19. Jahrgang | Nummer 14 | 4. Juli 2016

Bemerkungen

Alternativen …

Ich hoffe, nicht zur Antieuropäerin erklärt zu werden, wenn ich zugebe, dass ich auf einen Brexit gehofft hatte. Der Gedanke an ein ewiges „Weiter so!“ war zu erschreckend, waren doch die Briten seit langer Zeit unwillig, sich für „Europa“ einzusetzen, und die EU selbst zerstritten, reformresistent. Meine Hoffnung also, dass wenn die Probleme so richtig heftig und akut würden, Bewegung in diese erstarrte Gemengelage käme – und die EU endlich zu den notwendigen Reformen gedrängt würde. Auch und gerade in sozialer Hinsicht, um wieder für Europäer attraktiv zu sein.
Nun stehen alle Seiten erst einmal vor einem Scherbenhaufen und müssen sich dazu verhalten. Trotz Skepsis – es gibt Alternativen zum Ist-Zustand. Ich bin den Briten dankbar für die Botschaft, dass Gerede von Alternativlosigkeit Unsinn ist. Es gibt immer Alternativen, sicher nicht nur zum Besseren, aber man darf die Wahl nicht alternativlosen, auf Angst setzenden Politikern überlassen.

Margit van Ham

Kirchenmäuse – Neues aus München

Der Hausherr des Erzbistums München, Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zählt bekanntlich zu den engsten Beratern des Papstes, also jenes Franziskus, der seit seinem Amtsantritt „eine arme Kirche für Arme“ fordert. Da darf man gespannt sein, wie der Kardinal nun agieren wird, nachdem bekannt geworden ist, dass ausgerechnet seine Diözese unter all jenen in Deutschland, die ihre Vermögensverhältnisse inzwischen offen gelegt haben, vom päpstlichen Ideal am allerweitesten entfernt ist: Auf rund sechs Milliarden Euro beläuft sich das Vermögen der Münchner, davon allein 1,5 Milliarden in Form von Finanzanlagen und 400 Millionen an liquiden Mitteln. Vorläufig, denn die Besitztümer von 750 eigenständigen Pfarrkirchen- und Pfründenstiftungen im erzbistümlichen Einzugsbereich sind in dieser Summe noch gar nicht enthalten. Da kann schnell der Verdacht aufkommen, dass da womöglich jemand Wasser predigt, aber Schampus schlürft – und zwar keine ALDI-Plürre sondern, sagen wir mal, Krug Collection 1928. Also bildlich gesprochen.
Die 27 katholischen Diözesen hatten nach dem Finanzskandal um den früheren Nobelbischof von Limburg, Franz-Peter Tebarz-van Elst, der als Verjuxer einiger Millionen allein für schöner Wohnen in die Kirchengeschichte Eingang gefunden hat, beschlossen, ihre finanziellen Angelegenheiten einer Transparenzoffensive zu unterziehen. Seither galt Paderborn mit rund vier Milliarden Vermögen als Spitzenreiter, gefolgt von Köln mit 3,4 Milliarden. Zu letzterer Angabe muss man allerdings wissen, dass der Kölner Dom bloß mit 27 Euro in den Büchern steht und auch andere unverkäufliche Kunstschätze und Kirchen praktisch nicht mit eingerechnet wurden …

Alfons Markuske

Putzen

„Viel Hausarbeit macht glücklich“, lässt die Wiener U-Bahn-Postille Heute in ihrem Artikel „Glücksfaktor Putzen“ wissen: „Hausarbeit, so britische Wissenschaftler, wirke sich positiv auf die Psyche aus. Nur 20 Minuten intensives Putzen pro Woche seien äußerst wirksam gegen Depressionen. Das schweißtreibende Wirbeln durch die Wohnung soll zudem dem Alterungsprozess massiv gegensteuern und Ängste abbauen. Und sorgt nebenbei noch für einen sauberen Haushalt – und der macht alle glücklich.“
Ich kann das nicht bestätigen. Daher schaut es bei uns auch immer so aus. Putzen ist das Letzte, was einem diese Gesellschaft als alltägliche Notwendigkeit aufgeherrscht hat. Auch die Wörter Runterputzen und Rausputzen sagen in ihrer sprachlichen Komposition schon alles. Wer permanent putzt, erniedrigt sich. Putzen wertet ab, es drängt einen in die Position des Subsubalternen. Putzen ist der niedrigste Dienst von allen. Wer es abgeben kann, gibt es ab. Putzen ist was für Ausländerinnen. Die meisten Putzfrauen sind auch solche.
So geht bei uns das Pflegen und das Sorgen immer vor dem Putzen. Bei uns, die wir uns sowieso keine Putzfrau leisten können, wird also nicht so viel geputzt. Den anderen fällt das schneller auf als uns, auch wenn sie nichts sagen. Nicht, dass ich das Geputzte nicht mag. Die Diskrepanz zwischen dem Putzen und dem Geputzten ist ja immens. Zufrieden ist man nicht, weil man geputzt hat, sondern weil geputzt ist. Die geputzte Badewanne ist einem lieber als das Putzen der Badewanne. Während man Badewanne putzt, lebt man nicht, lebendig wird man erst, wenn man wiederum in ihr sitzt. Reell sind Werden und Resultat zwar nur unterschiedliche Zeitströme, ideell jedoch liegen Welten dazwischen. Der Wert des Geputzten ist jedenfalls höher als der Wert des Putzens.

Franz Schandl, Wien

Medien-Mosaik

„Die Gründe für den außergewöhnlichen Erfolg der Monroe liegen zunächst mal in ihrer Körperlichkeit: Es gibt wohl kaum einen weiblichen Reiz, den sie nicht besaß.“ So Herausgeberin Barbara Sichtermann im Eröffnungsbeitrag ihres aufschlussreichen kleinen Bandes über Marilyn Monroe. Und am Ende schreibt Ehemann Arthur Miller: „Marilyn kam aus den vierziger und fünfziger Jahren. Sie war der Beweis dafür, dass in der amerikanischen Psyche Sexualität und Ernsthaftigkeit nicht nebeneinander existieren konnten, dass sie sogar feindliche, einander abweisende Gegensätze waren.“ Die Herausgeberin hat Texte zusammengestellt, die die Persönlichkeit der Monroe, deren 90. Geburtstag gerade in den Medien begangen wurde, plastisch werden lassen. Joyce Carol Oates und Truman Capote haben sich ebenfalls intensiv mit MM befasst, letzterer gewohnt klatschsüchtig, aber er gibt auch schöne Beschreibungen der Künstlerin, wenn er ihre Schauspiellehrerin Constance Collier zitiert: „Sie besitzt diese gewisse Präsenz, dieses innere Strahlen, diese plötzlich aufblitzende Intelligenz, die auf der Bühne nie sichtbar würde. Das alles ist so zart und zerbrechlich, dass nur eine Kamera in der Lage ist, solche Momente festzuhalten.“
Barbara Sichtermann: Marilyn Monroe – Mythos und Muse. ebersbach & simon, Berlin 2016, 130 S., 16,80 Euro.

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Regisseurin Cordula Kablitz-Post ist bisher für ihre essayistischen Porträts über Helmut Berger, Christoph Schlingensief, Andreas Dresen oder Nina Hagen bekannt. Jetzt hat sie ihren ersten Spielfilm dem Leben von Lou Andreas-Salomé gewidmet. Das wird auch Zeit, denn die vor acht Jahrzehnten verstorbene Schriftstellerin, Philosophin und Psychoanalytikerin droht in Vergessenheit zu geraten. Dabei faszinierte sie einst nicht nur Paul Reé und seinen Freund Friedrich Nietzsche, deren Ménage-à-trois offenbar rein geistiger Natur war, sondern auch viele Frauen und Männer, denen die Emanzipation der Frau nicht gleichgültig war. Rilke betete Lou wohl nicht zu Unrecht an, und Freud widmete der fünf Jahre Jüngeren einen bewegenden Nachruf. In der Rahmenhandlung spielt Nicole Heesters die Autorin am Ende ihres Lebens und beweist erneut, dass sie zu den „großen alten Damen“ des deutschsprachigen Raums zählt. Katharina Lorenz und Liv Lisa Fries verkörpern die Salomé in früheren Lebensphasen ebenso überzeugend. Und wenn von den Schauspielern die Rede ist: Peter Simonischek und Peta Morzè spielen Lous Eltern Salomé einfühlsam, Merab Ninidze zeigt als Andreas überzeugend, warum sich Lou zu ihm hingezogen fühlte, Harald Schrott als Freud verbarg vielleicht zu sehr seine österreichische Herkunft, und Alexander Scheer frappierte als Nietzsche besonders mit seinem Augenspiel. Daneben gibt es auch andere optische Vergnügen. Kablitz-Post verzichtet natürlich nicht darauf, das berühmte Foto nachzustellen, auf dem Reé und Nietzsche einen Wagen ziehen, auf dem Lou ihnen mit einer Peitsche droht. Eine besonderes Vergnügen fürs Auge sind aber die zeitgenössischen Postkarten, in die die handelnden Figuren wiederkehrend eingeblendet werden.
Lou Andreas-Salomé, Regie Cordula Kablitz-Post, Wild Bunch Verleih, seit 30. Juni in guten Kinos.

bebe

Musikalischer T-REKK durch den Süden der USA

Dortmund? Wenn man in fußballinflationären Zeiten diese Stadt erwähnt, ist die Assoziation zum „Runden, das ins Eckige muss“, fast zwingend.
Dortmund und Kultur? Der moderne Mensch bedient sich bei einer solch schwierigen Fragestellung einer Internetsuchmaschine und stößt dann vielleicht auf den Förderpreisträger für junge Künstler 2014.
Diesen Preis gewann die Musikgruppe REKK. In der Laudatio hieß es: „Die Dortmunder Indie-/Folk-Band REKK überzeugt durch eine unverwechselbare musikalische Eigenständigkeit (…) Obwohl es sich hier um noch recht junge Musiker handelt, ist es der Band gelungen, einen eigenen Sound jenseits der Mainstream-Anforderungen zu kreieren.“
Der Kopf dieses Quintetts ist Matti Kaiser. Er beherrscht meisterhaft das gefühlvolle Texten und Komponieren. Die englischen Liedtexte sind von Andeutungen und Anspielungen wie auch von (nicht immer ernst gemeinten) Wortspielereien durchdrungen. Interessanterweise wurde auch der Bandname REKK aus Gründen der semantischen Ästhetik gewählt: Man empfand die zwei aufeinanderfolgenden „K“ des Albums „TAKK“ von Sigur Rós so schön. Und mit diesem Bandnamen ergeben sich fast zwangsläufig Wortspiele wie „Soundrekk“ – übrigens der Begriff, unter dem man die Band auf SoundCloud findet.
Die REKK-Musik hat Anklänge an Ryan Adams wie an die hymnenartigen Balladen von Coldplay. Kunstvoll im wahrsten Sinne des Wortes sind die vorwiegend akustisch geprägten Melodien, teilweise garniert mit Bläser- oder Streichereinheiten. Ein besonderes Schmankerl ist der einzige Coversong auf dem Debutalbum, nämlich „Wicked Game“, im Original von Chris Isaak. Die REKK-Version entbehrt des Edelkitsch-Tons, konzentriert sich auf den Liedkern, wirkt dadurch intimer und eindringlicher.
Vielleicht liegt ja Dortmund auch gar nicht im Ruhrgebiet, sondern irgendwo in den Weiten des US-amerikanischen Südens, wo bei einem T-REKK zu Fuße die flirrende Luft in einer kargen Landschaft die Künstler zu kreativen Höchstleistungen anspornt?
REKK: Sixtytwo. Stargazer Records 2016, ca. 15 Euro.

Thomas Rüger

Blätter aktuell

Unerwartet lange gelang es dem Sozialisten Bernie Sanders, Hillary Clinton im US-amerikanischen Vorwahlkampf vor sich her zu treiben. Sie werde sich, meint jedenfalls der US-amerikanische Soziologe und Blätter-Mitherausgeber Norman Birnbaum, Sanders‘ linken Forderungen öffnen müssen. Denn nur geeinte Demokraten könnten Donald Trump verhindern, der die Ressentiments einer zunehmend aggressiven weißen Wählerschaft anheizt. Birnbaum ist sicher: Trump ist die wohl größte Gefahr für die Demokratie in den USA.
Die rasante wirtschaftliche Entwicklung Chinas lässt viele schon an ein neues, alternatives Entwicklungsmodell glauben, mit Strahlkraft für den globalen Süden. Doch der Erfolg Chinas ist nicht wiederholbar, glaubt der Soziologe Ho-fung Hung. Mehr noch: Die Volksrepublik ist fest in die neoliberale Weltordnung eingebunden. Daher sind die Folgen des chinesischen Aufstiegs widersprüchlich: In den Entwicklungsländern führt er sowohl zu neuen Abhängigkeiten als auch zu größeren Handlungsspielräumen.
Ob Ost- oder Westdeutschland: Die neuen rechten Bewegungen radikalisieren sich mehr und mehr. Dabei berufen sich ihre Vordenker auch auf das in der Verfassung verbriefte Widerstandsrecht. Doch wie der Journalist Felix Korsch darlegt, geht es ihnen dabei vor allem darum, die Legitimität der politischen Ordnung angesichts einer angeblich existenziellen Bedrohung zu bestreiten – um so die Systemfrage von rechts zu stellen.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem „Die höchste Stufe der Zensur: Das Leben in der Ich-Blase“, „Mafiaparadies Deutschland“ und „Der Pakt des Schweigens. Der spanische Bürgerkrieg und die Pendelschläge der Geschichtspolitik“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Juli 2016, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

„Oman auf der Landkarte zu finden, dürfte den meisten Europäern schwerfallen.“ So beginnt Alain Gresh seinen Beitrag und fährt fort: „Selbst unter Politikern werden nicht viele wissen, dass die Hauptstadt des Landes Maskat heißt. Oder dass Oman kein Mitglied der Vereinigten Arabischen Emirate ist. Dabei spielt das Sultanat in der unruhigen Golfregion – und darüber hinaus – eine ziemlich aktive Rolle. Wie wichtig es dem Weißen Haus ist, zeigt der Auftritt von Außenminister John Kerry, der entgegen allen Gepflogenheiten anlässlich des omanischen Nationalfeiertags am 18. November 2015 in Washington zum Empfang in der Botschaft erschien.“
Alain Gresh: Das vernünftige Sultanat. In einer unruhigen Region betreibt Oman eine Diplomatie des Ausgleichs, Le Monde diplomatique, 12.5.2016. Zum Volltext hier klicken.

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Weil sie in der Millionenstadt Manila keinen anderen Platz zum Leben gefunden haben, sind etwa 2.800 Familien auf dem Nordfriedhof der Stadt ständig „zu Hause“ – zwischen Gruften und Gräbern. Nina Belz und Manfred Rist waren dort: „Man sieht ihre Behausungen nicht auf Anhieb, wenn man den Wegen entlanggeht, die den 54 Hektaren großen Friedhof gliedern. Da reihen sich Gruften im Stile ägyptischer Baukunst an einfachere Gräber, manche bunt angestrichen, andere bereits verwittert. Es sind die Wäsche, die an Seilen über den Gräbern hängt, der Kinderwagen, den jemand achtlos auf einem Grab stehen gelassen hat, oder ein Schild mit dem Hinweis ‚Eatery‘, die andeuten, dass sich in den ewigen Ruhestätten Leben verbirgt.“
Nina Belz / Manfred Rist: Der Friedhof als Zuhause in Manila. Leben unter Toten, Neue Zürcher Zeitung (online), 27.5.2016. Zum Volltext hier klicken.

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„Geld ist eine feine Sache. Alle sollten mehr davon haben“, meint Alard von Kittlitz, „und es unter die Leute bringen. Das hat sich wohl auch die Bundesregierung gedacht, als sie vor ein paar Wochen eine Rentenerhöhung beschloss. […] Ich freue mich für die Rentner, die sich jetzt ein Schnitzel mehr leisten können.“ Aber während man das Problem der Altersarmut ohnehin ständig bekämpfe, werde „ein anderes Problem ebenso ständig übersehen […]. Schlechte Zeiten nämlich für mich und meine Generation, die zwischen 1980 und 1995 Geborenen, die sogenannte Generation Y.“ Und konkret: „Während das Einkommen der 65- bis 69-Jährigen in Deutschland zwischen 1978 und 2010 um fünf Prozent gestiegen ist, sank es bei den 25- bis 29-Jährigen […] in gleichem Maß.“
An die Adresse der Generation Y hält Stefan Willek dagegen: „Ich glaube, ihr seid Meister der Verwechslung. Ihr bringt alles durcheinander, weil ihr leiden wollt. Ihr leidet in Wahrheit nicht, aber ihr steigert euch in einen Weltschmerz hinein, weil euer Hunger nach Mitgefühl kaum zu stillen ist. Ihr bildet euch Schmerzen ein. Nicht einmal um Phantomschmerzen handelt es sich, weil da nie etwas gewesen ist, was wehtun konnte und deswegen entfernt werden musste. Es muss sich bei euch eine chronische Form der Hypochondrie entwickelt haben, die offenbar ansteckend ist.
Alard von Kittlitz: Generation Y: Ihr macht uns arm!, DIE ZEIT (online), 26.05.2016. Zum Volltext hier klicken.
Stefan Willek: Generation Y: OOOOOOOOCH!, DIE ZEIT (online), 27.05.2016. Zum Volltext hier klicken.