14. Jahrgang | Nummer 24 | 28. November 2011

Bemerkungen

Ehrenbezeigung

Es pappte ihm an wie ein Markenzeichen, und es war – à la long gesehen – vielleicht weniger Segen, obwohl es ihn über Nacht bei einem großen Publikum bekannt gemacht hatte, als Fluch, und er hätte es möglicherweise kein zweites Mal geschrieben – dieses „Taubenvergiften im Park“. Dabei war es ein gutes, ein schwarz-humoriges und insgesamt eher ein sarkastisches denn ein böses Lied. Aber es war keineswegs sein bestes, und sein schwarz-humorigstes oder gar bösestes war er es schon gar nicht. Die Anwartschaft darauf steht viel eher Chansons wie „Wien ohne Wiener“ oder „Der Tod, das muss ein Wiener sein“ zu, die von der bitteren Lebenserfahrung des in den 30er Jahren emigrierten Juden geprägt waren, der, als er Mitte der 50er Jahre zurückkehrte, auf eine Gesellschaft traf, die Hitler nie einen berauschenden Empfang bei seinem Einzug in Wien nach dem gewaltsamen Anschluss ihres Landes an Nazi-Deutschland bereitet hatte und die sich ihren selbst verordneten Opferstatus von niemandem streitig machen lassen wollte – schon gar nicht von emigrierten vaterlandslosen Gesellen. Dass er dieser Gesellschaft den Spiegel vorhielt, hat sie ihn spüren lassen, und der dabei auch mitschwingende Antisemitismus war keineswegs immer nur ein latenter.
Was bleibt noch zu sagen? Vielleicht etwas Persönliches. Ich weiß nicht, ob er bis 1989 je östlich der Elbe aufgetreten ist. Doch für den Fall, dass nicht, gehört für Landeskinder der DDR wie mich die Möglichkeit, ihm live in Konzerten und nach 2001 zumindest noch in Lesungen persönlich begegnet zu sein, zu den ohne jeden Zweifel unambivalentesten Errungenschaften des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik.
Am 22. November 2011 ist Georg Kreisler in Salzburg gestorben.

Wolfgang Schwarz

Das Testament

von Franz-Josef Degenhardt

Irgendwann – so geht es uns allen –
hörst du das vorletzte Signal,
kannst dich nochmal ans Leben krallen,
oder du singst den Schlußchoral.
Ob nun die Eiche schon gefällt ist
oder die Fichte für den Sarg –
das ist egal, die Uhr läuft weiter,
mach dich für deinen Abgang stark.

Mich, wenn sie mich zu Grabe tragen,
also – dann mitten durch die Stadt
auf einem offenen Leichenwagen,
daß man auch davon noch was hat.
Kurvt durch die Schmuddelkinderviertel
möglichst im Morgensonnenschein.
Laß doch den schwarzen Kutscher fluchen,
mein alter Schulweg soll es sein.

Eh’s dann in jenem Ew’gen Leben
auf jene Blumenwiese geht,
möchte ich hier noch einmal beben,
spür’n, wie er mir noch einmal steht.
Dann pflück ich eine Chrysantheme,
werde sie mir durchs Knopfloch ziehn,
die Margerite aller Toten,
laß sie in meinem Grab verblühn.

Und meine Witwe die soll trauern
Schwarz soll sie tragen bis auf Hemd,
weinen soll sie, am Grab erschauern,
wenn man mich in die Grube senkt.
Dann kann sie einen andern nehmen
möglichst natürlich einen Mann,
der meine Stiefel und Pantoffeln
tragen und Pfeife rauchen kann.

Der soll sich alles schmecken lassen
Wein Weib und Pfeife und Tabak
soll bloß bei meinem Schnaps aufpassen,
sonst trifft ihn noch zu früh der Schlag.
Doch wenn er meine Katzen piesakt
die ich so oft gestreichelt hab
dann komm ich als Gespenst und schneide
ihm seinen Schwanz und anderes ab

Hier ist mein Testament zu Ende
feiert ein schönes Leichenfest.
Gleich ob ihr mich nun zur Legende
macht oder ob ihr mich vergeßt.
Ich bin dann längst im Land der Toten,
wo ich nun wirklich nichts mehr brauch,
wo längst die meisten von uns ruhen.
Irgendwann kommt ihr denn ja auch.

Franz-Josef Degenhardt, der Liedermacher, Schriftsteller und Kämpfer ist am 14. November 2011 verstorben. Der bundesdeutsche Mainstream hat ihn ignoriert, wo er nur konnte. Auch vergleichsweise faire Abschiedsworte in einigen „Qualitätsmedien“ ändern an dieser konzertierten Ignoranz nichts. Der Mann hielt fest an der Todsünde, Kommunist sein und bleiben zu wollen. Das hat immer für Degenhardt gesprochen, von dessen Liedern uns viele im Gedächtnis bleiben und uns immer wieder anregen werden, sie zu hören.

In memoriam

In memoriam Fritz Klein, des international renommierten Wissenschaftlers und treuen Weltbühnen– und Blättchen-Autors von der Wiedergeburt der Weltbühne 1946 bis zum Tod Fritz Kleins, fand am 17. November 2011 eine würdige Gedenkveranstaltung des Zentrums für Zeithistorische Forschungen Potsdam, im Kutschstall, Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, statt.
Nachdem in Vorträgen von Wolfgang Benz die auch von den Weltbühnen– und Blättchen-Lesern geschätzte Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft des Historikers Fritz Klein und von Georg Iggers Fritz Kleins Bemühungen um die Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Universität Buffalo in den 70er und 80er Jahren gewürdigt worden waren, las Wolfgang Klein, einer der Söhne von Fritz Klein, Texte aus des Vaters Feder aus der Weltbühne und aus dem Blättchen. Sein Vortrag endete mit der – so auch von Wolfgang Klein hervorgehoben – letzten belegten Publikation von Fritz Klein. Dieser Text mit dem Titel „Legende?“, symbolischer Schlusspunkt unter dem Lebenswerk Fritz Kleins, wurde im November 2008 im Blättchen veröffentlicht. Er befasste sich mit dem Hitler-Stalin-Pakt und vereinte die Tatsachen gestützte Darstellung der Politik der UdSSR im Herbst 1939 mit Polemik gegen eine „freihändige“ – apologetische – und einseitige Interpretation der sowjetischen Außenpolitik in der Anfangsperiode des zweiten Weltkriegs.

Gerd Kaiser

Höchste Eisenbahn

Reue und Scham haben noch nie zu herausragenden Wesensmerkmalen des deutschen Adels gehört, Anmaßung dafür umso mehr. Aber es übertrifft denn doch das Maß des Üblichen und Gewohnten, dass der sich schon wieder in die Öffentlichkeit traut und ihn offensichtlich die Frage umtreibt, wann er sich uns wieder politisch und in Amt und Würden zumuten kann. Karl-Theodor zu Guttenberg.
Wenn jedoch zugleich ein Blatt wie die üblicherweise eher als seriös verrufene ZEIT dieses Spiel in ihrer aktuellen Ausgabe auch noch mitmacht und sich selbst zur PR-Hure degradiert, indem sie dieser telegensten unter den politisch hohlen Nüssen Deutschlands viel Platz für eine Rechtfertigungssuada unter der Überschrift „Es war kein Betrug“ einräumt, dann ist wirklich Gefahr im Verzug. Dann ist es höchste Eisenbahn, größeren Schaden vom Vaterlande abzuwenden!
Für den Mann muss eine Lösung her, und das kann keine für die nächsten drei Jahre, dass muss eine für die nächsten dreißig Jahre sein. Da gibt es derzeit nur eine einzige Möglichkeit zwischen Saßnitz und Garmisch-Partenkirchen: Karl-Theodor muss – am Besten im Doppelpack mit seiner Angetrauten – „Wetten, dass …“ übernehmen.
Alle Blättchen-Leserinnen und -Leser sind daher hiermit aufgerufen, nachfolgende Mail nicht nur selbst an den Intendanten des ZDF, sondern – einem Kettenbrief gleich – auch noch an zehn weitere Verwandte, Freunde und Bekannte mit der Aufforderung zu senden, unverzüglich Gleiches zu tun:

Betreff: „Wetten, dass …“
Sehr geehrter Herr Markus Schächter,
erst kurz im Amt, können Sie doch bereits jetzt etwas für Ihren Nachruhm tun: Bitte beenden Sie sofort das unwürdige Spiel um die Nachfolge bei unserer beliebtesten Samstagabend-Familien-Show und tragen Sie Karl-Theodor zu Guttenberg und seiner charmanten Gattin die Moderation an. Ja mehr noch – verwenden Sie unsere GEZ-Gebühren ausnahmsweise mal sinnvoll und machen Sie der Familie ein Angebot, das sie nicht ablehnen kann.
Hochachtungsvoll …

Um ganz sicher zu gehen, werde ich aber unverzüglich auch meinen alten Freund Werner T. kontaktieren, der einen guten Draht zu diesem Blatt fürs gesunde Volksempfinden hat. Der Name will mir zwar gerade nicht einfallen, aber es ist irgendwie ein Four-Letter-Word, also so etwas wie „fu …“, äh, „love“.

Rainer Kluge

Eine Reise in die Steinzeit

„Die Höhle der vergessenen Träume“ von Werner Herzog führt geradewegs zum eigenen Träumen. Auf einmal sind die rund 32.000 Jahre zwischen den Menschen, die die Höhle von Chauvet im Süden Frankreichs bemalten, und uns überbrückt. Man sieht historische Dimensionen aus ganz anderem Blickwinkel. Die alten Römer, das Mittelalter alles jüngste Vergangenheit im Vergleich. Und die Erkenntnis – die Steinzeitmenschen haben geträumt und gefühlt wie wir. Die klugen Kommentare von Werner Herzog stimmen ein auf die Gedankenreise, aber so richtig großartig wird der Film, wenn alles Reden verstummt und nur noch Musik zu hören ist -– und die Bilder der Höhle (in der 3D-Technik) so nah kommen, dass man sie berühren möchte, und zutiefst berührt ist. Diesen Film muss man einfach sehen!

MvH

Alles wie gehabt

Schon wird eifrig an Paneuropa gearbeitet. Noch stehen die Zölle und sonstigen sichtbaren Mauern. Sie werden von jetzt an sozusagen nach innen gezogen, und wenn man sie gar nicht mehr sieht, so werden sie doch noch vorhanden sein. Diese, auch von sogenannten Sozialisten propagierte Überkonstruktion ändert nichts an dem Grundgesetz der Staffelung unter dem Druck des Kapitals. Und wenn alle Banken und alle Industrien Europas unter einem Hut sind, dann ist das Manometer auch nicht ein Quäntchen zurückgegangen. Im Gegenteil, dann wird der Druck mit aller Gewalt nach außen platzen. Die Politik gegen Osten der Deutschen Bank und der Diskontogesellschaft vor dem Kriege wiederholt sich nur in andern Dimensionen und mit größerer Gewalt. Die Bagdadbahn ist geblieben. Aber schließlich werden die Gewinner die Verlierer sein, denn es ist Nonsens, mit noch so weit organisiertem Minus Plus machen zu wollen. Wie klein ist das alles: Dies bißchen Gebäudeabstoßen, dies bißchen „Sozialgefühl“ für die verstoßenen Beamten, dies bißchen Rettung der Aufsichtsräte und Direktoren und nichts Neues in der Darstellung und in der Kritik. Das wiederholt sich, bauscht sich auf und kommt doch zu keinem Konstruktionsplan. Glaubt ihr, daß der Bankriese in diesem Winter der, Not auch nur zwei Tage Linderung bringen wird?

Alfons Goldschmidt

Fazit einer Betrachtung zur Fusion von Deutscher Bank und Diskontogesellschaft 1929. Aus: Die Weltbühne, 14 / 1929

Nowak de Maizière

Eines muss man Verteidigungsminister Thomas de Maizière lassen: Er hat eine wirklich soziale Ader. Unlängst hat er Topmanagern der Rüstungsbranche versichert, dass die Mittel, die er einsparen wolle, an anderer Stelle investiert werden könnten. „Das Ziel dieser Maßnahme besteht nicht darin, Ausgaben zu kürzen, sondern das Ziel besteht darin, wieder Aufträge auslösen zu können.“
Nicht auszudenken, wenn dies Schule machte bei jenen Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung bis 2014 satte 80 Milliarden Euro einzusparen vorhat; rund 1000 Euro pro staatsbürgerlicher Nase: Im Ausgleich für das künftig verringerte Elterngeld bekämen Familien mit Kindern die kostenfreie Betreuung Ihres Nachwuchses in mehr Kitas angeboten; anstelle der eingesparten Erhöhung des Weihnachtsgeldes für Beamte würde deren Haushalten jährlich gratis eine Nordmanntanne ab 2,50 Meter Höhe frei Haus geliefert und als Kompensation für den wegfallenden Heizkostenzuschuss für Arbeitslose belieferte Sozialministerin von der Leyen die Betroffenen mit selbst gehäkelten Pulswärmern und Fingerlingen… um nur wenige mögliche Beispiele zu nennen.
De Maizière hat’s jedenfalls vor- und uns allen Mut gemacht. Bei allen, die unsere Regierung wirklich mag, wird gar nicht gespart, sondern nur kompensiert. Das erinnert an die „Schwabinger Gisela“ die einst in ihrem Münchner Restaurant mit verruchter Stimme sang: „Ich habe einen Mann, den viele möchten, / der immer mich bewahrt vor allem Schlechten. / Ein jeder kennt ihn, Nowak ist sein Name, / ihm dank’ ich es, dass heut’ ich eine Dame! / Ob angezogen oder als ein Nackter, / der Nowak hat am ganzen Leib Charakter. Ich hätt’ schon längst ein böses End’ genommen, / aber der Nowak lässt mich nicht verkommen.”

Helge Jürgs

Von Risiken und Nebenwirkungen

Rolf K. ist ein armer Hund, er leidet seit Jahren unter Depressionen. Wer weiß, dass es sich dabei um sehr viel mehr handeln kann als um zwischenzeitliche Stimmungsschwankung, der weiß auch, warum Rolf K. ein armer Hund ist. Aber nun gibt es ja Medikamente und Therapien gegen sowas. An Therapien hat Rolf so ziemlich alles durch, was die Psychotherapie zu bieten hat; der Erfolg war bestenfalls temporär. Nur bedingt hilfreich waren auch alle Präparate, die Rolf über die Jahre verschrieben bekam und tapfer inhalierte. Bis dann eines zur Probe kam, das – erstmals und endlich – spürbar wirkte; zum Vorteile Rolfs, versteht sich. Doch die Freude war nicht von Dauer, weil die Kasse bald das in der Tat teure Präparat nicht mehr zu zahlen bereit war, denn ein Generikum mit gleichem Wirkstoff ist auf dem Markt, immerhin um respektable vier Fünftel preiswerter als das Original.
Rolf K. hat darauf vertraut, dass auch dieses Präparat zu seinem Wohl anschlagen würde. Tat es aber nicht. Trotz gleichen Wirkstoffes war die Wirkung eine – freundlich gesagt – mindere.
Spätestens das war für Rolf K. Anlass, den Beipackzettel näher zu studieren. Und was er las, verblüffte ihn nun endgültig: Sind dort doch eben jene Symptome als sehr häufige oder zumindest häufige Nebenwirkungen aufgeführt, die das Medikament eigentlich abstellen oder doch mindestens lindern soll: Ängste, Unruhe, Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit, Konzentrationsstörungen etcetera pp.
Rolf K. ist der Pharmaindustrie und seiner Krankenkasse dennoch dankbar. Immerhin weiß er jetzt, dass es sich bei dem, was ihn quält, nicht mehr um das eigentliche Symptom einer Krankheit, sondern lediglich um eine poplige Nebenwirkung handelt. Und prompt fühlt er sich sauwohl.

HWK

Der Herbst

von Friedrich Hölderlin

Das Glänzen der Natur ist höheres Erscheinen,
Wo sich der Tag mit vielen Freuden endet,
Es ist das Jahr, das sich mit Pracht vollendet,
Wo Früchte sich mit frohem Glanz vereinen.

Das Erdenrund ist so geschmückt, und selten lärmet
Der Schall durchs offne Feld, die Sonne wärmet
Den Tag des Herbstes mild, die Felder stehen
Als eine Aussicht weit, die Lüfte wehen.

Die Zweig’ und Äste durch mit frohem Rauschen,
Wenn schon mit Leere sich die Felder dann vertauschen,
Der ganze Sinn des hellen Bildes lebet
Als wie ein Bild, das goldne Pracht umschwebet.