die nur mit Waffengewalt umgestoßen werden kann“. Die „kommunistisch geleitete Agrarbewegung“ habe sich „über ein Drittel Chinas“ ausgebreitet; die „neue Macht“ sei „in der langen, qualvollen Geschichte der chinesischen Revolution“ zur „größten Herausforderung für den halbfeudalen status quo“ geworden. Die Guomindang reagiere darauf in ihrem Herrschaftsgebiet „mit allen vertrauten Instrumenten des Zwangs und des Terrors“, dulde „nicht einmal eine liberale Opposition“, habe mit der „Einführung der Zensur nach faschistischem Muster […] fast die gesamte liberale Presse und viele liberale Stimmen […] zum Schweigen gebracht“, und dort, wo sie ihre Macht an „die kommunistischen Kräfte“ verloren habe, versuche sie, deren „Schlüsselstellungen“ mit „großen Abteilungen“ ihrer Truppen „zu umzingeln, zu blockieren, zu vernichten“. Im Ergebnis all dessen stünden „die Kommunisten und Liberalen“ nun allerdings „fest geeinigt“ zusammen.

Aus diesem „fest geeinigt“ schloss der Autor, dass „der Kommunismus kein unmittelbares Problem in China“ sei – und zwar „nicht nur deswegen, weil die Kommunisten gewillt sind, zeitweilige Konzessionen zu machen, um die Unterstützung der Liberalen zu gewinnen, sondern auch wegen des primitiven, halbfeudalen Charakters der chinesischen Wirtschaft.“ Dennoch würden die USA – da könne Jiang ganz sicher sein – „keine Revolution in China dulden“, und zwar „nicht einmal jene Art“, wie sie „in Mao Tse-tungs [Mao Zedongs] ‚Neue Demokratie‘ gefordert“ werde. Denn – so sei in der New York Times neuerlich nachzulesen –: „Hauptstreitpunkt in China“ sei „der Sowjetimperialismus“. Der erfordere eine „‘feste Haltung‘ seitens Amerikas, d. h. fortlaufende Intervention“.

Allerdings seien – so Hugh Dean weiter – die chinesischen Kommunisten sehr stark. Es stünde ihren Armeen jetzt „die Weite Chinas zur Verfügung, in der sie ihre besondere Art beweglicher Kriegführung ausüben können“. Sie seien „in einer vielleicht entscheidend großen Anzahl von Dörfern verschanzt“ und hätten „gut gewährte ökonomische und militärische Einrichtungen, durch die sie die traditionelle Schwäche der Bauernrebellion überwinden“ könnten – und zwar mit einer „Dynamik der revolutionären Kraft, die oft in unglaublich kurzer Zeit geschaffen wird und durch die Armeen in zwei Wochen aus der Erde gestampft werden.“

In der gleichen Nr. 129 referierte La Otra Alemania einen Text der herausragenden Chinakennerin Agnes Smedley, der gleichfalls zuvor in The Nation erschienen war. Smedley habe dort die Auffassung vertreten, dass „zwischen dem amerikanischen Monopolkapitalismus und den hohen Offizieren Übereinstimmung darüber [herrsche], dass ein Krieg mit der Sowjetunion unvermeidlich sei, und dass man deshalb vorher die chinesischen Kommunisten erledigen müsse“.

Smedley kam auch in Nr. 134 am 15. Januar 1947 wieder zu Wort. Die Agenturmeldungen aufgreifend, wonach am 30. Dezember 1946 die chinesischen Kommunisten beschlossen hatten, in Opposition zur Zentralregierung in Nanjing eine selbstständige Regierung zu bilden, brachte das Blatt in Auszügen aus ihrem Buch „China in Waffen“ Porträts der „Drei Großen“ Mao Tse-Tung [Mao Zedong], Chu Teh [Zhu De] und Chou En-Lai [Zhou Enlai]. Zu Mao hieß es: „Alle anderen kommunistischen Führer konnte man mit jemandem aus einem anderen Volk oder einer anderen Zeit vergleichen, nicht aber Mao Tze-Tung [sic]. Die Leute versicherten, das käme davon, dass er reiner Chinese sei und niemals im Ausland gelebt oder studiert habe. Die Mehrzahl der chinesischen Kommunisten dachten in den Begriffen von Marx, Engels, Lenin und Stalin, und manche waren stolz, ihre Schriften auswendig zitieren und drei- oder vierstündige Vorträge über sie halten zu können. Mao konnte das auch, aber er wollte es nur selten. Seine wissenschaftlichen und seine populären Vorträge wie seine Unterhaltung gründete sich auf Leben und Geschichte Chinas. Hunderte von Studenten, die nach Yennan [Yan’an] kamen, waren gewohnt, ihre geistige Haltung nur von der Sowjetunion zu erhalten und von einigen deutschen und anderen Schriftstellern. Mao hingegen redete zu ihnen über ihr eigenes Land und ihr eigenes Volk, seine Geschichte und seine Literatur. Er zitierte aus chinesischen Dichtungen, kannte die alten Dichter und war selbst ein Dichter. Seine Dichtung hatte die Qualität der alten Meister, aber sie war durchflutet von einer modernen Klarheit des sozialen und persönlichen Denkens.“

(Wird fortgesetzt.)