14. Jahrgang | Nummer 9 | 2. Mai 2011

Bemerkungen

Einspruch
Zum Beitrag „Von der Aufklärung zur Gegenaufklärung…“ von Helmut Höge, Blättchen Nr. 8/2011 – Anm. d. Red.
Sieben Jahre war ich Mitglied der Redaktion von Horch und Guck, einer Zeitschrift, die sich der Geschichte von Opposition und Repression insbesondere in der DDR sowie ihrer Aufarbeitung widmet. Helmut Höges Beitrag „Von der Aufklärung zur Gegenaufklärung…“ konnte daher meiner Aufmerksamkeit sicher sein. Auf all die vielen Fehler und Ungereimtheiten einzugehen, die sich in diesem kurzen Text finden, wäre ein gar zu mühevolles Geschäft. Ich beschränke mich daher auf drei Probleme:
„Bei dieser ‚Verunmöglichung‘ steht an vorderster Front … die Stasiunterlagenbehörde, die sich dabei (pfui Teufel – E. W.) der Westmedien bedient. So erwarb der Spiegel zum Beispiel gleich zentnerweise Stasi-Dokumente…“ Dass der Spiegel von dieser Behörde, der BStU, Stasi-Dokumente „erworben“ hat, und zwar gleich zentnerweise (vielleicht gar käuflich?), ist mir neu; welcher Quelle hat der Autor das entnommen?
„Das Ende war bereits absehbar, als man zum ersten Dienststellen-Leiter ausgerechnet einen Pastor bestimmte (einen Pastor… man fasst es nicht! – E. W.) und alle Stasiunterlagen über Westpolitiker und -unternehmen sperren ließ beziehungsweise der Deutschen Bank überließ.“ Die Stasi-Akten sind „gesperrt“, das ist richtig – gilt aber für alle, nicht nur die genannten. Zugang haben lediglich die Betroffenen, verschiedene Institutionen – vor allem im Zuge der „Regelanfrage“ – und, soweit es sich um Akten über das amtliche Wirken von Personen der Zeitgeschichte handelt, Vertreter der Forschung. Ihr Recht, Erkenntnisse aus solcher Akteneinsicht ohne Einwilligung der Betreffenden zu veröffentlichen, ist allerdings vor gut zehn Jahren im Ergebnis eines Rechtsstreites zwischen Helmut Kohl und der BStU stark eingeschränkt worden. Auch das gilt für Akten über Personen aus Ost und West gleichermaßen. Nur wenn gegen West-Bundesbürger Ermittlungen wegen des Verdachts auf Tätigkeit für das MfS aufgenommen werden, stehen die einschlägigen Unterlagen bis zum Abschluss des Verfahrens allein den zuständigen Behörden zur Verfügung. Schließlich: Dass der Deutschen Bank Akten aus BStU-Beständen überlassen wurden, das möchte ich doch ebenfalls vom Autor hieb- und stichfest belegt haben.

Erhard Weinholz

Verlässliche Konstanten
Dies weiß schon das Alte Testament:„Was geschehen ist, wird wieder geschehen, / was man getan hat, wird man wieder tun: / Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ (Prediger 1.9) China und vor allem seine Kommunistische Partei sind derzeit neuerlich dabei, den alten Bibelworten Bestätigungen zu liefern. Gemeint ist der Umgang der „kommunistischen“ Obrigkeit mit Ai Weiwei. Der Mann ist Künstler, und als solcher ebenso wenig stromlinienförmig, wie Künstler dies sehr oft und nahezu unter allen gesellschaftlichen Umständen sind. Aber dürfen dürfen sie das halt nicht überall. Im sozialistischen China eben schon gar nicht. Hier gilt die ideologische Straßenverkehrsordnung, und in Einbahnstraßen ist Abbiegen nun mal nicht erlaubt.
Ach, es sind die ewig gleichen Verhaltensmuster. China geht mit der gleichen dämlichen Hilflosigkeit mit intellektuellen Kritikern um, wie wir sie vom Realsozialismus osteuropäischer Couleur kennen, man kriminalisiert sie einfach: ein Alexander Solschenizyn zum Beispiel lässt pars pro toto ebenso grüßen wie ein Stefan Heym.
Dies ist aber nur die eine Seite jener Medaille, die von der Unveränderbarkeit zumindest ideologischen Tuns und Lassens zeugt. Denn auch der Westen – verhält sich, wie es Dressur jedweder Art halt mit sich bringt: reflexartig. Denn keine Frage, dass die politisch und medial hochmoralisch aufgeziegelte Solidarität mit Ai Weiwei viel weniger diesem Manne gilt als der Chancennutzung: ein Regime anzuklagen, vor dem man vor allem enormen Schiss hat. Nicht mehr wegen seines ideologischen Zuschnitts, denn vor einem Sozialismus a la chinoise muss sich die westliche Welt nicht mehr fürchten, vor dem längst zum ärgsten wirtschaftlichen Konkurrenten herangewachsenen Staat dafür umso mehr. Und so wird genutzt, was als Munition taugt – Menschenrechte gehen da immer, wogegen auch nichts zu sagen wäre, würden sie nicht dergestalt selektiv eingeklagt wie im Heuchelstadel West.
Gesetzt den Fall, Ai Weiwei käme in Kürze frei, könnte seine Gastprofessur in Berlin antreten und sein Atelier in Schöneweide eröffnen und würde dann Widerworte zur hiesig besten aller demokratischen Welten äußern … Wollen wir wetten, dass es ihm erginge wie weiland Stefan Heym, den man als DDR-Dissidenten seinerzeit ebenso pries wie heute Ai Weiwei, dem man aber, als er sich nach der Wende nicht instrumentalisieren ließ, noch rasch eine Stasi-Saga andichtete und dem schließlich die versammelte konservative Politprominenz samt Kanzler den Beifall für seine Eröffnungsrede des 13. Bundestages, dessen Alterspräsident Heym seinerzeit war, verweigerte? Wetten, dass?

Jochen Blank

Peter Frey in die Produktion
Vor drei Tagen nun haben Prinz William und Kate Middleton in London geheiratet. Da sich das Blättchen für irdischen Spuk nicht interessiert, fände dieser Termin hier normalerweise keinerlei Aufmerksamkeit; für die formidabel bezahlte Verblödung unsres Volkes sind bereits Heerscharen anderer tätig. Wie es allerdings der ZDF-Chefredakteur Peter Frey fertig bringt, in einem Interview (Berliner Zeitung) die sechsstündige Dauerübertragung dieser Hochzeit parallel in beiden (!) öffentlich-rechtlichen Kanälen zu rechtfertigen, zieht einem – wiewohl des längerem auch vom staatsauftragsgestützten TV immer mehr Unerfreuliches gewohnt – wirklich die Schuhe aus. „Es ist keine Klatschveranstaltung“, weiß jener stets so seriös in die Kameras schauende Mann, seit er sich aus dem fröhlichen Frühstücksfernsehen ins Protokollarische hoch hat arbeiten dürfen. „Das zu behaupten, ist arrogant. Diese Hochzeit ist das Fernsehereignis des Jahres“. Und Frey, nochmals lediglich danach befragt, ob denn nun b e i d e Sender das Gleiche übertragen müssen, weiß apodiktisch nachzulegen: „Das ist ein Ereignis von zu hohem journalistischen Wert und zu hohem Publikumsinteresse, um dem ZDF-Publikum die in langen Jahren aufgebaute Erfahrung unserer ZDF-Royal-Moderatoren und Royal-Experten vorzuenthalten.“
Mein Gott, warum wird mir nur gerade in diesem Zusammenhang erinnerlich, mit welcher Vehemenz bei der – auch vom ZDF und natürlich bei Bedarf auch von Peter Frey allweil gepriesenen sanften – DDR-Revolution von 1989 seinerzeit all die amtlich bestallten Desinformierer zum Teufel gewünscht und – wenn auch auf zivile Weise – geschickt worden sind. „Peter Frey in die Produktion!“ – Nostalgie ist keineswegs nur rückwärtsgewandt …

Irma Brings

Reflexion über Identität
Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo gehöre ich hin? Kann der Entwurzelte ohne Kenntnis seiner Wurzel sich woanders verwurzeln oder wird er sich immer nur einpassen bis die Umgebung von ihm abrückt und er wieder zusammenhangslos durch die Sphären schwebt? Kann der Zusammenhangslose Mensch sich in einen fremden Zusammenhang integrieren oder wird er immer Fremdkörper sein? Fehlt ihm die Möglichkeit sich einzupassen ohne abgestoßen zu werden, wenn er nirgends herkommt und das, was er unter Umständen mitbringt, wenig mit Menschen an sich zu tun hat? Ist er noch Mensch ohne Identität oder ist er ein Wesen, das sich nicht mehr der Geselligkeit hingeben kann, da sein Erfahrungsschatz ein anderer und das Miteinander-etwas-anfangen-können immer auf der Gleichheit der Erfahrung beruht? Macht Identität und Nicht-Identität den einfachen Unterschied zwischen den Menschen aus? Oder ist der Mensch von vornherein ohne Identität geboren und kann das Problem für sich nur erkennen, wenn er in der Lage ist zu reflektieren? Oder ist Reflexion gerade das Problem der Menschen – dem einen mangelt sie, dem anderen geht sie über? Und ist Reflexion oder Nicht-Reflexion ein Merkmal sich integrierender Menschen, Mangel zu Mangel, Überfluss zu Überfluss? Gemeinsames unkritisch gelebtes Leben gegen gemeinsam-einsam erfahrenes Leiden an der Welt, das sich in seiner härtesten Form ganz pathetisch als Weltschmerz ausdrückt und wahrscheinlich als Phantomschmerz bezeichnet werden kann – fehlende Identität gleich fehlende Welt oder einfach gleich ein fehlender Zugang zur Welt (der Anderen)?

Paul

Falsch getrennte Glühbirne
„Geht ein Römer zur Mülltonne und trennt Papier und Plastik“ – bis vor ein paar Wochen hätte ich das noch als Antiwitz erzählen können nach dem Motto: „Gehen zwei Männer über eine Brücke. Der eine fällt ins Wasser, der andere heißt Helmut!“ Doch seit 1. März ist alles anders.
Gut, es gab schon früher Tonnen für Plastik und Papier vor meiner Haustür, aber mal ganz ehrlich: Waren das nicht einfach andersfarbige Restmülltonnen? Zwar gab es wirklich Nachbarn wie Signora Lovello aus dem vierten Stock, welche auf geradezu teutonische Art fein säuberlich gestapelte Joghurtbecher in den Plastikcontainer warf – doch die hat ja auch zwölf Katzen und gilt als leicht verrückt. Die meisten aus meinem Haus machten es so wie Signor Prosperi: Wenn die Restmülltonne voll war, kam der Beutel halt in den Plastik- oder Altpapier-Container. Als er sich einmal ertappt sah, streckte er sein Kinn nach vorne und machte dieses römische „eh eh eh“, das so viel bedeutet wie: „Ja mei“. Oder „Ich steh dazu. Was soll ich denn anderes machen? Ach komm schon!“
Tja, Herr Prosperi, die Zeiten sind vorbei. Denn nun wird der Müll persönlich kontrolliert, bevor man ihn abgibt. Ja wirklich! Wo früher gemütliche Tonnen standen, die alles fraßen, was man in ihre Mäuler stopfte, steht nun ein strenger Mensch: Unter enormen Personalaufwand der Abfallbetriebe wird mein Stadtviertel gerade umerzogen – andere Viertel werden dann folgen. Plastik-, Papier-, Bio- oder Restmülltüten werden persönlich übergeben. Und ich und meine Nachbarn zittern vor dem prüfenden Blick von Müllfrau oder Müllmann. Geschockt erzählte mir mein Nachbar und Freund Andrea vor ein paar Tagen die Geschichte von der Glühbirne: Der Müllmann hatte sie im Restmüll entdeckt und Andrea sollte 400 Euro Strafe zahlen oder die Glühbirne zum etwa 20 Autominuten entfernten Wertstoffhof fahren. Andrea nahm die Glühbirne wieder nach Hause, wo sie gleich rechts im Eingang auf der Ablage liegt. „War das ein deutscher Müllmann“, habe ich gefragt, doch Andrea schüttelte den Kopf: „Ein Römer!“ Kaum zu glauben. Doch nicht genug, es gibt noch etwas erstaunlich Neues in Rom. Gestern war ich Einkaufen im Supermarkt, an der Kasse fragte ich nach einer Tüte und dachte an „Plastiktüte“. „Da unten“, sagte der Kassierer und deutete auf einen Stapel Papiertaschen. Gut, seit 1. Januar gilt ein Gesetz in Italien, das Plastiktüten verbietet. Aber, Madonna! Wer hätte gedacht, dass das wirklich umgesetzt wird! Ich zwinkerte zweimal mit den Augen, doch immer noch lagen da nur Papiertüten. „Geht ein Römer in den Supermarkt und geht mit einer Papiertüte wieder heim“. Was wäre das noch vor einem Jahr für ein großartiger Anti-Witz gewesen!

Martin Zöller, Weltreporter, Rom

Sperrmüll
Es ist gut, mitunter über den Gartenzaun zu schauen, um zu lernen was der Nachbar besser macht. In den Osterferien auf dem niedersächsischen Lande sah ich etwas, was in Berlin seit langem abgeschafft wurde: Eine Sperrmüllsammlung des kommunalen Müllentsorgers. Entgeltfrei natürlich, einmal im Jahr. In Berlin muss man sein Zeug entweder selbst auf den Recyclinghof bringen oder gegen teures Geld abholen lassen. Dann geht es in die „Verwertung“ – sprich Verbrennung, Schredderung oder die Schmelze. Das bringt Gewinn. Der Entsorger kassiert also doppelt. Durch die einzige Straße meines Urlaubsdorfes fahren seit heute morgen ständig diverse Kleintransporter und ihre Fahrer laden auf, was noch brauchbar ist oder scheint. Diese Leute leben davon und das ist ehrenwert. Sie sorgen zudem dafür, dass viele noch brauchbare Sachen an Menschen mit weniger dicker Börse kommen. Das ist sozial und entschieden ökologischer als das Berliner System. Auch wenn jetzt manche sicher die Nase rümpfen werden von wegen „Geld mit der Armut verdienen“ und so. Übrigens schreibt der niedersächsische Müllbetrieb keine roteren Zahlen als die Berliner Stadtreinigung… „Geld stinkt nicht“, sagten die Römer.

Wolfgang Brauer