19. Jahrgang | Nummer 16 | 1. August 2016

Bemerkungen

Richtigstellung & Ergänzung

In dem Beitrag „Warschauer Gipfel-Highlights“ von Wolfgang Schwarz in der vorangegangenen Ausgabe war die Rede davon, dass Guido Westerwelle im Jahre 2009 darauf bestanden hatte, den Abzug der letzten etwa 20 US-Kernwaffen von deutschem Boden als Ziel in die Koalitionsvereinbarung der damaligen schwarz-gelben Regierung aufzunehmen, und dass Kanzlerin Merkel ihren sicherheitspolitischen Berater Christoph Heusgen anschließend gegenüber Washington intern Entwarnung blasen ließ. So weit, so richtig.
Falsch war jedoch in dem Beitrag die Darstellung der Art und Weise, wie das geschah. Heusgen „kabelte“ nämlich nicht, wie der Autor schrieb, er empfing vielmehr zwei Emissäre der US-Regierung, den damaligen stellvertretenden US-Außenminister für europäische und eurasische Angelegenheiten, Philip H. Gordon, und den damaligen amerikanischen Botschafter in Berlin, denen gegenüber er die Ablehnung von Westerwelles Ziel durch die Kanzlerin deutlich machte. Die US-Vertreter fertigten ein Gesprächsprotokoll an, das öffentlich wurde, als Wikileaks das entsprechende vertrauliche Telegramm des State Departments ins Web stellte: https://search.wikileaks.org/plusd/cables/09BERLIN1433_a.html.
Ebenfalls durch Wikileaks kam ans Licht, dass mindestens Teile dieses Telegramms auch den privaten Think Tank Stratfor erreichten, denn Mitarbeiter tauschten Inhalte des Protokolls per Mail aus: https://wikileaks.org/gifiles/docs/16/1662617_wikileaks-cable-germans-on-russian-security-treaty-proposal.html.
Dieser Sachverhalt stützt Schwarz’ Einschätzung, dass Stratfor „einflussreich“ sei. Zumindest offenbar einflussreich genug, um auf den Verteiler vertraulicher strategischer Regierungsinterna zu gelangen.

Die Redaktion

Illusionen

Lange Jahre haben wir hier mit der Illusion gelebt, dass die Teilung in „reicher Norden – armer Süden“ so weiter gehen würde. Durchaus häufig mit Kritik an den Zuständen und mit Willen zur Hilfe bei den Armen, mit Hoffnung auf Besserung. Die Zustände im sogenannten Süden taten uns nicht den Gefallen, besser zu werden. Im Gegenteil – erste Kriege und Metzeleien wurden schon um die wenigen Wasserquellen geführt. Der Klimawandel verheißt Schlimmes im wasserarmen Afrika.
Der Neoliberalismus mit seinen Dogmen machte aus Armut noch mehr und absolute Armut. Der Staat als wichtigste Sozialinstitution wurde entscheidend geschwächt – welche Idiotie, ja was für ein Verbrechen. Verzweiflung und Frust bei den einen, Kapitalflucht bei den anderen. Den Rest erledigten dann die USA und ihre Willigen mit den unbedachten Regimeumstürzen, die eigentlich ganz vorhersehbar Bürgerkriege entfesselt haben. Bomben, IS, Zerstörung der Infrastrukturen und schließlich Terrorismus, der nicht allein in diesen Ländern aktiv wurde.
Nun sind Verzweiflung, Traumata, Frust und zugleich Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa gekommen. Es gibt weiterhin mantrahafte Beschwörungen, dass die Lebensbedingungen in den Ländern des Südens verbessert werden müssen. Aber eigentlich bleiben unsere Regierungseliten beim vertrauten Neoliberalismus in den Beziehungen zu den Ländern der Hoffnungslosigkeit, beim Weiter so -– mit ein bisschen Entwicklungshilfe zwecks Exportsteigerung statt Stärkung der Institutionen des Südens, statt Zugang zu unseren Märkten. Waffenexporte werden ein immer besseres Geschäft.
Der Terror hat nun auch uns erreicht und entsetzt. An den Terror anderswo hatten wir uns wohl irgendwie gewöhnt. Es gibt sicher kein eins zu eins hinsichtlich von Ursache und Wirkung, von Armut und Hoffnungslosigkeit, Demütigung und Terrorismus, aber Grundlagen für heutiges Geschehen sind vor langen Jahren gelegt worden, und ein bisschen hie und da Umsteuern wird nicht funktionieren.
Verstehen unsere Eliten, was da gerade auf unsere Füße fällt und explodiert?

mvh

Medien-Mosaik

Im Hinblick auf das Reformationsjubiläum im nächsten Jahr wird nicht darauf orientiert, Martin Luther auf einen Sockel zu stellen. Bei allen Verdiensten war er auch den Sitten und Vorurteilen seiner Zeit verhaftet. In der neuen Reihe des MOSAIK, in der die Abrafaxe Luther in Wittenberg begegnen (vergleiche Blättchen 6/2016), wird das mit einer schönen Distanz erzählt, wenn Luther etwas selbstgefällig eigene kluge Sentenzen notiert und schließlich seine 478 Thesen entwirft. 478? Brabax hilft wahrscheinlich, auf leserfreundliche 95 zu kommen. Die Leistung von Jens U. Schubert, der die Zeit der Reformation für mehrere Altersgruppen in einer spannend-komischen, historisch genauen Comic-Geschichte wiederauferstehen lässt, ist nicht hoch genug zu bewerten. Historische Gestalten wie Cranach, Müntzer oder Tetzel, von deren Wirken wir ein Bild haben, fügen sich vergnüglich in die Handlung ein.
Schubert ist auch der Autor der Geschichten um Anna, Bella und Caramella. Die weiblichen Pendants der Abrafaxe sollen Mädchen stärker ansprechen und erscheinen vierteljährlich in einem neuen MOSAIK-Heft. Aktuell hat es sie durch Zauberei von der Südsee in die Nähe von Grimma verschlagen, wo Anna von einer Räuberbande als Hexe, Bella und Caramella im Zisterzienserkloster als Dämonen verkannt werden. Katharina von Bora setzt sich für sie ein.
Das ist nicht die schlechteste Art, junge Leute mit der Zeit der Reformation bekanntzumachen.
Während die Abrafaxe-Abenteuer vom bewährten MOSAIK-Kollektiv (das sich nicht mehr so nennt) nah am Stil des vor über 40 Jahren von Lona Rietschel geschaffenen Originals gehalten werden (einzelne Zeichner fügen „ihre“ Figuren in die Blätter ein, und die reizvollen Hintergründe gestaltet wieder ein anderer), sind Anna, Bella und Caramella Zeichner Jens Fischer vorbehalten. Er ging vom etwas gröberen Stil Harry Schlegels aus (legendär mit „Pats Reiseabenteuern“) und entwickelte ihn weiter zum Manga-Stil, der besonders bei jungen Leserinnen “in“ ist.
MOSAIK – Abrafaxe, Heft 488: „Alles Gute kommt von oben“, 52 Seiten, 2,60 Euro.
MOSAIK – Unglaubliche Abenteuer, Heft 29: Räubermädchen und Dämonen, 52 Seiten, 3,40 Euro.

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Aufsehen erregte Klaus Möckels Buch „Hoffnung für Dan“ und erschien ab 1983 in der DDR in fünf Auflagen. Möckel erzählt von seinem geistig behinderten Sohn, der aufgrund irreparabler frühkindlicher Hirnschäden weder hören noch sprechen kann. Er rebelliert gegen sein Schicksal, war oft ungestüm, bis man – da war er um die 30 – sein Talent als Maler entdeckte.
Im Mai ist Dan 50 geworden, und kurz vor seinem Geburtstag ist ein wunderbarer Bildband erschienen. In erstaunlicher Farbigkeit hat er Landschaften gestaltet, die den Betrachter in den Bann ziehen. „Manches ist hingehuscht, hingekrakelt, nicht die Handschrift eines Künstlers, der mit expressionistischen Figuren verblüffen will, sondern die Sprache eines Menschen, der auch als Erwachsener noch kindlich fühlt und denkt“, kommentieren die Eltern Aljonna und Klaus Möckel einfühlsam die faszinierenden Acrylbilder. In zehn Kapiteln schreiben die Möckels über das Leben von Dan und seine Art, die Welt zu sehen – eine schöne Ergänzung zu den Bildern, die bereits im öffentlichen Raum angekommen sind.
Klaus Möckel, Hoffnung für Dan, E-Book bei Edition digital, Pinnow 2011, 7,99 Euro.
Aljonna und Klaus Möckel, Hoffnung, die zweite, Edition digital, Pinnow 2015, E-Book 6,99 Euro.
Printausgabe: 128 Seiten, etwa 90 ganzseitige Farbabbildungen, 14,80 Euro.

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Blätter aktuell

Der Brexit hat nicht nur Großbritannien, sondern auch die Europäische Union in eine tiefe Krise gestürzt. Doch was genau bedeutet der historische Ausstieg der Briten, wo liegen seine Ursachen und worin bestehen seine Konsequenzen? Dem widmen sich vier Beiträge mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten: Der Politikwissenschaftler Michael R. Krätke sieht in Großbritannien ein gespaltenes Land voller Hass und ohne Orientierung; der Ökonom und Jurist Stephan Schulmeister wertet den Aufstieg des Rechtspopulismus in Europa als Folge jahrelanger neoliberaler Wirtschaftspolitik; der Politikwissenschaftler und Ökonom Martin Höpner plädiert für ein soziales Europa – ohne den Euro; und der langjährige Blätter-Redakteur Karl D. Bredthauer warnt vor einer immer engeren Union.
Während die soziale Spaltung weiter zunimmt, wählen immer mehr französische Arbeiter nicht mehr links, sondern ausgerechnet den rechten Front National. Der französische Philosoph Didier Eribon, selbst dem kommunistischen Arbeitermilieu entstammend, sieht die Ursache dafür bei einer kulturalistischen Linken, die längst den Anspruch aufgegeben hat, die unteren Schichten zu vertreten. Während die Linke immer öfter die Perspektive der Herrschenden einnimmt und „Reformen“ sowie „Eigenverantwortung“ predigt, bieten die Rechtspopulisten den Verlierern der Gesellschaft die Möglichkeit, sich als politisches Subjekt zu erfahren – als Gegner der Herrschenden.
75 Jahre nach Beginn des Russlandfeldzugs der deutschen Wehrmacht befinden sich die deutsch-russischen Beziehungen an einem Tiefpunkt. Erhard Eppler, langjähriger Vorsitzender der SPD-Grundwertekommission, beleuchtet deren Entwicklung während der letzten acht Jahrzehnte: vom Krieg über das russische Vergeben und Gorbatschows Vision eines gemeinsamen Hauses Europa, bis hin zum neuen russischen Nationalismus. Um Gorbatschows Traum doch noch zu verwirklichen, müsse eine erneute Spaltung des Kontinents unbedingt verhindert werden.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem „Bioökonomie: Wie eine grüne Idee gekapert wird“, „Exzellente Entqualifizierung: Das neue akademische Prekariat“ und „Somalia in der Kriegsspirale“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, August 2016, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

In den Stunden nach dem Zusammenbruch des vorgeblichen Militärputsches in der Türkei wurden 6.000 Offiziere und Mannschaftsdienstgrade sowie politische Widersacher verhaftet. Etwa 3.000 Richter und Staatsanwälte wurden von ihren Posten entfernt. Die „Verhaftungen […] und die Aussichten auf eine weitere Verschärfung des türkischen Regierungskurses in Richtung Autoritarismus sollten uns“, so Jonathan Manthorpe, „daran erinnern, dass die Türkei der Gegenwart heute keinerlei Chance hätte in die NATO aufgenommen zu werden.“
Jonathan Manthorpe: Bosporaus! Der Putsch nach dem Putsch zeigt: Die Türkei hat in der NATO nichts mehr verloren, IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 18.07.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Manchmal steht […] ein Haus nur noch, weil die Tapeten die Wände halten. Von der Nato, dem vermeintlich schlagkräftigsten Verteidigungsbündnis der Weltgeschichte“, schreibt Jochen Bittner, „kann man nach ihrem größten Militärmanöver seit Ende des Kalten Krieges Ähnliches sagen.“ Die Rede ist von der Übung Anakonda, die zuvor mit circa 30.000 Mann aus diversen NATO- und mit dieser kooperierenden Staaten in Polen stattgefunden hatte. Schon vor dem Manöver musste die Bundesbahn tschechische Flachwagen chartern, um Bundeswehr-Spezialfahrzeuge überhaupt nach Polen verfrachten zu können. US-Truppen mussten Zollkontrollen passieren und Durchfahrtgenehmigungen von Ländern und Landkreisen einholen. Während der Übung harmonierten dann polnische Geräte nicht mit amerikanischen, so dass Aufklärungsergebnisse an Haubitzenstellungen zwar nicht per Bote, aber doch per Mail und Telefon übermittelt werden mussten. US-Tanklaster konnten zwar polnische, kanadische und litauische Fahrzeuge befüllen, wegen inkompatibler Tankstutzen aber keine deutschen, französischen, britischen, italienischen und ungarischen. Und die von der Bundeswehr über die Weichsel geschlagene Ponton-Schnellbrücke sei zwar nach 30 Minuten befahrbar gewesen, eine zweite hingegen gäbe es jedoch in ganz NATO-Europa nicht. Fazit: „Die westliche Allianz schafft es auch nach fast zwanzig Jahren gemeinsamer Auslandseinsätze nicht, wie eine Truppe zu operieren.“
Jochen Bittner: So gefährlich ist die Nato wirklich, DIE ZEIT (online), 26.06.2016. Zum Volltext hier klicken.

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Die Ukraine-Krise und nachfolgende Entwicklungen haben, das konstatiert Magnus Nordenman, stellvertretender Direktor des Brent Scowcroft Center on International Security am Atlantic Council, „Diskussionen über eine NATO-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens neue Nahrung gegeben“. Eine solche Mitgliedschaft „würde der NATO […] politische, strategische und militärische Vorteile bringen“. Die beiden skandinavischen Länder könnten „Schlüsselrollen bei der Verteidigung der baltischen Staaten spielen […]. Verstärkung aus den Vereinigten Staaten und von der NATO könnte über den Luftraum und durch die Hoheitsgewässer Finnlands und Schwedens in die Region gelangen, sogar direkt über deren Häfen und Flugplätze.“
Magnus Nordenman: Winter is coming. Warum Finnland und Schweden in die NATO gehören. IPG. Internationale Politik und Wirtschaft, 27.06.2016. Zum Volltext hier klicken.