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In seinem kritischen Text zum Zeitphänomen der „Politischen Korrektheit“ bezieht sich Stephan Wohanka auf das Raisonnement in der Berliner Zeitung. Zuvor war in der Neuen Zürcher Zeitung am 28.07.22 aus Bern berichtet worden, dass das Konzert in einer „Szenebeiz“ um den örtlich bekannten „Mundartmusiker Lauwarm“ abgebrochen wurde. Die Musiker hatten ihre „Mundartverse“ mit Reggae-Rhythmen unterlegt und einige Musiker schmückten ihr Haupt mit Dreadlocks, was jamaikanisch aussieht und zur Musik passt. Einige Personen aus dem Publikum (die gegenüber den übrigen Anwesenden anonym blieben) hatten sich bei den Wirtsleuten beschwert, sie fühlten sich „unwohl“, weil diese Musik, gespielt von Weißen, und diese Frisuren „postkolonialer Rassismus“ seien. Mit dem Konzertabbruch wurden die Musiker zu Rassisten erklärt, auf Zuruf, ohne ein rechtsstaatliches Verfahren. Die Neue Zürcher wies zugleich darauf hin, dass dem Anwurf ein statisches Kulturverständnis zugrundeliegt: Menschen werden in biologisch definierte homogene Gruppen eingeordnet. Die „linke Woke-Bewegung“ befinde sich damit auf einer Wellenlänge mit den rechten Identitären. Die Woke-Bewegung verkaufe sich gerne „als weltoffen und liberal“, jeder soll „das jeweils gefühlte Geschlecht“ frei wählen können. Aber seine Frisur und Musik nicht?
In der Rubrik der Leserkommentare war dann in der Zeitung zu lesen, nach dieser Logik dürften schwarze Musiker keine Klassik spielen und Juden keine nicht-jüdische Musik. Norddeutsche dürften auf dem Münchner Oktoberfest keine Lederhosen tragen und Asiaten müssten aus den europäischen Sinfonieorchestern entfernt werden. Hinzu käme: Wenn eine selbsternannte elitäre Minderheit der Bevölkerungsmehrheit ihre Ideologie aufzwingen will, sei das eine Form „faschistischen Denkens“. Das nur als Nachtrag zu den hier zutreffenden Befunden des Autors.
Danke an Eckhard Mieder für das zugleich sprachgewaltige und aufklärerische Gedicht „Die Lage“.
Zu: Die Ukraine ist die neueste Katastrophe amerikanischer Neocons von Jeffrey D. Sachs
Herr Sachs beginnt seinen Text mit den Worten: „Der Krieg in der Ukraine ist der Höhepunkt eines 30-jährigen Projekts der amerikanischen neokonservativen Bewegung (Neocons)“.
Da verwundert es, dass in anderen Quellen zu lesen ist: „Ausgerechnet die Heritage Foundation, eine neokonservative Denkfabrik in den USA, die bisher unumstößlich hinter sämtlichen Auslandseinsätzen des US-Militärs stand, verweigert der Biden-Administration bei der Militärhilfe für die Ukraine die Gefolgschaft. ´Das vorgeschlagene Hilfspaket für die Ukraine nimmt das Geld für die dringendsten Bedürfnisse des amerikanischen Volkes weg und schickt leichtfertig unsere Steuergelder an einen unverantwortlichen ausländischen Staat´, sagte Jessica Anderson, die leitende Direktorin von Heritage Action, einer Schwesterorganisation der Heritage Foundation, unmittelbar vor der Abstimmung des US-Repräsentantenhauses über ein weiteres militärisches Hilfspaket für die Ukraine.
Im vergangenen April hatte die Biden-Administration ein 13-Milliarden-US-Dollar schweres Paket für die Ukraine durch den Kongress gedrückt. Bereits damals kritisierte die Heritage Action, dass dieses Paket Amerika an die letzte Stelle stellt; ganz anders, als es Donald Trump mit seinem Motto ´America first´ tat. Auch Kevin Roberts, der Präsident der Heritage Foundation, geht mit der Biden-Administration bezüglich der Ukraine-Politik scharf ins Gericht: Die Zustimmung des Kongresses zu einem überzogenen und übereilten Hilfspaket für die Ukraine in der vergangenen Woche hat gezeigt, wie weit unsere Politiker von ihren Bürgern und unseren Problemen entfernt sind´“.
Sollten diese Äußerungen Herrn Sachs entgangen sein?
Herr Wohanka stützt sich mal wieder auf nicht namentlich genannte „andere Quellen“. Sehr seriös können die nicht sein – gilt doch die „Heritage Foundation“ gemeinhin schlicht als „konservativ“ ohne irgendwelche Vorsilben.
Für die Einschätzung des sehr informativen Beitrags, in dem Jeffrey D. Sachs eine bestimmte Strömung der N e o konservativen porträtiert, sind die Informationen, die der Kommentar enthält, also belanglos.
Herr Hayn,
Auf ihr Kommentar möchte ich mit Herrn Wolfgang Schwarz antworten, der kürzlich im Forum so geschrieben hat: „Wahrscheinlich wird Herr … wissen, wie man es nennt, wenn in eine Aussage erst zielgerichtet etwas hineininterpretiert wird, für das man den Verfasser hinterher gründlich diskreditieren will“!
Ich könnte auch sagen: „Ein Haar in der Suppe finden, was sie vorher in selbige platziert haben“.
Generalgouverneure hat es in der Geschichte schon sehr viele gegeben. Zur Übersicht hilft u. a. bei Google zu suchen. Das sie mir unterstellen ich hätte Melnyk und Frank auf eine Stufe gestellt, bezeichne ich gelinde gesagt als starken Tobak. Dann ihr Pamphlet noch mit „Ihr“ zu unterzeichnen ist dann als Ironie nicht mehr zu übertreffen. Wissen sie, wer sie als „Ihr“ hat, benötigt keine Feinde mehr.
Bleiben sie gesund!
Werter Herr Grimmer,
den im Oktober 1813 von Alexander I. eingesetzten russischen Generalgouverneur des Königreiches Sachsen dürfte heute kaum jemand bei der Verwendung des Begriffes im Zusammenhang mit der „Causa Ukraina“ assoziieren. Das unrühmliche – zurückhaltend formuliert – „Generalgouvernement“ schon. Soviel Geschichtsbewusstsein müsste eigentlich auch bei Ihnen vorhanden sein, zumal Sie den Herrn M. nicht unberechtigt in die geistige Nähe des Faschisten Bandera verorten.
Wenn Sie den selbst gezogenen Tobak nicht zu riechen vermögen, müssen Sie schon akzeptieren, dass man Sie darauf hinweist. Es ist leider Gottes üblich geworden, in aktuellen politischen Auseinandersetzungen mit der Faschismus-Keule loszudreschen. Putin macht das (er sagt allerdings „Nazismus“) in Richtung Ukraine, seine Gegner wiederum verunglimpfen ihn als solchen. Die böse Nebenwirkung ist allerdings in beiden Fällen eine üble Relativierung der Shoah.
Aber natürlich haben Sie das nicht gemeint. Natürlich werden Sie von einem Menschen, den Sie in die Rubrik „Feind“ einordnen – besten Dank für diese nette Art des Diskurses! – bösartig missverstanden … Pardon, eine Flegelei bleibt eine Flegelei – auch wenn sie sich noch so geistreich-listig mit einem verschlissenen Unschuldsmäntelchen umhüllt.
Mit freundllichen Grüßen
Ihr
Günter Hayn
Sehr geehrter Herr Hayn,
Sie argumentieren da meines Erachtens aus einem sehr verengten Wortverständnis heraus: Generalgouverneure (im Original „Governor General“) gibt es auch heute noch. In nicht ganz unbedeutenden Staaten wie Kanada, Australien, Neuseeland fungieren sie faktisch als Staatsoberhäupter – in Vertretung des nominellen, der Queen, die ja schon mit ihrem eigenen britischen Grusel-Kabinett hinreichend ausgelastet ist.
Wenn das Nazigesocks diesen altehrwürdigen Begriff missbraucht hat, um seine mörderische Herrschaft über Polen mit einem liberalen Mäntelchen zu umkleiden, kann das wohl kein Anlass sein, gleich den ganzen Begriff zu kriminalisieren.
Vielleicht veranlassen diese Überlegungen Sie, Ihr schroffes Urteil über Herrn Grimmer noch einmal zu überdenken?
Mit freundlichen Grüßen
Bernhard Mankwald
In der Tageszeitung „junge Welt“ steht nun in einem Leserbrief zu lesen:
„Ursache für den Einmarsch Russlands in die Ukraine ist allein die NATO-Osterweiterung. Denn seit 1999 ist die Zahl der NATO-Mitglieder von 16 auf 30 gestiegen, die Grenze hat sich mehr als 1.000 Kilometer nach Osten bewegt – und Russland Schritt für Schritt an die Wand gedrängt. Verantwortlich hierfür ist die aggressive und gierige US-Regierung…“
Zu Klaus-Dieter Grimmers Kommentar vom 6. Juli
Werter Herr Grimmer,
wir dürften uns sehr einig sein, dass die Abberufung Botschafter Andrij Melnyks – ich finde es übrigens stillos, Namen wider besseres Wissen falsch zu schreiben; das geht jetzt an die Adresse von Herrn Romeike – mehr als überfällig ist. Hätte unsere Außenministerin etwas mehr Rückgrat und Charakter, hätte sie ihn längst zur persona non grata erklären lassen müssen.
Was überhaupt nicht geht, ist Melnyk mit dem hingerichteten Hauptkriegsverbrecher Hans Frank auf eine Stufe zu stellen. Auch wenn Sie das Wort Generalgouverneur in Anführungszeichen gesetzt haben: Solche Art „Argumentation“ ist einfach nur würdelos und entwertet Ihre berechtigte Kritik.
Ihr
Günter Hayn
Allerwertester, es gibt verschiedene Umschriften der Namen. In der Neuen Zürcher Zeitung steht immer Selenski und Melnik. Was den deutschen Lesegewohnheiten zuträglich ist. Im übrigen heißt es im Deutschen auch Warschau statt Warszawa, Prag statt als Praha, und Rom statt Roma. Insofern geht es hier nicht um falsch oder richtig, sondern um unterschiedliche Transliteration ostslawischer Namen. Wenn Sie genau hinschauen, stellen Sie oft fest, dass im Kyrillischen die Namen „Ukrainisch“ und „Russisch“ oft identisch sind. So gibt es keinen vernünftigen Grund, die jetzt unterschiedlich mit lateinischen Buchstaben zu schreiben. Bis auf die „Politische Korrektheit“, dass das eine die ukrainische und das andere eine russische Variante sei. Entscheidend ist, dass der deutsche Leser das in „barrierefreier“ Sprache lesen kann.
Gut Holz weiterhin!
Hallo Herr Romeike,
Nichts anderes habe ich geschrieben. Die Verunglimpfung deutscher Persönlichkeiten… siehe weiter meinen Beitrag, hat nicht ausgereicht diesen „Diplomaten“ als Persona non grata von deutscher Seite zu erklären.
Er kann künftig in Kiew die „beleidigte Leberwurst“ spielen.
Aber in Zukunft, verspreche ich ihnen, werde ich in ihrem Sinne besser aufpassen. Ob das hilft, werden wir sehen.
Mit freundlichsten Grüssen
Verehrtester Herr Grimmer,
Sie haben nicht aufgepasst. Dieser Melnik wird nicht abberufen wegen seiner notorischen Missachtung der Deutschen und vor allem ihrer politischen Repräsentanten, sondern nachdem sich Polen und Israel wegen seiner nationalistischen Beschönigung der Ermordung von Zehntausenden Polen und Juden offiziell beschwert hatten. Verhohnepiepelung der Deutschen reicht nicht, es muss der Tatbestand des Antisemitismus und die Diskreditierung der polnischen Bandera-Opfer hinzukommen.
Freundliche Grüße, trotz alledem.
In Tagen sich selbst übertreffender schlechten Nachrichten, insbesondere das Kriegsgeschehen in der Ukraine betreffend, gibt es auch gute, ja gerade hoffnungsvoll stimmende Mitteilungen.
Herr Melnyk, der selbsternannte ukrainische „Generalgouverneur“ in Deutschland und Verehrer des Faschisten und tausendfachen Judenmörders Bandera soll von seinem Posten als „Botschafter“ zurückgezogen werden. In den deutschen Fernsehanstalten, insbesondere den diversen Talkrunden die diesem „Botschafter“ viel Raum für seine teilweise haltlosen Thesen gegeben haben, wird es nun einsamer. Interessant dabei ist, daß nicht seine beleidigenden Pöbeleien, seine haltlosen Forderungen wider besseres Wissen und teilweise bösartigen Unterstellungen, der deutschen Regierung, speziell Frau Baerbock als zuständige Ministerin, hinreichend Anlass gab seine Abberufung zu fordern. Nein, es war die Kiewer Administration selbst, die an der Reißleine gezogen hat. Das internationale Echo auf seine Person im Zusammenhang seiner Äußerung zum oben erwähnten Faschistenführer, war dann doch zu groß.
Da fällt mir dazu nur ein deutsches Sprichwort ein: „Auch der schlauste Fuchs findet seinen Kürschner“. Wobei das Wort „schlau“ mir bei Melnyk nicht angemessen scheint.
Lieber Jürgen Leibiger,
den Ausführungen im Blättchen Nr. 14 kann man folgen, aber die zentrale Frage, die zu beantworten ist, ist doch die nach den Ursachen für die gegenwärtige Teuerung. Sind diese vor allem auf der Angebotsseite zu suchen, also bei den Unternehmen, den Lieferketten, der Spekulation usw., so hat die Zentralbank keine Möglichkeit, hierauf Einfluss zu nehmen. Von Sekundäreffekten, wie sie die Aufwertung der Währung mit sich bringen könnte, mal abgesehen. Resultiert die Teuerung aber aus einer überhöhten zahlungsfähigen Nachfrage, so könnte eine Zinsanhebung etwas bewirken und die Inflation bremsen. M. E. haben wir es gegenwärtig mit einem „Angebotsschock“ zu tun, worauf die Geldpolitik so gut wie keinen Einfluss hat. Die Teuerung wird nachlassen, sobald die Konjunktur lahmt oder gar eine Rezession eintritt. Andererseits fordert der ökologische Umbau der Wirtschaft seinen „Preis“, weshalb ein bleibender Anstieg des Preisniveaus unvermeidlich ist. Es kann folglich nur darum gehen, die „Kosten“ desselben halbwegs gerecht auf alle Wirtschaftssubjekte zu verteilen. Ob Marx‘ Ausführungen von 1865 dabei heute eine Hilfe sein können, bleibt eine offene Frage. Ich denke aber, eher nicht.
Ulrich Busch
Schlaeft die Ukrainefuehrung?Ukraine mochte schon immer gerne Natomitglied werden.Nato hat geweigert,Ukraine war nicht reif.Daraufhin hat der Ukrainekrieg angefangen.Auch hat die Nato geweigert ueber Ukraine-Neutralitaetsstatus mit Russland zu verhandeln,man hat Ukraine zum Krieg verdonnert,ohne Ukraine zu verteidigen.Lieferungen von alten Waffen hat nur den Schaden+Leichenzahlen vergroessert.Aus diesem Grund sollte Ukraine vor Gericht Schadenersatz einklagen von EU,USA,NATO.Die Paar Milliarden Euro die man bis jetzt versprochen hat sind nur Trinkgelder verglichen mit dem realen Schaden.Bis zum jetzigen Stand Mai/Juni/22 betraegt der Schaden minimal 3000/5000 Milliarden Euro.Wenn im Ukrainwesten EUlaender ihre historischen Forderungen aus der Oesterreich/Ungarn-Periode geltend machen,und Territorien besetzen,kan der Schaden bis zu 10.000 Milliarden betragen.Dann bleibt v/d Ukraine nur 50% uebrig,mit nur 25 mio Einwohnern.Die EU ist dann weitgehend pleite
Jörn Schütrumpf verweist im Blättchen 12/2022 auf das bekannte Zitat, in dem Rosa Luxemburg die Herrschaft der Bolschewiki als „Diktatur im bürgerlichen Sinne“ definierte.
Die Autorin hätte diese Definition sicher noch überdacht und präzisiert, hätten ihr die Mörder dazu die Zeit gelassen.
Weniger bekannt ist, dass Trotzki bereits im Jahr 1904 eine in gewisser Hinsicht präzisere Definition gab. Nach seiner Auffassung waren die Bolschewiki:
„völlig konsequent in der Ersetzung der Diktatur des Proletariats durch die Diktatur über das Proletariat, der politischen Herrschaft der Klasse durch die organisatorische Herrschaft über die Klasse.“
[Zitiert nach: Mankwald, Bernhard: Das Rezept des Dr. Marx. Despotismus oder Demokratie? Norderstedt 2010, S. 65. Dort werden Trotzkis Ansichten wesentlich ausführlicher wiedergegeben und in einen eigenen theoretischen Bezugsrahmen eingeordnet.]
Zum aktuellen Beitrag von „Sarcasticus“ zunächst eine physikalische Marginalie: G bezeichnet die Konstante für die mittlere Erdbeschleunigung. Gemeint war in der erwähnten Quelle offenbar die Mach-Zahl – die übrigens nach jenem Physiker benannt ist, dessen Philosophie Lenin ebenso erbittert wie langatmig bekämpfte.
Ad rem für jetzt nur dies: Die demonstrierte Fähigkeit, See-Ziele zu bekämpfen schließt natürlich diejenige ein, die zuvor erwähnten Land-Ziele anzugreifen – die ja in wesentlich kürzerer Entfernung liegen und nicht ausweichen können. Auch nicht unbedingt ein tröstlicher Gedanke, der aber vielleicht dabei hilft, die Dynamik der gegenwärtigen Eskalation zu verstehen.
Wozu übrigens dieser Text – ebenso wie mehrere andere – einen gewichtigen Beitrag leistet.
Lieber Herr Mankwald, herzlichen Dank für Ihr aufmerksames „Lektorat“! Man sagt zwar „shit happens“, doch ist der Fehler dem Autor trotzdem grottenpeinlich. Mit besten Grüßen, Ihr Sarcasticus
Zu: Sanktionen: Vor den „letzten“ erst noch die dümmsten Tage der Menschheit? von Jürgen Oskar Brauerhoch
„Schließlich hat ihn (Putin – St. W.) der sogenannte freie Westen unter Führung der in ihrer Geschichte ach so friedlichen USA mit der Ausweitung der NATO so in die Enge getrieben, dass er etwas machen musste!“ „Etwas machen“ – die Ukraine-Aggression vom Zaune brechen? Sonst ist es ja regelmäßig der „Westen“, der die Ukraine zum Schlachtfeld seiner Interessen erkoren habe; hier ist es bemerkenswerterweise mal andersherum! Ich meine auch wie andere, dass Russland von Seiten der NATO kein Angriff gedroht habe; einfach deshalb, weil so ein Überfall ohne die massive Beteiligung des Partners USA gar nicht möglich wäre – und bekanntlich ist der strategische Gegner der USA China, nicht Russland. Der Ukrainekrieg „passt“ da eigentlich gar nicht hinein. Da ihn die Russen jedoch angezettelt haben, sehen die USA – wenn schon – nun (auch) eine Möglichkeit sozusagen en passant auch Russland durch Sanktionen und Verschleiß seiner konventionellen Armee nachhaltig zu schwächen.
Wenn man in Russlands Aggression lediglich eine „ungeschickte, ja dumme Invasion in die Ukraine“ sieht, ist damit – denke ich – eine Denkrichtung vorgegeben, die der Sache in keiner Weise gerecht wird. Putin und seine Paladine – im Blättchen schon verschiedentlich zitiert – sagen sehr offen, dass dieser Krieg zugleich ein Krieg gegen den Westen sei, gegen Гейропа (Gayrope, zusammengesetzt aus „Gay“ and „Europe“) – also gegen dessen politische Ordnung und liberale Seinsweise; wie sie sagen – für eine „russkij mir“. Diese Welt steht für die Zurückweisung der Moderne, für Antisemitismus, Fixierung auf Feindbilder, Verachtung der Schwachen, Männlichkeitswahn, Homophobie, Wegfall individueller Freiheitsrechte zugunsten des „Volkes“ und eine verlogene, manipulierende Sprache. Und kommt damit dem Faschismus in seiner Urform bedenklich nahe. Über allem schwebt dominant ein Kult der Tradition: „Wer die Geschichte kontrolliert“, führte Putins loyaler Gefährte Wladimir Medinski 2018 aus, „der kann die Zukunft kontrollieren“. Und wenn „Macht die Fähigkeit (ist), die Geschichte einer anderen Person nicht nur zu erzählen, sondern sie zur maßgeblichen Geschichte dieser Person zu machen“, wie die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie sagt und wenn man „Person“ durch „Land“ respektive „Welt“ ersetzt, dann erst hat man Putin verstanden. Und diesen Krieg.
„Alle vernunftbegabten Menschen, speziell in Deutschland, wissen aus der Geschichte, dass Frieden in Europa nicht gegen, sondern nur mit Russland möglich ist und es Deutschland gut ging, wenn es in gegenseitiger Akzeptanz mit Russland leben konnte. Von den ´wirklich weisen Männer´ konnte man das signifikant in den Kommentaren zur Ukraine hören und lesen – aber das war die Generation, die den wahnsinnigen Krieg von 1939 bis 1945 noch selbst erlebt hat“. Ist nicht angesichts des Obigen die Zeit der „wirklich weisen Männer“ vielleicht (erst einmal zumindest) vorbei? Oder anders – muss nicht stets der historische Kontext gesehen werden? Ich gebe ein Beispiel: Im Polnischen heißt es: „Polak, Węgier, dwa bratanki, i do szabli, i do szklanki (der Pole, der Ungar, zwei Brüder, bei Führen des Säbels und beim Trinken); über Jahrhunderte verband eine enge Freundschaft und, ja Seelenverwandtschaft beide Völker. „Wenn Viktor Orbán nicht sieht, was in Butscha geschah, dann muss man ihn zum Augenarzt schicken“. Dass Jaroslaw Kaczynski Orbán einmal so scharf angehen würde, war vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges undenkbar. Der Vorsitzende der polnischen Regierungspartei PiS gilt als langjähriger Freund und enger Verbündeter Orbáns. Wurden in der Vergangenheit Ungarn oder Polen von der EU-Kommission gerügt, konnten die beiden rechtspopulistischen Regierungen aufeinander zählen. Auch hier spaltet die Haltung zu Russland beide Länder.
Der mit den PEANUTS war zwar Deutsche Bank, hieß aber Hilmar Kopper …
Schlaeft die Ukrainefuehrung?Ukraine mochte schon immer gerne Natomitglied werden.Nato hat geweigert,Ukraine war nicht reif.Daraufhin hat der Ukrainekrieg angefangen.Auch hat die Nato geweigert ueber Ukraine-Neutralitaetsstatus mit Russland zu verhandeln,man hat Ukraine zum Krieg verdonnert,ohne Ukraine zu verteidigen.Lieferungen von alten Waffen hat nur den Schaden+Leichenzahlen vergroessert.Aus diesem Grund sollte Ukraine vor Gericht Schadenersatz einklagen von EU,USA,NATO.Die Paar Milliarden Euro die man bis jetzt versprochen hat sind nur Trinkgelder verglichen mit dem realen Schaden.Bis zum jetzigen Stand Mai/Juni/22 betraegt der Schaden minimal 3000/5000 Milliarden Euro.Wenn im Ukrainwesten EUlaender ihre historischen Forderungen aus der Oesterreich/Ungarn-Periode geltend machen,und Territorien besetzen,kan der Schaden bis zu 10.000 Milliarden betragen.Dann bleibt v/d Ukraine nur 50% uebrig,mit 25 nur mio Einwohnern.Die EU ist dann definitiv pleite
Als ich diesen Beitrag las, fragte ich mich, ob ich darauf reagieren sollte. Mir ging dann durch Kopf: Friedrich Schorlemmer zitierte Christa Wolf einmal so: „Manchmal möchte man einfach die Klappe halten vor all der nachwachsenden Dummheit − aber das geht halt eben doch nicht“. Das habe sie ihm 2007 geschrieben.
Nun will ich diesen Forum-Beitrag nicht der „Dummheit“ zeihen; das kommt mir nicht zu. Es geht mir darum, ob ich – wie gesagt – überhaupt reagieren sollte oder nicht. Und mit Wolf will ich sagen, dass es „halt eben doch nicht geht“ zu schweigen.
Also: „Auch hat die Nato geweigert ueber Ukraine-Neutralitaetsstatus mit Russland zu verhandeln,man hat Ukraine zum Krieg verdonnert,ohne Ukraine zu verteidigen“. Wieso sollte die Nato über den Neutralitätsstatus eines Nato-Nichtmitglieds und eines souveränen Landes mit Russland verhandeln? Und die Nato hat die Ukraine „zum Krieg verdonnert“? Und die hat sich verdonnern lassen….!?
Und: „Bis zum jetzigen Stand Mai/Juni/22 betraegt der Schaden minimal 3000/5000 Milliarden Euro.Wenn im Ukrainwesten EUlaender ihre historischen Forderungen aus der Oesterreich/Ungarn-Periode geltend machen,und Territorien besetzen,kan der Schaden bis zu 10.000 Milliarden betragen.Dann bleibt v/d Ukraine nur 50% uebrig,mit 25 nur mio Einwohnern.Die EU ist dann definitiv pleite“. Das sollte man unkommentiert stehen lassen; alles hat Grenzen; auch „eben doch nicht“.
Rolf-Ernst Breuer, Vorstandssprecher der Deutschen Bank von 1997 bis 2002, sagte einst zu einer Gelegenheit, an die sich sicher die meisten Blättchenleser erinnern: „So what?“ Und: „Das sind Peanuts.“
Den hilfreichen Beiträgen zum Ukraine-Konflikt, vor allem den „Einwürfen“ von Heinz Jakubowski und dem Beitrag von Detlef Jena, möchte ich ein historisches Zitat beifüfen:
„Wir müssen eventuell dem Russen so viel Blut abzapfen, dass derselbe sich nicht erleichtert fühlt, sondern 25 Jahre außerstande ist, auf den Beinen zu stehen. Wir müssten die wirtschaftlichen Hilfsquellen Russlands für lange Zeit hinaus durch Verwüstung seiner Schwarzerd-Gouvernements, Bombardierung seiner Küstenstädte, möglichste Zerstörung seiner Industrie und seines Handels zuschütten. Wir müssten endlich Russland von jenen beiden Meeren, der Ostsee und dem Pontus Euxinus (dem Schwarzen Meer) abdrängen, auf denen seine Weltstellung beruht.
Ich kann mir Russland wirklich und dauernd geschwächt doch nur vorstellen nach Abtrennung derjenigen Gebietsteile, welche westlich der Linie Onega–Bai–Waldaihöhe–Dnjepr liegen. Ein solcher Friede möchte, sofern es hier nicht im Fall eines Krieges zu völligem inneren Zusammenbruch käme – der in diesem Umfange kaum vorauszusetzen ist – nur zu erzwingen sein, wenn wir an der Wolga stünden. “
Wer den Autor erkennt (er wird in einem der Beitäge genannt), erhält von der Redaktion der Zeitschrift jot w.d. (nachtmann@t-online.de) einen Buchpreis.
Krieg ist furchtbar, das steht allgemein außer Frage und im Konkreten ebenso die Feststellung, dass es sich bei diesem Krieg um einen absolut rechtswidrigen, brutalen und verbrecherischen Akt Putins und seiner Clique handelt. Man kann dies nicht klar und deutlich genug sagen und muss das nicht auch im einzelnen begründen. Die Bilder und Berichte aus Butscha, Mariupol … sprechen für sich.
Dies vorausschickend, Folgendes:
Trotzdem ist es nicht gestattet, wenn man nach Perspektiven für die Beendigung dieses Grauens sucht, in emotionaler Betroffenheit den sachlichen Verstand hintanzustellen und ausschließlich nach Lieferung möglichst effektiver Waffensysteme für die Ukraine zu rufen, damit diese sich verteidigen kann. Diese Waffen werden keinen Frieden schaffen, weil dieser Krieg nicht gewonnen werden wird, von niemandem! Es wird in einem hoffentlich baldigen Danach in beiden Ländern nur Verlierer geben, nämlich Menschen, die die schlimmsten Verluste hinnehmen mussten. Dieses gilt völlig losgelöst von der Schuldfrage.
Sollte es Gewinner geben, was von Verlauf und Grad der Eskalation abhängt, werden diese weder in der ukrainischen noch der russischen, noch in der mehrheitlichen Bevölkerung irgendeines Landes zu finden sein. Auch in den Machtzentren Moskaus oder Kiews wird man Gewinner wohl nicht finden. Machtzuwachs erhoffen sich vielleicht nach einer nachhaltigen Schwächung Russlands die Verantwortlichen in Washington, bei der NATO und in Peking. Kriegsgewinnler wird es, wie gesagt abhängig vom Eskalationsgrad, vermutlich auch auf einigen Vorstandsetagen, insbesondere der Rüstungs- und Energiewirtschaft, geben. Hier darf man dann wohl fragen, wer denn wohl ein substantielles Bedürfnis nach einem möglichst schnellen Kriegsende hat. Und wer (vielleicht, eher) nicht.
Insofern sind die schrillen Töne, die derzeit fast jedem in den Ohren (und nicht nur da) schmerzen, der laut über Alternativen zur Beendigung des Krieges nachdenkt, die über die Lieferung schwerer Waffen hinausweisen, möglicherweise emotional nachvollziehbar, aber sachlich nicht gerechtfertigt und schon gar nicht zielführend. Einem Ende des Blutvergießens müssen unabdingbar Gespräche vorausgehen. Wie diese Gespräche in Gang kommen können, darüber muss nachgedacht werden.
Einen hervorragenden Beitrag über die in Deutschland geführte Debatte, aber auch zu Perspektiven liefert Jürgen Habermas in seinem Essay „Krieg und Empörung“
veröffentlicht am 28. April auf
https://www.sueddeutsche.de/projekte/artikel/kultur/das-dilemma-des-westens-juergen-habermas-zum-krieg-in-der-ukraine-e068321/
Zur Versachlichung der Diskussion unter Einbeziehung der Fragen nach den vergangenen und zukünftigen Intentionen und Positionen von USA/NATO einerseits und EU andererseits empfehle ich die Lektüre des Essays „Vincere“ von Sandro Mezzadra, Politologe und Professor für politische Wissenschaft an der Universität Bologna, veröffentlicht am 2. Mai auf
http://www.euronomade.info/?p=14988
in deutscher Übersetzung zu finden unter dem Titel „Kurzsichtige Empörung“ veröffentlicht am 3. Mai auf
https://www.medico.de/blog/kurzsichtige-empoerung-18603
Zur Entstehungsgeschichte des Krieges und der Rolle des westlichen Auslandes dabei auch interessant ist die von Krysztof Daletski angeführte Stellungnahme des “Ukraine Crisis Media Center” vom 23.5.2019, also nach der Wahl Selinskys zur Umsetzung des Minsker Abkommens, wo deutlich wird, dass diese von interessierter, nicht nur russischer, Seite behindert, wenn nicht hintertrieben, wurde.
Zu Sascha Lobo im Spiegel
Zitat:
„Auf der anderen Seite steht ein substantieller Teil der Friedensbewegung, die ich den deutschen Lumpen-Pazifismus nennen möchte. Es handelt sich dabei um eine zutiefst egozentrische Ideologie, die den eigenen Befindlichkeitsstolz über das Leid anderer Menschen stellt.“
Herr Ellobeo, was respektive wen meinen Sie, wenn Sie von egozentrischer Ideologie schreiben? Ich denke, Sie meinen die deutsche, vielleicht auch die weltweite Rüstungsindustrie, in deren Vorstandsetagen anläßlich dieser für Millionen Menschen fürchterlichen Katastrophe des putinschen Angriffskrieges seit der vom Kanzler angekündigten „Zeitenwende“ die Champagnerkorken knallen.
Sie reden von der „Ungerührtheit im Angesicht tot gebombter Kinder“ und Sie haben Recht. Nicht nur der Wirtschaftsminister, sondern unisono alle politisch Verantwortlichen lavieren ungerührt um die entscheidenden Fragen in unerträglicher Art und Weise herum.
Wo bleibt das kompromisslose Energieembargo? Ach nein, geht ja nicht, unsere Wirtschaft würde ja leiden! Also finanzieren wir weiter Putins Krieg, bei dem, sie sagen es, die Kinder tot gebombt werden.
Wo bleibt das Tempolimit auf deutschen Straßen? Ach nein, „Freie Fahrt für freie Bürger!“ Da bekommt die Aussage, dass durch zu schnelles Fahren Menschen sterben, eine völlig neue Bedeutung.
Wo bleibt die konsequente Blockade sämtlicher russischer Vermögen und Banken? Achso, die brauchen wir ja noch zur Abwicklung unserer Energieimporte und sowieso.
Das ersehnte Ende dieses Krieges, Herr Ellobeo, wird nicht mit schweren Waffen zu erreichen sein, sondern nur mit hoffentlich irgendwann möglichen Gesprächen. Solange wir Putins Krieg finanzieren, wird es eine Bereitschaft zu Gesprächen bei ihm und seinesgleichen nicht geben.
Sie fragen: „Wann um alles in der Welt soll man gesinnungsethisch sein, wenn nicht jetzt?“ Richtig! Seien wir jetzt ethisch! Stellen wir uns auf die Seite der angegriffenen Menschen! Drehen wir dem Aggressor den Geldhahn zu!
Und! Nach dem hoffentlich baldigen Kriegsende: Helfen wir der Ukraine beim Wiederaufbau nach dem Krieg, ganz altruistisch ohne eigene wirtschaftliche Vorteile. Kostet viel Geld? Haben wir doch:
5000,-€ Zuslassungssteuer für Neuwagen pro l Kraftstoffverbrauch über 10 l auf 100 km, also 25000,-€ bei 15 l auf 100 km, spült Geld in die Ukraine und schont das Klima. Gibt es ähnlich in vielen Ländern Europas.
Kraftstoffkontingent wird auf 30 l pro Person und Woche limitiert, wer mehr benötigt, zahlt 2,-€/l zusätzlich Kraftstoffsteuer, spült Geld in die Ukraine und schont das Klima. Gibt es ähnlich in keinem Land Europas, wird aber Zeit. Warum soll Deutschland nicht auch mal Vorreiter sein?
Gewinnabschöpfung bei Krauss-Maffei Wegmann, Rheinmetall usw., spült Geld in die Ukraine und schont das Karma. Gibt es auch nirgendwo, aber Herr Ellobeo, finden Sie nicht auch, dass Kriegsgewinnler verabscheuungswürdige Existenzen und deren Gewinne zu konfiszieren sind?
Vielleicht gibt es doch noch Alternativen zum Reflex zurückzuschlagen mit unbegrenztem Eskalationsrisiko.
Herr Ellobeo, lassen Sie doch bitte Ihre vollen Dreckkübel stehen oder schütten Sie sie über diejenigen aus, die aus Eigennutz dafür sorgen, dass echte Bemühungen den Krieg zu beenden unterbleiben!
bei den Kriegsgewinnlern habe ich natürlich noch die Ölkonzerne vergessen, denen durch die angekündigte Steuersenkung das Absahnen noch zusätzlich erleichert wird.
Zu Crome und Schwarz
Zu Erhard Cromes neutestamentarisch gegründeten Kaptitulationsintentionen haben Wolfgang Brauer, Wolfgang Klein und Jörn Schütrumpf das Ihre gesagt. Kleins Erwähnung interessanter Neudeutungen von Geschichte ließen sich natürlich noch gern verlängern.
Aber ach, was Erhard Crome äußert ist ja eigentlich nicht anderes als Meinung, und die sei auch dann unbenommen, wenn Wolfgang Klein die wohl berechtigte Frage stellt, ob sie zum redaktionellen Statement des Blättchens zum Krieg Putins gegen die Ukraine passt.
Etwas anders liegen die Dinge m.E. bei Wolfgang Schwarz. Auch er hat ja das Editorial „Kriegslieder“ in der Nummer 5 unterzeichnet, was ihn aber nicht daran hindert, einen solchen Satz in seinem aktuellen Text unterzubringen:
„Leider haben die USA, Deutschland und andere NATO-Staaten sich bisher jedoch lediglich dafür entschieden, den Konflikt durch Waffenlieferungen an Kiew zu verlängern, anstatt mit vergleichbarer Intensität auf eine diplomatische Lösung zu drängen. Derzeit ist daher eine weitere Eskalation jederzeit möglich …“
Als hätte es das Normandie-Format, Minsk 1 und 2 (auf Initiative und mit Federführung des Westens) oder die mehrfachen Telefonate und gar die von Putin demütigend in Szene gesetzten Kreml-Besuche etwa von Scholz und Macron und jüngst von Guterres nie gegeben…
Wie man es nennt, wenn wider besseren Wissens Unwahrheiten gestreut werden, dürfte der Autor wissen.
Wahrscheinlich wird Heinz Jakubowski wissen, wie man es nennt, wenn in eine Aussage erst zielgerichtet etwas hineininterpretiert wird, für das man den Verfasser hinterher gründlich diskreditieren will …
In meinem inkriminierten Satz war ja nicht die Rede davon, dass k e i n e diplomatischen Bemühungen zur Lösung des Ukraine-Konflikts unternommen worden wären, sondern vielmehr davon, dass der Westen bisher nicht „mit v e r g l e i c h b a r e r I n t e n s i t ä t“ auf eine diplomatische Lösung drängt, wie er Waffen an Kiew liefert.
Jakubowskis Verweis auf die Minsker Vereinbarungen fehlt in diesem Zusammenhang im Übrigen der Hinweis (wider besseren Wissens?), dass die westlichen Teilnehmerstaaten die Umsetzung dieser Vereinbarungen zwar wiederholt gegenüber Moskau, aber zu keinem Zeitpunkt gegenüber Kiew ernsthaft angemahnt haben. Und Macron sowie Scholz waren zwar kurz vor der militärischen Aggression bei Putin, aber sie hatten – soweit bekannt – nichts Substantielles im Gepäck, das auf ein Ernstnehmen artikulierter russischer Sicherheitsinteressen hätte schließen lassen. Unter anderem genau diese Defizite hatte ich bei meinem Intensitäts-Vergleich im Hinterkopf.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.
(Goethe, Faust)
Es macht ein beruhigendes Gefühl, sich diesem Geist anzuschmiegen.
Leider kann man auf Kommentarantworten nicht wiederum antworten, deshalb der Hinweis: Diese Antwort bezieht sich auf die Antwort von Wolfgang Scharz.
Dass westliche Staaten die Umsetzung des Minsker Abkommens „zu keinem Zeitpunkt gegenüber Kiew ernsthaft angemahnt haben“, ist eine sehr wohlwollende Formulierung dafür, dass das „Ukraine Crisis Media Center“ Selinsky unmittelbar nach dessen Wahl am 23.05.2019 eindringlich davor gewarnt hat, das Minsker Abkommen umzusetzen. Für den Fall, dass er die entsprechenden in einem Forderungskatalog definierten „red lines“ überschreite, wurde ihm „inevitably“ mit „politcal instability“ gedroht:
https://uacrisis.org/en/71966-joint-appeal-of-civil-society-representatives
Laut Wikipedia wird das „Ukraine Crisis Media Center“ u.a. finanziert von der US-Botschaft in Kiew, dem NED (US Haushalt) und dem EED (EU Haushalt):
https://en.wikipedia.org/wiki/Ukraine_Crisis_Media_Center#Funding
Vermutlich kannten Sie dieses bemerkenswerte Dokument schon, aber falls nicht, lohnt es sich, es im Vergleich zum UN-Sicherheitsratsbeschlusses vom 17.2.2015 durchzulesen. Diesbezüglich hatte Selinsky ungeachtet aller Absichtsbekundungen vor seiner Wahl kaum Handlungsspielraum.
Die Haltung zum Krieg, die „richtige“ Reaktion und ein möglicher Ausweg hängen doch sicherlich auch von den Gründen ab, die die russische Führung und Putin selbst zu der Entscheidung gebracht haben mögen, den Angriffskrieg zu beginnen.
Ich sehe mindestens drei Varianten. Die erste ist die eines Konfliktes zwischen imperialistischen Staaten (Russland) oder Gruppierungen (NATO, EU) um die Grenze von Einflusssphären, mit der Ukraine als Partei und Stellvertreter für „den Westen“. Ein solches Modell würde die russische Angst vor der Ostausdehnung der NATO erklären und der Weg zur Beendigung des Krieges wäre dann eigentlich klar. Es muss de facto eine Demarkationslinie festgelegt werden, mit einem westlichen Block auf der einen und einem chinesisch-russisch-vielleicht iranischen auf der anderen Seite und einer Reihe von weiteren, auch großen Ländern irgendwie dazwischen, mit einer mehr oder minder “harten” Grenze, eingeschränktem Handel und nur begrenztem Austausch in Kultur und Wissenschaft, aber hoffentlich einer gewissen Zusammenarbeit bei den globalen Problemen wie dem Kampf gegen den Klimawandel. Ein solcher neuer “kalter Krieg” wäre nicht wünschenswert, aber wenigstens leb- und vermutlich beherrschbar. Die Menschheit hat damit Erfahrung. Und Abrüstung müsste das Ziel aller vernünftigen Leute auf beiden Seiten sein. Für die Menschen in der Ukraine wäre es natürlich problematisch, wenn diese Demarkationslinie durch ihr Land ginge, aber sicher besser als die Greuel des Krieges.
Die zweite Interpretation ist die medial in Deutschland vorherrschende und derzeit insbesondere von den Grünen vorgetragene Erzählung, an die anscheinend auch die ukrainische Führung glaubt oder an die sie uns zumindest glauben machen will, wonach dieser Krieg der Schicksalskampf zwischen Gut und Böse wäre. Wir sind ja mittlerweile alle, die Jüngeren mehr als die Älteren, von Pop-kulturellen Bildern geprägt, und da fällt einem sofort der “Herr der Ringe” ein. Dort müssen sich die “alten und edlen Völker des Nordens und des Westens” gegen die anstürmenden Massen aus dem Osten und dem Süden wehren. Und die “Gemeinschaft des Ringes” sind “die Vertreter der freien Völker”, also die Demokraten. Denn im globalen Ringen stehen sich in dieser Lesart Demokratie und Autokratie gegenüber, während soziale Fragen keine Rolle mehr spielen dürfen. Werden sie doch noch erwähnt, fallen sie unter das Verdikt des Populismus. In dieser Interpretation greifen Russland und Putin persönlich die westlichen Demokratien an, die Ukraine zuerst, weil sie die “freie Gesellschaft” nicht leiden können. Ich persönlich halte das für Unsinn, aber vielleicht stimmt es doch. (Ich habe mir ja auch den russischen Überfall auf die Ukraine nicht vorstellen können.) Wenn es so wäre, würde die Bedrohung real sein und man müsste tatsächlich aufrüsten, was aber extreme Risiken birgt.
Die dritte mögliche Erklärung ist reiner Nationalismus, basierend auf Konflikten, die entweder uralt sind und von den Kommunisten jahrzehntelang unterm Deckel gehalten wurden (Was wäre eigentlich mit dem russischen Imperium passiert, wenn die Oktoberrevolution nicht stattgefunden oder nicht gesiegt hätte? Hätte es einen russisch-ukrainischen Krieg schon vor 100 Jahren gegeben?) oder aber aus Entwicklungen in den letzten dreißig Jahren resultieren. Sollte es so sein, müsste jegliche Einwirkung von außen darauf abzielen, beide Seiten an den Verhandlungstisch zu bringen und stabile Grenzen auszuhandeln, die der ethnischen Verteilung und dem Mehrheitswunsch in einer Region entsprechen, aber es gäbe keinen Grund für weltweite Spannungen und Feindschaft. Es gibt keinen „guten Nationalismus“, aber schon nationale Interessen, zuvörderst Frieden.
Gut, Herr Niemann, das sind drei interessante Varianten. Aber zuerst zu Ihrem einleitenden Satz:
Meine Haltung zu jedwedem Krieg hängt einzig von meiner tiefen Überzeugung ab, dass Gewalt und im Besonderen kriegerische Gewalt kein Mittel sein darf, um widerstrebende Interessen auszutragen.
Zu den von Ihnen skizzierten Varianten:
1. Dass sich zwei imperialistische Lager gegenüberstehen scheint offensichtlich. Auch wenn der Begriff „Der Imperialismus“, wie er in den Geschichtsbüchern als „Expansionsbestrebung“ eines Staates beschrieben wird, auf einzelne „westliche Staaten“ nicht mehr zutreffen mag – anders mag das in Russland sein –, ist eine solche im Rahmen der NATO, aber auch der EU in den letzten 30 Jahren klar erkennbar. Man hätte die Statik eines „europäischen Hauses“ nach 1991, also dem Zerfall des Warschauer Paktes und der Sowjetunion auch anders konstruieren können, wenn es nicht um die Absteckung der Claims für die Wirtschaft des siegreichen westlichen Kapitalismus gegangen wäre.
So wie der Westen nach 1991 agierte, so verhalten sich Sieger! Insoweit entspricht der Imperialismus, sozusagen als Erscheinungsform des Kapitalismus, diesem in seiner Unersättlichkeit. Die Interessen der Unterlegenen wurden missachtet. Diese Haltung entsprach den Intentionen der westlichen Kapitaleigner. Auch die Interessen der Bevölkerung im Westen spielten dabei keine große Rolle.
Allerdings gab es auch, nach dem Umbruch, auf der anderen Seite, welche Überraschung, auf einmal Kapitalisten mit ebensolchen aus deren Kapitalinteressen resultierenden imperialistischen Bestrebungen. Dass es nicht zu einem friedlichen Miteinander kam, ist diesen Interessengegensätzen geschuldet.
Putin ist in diesem Szenario der Vormann des russischen Kapitalismus, der, weil weder gesetzlich noch durch soziale Reformen, noch durch gesellschaftlichen Konsens eingehegt, sich ungeahnt rücksichtslos – auch gegenüber der eigenen Bevölkerung – gebärden kann und auch vor einem Krieg nicht zurückschrecken muss.
2. Das Narrativ von Gut gegen Böse. Wird gerade, sie sagen es, Herr Niemann, ausgerechnet und mit Hingabe von den Grünen bemüht. Von denen also, die mal – zumindest mehrheitlich – angetreten sind, diese Gesellschaft zu einer gerechteren, auch zu einer klimagerechteren, zu reformieren. Jetzt sind wir plötzlich die „Guten“. Wie schön! Von verbesserungsbedürftigen gesellschaftlichen Zuständen kein Wort mehr. Kampf gegen den Klimawandel? Ist gerade nicht die Zeit dafür. Wir müssen die gute Welt gegen die böse verteidigen. Dass in unserer westlichen „guten Welt“ einiges noch im Argen liegt? Später, wenn überhaupt.
Da entstehen Allianzen, dass man nur noch, wie man hier im Ruhrpott sagt „mit den Ohren schlackert“. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter, das Traumpaar der deutschen Rüstungsindustrie, demnächst auf dem Cover des Panzerprospekts von Rheinmetall zu bewundern.
3. Nationalismus, alte oder neue Konflikte, diese Interpretation korrespondiert unübersehbar mit der ersten und ist ebenso überzeugend. Wie der Imperialismus ist ohne Frage auch der Nationalismus als Bastard des Kapitalismus zu begreifen. Dass beide dann konsequenterweise in Faschismus münden, konnten gerade auch wir friedensliebenden Deutschen der Welt beweisen.
Wenn im Imperialismus bzw. im Nationalismus die Gründe des Konfliktes liegen – und das scheint so zu sein – dann gilt für beides, Herr Niemann, Ihre Forderung, dass jegliche Einflussnahme nur ein Ziel haben kann: Die Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen. Ich stimme Ihnen zu: „Es gibt keinen guten ´Nationalismus´“, es gibt auch keinen guten Imperialismus, es gibt Interessen, nicht unbedingt nationale, sondern einfach menschliche: „zuvörderst Frieden“!
Unter einer kultursoziologischen Perspektive ist es sehr spannend, wer sich jetzt alles der Strömung der Vaterlandsverteidiger und Befürworter von Kriegskrediten zugestellt. 1914 lässt grüßen.
Das sind aber doch keine „Kriegskredite“, Herr Crome, das ist das „Sondervermögen Bundeswehr“! Klingt doch viel friedlicher, oder? Muss ja auch friedlicher klingen, weil mit einem Schlieffenplan können wir ja heute erst recht nicht mehr kalkulieren (ist ja schon 1914 schiefgegangenund) und ein Stellungskrieg mit atomar bestückten Interkontinentalraketen ist ja irgendwie auch absurd oder? Da machen wir doch besser ein Sondervermögen Bundeswehr auf. Vielleichr merkt´s ja keiner?!
Immerhin können wir mit den 100 Millliarden ein paar schicke Düsenbomber finanzieren und so unsere „nukleare Teilhabe“ sicherstellen. Man kann sich ja nicht überall ausschließen, oder? „Nukleare Teilhabe“, wie das wohl in Hiroshima und Nagasaki klingt!?
Zum Beitrag von Joshua Shanes, Lasst uns leichtfertige „Antisemitismus“-Anschuldigungen beenden. Das Blättchen, Nr. 9 /2022:
Leider ist Vieles richtig an diesem Beitrag. Es sprechen Gründe für die Benennung Israels als „Apartheid“-Staat, es spechen aber auch gewichtige Gründe dagegen, nicht zuletzt die Tatsache, dass der Apartheid eine rassistische Ideologie zugrunde lag, die die Menschen in „rassisch“ höher- und niedrigerwertige unterteilte. Davon kann weder in Israel noch in den besetzten Gebieten die Rede sein (abgesehen von extrem fanatischen Siedlern, unter denen leider auch ein Nachkomme Leo Trotzkis zu finden ist).
Problematisch ist für mich aber, dass die Anklage der Apartheid gegen Israel auch von Menschen und Institutionen erhoben wird, die die rassistische und ethnische Unterdrückung in anderen Ländern nicht mit dieser Bezeichnung versehen. Streng genommen: Wären nicht auch die Türkei, Myanmar (Burma) und sogar China dann Apartheid-Staaten? Ist die Unterdrückung der Kurden, Rohingya oder Uiguren nicht noch rigoroser, zum Teil weit rigoroser als die der Palästinenser? Vor Doppelstandards ist in jedem Fall zu warnen, denn auch wenn sie nicht direkt antisemitisch sind: Sie können auf gefahrvolle Weise ein Einfallstor für Antisemitismus öffnen.
Lieber Erhard Crome, in Deinem Beitrag »Zeitgemäßer Defätismus« forderst Du eine umgehende Kapitulation der Ukraine – um Menschenleben zu retten. Ist es möglich, dass Dir entgangen ist, was in Russland heute geschieht? Russland ist nicht die Sowjetunion. Und auch die war nicht so menschenfreundlich, wie von Dir mitgeteilt: die Toten am 17. und 18. Juni 1953 in der DDR, das Massaker im Herbst 1956 in Ungarn (Dir als Ungarn-Spezialist wahrscheinlich nicht ganz unvertraut), vom Afghanistan-Krieg mit seinen Leichenbergen gar nicht erst zu reden. Hast Du mal mit sowjetischen Afghanistan-»Veteranen« einen Abend lang geredet (und getrunken)? Gespenster ihrer selbst sind es, verfolgt von Bildern, die sie einst produziert haben…
Dass das heutige Russland alle Anforderungen erfüllt, um sich stolz in die Riege der faschistischen Staaten einreihen zu dürfen, scheint so manchem »Blättchen«-Beiträgern nicht, zumindest nicht stets, gegenwärtig zu sein. Es herrscht in Russland heute eine Scheindemokratie wie in den ersten Jahren der Herrschaft Mussolinis oder in den letzten Jahren Pilsudskis. Die Wirtschaft wird von einem Monopolkapitalismus – verniedlichend spricht man von »Oligarchen« – dominiert, gegen den der Monopolkapitalismus im Westen geradezu ein »fairer« Kapitalismus der freien Konkurrenz ist. Die Opposition, soweit nicht gemordet oder weggesperrt, sitzt – mental – in den Kellerlöchern; alle, die die Aufklärung als Kompass verinnerlicht haben, sind in der Emigration oder mindestens in Gedanken auf dem Weg dorthin; die Medien werden – zurückhaltend formuliert – staatlich gelenkt und verkaufen 24 Stunden am Tag, in jeglicher Verpackung, russischen Chauvinismus als Zivilisation.
Es herrscht nicht einmal ein Doppelstaat wie im Faschismus des 20. Jahrhundert; hier lebt die Rechtsstaatsabsenz der Sowjetunion ungebrochen weiter. (Daneben gibt es natürlich auch nichtfaschistische Züge: Wie im spanisch-portugiesischen Kolonialabsolutismus wird das von den ehemaligen Komsomol- und KGB-Funktionären Zusammengeraubte nicht akkumuliert, also zum Nutzen der russischen Wirtschaft in Produktion und Infrastruktur investiert, sondern als Revenue [hätte Karl Marx gesagt] auf Jachten, Partys und ähnlich lebenswichtigen Strukturen »vernutzt«, sprich: unwiederbringlich verschleudert.)
Lieber Erhard, auch wenn ich versuche, es so zurückhaltend wie möglich zu formulieren – billiger geht es nun wirklich nicht: Du forderst München. Am Ende – bitte, bedenke Deine Worte – lagen erhebliche Teile Europas in Schutt und Asche.
Putin wird erst in Brest Halt machen, aber nicht in Brest-Litowsk (da ist er schon), sondern in dem Brest, hinter dem der Atlantik beginnt.
Meinst Du nicht: Ein Gerhard Schröder ist genug?
Jörn Schütrumpf
Zu Jörn Schütrumpf
„Putin wird erst in Brest Halt machen, aber nicht in Brest-Litowsk (da ist er schon), sondern in dem Brest, hinter dem der Atlantik beginnt.“
Schon in der Ukraine kommt die „Rote Armee“ nicht wirklich voran. Gefahr droht trotzdem bis zum Atlantik?
Welche Panik soll damit eigentlich erzeugt werden – und zu welchem Zweck?
Andererseits: Der Aggressor ist nukleare Supermacht. Und da sollte man ihm in der berechtigten Zurückweisung seiner Aggression vielleicht doch besser nicht das Gefühl geben, er müsse schlussendlich zum (mindestens für Europa) letzten Mittel greifen …
Ich miste aus. Man hebt so vieles auf, von dem man meint, es später nochmals be- oder verarbeiten zu können…
Dabei fiel mir das Buch „Krieg und Kultur“ eines Gustaf F. Steffen von 1915 in die Hände. Der Autor, schwedischer Nationalökonom und Soziologe (1864 – 1929) als auch Werk sind im Netz zu finden. Das wäre nicht von Interesse, wenn nicht auf S. 138 das 9. Kapitel übertitelt wäre: Ein Schreiben eines Ukrainers gegen Kropotkin.
Steffen beruft sich auf einen Herrn Revjuk, einen Ukrainer. Dieser sei „ein Vertreter der alten, weitverbreiten politischen Bewegung, deren Ziel es ist, das ukrainische Volk von der großrussischen Bedrückung zu befreien, welche sofort mit dem Zustandekommen der Personalunion zwischen der Ukraine und dem Moskowitenreiche begann – eine Bedrückung, die beständig zugenommen und sich nicht nur gegen die wirtschaftliche und politische Freiheit des ukrainischen Volkes gerichtet hat, sondern auch ganz speziell gegen seine Sprache, seine Literatur, seine Schulen und seine Kirche – kurz gesagt, gegen seine n a t i o n a l e Kultur […] der russische L i b e r a l i s m u s (sei) nach 1905 immer imperialistischer und in Verbindung damit immer mehr ein Ausdruck g r o ß r u s s i s c h e r H e r r s u c h t gegen die Ukrainer, die Polen und alle übrigen Völker … geworden. Besonders scharf sei die großrussische Rivalität gegen die Ukrainer – weil sie sie zugleich das zahlreichste, in kultureller Hinsicht selbstständigste und den Großrussen am nächsten verwandte Volk … seien. Das neuliberale großrussische Staats- und Kulturideal scheine nicht mit der Freiheit der Ukraine rechnen zu wollen“.
An anderer Stelle zitiert Steffen einen Brief eines Prof. Winogradoff, seinerzeit in Oxford lehrend, und kommt zu dem Schluss, dass W. „die glänzendsten Namen der russischen Literatur, Kunst und Wissenschaft (aufzählt) – vergißt aber Ukrainer wie Gogol, Dragomanott, Schewtschenko und Kostomarow […] Professor Winograddoffs ´Kultur´ ist also eine ausschließlich g r o ß r u s s i s c h e Kultur“!
Offensichtlich musste die Ukraine schon immer oder schon lange um ihre kulturelle Eigenartigkeit und -ständigkeit kämpfen. Wenn Putin der Ukraine eine eigene Kultur und letztlich Staatlichkeit abspricht, kann er sich offenbar auf eine gewachsene „großrussische Tradition“ stützen. Putin ist also keineswegs ein Zyniker, der sich die Geschichte so zurechtlegt, wie er sie für seine Zwecke gebrauchen kann; die Geschichte war so. Indem er die Welt aus der Perspektive imperialer Macht sieht, versteht er nicht, dass die Ukraine dreißig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ein Nationalstaat ist, der sich in das alte Imperium nicht mehr einfügen lässt. Wie sich jetzt zeigt, erlebte die Ukraine seit der russischen Annexion der Krim 2014 einen bemerkenswerten Prozess der Identitätsfindung über alle sprachlichen und kulturellen Grenzen hinweg.
Sehr geehrter Herr Schleiting,
mir leuchtet nach Ihrer Antwort um so weniger ein, warum Sie selbst eine nur rhetorische Frage in Sachen Billigung der Kriegsteilnahme durch die ukrainischen Bevölkerung stellten? Denn jetzt sagen Sie „Die Entscheidung, sich zu wehren, traf die Staatsführung der Ukraine – in Abstimmung mit den westlichen ´Verbündeten´“. Letzteres weiß ich nicht; es sei dahingestellt. Und dass die ukrainische Bevölkerung diese Entscheidung in wohl überwältigender Mehrheit mitträgt, dürfte Ihnen doch nach zwei Monaten Krieg auch aufgegangen sein – wieso deshalb überhaupt Ihre Frage? Die Regierung hat entschieden und das Volk ist einverstanden.
„Dass es möglicherweise nach einer Kapitulation …. eine breite Bereitschaft zu friedlichem Widerstand und politischem Wandel gegeben hätte, kann ich mir hingegen gut vorstellen“ – „Bereitschaft“ vielleicht; dass diese sich aber unter den obwaltenden repressiven Bedingungen, die in Russland schon herrschen und die schnurstracks in der Ukraine eingeführt würden, umsetzen ließe, kann ich mir wiederum überhaupt nicht vorstellen.
Stephan Wohanka
„Und dass die ukrainische Bevölkerung diese Entscheidung in wohl überwältigender Mehrheit mitträgt, dürfte Ihnen doch nach zwei Monaten Krieg auch aufgegangen sein – wieso deshalb überhaupt Ihre Frage? Die Regierung hat entschieden und das Volk ist einverstanden.“
Der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung steigt nicht durch häufige argumentenfreie Wiederholung
„Dass es möglicherweise nach einer Kapitulation … eine breite Bereitschaft zu friedlichem Widerstand und politischem Wandel gegeben hätte, kann ich mir hingegen gut vorstellen“ – „Bereitschaft“ vielleicht; dass diese sich aber unter den obwaltenden repressiven Bedingungen, die in Russland schon herrschen und die schnurstracks in der Ukraine eingeführt würden, umsetzen ließe, kann ich mir wiederum überhaupt nicht vorstellen.
Also friedlicher Widerstand und politischer Wandel unter einem repressiven System übersteigt ihr Vorstellungsvermögen? Die Situation in der Ukraine, die nach diesem Krieg wahrscheinlich in Schutt und Asche liegt, hingegen erfüllt Sie mit fröhlicher Zuversicht? So etwa?
Darf ich Ihrem Vorstellungsvermögen bezüglich der Möglichkeiten eines weitgehend friedlichen Überganges von repressiven Diktaturen in vergleichsweise demokratische Gesellschaftsformen vielleicht ein wenig auf die Sprünge helfen?
1991 Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes mit zugegeben ambivalenten Folgen, insbesondere, wenn man den Zustand im heutigen Russland mit betrachtet.
1974 wurde in Griechenland das Obristenregime nach andauernden zivilen Protesten auch von Studenten unter tätiger Mithilfe großer Teile des Militärs weitgehend gewaltfrei abgesetzt.
Ebenso 1974 Ende des Estado Novo, der Salazardiktatur in Portugal, im Land selbst weitgehend gewaltfrei, Stichwort „Nelkenrevolution“, befördert durch Kolonialkriege, die von der großen Mehrheit der portugiesischen Bevölkerung und von vielen Militärangehörigen abgelehnt wurden.
1975/81 dann Ende des Franco-Faschismus in Spanien mit dem Tod Francos bzw. dem gescheiterten Rechtsputsch im Parlament. Mir scheint, dass es durchaus Beispiele gibt für überwiegend friedliche Übergänge aus repressiven Systemen in parlamentarische.
Dass diese neu installierten wie die schon existierenden parlamentarischen Systeme durch die Bank auch nicht frei von Repression und Ungerechtigkeit sind, steht dann auf einem anderen Blatt.
Wenn ich den Beitrag von Erhard Crome im letzten Blättchen richtig verstehe, hat die Weigerung des Kriegsverbrechers Selenski, vor dem Kriegsverbrecher Putin zu kapitulieren, bisher tausende Soldaten auf beiden Seiten und zehntausende ukrainische Zivilpersonen das Leben gekostet sowie fünf Millionen Ukrainer zur Flucht getrieben. Der Parallele zu dem Ahlbecker Gedenkstein entnehme ich allerdings, dass die Ukraine offensichtlich (auch wenn ich das nicht bemerkt habe) vor einigen Jahren einen Angriffs- und Vernichtungskrieg gegen Russland begonnen hat, der jetzt auf sie zurückschlägt. Zu fragen bleibt, wie viele Leben hätten gerettet und wieviel Leid hätte verhindert werden können, wenn die französische Revolutionsarmee 1792 der Aufforderung des Herzogs von Braunschweig zur Kapitulation gefolgt, Lenin 1918/19 vor den Mittel- oder den Entente-Mächten, Koltschak oder Denikin die Waffen gestreckt, Stalin 1941 Hitler nach Moskau gelassen oder Ho Chi Minh sich nach 1941 Japan, Frankreich oder wenigstens den USA ergeben hätte.
Selbstverständlich kann ein Autor zu was auch immer was auch immer meinen. Sollte eine Redaktion aber nicht doch etwas genauer darüber nachdenken, was sie druckt? Zumal sie sich am Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine deutlich vernünftiger geäußert hat?
An Stephan Wohanka
Verehrter Herr Wohanka,
ob die einfachen Fragen in der Allgemeinheit wie Sie es behaupten die schwierigsten sind, sei dahingestellt. Auch ob das für die von mir gestellte zutrifft, will ich nicht beurteilen. Dass sie rethorischer Natur war, wird Ihnen – hoffentlich – aufgefallen sein. Überraschend ist dann aber doch, dass Sie entgegen Ihrer eingangs zitierten Einschätzung eine doch recht einfache, eindimensionale, ich möchte fast sagen einfältige Antwort versuchen.
Die Entscheidung für einen Krieg fällt auf der Führungsebene eines Staates, in diesem Fall, keine Frage, in erster Linie der des russischen Aggressors. Die Entscheidung, sich zu wehren, traf die Staatsführung der Ukraine – in Abstimmung mit den westlichen „Verbündeten“. Eine plebiszitäre Entscheidung ist nicht vorstellbar, allenfalls in der Perversion, wie sie in der goebbelschen Volkspalastrede praktiziert wurde.
Dass die „Kampfmoral“ der ukrainischen Truppen der der russischen überlegen war/ist, scheint zuzutreffen. Daraus eine Zustimmung zum (Verteidigungs)krieg in breiten Kreisen der Bevölkerung abzuleiten ist mindestens fragwürdig. Ich höre von Männern geflüchteter Frauen, dass sie in der Ukraine verharren, weil sie müssen, nicht weil sie wollen, und dass sie alles andere als enttäuscht sind darüber, dass sie noch nicht eingezogen wurden, weil die Armee derzeit nicht in der Lage ist, ihnen die entsprechende Ausrüstung zur Verfügung zu stellen.
Die Tatsache, dass Menschen massenhaft vor dem Krieg, den Gewehren, Geschützen und Bomben flüchten um ihr nacktes Leben zu retten, statt „sich unter die putinsche Fuchtel zu begeben“, als Zustimmung einer riesigen Mehrheit zum Widerstand, womit Sie ja wohl Krieg meinen, zu werten, verehrter Herr Wohanka, kann ich leider mit Einfalt nicht mehr entschuldigen. Das ist Zynismus.
Dass es möglicherweise nach einer Kapitulation, bei der dieses Töten und Zerstören vielleicht ausgeblieben, wahrscheinlich jedenfalls weit weniger schrecklich ausgefallen wäre, eine breite Bereitschaft zu friedlichem Widerstand und politischem Wandel gegeben hätte, kann ich mir hingegen gut vorstellen. Daran hätten sich dann auch die Menschen beteiligen können, die inzwischen dem Krieg zum Opfer gefallen sind.
Es könnte ein Missverständnis geben, deshalb möchte ich eindeutig klarstellen, dass mit der Erwähnung der goebbelschen Sportpalastrede in keiner Weise eine Parallelität der Staatsführung der Ukraine mit dem NS Staat angedeutet werden sollte. Es sollte lediglich die Absurdität einer Abstimmung über Krieg oder nicht Krieg herausgestellt werden.
Zynisch, verehrter Herr Schleiting, sind Ihre geistreichen Drehungen, mit denen Sie die Schuld am Sterben den Überfallenen zuschieben! Wolfgang Klein hat einige wenige Beispiele genannt. Sie treten allen Menschen, die sich in der Geschichte nicht freiwillig unter die Knute eines Aggressors beugen wollten, aber auch so etwas von mitleidslos ins Gesicht. Schämen Sie sich!
Dass Sie dann quasi als „Sahnehäubchen“ Ihrer Argumentation auch noch „friedlichen Widerstand und politischen Wandel“ unter den gegebenen russischen Herrschaftsverhältnissen in Aussicht stellen, dürfte – sicher mit Ausnahme der Sjuganowschen KP – aber auch jeden und jede russische Oppositionelle (n) zu Begeisterungsstürmen verführen. Das war jetzt Ironie.
Herr Brauer,
Sie sollten, wenn möglich, richtig lesen, bevor Sie sich zu irgendwelchen schrillen Tönen aufschwingen. Ich habe mit keinem Wort den Überfallenen, wenn Sie die Zivilisten meinen, die diesem Krieg zum Opfer fielen, die Schuld an ihrem Sterben zugeschoben. Ich spreche auch nicht von politischem Wandel unter den gegebenen Herrschaftsverhältnissen, sondern ich impliziere, dass Herrschaftsverhältnisse sich auch mit friedlichen Mitteln abstellen lassen. Darauf hoffe ich übrigens auch in unserem Land. Ich spreche keinem Überfallenen das Recht ab sich zu wehren, bezweifele nur, dass alle UkrainerInnen dazu unter Einsatz des Lebens bereit waren bzw. sind. Niemand hat sie gefragt. Aber das ist es, was Sie offensichtlich fordern: die Pflicht sich zu wehren, auch wenn es das Leben kostet. Wäre ja auch ganz nett und bequem, wenn die UkrainerInnen uns Putin vom Hals hielten. Dass Sie mir vorwerfen, ich würde Opfern von Gewalt ins Gesicht treten, würde mich wirklich treffen, wenn Sie ein ernstzunehmender Diskussionsteilnehmer wären.
An Günter Hayn
„Ich bin ziemlich erschüttert, ausgerechnet diese Steinzeit-Denke im “Blättchen” – wenn’s auch “nur” das FORUM ist, lesen zu müssen.“
Müssen Sie ja nicht!
Antwort auf Dr. Hildebraa
Sehr geehrter Herr Dr. Hildebraa,
das ist interessant: „Und Ihre Tucho-Zitate in allen Ehren, aber gegenüber einer nuklearen Supermacht gilt es doch einiges mehr zu bedenken als weiland mit Blick auf die Reichswehr und vergleichbare Wehren.“
Ich erlaube mir die Feststellung, dass Sie mit zweierlei Maß messen: Die Nicht-Nuklearmächte haben zu kuschen, die mit dem „großen Knüppel“ dürfen sich alles erlauben. Das ist genau die Logik von Räuberbanden.
Ich bin ziemlich erschüttert, ausgerechnet diese Steinzeit-Denke im „Blättchen“ – wenn’s auch „nur“ das FORUM ist, lesen zu müssen.
Nicht „gegenüber einer nuklearen Supermacht gibt es einiges zu bedenken“ – welche Anmaßung steckt dahinter, „wir“ haben gar nichts zu bedenken, auch Deutschland ist da nur Spielfigur anderer Interessen -, die Supermächte untereinander haben ihren Umgang miteinander zu bedenken. Und da ist es nicht falsch, seine Freunde daran zu erinnern, dass solche Ganovenstücke wie der Einfall in die Ukraine einfach nicht hinzunehmen sind! Und mit der „Bombe“ hat Putin gedroht, noch vor dem russischen Überfall.
Und bei all den Ablassbrief-Bemühungen, die ich derzeit lese: Nicht Russland wurde angegriffen. Wollen Sie auch noch – sicher mit ganz großen defaititischen Gedankenspielen – hinnehmen, dass als nächstes Moldawien „dran“ ist? Dann ist es wirklich nicht mehr weit bis zum „Bündnisfall“. Dann sind die Sorgen der baltischen Republiken – mit einem durchaus beachtlichen russischen Bevölkerungsanteil – überaus nachvollziehbar. Und dann reicht ein „irrtümlich“ abgeschossenes Aufklärungsflugzeug als Auslöser.
Nehmen Sie sich doch einfach mal einen historischen Atlas zur Hand und blättern die Doppelseite mit der Darstellung des Russischen Reiches um 1900 auf.
Viel Erfolg beim Defaitisieren und Bedenken!
Ihr
Günter Hayn
Lieber Herr Hayn,
Ihre emotionale Empörung darüber, „dass Sie (also ich) mit zweierlei Maß messen: Die Nicht-Nuklearmächte haben zu kuschen, die mit dem ‚großen Knüppel‘ dürfen sich alles erlauben. Das ist genau die Logik von Räuberbanden.“ ist so menschlich sympathisch, wie sie, bitte verzeihen Sie die Offenheit, dumm ist. Denn sollte es zu einem Atomkrieg kommen, dann hat sich auch diese Diskussion vermutlich ein für alle Mal erledigt. Insofern bin ich froh, dass nicht Sie Bundeskanzler sind, sondern einer, der das Mantra hochhält „Es darf keinen Atomkrieg geben.“
Leider reicht die Erkenntnis bei Olaf Scholz allerdings auch nicht so weit, neben Waffenlieferungen an die Ukraine in der EU und in der NATO zugleich energisch auf eine Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungswege zu drängen. Scholzens vom Ansatz her richtige Feststellung, Russland dürfe „den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen“, nämlich nur über Militärhilfe für Kiew anzusteuern, könnte letztlich das ebenfalls erklärte Ziel des Kanzlers konterkarieren, „eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt“.
Im Übrigen – möge Ihnen Ihr angestimmtes Hohelied wider den unpatriotischen Defätismus das warme Gefühl geben, so etwas wie ein später Enkel des Schillschen Freikorps zu sein. Dem wurde der eigene Untergang ja bekanntlich mit ewigem Nachruhm vergolten.
Und die wehrkraftzersetzende Frage, wo denn um Himmels Willen nach einem Atomkrieg die Nachrühmer herkommen sollten, möge Sie keinesfalls daran hindern, Schillers munteres „Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd …“ anzustimmen!
Mit besten Grüßen
Ihr Markus Hildebraa
Zu Herrn Hayn
Sehr geehrter Herr Hayn,
ich philosophiere nicht darüber, „wie sich …Völker zu verhalten haben“. Ich stelle eine einfache Frage: Wie hätten sich die Menschen entschieden, die inwischen tot oder vertrieben sind, wenn sie eine Wahl gehabt hätten. Die Menschen in der Ukraine, wenn sie so wollen meinetwegen: das Volk wurde(n) nicht gefragt, weder von den Herren im Kreml noch von den Herrschaften in Bonn und Washington, auch nicht von denen in Kiew, wie sie/es sich „verhalten“ wollte(n) zu und in diesem Krieg. Wem wird hier von wem vorgeschrieben, wer leben darf und wer nicht?
Sie insistieren auf Völkerrecht und international definiertes Kriegsrecht. Welche Teile dieses, wie sie schreiben, mühevoll errungenen Völkerrechtssystems sind nicht schon lange durch diverse „Räuberbanden“ auf der ganzen Welt unter tätiger Mithilfe und zumindest mit Unterstützung auch der bundesdeutschen Politik ad absurdum geführt worden?
Die „einfachen“ Fragen sind bekanntlich die schwierigsten: Wie hätte denn das ukrainische Volk befragt werden sollen? Per Plebiszit? Unter Kriegsbedingungen? Und auch wann? Vor dem 24. Februar? Oder danach?
Und ich denke, die Frage ist zum einen dadurch beantwortet, dass sich die Ukraine bisher militärisch so „gut hält“; die Moral der ukrainischen Armee scheint der der Putinschen wohl deutlich überlegen. Und zum anderen auch dadurch, dass die Ukrainer fliehen – im Lande und auch aus dem Lande. Beides – sowohl zu kämpfen als auch zu fliehen – ist mit hohen Risiken für Leib und Leben verbunden; und trotzdem tun es die Ukrainer massenhaft. Würden sie lieber ihr Leben schützen wollen, täten sie beides nicht und begäben sich unter die Putinsche Fuchtel. Was natürlich nicht bedeuten kann, dass jede Person in der Ukraine mit dem Widerstand gegen die Aggressoren einverstanden wäre, die riesige Mehrheit aber wohl doch.
„Das politische Ziel der USA am Tag nach dem Ende des Krieges in der Ukraine sollte darin bestehen, dafür zu sorgen, dass sich die Umstände, die zu diesem verheerenden Krieg geführt haben, niemals wiederholen.“
Volle Zustimmung dazu und auch zu den konkretisierenden 5 Punkten, wie Deeskalationsbemühungen politisch umzusetzen sein können.
Bezeichnend und desillusionierend ist leider die Tatsache, dass solche Konzepte von einem politisch relativ einflussarmen Naturwissenschaftler entworfen werden, während die politisch Handelnden über den Tellerrand der Konfrontation nicht hinausschauen wollen/können. Die Kehrtwende eines Mützenich oder die aktuell endgültig vollzogene Metamorphose einer einstmals überwiegend pazifistisch ausgerichteten grünen Partei in Deutschland zu einer, die in schöner Eintracht mit den deutschen Rüstungskonzernen die Aufrüstung der Ukraine sowie der Bundeswehr betreibt, sind da nur zwei von vielen traurigen Beispielen.
mein Text bezieht sich auf Wolfgang Schwarz „Sicherheitspolitische Erwägungen“ sry
zum Kommentar
„Zeitgemäßer Defätismus“ von Erhard Crome
Verehrter Herr Crome,
mich irritieren ein wenig Ihre Ausführungen zum Kriegsverlauf, weil dieser mir für die eigentliche Frage doch recht irrelevant zu sein scheint. Relevant ist es, nach dem Sinn des Krieges, auch des Verteidigungskrieges, zu fragen und hier stimme ich zu:
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Eine frühzeitige Kapitulation hätte zigtausend Tode und Millionen Fluchten verhindert.
Es verstört zu hören und zu lesen, wie Akteure einer in frühen Zeiten pazifistisch ausgerichten Partei innnerhalb weniger Tage (im Einklang mit Rheinmetall) nach Waffenlieferungen für die „Verteidiger der Demokratie“ und „westlicher Werte“ in der Ukraine rufen.
Ich will nicht missverstanden werden: Es gibt keine Rechtfertigung für Putins Angriffskrieg. Nur: Wer hat die Menschen gefragt, die jetzt nicht mehr leben, ob sie vielleicht doch lieber auch unter der Herrschaft des Despoten weitergelebt und sich später an einer politischen, hoffentlich gewaltfreien Aufarbeitung und Erneuerung gegen diesen Despoten oder seine Nachfolger beteiligt hätten, statt sich hier und jetzt als Opfer, von mir aus auch als Helden, verscharren zu lassen? – Und wenn gesagt wird, möglicherweise zu Recht, dass Putin, wenn man ihm nicht militärisch entgegen tritt, mit der Eroberung der Ukraine nicht aufhört, stellt sich doch die Frage, wie weit die Eskalation dann im Zweifel getrieben wird und wie viele eben nicht „nur“ zigtausende, sondern Millionen Tote man bereit ist in Kauf zu nehmen und ob nicht eine spätere politische Aufarbeitung, auch eine Abrechnung, jedenfalls ein gesellschaftlicher Neubeginn, ohne massive Zerstörungen und unzählige Tote auch aus moralisch ethischer Sicht die bessere Wahl wäre.
Zu Erhard Crome „Zeitgemäßer Defätismus“
„Aber das Recht zum Kampf, das Recht auf Sabotage gegen den infamsten Mord: den erzwungenen – das steht außer Zweifel, und, leider, außerhalb der so notwendigen pazifistischen Propaganda. Mit Lammsgeduld und Blöken kommt man gegen den Wolf nicht an.“ (Ignaz Wrobel in „Die Weltbühne“/11.10.1927, Nr. 41, S. 555).
Sich auf Gedeih und Verderb dem Eroberer auszuliefern, noch dazu wenn er mit erklärten Vernichtungsabsichten daherkam, ist in der Weltgeschichte noch niemandem gut bekommen. Auch in Deutschland können diverse „Blutrinnen“ Geschichten erzählen …
Zu Hayns Erwiderung an Crome
Den Ukraine-Krieg aber – wie Schwarz in seinem aktuellen Beitrag völlig zutreffend hervorhebt – nicht „vom Ende her zu denken“, also von der drohenden Möglichkeit einer atomaren Auseinandersetzung mit Russland her, kann uns allen schlecht bekommen!
Dass der Westen sich ausschließlich auf Waffenhilfe an die Ukraine und eine Niederlage Russlands auf dem Schlachtfeld fokussiert, statt zugleich energische Initiativen für eine Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungswege zu ergreifen, stellt die Weichen schon wieder fatal in die verkehrte Richtung.
Der Eroberer kam mit einer, wenn Sie so wollen „Vernichtungsabsicht“, nämlich der, die staatliche Existenz der Ukraine zu vernichten. Das ist jetzt weitgehend geschehen. Zusätzlich wurden unzählige Menschen getötet, ganze Städte zerstört und Millionen vertrieben. Diese Toten und Vertriebenen wurden nicht gefragt, ob sie sich wehren und dadurch töten, bzw vertreiben lassen wollten oder ob sie nicht doch lieber unter der Herrschaft des Despoten in ihren unbeschädigten Wohnungen weiter gelebt hätten. Die Blutrinnen in der Geschichte bringe ich eher mit erfolgten, nicht mit vermiedenen Kriegen in Erinnerung.
Zu Dr. Hildebraa und Herrn Schleiting,
Ihre Thesen münden in die Erteilung eines Freifahrtscheines für jeden, der die größere Keule besitzt. Das ist die Denke der Falken-Fraktionen im Kreml und im Weißen Haus. In der Konsequenz würde es bedeuten, sich schlussendlich jedem Räuber zu unterwerfen, der nur entschlossen genug auftritt. Mein Rat: Bauen Sie die Schlösser aus Ihren Haus- und Wohnungstüren aus, und weisen Sie mit einem kleinen Schildchen darauf hin, dass der Hund immer angeleint ist. Ich vermute, Sie sitzen im bequemen deutschen Sessel. Da lässt sich trefflich darüber philosophieren, wie sich andere Völker zu verhalten haben.
Und, sehr geehrter Herr Schleiting, lesen Sie bitte die Ankündigungen des Präsidenten Putin vor dem Beginn der Angriffe etwas genauer. Dem Herren ging es nicht nur um die „Vernichtung der staatlichen Existenz der Ukraine“. Was schlimm genug wäre. Was bilden solche Leute sich eigentlich ein? Und Sie selbst, sind Sie tatsächlich bereit, die Zerschlagung eines mühevoll genug errungenen Völkerrechtssystems durch eine aggressive Räuberbande zu tolerieren? Gerade angesichts der gegenwärtigen Situation halte ich Erhard Cromes Gedankenspiele für kreuzgefährliche Sophistereien. Möglicherweise haben die Ukrainer irgendwann die Nase voll und zwingen ihre Regierung zur Kapitulation. Sicher ist das überhaupt nicht. Im Gegenteil. Es gibt ein wohl fast jede deutsche Familie berührt habendes Gegenbeispiel: Die Flächenbombardements des alliierten Bomberkommandos im II. Weltkrieg erreichten eben nicht ihr psychologisches Ziel. Im Gegenteil, in dieser Frage blieb der Dr. Goebbels Sieger …
Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass das internationale Recht Kriegshandlungen jeglicher Art gegen die Zivilbevölkerung nachdrücklich verbietet. Dass sich daran nicht gehalten wird – im konkreten Fall mit großer Wahrscheinlichkeit hauptsächlich und zuerst von russischer Seite – ist schlimm genug. Die Hoffnung auf kriegsbeendendes defaitistisches Verhalten des russischen Volkes … oh, je. Träumen Sie weiter! Ich wünsche den russischen Müttern, den Frauen der Soldaten nicht, dass sie den Blutzoll erbringen müssen, der zu einem solchen Paradigmenwechsel führte. Ich liebe dieses Volk.
Im Übrigen habe ich mich nicht auf die Seite der Polit-Strategen des Westens geschlagen, Herr Dr. Hildebraa. Sie bedienen mit dieser These haargenau die Schwarz-Weiß-Argumentation, die in diese Katastrophe führte.
Und zum Schluss, ich hatte Ignaz Wrobel zitiert, noch einmal einen Satz zum Thema Pazifismus:
„Es gibt nur eine Sorte Pazifismus: Den, der den Krieg mit allen Mitteln bekämpft. Ich sage: Mit allen, wobei also die ungesetzlichen eingeschlossen sind…“ (Ignaz Wrobel: Gesunder Pazifismus, Das Andere Deutschland, 31.03.1928)
Lieber Herr Hayn,
Sie sprechen sich offenbar nicht umsonst so wie der Gevatter und schießen vorm Denken augenscheinlich gern aus der Hüfte. Lesen Sie meine Anmerkung einfach ein weiteres Mal, denn so schwer zu verstehen ist sie nun ja wahrlich nicht.
Und Ihre Tucho-Zitate in allen Ehren, aber gegenüber einer nuklearen Supermacht gilt es doch einiges mehr zu bedenken als weiland mit Blick auf die Reichswehr und vergleichbare Wehren …
Sehr geehrter Herr Markuske,
vielen Dank für den Hinweis zur Erlangung des Buches ‚Bismarck und sein Bankier‘ . Die Verfügbarkeit des Fritz Stern Buches in deutscher und englischer Sprache ist kein Problem .
B.Wagner
Mir ging es in den beiden vorherigen Beiträgen darum zu zeigen dass dieser Krieg im Donbass seit 2014 seit mindestens einem Jahr offensichtlich vor eine Ausweitung zum (jetzigen) großen Krieg stand. Ich behaupte dass war auch in den westlichen Regierungen bekannt das der große Krieg in der Ukraine kommen würde. Als 2019 Moskau russ. Pässe den Donbassbewohner anbot ging der Countdown los. Mein Eindruck; der ganze sich entwickelnde Gesamtkonflikt der westl Staaten mit Rußland in den letzten 20 Jahren stand vor der Eskalierung bzw. „laßt es uns ausfechten“. Das entschuldigt nicht die (auch strategisch falsche) Entscheidung im Kreml einen furchtbaren Krieg vom Zaun zu brechen. Aber hier hätte politisch von allen Seiten im Sommer 2021 mehr unternommen werden müssen als nur Beziehungen abbrechen und Diplomaten auszuweisen. So haben im Vorfeld sich schon viele Kriege angekündigt.
Dieser Krieg zerstört die Stabilität Rußlands und macht die Ukraine endgültig zum „Armenhaus“.
Ergänzung zum vorherigen Kommentar: 1.Diese nachfolgend zitierte öffentliche Drohung bzw. Warnung erfolgte vor knapp einem Jahr im April 2021 direkt aus dem Kreml. Sie stand in den Medien, auch hierzulande veröffentlicht:
Zitat: „…Wenn Kiew militärische Handlungen im großen Maßstab im Donbass beginne, dann sei das „der Anfang vom Ende“ der Ukraine, erklärte Dmitri Kosak, stellvertretender Leiter der russischen Präsidialverwaltung, gegenüber der Zeitung Kommersant.
(…) Wenn die Ukraine einen Großangriff auf die Volksrepubliken starte, dann sei das „kein Schuss ins Bein, sondern in die Schläfe“. (…) Russland wolle an seiner Grenze einen „freundlich gesonnenen, friedlichen und stabilen Staat.“ Zitat Ende
Quelle: https://www.heise.de/tp/features/Hoher-Kreml-Beamter-sieht-Anfang-vom-Ende-der-Ukraine-6009538.html?seite=all
Gleichzeitig berichtete u. a. die Friedrich-Ebert-Stiftung und die OSZE, dass die Ukraine im Frühjahr 2021 ein großes Truppenaufgebot vor dem Donbass zusammengezogen hatte.
Quelle: https://www.ipg-journal.de/interviews/artikel/hoehepunkt-einer-spirale-der-zuspitzung-5098/?utm_campaign=de_40_20210409&utm_medium=email&utm_source=newsletter
Das ist natürlich keine Entschuldigung für den Angriff Rußlands. Aber da hätten doch in Europas Machtzentralen alle Alarmglocken läuten müssen. Oder…
Doch, lieber Ralf Schröder, mit den von Ihnen geschriebenen Zeilen wird Putins feiger und sinnloser Angriffskrieg entschuldigt. Leider.
Zum Beitrag: Wie wir Europa verlieren von Petra Erler
Dieser Beitrag bringt die Situation in Europa auf den Punkt. Ich möchte hier noch die Frage stellen, Warum scheiterte die deutsche, russische, ukrainische und europäische Außenpolitik dabei diesen Krieg mit Ansage zu verhindern ? Nachdem 2020 der Minsk- Vertrag faktisch obolet wurde mit dem Ende des Normandie-Formats, die NATO und Rußland ihre Beziehungen abbrachen, im Frühjahr 2021 Kiew und Moakau auf Kriegskurs gingen, seit 2019 Rußland Pässe an die Donbassbewohner herausgab, beide Seiten aufrüsteten, Moskau von „militärtechnischen Maßnahmen“ sprach die folgen werden, das ewige Gezerre um Nordstream II, Weißrußlandkonflikt, etc. pp. was soltte denn darauf anderes folgen als Krieg ? Natürlich ist Moskau verantwortlich, aber war diese Eskalation nicht die logische Folge der Vorgeschichte ? Wenn es keine Verhandlungen mehr gibt dann kann nur Gewalt folgen als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Ist es abwegig von einem Komplettversagen von Außen- und Sicherheitspolitik aller seiten zu sprechen ? In Rußland und den anderen europäischen Staaten, sowie darüber hinaus ? Werv sich das Konflikttheoriemodell nach Glasl anschaut erkennt ein Muster dieses Konflikts der ja nicht erst seit 2013 schwelt, dann aber offen ausbrach.
Fazit: Der Krieg wäre vermeidbar gewesen wenn es den Willen der verantwortlichen Außenpolitiker und Regierungschefs in Europa dazu gegeben hätte. Wenn alle Interessen Rußlands und der Ukraine auf den Verhandlungstisch gekommen wären hätten erfahrene Diplomaten Lösungen gefunden die für beide Seiten gesichtswahrend gewesen wären. Für Rußland und die Ukraine wären sogar erhebliche gegenseitige Handelsvorteile möglich. Auch Statusfragen im Donbass und sogar in bezug auf die Krim könnten gelöst werden. Ein Gewaltverzicht und gegenseitige Sicherheitsgarantien hätten die Situation beruhigen können. Beide Staaten haben mit der Modernisierung ihrer Wirtschaft und Infrastrukturen genug zu tun und benötigen ihre Ressourcen dafür. Die Wunden die jetzt geschlagen sind und weiter werden heilen nicht in Jahrzehnten fürchte ich. Dass hätte nicht nur in Moskau bedacht werden müssen.
Zum Beitrag: Wie wir Europa verlieren von Petra Erler
Frau Erler schreibt: „Derzeit zeigt die EU erstaunliche Zurückhaltung, was die Beendigung des realen Blutvergießens betrifft, aber sehr große Kreativität, was auf eine Verlängerung dieses Blutvergießens hinausläuft: Es werden Waffen geliefert. „Freiwillige“ werden nicht wirkungsvoll gehindert, in den Krieg zu ziehen“. Das wirft die Frage auf: Sollte die EU – oder breiter noch – die NATO keine Waffen an die Ukraine liefern? Oder anders gefragt – wie sähe oder hätte ein adäquates Verhalten der EU ausgesehen, das das „reale Blutvergießen“ beendete?
Frau Erler schreibt weiter: „Die Strategie der USA liegt auf dem Tisch: Die Ukraine wird geopfert, um im Gegenzug den russischen Kontrahenten substantiell zu schwächen, wenn nicht sogar zu vernichten“. Verstehe ich diesen Satz richtig, dann haben die USA Putin in die „Ukraine-Falle“ gelockt; die Ukraine wurde tatsächlich zum Schlachtfeld… Aber musste Putin überhaupt in diese Falle tappen? Oder verstehe ich das alles falsch, dann bitte ich um Aufklärung.
Sehr geehrter Herr Wohanka, haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen.
In der Tat bin ich zu der Meinung gelangt, dass die NATO bewusst in Kauf nimmt, dass in der Ukraine Menschen sterben, statt mit der russischen Seite nach einer eine Lösung der politischen Konflikte zu suchen. Dass die Sanktionen die russische Wirtschaft zerstören sollen, wird ja von den USA eingeräumt.
Ich kann überhaupt nicht erkennen, dass Waffenlieferungen, die Bewaffnung von ukrainischen Zivilisten und der Zustrom von „Freiwilligen“ etwas anderes bewirken werden, als noch mehr Sterben. Die Kampfwilligen stehen gegen eine trainierte Armee, ohne Vorbereitung, nur mit dem Willen zu kämpfen. Das ist eine Rezeptur für den Tod, nicht für die Beendigung von Blutvergießen. Ich erkenne keine russische militärische Schwäche, ich sehe nur sehr viel Leid. Praktisch besteht über der Ukraine eine no-fly-zone, die russisch kontrolliert ist.
Daher halte ich es für die Aufgabe von EU und NATO, Russland Bedingungen für eine dauerhafte Lösung des Konflikts anzubieten und seriös zu verhandeln. Die russischen Forderungen sind öffentlich. Bisher fehlt eine inhaltliche Antwort des Westens. Der ukrainische Präsident hat keine volle Verhandlungsfreiheit, denn wenn er „zu weit“ auf Russland zuginge, um einen Waffenstillstand oder einen modus vivendi zu erreichen, könnte ihm das das Leben kosten. Die Drohungen der extrem rechten Kräfte in der Ukraine sind seit Jahren eindeutig.
Von einer Falle würde ich nicht sprechen wollen, sondern von einem geopolitischen Duell, das auf dem Buckel der Ukraine ausgetragen wird. Seit vielen Jahren wussten die USA (und der Westen), was für Russland akzeptabel ist und was nicht. Seit 2007 waren die roten Linien Russlands bekannt. Das wurde nicht ernst genommen und auf Konflikteskalation gesetzt. 2013 wurde die Ukraine mit einer entweder-oder Politik zu einem westlichen Werkzeug gemacht. Daran ist sie politisch zerbrochen. Der heutige ukrainische Präsident wurde ausdrücklich wegen seiner Friedensagenda gewählt. Er hatte vor, dass Minsker Abkommen umzusetzen und so die Situation im Donbass zu befrieden, konnte aber dem Druck der rechten Kräfte in der Ukraine nicht standgehalten. Er erhielt auch keine Rückendeckung aus dem Westen.
Die russische Invasion, die ich grundsätzlich ablehne, ist meines Erachtens Russlands letztes Mittel, zu erreichen, was auf diplomatischem Wege nicht erreichbar schien. Darin kommt ein nahezu vollständiger Zusammenbruch des Vertrauens in die Verhandlungsbereitschaft des Westens zum Ausdruck. Aus Sicht Russlands geht es um die Existenz. Dabei ist unerheblich, ob diese Einschätzung aus meiner/unserer Sicht stimmt. Da die russische Führung so denkt, ist das ein Politikfaktor geworden und hat zur Kriegsentscheidung geführt. Damit wurde die globale Sicherheitslage sehr viel unberechenbarer, aber soweit ich das beurteilen kann, teilen das Weiße Haus (und das Pentagon) auf der einen Seite und der Kreml auf der anderen noch den Willen, es nicht nuklear eskalieren zu lassen. Aber sicher ist auch das nicht mehr, und das allein müsste Anlass genug sein, umgehend eine Sicherheitsinitiative zu starten, die den legitimen Sicherheitsinteressen aller genügt. Zudem, finde ich, sollten auch ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, Nuklearwaffen völlig abzuschaffen. Anderenfalls bleibt die ganze Welt unter der Geisel von Nuklearmächten und ihren Rivalitäten.
Liebe Frau Erler,
ich danke Ihnen für Ihre Antwort, die es möglich macht, in eine Debatte einzutreten.
Sie sagen. „In der Tat bin ich zu der Meinung gelangt, dass die NATO bewusst in Kauf nimmt, dass in der Ukraine Menschen sterben, statt mit der russischen Seite nach einer eine Lösung der politischen Konflikte zu suchen“. Und: „Daher halte ich es für die Aufgabe von EU und NATO, Russland Bedingungen für eine dauerhafte Lösung des Konflikts anzubieten und seriös zu verhandeln“. Das erschließt sich mir nicht. Putin fällt in die Ukraine ein und die NATO soll mit ihm nach einer politischen Lösung suchen? Die Ukraine ist ein souveränes Land, bekanntlich kein NATO-Mitglied und sollte es auch nicht werden. EU und NATO können mit Russland „seriös“ ihre beiderseitigen Probleme behandeln.
Unten schreiben Sie: „2013 wurde die Ukraine mit einer entweder-oder Politik zu einem westlichen Werkzeug gemacht. Daran ist sie politisch zerbrochen“. Ich sehe das völlig anders. Die Ukraine ist kein Protektorat, weder der EU noch der NATO; das Land ist auch nicht „zerbrochen“. Dass es zusammensteht, beweist gerade der schreckliche Krieg! Leider!
Putin hat sich mit seiner Aggression deutlich verkalkuliert. Die massive Truppenkonzentration der Putinschen Armee an der Grenze zur Ukraine und dann auch in Belarus – immer begleitet von Lüge, nicht in die Ukraine einzufallen – deuteten auf eine kurze Operation hin; deshalb verbietet Putin auch, von einem Krieg zu sprechen. Offenbar haben sich seine Dienste massiv getäuscht; oder täuschten Putin wider besseres Wissen aus Angst vor ihm. Inzwischen bestätigen verschiedene russische Quellen, dass Putin Verantwortliche seiner Dienste wie Kleinkinder zu Hausarrest verdonnert habe… Aus der Begrüßung der Aggressionstruppen mit Blumen und russischen Fahnen wurde nichts. Der Krieg zieht sich den 21. Tag hin und Sie schreiben: „Ich erkenne keine russische militärische Schwäche….“.
Sofort nach dem Einfall der Aggressoren war klar, dass die Ukraine sich verteidigen würde. Um es nochmals klar zu sagen – kein Westen nötigte die Ukraine, sich verteidigen; es war das Land und seine Menschen selbst. Und sie baten um Waffen. Nach Ihrer Ansicht hätte man die Waffen nicht liefern dürfen; natürlich ist das eine legitime Meinung. Nur desgleichen legitim – und völkerrechtlich gedeckt – ist die Auffassung, der ukrainischen Bitte, ja Forderung nachzukommen und Waffen zu liefern. Die, wie gesagt, den Aggressor schon einigermaßen in die Bredouille brachten; was wiederum beweist, dass entgegen Ihrer Meinung es nicht um die „die Bewaffnung von ukrainischen Zivilisten und der Zustrom von ´Freiwilligen´“ geht, sondern hier eine zahlenmäßig und technisch unterlegene ukrainische Armee offenbar so ausgerüstet und – bitte schön – aufgerüstet wurde, dass sie dem Aggressor einiges Paroli bieten kann. Sie schreiben: „Die Kampfwilligen stehen gegen eine trainierte Armee, ohne Vorbereitung, nur mit dem Willen zu kämpfen“. Offenbar ist deren Moral dadurch der der Putinschen Soldaten deutlich überlegen; wobei letztere – wie zu lesen war – manchmal gar nicht wussten, wofür sie Krieg führen sollten.
Und natürlich – da haben Sie vollkommen recht – sterben jeden Tag Menschen; in der Ukraine Zivilisten und Soldaten, auf Putinscher Seite Soldaten. Aber es ist wohl eindeutig Putins Schuld, dass sie sterben und nicht die der Ukraine, die jedes Recht hat, sich zu verteidigen.
Auch die wachsende Zahl ukrainischen Flüchtlinge zeigt, dass diese Menschen die Mühsal der Flucht der „brüderlichen Umarmung“ vorziehen. Wie der Krieg letztlich ausgeht, ist heute völlig ungewiss, aber er erinnert schon an den1939/40 geführten sowjetisch-finnischen Krieg. Wie sich damals zeigte, war die Rote Armee nicht einmal stärker als die kleine Armee des „bourgeois-kulakischen“ Finnland.
Erst einmal dies, später mehr.
Der zweite Teil:
Sie sagen: „Die russische Invasion, die ich grundsätzlich ablehne, ist meines Erachtens Russlands letztes Mittel, zu erreichen, was auf diplomatischem Wege nicht erreichbar schien“. Krieg als Mittel, weil man diplomatisch nicht weiterkommt? Schwer zu verdauen; aber: Was kommt nach dem Krieg? In der Regel und notwendigerweise wieder Diplomatie. Warum die Diplomatie dann durch einen Krieg unterbrechen? Und was war „auf diplomatischem Wege“ nicht zu erreichen? In Sachen Ukraine ging es darum, dass dieses Land nicht nicht Mitglied der NATO würde. Und dass das nicht vorgesehen sei, auch nicht in absehbarer Zukunft, wurde von der NATO, vom „Westen“ immer wieder betont. Was die direkten Forderungen an die NATO angeht, so können diese nur mit NATO verhandelt werden; inwiefern dabei ein Krieg gegen die Ukraine hilfreich sein könnte, erschließt mir sich nicht.
Sie sagen: „Aus Sicht Russlands geht es um die Existenz. Dabei ist unerheblich, ob diese Einschätzung aus meiner/unserer Sicht stimmt. Da die russische Führung so denkt, ist das ein Politikfaktor geworden und hat zur Kriegsentscheidung geführt“. Wieso geht es um Russlands Existenz? Wer bedrohte Russland? Etwa die Ukraine? Die NATO? Doch wohl eher auch nicht, denn die NATO ist ohne die USA nichts und die USA sehen ihren strategischen Rivalen in China, nicht in Russland.
Der „Politikfaktor“ ist einzig und allein Putin, der über die Jahre seiner Herrschaft in Gestalt eines „bolschewistisch-tschekistisches Reenactments“ (Andrei Subow) die Errichtung einer so genannten Machtvertikalen vorantrieb, die Russland in eine Autokratie verwandelte und nun das Gebiet Russlands um die Gebiete der „Kleinrussen“ zumindest politisch arrondieren möchte.
Folgenden Passus Ihres Textes teile ich dagegen völlig: „Damit wurde die globale Sicherheitslage sehr viel unberechenbarer, aber soweit ich das beurteilen kann, teilen das Weiße Haus (und das Pentagon) auf der einen Seite und der Kreml auf der anderen noch den Willen, es nicht nuklear eskalieren zu lassen. Aber sicher ist auch das nicht mehr, und das allein müsste Anlass genug sein, umgehend eine Sicherheitsinitiative zu starten, die den legitimen Sicherheitsinteressen aller genügt. Zudem, finde ich, sollten auch ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, Nuklearwaffen völlig abzuschaffen. Anderenfalls bleibt die ganze Welt unter der Geisel von Nuklearmächten und ihren Rivalitäten“.
Zum Beitrag Das Blättchen 5 /2022 : Bismarck und sein Bankier
Sehr geehrter Herr Markuske,
vielen Dank für Ihren Artikel über Bismarcks Bankier, Gerson Bleichröder. Als kleine Ergänzung möchte ich auf das Buch von Bruno Preisendörfer „Als Deutschland erstmals einig wurde – Reise in die Bismarckzeit“ hinweisen. Wer sich mit diesem Zeitraum der Bismarckzeit in sehr komprimierter Form beschäftigen will, stieß auf diesen Namen erstmals. Was wäre aus Bismarck geworden ohne (von) Bleichröder. Ohne Geld lief nichts auf Bismarcks politischem Weg. Neben der Beleuchtung dieser Persönlichkeit kann man Herrn Preisendörfer noch besonders für sein Kapitel Große Fragen: Arbeiterfrage/ soziale Frage/ Wohnungsfrage/ Dienstmädchenfrage / Frauenfrage / … Judenfrage in diesem Buch loben. Was Friedrich Engels in Der Lage der arbeitenden Klasse in England ausführlich behandelte, fasst der Autor in Kurzform aus soziologischer Sicht für Deutschland zusammen.
Schauen wir mal, ob man an das von Ihnen besprochene Buch herankommt. Mein Interesse haben Sie geweckt.
Mit freundlichen Grüßen
Brigitta Wagner
Sehr geehrte Frau Wagner,
herzlichen Dank für Ihren Hinweis auf Preisendörfer.
Den hatte ich ebenfalls besprochen: https://das-blaettchen.de/2022/01/%e2%80%9enous-verrons-%e2%80%93-wir-werden-sehen%e2%80%9c-60069.html.
Sterns „Bismarck und sein Bankier“ finden Sie u.a. bei Medimops, aktuell zu 11,25 €: https://www.medimops.de/fritz-stern-gold-und-eisen-bismarck-und-sein-bankier-bleichroeder-taschenbuch-M0349960907X.html.
Mit besten Grüßen
Alfons Markuske
Herbert Bertsch sagt:
Nach einer Information von Wolfgang Benz von August 2017 gab es bis dahin 16 000 Bücher zum Thema Holocaust in der Library of Congress in Washington, und ständig kann man im Internet nachprüfen, daß es ungezählte Dissertationen gemäß Ausrichtung der Gutachter sowie unzählige Beiträge im weitesten Sinne dazu gibt, Forum des „Blättchens“ eingeschlossen, auch redaktionell bearbeitete Beiträge von Autoren aus von ihnen vermutet notwendigem Anlaß. So auch bei Vermarktungen wie jüngst die Fernseh-Erzählung. Am Anfang der Erörterung und als eigentliches Thema steht objektiv die Frage: Warum Wannsee-Konferenz überhaupt und zu diesem Zeitpunkt?
Darüber hinaus, was Franka Haustein bereits dazu geleistet hat.
Bei einer Volkszählung am 16. Juni 1933 wurden im damaligen Territorium Deutschlands 502.799 Personen als Juden „gelistet“.(Die offizielle Statistik des Holocaust nennt für gleichen Anlaß die Zahl 561.000. Zuvor gab es keine amtlichen Erhebungen. Dem Leiter der „Dienststelle des Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsinnenministerium, Achim Gercke, als Initiator schien es deshalb angebracht, für die kommenden Aufgaben eine Größenordnung zu vermitteln. Alle Zahlen jeweils auf aktuelles „Reichsgebiet“ bezogen). „Sechs Jahre später hatte sich die Zahl aufgrund von Emigration und Vertreibung auf 215.000 mehr als halbiert. 1941, zu Beginn der Deportation in die Vernichtungslager, hatte sich die Zahl der „deutschen Juden“ noch einmal auf 163.696 verringert.“ Eine Erhebung vom 1. April 1943 führt nur noch 31.897 Jüdinnen und Juden auf. Von den rund 15.000 noch in Deutschland lebenden Juden zu Kriegsende dürfte etwa ein Drittel die nationalsozialistische Verfolgung in der Illegalität überlebt haben.“ (Nach Unterlagen des Zentralrats der Juden in Deutschland).
Dann der Überfall auf die Sowjetunion: „Die absolut größte Opfergruppe Hitlerdeutschlands bilden die Slawen. Der „Generalplan Ost“ hat über 150 Millionen im Visier, in der UdSSR allein 100 Millionen. Rund 11 Millionen kamen seit September 1939 um, ohne im Kampf gefallene Soldaten.“ ( Gunnar Heinsohn „Hitlers Holocaust-Motiv“).
Sie lebten in Territorien, die als „Lebensraum“ für 30 Millionen deutsche Siedler vorgesehen wurden.
Für das Ziel mit „Landnahme“ bei Ausrottung der nicht mehr arbeitsfähigen angestammten Bevölkerung sowie von Vertriebenen und Geflüchteten wurde die moralische Begründung der deutschen Mission als Befreier der Menschheit von den Juden auf die Spezies des „jüdisch-bolschewistischen Untermenschen“ erweitert. Das war für die Täter keine Kunstfigur. Wer da einen vor die deutsche Flinte bekam oder Soldaten nach Ergebung in Gefangenenlagern verhungern ließ, hatte sein Feindbild – bis in die höchsten Ränge und zurück; etwas davon konnte man zur eigenen Entschuldigung – falls man denn Skrupel fühlte – sich und anderen vorlügen. Darauf basiert auch die bürokratisch administrative Veränderung der Judentötung.
(Aus Platzgründen der dadurch diktierte Verzicht auf Umgang und Ermordung von Juden unter der deutschen Besetzung des übrigen Europas sowie in den deutschen Satellitenstaaten. Dazu, wie in einigen Teilen der Sowjetunion, gehört auch das Kapitel der Kollaboration bei der Vernichtung von jeweils „eigenen“ Juden, mitunter auch als anderweitige Beihilfe).
Nochmals Benz in einer Besprechung von Peter Hayes „Eine Geschichte des Holocaust“ mit einer Antwort auf die oben gestellte Frage:: „Zum unerhörten Tempo des Judenmords verweist Hayes (U.a. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des United States Holocaust Memorial Museum) darauf, daß die Täter einen kostengünstigen, wenig technikintensiven und sich selbst finanzierenden genozidalen Prozeß in kurzer Zeit perfektionierten und daß sie andererseits ‚erstaunlich hingebungsvolle Mörder in großer Zahl rekrutieren konnten“ – und das waren nicht nur „Nationalsozialisten“.
Das gehört zum Komplex „Wannsee-Konferenz“.
Die Wannseekonferenz in ihrer Bedeutung für den Holocaust so hoch zu hängen, wie S. Wohanka es tut – „Erst gab es – wie beschrieben – die Wannseekonferenz“ – ist historisch falsch. Die Konferenz fand Anfang 1942 statt. Die systematische massenhafte Ermordung von Juden hatte aber praktisch bereits unmittelbar nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 begonnen. Der Wehrmacht folgten die SS-Einsatzgruppen auf dem Fuße und begannen mit den Liquidierungen. Auf diese „herkömmliche“ Weise wurden unter dem Strich weit mehr Juden ermordet als „fabrikmäßig“ in den späteren Vernichtungslagern.
Die Wannseekonferenz war ein Bürokratentreffen, auf dem Heydrich seine Position als führender Kopf der operativen Judenvernichtung protokollieren lassen und alle beteiligten zentralen Ämter und Dienststellen auf ihre jeweilige Rolle bei der Vernichtung der Juden Europas – das Protokoll nennt die Zahl von 11 Millionen – festlegen wollte. Die Ungeheuerlichkeit der Konferenz liegt in dieser Zielsetzung – Vernichtung s ä m t l i c h e r Juden Europas. Der Mord selbst war da, wie gesagt, längst im Gange …
Sie haben, Frau Haustein, in Allem recht. Dieses „Erst gab es – wie beschrieben – die Wannseekonferenz“ habe tatsächlich in der Antwort auf Herrn Nachtmanns Einwand geschrieben; im eigentlichen Text finden Sie dies nicht. Es ist aber auch letztlich völlig sekundär; es geht mir nicht um eine historische Abhandlung. Auch ist es in diesem Sinne letztlich gleichgültig, ob mehr Juden, namentlich die Osteuropas, durch die SS und wohl auch Wehrmacht erschossen wurden oder weniger Juden, vor allem deutsche und westeuropäische, dann in den Lagern vergast und verbrannt wurden. Letztere „Lösung“ wurde wohl auch deshalb gefunden – siehe Wannseekonferenz -, da man „unseren Männern“ den seelischen Stress nicht zumuten könne, den Massenerschießungen auslösen und diese außerdem zu viel Munition kosteten…
Mir geht darum, einigen Historikern und Publizisten in den Arm zu fallen, die mit pseudoreligiösen und anderen Argumenten behaupten, dass die (deutsche) Befassung mit dem Holocaust die Sicht auf andere, namentlich koloniale Verbrechen verstelle. Das tut sie nicht – wer hindert diese Leute, sich mit den Kolonialverbrechen zu befassen?
Meiner Auffassung nach überragt die Shoa eben doch alle anderen Verbrechen, Genozide dadurch, dass sie in vielerlei Hinsicht einzigartig und ohne Beispiel war; u.a. weil sie eben in weiten Teilen ein „industrieller“ Massenmord war, die europäischen Juden durch eine „Endlösung“ alle ermordet werden sollten – wozu es gottseidank dann doch nicht kam – ; einfach nur auf Grund ihrer Existenz, ohne ein grundlegend anderes Motiv.
Zuerst: Angesichts der Kriegslage ist es nicht leicht, über andere Themen nachzudenken. Umso nötiger ist es aber.
Eine kurze Anmerkung zu Stephan Wohankas Beitrag: Der Autor tappt ein bisschen in die altbekannte Falle einer Semi-Gleichsetzung von Shoa und Auschwitz. Von den 6 Millionen ermordeten Juden fanden in den NS-Vernichtungslagern (Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Belzec) etwa 40 Prozent den Tod. Etwa die Hälfte wurde in der Sowjetunion „vor Ort“ ermordet. So jedenfalls las ich es bei mehreren Geschichtsforschern. Will sagen: Die Zahlen müssen nicht genau stimmen. 6 Millionen Ermordete, darunter viele Kinder, sind eine dem Einzelnen unüberschaubare Zahl, zumal es sich dabei um mindestens zehn Prozent des weltweit existierenden Volkes handelte. Da nehmen sich die ca. 2,5 Prozent Bosnier natürlich gar nicht „singulär“ aus, oder? Zahlen über von Europäern bzw. europäischen Einwanderern ermordete Ureinwohner in Amerika und vor allem in Australien liegen, mit welcher Absicht wohl, gar nicht vor. Ein wichtiger Unterschied: Da gab es keine „fabrikmäßige“ Ermordung. Es waren ganz schlichte Ermordungen. Nicht singulär.
„Der Autor tappt ein bisschen in die altbekannte Falle einer Semi-Gleichsetzung von Shoa und Auschwitz“. Shoa und Auschwitz verstehe ich als Synonyme, verwende sie alternierend; beide Begriffe stehen für die Vernichtung der europäischen Juden. Insofern ist es aus meine Sicht völlig gleichgültig, wo – ob in Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Belzec oder in der Sowjetunion “vor Ort” und der Ukraine – und wie – durch Erschießen, Gaskammern – die Juden ermordet wurden. Und es auch völlig zweitrangig, wie viele Juden letztlich ermordet wurden; nach nazi-deutschem Willen sollten es möglichst alle in Europa sein; und es waren viele, Millionen.
Vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt, aber das Singuläre liegt darin, dass im Falle der Juden deren Extermination eben doch „fabrikmäßig“ organisiert war: Erst gab es – wie beschrieben – die Wannseekonferenz; ich will mich nicht wiederholen. Es wurde mit „Tötungsarten“ wie Abgasen aus Motoren experimentiert, dann wurden als Duschen getarnte Gaskammern gebaut und die Leichen in von Topf & Söhne in Erfurt konstruierten Verbrennungsöfen verbrannt. Der Transport derer, die in den Lagern ermordet wurden, war generalstabsmäßig organisiert. Und es ging den Nazis bei der Auslöschung der Juden nicht, wie ebenfalls gesagt, um Landgewinne, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen oder Versklavung (obwohl es natürlich auch jüdische Zwangsarbeiter gab), sondern eben nur darum, Juden deshalb umzubringen, weil sie Juden waren. Alle Genozide – und es waren Genozide -, die Sie erwähnen oder die es weltweit gab, hatten als letztlichen Hintergrund eben Landgewinne, Verschiebung von Grenzen, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen oder Versklavung; in dem einen oder anderen Fall auch „religiös“ begründet. Daher die Singularität von Shoa oder Auschwitz, daher ihre Qualifikation als „Zivilisationsbruch“.
Ein erster, noch unvollständiger Eindruck zu „Kriegslieder“.
Gleich am Anfang der lapidare Satz: „Ein Krieg, der bei weiterer Eskalation auch nuklear werden könnte.“ Ich bitte Sie – das ist eine Ungeheuerlichkeit von Putin, so etwas auch nur anzudrohen; und der Mann wird an der Stelle nicht einmal genannt! Ich wenigstens bin entsetzt….
Sehr geehrter Herr Wohanka,
unser Statement „Kriegslieder“ wurde vor dem unsäglichen Putin-Befehl geschrieben. Sonst hätten wir das auch gesagt. Das steht übrigens im Text, wenn Sie aufmerksamer lesen. Konsequenterweise dürfte man derzeit überhaupt nichts öffentlich sagen, weil das soeben Gesagte in wenigen Stunden schon wieder obsolet sein kann. In Kriegszeiten ist das wohl so.
d. Red.
Lieber Herr Pries,
Sie haben recht, ich muss um Entschuldigung bitten, dass ich übersah, wann Sie diesen Text schrieben. Darüber hinaus bitte ich Sie, sich mit Herrn Brauer in Verbindung zu setzen.
Stephan Wohanka
Sehr geehrter Herr Pries,
die Frage nach Alternativen usw. zu stellen heißt ja, nach ihren Realisierungsmöglichkeiten zu fragen. Die aber können Sie erst einschätzen, wenn Sie nach den Gründen Ihres Irrtums fragen, der ja nicht die Folge einer bloßen Wissenslücke ist, wenn Sie also fragen, was Sie (und Ihre Kollegen) beharrlich ausgeblendet haben. Und dabei ein bisschen tiefer bohren, also nicht etwa bei dem nun häufig zu hörenden Satz stehenbleiben: Na ja, wir haben eben unterschätzt … Dieses Verbindungsglied fehlt bei Ihnen, und das hat meines Erachtens letztlich mit der ideologischen Ausrichtung der Redaktion zu tun. Ich will keinesfalls behaupten, in der Sache immer Recht gehabt zu haben, denke aber, dass Sie in meinen Forum-Beiträgen der letzten zwölf Monate einiges finden können, das bei der nun meines Erachtens erforderlichen Untersuchung von Nutzen sein könnte. Vielleicht kommen wir hier noch einmal ins Gespräch. Es grüßt Sie: Erhard Weinholz.
Lieber Erhard Crome, vielen Dank für diesen wie immer kenntnisreichen und sorgsam aufgebauten und formulierten Beitrag. – Der familiengeschichtliche Einstieg veranlasst mich zu einem ähnlichen: Mein in Riga geborener und im baltischen (heute lettischen) Kurland aufgewachsener Großvater deutscher Nationalität hat sich am Jahresende 1918 – noch nicht siebzehnjährig – freiwillig zur „Baltischen Landeswehr“ gemeldet und als deren Angehöriger am 22. Mai 1919 an der „Befreiung“ Rigas von der kurzzeitigen Herrschaft der Bolschewiki teilgenommen. Ich habe versucht, dies – eingeordnet in seinen gesamten Lebenslauf – in meinem „Hartenstein“-Roman darzustellen und zu verarbeiten. Dabei kommt auch die Reichstagsdebatte über die Rigaer Ereignisse zur Sprache, in der der wenig später einem Attentat zum Opfer fallende Hugo Haase (USPD) unter wütenden Zwischenrufen die Gräueltaten eben dieser Landeswehr zur Sprache brachte. – Irgendwann in den 1970er Jahren ist mein in der DDR als Professor für chemische Verfahrenstechnik tätiger Großvater mit seinem Leningrader sowjetischen Kollegen in Riga und Jelgava (früher: Mitau) gewesen, und sie waren, glaube ich, sehr froh darüber, dass sie dort in Frieden über Vergangenes sprechen konnten. – Ein – wie ich heute, vierzig Jahre nach dem Tod des Großvaters, weiß – 1929 erschienenes Buch zur Würdigung der „heroischen Leistungen“ der Baltendeutschen im Kampf gegen den Bolschewismus ist 1939 im faschistischen Deutschland neu aufgelegt und in der Bundesrepublik als Reprint – also: unverändert – erneut an die Öffentlichkeit gebracht worden. Im Gegensatz dazu hat sich mein Großvater mit seinem damaligen Tun nie gebrüstet. Er hat im Gegenteil seine hervorragende Kenntnis der russischen Sprache zur engen Zusammenarbeit zwischen der sowjetischen und der DDR-Wissenschaft genutzt. – Warum ich das erzähle? Weil ich aus aller geschichtlicher Erfahrung weiß, dass 100.000.000.000 Euro und antirussischer Furor nicht zum Frieden führen werden, es hingegen sehr wohl nützlich sein könnte, die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und unser heutiges Wissen darum zu mobilisieren, um zu Verständigung zu gelangen. Deutsche Soldatinnen und Soldaten – um wieder konkret zu werden – in den baltischen Republiken sind kein Verständigungs-, sondern ein Konfrontationssignal. Die 100.000.000.000 Euro nützen nicht der Ukraine, sondern deutschen und westlichen Machtinteressen. Die sich natürlich mit ganz bestimmten Interessen in den osteuropäischen verbinden. Ist es nicht verstörend, dass man meinen Großvater im heutigen Riga als Helden feiern würde?
Nur eine kurze Frage: Was wissen Sie, Herr Adolphi, über die gegenwärtige Gemütslage, das Sicherheitsbedürfnis der Menschen im Baltikum, in Polen?
Stephan Wohanka
Lieber Herr Wohanka, vielen Dank für Ihre Frage. Ich kann sie freilich nicht beantworten. – Erinnerungssplitter gibt es an eine Lettlandreise 2014, als am Imbiss auf dem riesigen Fischmarkt eine ältere Frau, die vor mir stand, von der jungen Frau hinterm Tresen angeherrscht wurde, mich vorzulassen. Ich brauchte eine Weile, die Konstellation zu begreifen: die junge Frau Lettin, die ältere Russin, und ich: der Deutsche. Ich habe mich natürlich nicht nach den Anweisungen der jungen Frau gerichtet, habe darauf bestanden, dass der Reihe nach bedient wurde, aber das Klima war scheußlich. – Ist eine Momentaufnahme, natürlich. Aber sagt etwas darüber aus, dass die Gemütslage „der Menschen“ ganz gewiss nirgends eine allgemeine und gleiche sein wird. – Ich will hier weder streiten noch Recht haben. Ich habe 10 Jahre intensiv daran gearbeitet und eine Menge Literatur dazu gewälzt, zu begreifen, wie meine Großeltern mit deutschbaltischer Herkunft durch ihr 20. Jahrhundert gekommen sind. Jetzt sind wir innerhalb weniger Tage in eine Zeit geraten, in der die aus solchen Forschungen erwachsende Nachdenklichkeit wenig gilt. Meine Wortmeldung galt dieser Nachdenklichkeit.
Lieber Herr Adolphi,
ich teilte gern Ihre auf intensiver Arbeit beruhende Nachdenklichkeit; aber gestehe, dass das mir im Moment schwerfällt. Zu viel ist geschehen, geschieht… Die Meldungen aus den Kriegsgebieten der Ukraine werden schlimmer, die Bombardierungen auch ziviler Objekte nehmen offenbar zu, die Zahl der Toten steigt.
Zuerst aber zu meiner Frage. Wie Ihnen liegt auch mir aus persönlichen Gründen der Osten Europas am Herzen. Und was ich von dort höre, ist von Angst geprägt, von Angst vor einem russischen Überfall. Der Putinsche Krieg hat eine enorme Wirkung auf die Menschen. Das Sicherheitsbedürfnis offenbar vieler Menschen ist sehr hoch; und die NATO erscheint auf diesem Hintergrund vielen als ein Schutz. Wenn Sie schreiben, dass „deutsche Soldatinnen und Soldaten …. in den baltischen Republiken kein Verständigungs-, sondern ein Konfrontationssignal (sind)“ – ist das der dortigen Realität noch angemessen?
Ich teile nicht die jetzt allenthalben zu hörende Kritik, namentlich die deutsche Außenpolitik sei zu naiv gegenüber Russland gewesen. Nein – bei allen Einwänden, die gegenüber jedweder Politik erhoben werden können, war es richtig, auf Handel, Austausch, Dialog, menschliche Begegnungen, auf gegenseitige Interessen zu setzen; auf vielen Ebenen. Alle konnten dabei letztlich nur gewinnen. Scholz hat bei seinem Besuch in Moskau noch „Anhaltspunkte“ für eine „gute Entwicklung“ gesehen. Um so unverständlicher ist es daher, dass Putin mit dem Einmarsch in das Nachbarland jedwedem Dialog ein Ende setzte. Und nicht nur das – er hat dafür gesorgt, dass die „hirntote“ NATO sich wiederbelebte, dass hierzulande ein gigantisches Aufrüstungsprogramm mit Zustimmung weiter Teile unserer Bevölkerung ins Werk gesetzt werden wird.
Ich denke aber auch, dass dieser Krieg und die dahinter stehende Rüstung gegen die ureigenen Interessen Russlands steht, die zunehmend fragilere Erdöl- und Erdgas-Wirtschaft in eine moderne, zukunftsfähige Ökonomie aus- und umzubauen, um das Land zu modernisieren. Die westlichen Sanktionen tun ein Übriges, diesen Prozess zu behindern.
Es gäbe noch mehr zu sagen…
Alles in allem – rundherum nur Verlierer.
Vor etwa sechzig Jahren wurde bei uns im Erdkundeunterricht in einer Kurzarbeit die Frage gestellt: Was trennt Frankreich und England? Ein Mädchen antwortete: Adenauer.
Und nun lese ich die neue Nummer des Blättchens. Putin fällt über die Ukraine her … und wer ist schuld? Letztlich: Adenauer.
Auch man selbst, so heißt es im Editorial dieser Nummer, habe versagt. Aber weshalb? Das hätten die, die hier seit Jahr und Tag zum Thema „Russland und der Westen“ tonangebend sind, doch wohl mal erklären müssen. Und ebenso diejenigen, die diese Autoren immer wieder haben zu Wort kommen lassen. Ich hatte allerdings schon vorab Zweifel, ob das geschehen wird; am Nachmittag des 26. 2. hatte ich der Redaktion gemailt:
Schuld an der ganzen Misere, so werden sie uns wieder einmal erklären, ist letztlich … na wer wohl? „Auf rechthaberischen Realitätsverlust, von wem oder welcher Ideologie auch immer er ausgeht, ist scharfer Gegenwind die einzig angemessene Antwort“ heißt es im Editorial /gemeint ist das Editorial 2.0 des Blattes – E. W./. Den Wind würde ich mal gern machen. Aber vielleicht ist es ja auch nicht nötig – das würde mich allerdings freuen.
Meine Befürchtungen waren berechtigt, aber sie wurden noch übertroffen: Die Frage nach den Gründen eines fundamentalen Fehlurteils wird nicht einmal gestellt, aus dem Editorial spricht der Wille, im Grunde weiterzumachen wie bisher. Und dem entspricht auch der allergrößte Teil der Texte. Da wird der Versuch einer Aufklärung sinnlos.
Erhard Weinholz.
Sehr geehrter Herr Weinholz,
ja, wir haben uns geirrt, fürchterlich geirrt. Der Hinweis darauf, dass wir diesbezüglich nicht allein sind, entlastet uns nicht. Allerdings werden wir deshalb nicht die Vorgeschichte des schrecklichen Geschehens in der Ukraine vergessen. Und wir nehmen uns das Recht heraus, darauf zu verweisen. War der Gang der Ereignisse unabwendbar? Hätte vor Jahren oder Jahrzehnten ein anderer Weg eingeschlagen werden können, werden müssen, auf dem der Krieg umgangen worden wäre? Diese Frage zu stellen, soll die Unrechtmäßigkeit des russischen Angriffs auf die Ukraine nicht um das Mindeste relativieren. Wer sie indes nicht stellt, kann aus Geschichte nichts lernen.
Hochachtungsvoll
Detlef-Diethard Pries
Korrektur eines Fehlers
Besteige das Podium. Dort steht ein Stuhl. Setz dich. Sitz gerade! Und jetzt fordern wir dich auf: Übe Selbstkritik! Uns reicht nicht, dass du einen Fehler einräumst und deine Arbeit korrigierst. Wir wollen wissen, warum du dich geirrt hast. Du hast die Lage falsch eingeschätzt? Das reicht nicht aus. Warum hast du die Lage falsch eingeschätzt? Du habest es nicht besser gewusst, das genügt uns nicht. Warum hast du es nicht besser gewusst? Du bist ein gebildeter Mensch. Warum hast du es nicht besser wissen wollen? Du sagst, weil du es nicht konntest und berufst dich auf Tatsachen. Wer hat dir diese Tatsachen eingeredet? Jetzt nähern wir uns doch des Pudels Kern! Gibst du zu, dass deine Tatsachen nicht die deinigen sind, sondern die unseres Gegners? Gibst du zu, dass damit einer schlechten Sache gedient wurde? Du wirst uns zustimmen, dass die Diener einer schlechten Sache Bestandteil dieser schlechten Sache sind. Stimmst du uns zu, dass im Interesse der guten Sache die schlechte Sache ausgemerzt werden muss?
Verlass nun den Saal und warte draußen. Ich werde jetzt mit mir beraten, ob wir dir verzeihen können. Ich erwarte, dass du uns zustimmst.
Liebe Redaktion, vielen Dank für dieses Heft!
Liebe Freundinnen und Freunde des „Blättchens“,
angefragt, ob bei uns „Funkstille“ angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine herrsche, möchte ich mitteilen, dass sich das am Montag erscheinende Heft mit seinem überwiegenden Teil diesem Thema sehr dezidiert und mit deutlichen Positionierungen stellen wird. Wir sind keine Tageszeitung, wir „machen“ diese Zweiwochenschrift nicht hauptberuflich. Seit dem Morgen des 24. Februar sind wir mit der Erstellung dieser Ausgabe befasst. Die Ereignisse in und um die Ukraine haben auch unsere Planungen gründlich betroffen.
Bitte haben Sie dafür Verständnis …
Wolfgang Brauer (Redaktion)
Das Theater an der Parkaue hat sich eine neue Dienstverordnung gegeben, die laut Berliner Zeitung „besagt: Es wird unwiderleglich vermutet, dass jemand beleidigt oder diskriminiert wurde, wenn er sich beleidigt oder diskriminiert fühlt“.
An anderer Stelle wurde zu dem besagten Theater festgestellt: „Es gibt keine Sprachfähigkeit, was Diskriminierung angeht“. Am Theater keine „Sprachfähigkeit“? Wo, wenn nicht dort, wo seit je her alles an menschlicher Größe und Gemeinheit verhandelt wird; ich bin ratlos.
25. Jahrgang | Nummer 4 | 14. Februar 2022 / Freiheit die ich meine
„Ich würde nicht sagen, dass ein Nadelstich in den Oberarm so hoch veranschlagt werden müsste wie ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit. Da ist ein starker Übertreibungsfaktor mit im Spiel“. Das kann man so stehenlassen.“
Wenn der Autor Stephan Wohanka das so stehenlassen möchte, dann soll er es für sich tun. Aber „man“ steht im Deutschen für eine Verallgemeinerung, und das kann „man“ dann eben nicht so stehen lassen. Schon gar nicht, wenn man den staatlichen Zwang berücksichtigt, der viele de facto zu dem Nadelstich zu zwingen versucht und die Tatsache, dass dieser „man“ mit durchaus nicht seltenen Impffolgen allein dasteht, da „man“ sich per Unterschrift verpflichtet hat, diese selbst zu tragen …
Freiheit ist das nun wahrlich nicht!
„Man“ ist wenigstens mir zuordenbar; wer oder was ist „Borsalino“? Unter dem Hut sollte immer ein erkennbarer Kopf sein…
Ich frage mich, mit welchem Recht Bruni Butzke in der jüngsten Nummer des „Blättchens“ Menschen, die für eine bessere DDR eingetreten sind und dafür mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, mit Stasi-Schikanen und mitunter sogar Haft bestraft wurden, als „selbsternannte ‚DDR-Opposition'“ verunglimpft.
Mario Keßler hat mit „Zweierlei Denkmalsturz“ einen interessanten Artikel geschrieben, schon wegen der vielen wenig bekannten Fakten, die er darin berichtet. Seine Beurteilung der ukrainischen Entwicklungen teile ich, und seine Sicht auf die US-amerikanischen halte ich zumindest für sehr bedenkenswert. Im Grunde beklagt er ja, dass „Identitätsfragen“ im weitesten Sinne die sozialen in den Hintergrund gedrängt haben. Genau das ist ja auch das Thema von Sahra Wagenknechts Buch „Die Selbstgerechten“. Ich frage mich aber, ob nicht in uns Menschen, zumindest den meisten von uns, psychische Mechanismen angelegt sind und eben auch bewusst und unbewusst wirken, die tatsächlich die Bindung an eine ethnische Gemeinschaft, mag sie sich nun durch Hautfarbe, Sprache, Religion oder Kultur von anderen unterscheiden, stärker sein lassen als das Gefühl der Gemeinsamkeit aufgrund einer vielleicht objektiv ähnlichen sozialen Lage oder wirtschaftlichen Stellung. Die Weltgeschichte lehrt ja, dass Menschen sich mehrheitlich von nationalen oder religiösen Aufwallungen öfter und stärker haben mitreißen lassen als beispielsweise vom Wunsch nach einem Umsturz der Besitzverhältnisse. (Was ich meine, lässt sich ganz einfach bei mannschaftssportlichen Großereignissen wie einer Fußball-WM beobachten.) Der Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch“, ist vermutlich genau deshalb letztendlich ins Leere gelaufen, und deshalb haben auch z.B. Vorschläge wie der eines „solidarischen Lockdowns“ in der Corona-Krise so ärgerlich naiv gewirkt. Im Zweifelsfall werden sich Menschen in ihrer Mehrheit an der ethnischen, sprachlichen, religiösen Herkunftsgruppe orientieren, mag die auch noch sehr konstruiert sein, und eher vielleicht noch die sexuelle Ausrichtung über irgendeine soziale Zugehörigkeit stellen. Und während manche Linke dies nun vielleicht immer noch als Ergebnis einer langen ideologischen Zurichtung interpretieren und den „Besitzenden“ in die Schuhe schieben, vermute ich vielmehr, dass eine so verstandene, vor allem aber gefühlte (man unterschätze nicht die Emotionen!) und letztendlich gelebte Identität und Gruppenbindung ihren guten evolutionären Sinn hatte. Ich schreibe „hatte“, denn das muss ja heute im Anthropozän nicht mehr zwingend so sein. Dass die Mechanismen aber funktionieren, und dafür hat Mario Keßlers Artikel gute Beispiele geliefert, lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten.
Lieber Erhard Weinholz,
viele dieser Erinnerungen teile ich mit Ihnen (und wohl auch mit vielen Lesern). Aber können Sie sich tatsächlich nicht mehr an die „Moskauer Gurken“ erinnern? Wir fanden sie damals (wie noch heute) zu süß, wenn schon Süßes aus dem „großen Bruderland“, dann Mischka-Konfekt (das in meiner thüringischen Heimatstadt Ehefrauen sowjetischer Offiziere gelegentlich auf dem Wochenmarkt feilboten) und vor allen das „Moskauer Eis“. Ob es tatsächlich aus Moskau kam? Wer weiß das schon …
Lieber Ralf Nachtmann,
ich habe eine Weile nicht ins Forum geschaut, daher die später Antwort. An Moskauer Gurken kann ich mich tatsächlich nicht erinnern – war das ein Import? Oder ein hiesiges Produkt nach Moskauer Rezept? So etwas gab es ja auch, man brachte Rezepte zum Beispiel vom Erfahrungsaustausch mit dortigen Kollegen mit. Oder wurden die vielleicht im Magazin verkauft, im Volksmund Russen-Magasin genannt? Da bin ich nämlich nie gewesen – ich weiß nicht einmal, wo hier in Berlin die Garnisons-Standorte waren.
Viele Grüße: Erhard Weinholz.
Klimakrise? Coronakrise? Naturkrise?
Wo liegt mein Denkfehler? Vielleicht kann jemand helfen?
Seit wann gibt es in der Natur Krisen?
In welchem naturwissenschaftlichen Fach und an welcher Stelle habe ich geschlafen, als ich im Biologieunterricht saß oder in Erdkunde, Chemie oder Physik?
Wo um Himmelswillen wurde jemals gesagt, dass Naturprozesse auch Krisenprozesse sein können?
Klimaerwärmung, Klimawandel, Artensterben und Naturwandlungen ja. Diese Begriffe lassen sich problemlos in mein geistiges Reich integrieren.
Aber warum soll ich mit dem Begriff Krise etwas kennzeichnen, dass ohne jegliche Eigenschaften von dem ist, wofür der Begriff Krise im menschlichen Zusammenleben gedacht ist?
Ich verstehe es nicht.
Im Moment helfe ich mir mit den Begriffen objektive Wahrheit und nützliche Wahrheit.
Objektive Wahrheit ist entmenschlichte Wahrheit und nützliche Wahrheit ist vermenschlichte Wahrheit.
Naturkrise, Klimakrise und Coronakrise sind nützliche Begriffe. Mir nutzen sie nicht. Weil sie die Erkenntnis der ganzen objektiven Wahrheit von Klimawandel, Naturwandel und der Virenentwicklung verschleiern.
Klimakrise? Coronakrise? Naturkrise? Sie stellen diese Fragen im Blättchen. Da liegt es nahe, Sie auf Texte in ebendiesem Medium zu verweisen, die wenn schon keine erschöpfende Antwort auf Ihre Fragen geben, so doch Hinweise, Denkanstöße.
Was die Wahrheit angeht, die Ihnen mal objektiv, nützlich respektive entmenschlicht oder vermenschlicht erscheint, will ich Ihnen ein etwas längeres Zitat von Antonio Gramsci anbieten, der zwar nicht von „Wahrheit“ spricht, jedoch die Sie interessierenden Aspekte aufzeigt: „Das breite Publikum glaubt nicht, dass man überhaupt das Problem aufwerfen kann: Existiert die äußere Welt objektiv? Möglich, dass eine außerhistorische und außermenschliche Objektivität besteht. Aber wer könnte das entscheiden? Wer kann ´vom Standpunkt des eigenen Kosmos in sich´ überhaupt wahrnehmen und was bedeutet daher ein solcher Standpunkt? Man kann mit einiger Sicherheit annehmen, dass es dabei um die Reste eines Gottesbegriffes geht im Sinne der mystischen Konzeption des unbekannten Gottes.
Die Formulierung […], dass die objektive Realität existiert, beruft sich auf die Geschichte und den Menschen. Objektiv heißt immer ‚menschlich objektiv’, was genauer genommen der Bezeichnung ‚historisch subjektiv’ entspricht, und so bedeutet ‚objektiv’ so viel wie ‚allgemein verbreitet subjektiv’. Der Mensch erkennt objektiv in dem Maße, in dem die Erkenntnis real ist für die gesamte Menschheit, die historisch in einem einheitlichen Kultursystem vereint ist. Die Konzeption der ‚Objektivität’ nach dem metaphysischen Materialismus soll, wie es scheint, auch eine Objektivität bedeuten, die außerhalb des Menschen existiert. Wenn man behauptet, dass irgendeine Realität auch dann existiere, wenn kein Mensch existiere – so meint man damit entweder eine Metapher oder aber verfällt in eine Form des Mystizismus. Wir kennen die Realität nur im Zusammenhang mit dem Menschen, und wenn der Mensch ein ‚historisch Gewordenes’ ist, so ist auch die Erkenntnis und die Realität Gewordenes.“
Sehr geehrter Herr Wohanka,
was Sie zu den USA und der NATO anmerken, erscheint ja nicht unplausibel. Fakt bleibt aber, dass Washington und die NATO die militärische Einkreisung der europäischen Kerngebiete Russlands seit Ende der 1990er Jahre systematisch vorangetrieben haben und weiter fortsetzen. Gerade heute früh (20.01.22) kam folgendes über den Äther:
https://www.deutschlandfunk.de/slowakei-streit-um-militaerabkommen-mit-usa-dlf-d4ad7b6e-100.html
Demnächst also zwei weitere US-Militärflughäfen in vorgeschobenen europäischen Positionen.
Nach Rumänien wird in Polen in absehbarer Zeit ein zweiter US-Raketenabwehrkomplex in Dienst gegen, der auch zum Abschuss offensiver nuklearer Cruise Missiles geeignet ist.
Unser östliches Nachbarland stand im vergangenen Jahr im Zentrum von Defender 21, einem der größten NATO-Manöver seit Ende des Kalten Krieges (https://www.europeafrica.army.mil/defendereurope/), inklusive der Verlegung von Großverbänden aus den USA direkt nach Polen.
Usw. usf.
Mit besten Grüßen,
Markus Hildebraa
Sehr geehrter Herr Hildebraa,
ich könnte meine Antwort folgendermaßen beginnen: Ach, sieh mal an, wieder aufgetaucht, der Herr Hildebraa … vielleicht einen Russischkurs absolviert, um den Artikel 5 … usw. Aber was soll’s? Zu DDR-Zeiten ist im Verlag der Weltbühne ein dicker Band mit Beiträgen Ossietzkys erschienen – ich fand es beeindruckend, wie O. mit Leuten umgegangen ist, die anderer, mitunter sogar ziemlich anderer Meinung waren als er: Er näherte sich ihnen, so scheint mir, immer mit einem gewissen Respekt. Also ganz anders als Sie, der Sie einem gern leicht höhnisch und schräg von oben herab kommen. Wenn Sie das aus irgendwelchen Gründen brauchen — es gibt genug Foren, wo Sie sich entsprechend betätigen können. Dem Blättchen-Forum jedenfalls scheint mir Ihre Art nicht angemessen zu sein.
Inhaltlich möchte ich nur anmerken: Dass ein Staat eine politische Rollen spielen will, vielleicht auch spielen muss, die ihn wirtschaftlich überfordert, ist nichts Neues. Schon dem Österreich der Metternich-Zeit ging es so. Und zur Bedeutung der Ukraine für Russland im von mir beschriebenen Sinne hat sich, wie ich gestern fand, bereits vor gut dreißig Jahren Brzezinski geäußert. Heruntergewirtschaftet oder nicht – man kann sich die Objekte seiner Begierde eben nicht immer aussuchen.
Es grüßt Sie: E. W.
Dass Putin der einstigen Weltmachtrolle der UdSSR nachtrauert, mag tatsächlich nicht Konsens unter Blättchen-Lesern und -Schreibern sein.
In seiner Rede zur Lage der Nation im April 2005 sagte Putin: „Der Zerfall der Sowjetunion war die größte geopolitische Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts“. In einem Interview wiederholte er kürzlich: „Was ist denn der Zerfall der Sowjetunion? Das ist der Zerfall des historischen Russland unter den Namen Sowjetunion“. Klar scheint dann doch zu sein, dass Putin wenn schon nicht der Weltmachtrolle, so doch zumindest dem dem Russischen Imperium und das in Gestalt der Sowjetunion nachhängt. „Ganz besonders vorsichtig muß eine Nation wie die Großrussen sein, die in allen anderen Nationen erbitterten Haß gegen sich geweckt hat“, meinte zumindest Lenin im März 1919.
Ins Bild passt dann auch, dass beim jüngsten Channel One Cup Finale gegen Finnland das russische Eishockey-Nationalteam mit „passendem“ Trikot auflief: CCCP stand auf den rot-weißen Trikots; also UdSSR in kyrillischer Schrift. Die finnische Reaktion war not amused; der Präsident des russischen Eishockeyverbandes, Wladislaw Tretjak, nannte es eine Hommage an das erste Olympische Gold der Russen vor 65 Jahren: „Wir wollten damit unsere Fans und auch die Mannschaft überraschen. Die Spieler sollten die Tradition, die von unseren Großvätern begründet wurde, spüren, als sie 1956 in genau diesem Trikot Olympiasieger wurden“.
Ich frage mich dann schon, ob mit diesem Blick in die Vergangenheit nicht doch mittelbar auch Erinnerungen an die einstige territoriale – und indirekt natürlich so auch politische – Größe wachgehalten werden, virulent bleiben?
Als das Militärbündniss OVKS während der bewaffneten Unruhen in Kasachstan auf dessen Bitten eingriff, untermauerte Putin diesen Einsatz: Man werde nicht zulassen, dass es zu Destabilisierung oder einer „Farben-Revolution“ komme. Er nahm damit offenbar Bezug auf Aufstände in anderen Ex-Sowjetrepubliken, etwa der „Orangenen Revolution“ 2013/14 in der Ukraine. Und hält sich nicht auch Lukaschenko nur mit russischer Hilfe im Amt?
Es ist schon grundsätzlich festzuhalten, dass die früheren Sowjetrepubliken heute souveräne Staaten sind, die ihre innere politische Ordnung selber regeln dürfen, ohne Putins Veto.
Und: Was machen 100.000 russischen Soldaten in großer Nähe zur Ukraine? Auf seiner traditionellen Pressekonferenz zum Jahresende vermied Putin mehrfach eine klare Antwort auf die Frage, ob Truppen ins Nachbarland einmarschieren werden. Russland werde so handeln, wie es seine Sicherheitsinteressen verlangten; wörtlich: „Wir wollen unsere Sicherheit festigen“ und eine „Nato-Osterweiterung“ sei „nicht zu akzeptieren“. Aber gibt es überhaupt eine Beitrittsperspektive für die Ex-Sowjetrepublik Ukraine? Meines Wissens nicht.
Herr Dr. Markus Hildebraa verlinkt in seinem Beitrag einen Text in der ZEIT. Dort heißt es: „In Russland lagern heute mehr Nuklearsprengköpfe als in den drei Nato-Kernwaffenstaaten USA, Großbritannien und Frankreich zusammen. Moskau unterhält eine breite Palette von Trägersystemen für seine Tausenden Atomwaffen – von Interkontinentalraketen über Langstreckenbomber bis zu Atom-U-Booten. Es verfügt über eine der drei mächtigsten konventionellen Armeen der Welt sowie über ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. Die Russische Föderation ist damit einer der militärisch sichersten Staaten der Welt“. Ist dem nicht zuzustimmen?
Er schreibt selbst von den „heute im Vergleich zur UdSSR noch sehr viel unzulänglicheren wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen Moskaus“. Mir kommt es nicht zu, Ratschläge zu erteilen – aber läge da nicht eine Konzentration der Kräfte auf den Auf- respektive Ausbau ebendieser Ressourcen nahe?
Wenn man als Diskutant ernst genommen werden will, Herr Wohanka, dann sollte man die Gegenseite nicht erst entstellend zitieren, nur damit die eigene Argumentation anschließend umso besser greift: Putin mag der Weltmachtrolle der UdSSR n a c h t r a u e r n. Das war jedoch nicht der Punkt der bisherigen Debatte. Vielmehr weiß Herr Weinholz, sich im Konsens „mit allen anderen“ wähnend, dass Putin diese Rolle w i e d e r h e r s t e l l e n will. Und nur d a r a u f habe ich repliziert.
Wie allerdings provokante Beschriftungen auf den Trikots russischer Eishockeyspieler aus den von mir erwähnten unkalkulierbaren Bürden, die Russland sich mit einer Invasion oder gar „Einvernahme“ der Ukraine allein wirtschaftlich aufladen würde, eine Quantité négligeable machen sollten, erschließt sich mir nicht.
Sie zitieren im Übrigen das Kollegium, das in der ZEIT erklärt hat: „In Russland lagern heute mehr Nuklearsprengköpfe als in den drei Nato-Kernwaffenstaaten USA, Großbritannien und Frankreich zusammen. Moskau unterhält eine breite Palette von Trägersystemen für seine Tausenden Atomwaffen – von Interkontinentalraketen über Langstreckenbomber bis zu Atom-U-Booten. Es verfügt über eine der drei mächtigsten konventionellen Armeen der Welt …. Die Russische Föderation ist damit einer der militärisch sichersten Staaten der Welt“.
Das scheint auch Ihre Auffassung zu sein, denn Ihre Anschlussfrage („Ist dem nicht zuzustimmen?“) erscheint mir als bloß rhetorisch. Wenn die Faktenlage Sie tatsächlich interessierte, dann wäre der Frage dank Internet und Google ja leicht auf den Grund zu gehen gewesen.
Ich jedenfalls bin mit vertretbarer Mühe zumindest auf folgendes gestoßen:
– Die jährlichen Militärausgaben allein der USA übertreffen diejenigen Russlands um mehr als das Zehnfache, den Rest der NATO gar nicht mitgerechnet. (Wobei allein Deutschland inzwischen per anno fast so viel wie Moskau ins Militär steckt.)
– aktives Militärpersonal (in Millionen): NATO 3,2, davon USA 1,8; Russland 0,9;
– Flugzeugträger: NATO 16, davon USA 11; Russland 1;
– Kampfflugzeuge und Bodenkampflugzeuge: NATO 5043, davon USA 3002; Russland 711;
– Luftüberwachungsflugzeuge: NATO 134, davon USA 111; Russland 18;
– Angriffshubschrauber: NATO 1290, davon USA 862; Russland 414;
– Kampfpanzer: NATO 9042, davon USA 2509; Russland 3300;
– Artillerie: NATO 26271, davon USA 6941; Russland 5754.
Diese Zahlenangaben aus dem Jahre 2021 entstammen westlichen Quellen.
Dass sich die NATO seit Ende der 1990er Jahre bis direkt an russische Grenzen vorgeschoben hat, verleiht dem bestehenden konventionellen Kräfteungleichgewicht zusätzliche Bedeutung.
Und was die strategischen Kernwaffeneinsatzmittel anbetrifft, da besteht zwar die durch New Start vertraglich fixierte Parität zwischen den USA und Russland. Bei der sind Frankreich und Großbritannien jedoch bekanntlich außen vor.
Weitere westliche Vorteile kommen hinzu: So können etwa strategische US-Langstreckenbomber praktisch von jedem geeigneten Militärflughafen in NATO-Europa (z. B. in Deutschland oder Polen) auf kurzem Weg russische Kerngebiete ansteuern.
Doch damit genug der Details. Wer angesichts der realen militärischen Gegebenheiten nicht verstehen will, dass Russland sich selbst keineswegs als „einen der militärisch sichersten Staaten der Welt“ betrachten kann, der ist an einer sachlichen Debatte dieser Fragen offenbar nicht wirklich interessiert.
Lieber Herr Wohanka,
dass es da einen Konsens gibt, habe ich in der Tat voreilig behauptet – es gibt ihn offensichtlich nicht. Auf das Putin-Zitat von 2005 bin ich auch gestoßen; Putin betont dort den geopolitischen Aspekt des Untergangs der UdSSR, es geht also um den Verlust der Rolle als Weltmacht. Die SU hat in dieser Rolle, so scheint mir, anders agiert als die Weltmacht Nr. 1, nicht so weltumspannend (höchstens als ständiges Mitglied des UN-Weltsicherheitsrates). Aber man sah sich auf Augenhöhe mit den USA, in der damaligen ökonomischen Literatur waren sie immer der Bezugspunkt im Systemvergleich, Europa spielte keine Rolle. Dass man von diesem Verlust nicht nur aus nostalgischen Gründen spricht, halte ich für sehr wahrscheinlich. Aber man sollte dabei im Auge behalten, was die Weltmachtrolle für die SU bedeutet hat.
Wovon die militärische Sicherheit jeweils abhängt, ist schwer zu sagen. Auf alle Fälle bedeuten mehr Waffen, selbst mehr wirkungsvollere Waffen, nicht schon ein Mehr an Sicherheit. Aber die eigentlichen Probleme im Verhältnis zwischen Westen und Russland sehe ich nicht hier, im Bereich der Waffen, sondern, das geht jetzt an die Adresse von Herrn Hildebraa, in der Interessenlage, im Konfliktinteresse. Putin braucht den Konflikt mit dem Westen zur Stabilisierung seiner Herrschaft, das Umgekehrte hingegen gilt, aus verschiedenerlei Gründen, heutzutage nicht mehr. Und eine noch andere Geschichte ist es, wie ich mich als Parteiloser, der seit Jahrzehnten für einen freiheitlichen und demokratischen Sozialismus eintritt, in alledem positioniere – aber das will ich hier nicht diskutieren.
Viele Grüße sendet Ihnen Erhard Weinholz.
Sehr geehrter Herr Hildebraa,
lassen Sie mich Ihren Schluss aufgreifen – „doch damit genug der Details“. Ich verhehle nicht – und da denke ich, sind wir einer Meinung -, dass mich die Lage stark beunruhigt.
Russland fühlt sich unsicher. Wer aber will dieses Land angreifen? Jetzt und auch in absehbarer Zukunft? Die Ukraine? Eine rhetorische Frage; angesichts aller Fakten, die ich kenne. Dass das Land seine Verpflichtungen aus dem Minsker Abkommen nicht einhält, ist bekannt. Die NATO? Das wäre gleichbedeutend damit, dass die USA diesen Krieg führten, denn ohne sie geht in der NATO gar nichts. Ich denke, dass auch Einigkeit darüber besteht, dass für die USA der strategische Rivale China ist und nicht Russland. Biden setzt Trumps politischen Kurs ungebrochen fort. (Wie Gysi gestern im RBB sagte, habe er in Washington gehört, dass Biden sich sofort dreimal bei Putin dafür entschuldigt habe, ihn „Mörder“ genannt zu haben. Bidens Berater hätten ihm klargemacht, dass er Putin nicht den Chinesen in die Arme treiben dürfe mit derartigen Mätzchen). Im Gegenteil – den USA passt es wahrscheinlich gar nicht in den Kram, sich dem europäischen Kontinent in dieser Intensität widmen zu müssen.
Insofern kann ich nur hoffen – und auch diese meine Meinung werden Sie mit mir teilen -, dass Vernunft auf allen Seiten einkehrt und wir Europäer – wozu die Russen unbedingt zählen! – den Bau des „europäische Hauses“, von dem einstmals Gorbatschow und nun auch Baerbock in Moskau sprach, durch Kooperation, Handel, kulturellen Austausch und adäquate politische Aktionen beginnen respektive fortsetzen können.
Stephan Wohanka
Lieber Herr Weinholz,
wenn man will, kann man die Eingangsworte Ihres Textes mit den letzten in Beziehung setzen – es ging Putin, wie Sie sagen, um den „geopolitischen Aspekt“ des Untergangs der UdSSR und nicht um den Kollaps des Sozialismus; was bezeichnend ist, wenigstens lassen seine Worte und ihre spätere Bekräftigung nur diesen Schluss zu.
„Was die Weltmachtrolle für die SU bedeutet hat“? Als damals Politische Ökonomie Lehrender an einer Universität habe ich die Tabellen quasi noch vor Augen – die des Systemvergleiches und namentlich die zu den Zahlen SU – USA: Es ging 70., 80. Jahren um die Produktion von Weizen, Stahl, Zement, Erdöl usw. Alles wichtige Güter, die SU sah dabei nicht schlecht aus; es fehlten jedoch die zu Mikrochips. Lag es nun am „System“, dass das „technological gap“ immer größer wurde? Ich bejahe die Frage.
Wenn Sie nun als „Parteiloser für einen freiheitlichen und demokratischen Sozialismus“ eintreten, so kann das aus meiner Sicht der Dinge nur heißen, dass Sie damit einer Utopie folgen; einer Utopie, die Sie und viele andere am Laufen hält. Fernando Birri, ein argentinischer Filmemacher sagte sinngemäß: Die Utopie hält uns am Laufen. Sie ist am Horizont; gehst du 20 Schritte auf sie zu, entfernt sie sich 20 Schritte; rennst du, rennt sie auch. Sie hält uns am Laufen… Und das ist nichts Schlechtes!
Beste Grüße
Stephan Wohanka
Sehr geehrter Herr Hildebraa,
ich bin kein Militärexperte; denke aber, dass Sie Recht mit dem haben, was Sie „militärische Einkreisung der europäischen Kerngebiete Russlands“ nennen. Wenn meine Anmerkungen zur NATO und den USA „nicht unplausibel“ sind, ergäben die vorgeschobenen US-Positionen den Sinn, die europäische Flanke zu sichern, um eben wirklich freie Hand im pazifischen Raum zu haben. Und dass moderne Waffensysteme einen Defensiv- und Offensivcharakter gleichermaßen besitzen können, ist wohl auch so. Und ich bin überfordert, das wirklich wichten zu können.
Was Polen und auch die baltischen Staaten angeht, so kann ich zumindest für Polen sagen, dass trotz des Getöses, das die jetzige polnische Regierung in der „Deutschlandfrage“ – Stichwort Reparationen – macht, die Phobie vor Russland tiefer sitzt als die historisch berechtigten Vorbehalte gegenüber Deutschland. Etwas näher habe ich das in einem Blättchen-Artikel von 15.09.14 ausgeführt. Darin sehe ich den Grund, dass unser Nachbarland sich der NATO willig andient.
Ebenfalls mit besten Grüßen
Stephan Wohanka
Sehr geehrter Herr Weinholz
Über was schwadronieren sie? Kujats Vorschläge für die schrittweise Lösung eines aktuelles Problems, was die Brisanz hat, der ganzen Welt in Kürze um die Ohren zu fliegen, für Naiv zu halten, ist ohne Verlaub, schon starker Tobak.
Der General ad. Kujat ist wenigstens einer der den Mund aufmacht und Vorschläge unterbreitet wie diese verfahrene Situation im Umfeld der Ukraine einer Lösung zugeführt werden kann. Ob das Ganze von ihm vorgeschlagene Paket realistisch ist, wird sich dann zeigen, wenn beide Seiten willig sind ernsthaft zu verhandeln.
Dann glasklare Meinung von einem Menschen der sich diesem Thema gewidmet hat und weiter widmen wird, ich lehne ihren sogenannten „Konsens“ vehement ab.
Was sie als ihren Konsens verkaufen und es gern anderen Menschen überstülpen wollen, ist hinsichtlich Putins und der Rolle Russlands in der Weltpolitik geopolitisches Denken der USA und hat mit einem realistischen Weltbild nichts gemein.
In ihren mehrfachen Stellungnahmen klopfen sie ständig auf den Belowesher Vertrag herum , dem Putin nicht nachgekommen sein soll. Hat die Ukraine von Anfang an eine weiße Weste bei der Umsetzung des Vertrages oder steht dort auch wie sich die Staaten der GUS verhalten sollen, wenn eine demokratisch gewählte Regierung, als Signatar dieses Vertrages, wie demokratisch sie auch immer gewesen ist, unter bemerkenswerter Unterstützung der USA aus dem Amt geputscht wird?
Geopolitisches Ziel der USA war und ist es die Ukraine und auch andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion aus deren Einflusssphäre zu lösen. Stellen sie das in Zweifel oder ist ihnen dieser Fakt unbekannt?
Dann schwadronieren sie weiter „Russland hat die Atomwaffen der Ukraine bekommen“, klingt als hätte sie die jemals besessen. Das würde bedeuten bereits vor dem Zerfall der Sowjetunion wären die Sowjetrepubliken Kasachstan, Belarus und die Ukraine, Atommächten gewesen. Das wäre mir völlig neu. Die Wahrheit ist, auf dem Staatsgebiet der Sowjetunion waren Atomwaffen, die unter sowjetischer Befehlsgewalt standen, in diesen Sowjetrepubliken stationiert.
Die Russische Föderation ist der völkerrechtlich ausgewiesene Nachfolgestaat der Sowjetunion, genau aus diesem Grund wurden die in diesen Ländern stationierten Atomwaffen folgerichtig in die Russische Föderation zurückgeführt. Genau das wurde in dem Budapester Memorandum festgelegt.
Fazit: Ich halte ihren Beitrag im Forum des „Blättchens“ in Anbetracht der außerordentlich kritischen Situation für wahrlich nicht zielführend.
Sehr geehrter Herr Grimmer,
auf Texte dieses Niveaus einzugehen habe ich kein Interesse.
E. W.
Zu Günter Hayn, Nur Ärger mit dem Personal:
Die – leider korrekte – Schilderung der politischen Lage in der Partei ‚Die Linke‘ enthält einen Fehler: Entgegen der Meinung des Autors ist Bodo Ramelow nicht der „wohl einzige Shootingstar“ der Partei, sondern das genaue Gegenteil: Shooting star (engl. für Sternschnuppe) würde bedeuten, Ramelow politischer Stern wäre rasch wieder verglüht. Er ist jedoch ein politischer Dauerbrenner, englisch: Perennial favourite.
Lieber Bernhard Mankward, danke für Ihre Zuschrift. Kein geradezu eineindeutiger Zusammenhang Terror – Akkumulationsregime, damit wollte ich darauf hinweisen, dass das Terroristische sicherlich mehrerlei Gründe hatte. Dass die Art der Akkumulation dabei aus meiner Sicht einen zentralen Platz einnimmt, ist aus meinem Text aber wohl deutlich geworden. Es ist höchst erstaunlich (und zeugt von einem eisernen Idealisierungswillen), dass Irrlitz diesen Bereich in seiner Darstellung ausklammert.
Lieber Herr Crome, ich unterstelle Ihnen nicht, dass Sie mit Putin Bruderküsse tauschen möchten. Friedensengagement und politische Identifikation, so schreiben Sie, gehen nicht unbedingt in eins – da gebe ich Ihnen recht. Nur: Von Identifikation war bei mir gar nicht die Rede, sondern von Unterstützung. Und das ist eine ganz andere Sache. USA und UK haben sich zum Beispiel seinerzeit sicherlich nicht mit Pol Pots Regime identifiziert, unterstützt haben sie es dennoch. Dies zum einen. Und was nun Kujats Vorschläge anbelangt: Ich halte sie für naiv. Putin trauert – wie viele Russen – der einstigen Weltmachtrolle Russlands (via UdSSR) nach und will sie gern wiedererringen. Das ist ja wohl unter allen, die sich dem Thema widmen, Konsens. Doch fehlt Russland dafür die materielle Grundlage, nicht zuletzt, weil die Bevölkerungszahl seit 1990 fast kontinuierlich sinkt. Um mit China und den USA wenigstens halbwegs Schritt zu halten, braucht Putin die Ukraine. An langwierigen Abrüstungsgesprächen sei man nicht interessiert, hieß es soeben aus Moskau. Völlig klar, man will dominieren. Die NATO, so Kujat, solle auf dies und jenes verzichten, und im Gegenzug müsste Russland die Grenzen der Ukraine garantieren. Doch Putin hat sich nicht an den Belowesher Vertrag gehalten, der das schon einmal garantiert hat, er hat sich nicht an das Budapester Memorandum gehalten, obwohl Russland die Atomwaffen der Ukraine bekommen hat, da wird er sich auch in Zukunft nicht an solche Abmachungen halten – wenn er es täte, könnte er seine Weltmachtambitionen nämlich in den Wind schreiben.
Sehr geehrter Herr Weinholz,
„Putin trauert […] der einstigen Weltmachtrolle Russlands (via UdSSR) nach und will sie gern wiedererringen. Das ist ja wohl unter allen, die sich dem Thema widmen, Konsens“, schreiben Sie, und wähnen sich also offenbar „unter allen, die sich dem Thema widmen“. Das ist – ausweislich Ihrer Beiträge im Blättchen – nun, sagen wir: höchst ambitioniert. Aber womöglich verfahren Sie und alle, die Sie da im Konsens vereinigen, einfach neutestamentarisch, nach Johannes 20: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Denn Putin ein Streben nach der früheren Weltmachtrolle der UdSSR unterstellen kann nur, wer das militärische Kräfteverhältnis zwischen Moskau und der NATO nicht zur Kenntnis nimmt (das wurde im Kalten Krieg gewöhnlich der jährlichen Military Balance des IISS entnommen, und man kann dies auch jetzt), nicht die unglaubliche Diskrepanz in den beiderseitigen Militärausgaben (über die früher wie derzeit regelmäßig das SIPRI Auskunft gibt), nicht die heute im Vergleich zur UdSSR noch sehr viel unzulänglicheren wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen Moskaus …
Aber genau deswegen, so weiß der ausgewiesene Experte Weinholz Aufklärung, „braucht Putin die Ukraine“! Warum eigentlich? In Ihrer Sicht kann der Mann ja offenbar über Wasser gehen und sein Volk mit einem Laib Brot speisen.
Doch Scherz beiseite: Sie haben, verzeihen Sie mir die kränkende Offenheit, augenscheinlich überhaupt keine Ahnung davon, wie sich Moskau im Falle einer Eroberung an der durchweg heruntergewirtschafteten Ukraine lange, lange ruiniert haben würde, bevor die zum Stärkezuwachs im Great Game mit den USA mutierte.
Das meiste von dem, was ich hier kurz angerissen habe, stand übrigens auch schon mal oder sogar öfter im Blättchen. Aber wahrscheinlich immer in jenen Beiträgen, die Sie – des eigenen wahren Wissens unbeirrbar gewiss – nur anzulesen pflegen. Vielleicht sollten Sie Ihre Spielwiese künftig besser bei jenen ZeitgenossInnen suchen, die Ihnen gerade in der ZEIT (https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-01/deutsche-russlandpolitik-korrektur-forderung-sicherheitspolitik/komplettansicht) gewiss aus dem Herzen gesprochen haben.
Vielen Dank an Erhard Weinholz für seine ausführliche Buchbesprechung in No. 1/2022 und seine klugen eigenen Reflexionen. Dazu nur kurz ein paar Anmerkungen:
Lenin eine „blanquistische Orientierung“ zuzuschreiben ist sicher richtig. Mir fehlt aber der Bezug auf Bakunin, den seine menschewistischen Gegner durchaus sahen. Dazu habe ich mich im redaktionellen Teil schon einmal recht ausführlich geäußert:
https://das-blaettchen.de/2012/06/begegnungen-im-niemandsland-deutsch-russische-diskurse-ueber-demokratie-und-diktatur-13138.html
Der Autor „will keinen allzu engen, geradezu eineindeutigen Zusammenhang zwischen dem Akkumulationsregime und dem Terror behaupten“. Ich meinerseits habe dies in einer anderen Veröffentlichung durchaus schon getan. Hierzu eine etwas ausführlichere Leseprobe:
>>Man kann also nicht behaupten, die Kommunisten hätten in der Zeit ihrer Herrschaft keine Erfolge vorzuweisen gehabt; allerdings erreichten sie ganz andere Dinge, als sie offiziell anstrebten, und dies um einen ungeheuren Preis. Durch die ”Kollektivierung“ wurde die Landverteilung an die Bauern faktisch rückgängig gemacht. Diese wurden in eine Lage gebracht, die in vieler Hinsicht nicht besser war als die frühere Leibeigenschaft. Die Folgen für die Landwirtschaft belasteten die Sowjetunion bis zu ihrem Ende. Durch den gleichzeitigen Massenterror trägt die Industrialisierung Züge eines Sklavensystems an sich. Ganz sicher gilt dies für die Millionenheere von Häftlingen; solange Stalin lebte, hatten aber auch diejenigen, die sich noch in ”Freiheit“ befanden, Anlaß, sich lediglich als Häftlinge auf Urlaub zu fühlen. Diese Bedrohung blieb unter der allgegenwärtigen euphorischen Propaganda stets fühlbar und erlaubte es, die Arbeiter bei minimaler Entlohnung zu enormen Arbeitsleistungen zu treiben.
In der Ausdrucksweise der marxistischen Ökonomie kann man die Stalinzeit als eine Periode der ursprünglichen Akkumulation bezeichnen, die der Frühperiode der westlichen Industrialisierung ähnelt. Wie früher in England wurde die Verfügbarkeit freier Arbeitskräfte dadurch sichergestellt, daß den Bauern die Verfügung über ihr Land genommen wurde. Die Ansammlung des Kapitals wurde durch eine enorme Ausbeutung der vorhandenen Arbeitskräfte ermöglicht. Auch für Schauprozesse, Massenhinrichtungen, Arbeitslager und Hungersnöte gilt, was Marx sarkastisch über die Kolonialkriege und Sklavenjagden der westeuropäischen Industrienationen sagte: ”Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation.“<<
(Aus meinem Buch: Die Diktatur der Sekretäre. Marxismus und bürokratische Herrschaft. Norderstedt 2006. S. 142f)
Weitere Worte kann ich mir sparen, da das Buch noch erhältlich ist – jedenfalls bezahle ich jährlich einen nicht unbedeutenden Betrag für die Datenhaltung an "Books on Demand."
Zu: Sozialismus der Denker von Erhard Weinholz
Jewgeni Preobrazhensky – einer der führenden marxistischen Ökonomen Sowjetrusslands, später ließ Stalin ihn liquidieren – sprach von der „ursprünglichen sozialistischen Akkumulation“, deren „Gesetz” das „des Kampfes um die Existenz der Staats-Wirtschaft” sei. Gekennzeichnet war diese Etappe des Wirtschaftens durch die Konzentration der (finanziellen) Akkumulations- und damit Investitionsmittel beim Staat. Von diesem wurden sie einzelnen Wirtschaftszweigen respektive Betrieben zugeteilt; eine eigenständige Reproduktion aus Eigenmitteln war damit weitgehend unterbunden. Als hauptsächliche Akkumulationsquelle dient die Landwirtschaft, deren Mittel zur Industrialisierung herangezogen wurden. Eine „Kommandowirtschaft“ im Rahmen der Diktatur des Proletariats.
In der ersten Hälfte der 60er Jahre wurde qualitativ so ein gewisser Gleichstand zu den entwickelten kapitalistischen Industrieländern erreicht; der Prozess der nachholenden Industriealisierung folglich abgeschlossen. Spätestens damals hätte mit der bisher wirksamen, kommandowirtschaftlichen Struktur gebrochen werden müssen, hätte ein Umbruch im politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Gefüge des sozialistischen Staates erfolgen müssen; und zwar im Sinne der These, dass soziale Verhältnisse Bewegungs- und Entwicklungsräume materieller Gestaltung sind. Diese neuen Strukturen hätten bei Erhalt einiger genuin staatssozialistischer Grundlagen wie einem wirtschaftlichen Staatssektor einem demokratischen Parlamentarismus bzw. einem politischen Pluralismus nahe kommen müssen. Denn offensichtlich funktioniert die damals errichtete (und auch noch heutige) soziotechnische Struktur nur in Verbindung mit einem solchen und keinem anderen politischen System. (Das „Experiment“ China bleibt abzuwarten). Dem möglichen Gegenargument, dass damit die „Machtfrage“ gestellt gewesen wäre, ist entgegenzuhalten, dass erstens zu diesem Zeitpunkt die „sozialistischen Produktionsverhältnisse“ gesiegt hatten, was heißt, dass der Sozialismus nicht mehr aus inneren Bedingungen heraus zu stürzen gewesen wäre. Zweitens war aufgrund des erreichten ökonomischen Entwicklungsniveaus das globale militärstrategische Gleichgewicht in greifbare Nähe gerückt, so dass eine denkbare äußere Bedrohung minimal war.
Jedoch das Gegenteil war der Fall: Mit diesem Sieg der „sozialistischen Produktionsverhältnisse“ perpetuierte sich die „Kommandowirtschaft“, äußerlich „mildere“ Gestalt annehmend. Zu dem angemahnten Umbruch kam es nicht; warum? Die umzubrechenden repressiv-zentralistischen Strukturen waren durch ihre Wirkungsdauer und Effizienz einerseits so subjektiviert und verinnerlicht worden, andererseits so in den Apparaten (meint die politisch geprägten, von der Partei beherrschten Leitungs- und Verwaltungsstrukturen) materialisiert, dass ihr Umbruch zu diesem Zeitpunkt und auch später nicht gelingen konnte. Mit anderen Worten – die Erfolge, die die administrativ-repressive „Zentralverwaltungswirtschaft“ zeitigte, machten sie in den Augen der Funktionäre, der Partei also, zu einem generell unverzichtbaren Herrschaftsmittel und nicht nur zu einem vorübergehenden Machtinstrument, nicht nur zu einem unter mehreren. Dieses legitimierte sich also zunehmend selbst aus sich heraus; wurde zum selbstreferentiellen System – es diente vor allem sich selbst und seiner permanenten Reproduktion! Was zur Stagnation und somit letztlich zum Kollaps des Systems führte.
Sind die Stalinschen Schauprozesse nun Beispiel Stalinscher Willkürherrschaft „von oben“ oder auch Folge einer formalisierten „Verrechtlichung“, einer Rechtsrevolution von oben? Schlüssiger auf obigem Hintergrund ist es, die Prozesse als (Neben)Produkt der „Vergesellschaftung“, als Bestandteil eines noch krisenhaft angelegten instabilen Systems zu sehen, das sich seiner Möglichkeiten zur Selbstreproduktion nicht hinreichend sicher war, diese so meinte sichern zu können und – siehe oben – damit das Gegenteil bewirkte.
Sehr geehrter Herr Daletski,
um es zunächst noch einmal zu sagen: Ich habe mich nicht für eine Politik nach dem Motto „Immer feste druff“ eingesetzt und denke zudem, dass man der NATO vielerlei vorwerfen kann und muss. Drei der von Ihnen geschätzten Blättchen-Texte, drei jüngst erschienene, habe ich mir jetzt ein weiteres Mal genauer angeschaut: Da rät zum Beispiel jemand den USA samt Verbündeten, ihren universalistischen Anspruch abzubauen, der auf die weltweite Geltung von Demokratie, Rechtstaatlichkeit, Menschenrechten zielt, die ja ohnehin, so ein zweiter Autor, keine Werte, sondern nur „Werte“ sind, und sich statt dessen der Überwindung der Armut, dem Stopp des Klimawandels und dgl. zu widmen.
Zweifellos muss man mit der Lösung dieser Probleme hier und heute beginnen, doch ich frage mal: Wie halten wir, die sozialistische Linke, es denn mit der Universalität dieser Werte? Ich denke, es wäre geradezu schändlich, sich davon abzukehren, und würde den genannten Staaten etwas ganz anderes vorwerfen: dass sie mal verdeckt, mal offen Diktaturen unterstützt oder die Demokratisierung mit dem Kapitalinteresse verquickt haben. Demokratie schützt nicht unbedingt vor verbrecherischem Staatshandeln, doch es gibt, das sage ich auch noch einmal, einen tendenziellen Zusammenhang zwischen Demokratie und Menschenrechten und der Sicherung des Friedens, der Überwindung von Armut, der Lösung ökologischer Probleme usw. usf. Von diesem Zusammenhang war aber in den drei Texten nirgends die Rede; dazu passt auch das Fehlen kritischer Worte zu Russland.
Nun zu Punkt 1: Ein äußeres Feindbild leiste tatsächlich Hilfe bei Repressionen im Inneren, schreiben Sie, verweisen einerseits auf Russland, andererseits auf Empfehlungen des Atlantic Council aus dem Jahre 2018, die auch umgesetzt worden seien. Also eine west-östliche Repressionssymmetrie? Ich kenne diese Empfehlungen nicht, muss also fragen, was empfohlen wurde und wer was wann und wie umgesetzt hat. Aber unabhängig davon: Von einer solchen Symmetrie kann nicht die Rede sein, das ist offensichtlich. Es gibt aber noch eine in dem Zusammenhang wichtigere Asymmetrie: Putin und die Seinen definieren die Eigenart Russlands in erheblichem Maße in Abgrenzung vom Westen, der Konflikt mit ihm hat für sie eine herrschaftsstabilisierende Funktion, denn nur so können sie Organisationen wie z. B. Memorial als Agenten eines Gegners hinstellen. Der Westen hingegen braucht für seine politische Stabilität nicht den Gegner Russland; von daher entfällt auch ein wichtiger Grund für das Interesse an Konflikten. Das sollte man bei Punkt 2 mitbedenken.
Punkt 2 – der Raketenabwehrschirm in den neuen NATO-Mitgliedern Polen und Rumänien berühre russische Sicherheitsinteressen da Russland nun nicht nuklear zurückschlagen könne. Das ist bestenfalls zum Teil richtig, denn einen kompletten Schutz bietet dieser Schirm ja nicht. Außerdem hat Russland schon ab 2007 ein effektiveres System aufgebaut, so dass man den Bau der neuen Basen auch als Wiederherstellung eines Gleichgewichts sehen kann. Oder besteht Russlands Sicherheitsinteresse im Gewinn von Überlegenheit? Besser wäre es allerdings, aus der Abschreckungslogik auszusteigen, doch an nuklearer Abrüstung zum Beispiel scheinen beide Seiten derzeit nicht interessiert zu sein.
Punkt 3 – zum Sündenregister der NATO habe ich mich schon geäußert.
Punkt 4 – Geltung mündlicher Absprachen: Im Konfliktfall sind sie jedenfalls nicht viel wert, da jede Seite sie dann auf eigene Weise interpretiert. Grundsätzlich denke ich, dass solche Absprachen gelten müssen, aber nur für den, der sie trifft. Wenn eine Regierung der NATO verspricht, die Rüstungsausgaben pro Jahr um 5% zu steigern, so ist sie selbst daran gebunden, nachfolgende Regierungen, die vielleicht ganz andere politische Ziele verfolgen, sind es nicht. Gleiches gilt meines Erachtens auch für die NATO-Osterweiterung. Wie man sie dann wertet, ist eine andere Sache.
Mit freundlichem Gruß: Erhard Weinholz.
Verehrte Redaktion, in meinem Beitrag „Geffkens China“ im aktuellen Heft 1/2022 ist mir ein peinlicher Fehler unterlaufen. Am Schluss des achten Absatzes schreibe ich von „den verstorbenen Professoren Theodor Bergmann und Helmut Peters“ – das ist falsch. Theodor Bergmann, Jg. 1916, ist tatsächlich 101jährig am 12. Juni 2017 verstorben. Helmut Peters, Jg. 1930, lebt. – Es bleibt mir nur, Helmut Peters herzlich um Verzeihung zu bitten. Er ist für mich seit dem Beginn meiner Chinastudien im Jahre 1976 immer ein Lehrer gewesen, sein Buch „Die VR China – Vom Mittelalter zum Sozialismus. Auf der Suche nach der Furt“ aus dem Jahre 2009 zweifellos eines der wichtigsten zum Verstehen des heutigen China überhaupt. In den letzten Jahren haben wir uns aus den Augen verloren. Ich weiß nicht, welcher Falschmeldung ich aufgesessen bin, und bedaure sehr, die Dinge nicht geprüft zu haben. – Der Redaktion wäre ich dankbar, wenn sie den Fehler dadurch korrigieren könnte, dass sie die Worte „die verstorbenen Professoren“ streicht (ist online geschehen – d.Red.). Sie sind für den Inhalt unerheblich. Wolfram Adolphi
Sehr geehrter Herr Hildebraa,
rufen Sie unter Wikipedia auf: Belowescher Vertrag (oder Abkommen), gehen Sie auf FN 11, da führt ein Link zum Text des Abkommens – auf russisch allerdings; die Achtung der territorialen Integrität und die Unantastbarkeit der Grenzen ist in Artikel 5 festgehalten.
Mit freundlichen Grüßen: Erhard Weinholz.
Sehr geehrter Herr Hildebraa,
man kann der NATO vielerlei vorwerfen, aber sie hat Russland 1997 zugesichert, in den neuen NATO-Staaten keine Atomwaffen zu stationieren, und daran hat sie sich auch gehalten. Als Aggressor ist in Osteuropa nur Russland in Erscheinung getreten. Und was Putins Verhältnis zur Politik der Entspannung betrifft, sind sie auf meine Argumentation, die ich hier nicht wiederholen will, überhaupt nicht eingegangen.
Ob ich beim Vorwurf des Vertragsbruchs das Budapester Memorandum im Blick hatte, fragen Sie. Das sei nämlich nur eine völkerrechtlich unverbindliche Absichtserklärung. Ein Vertrag ist es tatsächlich nicht, obwohl es schriftlich fixiert und von Vertretern der teilnehmenden Mächte unterschrieben wurde. Allerdings frage ich mich, weshalb die Putinverteidiger dem Westen immer wieder Vorwürfe machen, weil mündliche Versprechen, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, nicht eingehalten wurden. Die sind dann ja wohl erst recht nicht völkerrechtlich verbindlich. Während das Memorandum doch eine gewisse Verbindlichkeit besitzt: Die Ukraine hat darauf Russland ihre Atomwaffen überlassen – und wenn die eine Seite liefert, dann verpflichtet das auch die andere. Scheint mir jedenfalls. Im übrigen hatte Russland der Ukraine ja schon eine Garantieerklärung gegeben, und zwar im Vertragswerk vom Dezember 1991, das zur Auflösung der UdSSR führte. Es hat sich aber daran nicht gehalten, und um diesen Vertragsbruch ging es mir. Ich verweise in dem Zusammenhang auch auf den Beitrag von Prof. Gerd Seidel im Blättchen 7/2014.
Wer verteidigt denn, so hatte ich mich zuletzt gefragt, in Europa sonst noch Putin? In Frankreich ist es insbesondere die Bewegung Marina Le Pens, in Italien die Lega Nord, aber auch Berlusconi hatte einen guten Draht zu ihm, in Österreich war es längere Zeit die FPÖ. Ich will das mal nicht weiter kommentieren. Interessiert hat mich auch, wer dieser Dr. Markus Hildebraa ist, was er sonst noch veröffentlicht hat: eine Wortmeldung im Blättchen-Forum, mehr konnte ich nicht finden. Also wohl ein Pseudonym. Zwar ist es erlaubt, hier auf diese Weise aufzutreten, ich möchte aber politische Debatten nur mit denen führen, die unter Klarnamen agieren und hoffe, Sie haben dafür Verständnis. Aus dem genannten Grund habe ich auch auf die Äußerungen von Franka Haustein nicht reagiert.
Mit freundlichem Gruß: Erhard Weinholz.
Sehr geehrter Herr Weinholz,
um nochmals auf Ihre etwas holzschnittartige Sicht auf die NATO-Osterweiterungen zurückzukommen – vielleicht sollten Sie diese mal spaßeshalber mit einer aktuellen amerikanischen Studie (University of California, Los Angeles) konfrontieren: Marc Trachtenberg, The United States and the NATO Non-extension Assurances of 1990:
New Light on an Old Problem? (https://das-blaettchen.de/wordpress/wp-content/uploads/2021/11/US-NATO-No-extension-Assurances-1990_long-version.pdf).
Was Ihren Hinweis darauf anbetrifft, dass als „Aggressor […] in Osteuropa nur Russland in Erscheinung getreten“ sei, setzen Sie sich damit aber nun wirklich dem Verdacht aus, eher Totschlagsargumenten zuzuneigen als sachlicher Auseinandersetzung. Der zwar schon etwas länger zurückliegende NATO-Krieg auf dem Balkan samt Abtrennung des Kosovo von Serbien (ohne Volksentscheid) erfüllt ebenfalls alle Anforderungen an eine Aggression und hat Moskau überdies die Blaupause für die Causa Krim quasi frei Haus geliefert. Und, um ein weiteres Beispiel zu nennen, im russisch-georgischen Konflikt von 2008 saß der Aggressor in Tiflis und hieß Saakaschwili, auch wenn hiesige Mainstreammedien gern etwas anderes behaupten.
Auch Ihre Aufzählung der unappetitlichen Noch-Verteidiger Putins in Europa – nur die AfD haben Sie seltsamerweise nicht mit genannt – befremdet, denn die von Ihnen, das war ja der Ausgangspunkt unserer Debatte, abqualifizierten NATO-kritischen Autoren des Blättchens haben zu keinem Zeitpunkt Putin „verteidigt“. Allerdings haben diese Autoren zu jedem Zeitpunkt für ein kooperatives Verhältnis zu Russland und gegen platte Konfrontation plädiert. Offenbar sind die im Unterschied zu Ihnen in der Lage, das Verhältnis zu Moskau sicherheitspolitisch vom (möglichen) Ende her zu denken: Im Falle einer militärischen Konfrontation bestünde das handfeste Risiko einer Eskalation auf die nukleare Ebene, und durchaus daran könnte Willy Brandt gedacht haben, als er formulierte: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“
Es gibt andererseits, was Ihnen nicht unterstellt werden soll, Menschen wie Nawalnys Tochter, die im Europa-Parlament jüngst mindestens implizit die Auffassung vertreten hat, zur Verteidigung der Menschenrechte könne man durchaus auch einen Atomkrieg führen. Auf diesem Niveau erübrigte sich dann jede weitere Debatte.
Schließlich: Mit dem Vertragswerk von 1991, das Putin Ihrer Auffassung nach gebrochen habe, meinen Sie also den Vertrag von Minsk und die Vereinbarungen von Beloweschskaja Puschtscha, von den damaligen Präsidenten Russlands, der Ukraine und von Belarus unterzeichnet am 8. Dezember 1991. Nach dem Wortlaut dieser Dokumente habe ich vergeblich gesucht, aber da können Sie bestimmt mit einer ordentlichen Quelle aushelfen.
Mit freundlichen Grüßen
Markus Hildebraa
P.S.: Selbst wenn Sie es nicht für möglich halten – es gibt tatsächlich immer noch Leute, die nichts Weiteres veröffentlicht haben und trotzdem von hier und heute sind.
Wenn sich einer bereits nach wenigen Tagen im Amt als Gauner erweist, dann muss ihm ein anderer das erstmal nachmachen!
Doch konkret.
Die Frankfurter Allgemeine (FAZ) berichtete am 25.12.2021, die „frühere Bundesregierung von Union und SPD hat in den letzten neun Tagen ihrer Amtszeit Rüstungsexporte für mehr als vier Milliarden Euro genehmigt. Damit steigt der Gesamtumfang der Exporterlaubnisse im laufenden Jahr auf den Rekordwert von 9,043 Milliarden Euro“.
Und jetzt kommt’s: „Mitverantwortlich für die Entscheidung ist der heutige Kanzler Scholz. Der Export […] wurde vom Bundessicherheitsrat genehmigt, einem Kabinettsausschuss, dem neben Merkel sieben Minister angehören. Darunter ist auch der Finanzminister, der damals Olaf Scholz hieß.“
Anschließend zitierte die FAZ die Linken-Außenpolitikerin Dagdelen: „Olaf Scholz hat sich in der nur noch geschäftsführenden Regierung ein wahres Gaunerstück geleistet und eindrücklich demonstriert, wie folgenlos die Kritik der SPD an skrupellosen Waffenexporten […] letztlich bleibt.“
Es ist Weihnachten – alles soll friedlich sein, und so hatte ich mir vorgenommen, mich hier nicht mehr zu äußern. Ist friedlicher so! Entweder ernsthafte Einwände werden ignoriert (siehe meinen Einwand zur Bedeutung von Kursk und Stalingrad) – oder man wird persönlich beschimpft (wie durch den auf der Suche nach den großen historischen Zusammenhängen mit der Wahrheit ausgestattete Herr Crome, der sich selber nie entschuldigt hat für seine – sagen wir freundlich – persönlichen „Anwürfe“, womit er sich ersparte, auf die gestellte Sachfrage überhaupt einzugehen…)
So will ich nur bemerken, (1) dass eine weniger geschichtsvergessene Einordnung des Wesens imperialistischer Außenpolitik (in seinen Varianten) nicht auf die Straße zu dessen Verharmlosung führen sollte. Die letzten Beiträge hier im Forum zu Rußland und NATO sind ein regelrechter Verrat an der Tradition von Ossietzky und Tucholsky. (2) Dem Beitrag „Kulturimperialismus“ kann ich nur uneingeschränkt zustimmen.
Sehr geehrter Herr Fellenberg,
Ihnen erscheinen einige FORUM-Einträge als „regelrechter Verrat an der Tradition von Ossietzky und Tucholsky“. Das sei Ihnen unbenommen. Ich gestatte mir allerdings den Hinweis, dass die Verantwortung für den Inhalt dieser Einträge ausschließlich bei den Verfassern liegt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schwarz (V.i.S.d.P.)
Redaktion DAS BLÄTTCHEN
Sehr geehrter Herr Hildebraa,
ich hatte in meinem Forum-Beitrag an den Positionen der sich im Blättchen äußernden NATO-Kritiker vor allem bemängelt, dass sie weder fragen, ob Putin an einem entspannten Verhältnis zum Westen interessiert sei, noch den Zusammenhang zwischen Frieden und Menschenrechten beachten. Sie sind in Ihrer Antwort auf keinen der beiden Punkte eingegangen.
Stattdessen zitieren Sie ausgiebig Heribert Prantl; die USA und die NATO hätten, so heißt es bei ihm, der Ukraine, Georgien und Moldawien die Aufnahme in das Bündnis in Aussicht gestellt. Ukraine und Georgien – das war im Jahre 2008, doch Mitglied sind sie noch immer nicht. Bedenken insbesondere Deutschlands und Frankreichs haben es verhindert: Rücksichtnahme auf Russland, innere Instabilität eines Kandidaten, seine ständige Verwicklung in regionale Konflikte usw. Das aber erwähnt Prantl nicht. Moldawien dagegen wurde meines Wissens der Beitritt nicht in Aussicht gestellt, und das Land ist daran auch nicht interessiert. Prantl scheint mir also kein seriöser Gewährsmann zu sein.
Was nun die Sicherheit Russlands betrifft: Sie wird durch diese Osterweiterung nicht bedroht. Aber weshalb kämpft Putin denn derart dagegen an? Der Grund scheint mir zu sein, dass die NATO-Osterweiterung seinem Großmachtstreben im Wege steht, durch das Russland zur aggressivsten Macht Osteuropas geworden ist, aggressiv nach innen wie nach außen. Es wäre im übrigen geradezu absurd, wenn der Aggressor entscheidet, ob sein Opfer NATO-Mitglied werden darf oder nicht. Namhafte Politiker haben, vor allem in den 90er Jahre, die Osterweiterung als Fehler bezeichnet. Man hätte, so heißt es, Russland in ein System der kollektiven Sicherheit einbinden sollen usw. Ob man damit besser gefahren wäre, bezweifele ich. Denn Putin lässt sich, siehe Ukraine, von Verträgen nicht bremsen.
Mit freundlichem Gruß: Erhard Weinholz.
Natürlich, werter Herr Weinholz, haben Sie völlig Recht, dass die NATO-Osterweiterungen Russlands Sicherheit nicht bedrohen. Schließlich ist der Nordatlantikpakt per se ja ein reines Verteidigungsbündnis, wovon man sich in den vergangenen 25 Jahren vom Balkan über Afghanistan und Irak bis Libyen ein ums andere Mal immer wieder neu überzeugen konnte.
Eine ernsthafte Antwort auf die Frage allerdings, ob Putin an einem entspannten Verhältnis zum Westen überhaupt interessiert sei, die kann nun wirklich nur jemand erwarten, der die russische Westpolitik seit Putins Machtantritt nicht zur Kenntnis genommen hat. Da war dessen historische Rede im Deutschen Bundestag vom September 2001 nur ein Mosaikstein. Zur vertiefenden Lektüre empfehle ich folgendes Kompendium – „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt? (Hrsg.: Thomas Röper)“.
Und schließlich Ihre Mutmaßung, dass die Einbindung Russlands in ein System der kollektiven Sicherheit quasi sinnlos gewesen wäre, weil Putin durch Verträge nicht zu bremsen sei – siehe Ukraine.
Diese Mutmaßung bezieht sich auf das Budapester Memorandum von 1994?
Da fehlt Ihnen offenbar Hintergrundwissen, denn anderenfalls wäre Ihre Mutmaßung, was Ihnen keineswegs unterstellt werden soll, blanke Demagogie. Russland war seinerzeit erklärtermaßen bereits, Kiew (sowie Belarus und Kasachstan) als Gegenleistung für den Rückzug ehemals sowjetischer Atomwaffen aus der Ukraine auf russisches Staatsgebiet völkerrechtlich verbindliche Sicherheitszusagen zu geben. Die USA und Großbritannien haben dies abgelehnt, so dass statt eines entsprechenden multilateralen Vertrages nur drei völkerrechtlich unverbindliche Absichtserklärungen (Memoranden) Washingtons, Londons und Moskaus bezüglich der äußeren Sicherheit der drei Ex-Sowjetrepubliken zustande kamen. In der Konsequenz scheidet somit Vertragsbruch Putins aus – mangels eines Vertrages.
Mit besten Grüßen
Dr. Markus Hildebraa
Kaczyński`s fragliche Weihnachtsbotschaft
Der tiefreligiöse Führer der regierenden polnischen PIS Partei Jaroslaw Kaczinsky hat eine eigenwillige Art Weihnachtsbotschaften zu senden.
Es reicht nicht, dass er seit geraumer Zeit vor den polnischen Wählern mit Reparationsforderungen an Deutschland in hoher dreistelliger Milliarden Euro Zahl schwadroniert, nein, nun unterstellt er zusätzlich der Bundesrepublik Deutschland, dass diese die Errichtung eines sogenannten „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ in Europa anstrebt. Er benannte es so, in seinem kürzlich in einer rechtspopulistischen polnischen Zeitung veröffentlichten Interview, als viertes Reich, was Deutschland auf EU-Basis organisieren möchte.
Welche unsäglichen historischen Parallelen werden da von einem verantwortlichen Politiker in unserem Nachbarland heraufbeschworen.
Wenn ich dann noch den Text von Jan Opal „Asymmetrische Freundlichkeiten“ im Blättchen Nr. 26 hernehme, stelle ich mir wirklich die Frage, wie einige führende Politiker der Nachkriegsgeneration in Polen mit historischen Wahrheiten und Entwicklungen umgehen.
Ich würde in diesem Zusammenhang von nicht geringerem als Geschichtsrevisionismus sprechen. Aber zugegeben, der Grat auf dem deutsche Kritiker dabei wandeln ist äußerst schmal. Das Leid was Deutschland den Polen während des Angriffskrieges und der Besatzungszeit zugefügt hat, ist einfach zu groß um es mit Worten oder Taten aus der Welt zu schaffen. Absurdes kommt noch hinzu. Der Mörder von Warschau, wie er genannt wurde, SS General Reinefahrth, dessen wesentlichen Anteil an der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes 1944 nicht zu leugnen ist, wurde von 1951 bis1964 Bürgermeister der Gemeinde Westerland/Sylt und auch Landtagsabgeordneter von Schleswig Holstein. Das geschah ungeachtet mehrerer Auslieferungsanträge Polens in den Nachkriegsjahren. Antifaschisten nicht nur in Polen haben das als äußerst bitteren Hohn empfunden.
Da war aber auch der Kniefall von Willy Brandt am 7. Dezember 1970 am Ehrenmal der Opfer des Warschauer Ghettos. Der sein Verständnis zur tiefen Schuld gegenüber dem polnischen Volk zum Ausdruck brachte.
Eine eigene Episode am Rande. Im Rahmen eines Patenschafts-besuches in der damaligen Volksrepublik Polen in der Nähe von Gdansk, hatten wir gegenüber unserer polnischen Partner den Wunsch geäußert, das Denkmal für die Verteidiger der Westerplatte zu besuchen. Nach den dort entgegengenommenen Informationen, der Besichtigung der Örtlichkeiten und der danach gesprengten Vorstellungskraft darüber, wie hier ca. 200 polnische Soldaten und Offiziere einer gewaltigen Kriegsmaschine mit einem deutschen Schlachtschiff an der Spitze, sieben Tage lang Widerstand geleistet haben, machte sich in unserem Inneren ein Gefühl breit, was nicht einfach zu beschreiben war.
Wir, die deutschen Teilnehmer an dem Besuch waren alle „Nachkriegsgeborene“.
Eine Mischung von tiefen Mitgefühl, eventuell sogar Mitschuld, Bedauern der Opfer auf der polnischen Seite, aber auch Verachtung darüber was nazistische Hetze mit Menschen anrichten kann.
Für die Opfer des Aggressors, über tausende Deutsche wie wir, kam nur der Gedanke auf, dass diese Opfer für eine schlechte Sache ihr Leben verloren haben.
Überwogen in unseren Gedanken und Gefühlen hatte das Heldentum der polnischen Verteidiger der Westerplatte.
Diese Erkenntnisse insgesamt empfinde ich als massiv gestört im Hinblick des Bestrebens der Kazcinskys & Co in unserem Nachbarland.
Aber schlussendlich das polnische Volk besteht nicht nur aus den Kaczinskys,
Progressive, EU bejahende Kräfte Polens werden die Oberhand gewinnen, das ist bestimmt nicht nur meine begründete Hoffnung
Heute habe ich weder Lust noch Zeit zu streiten, statt dessen versuche ich mal, das Forum mit einem Weihnachtsgedicht zu schmücken:
Der grüne Baum
Ächzend reckt die alte Plastetanne ihre Glieder,
das Jahr im Keller wurde ihr mal wieder lang,
aus dem PC ertönen Weihnachtslieder,
für sie ist es der falsche Klang.
Sie mag die Kugeln nicht und nicht das Lamettageflitter,
die Tannenseele tief in ihr will in den Wald hinaus,
sie will das Eis, den Schnee und das Gewitter
mit Blitz und Donner und mit Sturmgebraus.
So träumt die Tanne vor sich hin,
träumt schon seit vielen Jahren,
doch fragst Du spottend nach dem Sinn,
wirst Du ihn nicht erfahren.
Viele Grüße: E. W.
Macht Frieden … endlich Frieden … Frieden mit Russland! So heißt es im Blättchen allenthalben. Und Frieden, das bedeutet auch, wenn ich es richtig verstanden habe, sich loszusagen von der aggressiven NATO-Politik, von jeglicher Einmischung in die inneren … denn soll etwa schon wieder am deutschen Wesen … na usw.
Es gibt sicherlich mancherlei zu kritisieren an der Russlandpolitik der NATO in den Jahren seit 1990. Ob die Kritik im Blättchen in ihrer ganzen Breite berechtigt ist, bezweifele ich allerdings, denn bestimmten Fragen gehen diese NATO-Kritiker beharrlich aus dem Wege. Zum Beispiel, ob Putin denn an einem entspannten Verhältnis zum Westen überhaupt interessiert sei. Ich habe darüber mit zwei alten Freunden gesprochen, den einen kenne ich aus jahrelanger Zusammenarbeit in der Redaktion der oppositions- und repressionsgeschichtlichen Zeitschrift Horch und Guck, der andere kommt wie ich aus der VL und hat sich viel mit den Verhältnisse in Osteuropa beschäftigt. Übereinstimmende Meinung: Putin braucht hier die Spannung, um den russischen Nationalismus anzuheizen und Kräfte, die ihm nicht in den Kram passen, als Agenten des Auslands, also des Gegners zu verteufeln. Das heißt nicht, dass man nach dem Motto Immer feste druff verfahren sollte und dass keinerlei Entspannungsfortschritt möglich ist, aber weit kommen wird man damit selbst beim besten Willen nicht. Noch etwas scheint mir bei diesen NATO-Kritikern außeracht zu bleiben – der Zusammenhang zwischen Frieden und Menschenrechten: Wer sich im eigenen Lande aggressiv verhält, neigt auch stärker dazu, die Aggression nach außen zu richten. Und tatsächlich ist das Russland Putins meines Wissens das einzige Land im Europa der Nachkriegszeit, das vertragsbrüchig eine Region eines Nachbarlandes annektiert hat. Auch davon sprechen diese NATO-Kritiker möglichst selten oder nie.
Ich habe die einschlägigen Texte oft nur angelesen: Sie erinnern mich in ihrer ganzen Art an Agitationsbroschüren aus längst vergangenen Zeiten. Immerhin ist nun mit Klaus Joachim Herrmanns Memorial-Text ein Anfang in anderer Richtung gemacht. Ich hoffe, dass weiteres dieser Art folgt.
Da hat der Erhard Weinholz also – nach eigenem Bekunden – NATO-kritische Beiträge im Blättchen zwar „oft nur angelesen“, aber immerhin ein gesalzenes Verdikt zur Hand: „in ihrer ganzen Art […] Agitationsbroschüren aus längst vergangenen Zeiten“.
Kleiner Tipp: Die inkriminierten Beiträge vielleicht doch besser bis zum Schluss lesen, dann besteht zumindest die Chance zu begreifen, worum es den Autoren jeweils konkret geht.
Vielleicht hilft auch die nachfolgende Handreichung ein wenig dabei. Sie stammt von Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung (19.12.2021); sein Betreff: „Entspannungspolitik ist nie zu Ende. Wie man vermeidet, dass ein Krieg beginnt“: Vor Jahren habe er mit Egon Bahr zusammengesessen und dieser habe „mit ruhiger Leidenschaft über Willy Brandts Ostpolitik, deren Architekt er gewesen war“, doziert, dabei an Brandts Satz erinnert, „dass der Krieg nicht ultima ratio, sondern ‚ultima irratio‘ sei“ und immer wieder davon gesprochen, „was der Kern und der Leitgedanke der neuen Ostpolitik gewesen sei: dass die Sicherheit des Gegners Teil unserer eigenen Sicherheit ist“.
Und weiter schreibt Prantl: „Dieser Satz geht mir nach, wenn ich daran denke, dass die USA und die Nato der Ukraine, Georgien und Moldawien die Aufnahme in das westliche Bündnis in Aussicht stellen. Dieser Satz geht mir nach, wenn ich lese, dass Russland eine Sicherheitsgarantie von der Nato fordert und einen Verzicht auf die Nato-Mitgliedschaft dieser russischen Nachbarstaaten. Dieser Satz geht mir nach, wenn ich von der russischen Truppenkonzentration an der ukrainischen Grenze lese und von der westlichen Aufrüstung in der Ukraine.“
Ein paar Jahre später, nach der Annexion der Krim durch Russland, habe er erneut mit Bahr gesprochen. Der „warb auch jetzt für das ‚Miteinander reden‘ – ohne damit die Annexion völkerrechtlich billigen zu wollen“. Aber Bahr habe vor einer Sanktionsspirale gewarnt und „er riet zu schauen, was ‚mit Sachlichkeit und Respekt‘ vor dem Anderen zu machen sei. […] Er riet dem Westen ebenso, wie dies auch Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher tat, Putin wieder die Hand zu reichen.“
Was Bahr wohl heute vorschlagen würde, fragt Prantl und ist sich sicher: „Gespräche, Gespräche, Gespräche! Vielleicht würde er vorschlagen, Moskau einen Deal anzubieten: Die Krim vorübergehend zum Mandatsgebiet der UN zu erklären und dann eine Volksabstimmung unter Aufsicht von UN und OSZE durchzuführen – und zugleich die Repressionen gegen die russische Bevölkerung in der Ukraine aufzuheben.“
In der Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 26.12.2021 (ausgeliefert bereits am heutigen 24.12.) behauptet der wohl künftige CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zwar dreist gegen die historischen Fakten, aber ganz im Stile heutiger westlicher „Agitationsbroschüren“: „Es hat im Übrigen nie eine Zusage an Russland gegeben, die Staaten Osteuropas nicht in die NATO aufzunehmen. Putin behauptet hier etwas, das nie vereinbart oder zugesagt wurde.“
Umso notwendiger, dass Das Blättchen immer wieder dagegen hält – wie erst jüngst erneut (https://das-blaettchen.de/2021/12/der-westen-russland-zum-diskurs-40-59522.html) – und konsequent für ein kooperatives Verhältnis zu Russland auch und gerade in spannungsreichen Zeiten plädiert. Dies geschieht im Übrigen keineswegs unkritisch, wie unschwer feststellen kann, wer Beiträge nicht „nur angelesen“ hat.
Leider sind wir von einem Frieden mit Russland derzeit weit entfernt. Und wer nach Rechtfertigungen oder Aufforderungen sucht, einen „harten Kurs“ zu fahren, sollte in reichweitenstärkeren Medien zur Genüge fündig werden. Ich bin froh, dass es im Blättchen Beiträge gibt, die nicht in dieses Horn blasen, sondern mit dem Pessimisums des Wissens darauf hinweisen, dass dieser Kurs zu nichts Gutem führen wird, aber vom Optimismus des Wollens getragen sind, dies abzuwenden.
Da Sie baten, auf Ihre Punkten einzugehen:
1) Ja, ein äußeres Feindbild ist hilfreich bei der Duchsetzung innerer Repression. Auch die 2018 veröffentlichten und mittlerweile umgesetzten Empfehlungen des Atlantic Council zur Einhegung der Medien wurden mit der Abwehr des äußeren Feinds Russland begründet. Und das ist umgekehrt in Russland nicht anders. Aber dass es Kreise gibt, die Vorteile aus einer Konfrontation ziehen, darf m.E. nicht dazu führen, diese Konfrontation als naturgegeben und unvermeidbar hinzunehmen.
2) Als Beispiel, dass die NATO-Osterweiterung sehr wohl die Sicherheitsinteressen Russlands berührt, sei auf den Raketenabwehrschirm in Rumänien und Polen hingewiesen, der sich laut US-Sicherheitsexperten gegen die nukleare Rückschlagsfähigkeit Russlands richtet. Die offizielle NATO-Behauptung ist, dass er gegen den Iran gerichtet sei, aber darüber machte sich sogar die FR 2016 lustig, indem Sie dieses Zitat der offiziellen NATO-Position brachte und zugleich das begleitende Bild mit dem Text versah: „Russland hör die Signale“.
3) Was das Sündenregister angeht, braucht sich der „Westen“ nicht zu verstecken. Die Segregation des Kosovo wurde mit der Bombardierung Jugoslawiens erzwungen, wobei man das damit begründete, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker Vorrang vor dem Völkerrecht habe. Das ist das Attraktive an einer „regelbasierten Ordnung“: wer die Regeln festlegt ist flexibel. Aber diese ganzen wechselseitigen Schuldzuweisungen führen zu nichts und davon muss man wegkommen.
4) Was Vertragsbrüche (oder euphemistisch: „Ausstieg“ oder „einseitige Kündigung“) angeht, so ist das in der Tat mittlerweile ein schwerwiegendes Hindernis bei der diplomatischen Lösung von Konflikten. Und das gilt nicht nur für schriftliche Verträge über Begrenzung von Rüstung und Truppenstärken oder das Atom-Abkommen mit dem Iran, sondern noch viel mehr für informelle diplomatische Absprachen, die für jede Konfliktbeilegung erforderlich sind. Immerhin zeigt die aktuelle russische Aufforderung zu verbindlichen Sicherheitsvereinbarungen, dass man dort die USA noch für „agreement capable“ hält. Dies mit einem „die wollen sowieso keinen Frieden“ abzutun wäre zuindest fahrlässig.
Soweit ich das am Ende von 4) erwähnte „Ultimatum, das keines ist“ (meine freie Interpretation eines TASS-Interviews mit Sergey Ryabkov) verstehe, läuft es auf eine Fixierung des Status quo hinaus nebst Wiederbelebung der Strukturen, die im kalten Krieg eingerichtet wurden, um einen Nuklearkrieg zu verhindern. Ich würde mich aber freuen, wenn auf diese Initiative von einem kundigeren Autor im Blättchen eingegangen würde.
Zu: Kultureller Rassismus? von Bruni Butzke
Frau Butzke zitiert in ihrem Text breit die Soziologin Yana Milev. Letztere hat sich in verschiedenen Medien zu Problemen Ostdeutschlands geäußert. Frau Butzke greift namentlich auf einen Artikel Milevs in der Tagespresse zurück und schreibt. „Die Mehrheit der ostdeutschen Bevölkerung, die gesellschaftliche Gleichstellung und Sozialstaatlichkeit erfahren hatte, erlebte nach 1990 – weiter im Sinne der kolonialen Argumentationsraster (des bundesdeutschen Kulturimperialismus (Frantz Fanon, Johan Galtung) – St. W.) gesprochen – einen ´Absturz´, der mit ihrer ´Inferiorisierung […] zu einer quasi indigenen-tribalen Minderheitsbevölkerung einherging´“.
Eine Frage drängt sich auf: Muss heute jeder gesellschaftspolitische Text Anleihen, Bezüge oder mindestens Verweise auf Rassismus respektive Kolonialismus enthalten? Das „Gendern“ irrlichtert dann auch noch zwischendrin…
Zum Begriff „Kulturimperialismus“ ist bei Wikipedia zu lesen: „Von solchen wissenschaftlichen und theoretischen Anwendungen des Begriffs ist sein eher willkürlicher Einsatz im politischen oder medialen Tagesgeschäft zu unterscheiden“.
Ich könnte auch noch den Begriff „Klassismus“ beisteuern – je nach Definition eine Diskriminierungsform, die ihren Ausgangspunkt in persönlichen Alltagserfahrungen hat; aber auch als Ausbeutung, Marginalisierung, Machtlosigkeit, Kulturimperialismus (sic!) und (strukturelle) Gewalt gefasst wird. Träfe auch zu…
Also was soll dieses Soziologengeschwurbel, das alles und nichts erklärt, da es Begriffe nicht gut definiert, indem es sich stets auf weitere Begriffe bezieht, auf die Gleiches zutrifft. Mag das noch eine gewisse Erklärungskraft in ebendiesen Kreisen haben; wie erhellend jedoch mag es für ostdeutsche Menschen sein, sich als „inferiorisierte quasi indigene-tribale Minderheitsbevölkerung“ qualifiziert zu sehen? Und dass es Probleme in den Neuen Bundesländern gibt, liegt auf der Hand!
Letztlich: Frau Butzke versieht den Titel ihres Textes mit einem Fragezeichen – ist ihr das Ganze auch nicht ganz geheuer?
Nun wird er also doch noch Gesundheitsminister, der SPD-Politiker Karl Lauterbach – auch im Blättchen wiederholt als Corona-Sirene geschmäht. Da ist es vielleicht an der Zeit, ihm auch mal ein Loblied zu singen? Gabor Steingart hat es gerade getan (https://news.gaborsteingart.com/online.php?u=norKykj22536) und die Berufung als Ausdruck des Volkswillens gewertet. Also quasi als basisdemokratisch. Es hat allerdings mal jemand behauptet, ließe man das Volk direkt entscheiden, dann würde auch die Todesstrafe wieder eingeführt …
Der Beitrag „Koalitionäre Konturen“ von Erhard Crome (#25) trifft genau ins Schwarze. Auch wenn für die meisten Menschen innen- und sozialpolitische Aspekte verständlicherweise viel wichtiger, weil näher sind, denke ich doch, dass die Außen- und Verteidigungspolitik der Regierung unzweideutig zeigt, wes Geistes Kind sie wirklich ist. Erhard Crome hat es auf den Punkt gebracht.
Im Blättchen 24 hat Erhard Crome einen sehr denkens- und dankeswerten Artikel „Außenpolitische Vordenkereien“ abgeliefert. In seiner schonungslosen außenpolitischen Analyse der „Ist-Zustände“ hat er realistische Annahmen für durchaus bedrohliche Perspektiven nicht nur für die deutsche Außenpolitik herausgearbeitet. Die Aussichten sind also, wie auf anderen Gebieten, hier nur der vom Menschen verursachte Klimawandel genannt, düster. Diese zu erwartende Außenpolitik hat aber eine bedenkliche Kernaussage, weder als Worthülse Geschweige denn dem Geiste nach, kommt darin die „friedliche Koexistenz“ von unterschiedlichsten Staats und Regierungsformen vor.
Ist also, wie E. Cromme zum Schluss zusammenfassend resümiert: „Nicht Friedenstauglich“!
Nun gibt es ja, entsprechend der tagfertigen Nachrichten, auf dem Gebiet der deutschen Außenpolitik eine grüne Perspektive, oder, um in der Ausdrucksweise von E. Crome zu bleiben einen „grünen Wichtel“ anders formuliert „grüne Wichtelin“.
Die ehemals Kanzlerambitionierte Frau Baerbock, dabei vor allem über eigene primitive Missgeschicke gescheiterte Kandidatin, bietet sie sich wieder selbst an, die erste weibliche Außenministerin Deutschlands zu werden. Von der Sache her – eine Frau – durchaus zu befürworten, aber vom Inhalt her, äußerst bedenklich und das auf eine sehr vielfältig Art und Weise.
Nicht als Randbemerkung sei hier erwähnt, die Grüne Partei ist in der alten BRD u. a. aus dem Kampf für den Frieden und gegen atomare Hochrüstung hervorgegangen.
„Den Bock zum Gärtner machen“, dieses bereits schon im Mittelalter gepflegte Sprichwort, bezeichnet eine Situation, wo Menschen in Positionen gebracht werden oder sich selbst bringen, deren Fähigkeiten höchstens mit Halbwissen, oder Halberfahrungen einzuordnen sind.
Gemessen an anderen Persönlichkeiten in der deutschen Außenpolitik, ich nenne hier nur Willy Brandt, bundesdeutscher Außenminister von 1966 bis 1969, ist die grüne „Wichtelin“ für mich eine grobe Fehlbesetzung. Das ist aber eine durchaus subjektive Einschätzung.
Sehr kritischer sehe ich vor allem ihre politische Aura, die sie umgibt, und es ist anzunehmen, die sie sich selbst geschaffen hat.
Da ist ihre, wie eine Monstranz vor sich hergetragene „Russland Phobie“ und auch nicht zu vergessene, die permanent Schellte an der Politik der VR China. Nebenbei, mit beiden Ländern sind wir auf elementare Weise wirtschaftlich verbunden.
In ihrem Werkzeugkasten von Worthülsen kommt aus diesem Grund der Begriff „friedliche Koexistenz“ nicht vor, seltsamerweise nicht einmal dann, wenn der neue amerikanische Präsident davon spricht.
Petra Kelly, die „Urgrüne“ Politikerin hat sich im Angesicht von Analena bestimmt schon mehrfach im Grabe umgedreht.
Außerdem, das A. Baerbock in ihrem letzten Sommerinterview versucht hat das Mendelejevsche Periodensystem der Elemente schöpferisch mit dem Element „Kobold“ zu erweitern hat m. E. nichts mit ihrer Russland Phobie zu tun, sondern ist einfach eklatant mangelndes Allgemeinwissen.
Diplomatisch gesehen ein Fauxpas, volkstümlich, ein richtiger Schuss in den Ofen.
Aber zu ihrem Schutz als zukünftige Außenministerin sei sarkastisch angeführt, strecken brauch sie sich angesichts des noch auf diesem Posten amtierenden „Roten Wichtels“ nicht!
Der hat sich so recht und schlecht im Schlepptau der Kanzlerin befunden, denn deren diplomatisches Geschick ist ihr wohl schwer abzusprechen. Er selbst hat bestehende und entstehende Konflikte nur verwaltet, dabei schlecht verwaltet, beredtes Beispiel Afghanistan!
Abschließend, es ist so vieles in der heutigen Zeit nicht Hoffnungsvoll, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zum Schluss.
NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat seinen Fuß gerade auf deutschen Boden gesetzt und dabei die Parteien der künftigen Ampel-Koalition forsch aufgefordert, ihre intern begonnene Debatte um den Abzug der US-Atombomben aus Deutschland zügig zu beenden – und zwar mit dieser Zielansage: „Ich zähle darauf, dass Deutschland der Nuklearen Teilhabe der NATO verpflichtet bleibt.“
Nannte man so etwas früher nicht völkerrechtswidrige Einmischung in innere Angelegenheiten? Da bestellte man den Botschafter ein und brach ggf. die diplomatischen Beziehungen ab.
Und unsere Koalitionäre?
Ich tippe mal auf Nibelungentreue und artige Gefolgschaft.
Wer hält dagegen?
In den „Bemerkungen“ wird in der Rubrik „Aus anderen Quellen“ dem geneigten Leser ein Text von Rainer Rupp angeboten, der sich mit dem desaströsen Wahlergebnis der Linken auseinandersetzt.
Der Autor steigt mit Bibel-Zitaten ein; auch der Titel seines Textes „Heulen und Zähneklappern“ rekurriert darauf. Sympathisch, gefällt mir, ein guter Anfang.
Rupp stellt dann Wähleranalysen respektive -wanderungen vor; dabei Arbeiter und Arbeitslose in den Mittelpunkt stellend. Und fragt: „Wie lässt sich das erklären?“ Man ist gespannt. Es folgt eine – nachvollziehbare – Auseinandersetzung mit der Merkelschen Politik, die dann in folgenden Satz mündet: „Auch als sie im Jahr 2015 ihren schlimmsten Fehler machte und im politischen Alleingang die Grenzen Deutschlands für eine unkontrollierte Masseneinwanderung aus dem Orient öffnete….“. Da stutzte ich der erste Mal – „die Grenzen …. öffnete“. Der Ruppsche Text ist zu elaboriert, als dass ihm hier ein lapsus linguae unterlaufen wäre. Merkel hat seinerzeit die Grenzen nicht schließen lassen; das Grenzöffnungs-Narrativ kenne ich jedenfalls bisher nur aus einer Ecke, nämlich der rechten. Und Rupp ist doch links. Oder?
In weiteren Passagen seines Textes drischt – so kann man es wohl sagen – Rupp auf die „Linksjugend“ ein: „Überhaupt lief die Linksjugend mit großem Eifer und begleitet vom Wohlwollen der reformerischen Parteioberen jeder neuen und modernen Idiotie hinterher, sei es „Friday for Future“ oder der Gender-Bewegung“. Was die „Gender-Bewegung“ angeht – meinetwegen eine „Idiotie“; was dagegen „Friday for Future“ angeht, kann ich den Vorwurf der Idiotie nur an den Verfasser zurückgeben. Gerade die Merkelsche Politik des eklatanten Versagens in der Klima- und Umweltpolitik hat hierzulande junge Menschen, um deren Zukunft es geht, zu zigtausenden zurecht auf die Straße getrieben. Und sollte es nicht Anliegen auch gerade linker junger Menschen sein, für eine auch fürderhin lebenswerte Welt einzutreten? Fallen Linkssein, Sozialismus und Zukunft nicht in gewisser Weise in Eins?
Weiter Rupp: „Richtig aktiv wurde diese Linksjugend jedoch erst, als sie gegen ´Rechts´ mobilisierte, zumindest, was sie in ihrer deformierten Wahrnehmung als ´Rechts´ empfand. So kam es, dass Demonstranten, die gegen die staatlichen Einschränkungen unserer Freiheitsrechte unter dem Vorwand der Covid-19-Bekämpfung auf die Straße gingen, sich vor allem bei den großen Protesten in Berlin nicht nur mit massiven Polizeiaufgeboten konfrontiert sahen, sondern auch mit gewalttätigen, linken Gegendemonstranten“. Hier sehe ich nun meine Vermutung bestätigt, dass wohl eher Rupp ein rechtes Problem hat. Denn wer waren die „Demonstranten, die gegen die staatlichen Einschränkungen unserer Freiheitsrechte unter dem Vorwand der Covid-19-Bekämpfung auf die Straße gingen“? Waren nur „linke gewalttätige Gegendemonstranten“ unterwegs? Ich belasse es bei diesen Fragen; nur soviel: Man sehe sich nur nochmals die Bilder an, die anlässlich des Sturms auf den Reichstag gemacht wurden. Waren da ihrer „ Freiheitsrechte unter dem Vorwand der Covid-19-Bekämpfung“ Beraubte unterwegs?
Ich will es bei Obigem belassen; es gäbe noch mehr zur Ruppschen Analyse zum Wahldesaster der Linken zu sagen. Mich kann sie wenigstens nur sehr eingeschränkt überzeugen.
Lieber Mario Keßler, vielen Dank für die treffliche Besprechung der USA-Bücher von Bernd Greiner und Karl Drechsler in Nr. 22! Und einen herzlichen Gruß an Dich auch im Zusammenhang mit dem Dir zu Deinem Siebzigsten gewidmeten Heft der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ unter dem Titel „‚Das Einfache, das schwer zu machen ist‘. Zum Stand der historischen Kommunismusforschung“. – Ich will die Gelegenheit aber auch nutzen, auf diesem Wege vor Karl Drechsler meinen Hut zu ziehen. Er hat mir mit dem von ihm 1978 im Deutschen Verlag der Wissenschaften Berlin (DDR) herausgegebenen und eingeleiteten Band „Das Bündnis der Rivalen. Der Pakt Berlin-Tokio. Neue Dokumente zur Ost- und Südostasienpolitik des faschistischen deutschen Imperialismus im zweiten Weltkrieg“ die Tür zu meinen Forschungen zu China, Japan und der deutschen Politik in Ost- und Südostasien geöffnet, und an der Gültigkeit seiner damaligen Darstellungen und Schlussfolgerungen hat sich bis heute nichts geändert. Ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass er in seinem Forschen unermüdlich geblieben ist und mit der gleichen Sorgfalt und dem gleichen marxistisch fundierten analytischen Mut wie seit eh und je an die Öffentlichkeit tritt. Daher nochmals danke für diesen Artikel.
Lieber Wolfram, hab schönen Dank für Deine freundlichen Worte, besonders zu Karl Drechsler. Eine kleine Korrektur: Das jüngste Heft der Zeitschrift „Arbeit-Bewegung, Geschichte“ wurde mir aus Anlass meiner Versetzung in den Ruhestand, nicht wegen meines 70. Geburtstages, gewidmet. Dieser steht erst in vier Jahren an. Mario Keßler
Lieber Mario, verzeih‘ – und bitte nimm’s als Ausdruck des Überschwangs. Irgendwie war ich froh, nicht alleine 70 geworden zu sein … Mit allen guten Wünschen für das, was jetzt kommt und ganz bestimmt alles andere als Ruhestand sein wird, Wolfram
Zu Ulrich van der Heydens Rezension und speziell zu der folgenden Passage:
„Bei den Ostberliner Demonstrationen im Herbst 1989 hörte man kaum den Ruf ‚Wir sind ein Volk‘, vielmehr hieß es ‚Wir sind das Volk‘. Mittlerweile ist bekannt, wie der Losungswandel bewerkstelligt wurde. Dazu trugen nicht nur die Kohl’schen Verheißungen auf ‚blühende Landschaften‘ bei. Nach Sachsen wurden ganze Busse voll von Bayern zu Demonstrationen gekarrt; in Berlin wurden junge Leute in einem Westberliner Lokal von einem finanzkräftigen Unternehmer geworben, aus ‚das‘ ein ‚ein‘ zu machen.“
Und diese Bayern, die haben natürlich alles an sich gerissen, aus den Lautsprechern kam plötzlich „Mir san oan Vuik!“, und die Sachsen stimmten begeistert ein. Außerdem wurden stangenweise Mentholzigaretten verteilt … Die Sache erinnert mich an Erinnerungen preußischer Offiziere an die Zeit kurz vor der 48er Märzrevolution. Da wollte einer zum Beispiel gesehen haben, wie Leute in einer Berliner Vorstadtschenke französisches Geld zugesteckt bekamen. Den Ruf „Wir sind das Volk“ habe ich, dies zuletzt, in Berlin weder am 7. Oktober noch am 4. November gehört. Weder „das Volk“ noch „ein Volk“.
Es gibt aber noch eine andere Lesart als die, die oben zu lesen sind. „Wir sind das Volk“ wurde danach erstmals auf der Leipziger Montagsdemonstration vom 2. Oktober 1989 skandiert und zwar um sich gegen die Titulierung der Demonstranten als „Rowdies“ zu wenden, die in den DDR-Medien, wie der Leipziger Volkszeitung gang und gebe war.
Die Mutation von „das Volk“ in „ein Volk“ fand danach ebenfalls in Leipzig statt – und zwar kursierte bei der alles entscheidenden Demonstration vom 9. Oktober 1989 in Leipzig ein Flugblatt mit eben diesem Slogan, um klarzumachen, dass auch die „Gegner“ der Demonstranten, das heißt Polizei und andere Sicherheitskräfte auch „Volk“ seien und diese so zum Gewaltverzicht aufgefordert werden sollten. Dass dann westdeutsche Medien und die Politik diese Variante schnell aufgriffen und als eine Forderung zur staatlichen (Wieder)Vereinigung von DDR und BRD umdeuteten, liegt auf der Hand.
Dankenswert hat Wolfgang Brauer an die Uraufführung des vollständigen Großen Gesanges erinnert. Bereits am 14. Februar 1980 war er in Berlin in wesentlichen Teilen im Palast der Republik zu erleben. Davon zeugt auch der auf Schallplatte veröffentlichte Mitschnitt. Es war das 10. Festival des Politischen Liedes. Am Pult Mikis Theodorakis in einem leichten fließenden schwarzen Anzug – auch er selbst ganz unwiderstehlicher Rhythmus. Die leidenschaftliche Musik, die Wortgewalt Pablo Nerudas und das Können von Maria Farantouri, Heiner Vogt und dem Rundfunkchor Berlin riss uns aus den bequemen Sesseln des Großen Saales. Ein unvergessliches und unübertreffliches Erlebnis. Das unsterbliche Werk hat die folternden Obristen der griechischen Militärdiktatur ebenso überdauert wie die Mörderbande des Generals Pinochet in Chile.
Antworten: Angela Merkel, aus dem Amt Scheidende
Wer die These aufbrachte, weiß ich nicht. Aber hartnäckig hält sich die Auffassung, dass Merkel die CDU „sozialdemokratisiert“ habe. Nun auch hier verbreitet: „Aber auch dies, liebe Angela, ändert nichts mehr daran, dass Sie die beste sozialdemokratische Kanzlerin seit Menschengedenken waren“. Nichts falscher als das!
Merkel vermochte mit ihrem von wahltaktischen Überlegungen diktierten Modernisierungskurs zum einen gewisse „Mobilisierungseffekte“ für die eigenen Reihen auszulösen, zum anderen – ebenso wichtig – negative „asymmetrische Demobilisierungsimpulse“ für ihre parteipolitischen Gegner; vulgo sie plünderte deren politischen Lagerbestand, namentlich den der SPD. Eine „Sozialdemokratisierung der CDU“ bedeutet das alles nicht, sondern ein gewolltes Abdriften in unklare politische Konturen, in Profillosigkeit und Beliebigkeit. Peter Sloterdijk nannte dies das „Vergrauen der politischen Primärfarben“. Treffender ist es, Merkels Tun als das einer „Anästhesistin“ zu beschreiben: Sie entpolitisierte die Politik und erhob „Schweigen“ zur „Voraussetzung für gute Entscheidungen“. Also nichts erklären. Deshalb kommt Merkels Satz „Sie kennen mich“ die zentrale Bedeutung für ihr Verständnis von Politik zu. Wen kennt man da? Welche Überzeugungen, Ziele vertritt sie? Das alles blieb immer im Vagen, im Ungefähren.
Wichtiger noch – der Satz macht Merkels politisches Temperament deutlich, das mit persönlichem „Machterhalt“ einerseits richtig, andererseits nur unzulänglich erfasst ist. So unprätentiös und leise Merkel daherkommt – sie ist „der Typus des Ego-Politikers“ (Gertrud Höhler). Es ging ihr nie um die „Mitte“ als solche, sondern sie variierte situativ ihre politischen Ziele. Was zu einem politischen Relativismus führte. Merkel wurde so zur Präsidial-Kanzlerin, zur „Mutti“.
Ein derartig ichbezogener Politikstil muss aus der Sache heraus tatsächlich schwer lesbar bleiben. Dies und Merkels Misstrauen anderen gegenüber führte zugleich einer gewissen Selbstgenügsamkeit. Sie sieht es vielleicht so: In der politischen Welt, in die sie eintrat und die von politischen Männerbünden („Anden-Pakt“) geprägt war, hatte sie keine Wahl. Wo jeder jeden belauerte, konnte man sich durchsetzen, indem man sich ausschließlich auf sich selbst verließ.
Von Ausnahmen wie der Pandemie verwaltete eine grundsätzlich immer schweigsamere Merkel nur noch eine wachsende Summe ungelöster Probleme.
Danke für den Nachruf auf Charlie Watts und die Anekdote, wie er Mick Jagger in die Schranken verweist. Es gibt aber auch ein Interview mit Charlie Watts, in der seine Bescheidenheit und Zurückhaltung – und sein britisches Understatement – schön zum Ausdruck kommen: Als er einmal nach seiner Rolle bei den Rolling Stones gefragt wurde, antwortete er nach kurzem Nachdenken: „Me, I am just the drummer for Mick and Keith.“
In der jüngsten Ausgabe vom 30. August verwendet leider auch das Blättchen den euphemistischen Begriff der „Ortskräfte“, wenn die einheimischen Helfer der westlichen Besatzungstruppen in Afghanistan gemeint sind. Unter dem Begriff der Ortskräfte versteht das Bundespersonalvertretungsgesetz i.d.R. einheimische Mitarbeiter von diplomatischen Vertretungen oder deutschen Auslandsschulen, evtl. noch der Goethe-Gesellschaft. Helfer fremdländischen Militärs heißen Kollaborateure. Wie mit ihnen umgegangen wird, kann man aus den Jahren 1945 ff. in Europa (und nicht nur dort) sehr gut nachlesen bzw. -sehen. Nur beispielhaft sei auf Frankreich verwiesen, auf Norwegen oder die Niederlande. Ganz zu schweigen von der Sowjetunion, wo selbst gewaltsam in die Zwangsarbeit Verschleppte als „Verräter“, „Spione“ oder eben „Kollaborateure“ hingerichtet wurden. Neben echten Kollaborateuren, die es dort natürlich auch gab. „Regierungssprache“ hat viele Facetten.
Lieber Ralf Nachtmann,
als für das Heft 18/2021 verantwortlicher Redakteur fühle ich mich von Ihnen direkt angesprochen.
Nicht „Das Blättchen“ benutzt bestimmte Begriffe, es sind unsere Autorinnen und Autoren. Deren Wirkungsabsichten gehen aus ihren Texten hervor. Sonst nähmen wir sie nicht auf. Und ich denke nicht daran, mich als Sprachpolizist aufzuführen.
Über den von Ihnen monierten Begriff „Ortskräfte“ hat Thomas Ruttig in Heft 12/2021 („Afghanische Ortskräfte in Gefahr – Resultat westlicher Überheblichkeit“) das zu Sagende gesagt. Er gebraucht das Wort durchaus als Arbeitsbegriff, wissend um dessen Problematik („sogenannte Ortskräfte“). Genau so wollen wir ihn verstanden wissen. Wir wissen um die Ambivalenz von Motivationen und Handlungen mancher dieser Leute. Man kann da auch nicht alle über einen Kamm scheren, wie es mit dem von Ihnen vorgeschlagenen Begriff „Kollaborateure“ passieren würde. Der ist pejorativ besetzt, auch wenn Sie listig-philologisch eine scheinbar neutrale Lesart anbieten. Wer Kollaborateur sagt, weiß wie das Wort bei den allermeisten Lesern ankommt und setzt es zumeist sehr absichtsvoll. Und mit Verlaub: „Wenn hinten weit in der Türkei die Völker aufeinanderschlagen“ (Goethe), lässt es sich an sicheren preußischen Kaminen (jetzt parodiere ich Tucholsky) trefflich richten. Das ist Stammtisch. Ich nehme an, Sie spielen auf eine der „Antworten“ im Heft an. Hätte der Einreicher das Wort „Kollaborateur“ benutzt, hätte ich den Text abgelehnt. Nicht aus sprachlichen, aus inhaltlichen Gründen.
Wir sind die Letzten, die die missratene bundesdeutsche Afghanistan-Politik auch nur im Ansatz publizistisch schöner schreiben. Aber Beckmesserei halte ich auch nicht für angemessen, wenn Menschen in Todesnot sind – und Hilfeleistung das allererste Gebot ist.
Mit besten Grüßen
Ihr
Wolfgang Brauer
Die Verwaltungssprache hat stets ihre Eigenbewegungen. So steht der eigentlich unschuldig aus dem Insolvenzrecht daherkommende Terminus „Abwicklung“ für die nahezu vollständige Zerstörung der DDR-Industrie nach 1990. Der Terminus „Ortskräfte“ betrifft im Verwaltungsdeutsch nicht nur die Beschäftigten diplomatischer Vertretungen und angeschlossener Einrichtungen Deutschlands. Es gibt eine Liste, die das Auswärtige Amt herausgibt und regelmäßig aktualisiert, in dem die Entlohnungssätze für aus den Ländern stammende oder dort lebende Menschen (das können auch deutsche Staatsbürger sein, die ständig in dem Land leben) festgelegt sind. Alle staatlich bzw. bundesfinanzierten Institutionen, Einrichtungen, Vereine usw., die im Ausland tätig sind, sind gehalten, sich bei der Entlohnung ihrer „Ortskräfte“ daran zu halten. Insofern betrifft das auch alle Träger von „Entwicklungshilfe“ (heute euphemistisch „Entwicklungszusammenarbeit“), den DAAD, die Politischen Stiftungen und viele andere. Der Terminus gehört demzufolge nicht nur zu AA und eben auch Bundeswehr, sondern ist in einem weiten Segment von Tätigkeiten deutscher Einrichtungen üblich. Der Euphemismus liegt darin, dass auch die Gehilfen des Militärs, das dem Wesen nach ein Besatzungsregime errichtet hatte, – um nicht das pejorative Wort „Kollaborateure“ zu verwenden – so bezeichnet wurden. Wenn die leitende Idee jedoch war, dass die Lohnlisten der Bundeswehr vor dem Bundesrechnungshof Bestand haben sollten, geht das verwaltungsmäßig schon in Ordnung.
In „Der Hindukusch blutet“ erinnert Detlef Jena an Ereignisse des 19. Jh. Diese haben es sogar Spuren in der deutschsprachigen (!) Literatur des 19. Jh. hinterlassen: von Theoder Fontane gibt es darzüber die Ballade „Das Trauerspiel von Afghanistan“. Hier ist eine neuere Vertonung des Textes von Leo Kowald, gesungen von ihm selbst:
https://youtu.be/h1cwWcEd8q0
In seinem durchaus lesenswerten Beitrag schreibt Bernhard Romeike u.a., die USA schürten „regionale Konflikte in geographischer Nähe Chinas“, hinzu käme „die Förderung sezessionistischer Kräfte in Tibet“. Unglücklicherweise lässt der Autor dabei außen vor, dass es in dieser Region vor allem China ist, das sich die Aneignung weiter Gebiete sowohl im Süd- und Ostchinesischen Meer als auch hinsichtlich bestimmter Landmassen auf die Fahnen geschrieben hat. Die chinesische Aggressionspolitik erinnert doch sehr an Zustände, wie sie in der Mitte der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts in Europa herrschten. Und dass Romeike gerade an ihrem 70. Jahrestag die Eroberung und Besetzung Tibets durch chinesische Truppen, in deren Folge acht Jahre später ein dortiger Aufstand blutig erstickt wurde, völlig beiseite lässt, ist eines Autors seines Formats nun wirklich nicht würdig. Schade, dass durch diese (womöglich absichtliche) Einseitigkeit der ansonsten gute Beitrag so stark beschädigt wird.
Es steht natürlich jedem frei, sich in die kriegsvorbereitende Propaganda des US-Imperialismus und seiner NATO-Vasallen einzureihen.
Muss man auf die berechtigte Kritik am Romeike-Text und die Hinweise darin gleich mit einem Vokabular reagieren, dass an den Kalten Krieg erinnert? Und dass die Kritik berechtigt ist, dafür gibt es genügend Hinweise und Beweise…
„Die Gruppe von Chinesen, die im Mai (2018 – St. W.) in der vietnamesischen Stadt Cam Ranh gelandet waren, hatten sich den Beginn ihres Vietnam-Urlaubs wohl anders vorgestellt. Bevor sie das Land betreten durften, beschlagnahmten vietnamesische Grenzbeamte ihre T-Shirts. Auf den T-Shirts waren die Landesgrenzen Chinas abgebildet. In rot war zusätzlich die sogenannte ´Neun-Striche-Linie´ eingezeichnet – der Umriss jener Zone, die China im Südchinesischen Meer für sich beansprucht. Für diese Provokation hatten die Vietnamesen kein Verständnis“.
Das Südchinesische Meer liegt bekanntlich zwischen China, Vietnam, Malaysia und den Philippinen, auch Brunei und Taiwan haben dort Ansprüche. Doch das weitaus größte Gebiet beansprucht die Volksrepublik China für sich, bis „hinunter“ nach Malaysia. Etwa 80 bis 90 Prozent dieses Seegebietes bezeichnet Peking als sein mare nostrum; ein rohstoffreiches Seeareal und wichtige Schifffahrtsstraße. Der internationale Schiedsgerichtshof in Den Haag wies 2016 die Ansprüche Chinas zurück, doch ignoriert Peking das Urteil. Zur Festigung ihrer Ansprüche hat die Volksrepublik dort mehrere künstliche Inseln aufgeschüttet, auf denen Kampfflugzeuge und anderes militärisches Gerät stationiert werden können oder schon sind. Das Fiery-Atoll, zu den Spratly-Inseln gehörend, ist so eine Insel – mehr als 1.000 Kilometer von Chinas Küste entfernt, aber nur etwa 200 Kilometer von der der Philippinen.
Liebe Petra Erler,
was für ein starker Beitrag von Ihnen zur Coronafrage! Ich danke Ihnen von Herzen für die gründliche Recherche, für die vielen klugen Beobachtungen und Fragestellungen – und natürlich auch für den Schlussgedanken. Wie absurd – weil die Menschheit in ihrer Existenz bedrohend – ist die Proklamation und Anheizung eines neuen „Systemkonflikts“ angesichts all jener Menschheitsprobleme, die ohne ein menschheitlich-solidarisches Zusammenwirken nicht gelöst werden können. Die Corona-Krise entschleiert diese Probleme, mobilisiert – wovon auch in Ihrem Text die Rede ist – offensichtlich neue Kräfte, die eine Wiederverschleierung verhindern wollen – aber wie schwer wird der Weg zur nachhaltigen Entschleierung und schließlich zur Problemlösung sein. Erst einmal haben wir es mit gewaltigen globalen Corona-Profiteuren zu tun, und Verschleierung wesentlicher Interessen und Zusammenhänge wie auch dauerhafte Verunsicherung der Bevölkerungen feiern Urständ. – Nochmals: Danke!
Der Aufruf „Lasst uns endlich Frieden schließen“ in der aktuellen Ausgabe des BLÄTTCHENs ist am 22. Juni 2021 außer in der russischen Tageszeitung KOMMERSANT auch in der BERLINER ZEITUNG erschienen. Unterzeichnerliste unter: https://das-blaettchen.de/wordpress/wp-content/uploads/2021/06/Berliner-Zeitung-22.06.20215.pdf
Sehr geehrte Frau Vollmer,
Ich erlaube mir einzuschätzen, sie sind zweimal gut und sehr mutig im Blättchen Nr.13
„Lasst uns endlich Frieden Schließen“ klingt fast schon wie ein Stoßseufzer aber beschreibt die Lage.
Ihre Unterschrift, wie schon vor einigen Jahren bei dem Aufruf: „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen“! vom Dezember 2014, steht lobenswert darunter.
Dann in ihrem Artikel berechtigte „Merkelschelte“ kurz zusammengefasst zum Thema Russland sie blinkt links aber fährt stur rechts, stur amerikanisch, Das sie angeblich gut mit Putin kann, weil sie russisch spricht ist eine Legende der Bild Zeitung. Wie sie es richtig erkannt haben, sie ist in erster Linie verantwortlich für die miserablen Verhältnisse der deutschen Regierung zu Russland. Ganz nebenbei im Volk sieht die Sache, Verhältnis zu Russland, wesentlich besser aus.
Aber zurück zum Thema, was mir absolut fehlt in ihrem schönen Artikel ist die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Klientel. All das was sie an „Merkelschelte“ einbringen, trifft im vollem Maße auf ihre Partei die „Bündnis 90 die Grünen“ zu. Davon in ihrem schönen Artikel kein Wort!!!
Ich hätte mir gewünscht, dass sie dazu kontrovers Stellung nehmen, denn die führenden Leute ihrer Partei sind der sogenannten Russlandphobie mehr als zugeneigt, ich würde sie sogar als Bannerträger dieser Phobie bezeichnen.
Klaus Joachim Herrmann sagt:
Keine Punktlandung in Minsk
Sehr geehrter Herr „Jan Wyd, Minsk“, mit besonderem Interesse habe ich mich Ihrem Beitrag zugewandt. Leider jedoch hielt die Autorenzeile mit dem Ortshinweis nicht im geringsten, was sie versprach. Jeder ernsthafte Hinweis auf Augenzeugenschaft, persönliche Begegnungen in der belarussischen Hauptstadt oder auch nur Anwesenheit dort blieb aus. Wenn Sie aber aus Minsk berichten, wäre dies höchst wünschenswert und ganz sicher unvermeidbar gewesen. Gewiss, Sie zitieren einzig einen nicht näher bezeichneten „Bekannten“, und dies geschieht ganz in Ihrem Lukaschenko gegenüber verständnisvollen und gegenüber Protest und Reformen skeptischen Sinne. Das ist weniger als dürftig.
Tut mir leid. Das war keine „Punktlandung in Minsk“. Aber es war ja wohl, glaubt man dessen Archiv, Ihr erster Beitrag für „Das Blättchen“. +++
Sie bitten für die eintägige Verspätung der nächsten Ausgabe um Entschuldigung. Das ist höflich. Die Redaktion entschuldigt sich leider aber nicht für die schäbige Denunziation, mit der Erhard Crome einen sachlichen Eintrag Peter Fellenbergs quittiert hat, was in Sachen Diskurskultur dem Ruf des Blättchens m.E. höchst abträglich ist.
Heinz Jakubowski
Die Redaktion legt auch bei heftigen Kontroversen im FORUM prinzipiell Wert darauf, dass die Grenze zur persönlichen Verunglimpfung nicht überschritten wird. Um so mehr bedauere ich als zuständiger Redakteur vom Dienst, dass es im vorliegenden Fall meinerseits an der notwendigen Sorgfalt mangelte. Zumal die abschließende Retoure von Herrn Fellenberg ebenfalls nicht unseren Vorstellungen von Diskurskultur entspricht.
Wolfgang Schwarz,
Redaktion DAS BLÄTTCHEN
Sehr geehrter Herr Crome,
Dank für Ihre Antwort. Ich hatte gehofft, in einen fachlich begründeten Austausch zu kommen – aber so wird das wohl nichts.
Erstens habe ich mich mit keiner Silbe zum Lebenswerk des Autors Toynbee überhaupt geäußert, sondern lediglich zum unkritischen Gebrauch der Begrifflichkeit „christliches Abendland“. Zu unterstellen, ich hätte diesen Autor „mit den deutschen Eroberungskriegen in einen Topf“ geworfen ist falsch. Ihre Wertung meiner Randglosse als „dreist“ empfinde ich als unredlich.
Zweitens haben Sie offenbar in meiner Biographie gestöbert. Ich bedanke mich für das Interesse, so bemerkenswert es ist als Reaktion auf eine fachliche Frage – nur leider sind Sie nur bis zu einem Punkt gekommen, der Ihnen offenbar gelegen kam. Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass ich der Historikerschule Markov/Kossok der Karl-Marx-Universtät Leipzig entstamme, deren universalgeschichtliche Forschung zu DDR-Zeiten internationale Anerkennung gefunden hat. Zwei Promotionen zur jüngsten Geschichte Lateinamerikas habe ich geschrieben – und dann wurde ich kurze Zeit vor der „Wende“ an die Sektion mit dem bösen Namen geschickt, um den unbestreitbaren wissenschaftlichen Schwächen dort abzuhelfen. Dass Sie hier versucht haben, mir diesen Umstand pauschal „um die Ohren zu hauen“ – was überdies mit unserem strittigen Thema überhaupt nichts zu tun hat, ist schon eine rechte Erinnerung an die unglaublichen und anmaßenden fachlichen „Evaluierungen“ an der Universität zu „Wende“-Zeiten.
Drittens: Ihre letzten beiden Sätze kommentiere ich nicht. Sie sind inakzeptabel und eines „Kollegen“ unwürdig. Mit Schaum vor dem Maul sieht man nicht unbedingt durch.
Schönen Tag noch!
Allerwertester Herr Fellenberg,
wir reden hier über Arnold Joseph Toynbee (geboren 1889 in London, gestorben 1975 in New York), einen Historiker, der einer der Begründer der Theorie der Kulturkreise war. Da war der „abendländische“ einer der vielen. Er war einer der bedeutendsten Kulturtheoretiker und Geschichtsphilosophen des 20. Jahrhunderts. Die zwölf Bände „Der Gang der Weltgeschichte“ (1934 bis 1961) waren sein Hauptwerk, „Krieg und Kultur“ ein Nachkriegsband, nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus geschrieben. Er hatte in den 1950er Jahren einerseits die Idee, dass nun eine „Westernisierung“ der Welt naheliegend war, wegen der englischen Sprache, der Rolle der USA in der Weltpolitik und Weltwirtschaft, der Ausstrahlungskraft und Macht der angelsächsischen Kultur. Hier wusste er aber, dass diese Vorstellung in Widerspruch zu seiner eigenen Kulturkreis-Theorie stand, und rang daher darum, dieses Problem wissenschaftlich zu lösen.
Zugleich war Arnold Toynbee keineswegs nur in der Welt der Wissenschaft unterwegs, und es ging ihm nicht um besonders verkaufbare Thesen (wie es heute oft der Fall ist: je schriller die These, desto rascher hockt der Brotgelehrte prominent in der Fernseh-Talkshow). Im Ersten Weltkrieg arbeitete er für das britischen Außenministerium, befasste sich mit türkischen Angelegenheiten und nahm 1919 als Experte an der Versailler Friedenskonferenz teil (auf der das Osmanische Reich bekanntlich in verschiedene Bestandteile zerlegt wurde). Er war Professor für neugriechische und byzantinische Geschichte und hatte sich als einer der ersten mit der Analyse des griechisch-türkischen Krieges (1919-1922) befasst, war dann Professor für Internationale Geschichte an der berühmten London School of Economics and Political Science. Seit 1925, und dies bis 1956, war Toynbee zugleich Direktor des Royal Institute of International Affairs, des britischen Instituts für Internationale Beziehungen. Während des Zweiten Weltkrieges – also als Großbritannien unter Winston Churchill Krieg gegen Hitlerdeutschland führte – leitete er zudem die Forschungsabteilung des Foreign Office, des britischen Außenministeriums. Wenn man also sein gewaltiges wissenschaftliches Werk und seine vielfältigen Tätigkeiten für die außenpolitische Praxis nebeneinanderlegt – und wir reden hier über eine Zeit, da das britische Empire eine Weltmacht mit globalen Interessen war –, muss angemerkt werden, dass sein Gang der Weltgeschichte in gewissem Sinne auch als Grundlagenforschung für die britische Weltpolitik gelesen werden muss.
So war es folgerichtig, dass er sich nach dem Zweiten Weltkrieg – und im Niedergangsprozess der britischen Weltmacht – vor allem einer regen Vortragstätigkeit in den USA zuwandte und sich mit der „Zukunft des Westens“ und der „Westernisierung“ befasste. Am Ende plädierte er für den „Weltstaat“, der idealiter den Weltfrieden sichert, und zu dem die UNO ausgebaut werden sollte. Und für die „friedliche Ko-Existenz“ zwischen dem Westen und der Sowjetunion. Insofern ist er heute ein bürgerlicher, angelsächsischer Kronzeuge gegen die gefährliche Spannungspolitik von Biden, Johnson und Co. Seine Kulturkreistheorie kann gegen die Vorstellung in Ansatz gebracht werden, die jetzt auch bei den Grünen waltet, in aller Welt müsste es werden, wie „der Westen“ heute ist,.
Diesen Toynbee, der ein erklärter Feind des deutschen Militarismus und Faschismus war und aktiv zu dessen Zerschlagung beitrug, mit den deutschen Eroberungskriegen in einen Topf zu werfen, ist schon ziemlich dreist. Wie von jemandem, der einst „Wissenschaftlichen Kommunismus“ studiert hat, was ja ohnehin keine Wissenschaft war, sondern eine Art staatssozialistische Theologie. Dort sieht man nur Worte, keine historischen Zusammenhänge. Vielleicht sollten Sie für die „Medaille für hervorragende propagandistische Leistungen“ vorgeschlagen werden. Oder aktuell: zum Vorkämpfer für „politische Korrektheit“ ernannt werden.
Bleiben Sie gesund!
Erhard Crome
Sehr geehrter Herr Ernst,
Wie ist es möglich, meine Einwendungen gegen das Fehlen eines kritischen Hinterfragens der Begrifflichkeit „christliches Abendland“, der beispielsweise zur Rechtfertigung deutscher Welteroberungskriege historisch eine zentrale Rolle im deutsch-völkischen Lager gespielt hat, in den Verdacht zu bringen, Militarismus zu relativieren. Das ist absurd. Ebenso der Verdacht, gegen friedliche Koexistenz mit Russland mich ausgesprochen zu haben. Ganz und gar im Gegenteil! Indem schon per Überschrift des besprochen Beitrages Kultur und Krieg in ein Verhältnis gesetzt worden ist, schien es mir zwingend darauf hinzuweisen, dass die Barbarei des Krieges in allem das unbedingte diametrale Gegenteil von Kultur überhaupt ist und der historisch äußerst belastete Begriff eines ominösen „christlichen Abendlandes“ für das Gegenteil von friedlicher Koexistenz – insbesondere mit Russland – steht.
Ich bin sehr irritiert über Ihre Reaktion. So darf ich die ehrliche Frage stellen, worin Ihrer Meinung nach der Grund für ein so grundsätzliches Nicht-Verstehen liegt.
Zu “Carpe diem”
Dank für die feine Ironie im Abriss eines Kalenderjahres, der für mich als ein alter Heide auch Nachhilfe ist. Aber die Bewertung des D-Day ist leider misslungen (Kursk; Stalingrad) von wegen Einleitung der Zerschlagung Hitlerdeutschlands. Und es fehlt der DDR-Kindertag am 1. Juni, den wir heute noch begehen – übrigens mit einer gewissen diebischen Freunde, weil die Brüder und Schwestern im kapitalistischen Ausland davon keine Ahnung haben.
zu „Krieg und Kultur“ von Erhard Crome
Was mag der Grund für die Veröffentlichung dieser Besprechung sein? Nicht nur, dass die verquasten Begrifflichkeiten nicht hinterfragt werden und sie einer Geschichtsbetrachtung mit dem Rasenmäher über Jahrtausende dienen sollen – um nicht auf weitere methodologische Unmöglichkeiten einzugehen, so sollte doch zumindest deutlich gemacht werden, dass Krieg und Kultur sich grundsätzlich als Tatbestand ganz und gar ausschließen. Kann Barbarei Kultur sein? Ist das häufig angeführte und ebenfalls nicht hinterfragte „christliche Abendland“ ein kultureller Wert an sich? Wenn mir abends der Mond scheint, ist es schön. Wenn das „christliche Abendland“ hörbar wird, gehe ich entweder nach Hause oder auf die Barrikade. Gründe für Letzteres hat die Geschichte überaus reichlich im Bestand.
Diese Einwendung verstehe ich nicht. Will der Diskutant den einstigen deutschen Militarismus verharmlosen? Oder ist er gegen die „friedliche Ko-Existenz“ mit Russland?
Sehr geehrter Herr Wohanka,
In ihrem Artikel Klimakrise? Menschheitskrise? (Blättchen Nr. 12) streifen sie zu besagten Themen die Genialität.
Eine Zusammenfassung der apokalyptischen Veränderungen, die der Menschheit aktuell und mit den zukünftigen Jahren immer aktueller in ihrem Haus, der Erde anstehen.
Ich stimme mit ihnen völlig überein wenn sie in ihrem Artikel meinen „Klimaschutz ist Menschenschutz“!
Auch verstehe ich in Anbetracht der aktuellen Situation ihre Ratlosigkeit, was die Erreichung der aktuellen Klimaziele anbetrifft. Denn die Politik kommt aus dem engen Geflecht, es wäre auch angebracht zu sagen, aus der „Verfilzung“ der weiterhin angesagten Profitmacherei zu Ungunsten der Natur nicht heraus.
Auch die noch laufende weltumspannende Pandemie wird daran nichts ändern.
Es musste vor nunmehr Jahren ein kleines Mädchen aus Schweden kommen um der Menschheit in Sachen Klima den Spiegel vor das Gesicht zu halten.
Das in ihrem Artikel die Bewegung „Fridays for futur“ nicht einmal eine Erwähnung findet, wo sich doch reihenweise Politiker als Trittbrettfahrer dieser Bewegung gern bedienen möchten, hat mich aber nachdenklich gemacht.
Ich würde die jungen Schultern, die diese Bewegung tragen, als Hoffnung für die Menschheit bezeichnen.
Corona bedingt ist es etwas ruhiger geworden. Ich persönlich hoffe, es ist die Ruhe vor dem Sturm.
Sicherlich, wenn „die Alten“ kurz vor dem Bankrott zu stehen scheinen, finden sie seit Jahrtausenden immer wieder zuckersüße Verse voll des Lobes auf „die Jungen“. Ich mag das jetzt nicht weiter diskutieren. Als junger Mensch würde ich diese Äpfel in die Tonne werfen, sie sind meist vergiftet. Klaus Mann äußert sich in „Der Wendepunkt“ übrigens zur seinerzeitigen Überschätzung und Selbstüberschätzung der Jugendbewegung (zu der er sich damals als Odenwald-Schüler zumindest gefühlsmässig zählte):
„Die prahlerische Selbstverherrlichung der Jugend als idealistisch-revolutionäres Programm, die Etablierung einer bestimmten biologischen Phase als autonome Lebensform: Nur in Deutschland war dergleichen möglich. Wie unverwechselbar, wie gefährlich (hervorgehoben! – G.H.) deutsch ist die Mischung aus Systematik und Verschwommenheit, aus revolutionärem Elan und bösartigem Obskurantismus, die wir für die Jugendbewegung charakteristisch finden! Ohne Frage, die romantische Rebellion gegen unsere mechanisierte Epoche enthielt zukunftsträchtige, wahrhaft progressive Elemente; gleichzeitig barg sie aber auch den Keim des Unheils. […] Schließlich zerfiel die ‚Revolution der Jugend‘ in eine Vielfalt politisch bestimmter Gruppen, von denen die einflußreichsten sich als Wegbereiter des Nationalsozialismus erweisen sollten.“
Sehr geehrte Herren Grimmer und Hayn,
erst einmal Ihnen, Herr Grimmer, Dank für die freundliche Aufnahme meines Textes. Wenn Sie ein aufmerksamer Leser des Blättchens sind – was ich unterstelle -, dann wissen Sie, dass ich die Bewegung „Fridays for Future“ verteidigt und namentlich das „kleine Mädchen aus Schweden“ vor bösartigen Anwürfen in Schutz genommen habe. Die genannte Bewegung findet insofern in dem aktuellen Artikel Erwähnung, als dass ich am Schluss schreibe: „Es sollte dazu kommen, dass …. Menschen, die sich darüber im Klaren sind, dass es beim Klima- und Umweltschutz um uns Menschen geht, die Politik vor sich her treiben….“ Nicht unbedingt ein schöner Satz, aber sei´s drum.
Was, Herr Hayn, die „Überschätzung und Selbstüberschätzung der Jugendbewegung“ angeht, so mag das das ja durchaus grundsätzlich zutreffen. Auf „Fridays for Future“ gemünzt, widerspreche ich Ihnen. Da überschätzt respektive selbstüberschätzt sich keine Jugendbewegung, sondern fordert von der Politik das ein, was ebendiese Politik seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zusagt, verspricht, unternehmen will. Und nichts von alledem tut, realisiert, in die Wege leitet beziehungsweise in völlig unzureichendem Maße. Ohne Ihr Alter und das von Herrn Grimmer zu kennen, nehme ich mit einiger Wahrscheinlichkeit an, dass die FfF-Alterskohorte um einiges jünger ist als wir drei und so ein sehr berechtigtes Interesse an einer fürderhin bewohnbaren Welt hat; mehr noch – eine begründete Forderung artikuliert, ihr diese Welt in einem Zustand zu hinterlassen, der ihr ein gutes Leben – so wie wir es genießen – weiterhin erlaubt.
Setze ich die das Mann-Zitat wesentlich ausmachenden Begriffe wie „prahlerische Selbstverherrlichung“, „nur in Deutschland war dergleichen möglich“, „deutsch ist die Mischung aus Systematik und Verschwommenheit“ – FfF ist eine weltweite Bewegung – , „aus revolutionärem Elan und bösartigem Obskurantismus“ und ganz abwegig „Wegbereiter des Nationalsozialismus“ gegen die Forderungen von FfF, wird mein Widerspruch wohl klar. Und so ist der erste Teil Ihres ersten Satzes „Sicherlich, wenn ´die Alten´ kurz vor dem Bankrott zu stehen scheinen…“ insofern völlig zutreffend.
In seinem guten Beitrag zur „China-Frage“ schreibt Wolfram Adolphi, „dies zu untermauern, liefern Expertinnen und Experten gern jede Menge Zahlen zum Wachstum der chinesischen Armee und Flotte“. Das Friedensforschungsinstitut SIPRI, das ganz sicher zu den Experten in diesen Fragen zählt, einer anti-chinesischen Grundeinstellung jedoch unverdächtig sein dürfte, beziffert Chinas Rüstungsausgaben 2020 mit 252 Milliarden Dollar. das ist nach den USA mit 778 Milliarden Doller die mit Abstand zweithöchste Summe in der Welt. (Dritter ist Indien mit 73 Milliarden.) Wichtiger noch ist eine zweite Zahl, die SIPRI nennt. Beim Anstieg der Rüstungsausgaben seit 2011 ist China nämlich absoluter Spitzenreiter mit 76 Milliarden Dollar. Es folgt Südkorea mit einem Plus von 41 Milliarden. Die USA verzeichnen hingegen ein Minus von 10 Milliarden.
Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich, pflegte mein Vater früher zu sagen. Diese Kritik am Adolphi-Text verstehe ich nicht. Wenn wir die Zahlen genau ansehen, ergibt sich folgendes: Die weltweiten Rüstungsausgaben betrugen nach den Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI im Jahre 2020 1.830 Mrd. US-Dollar. Das war in realer Kaufkraft gerechnet ein neuerlicher Anstieg, in diesem Jahr um 3,9 % gegenüber 2019, und der muss insbesondere auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und des Rückgangs der globalen Wirtschaftsleistung um 4,4 % betrachtet werden. Dies war erneut deutlich mehr, als am Ende des Kalten Krieges: Damals wurden weltweit etwa 1.400 Mrd. US-Dollar für die Rüstung ausgegeben. An der „Spitze des Rudels“, wie Donald Trump das einmal nannte, wieder die USA mit 738 Mrd. US-Dollar. Nach den offiziellen Angaben entfallen 40 % der weltweiten Rüstungsausgaben auf die USA; sie liegen fast viermal höher als die Chinas (193,3 Mrd. US-Dollar) und zwölf Mal höher als die Russlands (60,6 Mrd. US-Dollar). Anders gesagt: die USA geben allein dreimal soviel für Militärzwecke aus, wie ihre erklärten Rivalen China und Russland zusammen. Rechnet man zu den Militärausgaben der NATO die wichtiger Verbündeter, wie Australien, Japan und Südkorea, hinzu, entfallen zwei Drittel der globalen Militärausgaben auf „den Westen“. Unter den europäischen NATO-Staaten lag Großbritannien mit 61,5 Mrd. US-Dollar an der Spitze, gefolgt von Frankreich mit 55 Mrd. US-Dollar und Deutschland mit 51,3 Mrd. US-Dollar. Damit geben sie zusammen ebenfalls dreimal so viel für das Militär aus wie Russland. Deutschland hat die siebtgrößten Militärausgaben der Welt. Der Bundeswehrhaushalt stieg 2019 zu 2018 um 12,2 %, 2020 nochmals um 5,6 %. Für das laufende Jahr hat die Bundesregierung trotz Corona eine nochmalige Steigerung um 2,8 % vorgesehen und an die NATO Ausgaben von über 53 Mrd. Euro gemeldet.
Sehr geehrter Herr Nachtmann, danke für Ihren Kommentar! Zu meinem Umgang mit den Zahlen verweise ich aufs „Blättchen“ vom 15. März und zitiere aus meinem Artikel „Frieden als Ladenhüter?“:
„So sieht es aus im Jahre 2021. Die Rüstungsausgaben wachsen weiter. 1,9 Billionen Dollar wurden dem Friedensforschungsinstitut SIPRI zufolge 2019 in die Rüstung investiert – davon 732 Milliarden durch die USA, 261 Milliarden durch China, 71 Milliarden durch Saudi-Arabien, 50 Milliarden durch Frankreich und je 49 Milliarden durch Deutschland und Großbritannien. Werden diese Zahlen ins Verhältnis zur jeweiligen Bevölkerungsgröße gesetzt, sieht das Bild so aus: USA 2.200 Dollar pro Kopf, Saudi-Arabien 1.818, Frankreich 769, Großbritannien 736, Deutschland 612, Russland 451, China 261, Indien 64.
Deutschland also auf Platz 5. Und die Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD hat – so die ARD am 3. Januar 2021 – im Jahr 2020 Rüstungsexporte für mehr als eine Milliarde Euro an Länder genehmigt, die direkt in die Konflikte im Jemen und in Libyen verwickelt sind – allein an Ägypten 752 Millionen Euro. Weiter standen Katar (305 Millionen Euro), die Vereinigten Arabischen Emirate (51 Millionen), Kuwait (23,4 Millionen) und die Türkei (22,9 Millionen) auf dieser Liste.“
Die Pro-Kopf-Frage ist aus meiner Sicht der schlagendste Beweis für den unerträglöichen Überlegenheitsdünkel des Westens. Woher – um alles in der Welt – nehmen sich die USA das Recht, zehnnmal mehr Rüstung pro Kopf ihrer Bevölkerung zu betreiben als China? Und auch Deutschland liegt da immer noch bei mehr als dem Doppelten von China. – Ergo: Die Quelle des riesigen und wieder angeheizten Rüstungswettlaufs liegt nicht in China. Und es wird endlich Zeit, dass man mal in der NATO die chinesischen Vorschläge liest, ernst nimmt und auf Verhandlungen hinarbeitet. Aber Biden sieht „die Führungsrolle der USA“ in Gefahr. Weil die ja – von wem eigentlich? – für ewig an die USA übergeben worden ist.
Zu Stephan Wohankas „Allmende und Verbote“
Der Autor bedient sich des historisch unpassenden Beispiels. Allmende war nicht nur die Dorfwiese. Im Mittelalter – es ist richtig, aus dieser Zeit stammt der Rechtsbegriff – verstand man darunter grundsätzlich alle unverteilten Gemeindegründe: Wald, Weide, Ödland, auch Gewässer. Es war absolut nicht so, dass da jeder tun und lassen konnte, was er wollte. Die Nutzung war streng durch die Dorfgemeinschaft geregelt. Wenn der Bauer Willibald ein Schwein mehr in den Wald treiben ließ (das machte er nicht selbst, das oblag dem Gemeindehirten – mithin eine indirekte „Kontrollinstanz“) als vereinbart, hat man ihm das sicher durchgehen lassen. Eine exzessive Vergrößerung seines Rinderbestandes sicher nicht. Stephan Wohankas Beispiel zieht also nicht. Willibald hätte vor der Durchsetzung der Ware-Geld-Wirtschaft auch kein Interesse daran gehabt. Es hätte ihm nichts gebracht. Schwierig wurde es mit der Allmende, als im Hochmittelalter der Adel Ansprüche auf Teile der Allmende erhob und die auch Schritt für Schritt durchdrückte: das Jagdregal, die Fischereirechte, das herrschaftliche Aneignungsrecht an Waldgebieten für Rodungen zum Zwecke der Siedlungsanlagen etc.pp. De facto war das Problem mit dem Ende der Bauernkriege „erledigt“. Dann setzte die Diskriminierung ein. Das übliche Siegerverhalten. Nicht zufällig fand die ihren ersten Höhepunkt zeitgleich mit der ersten Welle der industriellen Revolution. Es war William Forster Lloyd, der um 1833 den Begriff „Tragik der Allmende“ prägte, um genau die Unmöglichkeit von Modellen gemeinschaftlichen Wirtschaftens belegen zu können. Forster Lloyd hatte entweder keine Ahnung von der Realität der mittelalterlichen Allmende – er bezieht sich tatsächlich auf die „commoners“, Hirten die gemeinsam das Kroneigentum bewirtschafteten – oder er argumentierte absichtlich selektiv. Das soll ja auch heute noch vorkommen.
Die Dorfgemeinde verbot übrigens nicht. Sie setzte Regeln. Die wurden allgemein akzeptiert. Es war eine Überlebensfrage. Daraus kann man lernen. Lloyd und seine Nachfolger sollte man eher nicht zu Rate ziehen, wenn man wirklich Methoden alternativen Wirtschaftens sucht und dabei das Mittelalter befragt. Was ja an sich nicht unbedingt verkehrt ist. So dämlich, wie wir gelegentlich vermuten, waren unsere Ahnen nicht. Sie kamen auch nicht auf die Idee, im Überflutungsgebiet der Flußläufe ihre Siedlungen anzulegen …
Lieber Herr Hayn,
ich danke Ihnen für die Richtigstellungen und Ergänzungen zu meinem Text. Da ich auf dem Sprung bin zu verreisen, muss ich es bei diesem Dank belassen.
Freundliche Grüße
Stephan Wohanka
Zu: Fatale Maienblüten eines deutschen Kaisers von Detlef Jena
Der Autor schreibt: „Das bescheidene einfache Volk, …., übte sich in sarkastischem Spott: ´Wir wollen unsern alten Kaiser Wilhelm wiederhaben!´ […] Das Liedlein ist unvergessen und überdies heuer wieder sehr modern! Seine einzige inhaltliche Substanz ist der Naturschutz!“
Den zitierten Titel „Wir wollen usw.“ wohl kennend, gestehe ich, den Liedtext doch nicht parat gehabt zu haben; obwohl angeblich „unvergessen“… Ich kann mir vorstellen, dass es noch einige Leser gibt, denen es ebenso geht – daher hier der Text:
Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben
Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben
Aber den mit dem Bart, mit dem langen Bart
Aber den mit dem Bart, mit dem langen Bart
So schwärmten unsere Eltern von der guten alten Zeit
Sie liegt so fern und weit, die alte Kaiserzeit
Doch war sie wirklich besser, diese gute alte Zeit
Als einst der Opapa die Omama hat wohl gefreit
Mein Opa schwörte Stein und Bein, dass noch vor hundert Jahren
Der Rheine noch so gar, die Luft durchsichtig war
Und Oma sagte ohne Scherz, dass sie als junge Dirn
Noch aus der Elbe trinken konnte, ohne krank zu wer’n
Ja, mit Jagdgesang und mit Hörnerklang
Rings um Fehrbellin durch die Wälder ziehn
Ja, mit Jagdgesang und mit Hörnerklang
Ritt die Omama mit dem Opapa
Doch sie hielten an und küssten sich
Sonst wärn wir heut nicht da
Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben
Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben
Aber den mit dem Bart, mit dem langen Bart
Aber den mit dem Bart, mit dem langen Bart
An Renate Hoffmann: Ein so schöner Text! Zauberhaft. Danke!
Zu Ulrich van der Heydens „Faktencheck“:
Die Aufklärung von „Fake news“ ist gut und richtig und notwendig. Auch wenn sich mir nicht erschließt, warum denn durch dieses vom Autor so schön sezierte und wohl eher in der Absicht des „DDR-Bashing“ verfasste Lügenmärchen der Alltagsrassismus noch zusätzlich befeuert werden könnte. Immerhin wäre/war hier ein Afrikaner das Opfer! Abgesehen davon bin ich mit dem Artikel d’accord, aber die Thematik hat noch eine andere Seite, der man vielleicht größere Aufmerksamkeit schenken sollte und die meiner Meinung nach viel mit unserer Gegenwart zu tun hat.
Ich kann mich gut erinnern, wie sehr mich Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre Berichte über Zusammenstöße zwischen ostdeutschen jungen Männern mit „Gastarbeitern“ verstört haben. Manchmal, vielleicht sogar oft, mögen sie gerüchteweise übertrieben gewesen sein (Fake news sind keine neue Erfindung), aber ich habe noch als Schüler, vor allem aber als Soldat, auch schlimme Augenzeugenberichte gehört. Für viele Lehrlinge oder junge Arbeiter gehörten Schlägereien mit „Algeriern“ oder „Kubanern“ anscheinend zur Wochenendroutine. Und der gemeinsame Tenor dieser Berichte war, dass die Polizei zu wenig gegen Gewaltexzesse „der anderen“ unternommen hätte, und zwar aus politischer Rücksichtnahme. (Es war sozusagen das Gegenteil von dem heute oft beklagten und leider auch nachgewiesenem Wegsehen von Polizei und Geheimdiensten bei rechtsextremen Umtrieben.) Soweit ich das verstanden habe, bestand das übliche Szenario in teilweise auch mit Messern und Schlagwerkzeugen ausgetragenen Auseinandersetzungen in oder vor Kneipen und Diskotheken, bei denen es meistens um Mädchen ging. Im Grunde unvermeidlich, wenn große Gruppen junger Männer faktisch kaserniert gehalten werden und dann manchmal in Gruppen heraus kommen. Und sexuelle Konkurrenz um die ja nicht größer werdende Gruppe der gleichaltrigen Frauen ist natürlich ein in unserer menschlichen (männlichen?) Natur tief verankertes Muster und, wenn sie sich entlang ethnischer Gruppen entzündet, ein erstklassiges Motiv für Fremdenfeindlichkeit.
Als einige wenige Jahre später, in den frühen 80er Jahren, die ersten Nazi-Gruppen auftauchten, meistens Skinheads, hat mich das natürlich ebenso verstört, aber ich habe mich bereits damals gewundert, dass bei der Suche nach den Ursachen der
doch recht offensichtliche Zusammenhang beider „Phänomene“ nicht thematisiert wurde. Nach der Wende wurde von westdeutschen Kommentator/innen immer mal vermutet, „die Ostdeutschen“ seien Migranten einfach „nicht gewohnt“. Vielleicht waren es aber auch die Erfahrungen mit den „real existierenden“ Vertragsarbeitern, die zu den Spannungen und ausländerfeindlichen Gewalttaten beigetragen haben könnten.
Ist es möglich, dass der gruselige Aufschwung der extremen Rechten und des Nationalismus, ja nicht nur in Deutschland, vielleicht doch seinen Hauptgrund in der Migration und der Konfrontation mit anderen Kulturen hat und nicht etwa in sozialen Problemen oder der Rückbesinnung auf die Nazizeit? Und spielt dabei vielleicht gerade das anders ausgeprägte geschlechsspezifische Verhalten männlicher Zuwanderer aus manchen anderen Kulturen eine Rolle, das von den „eingeborenen“ Männern als Konkurrenz, von vielen Frauen als bedrohlich empfunden wird?
Oder glaubt jemand ernsthaft, dass die Fremdenfeindlichkeit und ihre Folgen, einschließlich des Aufstiegs der AfD, auch nur annähernd so ausgeprägt wären, wenn es sich bei den Flüchlingen aus Syrien oder auch aus Afrika überwiegend um Frauen, kleine Kinder oder alte Menschen handeln würde?
Die ANTWORTEN der aktuellen Blättchen-Ausgabe enthalten eine zugespitzte Replik auf folgende Aussage der grünen Frontfrau Annalena Baerbock: „Barrikaden anzuzünden und gewaltsam auf Polizistinnen und Polizisten loszugehen, ist kriminell und in k e i n s t e r Weise akzeptabel.“ Der entsprechenden Replik könnte man noch dieses hinzufügen: Das Wörtchen „kein“ zählt im Deutschen übrigens zu den nicht steigerbaren Adjektiven. Es trotzdem zu tun, so erläutert die Plattform LERNHELFER Vier- bis Sechstklässlern, „soll zuweilen Intellekt vortäuschen“.
Nun wollte ich weder ein juristisches Proseminar eröffnen noch zu einer zoologischen Wanderung einladen – zu einem Blick aufs Ganze und der Gefahr einer selektiven Nutzung für bestimmte politisch intendierte Absichten schon. Ein aktuelles Beispiel? Mit Bezug auf das Grundgesetz wird Klage gegen den Präsidenten eines anderen Landes (Weißrussland) erhoben. So Stand der Nachrichten gestern – und so weit so gut könnte man meinen. Man ist sichtbar für die Einhaltung von Menschenrechten engagiert. Kriegsverbrecher? Erdogan? Kissinger wegen seiner aktiven Rolle in Chile September 1973? Ojeh – die Liste waere länger als das Grundgesetz dick ist. Warum ist das so?
Lieber Herr Fellenberg,
Sie schreiben: „Mit Bezug auf das Grundgesetz wird Klage gegen den Präsidenten eines anderen Landes (Weißrussland) erhoben. […] Man ist sichtbar für die Einhaltung von Menschenrechten engagiert. Kriegsverbrecher? Erdogan? Kissinger wegen seiner aktiven Rolle in Chile September 1973?“ So weit, so gut; nur was heißt „man“? Ihre Sätze können den Eindruck erwecken, dass dieses „man“ hier bedeutete, dass von Staats wegen geklagt respektive in den anderen Fällen dasselbe unterlassen wurde. Im Falle von Machthaber Lukaschenko stehen hinter dem „man“ vier Anwälte, die im Namen von zehn Belarusen beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eine Strafanzeige wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einreichten. Es sind also Landsleute Lukaschenkos, die ihn verklagen. Dass das möglich ist, liegt im sogenannte Weltrechtsprinzip begründet, das es erlaubt, auch hierzulande Völkerrechtsverbrechen von Ausländern in anderen Staaten zu verfolgen. Insofern wäre auch Erdogan „anklagbar“ – nur wer macht´s? Was Kissinger angeht, so gab es meines Wissens gerichtliche Vorladungen in verschiedenen Ländern, denen Kissinger allerdings nie nachgekommen ist.
Grüße
Stephan Wohanka
Liebe Frau Haustein,
ich glaube, nicht die Autorin kritisiert zu haben – das stünde mir auch nicht zu, denn ich kenne sie nicht, sondern ihre Position in einer konkreten Frage. Und – ja, in die Auslegbarkeit von Paragraphen hin und her sich zu begeben hieße wohl, sich ebenfalls auf die Froschperspektive einzulassen, was eine gesellschaftliche Einordnung von Möglichkeiten und Grenzen eines Rechtssystems einschließlich politischem Missbrauch u.U. offenbar schwieriger macht. Daß Sie an Abwägungen aus der Vogelperspektive nicht interessiert sind – wie Sie in Ihrer Replik mitteilen, ist bedauerlich. Warum eigentlich?
Gibt es „die Vogelperspektive“? Der Steinadler sieht (und frisst auch) Auerhähne, die Taube sieht Körner und der Storch Frösche. Da möchte man durchaus nicht Frosch sein, das verstehe ich. Während der Taube der Frosch egal ist. Aber welche Paragraphen sollen denn mit den Fröschen im Sumpf liegen? Oder im Himmel mit dem Adler schweben? Der ist bereits auf dem Grundgesetz zu betrachten. Da muss man schon konkreter ausdrücken, was man meint. Da reicht der Verweis auf den Winkeladvokaten Kubicki nicht aus.
Zum Kommentar von Franka Haustein: Ist es nicht eher so, dass gerade die Juristerei inzwischen zu einer tragenden Säule einer „allenthalben um sich greifende(n) Aufregungs- und Empörungsunkultur“ geworden ist? Recht und Rechtsauffassungen fallen nicht vom Himmel – so weit ich weiß. „Die Weltbühne“ von Ossietzky und Tucholsky ist voll von konkreten Beispielen der politischen Instrumentalisierung von „Recht“. Und so entäußert sich dies im juristischen Gewand eben auch heute. Und das ist keine Überraschung. Das kann auch heute sogar richtig „ins Kraut“ schießen – beispielsweise als ein Herr Kubicki letztens öffentlich erklärte, wie gut und vorsorglich es doch sei, dass das Grundgesetz nicht das Recht auf Leben, sondern eben nur die Würde des Menschen festgeschrieben habe. Na Danke auch – so gesehen darf er dieses Grundgesetz gern behalten…
Mein Ausgangspunkt, werter Herr Fellenberg, war Ihre Pauschalschelte, zu der festzustellen war: „Kein einziges Argument der kritisierten Autorin inhaltlich auch nur streifen, von in der Substanz widerlegen gar nicht zu reden, aber trotzdem zurückschlagen …“ Darauf können Sie offenbar nicht eingehen?!
An der von Ihnen stattdessen vorgenommenen Ausweitung des Diskurses bin ich meinerseits nicht interessiert.
Betr. Antworten Annegret Kramp-Karrenbauer
Leo und Gutsch, die beiden Kolumnisten der Berliner Zeitung, kann man schon mal verwechseln. Maxim Leo ist ein Enkel von Gerhard Leo, der mit zehn Jahren 1933 nach Frankreich emigrieren musste und dort im Krieg in der Résistance kämpfte. Maxim Leo hat in seiner Kolumne geschrieben:
„Ich frage mich bis heute, ob die Ostdeutschen sich nicht besser mit Frankreich wiedervereinigt hätten als mit den Westdeutschen. Wir wären mit einem Schlag Mitbürger von Sophie Marceau geworden und nicht von Annegret Kramp-Karrenbauer.“
Aus unerfindlichem Grund hat die Zustimmung zum letzten * gefehlt. Hier also!
Zum „entfesselten Staat“ von Jessica Hamed:
Es ist aber auch zu dumm, dass das Virus nichts von der in Schwarzroben verkleideten Anmaßung weiß. Unabhängig davon, dass Wissenschaft und Virologen belegbare Gründe für den unbedingten Ernst der Situation vorbringen und dass trotzdem nicht die richtigen Fragen in den Mittelpunkt der öffentlichen Problembetrachtung gestellt werden, geben diese Herrschaften mit der Autorin den Blick frei in eine schwarze Kammer zwischen den Scheuklappen. Interessant zu sehen, von welcher politischen Seite Beifall erschallt.
Dieser Beitrag ist mit einem Furor geschrieben, den andere Themen besser verdient hätten. Als „Ersatz“thema könnte sich beispielsweise anbieten die heutige Meldung über die drastische Erhöhung der Rüstungsausgaben. Wozu? Für wen? Gegen wen? Wegen der „Würde des Menschen“? Hier müßte doch eineindeutig eine Verfassungswidrigkeit vorliegen! Doch es ist Schweigen aus der Dunkelkammer. Welchen Wert hat dieses Grundgesetz? Nun gut – es kann immerhin Projektionsfläche für juristische Profilneurotiker sein, die letztendlich so fest mit der Staatsräson verbandelt sind, dass kein Blick für das scheunentorweite Auseinanderklaffen von Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit bleibt. Keiner.
Endlich in diesem Forum mal ein schönes Beispiel für die allenthalben um sich greifende Aufregungs- und Empörungsunkultur (oder sagt man neudeutsch besser cancel culture?): Kein einziges Argument der kritisierten Autorin inhaltlich auch nur streifen, von in der Substanz widerlegen gar nicht zu reden, aber trotzdem zurückschlagen – und zwar mit verbaler Verve („eine schwarze Kammer zwischen den Scheuklappen“ usw.).
Das ist dünne, bestenfalls L֦’art pour l’art …
Auch mich beschleicht beim Lesen dieses Textes ein Unbehagen. Es läßt sich schwerlich am konkreten – wie von Frau Haustein verlangt – „Argument der kritisierten Autorin“ festmachen; es ist allgemeiner Natur dergestalt, dass Vertreter des Juristischen nicht selten von einem horror vacui befallen zu sein scheinen. Was für das „wirkliche“ Leben gilt – nämlich Dilemmata moralischer oder sozialer Natur immer mal wieder ertragen, aushalten zu müssen – sollte auch für das Rechtswesen gelten. Die Annahme, „alles“ der Jurisdiktion unterwerfen zu können – und diesen Tenor lese ich aus dem Text heraus – geht fehl.
Die Autorin schreibt: „– Mit anderen Worten, wir haben als Gesellschaft im Gesamten versagt und uns an den Werten, die wir als für uns verbindlich ansehen, versündigt. Die Verabschiedung des geplanten § 28b IfSG ist letztlich nur der bis dato konsequente Höhepunkt einer beispiellosen rechtsstaatlichen Fehlentwicklung.“ Sie greift also zur ganz großen Keule – „als Gesellschaft insgesamt versagt“ oder „Höhepunkt einer beispiellosen rechtsstaatlichen Fehlentwicklung“. Dieses Apodiktische, Superlativistische bestätigt – denke ich – mittelbar meinen grundsätzlichen Einwand.
Zu:
Joe Biden, US-Präsident und offenbar ein Mann klarer Worte – Ob Sie Wladimir Putin, Ihren russischen Amtskollegen, für einen „Killer“ halten, wurden Sie dieser Tage gefragt, und Ihre Antwort kam prompt: „Das tue ich.“
Da können wir uns – angesichts von 2436 bis 2697 Toten durch völkerrechtswidrige Drohnenangriffe auf fremden Territorien (so allein die offizielle Bilanz Ihres Amtsvorgängers nur für die Jahre 2009 bis 2015) – lebhaft vorstellen, wie da erst Ihre Reaktion auf die Frage ausfallen müsste, ob Sie den Friedennobelpreisträger Barack Obama für einen Massenmörder halten.
Das ist ein Paradebeispiel aus der Rubrik „Äpfel und Birnen“, neudeutsch auch gerne „Whataboutism“ genannt!
So sehr man die Drohnenangriffe der amerikanischen Administration als klaren Rechtsverstoß, ja eine Art Lynchjustiz verurteilen muss, ist doch klarzustellen, dass Bidens Antwort auf die Frage nach dem „Killer Putin“ sich auf den „Umgang“ der russischen Führung mit Gegnern wie Oppositionellen, missliebigen Journalisten oder Überläufern der Geheimdienste bezog. Die korrekte Vergleichsebene wäre deshalb das Vorgehen der Amerikaner gegen Menschen wie beispielsweise Julian Assange, Edward Snowden oder Chelsea Manning – mir ist nicht bekannt, dass es gegen einen von denen Anschläge auf Gesundheit oder Leben gegeben hätte…
Die amerikanischen Drohneneinsätze richten sich gegen mutmaßliche Terroristen und wären deshalb eher mit dem russischen Vorgehen in Syrien oder Tschetschenien zu vergleichen, wo durch Bombardements ganzer Städte und Landstriche noch weit mehr unbeteiligte, zivile Opfer in Kauf genommen wurden und werden.
Dass ich die Antwort von Präsident Biden in der ohnehin sehr angespannten, konfrontativen Lage für wenig produktiv halte, ist ein anderes Thema.
Vielen Dank an Detlef Jena für die schöne ironische Huldigung an Bismarck im aktuellen Blättchen! Ausgerechnet Wilhelm Zwo die „greise Einsamkeit des Genies“ zuzuschreiben, erscheint mir allerdings etwas fragwürdig – alt war der doch erst viel später; und genial wohl zu keinem Zeitpunkt.
Ansonsten hängt Bismarcks kluge und nachahmenswerte Haltung Russland gegenüber auch damit zusammen, dass er als preußischer Ministerpräsident drei erfolgreiche begrenzte Kriege führte – die bei weiterer Eskalation wohl anders ausgegangen wären. Immerhin habe ich schon vor Jahren im Blättchen zugegeben, dass „Bismarck – anders als die meisten anderen Spieler – klug genug war, sein Glück nicht weiter zu versuchen“.
Wer das im Zusammenhang lesen will, findet es unter:
https://das-blaettchen.de/2018/09/preussen-und-die-deutsche-einheit-45727.html
Zu dem Text von Ulrich van der Heyden „Die Stasi als Vorbild für Hollywood?“ (Blättchen 7/2021) eine Ergänzung:
Der am Anfang erwähnte Film ist eine umgearbeitete Neuverfilmung von „The Manchurian Candidate“ (westdeutscher Verleihtitel: „Botschafter der Angst“) aus dem Jahre 1962 in der Regie von John Frankenheimer mit Frank Sinatra in der Hauptrolle. Darin geht es um die Erzeugung „kommunistischer“ Mordwerkzeuge mittels Hypnose. Die Romanvorlage stammt von Richard Condon, dessen Bücher sich durch eine Mischung aus blühender Phantasie, handfestem Antikommunismus und spekulativen Horrormotiven auszeichneten. Auch die Neufassung ist eher ein Phantasiegebilde als ein realistisches Kriegsszenario. Es wäre besser gewesen, dies als solches kenntlich zu machen, denn dadurch gewännen die wichtigen Informationen zu Wouter Basson an Glaubwürdigkeit.
Lieber Herr Crome, was ist daran ehrabschneiderisch, wenn ich vermute, dass sie sich einst hinter den real existierenden Sozialismus gestellt haben? Ich habe das lediglich geschrieben, weil ich annehme, dass es bestimmend ist für unsere Meinungsverschiedenheiten. Aber vielleicht haben Sie auch einen anderen Erklärung parat.
Zum Thema Geheimdienste und Opposition: Sicherlich versucht der Westen, auf die Entwicklung im Osten Einfluss zu nehmen. So, wie es einst auch umgekehrt versucht wurde – woraus Hubertus Knabe den unsinnigen Schluss gezogen hat, die bundesdeutsche Studentenbewegung sei eine Stasiinszenierung gewesen. Die Vorstellung, man könne auf geheimdienstliche Weise Massenbewegungen ins Leben rufen und steuern, ist schlichtweg absurd. Die russische Opposition braucht sich freiheitliche und demokratische Ziele auch nicht vom Westen einflüstern zu lassen, Russland hat da eine eigene Tradition, und die gegebenen Verhältnisse tun ein übriges. Dass die in Russland herrschenden Kräfte (von Ihnen als Eliten bezeichnet, während ich eher von Banditen sprechen würde) eine härtere Gangart gegen diese Opposition an den Tag legen, hat meines Erachtens wenig mit dem Verhalten des Westens zu tun – es geht um Machtsicherung, und wenn der Westen lammfromm kuscht vor Putin, geht es der Opposition, so kann man wohl annehmen, erst recht an den Kragen.
Zu Erhard Weinholz (23. März)
Einer ernsthaften politischen Diskussion halte ich ehrabschneidende Mutmaßungen zur persönlichen oder biographischen Integrität des Gegenübers für wenig hilfreich. Dann würden wir uns in die Tiefen der politischen Korrektheit oder Cancel Culture hinab begeben. Das ist mit mir nicht zu machen.
Zur Sache: Das Völkerrecht auf der Grundlage der UNO-Charta und des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945 hat wichtige Ausnahmen vom Prinzip der Nichteinmischung festgelegt. Laut Statut sind das:
„a) Verbrechen gegen den Frieden: Nämlich: Planen, Vorbereitung, Einleitung oder Durchführung eines Krieges unter Verletzung internationaler Verträge…
b) Kriegsverbrechen: Nämlich: Verletzungen der Kriegsgesetze oder -gebräuche…
c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Nämlich: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen…“
Hinzu kommt die UNO-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948.
In diesem Sinne war der Einmarsch Vietnams in Kampuchea, um den Völkermord dort zu beenden, rechtens. Allerdings hatte der Westen den vietnamesischen Einmarsch verurteilt und jahrelang dafür gesorgt, dass auf dem UNO-Sitz Kampucheas die Pol-Pot-Leute verblieben. Alle anderen angeblichen humanitären Interventionen des Westens, der NATO-Krieg gegen Jugoslawien, die Kriege gegen Irak und Libyen waren geopolitischer Natur und erfolgten unter Bruch des Völkerrechts, auch wenn im Nachgang UNO-Resolutionen erlangt wurden. Westliche Versuche in den 2000er Jahren, „humanitäre Intervention“ ohne Beschluss des Sicherheitsrates zu sanktionieren, haben sich völkerrechtlich nicht durchgesetzt.
Das Ende des Realsozialismus in Polen wurde durch die dortigen Arbeiter erwirkt, in der DDR durch die eigene Bevölkerung, die „die Mauer aufgedrückt“ hat. Nicht Helmut Kohl oder die „Achtgroschenjungen“ aus dem Westen, wie es sich Honeckers Gehilfen noch 1989 suggerierten.
In dem von mir zum Frauentag zitierten Buch von Daniela Dahn („Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute“) beschreibt sie minutiös, wie die westliche Geopolitik seit den 1990er Jahren Aufstände gegen legitim gewählte Regierungen organisiert, finanziert und geheimdienstlich gesteuert hat (S. 223ff.), um Regime Change im Sinne der eigenen Einfluss-Sphären zu erwirken.
Mein Kronzeuge dafür, wie der Westen sich gegenwärtig in Russland und anderswo geheimdienstlich einmischt, ist – wie im Text ausgewiesen – ehemaliger Militärattaché der BRD in Moskau und früherer Stabs-Oberst in der Bundeswehrführung. Ich ging beim Schreiben davon aus, dass er nicht die Prawda von 1989 gelesen hat, sondern aus seinen Insider-Kenntnissen weiß, worüber er schreibt. Deshalb weiß er auch, je mehr der Westen stochert, desto härter werden die Gegenmaßnahmen der russischen Eliten, und deshalb plädiert er für friedliche Koexistenz.
Zu Erhard Cromes Antwort auf meine Anmerkungen (Forum vom 15. 3.) und zu seinem Beitrag Bedrohliche Verfeindung, Nr. 6/2021.
„Wie beide /Freiheit und Demokratie – E.W./ in den einzelnen Ländern gefasst sind, ist Sache der inneren Verfassungsordnung.“ Jedes Land kann also, wenn ich Crome richtig verstanden habe, selbst entscheiden, was innerhalb seiner Grenzen an Freiheit und Demokratie zulässig ist. Das Ausland hat sich hier nicht einzumischen, die Bundesregierung hat nicht das Recht, andere Staaten in dieser Sache zu kritisieren oder, wie es bei Crome heißt, ihnen Vorschriften zu machen. Das hören freiheits- und demokratiefeindliche Regierungen natürlich mit Vergnügen. Hätte Vietnam 1978 überhaupt Pol Pots Kampuchea besetzen dürfen? Wenn es nach Crome ginge, wahrscheinlich nicht.
Im übrigen soll dieses Nichteinmischungsprinzip ja wohl nur für Regierungen gelten, Privatpersonen könnten also zum Beispiel den demokratischen Flügel der Opposition gegen Putin zumindest verbal unterstützen. Doch auch das liegt Crome fern, er stellt diese Opposition auf dem Umweg über ein Zitat als bezahltes Werkzeug des Westens dar und verlangt hartes Durchgreifen. Das kenne ich: Auch hierzulande waren es ja angeblich immer wieder fremde Mächte oder Kräfte, Juden, Sachsen, Franzosen, bolschewistische Emissäre, Westberliner Achtgroschenjungen, die auf diese oder jene Weise den Aufruhr verursacht und befördert haben. Verbreitet wurde diese Legende zunächst von Rechten, später auch von Linken. Allerdings Linken besonderer Art: Mir ist einmal aufgefallen, dass man bei einigen Äußerungen Friedrich Wilhelms IV. nur das Wort „Krone“ durch das Wort „Partei“ zu ersetzen brauchte, und schon war man in der DDR, im real existierenden Sozialismus. Erhard Crome hat sich mit dieser Ordnung vermutlich in erheblichem Maße identifiziert und lastet ihren Untergang vor allem dem Westen an. Beides im Unterschied zu mir, und das ist wohl der tiefere Grund unserer Meinungsverschiedenheiten hier.
Lieber Herr Niemann,
Waldemar Landsberger interpretiert meinen Text korrekt.
Und zur Belastbarkeit der von Ihnen monierten Daten: Den Pegelableser kann man in der Regel nicht verantwortlich machen für die Wasserqualität des Flusses, dessen Wasserstand er notiert. Dafür, wie er die Daten interpretiert schon… Aber ich habe den Eindruck, da liegen wir nicht sehr weit auseinander. Zum Zeitgeist, er wird ja derzeit wieder sehr gern beschworen. Ich meine, Goethe hat dazu das Nötige im FAUST I (Szene Nacht) geschrieben: „Was ihr den Geist der Zeiten heißt, / Das ist im Grund der Herren eigner Geist, / In dem die Zeiten sich bespiegeln.“ Seit 1808 hat sich das nicht geändert, das gilt nach wie vor. Nur sind die heutigen „Herren“ geschickter, die Hirne ihrer Untertanen zu verkleistern.
Das gilt auch für die Fragen der Ökologie-Politik. Um es mit einem Bilde zu sagen: Die DDR-Oberen schwadronierten gerne vom „Primat der Ökonomie gegenüber der Ökologie“ (O-Ton!). Heute scheint es umgekehrt zu sein. Auch wenn Blaise Pascal schon wußte, dass das Gegenteil eines Fehlers wieder ein Fehler ist, in praxi gilt das SED-Paradigma auch in der Bundesrepublik. Für das tumbe Volk behauptet wird das Gegenteil. Teslas ökologischer Kahlschlag bei Grünheide im Namen der „ökologischen Verkehrswende“ ist ein so trefflicher Beleg dafür, dass man ihn nicht besser hätte erfinden können. Aber das war nicht mein Thema. Mein Thema ist die absolute Hilflosigkeit der Linken, mit den aktuellen Weltzuständen umzugehen. Und ich behaupte, viele können es auch nicht, und das hat sehr viel mit deren sozialer Verortung zu tun. Es gibt das blöde Bonmot über solche Karrieren: Vom Kreißsaal in den Hörsaal (natürlich im politikwissenschaftlichen Bereich) und dann in den Plenarsaal. Das ist ein sehr böser Satz. Aber er trifft es allzu oft. Hinsichtlich der Folgen verweist Waldemar Landsberger sehr zutreffend auf das di-Masi-Interview.
Lieber Herr Landsberger, wenn der von mir kommentierte Artikel von Günter Hayn so gemeint war, wie Sie ihn interpretieren, muss ich in meiner Kritik tatsächlich zurückrudern und sogar erklären, mit dem Autor zumindest teilweise d’accord zu sein. Wiewohl ich „ökolibertär“ nicht als falsch oder Vorwurf zu betrachten vermag. Es stellt sich doch tatsächlich die Frage, ob nicht in der Situation, in die wir uns als Menschheit hineinmanövriert haben, die ökologischen Erfordernisse vielleicht doch den Vorrang vor sozialen haben müssen. Und dabei ist direkter Zwang (im Gegensatz zu „libertär“) eventuell nicht der optimale Weg.
Um zum Artikel von Günter Hayn in Ihrer Lesart zurückzukommen, taucht dann aber ein anderes Thema auf, das es bestimmt verdient näher beleuchtet zu werden: Täuscht nur der Eindruck oder ist es tatsächlich so, dass Fragen der (ethnischen, kulturellen, sexuellen) Identität die Menschen in ihrer Mehrzahl mehr bewegen als soziale und ökonomische Ungleichheit? Liegt das nur an der medialen Präsenz der Themen oder hat das was mit unserer „kollektiven“ Psyche zu tun? Oder, ganz aktuell, wie kommt es, dass die kriminelle Raffgier einzelner Politiker/innen aus CDU und CSU der Union mehr zu schaden scheint als eine jahrzehntelange kritikwürdige Politik, mehr als die Umverteilung von unten nach oben? Ist das der Zeitgeist? Wenn ja, warum sollen linke Parteien von ihm nicht auch beeinflusst werden?
Zu Lars Niemann:
Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor. Das Problem ist nicht die soziale Herkunft in einem soziologischen Sinne. Die Inhaltsbestimmung lautet “ökolibertäre Partei der urbanen akademischen Mittelschichten”, nicht „sozialistische Partei…“. Die PDS war nach der Wende im Osten auch die Partei mit dem höchsten Anteil von Mitgliedern und Wählern, die einen Hochschulabschluss hatten, und am stärksten in den größeren Städten, nicht auf dem Lande. Das waren aber Menschen oft mit naturwissenschaftlichen und Technik-Abschlüssen, die in der Industrie und Wissenschaft der DDR gearbeitet hatten und „das wirkliche Leben“ kannten. Die meisten hatten eine systematische marxistische Bildung, die sie nun auf den realexistierenden Kapitalismus anwandten.
Die Träger der “ökolibertären Partei der urbanen akademischen Mittelschichten” heute haben Gender Studies oder Postcolonial Studies oder BWL studiert und vertreten die bekannten Positionen der Political Correctness, agieren für die Cancel Cutkrure und gehören zur „Generation Beleidigt“, wie ein aktueller Buchtitel lautet. Von marxistischer Gesellschafts- oder Kapitalanalyse haben sie zumeist keinerlei Ahnung. Für sie soll die Welt moralisch neu geordnet werden, für das Gute und Schöne.
Das kann man heute in der Berliner Zeitung sehr schön nachlesen in dem Gespräch mit Fabio De Masi. Der letzte ernsthafte Politiker der Linken, der von Wirtschaft und Finanzkapitalismus etwas versteht, hört mit der kommenden Bundestagswahl auf, obwohl er erst 51 Jahre alt ist. Er erträgt das politisch korrekte Geschwafel in seiner Partei nicht mehr.
Zu Günter Hayn: Ich muss gleich zu Beginn bekennen, dass der Artikel „Vorwärts nimmer …“ mich sehr geärgert hat. Damit meine ich nicht die Interpretation der Ergebnisse des Parteitags der „Linken“, zu denen man natürlich ebenso unterschiedlicher Auffassung sein kann wie z.B. zur Frage, ob Söder oder Laschet nun der bessere Kanzlerkandidat für die Union wäre, oder ob Annalena Baerbock „Kanzlerin kann“ (warum denn nicht?) sondern den ersten Teil. Hier werden eine Reihe von Daten zur altersmäßigen und sozialen Zusammensetzung einiger Parteien in Deutschland mitgeteilt, die ja durchaus interessant sind und die ich „in etwa“ auch so geschätzt hätte. Was mich stört, ist der in meiner Wahrnehmung anklagende Ton gegenüber SPD und Linken wegen des eher geringen Arbeiteranteils. Ich bin zwar in keiner dieser Parteien Mitglied, aber als Angestellter im Öffentlichen Dienst mit akademischem Abschluss fühle ich von diesem Artikel ebenso angegriffen wie ich mich von anderen Leuten diffamiert fühle, wenn sie mir implizit meine Eigenschaften als nicht mehr junger, heterosexueller, weißer Mann (was ich mir alles nicht ausgesucht habe) und die sich daraus ergebenden oder angeblich ergebenden Privilegien zum Vorwurf machen.
Was können denn die beiden Parteien dafür, dass sich eher gebildete, junge Menschen dort engagieren? Sollen sie ihnen die Mitgliedschaft verweigern, so wie die SED in der DDR nach der sozialen Herkunft und dem Beruf (Lehrer/innen oder Offiziere auf jeden Fall, Naturwissenschaftler/innen oder Mediziner/innen eher nicht) sortiert hat, ob jemand eintreten durfte oder gar sollte oder eben nicht? Ist man als Angestellter im Staatsdienst weniger wert als der Arbeiter, die Migrantin oder die Hartz4-Empfängerin? Armut oder geringe Bildung adeln ebenso wenig wie Reichtum oder ein Doktortitel. Es ist sicher eine Unterstellung gegenüber dem Autor (und ich bitte dafür schon mal um Verzeihung), aber dieses Denken in Kategorien von Klassen und Schichten war es ja, dass in der DDR vielen jungen Menschen aus Akademikerfamilien den Zugang zu Abitur und Studium erschwert, wenn nicht sogar vollkommen verschlossen hat, wenn auch die Praxis auf die Dauer nicht durchzuhalten war. (Das ist keine Verteidigung unseres gegenwärtigen Systems der ökonomischen Segregation mit seiner ungleichen und ungerechten Verteilung von Bildungschancen, doch das ist hier nicht das Thema.)
Dürfen sich Menschen mit hohem Bildungsstand und vielleicht sogar in gesicherter materieller Lage nicht in linken Parteien engagieren? Und wenn sie es dürfen, sollen sie denn dann ihre eigenen Erfahrungen ignorieren und dürfen sie ihre eigenen spezifischen Interessen nicht einbringen? Ich halte es für ganz natürlich, dass die Ideen der politischen Linken eher die Gebildeten ansprechen. Die Konzepte und Theorien sind von Intellektuellen aus bürgerlichem Hause entwickelt worden. Ich kenne den Hintergrund des Autors nicht, aber ich kann meine eigene Erfahrung einbringen, dass in der DDR die damals jüngeren Leute mit Abitur tendenziell den Sozialismus verbessern, die Lehrlinge und jungen Arbeiter ihn eher abschaffen wollten. Dafür hatten sie auch ganz gute Argumente, selbst wenn sie ansonsten eher unpolitisch waren. Ich kann nicht erkennen, dass das heute anders ist. Und auf den „Aufruhr“ der vom Sozialabbau hauptsächlich betroffenen Menschen hat man ja nun in der politischen Linken lange genug vergeblich gewartet. Keine Revolution, nirgends. Es ist sehr schwer, Politik „für die Betroffenen“ zu machen, wenn die sich nicht regen.
Die Frage, ob es Sinn macht, auf die Dauer in Deutschland gleich drei Parteien zu haben, die sich in der sozialen und bildungsmäßigen Zusammensetzung der Mitgliederschaft und bei den sie interessierenden Themen tendenziell annähern, steht auf einem anderen Blatt.
Dem von Günter Hayn geltend gemachten Befund, die Linkspartei ist inzwischen eine „ökolibertäre Partei der urbanen akademischen Mittelschichten“ ist voll zuzustimmen. Dieser Trend war hier im „Blättchen“ schon seit mehreren Jahren diskutiert worden, als Andreas Wehr noch auf ein gutes Ende hoffte.
Das hat Weiterungen. Der friedenspolitische Abgang des Matthias Höhn wurde hier zeitnah diskutiert. Im Zusammenhang mit dem von einem westdeutschen Schmalspur-Historiker namens Harry Waibel erfundenen Mord an einem Mosambikaner in der DDR durch Neonazis und angebliche Vertuschung durch die Stasi war die brandenburgische Linkenpolitikerin Andrea Johlige ebenfalls auf diesen Lügen-Zug aufgesprungen. Die Parteivorsitzende Wissler hat in Friedrichsfelde am Wochenende ihre Blumen am Stein für die „Opfer des Stalinismus“ niedergelegt, neben das Gebinde der CDU. Deren Landesvorsitzender ist der Sohn des Stahlhelm-Dregger, von dem Wissler in Hessen gehört haben sollte. Diese ökolibertäten Vertreter eines halb-akademischen Milieus haben inzwischen nicht mehr nur kein Verhältnis zum Frieden, sondern auch nicht mehr zum sozialistischen Erbe der DDR.
Die Bundestagswahl in diesem Jahr stellt vor schwierige Entscheidungen. Für Rot-Rot-Grün reicht es ohnehin nicht. Eine grüne Kanzlerschaft führt zu einem Verbotsregime. Als Gesinnungslinker will man die absteigende CDU nicht wählen. Wählt man trotz allem Die Linke, kann das eine weggeworfene Stimme sein, weil diese Partei bei 4,7 Prozent hängenbleibt. Um einen bestimmten Teil linker Vernunft zu befördern, kann man zum Berliner Abgeordnetenhaus wenigstens die SPD wählen, wenn man eine grüne Regierende Bürgermeisterin für ein nicht-notwendiges Übel hält.
Zu Erhard Weinholz:
Die Frage ist, was „Demokratie und Freiheit überhaupt“ sein sollen. Wie beide in den einzelnen Ländern gefasst sind, ist Sache der inneren Verfassungsordnung. Im Völkerrecht ist das Friedensgebot von übergeordneter Bedeutung, gefolgt von der souveränen Gleichheit der Staaten, der zugleich das Nichteinmischungs-Gebot inhärent ist. Wenn also deutsche Außenpolitiker vermeinen, anderen Staaten und Völkern vorschreiben zu sollen, wie sie ihre innere Ordnung zu gestalten haben, verstoßen sie gegen das Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten und gefährden damit unter Umständen auch den Frieden. Etwas anderes ist es, wenn in einem Staatenverbund, wie der EU, die Mitgliedsstaaten untereinander bestimmte auch Verfasstheits-Regeln vereinbart haben, die ggf. vor einem gemeinsam eingerichteten übernationalen Gerichtshof einklagbar sind.
Wie das mit dem „Wertebezug“ der deutschen Außenpolitik ist, habe ich hier beschrieben: Erhard Crome: Deutschland auf Machtwegen. Moralin als Ressource für weltpolitische Ambitionen, Hamburg 2019. Meine Argumentation geht ganz ohne „Antideutsche“. Die kann ich auch nicht leiden.
Jüngst war hier darauf verwiesen worden, daß es bei dem Zitat – in der Regel doch weitgehend korrekt gebraucht – zum „deutschen Wesen“ bei Geibel „mag“ heißt – „soll“ sei offenbar auch gegenwärtig böswillige Verfälschung. Dazu bei „Wikipedia“ in linguistischer Verrenkung immerhin dies Eingeständnis: „Versteht man Wesen unter Mißachtung des geschichtlichen Kontext als Wesen im philosophischen Sinn, kann es gegen die Intention Geibels als Aufforderung an die Welt mißverstanden werden, ‚deutscher zu werden‘ „(!). Nun gibt es bei dem Gedicht 5 Strophen, auch diese Zeilen:
„Wenn die heil’ge Krone wieder eine hohe Scheitel schmückt,
aus dem Haupt durch alle Glieder stark ein ein’ger Wille zückt,
wird im Völkerrath vor allen deutscher Spruch aufs neu erschallen.
Dann nicht mehr zum Weltgesetze wird die Laun‘ am Seinestrom,
dann vergeblich seine Netze wirft der Fischer aus in Rom,
länger nicht mit seinen Horden schreckt uns der Koloß im Norden.“
Ob das wirklich mit dem Verweis auf „mag“ nur therapeutisch, nicht doch imperialistisch interpretiert werden darf ?
Man kann auch nur an Wilhelm Buschs Geibel-Karikatur erinnern: „Wie wohl ist dem, der dann und wann, sich auch was Schönes dichten kann.“
Dem gegenüber: sind dies Fälle von „Nestbeschmutzung“ oder freie Meinungsäußerung?
Gerhard Hauptmann: “ Die Grobheit, das präpotente Wesen, die Ungezogenheit und Unerzogenheit des Deutschen, der ins Ausland kam, hat manchen Schaden gestiftet.“ Zuvor Friedrich Schlegel: „Der Satan der italienischen und englischen Dichter mag poetischer sein; aber der deutsche Satan ist satanischer; insofern könnte man sagen, der Satan ist eine deutsche Erfindung.“
Das mag unpatriotische Meditation sein; aber es gibt die entsprechende politische Praxis.
„Öffnet der Kultur den Weg ein für allemal“, so verabschiedete Kaiser Wilhelm II. am 27. Juli 1900 deutsche Truppen nach China, nicht ohne diesen Verhaltenskodex: „Führt eure Waffen so, daß auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. Übt Manneszucht!“ In dem Tenor nach Jahren weiter: „Gott hat uns gerufen, um die Welt zu zivilisieren; wir sind die Missionare des menschlichen Fortschritts und das Salz der Erde“.(Rede am 22. März 1905 in Bremen)
Am 29. Mai 1945 hielt Thomas Mann in der Forschungsbibliothek des US-Kongresses jene Rede, überschrieben: „Deutschland und die Deutschen“, worin sich für unseren Zusammenhang der „deutscher Weltgeltung“ diese Informationen und analytische Gedanken (z.T. in zusammengefaßter Wiedergabe) finden lassen: „Die politisch begabten Völker betreiben … Politik als eine Kunst des Lebens, die zwar ohne den ‚Einschlag von ‚Lebensnützlich-Bösem und allzu Irdischem nicht abgeht, die aber das Höhere, die Idee, das Menschheitlich-Anständige und Sittliche nicht aus den Augen läßt‘. Demgegenüber erscheine den Deutschen ein ‚auf Kompromiss beruhendes Fertigwerden mit dem Leben … als Heuchelei …‘ . Von Natur aus nicht böse, sondern fürs Geistige und Ideelle angelegt. hält er die Politik für nichts als Lüge, Mord, Betrug und Gewalt … und betreibt sie, wenn er aus weltlichem Ehrgeiz sich ihr verschreibt, nach dieser Philosophie. Der Deutsche, als Politiker, glaubt sich benehmen zu müssen, dass der Menschheit Hören und Sehen vergeht. … Der den Deutschen eigentümliche Kosmopolitismus sei durch ‚Verführung‘ zu europäischem Hegemonialstreben entartet und habe sich dadurch in sein Gegenteil – Nationalismus und Imperialismus – gewandelt. … Der Begriff der Nation passe eigentlich nicht für Deutschland, die deutsche Freiheitsidee sei völkisch-antieuropäisch und dem Barbarischen in der Regel sehr nahe.“(Wikipedia).
Der aktuelle „Spiegel“ (Nr. 11/2021) überschreibt seinen Essay: „Der Sound des Abstiegs“. Und „Spiegel“ hat immer noch den Ruch eines „Leitmediums“, das weiß. wie’s wird. Immerhin ist das Recht auf gelegentlichen Irrtum darin eingeschlossen.
Betr.: Erhard Cromes Forum-Beiträge vom 6. und 7. März
Ob und wann der Westen Russland als Teil Europas gesehen hat, ist das eine – aber man sollte doch auch einmal fragen, wie man es dort damit gehalten hat (bzw. hält). Meines Wissens haben wichtige russische Denker und zum Beispiel auch der Dichter Alexander Blok ihr Land eben nicht eindeutig Europa zugerechnet.
Unklar geblieben ist mir, was Erhard Crome mit seiner Bemerkung meint, der Westen habe der Sowjetunion (bzw. bald darauf Rußland) keinen gleichberechtigten Platz einräumen wollen. Worin hätte denn diese Gleichberechtigung bestehen sollen, über die Rechte hinaus, die Rußland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates bereits besitzt?
„Aber genau betrachtet ist der heutige deutsche Messianismus im Namen von Freedom and Democracy (um mal Brecht zu zitieren) auch nichts anderes, als ‚am deutschen Wesen soll die Welt genesen'“. Da habe ich mich zweierlei gefragt: Zum einen, zu welchem Zweck Crome hier Brecht zitiert, der uns ja weismachen wollte, diese Prinzipien seien unter bürgerlichen Verhältnissen nur Schwindel? Und zum anderen, wie oft wir uns hier die (wenn ich mich recht entsinne, einst von den Antideutschen aufgebrachte) Behauptung noch anhören müssen, dieses Eintreten für Freiheit und Demokratie bedeute, dass am deutschen Wesen die Welt genesen soll? Einmal abgesehen davon, dass es bei Geibel, dem Urheber dieses Wortes, nicht „soll“, sondern „mag“ heißt – ja, wofür soll sich die Bundesrepublik denn sonst einsetzen? Wenn man ihr in dem Zusammenhang einen Vorwurf machen kann, dann doch wohl eher den, dass sie diese Orientierung immer wieder mal Wirtschaftsinteressen geopfert hat. Beziehungsweise, dass man im Falle von Aggressionsakten die SU schärfer kritisiert hat als die USA. Das heißt: Wenn hier etwas zu tadeln ist, dann ein selektives Vorgehen und nicht der Einsatz für Demokratie und Freiheit überhaupt.
Zu Lars Niemann
In der europäischen Geschichte der letzten 500 Jahre gibt es wohl kaum Völker in Europa, die ein solches Wechselbad der Ereignisse sowohl als politische Gebilde als auch in der persönlichen Erfahrung durchleben und auch durchleiden mussten, wie die Deutschen und die Russen.
Deutsche und Russen verbindet eine über Jahrhunderte reichende wechselvolle Vergangenheit.
Viel Gutes aber auch Schreckliches, Böses liegen dabei sehr dicht beieinander.
Bleiben wir bei ihrem Beispiel, die Zeit des ersten Weltkrieges.
Über die Kinder aus der Ehe der britischen Königin Victoria mit Albert von Sachsen Coburg Gotha waren der deutsche Kaiser Wilhelm II, der englische König Goerg V und Zar Nikolaus II verwandte Vettern. Ihre Anrede in genseitigen Briefen waren vertrauensvoll „Goergy“, „Nicky“ und „Willy“.
Ungeachtet dessen, hatten die verschiedenen geopolitischen Interessen ihrer aristokratischen Regimes sie nicht daran gehindert, einen fürchterlichen Krieg, den 1. Weltkrieg mit Millionen Opfern in der Zivilbevölkerung und dem Militär, von der Vernichtung materieller Werten ganz abzusehen, anzuzetteln. Im Ergebnis des Krieges wurden durch die Entente in Versailles, explizit Deutschland für diesen imperialistischen Raubkrieg verantwortlich gemacht und die Nachkriegslasten sehr zu Ungunsten Deutschlands verteilt. Damit wurde auch der Grundstein für die Entstehung radikal nationalistischer Kräfte, an der Spitze die Nationalsozialisten, in der Weimarer Republik geschaffen.
Ungeachtet dessen gelang es dem damalige deutsche Außenminister Walter Rathenau in Verhandlungen mit Vertretern Sowjetrusslands, Deutschlands Isolation in Europa zumindest mit Russland zu beenden
Der Rapallo-Vertrag 1922, vom Außenminister Deutschlands und Sowjetrusslands unterzeichnet, führte zum Verzicht auf gegenseitige Reparationszahlungen, zur Anerkennung Sowjetrusslands und zu intensiven Handelsbeziehungen beider Staaten.
Neben der Meistbegünstigungsklausel wurden auch Kreditbürgschaften nach Art der heutigen Hermesbürgschaft festgelegt. Dieser Handelsvertrag mit Sowjetrussland hatte unter den westlichen Ländern einen einmaligen Status und war für beide Staaten sehr vorteilhaft.
Wie sich die Dinge weiter entwickelten, schuf die Vereinbarungen von Rapallo auch unter Umgehung des Versailler Vertrages, die Basis für eine militärische Zusammenarbeit. Denn Deutschland wurde in seinen Möglichkeiten, insbesondere auf militärischem Gebiet durch den Versailler Vertrag äußerst eingeschränkt. Das insbesondere bei modernen Waffensystemen, wie Panzer und Flugzeuge.
An der Luftwaffenschule Lipezk wurden unter größter Geheimhaltung im Verlauf von mehr als 10 Jahren über hundert deutsche Jagdflieger ausgebildet. Die Ausbildung erfolgte gemeinsam mit Piloten Sowjetrusslands, was auch oft zu persönlichen Freundschaften führte.
Im spanischen Bürgerkrieg und im Großen Vaterländischen Krieg sah man sich dann auf der jeweilig gegnerischen Seit wieder, welch Hohn der Geschichte.
So auch in Kasan, in der geheimen Panzerschule Kama. Hier wurden einige Hundert Deutsche als Panzerbesatzungen ausgebildet. Ab 1932 leitete der spätere deutsche Panzergeneral Guderian die militärische Ausbildung . Was ihm aber nicht davon abhielt 1941 als getreuer Paladin Hitlers in die Sowjetunion, mit den bekannten verheerenden Folgen einzumarschieren, voran Guderians Panzer als Synonym des deutschen Blitzkrieges.
Tatsache ist aber auch, dass die deutschen Absolventen der sowjetrussischen „Kaderschmieden“ in der Regel hohe Offiziersränge in der Reichswehr, später in der Wehrmacht und sogar in der Bundeswehr einnahmen. Als Beispiel sollte hier nur Joseph Kammhuber genannt werden, ein General der Wehrmacht, der bis 1962 Inspekteur der Bundesluftwaffe wieder im Range eines Generals war.
Zu Lars Niemann:
Der Hinweis ist wichtig. Lew Kopelew betonte, ob Russland zu „Europa“ gehört oder nicht, schwankte mit den Interessen des Westens. Als Friedrich II., Österreichs Maria Theresia und Katharina II. von Russland 1772 Polen unter sich aufteilten, betrachteten sie sich als gleichrangig.
Napoleon war ohne Russland nicht zu schlagen, dieses Verhandlungsmacht auf dem Wiener Kongress 1815. Die „Heilige Allianz“ war so konstruiert, dass russische Truppen ihr antirevolutionäres Schwert waren. 1830 wurde der polnische Aufstand in „Kongresspolen“, dem russischen Teil Polens, blutig niedergeschlagen. Die für Demokratie und bürgerliche Freiheiten eintretenden Kräfte in ganz Europa solidarisierten sich mit den Polen. Von denen emigrierten viele, polnische Emigranten standen stets auf Seiten der nationalen Unabhängigkeit und Demokratie, bei den Revolutionen 1848, beim ungarischen Unabhängigkeitskampf 1848/49 und bei Garibaldis Kampf um Italien. Nur mit russischen Truppen war der ungarische Befreiungskampf niederzuschlagen, die Habsburger allein konnten es nicht. Von daher stammt der Hass der Nationalisten wie der Sozialisten im Westen auf Russland, der sich seit Marx und Engels durch die Arbeiterbewegung zieht.
Im Krimkrieg 1853-56, der eigentlich ein russisch-türkischer Krieg war, wollte Russland Konstantinopel erobern und den Ausgang des Schwarzen Meeres kontrollieren. Großbritannien, Frankreich und andere betrachteten dies als nicht hinnehmbar und traten an Seiten des Osmanischen Reiches in den Krieg ein. Ideologische Begleitmusik war, Russland gehöre nicht zu „Europa“, weil keine bürgerlichen Freiheiten, zaristische Selbstherrschaft usw. Das hielt bis nach 1871. Dann war wieder klar, dass Russland zum „Konzert der Mächte“ in Europa gehört.
Die russischen Revolutionen 1917 wurden in aller Welt von sozialistischen und antikolonialen Bewegungen begrüßt. Das beeinflusste auch die Lage in den westlichen Ländern. Großbritannien und Frankreich hatten bereits vor dem Krieg innenpolitisch Probleme, ihr Bündnis mit dem zaristischen Russland zu begründen, zumal nach der Niederschlagung der russischen Revolution von 1905. Das hatte zur Folge, dass der britische König Georg V. sich nicht getraute, 1917 der Bitte von Fürst Lwow, des ersten Ministerpräsidenten Russlands nach der Februarrevolution, Folge zu leisten, den abgesetzten Zaren (seinen „geliebten Cousin“) in Großbritannien aufzunehmen. Er fürchtete, dies würde republikanischen Tendenzen in Großbritannien Auftrieb geben.
Danach schottete sich der Westen mit antibolschewistischer Propaganda gegenüber Sowjetrussland ab. Dabei konnte er an die antirussischen Vorbehalte vor dem Krieg anknüpfen. Zudem hatte der polnische Sieg gegen die sowjetischen Truppen 1920 der polnischen Staatlichkeit eine antirussische Ausrichtung gegeben, die nur ideologisch antisowjetisch war.
Der Rest der Geschichte ist Wiederholung. Im zweiten Weltkrieg brauchten Großbritannien, Frankreich und die USA die Sowjetunion, um Hitlers Deutschland zu besiegen. In Teheran, Jalta und Potsdam war Russland in Gestalt der Sowjetunion selbstverständliche Kontraktmacht für die Nachkriegsordnung. Mit dem Kalten Krieg wurde sie wieder aus „Europa“ hinausinterpretiert. 1990 brauchte man sie. Aber der Westen wollte Russland keinen gleichberechtigten Platz einräumen.
Die antisozialistische Gestalt verschwand, der Anti-Russismus blieb.
Tatsächlich ist das Russland von heute das demokratischste, das es je gab, vergleicht man es mit dem Zarenregime und der Herrschaft der KPdSU, und nicht mit Sonntagsreden im Westen. Gleichwohl blieben einige Elemente über alle Systemwechsel hinweg bestehen: eine Geheimpolizei, die nur der Regierung gehorcht, eine Gerichtsbarkeit, die unter Staatsraison arbeitet, und wer gegen den Zaren vorgehen will, kommt nach Sibirien ins Arbeitslager. Die Kontinuität über 1917 und 1991 hinweg ist ziemlich groß. Das zu ändern ist aber nicht Sache deutscher Großmachtpolitik, sondern des russischen Volkes.
Zu der Diskussion um die Feindschaft gegenüber Russland wollte ich eine kleine Ergänzung beitragen. Wenn man, wie ich, in Ostdeutschland aufgewachsen ist, wurde einem in Schule und Universität eine solche Abneigung als „Antisowjetismus“ und im Grunde als antikommunistisch oder antisozialistisch interpretiert. Wenn man dann in Osteuropa unterwegs war, bekam man mit, dass es zumindest in einigen Ländern tatsächlich gegen „die Russen“ ging, unabhängig von Gesellschaftsordnung und aktueller Politik. Erst sehr viel später habe ich begriffen, dass die Feindseligkeit auch in Deutschland und Westeuropa ganz alt und tief verwurzelt ist und nicht etwa erst sein der Revolution von 1917 besteht. Sehr erhellend fand ich in diesem Zusammenhang das Buch „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark, in dem es um die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs geht. Darin wird an vielen Stellen deutlich, dass selbst in den mit Russland in der Entente verbündeten Staaten das Zarenreich im Osten immer als „das Andere“ betrachtet wurde. Kulturell war die Nähe selbst zu den gegnerischen Staaten Deutschland und Österreich-Ungarn viel größer. Ich frage mich manchmal, ob es nicht auch eine besondere Belastung für den realen Sozialismus bedeutet hat und auch bis jetzt für die politische Linke bedeutet, dass die erste erfolgreiche sozialistische Revolution ausgerechnet in einem Land stattgefunden und sich von dort aufgrund besonderer historischer Umstände ausgebreitet hat, das so unbeliebt war und gegen das (und seine Bewohner) so viele Ressentiments bestanden und bestehen. Dann wäre für eine „antisowjetische“ Propaganda gar nicht viel Aufwand nötig gewesen; die Idee war ein Selbstläufer. Und bei der Betrachtung der aktuellen deutschen Politik muss selbstverständlich diese ganze historische Last mit berücksichtigt werden. Wer ist frei davon?
Sehr geehrter Herr Niemann,
jetzt keine Polemik mit ihrer Beschreibung, allerdings erlaube ich mir wegen RL 150 zwei feste Überzeugungen Rosa Luxemburgs hier in Erinnerung zu bringen:
1) Von der Notwendigkeit, die Zarenherrschaft mittels einer politischen Revolution zu stürzen, war sie in ihrem Werk beseelt wie kaum jemand sonst. Sie zählte bereits lange vor 1905/06 entschieden auf die Arbeiterbewegung im Zarenreich – die polnische wie die russische. Die Revolution scheiterte, mit allen erdenklichen Folgen. Die Vorgänge 1917 waren so gesehen in einem Fortsetzung wie Bruch mit der Revolution von 1905/06.
2) Sie schrieb den russischen Genossen und insbesondere der Bolschewiki nach der Niederlage der Revolution 1905/06 immer wieder eine Warnung ins Stammbuch: Ihr alleine (ohne die Arbeiterbewegung im Westen) werdet es nicht schaffen, die schwere Last der jahrhundertelangen Zarenherrschaft mit all den unausweichlichen Folgen aus der russischen Gesellschaft herauszuschaffen. Mit dem nichtkapitalistischen Weg, der dann nach 1918/19 unter Führung der Bolschewiki in Russland sich durchsetzte, wurden hingegen die vor allem in den Klassenkämpfen des 19. Jahrhunderts anderswo erkämpften Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft aufgegeben oder verraten. Den Weg heraus aus der kapitalistischen und hin zu einer sozialistischen Gesellschaft hatte sich Rosa Luxemburg aber anders vorgestellt.
Hier ein angemessenes Zitat zum Internationalen Frauentag:
„Ich weiß spätestens seit der Wende, dass Westfrauen von den Ostfrauen, zumal von Schreibenden, mehr Sensibilität im Umgang mit dem generischen Maskulinum erwarten. Ich weiß aber auch: Wegen ungünstiger Witterung ist die westdeutsche Frauen-Emanzipation in die Grammatik verlegt worden. Der Gleichstellungsgedanke ist in Westdeutschland seit Ende der 1970er Jahre zu einem vorwiegend linguistischen Problem geworden. Wer mit der Sprache gendert, hat Problembewusstsein gezeigt und ist damit der Pflicht enthoben, sich auch noch für praktische Verbesserungen einzusetzen. In einer Gesellschaft, die immer noch sexistisch ist. Ein Zusammenhang von Jahrzehnten der sprachverschandelnden Lippenbekenntnisse und echtem Bewusstseinswandel ist nicht nachweisbar. Mir geht es eher um die soziale Realität.“
Daniela Dahn
Frau Dahn geht es um die soziale Realität. Gut.
Diese hatte erheblichen Einfluss auf einzelne Lebensbereiche der ostdeutschen Frauen. Diese waren einerseits stolz auf ihre nicht nur häuslich erreichten Leistungen. Andererseits waren sie durch die Doppelbelastung in Betrieb und Haushalt stark gefordert und teilweise überfordert bzw. überlastet. Die „zweite Schicht“, die Betreuung der Kinder und die Arbeiten im Haushalt, nahm durchschnittlich 50 Stunden pro Woche in Anspruch und dauerte damit länger als die „erste Schicht“, die Berufsarbeit. Dies ergab eine Befragung des Leipziger Institutes für Bedarfsforschung im Jahre 1965. Ende der 1970er Jahre dauerte die „zweite Schicht“ noch 47 Stunden. Nachzulesen in: Anna Kaminsky: Frauen in der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 2016, S. 117.
Aus eigenem Erleben: Eine alleinerziehende, voll berufstätige Mutter fuhr gegen Monatsende häufig in die Nachbarstadt zum Einkauf; warum? Sie bezahlte dort mit einem Scheck, der erst Tage später in ihrer Sparkasse „eintraf“. In dieser konnte schon kein Geld mehr abheben, da das Konto leer war.
Lieber Herr Wohanka,
das konnte man auch als „Familienoberhaupt“ mit mehreren Kindern. Das hat nix mit Männlein und Weiblein oder Alleinerziehend zu tun. Bei einer Groß-Familie war auch immer noch viel Monat, wenn das Geld alle war (wie Helga Hahnemann mal betonte).
Trotzdem weiter schönen Frauentag, vor allem in Berlin!
Lieber Herr Ernst,
um so schlimmer, wenn es auch „Familienoberhäupter“ betraf!!!
Aber auch Ihnen einen guten Frauentag.
Herzlich
Stephan Wohanka
Nach dem Dialog mit Herrn Wohanka ist ein Nachtrag erforderlich. Bis in die zweite Hälfte der 1960er Jahre hatten in der DDR nur Besserverdienende, Wissenschaftler und Künstler, die auch Honorare bezogen, ferner Gewerbetreibende, Unternehmer und Handwerker ein Bankkonto. „Einfache“ Arbeiter und Angestellte bekamen ihren Lohn oder das Gehalt im Betrieb oder der Einrichtung in bar ausgezahlt. Rentner mussten Anfang des Monats zur Post, wo auch die Renten bar ausgezahlt wurden. Im Zuge der Ulbrichtschen Wirtschafts-Reformen wollte man sich den regelmäßigen Transport der Unmengen von Bargeld sparen, und die Sparkassen und anderen Banken wurden 1967/68 angewiesen, so viele Konten neu zu schaffen, dass jeder Werktätige ein eigenes Konto, in der Regel bei der Sparkasse haben konnte. Dazu gab es Schecks zum Konto in Papierform, die man zur Bezahlung oder zur Barabhebung, zum Beispiel bei der Post benutzen konnte.
Das bei Herrn Wohanka Gemeinte ist, dass nach Benutzung eines solchen Schecks 4-7 Tage vergingen, bis der beim kontoführenden Institut ankam. Auf diesem Wege konnte man einige Tage, bevor das eigene Gehalt auf dem Konto gutgeschrieben wurde, über „zusätzliche“ Gelder verfügen. Die privaten Konten in der DDR waren Haben-Konten, einen Dispo gab es nicht. Insofern war der „Trick“ mit dem Scheck der Weg, sich einen solchen einzuräumen.
Russlanddilemma
Im „Blättchen“ Nummer 5 waren zwei bemerkenswerte Artikel zu Russland zu lesen.
Wolfgang Schwarz setzte sein Artikel unter die aktuelle Einschätzung von Matthias Platzeck
Ex-Ministerpräsident Brandenburgs und Chef des Deutsch-Russischen Forums:
„Aus Russland kann nichts Gutes oder Hilfreiches kommen. Da wird oft nicht mehr sachlich rational argumentiert. Das ist mittlerweile schon wie ein Reflex. […] Unser Feindbild ist ebenso gefestigt wie unsere Überheblichkeit“!
Den Beweis für diese These in der aktuellen Politik und im sogenannten Mainstream folgte dann prompt in seinem Artikel in einer sehr anschaulichen Weise.
Wilfried Schreiber legt in seinem XXL- Beitrag „Russland und die Europäische Sicherheit“ in den sechs Thesen begründet, historisch analytisch, dabei sehr anschaulich, die Wurzeln des Russlandkonflikts frei. Von den USA dominiertes geopolitisches Denken und Siegerposen durchsetzt mit deutlich zur Schau getragener Überheblichkeit, sind dabei die Grundmelodien.
In seiner sechsten These zeigt er eine Reihe von Schlussfolgerungen auf, die auf eine mittel- und langfristige Verbesserung der Beziehungen mit Russland hinauslaufen.
Ja! Angesagt sind vor allem in Deutschland, wider allen historischen Erfahrungen und Ereignisse, eine latente Russlandphobie. Diese Phobie ist nicht nur in den Medien zu erleben sondern immer stärker das bestimmende in der Politik des „Westens“.
Als wahre Bannerträger in dieser Hinsicht haben sich die Grünen entwickelt.
Hört man der möchtegern Bundeskanzlerin Baerbock zum Thema Russland zu, könnte der Eindruck entstehen, dass die Frau den Geschichtsunterricht permanent geschwänzt hat.
Sie ist aber bei den grünen Opportunisten leider kein Einzelfall.
All das zusammengefasst hat Auswirkung auch in Russland.
In Russlands Regierung ist deutlich spürbar, dass immer öfter politische Reaktionen in eine gewisse politischen Sturheit umschlagen – siehe jüngste Entscheidungen Russlands im Ergebnis neuer Embargoforderungen der EU. Nun könnte man für Russlands Aussenpolitik frei nach Wilhelm Busch schlussfolgern: „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“!
Aber, die entstandene Situation ist zu gefährlich um mit Wilhelm Busch zu kokettieren.
Die Lager sind festgefahrener als zur Zeit des Kalten Krieges und niemand vom Charisma eines Willy Brand, Egon Bahr oder auch Helmut Kohl ist in Deutschland und Europa zu sehen, der an dieser Situation versucht einen Ausweg zu wagen.
Auch der Aufruf: „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen“! vom Dezember 2014 damals von vielen namhaften deutschen Künstlern, Wissenschaftlern und Politikern unterschrieben, verhallte im Mainstream als hätte er nie eine ernsthafte Betrachtung verdient.
Die oben angeführte Entwicklung zeigt drastisch das Gegenteil.
Es ist kein „Vogelschiss“ aber politisch äußerst bedenklich, dass die sogenannte „Russlandversteher“ sich gedanklich bei der AFD wiederfinden- siehe die kürzlich im Bundestag von Gauland gehaltene Rede zu Russland.
Bei dieser Pseudopartnerschaft läuft mir, mit Verlaub gesagt, ein Schauer über den Rücken.
Zusammengefasst, sollte sich nichts ändern, kann die Prognose nur eine düstere sein.
Sehr geehrter Herr Grimmer,
ich erinnere hier noch einmal an meinen Text in No.4 zur deutschen Russlandfeindschaft. Bei dem Thema macht mir weniger Sorge, dass die AfD hier eine Rolle zu spielen versucht – sie sucht sich immer Felder, die die anderen Parteien nicht bespielen, und deutsche Konservative waren immer für ein gutes Verhältnis zu Russland, etwa Bismarck oder von Seeckt -, sondern die offensichtliche geopolitische Kontinuität von Bethmann Hollweg zu Merkel, ungeachtet der ausgetauschten ideologischen Muster. Aber genau betrachtet ist der heutige deutsche Messianismus im Namen von Freedom and Democracy (um mal Brecht zu zitieren) auch nichts anderes, als „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“.
Bleiben Sie gesund!
Lieber Joachim Lange,
vielen Dank für die pointierte Würdigung von Willi Sitte. Was haben wir doch „damals“ über Sitte mal gespottet, mal geschimpft, manchmal gar gehetzt. Ja, wir waren jung und wild und glaubten (wie alle Jungen und Wilden, wie alle Stürmer und Dränger), das „Maß der Zukunft“ in uns und allen Anderen voranzutragen. Dennoch – nicht erst heute lässt es sich leicht zugeben – haben wir Sittes Meisterschaft stets anerkannt, zumeist sogar bewundert.
Heute werden Künstler, die sich dazumal politisch „für“ engagierten, als Betonköpfe, Stalinisten, Diktatur-Versessene verunglimpft, und bei einigen mag das ja auch zutreffen. Künstler, die heute „für“ aktiv sind, etwa drei Busse hochkant auf einen Platz stellen, werden hoch gelobt, gelegentlich mit Verdienstkreuzen bedacht. Kann und darf ja alles sein, nur eines geht offensichtlich nicht: In diesem Zusammenhang wieder einmal von „Kunst als Waffe“ zu sprechen. Dann „wird jetzt zurückgeschossen“.
Heute bin ich froh, ein – nicht besonderes- Blatt von Willi Sitte in meiner kleinen Sammlung zu haben. Neben Heisig, Tübke und einer ganzen Reihe nicht ganz so berühmten deutschen Künstler aus der DDR.
Erhard Cromes Analyse, „die NATO-Europäer sollen in den Kämpfen der USA um Vorherrschaft auch im 21. Jahrhundert deren Föderaten sein“, ist völlig zweifelsfrei zuzustimmen. Jedoch unterschlägt er, dass China genauso um die weltweite Vorherrschaft kämpft. China also tendenziell in die Nähe eines „Opfers“ zu rücken (wie es dies vor 100 und mehr Jahren zweifellos war), geht fehl. Gewiss: Man muss nicht zwingend dem „westlich-demokratischen“ Lebensstil anhängen. Wer aber die chinesischen Konzentrationslager, die Geheimprozesse, eine allgegenwärtige politische Polizei und die vollständige Überwachung der Bevölkerung als weitgehend akzeptabel annimmt, weil nur so sich der Vorherrschaft der USA entgegen zu stellen möglich sei, sollte eventuell noch einmal in sich gehen. Ein gelegentlicher (erneuter) Besuch etwa in Sachsenhausen, Buchenwald oder der Berliner „Topografie des Terrors“ scheint mir da hilfreich.
Auf der anderen Seite wünsche ich selbstverständlich, dass amerikanische Sanktionen, etwa gegen deutsche Unternehmen, endlich einmal mit deutschen Sanktionen gegen amerikanische Unternehmen beantwortet werden. Und um im erweiterten Bilde zu bleiben: Vor wenigen Tagen forderte der französische Präsident Emanuel Macron, eine „neue“ europäische Sicherheitspolitik, die sich signifikant von der Befehlsgewalt aus Washington abkoppeln möge. Dem kann ich nur zustimmen und verweise gern auf meine (ganz weit unten im Forum womöglich noch auffindbare) Forderung nach einer neuen „Achse Paris-Berlin-Moskau“. Leider leider fand ich bisher – wir sind in einem Wahljahr – keine ernst zu nehmende Partei in Deutschland, die dieser Idee eine Chance geben will. Was heißt: Entweder bin ich wirr oder einfach meiner Zeit voraus. Beides akzeptabel.
Werter Herr Nachtmann, ich habe China nicht als Opfer beschrieben, sondern nur festgestellt, dass die Westmächte, die sich heute wieder gegen China militärisch zusammenrotten, dieselben sind wie die, die 1900 China überfallen haben, um es dem imperialistischen Diktat zu unterwerfen. Sonst nichts.
Im übrigen fungiert als einziger Kronzeuge für die chinesischen „KZ“ gegen Uiguren ein Herr namens Adrian Zenz. Der ist ein „wiedergeborener Christ“, der vor seinen Schriften über Uiguren und Tibeter zusammen mit seinem Schwiegervater über die „Endzeit in der Bibel“ publiziert hat. (Schon der Name mit A.Z. wie Alpha und Omega in der Heiligen Schrift?) Bei seinen Texten zu China fühlte er sich direkt von Gott geleitet. In den Medien und bei Wikipedia wird Zenz abwechselnd als „Dozent an der evangelikalen Akademie für Weltmission bei Stuttgart“, als Senior Fellow einer „Victims of Communism Memorial Foundation“ in Washington D.C. und in Verbindung mit der konservativen Jamestown Foundation, ebenfalls Washington D.C., geführt, deren Tätigkeitsfeld nach Selbstbild „Verteidigungspolitik“ ist. Das Wall Street Journal machte 2019 mit Zenzens Hervorbringungen groß auf, Newsweek Japan, in Deutschland TAZ und FAZ übernahmen. Vom Menschrechtsausschuss des Deutschen Bundestages wurde er für eine Stellungnahme herangezogen. Aus dieser Quelle schöpfen seither alle, die sich dazu äußern zu müssen meinen. Genau betrachtet liefert Zenz den ideologischen Überbau für die beabsichtigte feindliche politische und militärische Strategie der Westmächte gegen China. Oder anders gesagt: Nicht die angeblichen Untaten des kommunistischen Regimes in Peking sind die Ursachen für die westliche Drohpolitik, sondern letztere lässt ihre ideologischen Bemäntelungen nachreichen.
„Konzentrationslager“ unterstellt im Deutschen stets Vernichtungslager – deshalb auch Herrn Nachtmanns völlig abseitiger Verweis auf die „Topografie des Terrors“. In den englischsprachigen Quellen dazu ist in der Regel von „Arbeitslagern“ oder „Umerziehungslagern“ die Rede, was jedenfalls etwas anderes ist, als Vernichtung.
Ansonsten war dieser Tage ein schöner Text von Michael Brie in der Berliner Zeitung. Er verwies darauf, dass zig Millionen Chinesen Jahr für Jahr als Touristen ins Ausland fahren (zumindest vor Corona), und freudig nach Hause zurückkehren. Was verwunderlich scheint, wäre China solch ein schlimmer „Knast“.
Nun, das leise, gleichwohl heitere „Lauterbach-Bashing“ (wie es neu-deutsch heißt) übersieht, dass es der SPD an geeigneten Personal mangelt, das man „den Massen“ vorsetzen kann und das diese dann je nach Gusto zu begeistern vermag. Der „Dauer-Lauterbach“ erinnert fatal an die Berichte über den Besuch der Leipziger Messe durch einen gewissen Erich Honecker, den Namen eines früheren allgegenwärtigen Diktatators (allgegenwärtig jedoch nur, solange „Siege“ zu vermelden waren) erspare ich mir hier, um der möglichen (drohenden?) Nicht-Veröffentlichung zu entgehen. Und um noch einen anderen Diktat sinngemäß zu zitieren: „Die Lauterbachs kommen und gehen – der deutsche Staat, das deutsche Volk aber bleibt.“
Waldemar Landsberger schreibt in seinem höchst löblichen Beitrag u.a.: „Zudem fordern tribalistische Gruppenvertreter, dass nur Transgender-Menschen Transgender-Menschen spielen dürften, … Schwarze dürften nicht von Weißen gespielt werden; Autisten dürften nur von Autisten gespielt werden et cetera.“ Ja, da wird es bald kaum noch Filme und gleich gar keinen „Tatort“ (rsp. Polizeiruf usw.) geben, wenn Nazis nur von Nazis, Mörder nur von Mördern und Leichen nur von tatsächlich toten Schauspielen gespielt werden dürfen. Übrigens: Wann werden denn nun Shakespeare, Goethe und Tschechow verboten?
„Sie hoffen vergeblich“, schrieb Michail Gorbatschow trotzig auf die Falschmeldung vom 8. August 2013, er sei gestorben; „ich bin lebendig und mir geht es gut“. Immerhin hatten wenige Minuten ausgereicht, um erhebliches Echo zu generieren, in Rußland mehrheitlich in dieser Art: Er könne nicht gestorben sein, weil der Teufel ihm den Zugang zu seinem Reich verwehre aus Furcht, dann würde die Hölle zusammenbrechen.
Nun wird der Tod gesagte 90 Jahre; die Vorab-Glückwünsche dazu halten sich in Grenzen, auch deshalb unsere Erinnerung.
Wie soll man sein Lebenswerk auch würdigen? Vielleicht ist seine eigene Darlegung zu einem erstrebten, aber nicht verwirklichten Reformwerks-teil angemessen, worüber von Zeitgenossen und Nachgeborenen erstaunlich wenig zu vernehmen war und ist: Die „Sozialdemokratisierung“ der KPdSU.
„Daß ich von der kommunistischen zur sozialdemokratischen Position übergegangen bin,hatte nichts mit Opportunismus zu tun. (…) Der Übergang zu Positionen der Sozialdemokratie war Gegenstand eines Entwurfs für ein neues Parteiprogramm, das in der zweiten Hälfte 1991 veröffentlicht wurde. Als man mir im letzten Juliplenum des ZK den Vorwurf gemacht hat, ich würde die KPdSU in eine sozialdemokratische Partei verwandeln wollen, war meine Antwort: ‚Der Gegensatz zwischen der KPdSU und der sozialdemokratischen Bewegung von heute beruht auf Differenzen, die aus der Zeit der Revolution und des Bürgerkriegs stammen, in der die Kommunisten und die Sozialdemokraten auf verschiedenen Seiten der Barrikaden standen. (…) Heute dagegen ist vollkommen klar, daß die Kriterien für die Gegensätze in dieser Zeit ihre Bedeutung verloren haben. Wir haben uns verändert und die Sozialdemokratie hat sich auch verändert. Die Geschichte hat viele der Probleme erledigt, die damals zu einer Spaltung zwischen den Anhängern der demokratischen Bewegung und denen des Sozialismus geführt haben. All jene, die sich heute vor einer Sozialdemokratisierung der Partei fürchten, verschließen die Augen vor dem wirklichen Feind: den antisozialistischen, nationalchauvinistischen Tendenzen‘. (…) Die dramatischen Ereignisse, die auf diese Plenarsitzung im Juli1991 gefolgt sind, haben mich dann leider daran gehindert, meine Pläne zu Ende zu führen. Eine Sozialdemokratisierung der KPdSU fand nicht statt. Stattdessen führten die verbrecherischen Akte der Putschisten dazu, daß die Partei in sich zusammenfiel. Doch das Ende der Partei bedeutet nicht, daß wir mit unseren Plänen falsch gelegen haben.“ (Nachzulesen in: Gorbatschow/Ikeda „Triumph der moralischen Revolution“, Herder-Verlag Freiburg 2015, Seiten 204-205)
Zum Wohanka-Text: Rassistische Physik gab es in Deutschland schon. Sie hieß „deutsche Physik“ und war der Auftrag an die deutsch-national gesinnten Physiker in Nazi-Deutschland, die Theorien der Physik so zu entwickeln, dass sie ohne jüdische Wissenschaftler, wie Albert Einstein, der bekanntlich in den USA war, auskommen. So weit sind wir also wieder!
Sehr geehrte Redaktion,
was, Grundgütiger, hat Sie bloß geritten, in Ihrer jüngsten Ausgabe unter BEMERKUNGEN einen Beitrag von Paul Schreyer, der sich mit der Wirksamkeit des Anticoronavakzins von BioNTech/Pfizer in der Altersgruppe 75 plus beschäftigt, einerseits sachlich kurz anzureißen sowie darauf zu verlinken, aber parallel in Ihren ANTWORTEN Schreyers Ausführungen als Nonsens abzuqualifizieren?
Der ANTWORT-Verfasser jedenfalls hat ganz offensichtlich nicht durchdrungen, worum es sich bei einem 95 %-Konfidenzintervall mit einer Spanne von minus 13,1 bis plus 100,0 % handelt, zu dem er sein „Unterstufen-Rechenbuch“ herausholt, um mittels kleinem Einmaleins Schreyer abzukanzeln.
Ein 95 %-Konfidenzintervall um einen aus einer Stichprobe (Testreihe) ermittelten Schätzwert für die Wirksamkeit eines Impfstoffs besagt: Man kann darauf vertrauen, dass der tatsächliche Wirksamkeitswert des Impfstoffs mit 95%-iger Sicherheit bei dieser Stichprobe innerhalb dieses Intervalls liegt. Berechnet werden Konfidenzintervalle mit üblichem statistischem Standardinstrumentarium – Signifikanz, Gaußsche Normalverteilung (Glockenkurve).
Schreyer hat auf das Epidemiologische Bulletin 2/2021 des RKI vom 14. Januar zurückgegriffen. Dort lässt sich der Tabelle 8 auf S. 27 entnehmen, dass BioNTech/Pfizer bei seiner Wirksamkeitstestreihe mit seinem Anticoronavakzin (BNT162b2) in der Stichprobe der Altersgruppe 75 plus eine Impfeffektivität (relative Wirksamkeit) von 100 % ermittelt hat. Für diesen Wirksamkeitsschätzwert haben die Tester von BioNTech/Pfizer dann ein 95 %-Konfidenzintervall berechnet, das von minus 13,1 % bis plus 100 % relativer Wirksamkeit reicht, wobei die Breite der Spanne statistisch damit zusammenhängt, dass die untersuchte Probandengruppe mit 1559 Personen relativ klein war.
Mit 95 %-iger Sicherheit liegt bei der untersuchten Stichprobe die tatsächliche, die echte Wirksamkeit des Vakzins in der Altersgruppe 75 plus innerhalb des berechneten Intervalls, was ganz praktisch allerdings bedeutet: Er könnte bei plus 100 % liegen, aber auch bei minus 13,1 % oder bei einem beliebigen Wert dazwischen. Bei negativer Wirksamkeit allerdings würde das Vakzin nicht nur nichts gegen das Covid-19 verursachende Virus bewirken, sondern könnte die Krankheit vielmehr selbst mit auslösen.
Die Aussage der BioNTech/Pfizer/Pfizer-Untersuchungsergebnisse bezüglich der Stichprobe der Altersgruppe 75 plus besagt also informell: Unser Impfstoff wirkt in der Altersgruppe 75 plus sicher, nicht sicher, gar nicht oder löst sogar Covid-19 mit aus.
Das RKI kam deshalb im erwähnten Bulletin zu der Feststellung, dass die in der Wirksamkeitstestreihe von BioNTech/Pfizer ermittelten Impfeffektivitäten „bei kleiner werdenden […] Fallzahlen teilweise weite Konfidenzintervalle aufwiesen bzw. nicht mehr statistisch signifikant“ seien und für die Altersgruppe 75 plus „daher eine Aussage über die Effektivität der Impfung mit hoher Unsicherheit behaftet“ sei.
Dass die Bundesregierung trotz eines solch offenkundigen Evidenzdefizits massenhaft mit dem BioNTech/Pfizer-Vakzin in der Altersgruppe 75 plus impfen lässt ist, um es milde zu formulieren, abenteuerlich und fahrlässig.
All das hat Paul Schreyer völlig korrekt widergegeben, und auch seine abgeleitete Feststellung, „dass es durchaus im Rahmen des Wahrscheinlichen liegt, dass alte Menschen ohne Impfstoff sogar besser vor Covid-19 geschützt sein könnten als mit Impfstoff“, ist zutreffend.
Demgegenüber ist das, was Ihr ANTWORT-Verfasser zusammengerechnet hat, hanebüchener Humbug. Und er krönt seine Unkenntnis noch durch einen „Humor“ auf vergleichbarem Niveau: Schreyer habe wohl mangels ausreichender Haare in der Suppe sein eigenes Toupet reingeschmissen.
Das ist ganz schlechter Stil!
Im Blättchen allemal.
Hochachtungsvoll
Dr. Markus Hildebraa
Nachtrag
Bei einem 95 %-Konfidenzintervall mag überdies die Frage auftauchen: Was ist mit den restlichen 5 %?
Das ist die Restunsicherheit. Sie bedeutet, dass man bei dem entsprechenden Test mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 % auch eine Stichprobe erwischt haben könnte, bei der der tatsächliche Wert der Wirksamkeit des Impfstoffs sogar noch außerhalb des berechneten Konfidenzintervalls liegt, dass in der Praxis also die echte Wirksamkeit des Impfstoffs sogar noch unter minus 13,1% liegen kann.
Zum Beitrag von Sarcasticus „Die Grünen und die US-Atomwaffen auf deutschem Boden“
Im neuen Grundsatzprogramm haben die Grünen auf einem weiteren Feld ihre Kreativität bewiesen, sich Hintertüren offen zu halten. Zwar wurden die Forderungen im Vorfeld des Parteitages nicht umgesetzt, bei Blockaden des UN-Sicherheitsrates eine Lösung für R2P-Einsätze zu finden, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist – das nennt man wohl contradictio in adiecto – stattdessen heißt es nun: „Souveränität eines Staates oder dort, wo staatliche Souveränität fehlt, braucht es ein Mandat der Vereinten Nationen. Wenn das Vetorecht im Sicherheitsrat missbraucht wird, um schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu decken, steht die Weltgemeinschaft vor einem Dilemma, weil Nichthandeln genauso Menschenrechte und Völkerrecht schädigt wie Handeln.“ Tja, und dieses Dilemma muss natürlich aufgelöst werden, wofür es ja auch ein (zeit-)historisches Vorbild gibt, siehe Vorbemerkung.
Jesuiten hätten es nicht besser formulieren können
Jochen Scholz
Verehrte Blättchen-Gemeinde, bitte gestatten Sie mir doch einen Verweis auf meine neu gestaltete Website asiaticus.de. Ich erlaube mir diese Eigenwerbung, weil Sie dort etliche Artikel des Weltbühnenautors Asiaticus finden, und da ich die Titelseiten der Weltbühne und der Neuen Weltbühne, in der seine Texte abgedruckt sind, gescannt und den Texten beigefügt habe, erhalten Sie zugleich einen sehr interessanten Einblick in die lange und überaus prominente Liste der Schreibenden überhaupt.
Auch im Falle meiner eigenen Weltbühnentexte der 1980er Jahre bin ich mit den Titelseiten so verfahren. Anregend – finde ich – ist es allemal. Auch dann, wenn manches nur noch ein Lächeln hervorruft. Es ist: Weltbühnen-Geschichte.
Mit freundlichen Grüßen
Wolfram Adolphi
Zum Thema „Mob“. Am Freitag (22.01.21) war ein „linker“ Mob in das Rathaus Kreuzberg widerrechtlich eingedrungen, unter Verweis auf die Rigaer Str. 94. Was diskutieren wir denn dazu?
Um das Jahr 1981 herum sympathisierte ich mit der „Solidarnosc“. Als mein damaliger Chef – ein lupenreiner Nomenklaturkader „A“ ohne jeden Makel, der nach 1990 die Liebe zum Geld entdeckte – das bemerkte, schoß er wie eine Rakete auf mich los und brüllte, ob ich denn nicht mitkriegen würde, dass da der Mob auf den Straßen sei. Auf meinen zaghaften Einwand, dass seien doch nachweisbar Arbeiter und mithin kein Mob, erhöhte er die Lautstärke und meine eigene „Kaderentwicklungsplanung“ hatte fortan eine nicht mehr korrigierbare Delle. Seitdem werde ich hellhörig, wenn Politiker und ihre Lohnschreiber den Begriff „Mob“ verwenden.
Im übrigen ist es wohl so, dass alle, die nicht den Gebrauchsanweisungen von Erich Mühsams Lampenputzer („Revoluzzer-Lied“) Folge leisten, widerrechtlich handeln. Es gibt linke Parteien, die sind vor so etwas gefeit. Das hindert aber ihre Spitzenkräfte nicht, dem von Wolfgang Ernst erwähnten „linken Mob“ gelegentlich um den Bart zu gehen, um ihn dann, wenn es ernst wird, hängen zu lassen. In Berlin kam das gelegentlich vor …
Der Kampf gegen diese Rechte ist nichts spezifisch Deutsches, beruht auch nicht auf spezifisch deutschen Ideen, was soll denn da der Hinweis auf die Vorstellung vom deutschen Wesen, an dem die Welt genesen soll? Und diese Tiraden, dass bei uns nichts mehr funktioniert, und das obendrein immer schlechter … die kann ich schon nicht mehr hören. Für mich ist die Diskussion beendet.
„Deutsche Besserwisser“ von Bernhard Romeike
Die Kronzeugin für Romeikes „Deutsche Besserwisser“ ist die Journalistin Anjana Shrivastava, die – so zitiert sie Romeike – schreibt: „Eines sollte man vor allem nicht vergessen bei der Analyse des Angriffs auf das Kapitol: Die gediegenen Hallen dieses Gebäudes sind für die USA ungefähr so repräsentativ wie der Petersburger Winterpalast für Russland. Das Kapitol mag einerseits fast eine Art Heiligtum sein, ist andererseits aber ein Randphänomen in einem traditionell eher wilden Land.“
Ich gestehe – ich verstehe das nicht ganz. Sicherlich hat das Kapitol „gediegene Hallen“, mag eine „Art Heiligtum“ sein und so entfernt an das Winterpalais erinnern. Für diese These spräche auch noch, dass beide Gebäude auch Museen sind; das Kapitol ist mit drei bis fünf Millionen Besuchern im Jahr eines der populärsten Tourismusziele der USA.
Vor allem aber ist es Sitz des Kongresses, der Legislative der USA. In ihm finden die Sitzungen des Senats und des Repräsentantenhauses statt. Wie diese politisch-parlamentarische Bestimmung des Hauses als „Randphänomen“ abgetan, ja abgekanzelt werden kann – selbst „in einem traditionell eher wilden Land“ – bleibt das Geheimnis der Autorin. Und die blutrünstige Meute, die in das Gebäude eindrang, waren eben keine beflissenen Museumsbesucher, sondern eben Meute, die weder durch Shrivastavas Etikettenschwindel „Unzivilisierte“, noch durch Romeikes historisch-revolutionäres Kokettieren mit dem Begriff „Mob“ zu legitimieren ist.
Nun wird es unerträglich. „… auf die Frage, was er (Bernie Sanders – St. W.) denn tun wolle, wenn er im Weißen Haus sitze und sich einem völlig feindselig gestimmten Kongress und einem imperial ausgerichteten Staatsapparat gegenüber sehe, dann werde eine ´Massenbewegung´ seiner Anhänger nach Washington marschieren. Trump, von der anderen Seite des politischen Spektrums, hat das nun versucht.“ Soweit Romeike. Also Gleichsetzung von Links und Rechts oder der „neutrale“ Standpunkt in der „Mitte“; die politische Äquidistanz. Auf dem Hintergrund der jüngeren und jüngsten deutschen Geschichte schon ein Unding; desgleichen was den in Rede stehenden Vorgang in Washington angeht. Man kann die „Black-Lives-Matter“-Demonstration, die im vorigen Jahr ebenfalls in Washington stattfand, als linke „Massenbewegung“ sehen. Wie verlief die? Doch wohl etwas anders als das, was Trump „versuchte“: Der von ihm angestachelte Sturm auf das Kapitol war von Aggressivität, von einem hohen Potenzial bösartiger Destruktivität geprägt. Der in Teilen verwirrende Mummenschanz von Waffennarren, Demokratieleugner und Ignoranten suchte und fand eine Bühne und machte so die demokratischen Institutionen, die das Kapitol beherbergt, lächerlich; kein „Ancien Régime.“ Dieser Stoßtrupp, von dem wiederum Shrivastava meint, dass seine Anhänger nicht „blöd“ seien, war jedenfalls bereit, seinen martialischen Worten Taten folgen lassen: Trumps Mob hätte Vizepräsident Mike Pence am liebsten aufgehängt; keinen König.
Noch eine Kleinigkeit am Rande: „…. der Mann, der in Pelosis Sessel lümmelte….“, schreibt Shrivastava. In anderen Medien ist zu lesen, dass „… die Tatsache, dass es sich nur um den Schreibtisch einer Mitarbeiterin Pelosis handelt…“, den der John-Henry-Imitator Richard Barnett „besetzte“. Oder zeugt es von mangelnder Recherche?
Was zumindest diesen casus angeht, vermag ich Romeikes Begeisterung „Eine Ausnahme in der deutschen Publizistik war wieder einmal Anjana Shrivastava“ nicht zu teilen; die Qualifizierung des Washingtoner Kapitols disqualifiziert die Dame: Warum wurde – um es zu wiederholen – ein Haus gestürmt, das lediglich ein „Randphänomen“ ist? Waren dann die Stürmer nicht doch „blöd“?
Nach Lektüre der jüngsten Blättchen-Nummer habe ich mich gefragt: Wer ist Bernhard Romeike? Ist er vielleicht verwandt mit dem deutschen Vielseitigkeitsreiter Hinrich Romeike? Eines zumindest spricht dafür: Auch Bernhard Romeike kommt auf hohem Ross daher, bezeichnet seine Mitmenschen gern als größenwahnsinnig, als Besserwisser, Oberbesserwisser usw. Claus Leggewie zum Beispiel, denn der konnte es unlängst nicht lassen, die „rechte Gefahr“ auch in EU-Europa zu beschwören. Viktor Orbáns Fidesz in Ungarn, Matteo Salvini in Italien, die AfD in Deutschland, die PiS in Polen sowie die „Gelbwesten“ in Frankreich gehörten schärfer bekämpft. Die „Nachgiebigkeit gegenüber dem Zerstörungswerk von Fidesz und PiS“ müsse aufhören. Dort sind das die ordentlich gewählten parlamentarischen Mehrheiten, die vor dem deutschen Richterstuhl keine Gnade finden. Wäre es Bernhard Romeike vielleicht lieber, wenn es anders wäre? Wenn wir uns zu solchen Dingen nicht mehr äußern? Immer schön die Klappe halten, was die Ungarn machen, ist doch ihre Sache … Oder ist, wer im Parlament die meisten Sitze innehat, über jedwede Kritik erhaben? Mir scheint, es ist an der Zeit, solche Rechtshilfe nicht länger mehr unwidersprochen zu lassen.
Lieber Herr Weinholz, selbstverständlich kann sich jeder zu allem äußern. Mein Problem ist, dass „am deutschen Wesen“ wiedermal die Welt genesen soll. Also die Deutschen besser wissen, was den US-Amerikanern, Briten, Polen, Ungarn frommt, als diese selber. Sehr schön war in der „Berliner Zeitung“ am vergangenen Wochenende der Artikel eines britischen Autors, dass die Deutschen immer noch glauben, sie seien „ordentlich“, während in diesem Lande immer weniger tatsächlich funktioniert. Der Berliner sagte früher dazu: Vorne hui, hinten pfui. Ansonsten ist „Rechtshilfe“ ein Begriff aus der Rechtspflege.
Bleiben Sie gesund!
P.S. Selbst die Corona-Impfung funktioniert in Deutschland nicht. Dafür sollen alle zu Hause interniert werden. China bezweifelt gerade die Wirksamkeit und Gefahrlosigkeit des Corona-Impfstoffs von Biontech/Pfizer. Aber „wir“ wissen alles besser.
Alles Rassismus, oder was?
Am Ende des Fußballspiels zwischen Union Berlin und Leverkusen am 15. Januar soll der Unioner Florian Hübner zu dem Leverkusener Nadiem Amiri im Streit „Scheiß-Afghane“ gesagt haben. Der Tagesspiegel-Schreiber Kit Holden nennt dies „reellen Rassismus“. Der Autor stammt aus England und scheint in Berlin nicht angekommen.
Als ich Kind und Jugendlicher war – ich gebe zu, das ist lange her – war „Scheiß-XY“ übliche Beschimpfung eines Abgelehnten. Ich bin im Osten der Stadt aufgewachsen, hier war „Scheiß-Sachse“ der höchste Grad der Abwertung (schon weil die Sachsen den Berlinern als „5. Besatzungsmacht“ galten, was heute die Schwaben sind), sofern der Gegenüber wie ein Sachse klang. Das wurde wahlweise auch auf Thüringer angewendet, weil der normale Berliner Sachsen und Thüringer nicht unterschied. Einer aus dem Norden war dann „Scheiß-Fischkopp“. War der andere ebenfalls Berliner, wurde der „Scheiß-Penner“ genannt. In Berlin als Eingeborener also zu irgendwem „Scheiß-Irgendwas“ zu sagen, gehört zu den üblichen Umgangsformen, unterhalb der Schwelle einer Prügelei.
Wenn der andere also zufällig Türke oder Afghane ist, hat das nichts mit Rassismus, wohl aber mit dem Berliner Charme zu tun. Aber die Sensibelchen von heute kennen den offenbar nicht. Und sollten entweder nicht Fußball spielen oder nicht nach Berlin kommen.
Schon wahr, dass das mit Rassismus nichts zu tun hat. Wäre der Konkurrent von RB Leipzig gewesen, hätte Hübner ihn womöglich … Sachse beschimpft. Nur ist Hübner kein Berliner, sondern Hesse aus Wiesbaden. Sollte er sich so schnell zu Eigen gemacht haben, was Sie, Herr Romeike, den „Berliner Charme“ nennen? Wahr ist zwar auch, dass Fußball kein Kaffeekränzchen ist, aber Gossensprache bleibt Gossensprache. Da könnte eine Denkpause, also eine Pause zu Nachdenken, nicht eine Pause im Nachdenken, durchaus nicht schaden. Meint ein … Fischkopp, der seit 40 Jahren in Berlin lebt.
Noch bis 19. Januar kann ein Offener Brief von IPPNW an den deutschen Außenminister in Sachen internationales Kernwaffenverbot unterzeichnet werden: https://www.ippnw.de/aktiv-werden/kampagnen/offener-brief-an-maas.html
Die Redaktion haben Fragen bezüglich ihrer offensichtlichen Abstinenz in Corona-Fragen erreicht, die wir hier beantworten möchten.
Unsere Abstinenz in Sachen Corona hat zwei Gründe.
Zum einen ermangelt es uns dazu – wie zu manch anderem
wichtigen Thema leider auch – an entsprechend sachkundigen Autoren.
Doch selbst im anderen Falle: Über diese Problematik wird in der Öffentlichkeit
seit langem mit dermaßen scharfer Kontroversität debattiert, dass uns jeder Beitrag,
der für oder gegen bestimmte Aspekte Position bezöge, vor eine Grundsatzscheidung
stellte. Wir haben uns gegen eine solche Zwickmühle entschieden.
Nun ist wieder die Zeit der Suche nach oder der Profilierung vermittels starker Worte des Jahres gekommen; es gibt aber auch „Beifang“ vermutlich ohne solche Absicht, aber mit inhaltlich „starker“ Aussage, wie in diesen Beispielen gefunden:
„Wann kommt die Inflation?“ läßt „Handelsblatt“ mit Hans-Jürgen Jakobs am 18. Dezember rhetorisch fragen und zitiert als Antwort Bert Rürup („Der Chefökonom“), „die Inflation in entwickelten Industrieländern sei ‚weitgehend tot‘ „. Als ersten von drei Ursachen benennt er: „Die Globalisierung brach die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften.“ Offenbar als Erfolg zu werten. Nun wissen wir von Demokratie-Erklärern, daß deren eigentlicher Kern Kompromiß-bereitschaft und -fähigkeit sei. Gibt es irgendwo den Ansatz für einen Einbruch bei der Verhandlungsmacht der Unternehmerverbände oder von Unternehmen als Selbstbeschränkung oder durch Staatshandlung zum Ausgleich für die dort verbliebene „Macht“?
Und noch eins! Die Fraktion „DIE LINKE.PIRATEN“ im Kreistag Oder-Spree begann am 4. Dezember eine Publikationsreihe, in deren erster Ausgabe diese Information gefunden wurde: „Das Unternehmen, das in Grünheide baut, ist für Rücksichten auf Natur, Umwelt und Beschäftigte nicht bekannt, wenn es um die Sicherung von Profiten geht. Als Beispiel kann da ein Tweet des Herrn Musk dienen. Auf die Bemerkung eines Users „Weißt Du, was nicht im Interesse der Bürger war? Daß die US-Regierung einen Putsch gegen Evo Morales in Bolivien organisiert, damit Du Lithium erhältst“ antwortete der Konzernchef: „Wir werden putschen, gegen wen immer wir wollen. Finde Dich damit ab.“
Ob es diesen Informationsaustausch tatsächlich und so gegeben hat, mag dahin gestellt sein.
Unglaublich sind die benannten Beispiele nicht – Ende des Jahres 2020 und vermutlich auch in den folgenden.
Sehr geehrter Herr Wohanka,
Sie haben mit Ihrem jüngsten Beitrag eine der allerbrennendsten Fragen aufgeworfen, und ich will gern zur weiteren Erörterung beitragen und mir dabei erlauben, aus Eigenem zu zitieren:
Horkheimer also. Max Horkheimer. Jakob, befeuert vom Glück darüber, ihn für sich entdeckt zu haben, redete sich ins Schwärmen. »Er ist davon überzeugt«, sagte er, »dass das Verstehen dessen, was Faschismus ist, des „Rückgangs auf die Tendenzen des Kapitals“ bedarf, und beklagt, dass „die vertriebenen Intellektuellen“ – seine Landsleute und Schicksalsgenossen – sich der dazu notwendigen Denkarbeit entzögen. „Der ›jüdisch-hegelianische Jargon‹, der einst aus London bis zur deutschen Linken drang“, schreibt er – und was er damit meint, ist klar, es ist das, was Marx und Engels mitzuteilen hatten –, gelte ihnen – also den vertriebenen Intellektuellen – jetzt – also neunzehnhundertneununddreißig – „vollends als überspannt“. Das ist stark beobachtet, oder? Und mutig kritisiert.«
Er hob den Blick und schaute zu Jocelyn hinüber, aber die blieb ihm das erhoffte Lächeln schuldig.
»Dann hör auch noch diese Passage, die sich auch auf den „jüdisch-hegelianischen Jargon“ bezieht. Der sei schon zu Marx’ Zeiten in Deutschland nicht verstanden worden und habe darum erst einmal „in den Brustton von Gewerkschaftsfunktionären übertragen“ werden müssen. Was für ein tolles Bild für die Fallstricke, die überall lauerten, wenn es darum ging, die Marxschen Gedanken für die Arbeiterbewegung zu popularisieren! Der „Brustton von Gewerkschaftsfunktionären“! Und neunzehnneununddreißig war selbst der schon für die von Horkheimer gemeinten Intellektuellen zu viel. Da muss dir doch das Herz aufgehen bei solcher Formulierungskunst!«
»Geht mir auch«, sagte Jocelyn, »aber du musst jetzt nicht immer erst meine Zustimmung einholen. Mach einfach weiter.«
»Gut«, sagte Jakob. »“Aufatmend“ also, schreibt Horkheimer und hat wieder die Intellektuellen im Blick, „werfen sie die unbequeme Waffe“ – das marxistische Denken – „weg und kehren zum Neuhumanismus, zu Goethes Persönlichkeit, zum wahren Deutschland und anderem Kulturgut zurück“. Meinen, „weil die Weltrevolution nicht eintrat, seien die theoretischen Gedanken nichts wert, nach denen sie als die Rettung aus der Barbarei erschien“.
Und höre weiter« – er suchte wieder Jocelyns Augen, aber er fand sie nicht, denn sie hatte den Blick versonnen nach oben gerichtet, als ob sie einer Musik lausche und darin nicht gestört werden wollte, so dass ihm nur blieb, sich wieder ins Buch zu vertiefen –, »höre also weiter: „Jetzt“ – neunzehnneununddreißig –, „da Harmonie und Progressionsmöglichkeit der kapitalistischen Gesellschaft sich als die Illusion entlarven, die die Kritik der freien Marktwirtschaft seit je denunzierte, da trotz und wegen des technischen Fortschritts die Krise, wie vorausgesagt, permanent geworden ist und die Nachfahren der freien Unternehmer ihre Stellung nur durch Abschaffung der bürgerlichen Freiheit behaupten können, jetzt preisen die Gegner der totalitären Gesellschaft den Zustand, dem sie ihr Dasein verdankt, und verleugnen die Theorie, die sein Geheimnis“ – das Geheimnis dieses Zustands, Nährboden des Faschismus, zu sein – „aussprach, als es noch Zeit war.“«
Jakob gierte jetzt geradezu nach einem Zeichen der Zustimmung, aber Jocelyn tat ihm den Gefallen nicht. Suchte stattdessen erneut den Widerspruch. »Und du meinst also,« sagte sie und vermied noch immer, ihn anzusehen, »solche Verhältnisse hätten wir jetzt auch wieder. Aber das stimmt nicht, und darum würde ich dich gerne bremsen, aber das ist offenbar nicht möglich.«
Es ist dies eine Passage (S. 422-423) aus dem dritten Band meiner „Hartenstein“-Trilogie – betitelt „Der Enkel vorne links“ -, erschienen bei NORA 2020, und die Horkheimer-Zitate entstammen dem Aufsatz „Die Juden und Europa“, veröffentlicht im September 1939 im Exil in den USA (Gesammelte Schriften, Bd. 4, Frankfurt a.M. 1988, S. 308-331).
Sehr geehrter Herr Adolphi,
haben Sie Dank für Ihre Reaktion auf meinen Artikel.
Man kann sich den Problemen der Welt – so wie man sie meint erkannt zu haben – auf sehr unterschiedliche Weise nähern; das belegen beide Texte.
Ja – und es ist namentlich das Paradoxe, das sich ins Gegenteil Wendende, welches Ihre Worte gegen Ende behandeln, das besagt – um Faulkner zu zitieren: „Das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen“; und das trifft wohl auch auf die deutsche Geschichte, und nicht nur diese, zu. Wobei ich schon meine, dass auch eine gute „kulturelle“ Sprache – „Goethe“ also – in der Regel auch eine „politische“ ist.
Ein Zweites: „Identitäten“ bestimmen eher das Bild, drängen sich vor, namentlich in der Sprache, um die es Ihnen ja auch geht; wobei eher die „wahren Leben“ mit großen Zusammenhängen verknüpft sind… Ich habe es versucht; zu wenig, aber es wird existierenden, tätigen Menschen, ihren Lebensverhältnissen und den damit verbundenen Widersprüchen und Ängsten, aber auch ihren Freuden und Hoffnungen wenig Raum eingeräumt.
Ein geruhsames Fest traut man sich kaum zu wünschen; trotzdem.
Freundliche Grüße
Stephan Wohanka
Sonia Combe über „Die DDR nach der DDR”
Die Ankündigung der umfangreichen Studie von Agnes Arp und Elisa Goudin-Steinmann „Die DDR nach der DDR” hat mich positiv überrascht. Was ist Ostdeutschland nach 1990? Die Materie ist komplex. Und wie es bei dieser Art Literatur üblich ist, kann man nach jedem Absatz ein „Ja, aber” anknüpfen. Was immer dargestellt wird – Plattenbau, Beruf, Kindergarten – aus der Sicht des einen erscheint es zu positiv, aus der Sicht des anderen zu negativ.
Trotzdem habe einstweilen den Eindruck, dass das rechte Maß nicht verloren gegangen ist. Das hat auch damit zu tun, dass die Autorinnen überzeugend einen Paradigmenwechsel herüberbringen, der sich, wie ich glaube, nicht mehr aufhalten lässt. Die nach 1990 erzeugte Massenarbeitslosigkeit mit den Folgen der beruflichen Herabsetzung, die sich dann auf das gesamte gesellschaftliche Klima auswirkt, steht im Mittelpunkt.
Dass die von Westdeutschland aus betriebene DDR-Geschichtsforschung diesen Ansatz bisweilen ignoriert hat, halte ich für wahrscheinlich. Dabei möchte ich darauf hinweisen, dass das wissenschaftliche Instrumentarium, eine ökonomische Krise mitsamt ihren psychosozialen Folgen zu analysieren, an „West”-Universitäten entwickelt war. Es ging in meinem Studium (Diplom Pädagoge, Universität Köln) oft um die Ansätze der soziologischen Schule von Chicago. Da leuchtet mir ein, dass man Vieles auf die Krise der Post-DDR übertragen kann. Wie man zum Beispiel mit einem erzwungenen 1 Euro-Job zugleich seine Identität einbüsst, entspräche ja einer Fragestellung, die auch Goffman aufgreift. Die Totalität des Ex-Kanzlers Schröder ist nun einmal ein West-Produkt. Wie mir scheint, hat diese Fragestellung der eingebüßten Identität im Westen niemanden interessiert.
Mit freundlichen Grüßen
Herzlichen Dank für die regelmäßigen Beiträge im Blättchen, die nüchtern (oder müsste es heißen: ernüchternd?) und kenntnisreich die außenpolitische Lage behandeln. Trotz der geringen Reichweite ist das Blättchen somit ein wichtiges Medium.
Um dieser Lage etwas Positives entgegen zu setzen, habe ich darüber mal einen Text verfasst und vertont. Zwar sind einzelne meiner Texte auch schon im Blättchen erschienen, aber in diesem Fall ist die Vertonung wichtig, denn im Refrain werde ich vielsprachig unterstützt und am Ende singen alle gemeinsam in Esperanto. Deshalb kann man den Text hier lesen und sich die Vertonung anhören (runter blättern zum Audioplayer über der Karikatur):
https://www.friedenkoeln.de/?p=15560
Lieber Krysztof Daletski, so gering ist die Reichweite des Blättchens gar nicht: immerhin über 3,8 Millionen Seitenklicks in den vergangenen 12 Monaten …
Liebe Readaktion, 3.8 Mio Aufrufe sind in der Tat beachtlich, auch wenn die regelmäßigen Leser dabei mehrfach mitgezählt werden. Diese hohe Zahl belegt, dass auch heutzutage die Qualität des Inhalts zuweilen mehr geschätzt wird als die Buntheit der Verpackung…
„Ein Festspiel der deutschen Sprache“ von Joachim Lange im Blättchen Nummer 23 hat mich zu einer Wortmeldung inspiriert. In dem interessanten Artikel wurde eine Reihe von Fragen angesprochen. Eine möchte ich aus aktuellem Anlass (Corona) herausgreifen: „Anglizismen“!
Denn nicht nur die Ergänzung des Maskulinums mit fragwürdigen Wortkonstruktionen und Schreibweisen machen der deutsche Sprache zu schaffen sondern auch das oben genannte englische Wortgedöns. Legen wir Begrifflichkeiten zu Grunde wäre die Annahme, dass es sich bei Corona um einen Import aus dem englischsprachigen Raum handelt, nicht unbegründet, denn vieles liest sich wie ein Beipackzettel.
Hätte nie gedacht, dass eine lebensgefährliche Pandemie dafür sorgt, den Sprachschatz des gemeinen Bürgers auf dem Gebiet der englischen Sprache in ungeahnte neue Sphären zu heben: Lockdown und Lockdown light, Homeschooling, Hotspots, Spreader und Superspraeder, Social distancing, Immunization, face mask etc.
Das sind nur einige ausgewählte Vokabeln, an die sich, verbreitet durch die Massenmedien, der deutschsprachige Raum gefälligst zu gewöhnen hat. Die Frage ist angebracht: Hat das etwas mit Verharmlosung zu tun oder könnte die begriffliche Anwendung der deutschen Sprache bei der Corona-Pandemie zu noch stärkeren Emotionen bei dem gemeinen Volk führen?
Oder ist das einfach nur eine Form der weiteren „Verdenglischung“ unserer Muttersprache?
Hinzu kommen tausendfach wiederholte Bilder im Fernsehen von 20 Zentimeter langen Wattestäbchen, die von klinischem Fachpersonal in Nasen- und Rachenhöhlen geschoben werden. Bereits dieser Anblick, der aus meiner Sicht fünf Mal gesehen völlig ausreicht, könnte zu Brechreiz oder Niesanfällen führen. Seit kurzem werden diese Bilder durch eine neue Sequenz ergänzt, die Verabreichung von intramuskulären Spritzen, denn es ist ein Impfstoff da.
Nun soll hier nicht das medizinische Personal einer kritischen Betrachtung unterzogen werden, ganz im Gegenteil, die haben es schwer genug. Es ist die Art der stupiden gebetsmühlenartigen Darstellung in den Massenmedien solcher bestimmt medizinisch notwendigen „Eingriffe“.
Alles das wird zum Beispiel durch Fernsehprogramme ähnlich ritualisiert wie die gefilmte Vorwärtsbewegung von Politikern vor Interviews. Tausendfache Wiederholungen medizinisch notwendiger Handlunge schlagen in das Gegenteil von Aufklärung um.
Letztlich medial sehr einfallslos und kein Beitrag zum verantwortungsvollen Umgang mit der Pandemie, sondern eher ein Abschreckung.
Die Muttersprache wurde niemals verdenglischt.
Die BRD wurde ab etwa 1956 veramerikanischt. Dies in den Rechenzentren in Chikago, Ill..
Was uns als Mediendeutsch um die Ohren säuselt – die Strauß-Rede ebenso –, zielt in diese Richtung.
Liebe Frau Muthesius!
Ich lese Ihre Beiträge immer wieder mit Interesse und Gewinn. So auch den neuesten über die Enthüllungen von Herrn Neitzel. Wahrhaft skandalöse Einblicke in afghanische Verhältnisse, die ja so gerne von den Verantwortlichen heruntergespielt oder verschwiegen werden. Allerdings brachte mich Ihre Beschäftigung mit Herrn Neitzel, den ich aus diversen Veranstaltungen als eher konservativen Historiker mit manchmal rückwärtsgewandtem Blick in Erinnerung hatte, dazu, neben der Wikipediainfo, noch ein paar andere Infos anzuschauen. Denn Ihre, in dem von Ihnen vorgestellten Themenbereich, durchklingende positive Beurteilung für seine Leistung könnte m.E. dazu führen, dass ein unvollständiges, wenn nicht gar falsches, Bild von ihm entsteht.
Wer ist Herr Neitzel auch oder vielleicht zuvörderst? Zunächst einmal d e r Militärhistoriker Deutschlands, dem es wohl am Herzen liegt, dem „Verstehen des Militärischen“ eine Tür zu öffnen, zumal in einer Gesellschaft, die dem Militär, aus verständlichen historischen Gründen, eher skeptisch gegenübersteht. Zum Glück, wie ich meine. Herr Neitzel scheint mir eher zu denen zu gehören, die diese gesellschaftliche Sichtweise nicht gut finden und im Gewand des „objektiven“ Historikers nicht nur den Blick aufs Militiärische im Sinne der immer mehr sich zu Wort meldenden Bellizisten verändern möchte sondern auch die Haltung unserer Bevölkerung zu Kriegseinsätzen im Sinne der uns Regierenden beeinflussen möchte.
Meine Sichtweise lässt sich sowohl aus dem Vorwort zu seinem von Ihnen besprochenen Buch entnehmen, in dem er z.B. die prägende Rolle sowohl des Militärischen als auch des Militärs in der Weimarer Zeit, entgegen aller bisher bekannten Forschung, herunterspielt, als auch aus verschiedenen Äußerungen Herrn Neitzels zur bundesrepublikanischen Gesellschaft und ihrem Verhältnis zu Militiär, Krieg und Frieden. M.E. reiht er sich damit ein, in die Riege derer, die unsere Bevölkerung auf zukünftige Waffengänge vorbereiten wollen, sei dies der ehemalige Bundespräsident Gauck mit seiner Verhöhnung unserer Bevölkerung als „glückssüchtig“ in seiner Antrittsrede vor der Bundeswehr im Juni 2012 oder Frau AKK mit ihrer andauernden Forderung nach Erhöhung des Rüstungsetats – selbst in Coronazeiten oder gar unsere allseits gelobte Kanzlerin, die Herrn Biden, einen ehemaligen kalten und heißen Krieger, am liebsten umarmen würde vor Glückseligkeit und ihm vollen Herzens verspricht, dass Deutschland sich zukünftig besser seiner Verantwortung in der Welt stellen werde, was ja wohl nicht zuletzt militärisches Engagement meint. M.E. erfüllt Herr Neitzel seinen Part in diesem Spiel von „wissenschaftlicher“ Seite aus. Sowohl in seinen Interviews wie auch im Titel seines von Ihnen vorgestellten Buches verrät er wes Geistes Kind er ist: Einer der die „Deutschen Krieger“ (sic!), gemeint sind die von 1870 bis 2020 (!), anscheinend gerne wieder in Aktion sehen möchte. Dazu soll sein Buch mit dem Versuch der Enttabuisierung des Kriegerischen sicherlich ein wichtiger Schritt sein. Mir scheint, er ist ein Bellizist im Gewande des Aufklärers.
Mit kritischer Solidarität
Jürgen Scherer
PS: Da ich weiß, dass Blättchenleser:innen gerne hinter die Kulissen von Argumentationen schauen, hier ein paar Hinweise zur Beschäftigung mit Herrn Neitzel:
https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/soenke-neitzel-ueber-65-jahre-bundeswehr-gebraucht-nicht-geliebt-100.html
https://www.dw.com/de/die-bundeswehr-und-der-lange-krieg-in-afghanistan/a-54779421
https://www.welt.de/geschichte/article151287711/Wir-muessen-wieder-lernen-wie-Krieg-funktioniert.html
Lieber Herr Scherer,
ich habe Neitzels Buch nicht rezensiert, sondern mir nur die zitierten Enthüllungen „herausgepickt“. Hätte ich es rezensiert, wäre in der Tat viel Kritisches aufzuführen gewesen. Da bin ich ziemlich bei Ihnen. Und gegen die von Ihnen so empfundene „durchklingende positive Beurteilung für seine [Neitzels] Leistung“ haben Sie hier ja einen kräftigen Kontrapunkt gesetzt …
Im Text „Deutsches Kabarett – so oder so lachhaft!“ ist zu lesen: „… Uthoff 1968 Baupläne für ein Nazi-KZ enthüllte, die Bundespräsident Lübke abgezeichnet hatte.“ Stimmt das so?
Heinrich Lübke hat als Ingenieur in der Nazizeit Barackenpläne abgezeichnet – was für Baracken das waren, ist unklar. Die Stasi lancierte 1968 zehn solcher Lichtpausen in den Westen, wobei sie darauf setzte, dass der altersschwache Lübke sich nicht mehr werde verteidigen können. Die Sache flog nach der 1989 auf, als Lübke längst tot war. Laut einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ sagte der frühere Stasi-Oberleutnant Günter Bohnsack: „Es gab Baupläne für Baracken, aber dass diese für Gefangene in KZs gedacht waren, ging aus den Zeichnungen nicht hervor, auch aus jenen nicht, an denen Lübke mitgearbeitet hatte. Also ergänzten wir das Material, bis es zweifelsfrei ,bewies‘, was wir beweisen wollten: dass Lübke einst mitgebaut hatte an Nazi-KZs.“
Oder hat Uthoff noch mehr entdeckt respektive andere Pläne?
Verehrter Herr Wohanka,
bei Wikipedia heißt es zu diesem Thema:
„Gleichwohl stellten Historiker später (die Vorwürfe aus der DDR stammten von 1966 – D.P.) fest, dass der behauptete Tatbestand, Lübke habe 1944 Bauzeichnungen für KZ-Baracken erstellt, im Kern stimmte.“ In stillgelegten Bergwerkschächten bei Bernburg und Neu-Staßfurt waren etwa 2000 Häftlinge aus Außenlagern des KZ Buchenwald eingesetzt worden. Dafür wurden von der Baugruppe Schlempp unter Lübkes Leitung Baracken errichtet, in denen später KZ-Häftlinge untergebracht waren.
Sehr geehrter Herr Pries,
ich danke Ihnen für die Antwort.
Beste Grüße
Stephan Wohanka
Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten verordnen dem Land ab 2. November zwar (noch?) kein komplettes Koma, wohl aber schon mal der Kultur. Dazu Gabor Steingart in seinem heutigen Morning Briefing: „Die Beschlüsse der Regierung verstören. Sie tun es auch deshalb, weil die Stilllegung des Kulturlebens durch keine medizinische Studie gedeckt ist. Es geht um Symbole. Es geht um eine Machtdemonstration. Es geht darum, die Überforderung der Regierung durch Striktheit und Strenge zu kaschieren. Eine vieldeutige Situation wird durch eindeutige Beschlüsse banalisiert, womöglich auch fiktionalisiert. Mehr als das Wort Corona fürchtet man im Kanzleramt das Wort Kontrollverlust.“
Zum kompletten Text geht es hier: https://news.gaborsteingart.com/online.php?u=norKykj7455
Als ob es nicht genug wäre, dass das föderalismusaffine Corona-Chaos im Lande – die Beherbergungsverbote (Unwort des Jahres?) werden von den Gerichten inzwischen schneller wieder gekippt, als die Politik sie überhaupt verzapfen kann – kaum mehr zu toppen ist, motzt jetzt auch noch der alte Herr vom Sessel des Bundestagspräsidenten gegen die Kanzlerin und irgendwelche auf Krawall gebürsteten Vertreter von SPD und FDP sekundieren ihm. Gabor Steingart gibt in seinem heutigen Morning Briefing einen aktuellen Überblick: https://news.gaborsteingart.com/r/norKykj212043ms7073.html
Ein Leser machte mich auf einen Irrtum in dem Artikel „Kunst.Ort.Kino“ aufmerksam. Der Regisseur des argentinisch-tschechischen Films „Soló“, Artemio Benki, hatte zwar gute argentinische Kontakte, war jedoch echter Pariser, der in diesem Jahr in seiner Geburtsstadt nur eine Woche vor seinem 54. Geburtstag an einer schweren Krankheit starb. Er lebte drei Jahrzehnte lang in Prag, wo er eine Filmproduktionsfirma betrieb, in der er Kurzfilme herstellte, mit denen er teilweise auch beim Filmfestival von Cottbus auftrat. „Soló“ war sein erster langer Film, mit dem er auf mehreren internationalen Festivals Erfolg hatte.
Es gibt einen US-Professor, der bei allen Präsidentschaftswahlen seit 1984 den Wahlsieger zutreffend vorausgesagt, besser gesagt nach einem ausgeklügelten System vorausermittelt hat, und der erklärt jetzt, dass Trump verlieren wird:
https://www.ipg-journal.de/interviews/artikel/lichtman-interview-4716/?utm_campaign=de_40_20201013&utm_medium=email&utm_source=newsletter
Darf die Welt nun aufatmen?
Nur weil ein Übel (möglicherweise) verschwindet?
Die Nacht zum 9. November 1989 stellte die Weiche zum beschleunigten Ende der DDR. Die Doku „Schabowskis Zettel“ hat die Protagonisten der damaligen Ereignisse vor die Kamera geholt: Es sind: Gerhard Lauter, der Mann, der den Zettel schrieb, Günter Schabowski, der Mann, der einen Fehler machte, und Harald Jäger, der Mann, der die Grenze öffnete, Tom Brokow, der für „NBC live“ vom Brandenburger Tor die Nachricht in die Welt trug.
Auf 3sat zu sehen bis zum 05.10.2020: https://www.3sat.de/film/dokumentarfilmzeit/schabowskis-zettel-100.html
Lieber Herr Brauer,
Holm Gero Hümmlers Buch: Verschwörungsmythen. Wie wir mit verdrehten Fakten für dumm verkauft werden besprechend finden Sie „Irrationalismen“, „Aluhüte“, die „jüdische Weltverschwörung“, „Impfgegner“ und und einige und einiges mehr „überhaupt nicht spaßig“ – völlig zurecht. Dass Sie jedoch auch Putin nennen als einen derer, die „hinter allen Übeln steckten“, verwundert schon. Ist der Herr nicht geradezu der Heilsbringer, der Erlöser für nicht wenige in der genannten Szene? Versammelte sich nicht Teile von ihr anlässlich der denkwürdigen Berliner „Anti-Corona-Demonstration“ vor der russischen Botschaft und skandierten besagten Namen?
Freundliche Grüße
Stephan Wohanka
Lieber Herr Wohanka,
ich habe Ihren Eintrag erst jetzt gefunden. Darum die späte Antwort. Erstens ist mein Satz Ironie, würde Heine sagen. Zweitens sind die Verschwörungsfans keine homogene Masse – da findet sich allerhand aus Gottes großer Artenvielfalt. Manchmal demonstrieren sie sogar mit ihren unterschiedlichen Klubs gegeneinander. Gemeinsam ist allen ein Hang zum Irrationalen. Da ist es letztendlich egal, wer mit welchem Fähnchen fuchtelt oder welche Art von Ikone oder Fetisch auch immer anbetet. Das Ergebnis zählt.
Herzlichst
Ihr
Wolfgang Brauer
Das Lieblingsgift des Mannes im Kreml?
Als der russische Oppositionelle N. auf dem Inlandflug in die russische Heimat unterwegs war, brach er noch auf dem Weg dahin im Flugzeug zusammen – und fiel dort ins Koma. Wie sich aber durch deutsche Behörden herausstellte, handelt es sich hier um das stark wirksame Nervengift „Nowitschok“, welches dem Kreml-Kritiker beinahe zum Verhängnis geworden wäre.
Jenes Nervengift, das auch als das bevorzugtes „Lieblingsgift“ des russischen Präsidenten gelten soll, denn so haben Giftgasattacken durch die russische Regierung Tradition und eine lange Liste von Opfern.
Weil sich der russische Oppositionelle N. mit einer Vielzahl von Aktionen gegen die politische Führung in Russland unbeliebt machte und sich dadurch, deren Unmut zu zog, wird er vermutlich in Moskau in Ungnade gefallen sein, so dass sich Nawalny dort hochrangige politische Feinde – darunter wohl auch der Präsident persönlich – gegen sich in Stellung gebracht hat.
Doch selbst das Insistieren von Kanzlerin Merkel, jetzt sofortige Aufklärung und Härte gegenüber Russland einzufordern, wird dies den mächtigen Kreml-Chef nur ein müdes Lächeln kosten.
Zudem ließ das russische Außenministerium verlauten, das es keinerlei Beweise für die Tat gäbe – sowie es bei allen vorangegangen Giftgasanschlägen auf russische Regimegegner, es bisher der Fall gewesen ist. Denn ohne jegliche Beweislage in diesem Fall, gilt auch hier die deutsche Rechtsprechung „Im Zweifel für den Angeklagten“.
Dies sollte in diesem Zusammenhang auch für den russischen Präsidenten Putin gelten, jedenfalls solange, bis belastende Beweise im Fall N. von russischer Seite, hierzu aber überhaupt noch auftauchen sollten.
Ein hochinteressanter Beitrag von Herrn Wohanka zu Nawalny im Forum.
Ich möchte den vielen im Artikel berechtigt aufgeworfenen Fragen noch eine weitere hinzufügen.
Wieso erteilt die russische Regierung, denn der Transport des Herrn Nawalny hat ja nicht der Pförtner des Krankenhauses in Omsk entschieden, die Genehmigung zur Überführung in die Charite nach Berlin, wenn aus dem „Kreml“ der Befehl zur Vergiftung des Oppositionellen gekommen sein könnte ? Der gesunde Menschenverstand würde diese Entscheidung als sehr töricht erachten.
Dann noch die Feststellung, der zum wiederholten Male gezeigten Doppelmoral der deutschen Regierung.
Bei Nawalny wird ein riesiges politisches Feuer entfacht in anderen Fällen-siehe Khashoggi Mord – oder weitere schlimme Beispiele, ein Flämmchen.
Ungeachtet der politischen/geheimdienstlichen Ränkespiele auf beiden Seiten, ich wünsche Alexej Nawalny baldige Besserung seines Gesundheitszustandes.
Nawalny oder der Elefant im Raum
Cui bono? Wem nützt der Anschlag auf N.? Eine These gewinnt immer mehr an Gewicht. Klaus Ernst sagt es so: „Wem nützt die Vergiftung Nawalnys? Etwa Putin? War Nawalny so gefährlich, nach 76 % für Putin 2018? Wer hat Interesse, die Beziehungen, besonders die wirtschaftlichen, zwischen Deutschland, der EU und Russland zu stören, was Röttgen schon fordert?“ Oder Gysi: „Es kann ja auch sein, dass es ein Gegner der Erdgasleitung nach Deutschland ist.“
Denkbar also, dass ein ausländischer Geheimdienst den Giftanschlag auf N. im tiefsten Russland – Tomsk liegt dort – verübt haben könnte. Und zwar sozusagen unter den Augen des KGB, denn wie Medien hierzulande die Moskauer Boulevardzeitung „Moskowski Komsomolez“ zitierend berichteten, wussten nicht näher genannte russische Sicherheitskreise detailliert, wo sich N. zu jedem Zeitpunkt aufhielt, mit wem er sprach und wo er übernachtete: „Alle Bewegungen und Kontakte in der Stadt wurden akribisch untersucht.“ Wenn es überhaupt eine Vergiftung gegeben haben sollte, könne die nur am Flughafen oder im Flugzeug passiert sein, hieß es als Schlussfolgerung – schaute da keiner mehr hin? Nota bene wurde auch die Journalistin Anna Politkowskaja einst mit einem Tee auf einem Inlandsflug vergiftet; zwei Jahre später wurde sie in Moskau erschossen. Wenn es trotz dieser lückenloser Beschattung ausländischen Diensten gelang, N. zu vergiften, stehen die russischen „Sicherheitskreise“ ziemlich düpiert da; Staatsfeind hin oder her, aber dass ausländische Mächte das Heft des Handeln in ihre Hände nähmen, geht dann wohl doch zu weit.
In Omsk, wo N. nach der Landung in ein Krankenhaus gebracht wurde, sprach laut N.s Team ein Polizeibeamter davon, dass in N.s Körper vermutlich ein „tödlicher Stoff“ gefunden worden sei. Das Gift sei demnach nicht nur gefährlich für den 44-Jährigen selbst, sondern auch für die Umgebung, weshalb das Tragen von Schutzanzügen angewiesen worden sei. Erst später diagnostizierte man bei N. eine Stoffwechselstörung. Laut dem Chefarzt der Omsker Klinik wurde auch ein chemischer Stoff gefunden: „Der wurde nicht im Blut, sondern an Nawalys Haut und der Kleidung entdeckt.“ Das sei aber ein üblicher Stoff, der auch bei der Produktion von Plastikbechern eingesetzt werde. Irrte der Polizist? Oder log er? Oder die aus N.s Team? Oder die Ärzte?
Tage später wurde demnach ein „giftfreier“, im Koma liegender, künstlich beatmeter und an einer Stoffwechselstörung leidender N. in die Charité gebracht. Was bleibt da noch? Richtig! Wenn die Diagnosen hierzulande Giftstoffe aus der Nowitschok-Gruppe in N.s Blut nachweisen, dann können die ihm nur in der Charité verabreicht worden sein. So ist Leonid Rink, ein Entwickler des Nervengifts, der Meinung, dass deutsche Chemiker N. kurzerhand mit einer Kopie des Gifts selber vergiftet hätten, da deutsche Spezialisten „sehr erfahren seien.“ Aber Rink hat noch mehr auf Lager: „Vielleicht hat Nawalny sich auch selbst vergiftet!“ Versehentlich oder in suizidaler Absicht? Woher hatte N. das Gift?
Da kann einer nicht fehlen, der selbst erheblich unter politischem Druck steht – Präsident Lukaschenko. Er habe Beweise dafür, dass der Giftanschlag vom Westen vorgetäuscht (!) worden sei. Seine Geheimdienste hätten ein Telefonat zwischen Berlin und Warschau abgefangen. Mit dem Anschlag – nun doch einer – solle Moskau von einem Eingreifen in Belarus abgehalten werden. Aha! Russland war es also nicht. Der mögliche Makel, unter den Augen des KGB agierte ein fremder Dienst, ist aus der Welt.
Tatsächlich werden in der deutschen Politik Stimmen lauter, als „Bestrafung“ Moskaus die Fertigstellung von Nord Stream 2 zeitweise oder ganz zu stoppen. Kritiker wenden ein, dass diese Reaktion gemessen an der gegenüber Saudi Arabiens nach dem Khashoggi-Mord überzogen sei. Dort gab es später wenigstens ein paar Bauernopfer. Merkel sagt, es stünden „sehr schwerwiegende Fragen“ im Raum. Das ist wohl das Einzige an der Sache, was stimmt!
Wer das von Joachim Lange empfohlene Büchlein „Empowerment Ost: Wie wir zusammenwachsen“ von Thomas Oberender aus dem Tropen-Verlag Stuttgart gelesen hat, sollte danach zu „Der Aufsteiger. Eine Geschichte Deutschlands von 1990 bis heute“ von Rdgar Wolfrum greifen. Erschienen bei Klett Cotta (zufällig auch in Stuttgart), 368 Seiten.
Maidan, kein Maidan, Maidan … Belarus im August 2020
von Frank Preiß
Sehr geehrter Herr Preiß,
Sie schreiben: „Kein ernsthafter Beobachter bestreitet bislang, dass Alexander Lukaschenko mit der Mehrheit der Stimmen gewählt wurde. Die Schätzungen liegen bei 55 bis 65 Prozent. Und wäre das reale Ergebnis veröffentlich worden, so wären sicher nicht so viele Menschen den Protestaufrufen gefolgt.“ Es drängen sich Fragen auf: Wer sind die „ernsthafter Beobachter“ oder anders, welches sind die Quellen für diese Zahlen, die dann im nächsten Satz flugs zum „realen Ergebnis“ werden? Ich habe diese Zahlen in den Medien bisher noch weder lesen noch hören können. Indirekt wird Ihre Aussage dadurch konterkariert, dass die Menschen in Belarus trotz massiver staatlicher Repressionen weiterhin massenhaft und beinahe täglich auf den Straßen protestieren; für morgen ist der angeblich größte Streik in der Geschichte des Landes angekündigt: Morgen solle niemand zur Arbeit gehen, hieß es in einer Ankündigung. Sie sagen auch, dass „der berechtigte Aufruhr der Bürger sich gegen die Lügen der Politik (richtet)“ – aber das geht jetzt schon seit guten drei Wochen so! Ihnen ist natürlich zugute zu halten, dass Sie Ihren Text am 28.08. abschlossen. Aber verwundert Sie nicht auch die Hartnäckigkeit – oder besser – das politische Durchhaltevermögen der Menschen? Und kann das nur durch „Lügen der Politik“ veranlasst sein? Da müssten sich weltweit massenhaft Menschen im Dauerprotest befinden; auch hierzulande…
Freundliche Grüße
Stephan Wohanka
Das Bundesarbeitsgericht fällte gestern ein Urteil gegen das Berliner Neutralitätsgesetz, das Lehrkräften, Polizisten sowie Justizbediensteten verbietet, im Dienst religiöse Symbole offen sichtbar zu tragen. Ich halte das Urteil wie auch schon ein vorheriges des Bundesverfassungsgerichtes in quasi gleicher Sache für mehr als fatal. Eine zentrale These dieser Rechtsprechung bezüglich der Schulen lautet, dass erst der „Schulfriede gefährdet“ sein müsse, ehe ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen verhängt werden könne. Auch die Erfurter Richter betonen, dass ein generelles, präventives (sic!) Verbot zum Erhalt des Schulfriedens nicht rechtens sei. Vielmehr müssten konkrete Anhaltspunkte für dessen Gefährdung vorliegen. Hier setzt meine Kritik ein: Warum soll erst der „Schulfriede gefährdet“ sein müssen, um dann ein mögliches Kopftuchverbot auszusprechen? Sollte nicht gerade eine „gute“ Rechtsprechung alles unternehmen, um präventiv zu wirken? Also den Schulfrieden erst gar nicht zu gefährden? Denn gibt es nicht schon genug andere Gefährdungsmomente wie hoher Ausländeranteil, Gewalt, Inklusion; muss denen noch eins hinzugefügt werden?
Ein muslimisches Kopftuch ist eben nicht nur „ein Stück Stoff“, kein modisches Accessoire, sondern kann – muss nicht – „auch Ausdruck einer patriarchalischen, die Gleichberechtigung der Frau ablehnenden Gesellschaftsform“ (Erhardt Körting, früher Innensenator Berlins) sein. Zumindest ist es ein Bekenntnis und übt so, getragen von Lehrerinnen im Schuldienst, eine Beispielwirkung auf junge muslimische Mädchen aus, erzeugt psychischen Druck, es der Lehrerin gleichtun zu sollen. Und dann: Wer stellte fest, wann oder wie der Schulfriede gestört wäre – endlose Streitereien, gerichtliche Auseinandersetzungen sind quasi programmiert. Nochmals – warum soll der Schulfriede überhaupt erst ins Risiko gestellt werden?
Ist erst einmal eine Bresche geschlagen, wird der Druck auf andere Berufsgruppen, auch solche, die hoheitliche Aufgaben wahrzunehmen, nachzuziehen, größer. Ich möchte vor keiner Richterin stehen, die ein Kopftuch trägt oder deren Robe ein christliches Kreuz ziert, ebenso wenig von Polizisten kontrolliert werden, die Kippa oder Kreuz tragen. Gerade in einer multikulturellen und von vielen Konfessionslosen bevölkerten Stadt wie Berlin ist das Neutralitätsgesetz eine unabdingbare Bedingung für ein gedeihliches Zusammenleben aller.
PS: Wie Berliner Medien berichten, klagen Lehrer, dass der Schulfriede schon jetzt durch Auseinandersetzungen um das Kopftuch massiv gestört sei.
Erlesenes – Anna Seghers in Mexiko
Ergänzend sei hierzu noch auf die ARD-Dokumentation „Flucht nach Mexiko – Deutsche im Exil“ hingewiesen. In voller Länge auf Youtube anschaubar:
https://www.youtube.com/watch?v=nE9DMm8QWXg
Danke!
Warum ist ein bedingungsloses Grundeinkommen eine wirklichkeitsreduzierende und destruktive Utopie?
Diese Frage wurde mir gestellt, nachdem ich diese Utopie eines bedingungslosen Grundeinkommens als wirklichkeitsfremd und beziehungszerstörend bezeichnet hatte.
Die Formulierung allein ist schon irre. Wenn sie überhaupt einen Sinn ergibt, dann in Abgrenzung zum bedingten Grundeinkommen wie es die Grundsicherung darstellt.
Ansonsten ist die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen mehr eine Kopfgeburt und hat weniger mit der Sozialstruktur der Gesellschaft zu tun.
Die Vorstellung, jeder Bürger sollte z.B. 1200,00 € bekommen, verlangt die Akzeptanz, dass jeder Süchtige, jeder Dealer, jeder Kriminelle, jeder Extremist, jeder Erwerbsarbeitsverweigerer, jeder rassistisch und nationalistisch Orientierte, jeder Homophobe, jeder militante Gewalttäter, jeder Verfassungsfeind – also jedes Individuum – seine individuelle Umwelt finanziell grundgesichert bekommt.
Wenn diese Menschengruppen nicht gemeint sind, dann sprechen wir aber schon nicht mehr von einem bedingungslosen Grundeinkommen.
Warum müssen also Projekte initiiert werden, um die Wirkung eines monatlichen Geldgeschenkes für die Umsetzungen individueller Lebensentwürfe in Erfahrung zu bringen? Die oben genannten Umwelten bleiben doch?
Wenn die Forderung an erwerbsarbeitsfähige Menschen in der Grundsicherung (ALG II) gestellt wird, sich einen Erwerbsarbeitsplatz zu suchen, was ist daran falsch?
Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist nicht nur ein dämlicher Begriff, weil er an der realen Sozialstruktur vorbeipeilt sondern weil er dieses Vorbeipeilen fördert und die geistige Aufmerksamkeit auf eine Wünsch-dir-was-Gesellschaft fokussiert. Die Aufmerksamkeit wird von wirklich notwendigen Reformen, wie der Erhöhung der Gehälter systemrelevanter Berufe, weglenkt.
Der Gedanke, jeden Monat nichtzuversteuernde 1200,00 € an die Menschen systemrelevanter Berufe zu verschenken, hat mit bedingungslosem Grundeinkommen für jeden Staatsbürger zwar nichts mehr gemein aber er lenkt wenigstens die Aufmerksamkeit auf die Ganzheit der Einkommensstruktur in Deutschland. Die Notwendigkeit seiner Reformierung würde deutlicher in den Fokus rücken und die Aufmerksamkeit auch auf die Politiker lenken, die ernsthaft über den Umgang mit Geld für die Beseitigung prekärer Einkommen nachdenken und Vorschläge machen, die Einkommensstruktur als Ganzes gut zu machen.
Die Formulierung besser machen setzt ja eine gute Einkommensstruktur voraus.
Zu: Glanz statt Hetze
Wolfgang Hochwald schreibt so, als hätte der in seinem Beitrag genannte das Putzen von Stolpersteinen in Köln gerade erst „erfunden“. Das ist natürlich Unsinn. Die mit der Zeit schmuddelig werdenden (aber nicht „verblassenden“) Erinnerungsstücke, die Teil des weltweit größten dezentralen Denkmals sind, erfuhren an vielen verschiedenen Orten bereits solche Putz-Aktionen. Mir selbst ist eine solche aus dem Jahr 2017 im Berliner Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf erinnerlich, die dazumal von der örtlichen SPD organisiert wurde.
Nur zur Sicherheit: Dies soll die gute Aktion von Köln keineswegs schmälern; sie war halt nicht so neu, wie der Text im Blättchen suggeriert.
Wer es für Verschwörungstheorie hält, wenn heute etwas in etwa so passiert, wie es gestern antizipiert worden ist, der dürfte mit der ZDF neo-Serie „Sløborn“ von 2019 – also in jedem Falle lange v o r Corona geschrieben und gedreht, seine Probleme kriegen:
https://www.zdf.de/serien/sloborn
Ist allerdings nichts für (zu) schwache Nerven …
Fußball-Bundesliga: Wo bleiben denn bloß die Zuschauer?
Beim deutschen Profifußball waren aufgrund von Corona, die Stadien wie leer gefegt. Der Hauptgrund dafür war, eben das besagte Virus, in der abgelaufenen Saison gewesen. Es wurden deshalb sogenannte „Geisterspiele“ (die ohne Beteiligung von Zuschauern, auskommen mussten), in dieser ungewöhnlichen Art und Weise präsentiert und diese zum Teil, im deutschen Fernsehen, live übertragen worden sind.
Wegen dem Virus, war es bezüglich der hohen Infektionsgefahr, einfach viel zu gefährlich gewesen, vor Zuschauern spielen zu lassen; deshalb musste das Publikum, vom Spielgeschehen, wegen der erlassenen Richtlinien der Deutschen Fußballliga (DFL), davon ausgeschlossen werden. Aber das Gekicke ohne jegliche Zuschauerpräsenz, ließ den Fußball, nun besonders langweilig aussehen.
Es fehlen eben, gerade diese oft verpönten, grölenden Fans, die dem Fußball, hätten wieder Leben einhauchen können. Doch die DFL, dachte hierzu eher merkantil und schielte mehr aufs Geld, als auf gute Stimmung in den Stadien.
So plant die DFL, für die nächste Saison jedoch, die Stadien für die Bundesligavereine, zumindest teilweise wieder mit Publikum füllen zu dürfen – liegt aber hier, eine ausgeklügelte Salamitaktik zu Grunde.
Doch erste Kommentare, führender deutscher Politikerinnen, bezüglich der Fußballspiele mit Publikum, stieß jedoch auf breite Ablehnung und harsche Kritik. So das bis zum Saisonauftakt am 18. September, die neue Reglung, höchstwahrscheinlich keine Chance bekommen wird.
Der Ehrenpräsident des F.C. Bayern, Uli Hoeneß, schwärmt aber derweil von denen Plänen der DFL, für den kommenden Spielbetrieb. Denn schon für eine Auslastung zu einem Drittel, von bis zu 25.000 Zuschauern, die den Weg in die Allianz Arena, dann auch hoffentlich auch finden werden, wäre für Hoeneß, aus heutiger Sicht, mehr als zufriedenstellend.
Möglicher Auftaktgegner am 19. September, wäre dann der F.C. Schalke 04 – ein für die Bayern, bisher, sehr unangenehmer Gegner.
Sollte das Konzept der DFL für die Saison 20/21, aber dennoch Zuspruch bei deutschen Politikern finden und es somit in trockenen Tüchern wäre, werden die Bayern gegen Schalke, einen nicht zu unter schätzbaren Vorteil haben. Nämlich in der Hinsicht, das die Mehrheit der Zuschauer, in der Allianz Arena, dann ihr Herz, am rechten Fleck haben dürften.
Neusprech
In den Nachrichten hieß es, Probleme bei der Corona-Bekämpfung hingen damit zusammen, dass etwas „händisch“ gemacht werden musste.
Nun habe ich mir händisch ein Frühstück gemacht und es mundisch gegessen. Anschließend las ich augisch die Zeitung und saß poisch auf dem Klo. Später war ich fußisch spazieren. Nun denke ich hirnisch: Ich hätte nie erwartet, dass ich einem solchen kulturellen Verfaulungsprozess des Spätkapitalismus tatsächlich beiwohnen würde.
Hallo,
vielleicht ist es ein Druckfehler und sollte eigentlich „hündisch“ heißen? Schon die alten Römer wußten ja: Carpe canem – Nutze den Hund.
Viele Grüße: Erhard Weinholz
Streitkräfte vom Wesen her denken (Zweiter und letzter Teil)
Und schon gar keinen gewaltfreien Widerstand. Den gab es nie und wird es nie geben, weil das Suchen nach Wahrheit immer das Überwinden von alten Wahrheitskonzepten erfordert. Und das wird niemals ohne Gegenwehr funktionieren. Die Wahrheitssuche, vor allem in der Suche nach den optimalen gesellschaftlichen Bedingungen für die Entfaltung der Potentiale aller Menschen, der Förderung ihres Willens, sich bis zum natürlichen Tod entwickeln zu wollen, braucht vor allem eines nicht: Krieg und Frieden im Zusammenleben. Der künstliche Tod ist die künstliche Beendigung der möglichen Entwicklung des Individuums (vgl. Karl-Friedrich Wessel „Der ganze Mensch. Eine Einführung in die Humanontogenetik oder Die biopsychosoziale Einheit des Menschen von der Konzeption bis zum Tode)..
Die Aussage, dass das schon immer so war, ist kein konstruktives Denken. Ebenso destruktiv ist die Auffassung von der bloßen Verlängerung der Gegenwart in die Zukunft. Wohin das bis heute ge-führt hat, sehen wir in Bezug auf Krieg und Frieden. Diese Haltung führt nur in eine Optimierung der Kriegsführungsfähigkeit der Staaten.
Die systemrelevanten Berufe – u.a. die Ärzte, Pfleger, Erzieher, Lehrer, Verkäuferinnen, die Ener-gieforscher, die ÖPNV-Forscher und…und…und…hätten eine gute Perspektive, würde das System künstlichen Tötens und Zerstörens abgebaut werden. Das ganze System. Die sinnvollsten Vorschlä-ge und die produktivsten Wege können aus diesem System selbst kommen. Die Politiker müssten die Menschen nur einladen zu diesem Systemabbau und ihnen die Sicherheit geben, dass ihr Po-tential nicht nur als destruktives Gewaltpotential genutzt werden kann. Es kann in die konstruktive Gewaltnutzung nicht nur integriert werden sondern die Struktur der positiv konstruktiven Gewalt-nutzung bereichern.
Wer Krieg und Frieden vom Wesen her denkt, muss das auch eigentlich mit allem machen. Auch mit dem Wesen der menschlichen Gewalt. Und die ist nicht nur in ihrer negativen Destruktivität zu ver-stehen sondern ihrer positiven Konstruktivität.
Ich arbeite am philosophischen Gewaltbegriff. Das heißt auch, ich bin für die Existenz einer staatli-chen Streikraft – gewollt aber von allen Staaten, um die rausgelassen Phantasien tötungs- und zer-störungswilliger Gruppen notfalls auch zu töten und ihre Existenzgrundlagen zu zerstören. Und die US-amerikanische Armee wäre ein guter Auftragnehmer. Die Soldaten können das. Und die Kosten müssten sich alle Staaten teilen. Auch beim Abbau dieser Streikraft in einer möglichen anderen Gegenwart in Zukunft im Vergleich mit der gegenwärtigen Gegenwart.
Streitkräfte vom Wesen her denken (Erster Teil)
Die Anregung zu meiner Meinungsäußerung kommt aus dem Beitrag von Xanthe Hall (IPPNW) „Was ist los mit der NATO?“ (Das Blättchen vom 03.08.20)
Ich hatte im Frühjahr 1990 meine Habilitationsschrift zum Beitrag der IPPNW zur Herausbildung neuen politischen Denkens und Handelns beendet. Begonnen 1986 unter dem Aspekt eines not-wendigen Zusammenlebens der Staaten nach den Prinzipien der Politik der friedlichen Koexistenz in einer Welt von Nuklearwaffen. Besonders gemeint waren hier die Hauptmächte in den jeweili-gen Militärbündnissen, die UdSSR und die USA.
Das wollte dann im Frühjahr 1990 keiner mehr annehmen
Wahrscheinlich, weil meine Grundhaltung zum Sozialismus zu sehr betont war.
1968 war ich Fallschirmjäger bei der NVA, um meinen Beitrag zur Kriegsverhinderung zu leisten. Nach dem 21.08.1968 (dem Einmarsch der sowjetischen Streitkräfte in die CSSR) fand ich endlich mein berufliches Ziel. Ich wollte mein weltanschauliches Denken zu Freiheit, Demokratie und Sozia-lismus, mein Philosophieren, professionalisieren. Ich begann Philosophie zu studieren und betreibe das bis zu meinem – hoffentlich – natürlichem Tod. Ich habe bis heute, wie viele Millionen andere, das „Glück“, persönlich keinen Krieg erlebt zu haben. Heute, mit 72 Jahren, fehlt mir nach wie vor aber die intrinsische Motivation über das Wesen von Krieg und Frieden und über die wesentliche Tätigkeit der Soldaten hinauszudenken. Der immer weiter wachsende Berg an Fakten über die Ge-schichte der Streitkräfte und über Krieg und Frieden birgt die riesengroße Gefahr, das Wesen des Krieges sowie die Grundtätigkeit des Kriegs“handwerkes“ aus dem Blick zu verlieren. In meinen Augen hat sich an diesem Wesen nichts geändert. Es hat in den Tausenden Jahren, in denen Krieg und Kriegshandwerk bis in die Gegenwart existieren keine Veränderung ihres Wesens gegeben. Vom Schwertträger bis zum Drohnenlenker, in allen Strategien taucht das gleiche Wesen, das glei-che Grundziel auf: Menschen töten und ihre Lebensbedingungen zerstören. Nichts, aber auch nichts hat sich daran geändert. Abschreckungslogik fördert im Kern einen Wettlauf des optimalen Tötens und Zerstörens und eine immer neue Entdeckung von Feindbildern. Die Digitalisierung der Streitkräfte ist nichts anderes als auf neuer wissenschaftlicher und technischer Basis das Töten und Zerstören von Feinden zu optimieren.
Es stellt sich immer wieder die Frage: Warum brauchen wir weltweit Berufsgruppen, die das staatli-che Gesamtpaket von organisiertem Töten und Zerstören am „Laufen“ halten? Einschließlich der Produktion von Feindbildern?
Vielleicht produziert das US-amerikanische Verteidigungsministerium nach dem intensiven Studium der UfOs ein neues Feindbild, um den Aufbau kosmischer Streitkräfte besser zu begründen?
Eine Welt ohne Friedenskämpfe wäre in meinen Augen ein erstrebenswertes Ziel für alle Men-schen. Gemeinsame Abrüstung und kooperative Konversion aller Staaten in ihrer Tötungsfähigkeit und in ihrem Zerstörungspotential ist bleibende Aufgabe. Und das könnte ohne Angst vor einer neuen zukünftigen Gegenwart ohne Krieg und Frieden sein. Dieser Prozess der angstfreien Gestal-tung einer zukünftigen Gegenwart verlangt logischerweise auch die Mitgestaltung der Abermillio-nen, die heute im System Töten und Zerstören involviert sind. Jede Seite, die abschreckt, will das gut machen – gutes Töten und Zerstören, besser Töten und Zerstören, am besten Töten und Zer-stören können. Das sind in meinen Augen überholte Strukturelemente für eine zukünftige globali-sierte Gegenwart, in der die Gesundheit und Bildung aller Menschen möglich sein könnte. Das ist aber keine Zukunft ohne Gewalt. Wo Menschen zusammenleben, wird es immer Streit und Ausei-nandersetzung geben. Eine konfliktreiche Welt setzt keinen gewaltfreien Menschen voraus.
Mauern für eine bessere Welt von Erhard Weinholz
Gedanklich war Erhard Weinholz wohl offensichtlich schon bei den im zweiten Zitat wiedergegebenen Zusammenhängen; wäre dem nicht so, hätte er im ersten Zitat vom Mauerbau sprechen müssen:
– „Der Mauerfall hat die Ordnung in der DDR gerettet…“
– „Denn nicht der Befreiung habe diese Aktion (nun tatsächlich der Mauerfall – St. W.) gedient, sie sollte vielmehr durch ´Dampfablassen aus dem revolutionären Druckkessel´ die Macht der Führung erhalten beziehungsweise, dies die zweite Variante, als Kapitulation vor kurz zuvor gestellten Forderungen des Westens dessen Hilfe sicherstellen.“
Festzuhalten ist, dass der Bau der Mauer letztlich weder die Ordnung in der DDR noch die Macht deren Führung zu retten vermochte; paradoxerweise auch nicht ihr Fall. Schön, mal wieder dran erinnert zu werden – und sei´s über einen lapsus linguae.
Danke für die Korrektur. Ein typischer Fall von Textblindheit, man könnte auch von einem Freudschen Verschreiber sprechen, denn um den Fall ging es mir tatsächlich mehr als um den Bau. Die Sache erinnert mich an einen Fehler, der mir 2003 unterlaufen ist. Damals war überall vom 17. Juni die Rede, und so schrieb ich (es ging um das Jahr 68) vom Einmarsch vom 17. Juni statt vom 21. August. Keiner hat’s gemerkt. Jahre später schaute ich mir den Text noch einmal an … peinlich, höchst peinlich.
Anmerkung der Redaktion: Der Lapsus, der auch dem Redakteur nicht aufgefallen war, wurde in der Online-Ausgabe inzwischen berichtigt.
Nachdenken über deutschen Rassismus – ein Nachtrag
In der Berliner Zeitung (25./26. Juli 2020) findet sich auf Seite 5 ein Kellerartikel mit der Überschrift: „Polen und Ungarn muss man erziehen“. Mit der „Erziehung“ der Ungarn hatten sich die Deutschen aus Österreich bereits seit 1526 befasst, mit der der Polen haben die Deutschen seit den polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts zu tun. 1939-45 hatten sie außer Panzern und Flugzeugen dafür auch Maschinenpistolen, deutsche Schäferhunde und Reitpeitschen. Heute sollen das Gelder besorgen. Nur das Ziel, die Erziehung der Polen und der Ungarn durch die Deutschen bleibt gleich.
In der Berliner Zeitung figuriert das unter der Rubrik „Generation Greta“. Wenn das in der Tat die Weltvorstellung der „Generation Greta“ in Deutschland sein soll, haben die alten Nazis ihr Ziel erreicht: Der deutsche Mensch fühlt sich denen im Osten grundsätzlich überlegen.
Oder hat nur der Endredakteur geschlafen?
Ich empfinde das als sehr bedrückend. „Neger“ soll niemand mehr sagen, der „Negerkuss“ ist verpönt, die Mohrenstraße soll umbenannt werden. Aber keiner der selbsternannten „Linken“ hat ein Problem damit, Polen und Ungarn „erziehen“ zu wollen. Auch in der deutschen „Linken“ waltet im Zweifelsfalle das Herrenmenschen-Gen: denen im Osten „beizubringen“, was „sich gehört“.
Wer wissen will, wie hüfttief deutsche Aufsichtsbehörden mit im Wirecard-Sumpf stecken, der sollte sich Gabor Steingarts heutiges (23.07.2020) Morning Briefing zu Gemüte führen: https://news.gaborsteingart.com/online.php?u=norKykj5624
Nur dass Steingart den Skandal zu einer weiteren Bewährungsprobe für Olaf Scholz (SPD) hochstilisiert, veranlasst denn doch zu der Frage: Wie oft denn noch?
Zu Jürgen Holtz. Sie schreiben, er starb zu Johanni, Sonntag, den 21. Juni. Johanni ist allerdings am 24. Juni.
Sehr geehrter Herr Busch,
zuerst: im Grunde bin ich gegen Zweier-Dispute in öffentlichen Foren. Ausnahmsweise möchte ich Ihnen dennoch eine Replik auf Ihre freundliche Antwort folgen lassen (es ist – versprochen- an diesem Ort die letzte).
Ohne das „Kernproblem“ von Statistik (Sie wissen schon) hier noch mal auszubreiten, haben Sie mit Ihren Zahlen natürlich Recht. Allerdings stützt sich, wie wir wohl alle wissen, die Inflationsberechnung in Deutschland erstens auf den berühmten, den meisten Menschen dennoch eher unbekannten „Warenkorb“. In diesen fließen auch Preisentwicklungen von Computern, Möbeln, selbst Kraftfahrzeugen ein. Nun kauf der Durchschnittsbürger nicht jeden Jahr ein neues Sofa, einen neuen Computer, geschweige denn andere höherpreisige Waren. Zweitens werden beim Verbraucher-Index sowohl die zehn Prozent niedrigsten Einkommen (incl. Transferleistungen) und die zehn Prozent höchsten Einkommen (nicht völlig zutreffend zumeist Millionäre genannt) ausgenommen.
Geht man nun davon aus, dass die unteren und mittleren „Einkommensschichten“ zumeist mehr als 75 (teils mehr als 90) Prozent ihrer Ausgaben in Dinge des täglichen Bedarfs stecken (müssen), ergibt sich für diese in den genannten Jahren eine Inflationsrate von knapp unter drei Prozent. Das bestätigen alle deutschen Sozialverbände, vom Paritätischen über SovD bis hin zur Stiftung Warentest oder Oxfam. Nicht wenige der Betroffenen sind darüber hinaus von steigenden Gebühren und Abgaben in ihren Kommunen betroffen. Insofern geht es, Verzeihung, nicht um „gefühlte“ Inflation, sondern um tatsächliche Preissteigerung.
Eine kurzfristige „Depression“ erwarte aber auch ich nicht. Wie aber die jetzigen Billionen-Ausgaben der öffentlichen Hände refinanziert werden und wie lange das diesmal dauern wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur eins: Nämlich wer das zu bezahlen hat. Diesmal möglicherweise mit noch größeren Einbußen als 30 Prozent.
Ich wünschte, Sie hätten Recht.
Herzlich
Ralf Nachtmann
Sehr geehrter Herr Nachtmann, es ist richtig, dass Sparer infolge der Inflation reale Vermögenseinbußen verzeichnen. Das habe ich auch nirgends infrage gestellt, sondern des öfteren selbst thematisiert. Sie irren jedoch, was die Daten anbetrifft. Die Inflationsrate (Verbraucherpreisindex) sind seit 2009 um durchschnittlich 1,2 Prozent p.a. gestiegen, also weniger als im Durchschnitt der letzten 75 Jahre. Am geringsten war der Ansteig direkt nach der Finanzkrise: 2009: nur 0,3%, 2010: 1,1%. Daher meine Position, dass auch jetzt, sofern die Krise in eine Depression übergeht, kein starker Preisniveauanstieg zu erwarten ist. Die von Ihnen genannten -30 Prozent kann ich anhand der Statistik nicht nachvollziehen. Ich räume aber ein, dass die gefühlte Inflation immer höher ausfällt als die gemessene. Über Gefühle aber lässt sich nicht gut streiten…
Ulrich Busch
Inflation?
In einem Punkte irrt Ulrich Busch in seinem Beitrag, und dies leider gehörig. Zwar stimmt es, dass es in Folge der so genannten Finanzkrise 2008 zu keiner nennenswerten Inflation kam, neben der von Busch erkannten „Blasenbildung“ gab es aber noch diesen Effekt: Die „Vermögen“ der Kleinsparer, in der Regel für ein klein bisschen Altersvorsorge gedacht, verringerten sich in den zehn Jahren bis zum Abgezahltsein der staatlichen Hauptschulden um 30 Prozent. Das trifft vor allem Jene hart, die gerade einmal bis zu 50 000 Euro sich mehrheitlich „vom Munde abgespart“ hatten. Die Mehrzahl dieser Leute lebt übrigens im „Osten“, und allein die Erkenntnis, dass sie 30 Jahre brauchten, um so ein paar „Pimperlinge“ zusammen zu bringen, hätte Busch nicht so einfach übergehen dürfen. Und Menschen, denen ein Drittel ihres Ersparten soeben erst gestohlen wurde, zu empfehlen, den Rest jetzt rasch auszugeben und nicht an morgen zu denken, kann sich wohl nur jemand leisten, der noch nie (finanzielle) Not und deren Folgen litt.
Edgar Benkwitz, Sie vermitteln dem geneigten Leser einen guten Überblick über die politische Lage in einer der unwirtlichsten Gegenden im Erdenrund, aber Sie gehen ein wenig fehl, indem Sie formulieren: „So stehen sich indischer und chinesischer Nationalismus gegenüber.“ Mich deucht eher, dass sich im Gebirg so hoch da droben zwei der größten Nationen dieser Welt BEGEGNEN und zwar an einer Grenze, die das einst perfide Albion sehr wahrscheinlich in böser Absicht damals offenbar sehr schludrig gezogen hat.
Was nun den derzeitigen Präsidenten der noch keineswegs Vereinigten Staaten von Nordamerika betrifft, so tut er wohl gut daran, seinen sehr wahrscheinlich wohl durchdachten Senf dazu zu geben.
Gemessen an seiner Verkündigung ist Herr Jakubowski also rasch wieder bei, um nicht zu schreiben „unter“ uns. Und wenn schon, dann erwartungsgemäß mit einem T. Zitat; überraschend jedoch, diesmal mit Bedienungsanleitung: „Wenn man den Satzanfang ersetzt etwa durch: Was einer meint….“.
Aus der reichhaltigen Hinterlassenschaft müßte sich doch etwas weniger Kompliziertes zwecks Autoritätsbeihilfe finden lassen!
„Suchet, so werdet Ihr finden“, etwa dies: „Ist es denn nun wirklich wahr, was man hat vernommen -„, so eingeleitet geht es weiter im Text: „Herr von Seeckt hat einmal in einem Vortrag auch uns Pazifisten einiges erzählt – neu war es nicht, gescheit war es nicht, richtig war es nicht. Nur die braven Demozeitungen fielen auf ihn herein, weil ihre Redakteure nicht reiten können. Seeckt ließ wieder erkennen, wie sich jeder Mensch eine Welt zu formen sucht, in der er den Mittelpunkt abgibt, daher denn ein Weltbild niemals etwas andres aufzeigt als die Beschaffenheit des Apostels.“ Guter Merksatz!
Bekanntlich gab es mehrere Apostel und gibt es unterschiedliche Apostelgeschichten in Konkurrenz. Warum nicht auch hier; freilich um den Preis der Gefahr, vom jeweiligen Glauben ab zu fallen, falls andere Geschichten besser sind.
PS für Interessierte, wie T. 1929 die entgegen gesetzten Interessen definierte: „Seeckt braucht den Krieg – in ihm liegen seine Fähigkeiten. Wir wollen den Frieden – in ihm liegen die unseren.“
Halten zu Gnaden, aber von „Ermächtigung“ zu reden, oder von „Ermächtigungsgestz“ ist nicht dasselbe. Ich weiß ja nicht, aus welcher Ecke Herr Erfurth geholt wurde. Aber dieser Unterschied sollte doch offensichtlich sein.
H. Erfurth spricht von einem „neue(n) Ermächtigungsgesetz“ mit einer „Laufzeit bis 31. März 2021“ und hat dabei das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27.03.2020 vor Augen, in dessen Wortlaut expressis verbis von Ermächtigungen die Rede ist. Das kann im Bundesgesetzblatt nachgeschlagen werden. Das Gesetz ist nicht nur deswegen unter verfassungsrechtlichen Aspekten auch von anderen kritisiert worden. Wikipedia gibt einen Überblick: https://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zum_Schutz_der_Bev%C3%B6lkerung_bei_einer_epidemischen_Lage_von_nationaler_Tragweite
Lieber Herr Schwarz, bei all Ihren Verdiensten um das Blättchen, aber man kann ja auch mal in den falschen Eimer gegriffen haben. Dieser Einwurf macht die Sache als solche auch nicht besser…
Freundliche Grüße
Naturgemäß in einem anderen Zusammenhang als mit einer Pandemie, hat Kurt Tucholsky einst m. E. treffend festgestellt:
„Ob einer die Wahrheit schreibt, Herr Professor, das kann man hören. Allerletzten Endes gibt es gar keine andere Möglichkeit, die Wahrheit ausfindig zu machen. Zahlen können trügen – Statistiken erst recht – Dokumente können gefälscht, geschickt ausgewählt, zusammengestrichen sein … aber der Ton der Wahrheit, die Musik der Wahrheit –: das täuscht nie. Haben Sie Ohren, Herr Professor? Dann hören Sie, was da klingt.“
Wenn man den Satzanfang ersetzt etwa durch:Was einer meint,…., dann ist vielleicht vorstellbar, worauf die so naheliegende Analogie des Begriffs „Ermächtigungsgesetz“ zuallererst abhebt. Dass es hier nicht um eine semantische Bedeutung der unschuldigen Begrifftsteile geht, hatte ich nicht vermutet, erklären zu müssen.
H.Jakubowski
Den Diskutanten H. Jakubowski und S. Wohanka nur der Hinweis, dass bloßes Lesen des Baum-Interviews vielleicht schon weitergeholfen hätte.
Aber trotzdem Dankeschön für den Tucholsky. Den kannte ich, wie ich gestehen muss, noch nicht. Dass T. allerdings beabsichtigt hätte, damit allen Auffassungen und Einlassungen, die nicht auf seiner Linie lagen, die Berechtigung abzusprechen – davon auszugehen sehe ich nun wirklich keine Veranlassung.
Wer als erwachsener und halbwegs gebildeter Mensch den Begriff „Ermächtigungsgesetz“ (und dies auch noch ohne Anführungszeichen) benutzt, weiß, welche Analogie er herstellt. Ein Blättchenautor, Herr Erfurth, hat also an das Niveau des nicht nur von Ken Jebsen gepriesenen Magazins „Rubikon“ (Schlagzeilenbeispiele:Gesundheitsterror/Fassadendemokratie) angedockt. Als jemand, der mit dem Blättchen seit je eng verbunden war, tut mir weh, in welcher Gesellschaft ich es seh´.
Heinz Jakubowski
Vor einer „E r m ä c h t i g u n g der Regierung, Maßnahmen durch Rechtsverordnung am Parlament vorbei zu treffen“ eindringlich gewarnt hat übrigens Gerhard Baum, eine Ikone des Rechtsstaates und seiner Wahrung. Baum sah gar „eine Art Untersuchungshaft auf dem Verwaltungswege“ heraufdämmern – nachzulesen unter https://www.spiegel.de/politik/deutschland/fdp-politiker-gerhart-baum-zu-corona-hueten-wir-uns-vor-dem-virus-sicherheitswahn-a-11303c94-230c-489e-950d-2fcdd3645b22.
Mit Verlaub – ist jetzt Gerhard Baum der neue Karl Marx? Der für Autoritätsbeweise herhalten muss?
Wie halten wir es denn nun mit der althergebrachten Idee „Die Stunde der Not ist die Stunde der Exekutive“? Dahinter verbirgt sich ja die Vorstellung, dass bei Gefahr vor allem SCHNELL gehandelt werden müsse, wobei „demokratische Debatten“ nur stören, weil sie zu unerwünschten (von wem unerwünscht?) Verzögerungen führten. In diesem Sinne kann ich, lieber Kollege Jakubowski, Ihre Kritik am Autor Erfurth nicht ganz nachvollziehen. Mal ganz abgesehen davon, dass Ermächtigungsgesetze in deutschen Landen verschiedenster Regierungsform eine lange Tradition haben (im 20. Jahrhundert von der Kriegsermächtigung 1914 bis hin zu den Notstandsgesetzen der Alt-BRD 1966 ff., ebenso reichlich DDR-Gesetze), hieß jenes, auf das Sie Ihr Verdikt gründen, „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“. Die derzeit Regierenden würden wohl eher formulieren: „Gesetz zur Behebung der Not von Bevölkerung in den Ländern und der Bundesrepublik Deutschland“. Und? Wo bitte ist der Unterschied? Vielleicht gerade dort, wo (wieder) nach einer „Sprach-Polizei“ bzw. einer „Sprech-Polizei“ gerufen wird. Auch dies ist eine gern von der jeweiligen Exekutive verbreiteten Forderung. Na, da will ich – nicht nur wegen meiner thüringer Herkunft – doch lieber Erfurt heißen.
Wolfram Adolfi erwähnt in seiner Rezension https://das-blaettchen.de/2020/05/china-und-die-quadratur-der-kreise-52649.html die website https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Globalresearch.ca als seriöse Quelle. Das entwertet den ganzen Artikel.
Diesen Beitrag habe ich leider erst jetzt gelesen. Trotzdem mein Einwand: Es ist die Logik der Eiferer der politischen Korrektheit – linke Staatsfeinde, rechte Staatsfeinde, Reichsbürger, Trotzkisten, Aluhüte und Impfgegner -, dass sie alle die Quellen, darunter Webseiten, der jeweils anderen für unzuverlässig erklären. Werter Frisbee, lesen Sie doch einfach den Adolphi-Text von vorne bis hinten unter dem Gesichtspunkt, ob er in sich logisch ist und schlüssig argumentiert.
Vielen Dank an Prof. Kleinwächter für diesen Quellenhinweis und das Zitat daraus. Also war Beck zwar nicht in Berlin, er hatte aber den Botschafter offenbar Weisungen für einen letzten Verhandlungsversuch übermittelt.
Ich habe mich zwischenzeitlich bemüht den Bildband „Der zweite Weltkrieg“ aus dem DDR-Militärverlag zu bekommen. Ich habe aber nur die 7. Auflage von 1988 bekommen. Allerdings ist das nicht die Auflage die ich in den 1970er Jahren von einem Nachbarn ausgeliehen hatte. In der mir vorliegenden 7. Auflage ist auf S. 25 oben rechts ein Bild von Danzig am Vorabend des Kriegsbeginns. Darunter steht folgender Text (Zitat)“…Die Nazis wollen keine Verhandlungen. Der damit beauftragte Berliner Botschafter Polens wird unter Vorwänden abgewiesen: Der Angriffsbefehl ist längst ausgewiesen.“ Zitat Ende. An diesen letzten Satz kann ich mich schwach erinnern ihn auch unter dem Bild mit Beck gelesen zu haben. Ich habe diesen Quellenhinweis an die Redaktion des Blättchens übermittelt.
Abschließend möchte ich zum Thema 2. WK noch einmal auf Falins Werk „Zweite Front“ hinweisen. Er beschäftigt sich auf Basis einer Vielzahl von Quellen u. a. mit der Vorgeschichte des 2. WK. Als ich es seinerzeit geschenkt bekam lies ich es erst links liegen. Ich dachte ich wüßte schon alles zum Thema 2. WK. Aber weit gefehlt. Falin schlägt einen weiten geopolitischen Bogen und schaut genau auf die Akteure und ihre Motive.
Die Ereignisse im Vorfeld des 2. Weltkrieges (München 29./30.9.1938 bis zum Kriegsbeginn 1.9.39) werden u.a. relativ detailliert dargestellt in: „Geschichte der Diplomatie, Bd. 3, Teil 2, SWA-Verlag, Berlin 1948, S. 298-365.
Dort findet sich zu Beck auf S. 363 ein Hinweis für den 31.Aug./1. Sept. 1939:
„Wie sich später herausstellte, verband Beck seine Weisungen an Lipski mit der Warnung, der Botschafter solle von Rippentrop keine Vorschläge ultimativer Art annehmen. Gleichzeitig teilte Beck mit, er selbst habe nicht die Absicht, nach Berlin zu fahren. Er wünsche sich nicht Folterungen auszusetzen und das Los des tschechoslowakischen Präsidenten Hacha zu teilen.“
(Letzteres bezog sich auf die Nacht vom 14.-15.3.1939, als Hacha – im Zustand voller Erschöpfung und ärztlicher Behandlung, von Göring, Rippentrop und Hitler zur Unterschrift unter das Dokument zur Angliederung von Böhmen/Mähren an das deutsche Reich, bei Androhung einer unmittelbaren Bombardierung Prags, gedrängt wurde.)
Ich vermute es handelt sich um dieses Werk aus dem ich seinerzeit diese Information zu Becks vermeintlichem Besuch einen Tag vor Kriegsbeginn entnommen hatte.: „Der zweite Weltkrieg. Eine Chronik in Bildern, Bergschicker, Heinz, Verlag: Deutscher Militärverlag, Berlin, 1967, DDR.“ Ggf. hat jemand dieses Werk und kann das aufklären. In Falins Werk steht es so nicht. Er verweist aber schon auf der ersten seite (S. 9) des prologs auf eine Quelle zu J. Beck zum Thema Ausbruch des Krieges und auf S. 56 verweist er auf Quellen aus der zeit von 1938 wonach J. Beck bezüglich Österreich den deutschen Anspruch unterstützte und Polen auch mögliche Aktionen Deutschlands zur Besetzung Litauens berücksichtigen wollte. Dann auf S. 57 unten und auf S. 38 oben verweist Falin auf ein Ultimatum L. Becks an Prag und auf Gespräche mit Ribbentrop Anfang 1939 auf S. 62.
Auf S. 99 schreibt Falin dass in Tempelhof 2 Flugzeuge startbereit waren, eines für den Flug nach Moskau und eines Lockheed 12 A des brit. Geheimdienstes die Göring zu einem Geheimtreffen nach England bringen sollte. Falin ausführliche Betrachtungen der diplomatischen Aktivitäten aller Seiten bis zum Kriegsausbruch werfen jedenfalls ein anderes Licht auf die Vorgeschichte des Kriegsausbruchs. Der Erwiderung Herrn Opals kann indirekt entnommen werden dass bis zuletzt Vehandlungen über ein 2. „München“ möglich waren.
„Noch am letzten Tag vor dem Angriff am 01.09.39 erschien der polnische Außenminister Beck in Berlin (den niemand mehr empfing). “ Wo bei Falin wollen Sie das gelesen haben?
Zum Beitrag Erhard Cromes „Krieg als deutsche Fehlkalkulation“.
Dem Beitrag möchte ich folgendes hinzufügen: In Valentin Falins quellenbasierten Werk „Zweite Front-Die Interessenkonflikte der Anti-Hitler-Koalition“ wird (S. 99 und davor) dargestellt, dass ein 2. „München“ über Polen zwischen Berlin und London Mitte bis Ende August 1939 in greifbarer Nähe war. Insgesamt legt Falin mit diesem Werk eine umfangreiche Analyse der gesamten Vorgeschichte des II Weltkriegs vor (er hat dazu in den Archiven in den Hauptstädten geforscht). Noch am letzten Tag vor dem Angriff am 01.09.39 erschien der polnische Außenminister Beck in Berlin (den niemand mehr empfing). Falin arbeitete auch heraus, dass Hitler schon im Mai 1939 entschlossen war auch ohne sich mit Moskau zu verständigen Polen angreifen wollte weil er davon ausging, dass Moskau nicht mehr eingreifen könne aufgrund des Kurzen Kriegszeitraums.
Dazu wies Falin nach, dass Richard Sorge am 24.06.39 an Moskau das Angebot Tokios an Berlin vom 05.06.39 übermittelte, dass Japan der Berliner Naziregierung anbot die UdSSR gemeinsam zu zerschlagen. Danach begannen die Kämpfe am Chalchin-Gol (S. 78). Diese Informationen sind bei der jüngsten Diskussion über den Hitler-Stalin-Pakt nicht beachtet worden. Moskau wollte einen 2-Frontenkrieg gegen sich unbedingt vermeiden und hatte auch gute Gründe für diese Sorge. Falin legte auch dar dass Moskau offenbar im Sommer 1939 auch über ein mögliches 2. „München“ zwischen Berlin und London im Bilde war.
Falins Werk sollte unbedingt bei den Betrachtungen zum II-WK herangezogen werden.
Jan Opal:
Der „letzte Tag vor dem Angriff“ war der 31. August 1939, am 1. September 1939 sprachen bereits ab den frühen Morgenstunden die Waffen. Meines Wissens war Polens Außenminister weder am 31. August noch am 1. September in Berlin. Hitler und Ribbentrop hatten über die britische Regierung am 29. August 1939 Polen aufgefordert, am 30. August 1939 einen Regierungsbevollmächtigten nach Berlin zu schicken, um zu verhandeln. Der polnische Außenminister erfuhr davon erst am Abend des 30. August 1939, beauftragte den polnischen Botschafter in Berlin, J. Lipski, der deutschen Seite am 31. August 1939 die Bereitschaft Polens zu Gesprächen und direkten Verhandlungen zu überbringen. Um 15 Uhr fragte Weizsäcker aus dem Außenministerium nach, ob Lipski Bevollmächtigter für die Verhandlungen sei oder Botschafter, worauf dieser antwortete, er sei der Botschafter. Um 18.30 Uhr empfing Ribbentrop den polnischen Botschafter, fragte den wiederum, ob er eine Vollmacht für Verhandlungen habe, was dieser verneinte, denn er sei als Botschafter gekommen. Ribbentrop sagte daraufhin, man habe einen zu Verhandlungen befugten Vertreter Polens am 30. August erwartet, er werde es jetzt Hitler so übermitteln. Wenige Stunden später wurde der Zweite Weltkrieg vom Zaun gebrochen. Es wäre also interessant zu erfahren, welche von V. Falin angeführte Quelle den polnischen Außenminister Józef Beck am 1. September 1939 in Berlin ausgemacht haben will, der dort dann, wie behauptet, vergeblich auf deutsche Gesprächspartner gewartet haben soll.
An Herrn Opal:
Sie haben recht. In der Tat findet sich dafür kein konkreter Nachweis in dem Werk, da muß ich mich korrigieren mit der Bitte um Entschuldigung. Ich habe diese Information aus meiner Erinnerung verwechselt mit einem früheren Werk zum II WK, einem Bildband zum II WK des DDR-Militärverlags (den Bildband habe ich aber nicht, den hatte ich nur zu DDR-Zeiten einmal geliehen, dort gab es sogar ein Bild mit Beck dass ihn in Berlin zeigen soll). Mir scheint ihre Recherche dazu allerdings zutreffender zu sein.
Allerdings weißt Falin mit Quellen nach (S. 56-57) dass J. Beck 1938/39 im Austausch mit deutschen Regierungsvertretern stand um ggf. antisowjetische Abmachungen treffen zu können und Polen war auch unterstützend bei der Zerschlagung der CSR dabei (lt. Falins Angaben im Buch).
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Schröder
„Das Teufelszeug muss weg!“ von Sarcasticus
Es widerstrebt mir, auf anonyme Beiträge – und Pseudonyme machen anonym – zu reagieren; warum sagt man nicht unter seinem Namen seine Meinung? Meine Inkonsequenz liegt darin begründet, dass sich hinter den von Fachleuten zu diskutierenden wehrtechnischen und bündnispolitischen Details des Beitrages ein viel grundlegenderes Problem verbirgt: Deutschlands Haltung zu sich selbst.
Ich will an eine Abstimmung in der UNO in Sachen Libyen erinnern; Deutschland enthielt sich damals bekanntlich: Während des dortigen Bürgerkriegs schlug die Arabische Liga der UNO die Einrichtung einer Flugverbotszone vor, um Gaddafis Luftwaffe auszuschalten. Zu lesen war damals in der hiesigen Presse: „Die Bundesregierung, Außenminister Guido Westerwelle voran, verweigert dem westlichen Bündnis die Solidarität. Politisch ist das eine heikle Entscheidung. Aber sie ist mutig. Und vor allem völlig richtig. […] Es ist beruhigend, dass Westerwelle Deutschland auf einen Sonderweg führt.“ Dass dann der westliche Einsatz über das Mandat hinaus ausgedehnt wurde, ist hier nicht von Belang; aber schon, dass Deutschland sich mit hundert Soldaten doch an dem Krieg beteiligte. Vor allem aber wurde klar: Deutsche politische und intellektuelle Eliten gefielen sich offenbar wieder darin, „Sonderwege“ zu gehen.
„Das Teufelszeug muss weg“ – wohin? Deutschland müsste konsequenterweise fordern, ganz Europa atomwaffenfrei zu machen, denn das Teufelszeug würde wohl nicht nach Übersee verschifft, sondern über Europa verteilt werden; wahrscheinlich nach Polen, in osteuropäische Staaten. Dabei ist das Land in der Mitte Europas umgeben von NATO-Mitgliedern, die sich auf eine gemeinsame Verteidigung verständigt haben. Und – auch aus der NATO, was nicht Wenige fordern, müsste die Bundesrepublik dann eigentlich ausscheiden.
Unsere Nachbarn erinnerten sich – deutsche Sonderwege waren für sie in der Regel gefährlich. Nicht dass Deutschland sie wieder überfiele; nein, das nicht, aber ihnen würde klar, dass das heutige Deutschland in Teilen von guten Vorsätzen abginge, die es aus der letzten Katastrophe gezogen hat: Nie wieder Krieg! Und: Nie wieder allein, isoliert! Deshalb war es auch im deutschen Interesse, dass beide deutsche Staaten in die entsprechenden Bündnissysteme NATO und Warschauer Vertrag integriert waren. Mit der Vereinigung 1990 begannen sich im nun souveränen Deutschland peu a peu wieder politische Kräfte zu regen, die das Vertrauen in Berechenbarkeit und Verlässlichkeit deutscher Politik gegenüber unseren Nachbarn unterminieren, die die Einbindung in die (europäische) Völkergemeinschaft infrage stellen und der „Versuchung“ nationalistisch-selbstbezogenen Handelns gerne nachgäben. Schon ein Ausscheren aus bestimmten NATO-Verpflichtungen gäbe diesen Kräften Auftrieb und relativierte die politische Rolle Deutschlands erheblich. Der perfekte Sonderweg, wieder einmal! Deutschland ist nicht nur der geografischen Lage nach eben nicht Griechenland, Kanada oder die Türkei.
Warum kommt es immer wieder zu solchen Phantasien? Offenbar ist unser Selbstempfinden – die historischen Begründungen führten hier zu weit – in seiner Wurzel geschädigt, macht uns unsicher, schwankend. Ein daraus folgender Minderwertigkeitskomplex, das ist bei Völkern nicht anders als bei Menschen, geht einher mit Heuchelei und Arroganz. Natürlich sind wir nicht friedliebender (siehe Libyeneinsatz), moralisch nicht besser als andere, wir aber meinen, wir seien es! Und wollen dem auch Ausdruck geben.
Alles in allem: Deutschland kann nicht immer wieder Sonderwege gehen – entweder überzieht es die Welt mit Krieg und Verwüstung oder aber es generiert sich als letztendliches moralisches, friedfertiges Gewissen der Welt. Es muss endlich Schluss sein mit dem fatalen Diktum: „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ – im Guten wie im Schlechten, wobei die historische Abfolge eher nahe legt, im Schlechten wie im vermeintlich Guten. Und sei im Bezug auf Atomwaffen.
Sie, werter Herr Wohanka, haben ihren Ischinger („Wollen wir, dass Polen […] statt Deutschland Nuklearwaffen stationiert […] ?“) ja wirklich gründlich gelesen.
Aber Scherz beiseite.
Ende des Kalten Krieges lagerten etwa 7000 US-Nuklearsprengköpfe in Westdeutschland. Die wurden nach 1990 zu fast 100 % abgezogen, ohne dass die Deutschen über das „ob“ konsultiert oder auch nur über das „wann“ und „wie“ einigermaßen detailliert informiert worden wären. Welche Auffassung hatten Sie denn dazu. Oder zu der Frage, wieso ein kärglicher Rest von geschätzt 20 Atombomben in Deutschland verblieb – in einer Zeit, in der das Feindbild Russland ganz offiziell suspendiert war. Hatte das womöglich primär mit US-Kontrollambitionen gegenüber dem westeuropäischen NATO-Fußvolk zu tun?
Wohin die Waffen denn sollten, fragen Sie mit Blick auf Polen und zaubern dann gleich noch den ganz großen Popanz aus dem Hut: ohne die US-Kernwaffen müsste die „Bundesrepublik dann eigentlich (aus der NATO) ausscheiden“. Auf diesen Zusammenhang ist meines Wissens bisher noch niemand gekommen …
Doch im Ernst: Wie wäre es denn mit folgendem Ansatz? Die NATO hat schon wiederholt erklärt, das russische Übergewicht bei taktischen Kernwaffen zum Gegenstand von Verhandlungen und Abrüstung machen zu wollen. Moskau hat das bisher nicht abgelehnt, aber an die Voraussetzung geknüpft, dass die USA ihre taktischen Systeme zunächst einmal dahin zurückführen, wohin Russland dies bereits vor 30 Jahren getan hat – auf nationales Territorium. Also ab mit den Dingern aus Büchel über den großen Teich und dann die Russen beim Wort genommen. Sicherheitspolitisches Porzellan kann dabei kaum zerschlagen werden, haben doch die USA gerade in einer Nacht-und-Nebel-Aktion (Otfried Nassauer berichtete – https://das-blaettchen.de/2020/04/die-nukleare-teilhabe-in-der-nato-wird-europa-ausgetrickst-52380.html) vorgeführt, dass man die Bunker in Büchel binnen 48 Stunden komplett beräumen und wieder befüllen kann. Wenn die Russen also mit gezinkten Karten spielten …
Das wäre doch ein ganz praktischer Ansatz anstelle des Geschwurbels über „das Vertrauen in Berechenbarkeit und Verlässlichkeit deutscher Politik“ und des erhobenen Zeigefingers („Deutschland kann nicht immer wieder Sonderwege gehen“).
Liebe Frau Haustein,
wenn ich in Ihrem Verständnis nur „Geschwurbel über ´das Vertrauen in Berechenbarkeit und Verlässlichkeit deutscher Politik´“ von mir gebe – sei´s drum. Ich jedenfalls fühle mit der Warnung, die Verlässlichkeit in die deutsche Politik nicht aufs Spiel zu setzen, gut aufgehoben. Studien besagen: In einer immer turbulenteren Welt ist Deutschland mit seinen stabilen Strukturen, seiner wirtschaftlichen Stärke und einem hohen Werteverständnis gefragter denn je (als hier lebender weiß ich das entsprechend zu relativieren). Als Fürsprecher Europas (auch das sehe ich seit Merkels Zeiten etwas zurückhaltender) und Schlichter in internationalen Konflikten soll es entschlossener (sic!) handeln und eine Führungsrolle einnehmen – und dabei nicht a l l e i n e (meine Hervorhebung) oder in aggressiver Weise agieren. Diese Erwartungshaltung ist nicht neu: Bereits 2012 hieß es in einer Studie: „Zieht die größeren Schuhe an, sie werden Euch passen!“ Deutschland wurde damals schon aufgefordert, eine aktivere Rolle in der Welt spielen und damit seiner Wirtschaftskraft und seinem politischen Ansehen zu entsprechen. Dieser Befund überraschte seinerzeit, hatte es doch noch bei der Wiedervereinigung massive Vorbehalte und Bedenken gegen ein größeres Deutschland in der Mitte Europas gegeben. Würden die Deutschen wieder über die Stränge schlagen? Solche Ängste und Befürchtungen wurden damals durch politisch-praktische Zurückhaltung zerstreut. Heute ist die Welt eine vollkommen andere, Deutschland gefragter denn je. Und zwar – wie gesagt – in einer seiner Bedeutung angemessenen Führungsrolle. Da gibt also durchaus etwas zu verspielen; und „Sonderwege“ passen eher schlecht…
… und genau darum geht es mir; doch nicht darum, „ob man die Bunker in Büchel binnen 48 Stunden komplett beräumen und wieder befüllen kann.“ Auch nicht darum, ob „Russen“ oder wer auch immer „mit gezinkten Karten spielt“, sondern darum, dass unser Land eine an politischer Vernunft orientierte Politik in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn betreibt. Das ist bekanntlich kompliziert genug; und unser Land bleibt da noch um Einiges unter seinen Möglichkeiten. Da kommt es sowohl im Westen als auch im Osten schlecht an, wenn man um den „kärglichen Rest von geschätzt 20 Atombomben in Deutschland“ Alleingänge unternimmt. Was bringt das auch? Wie Sie schreiben, habe die NATO schon wiederholt erklärt, das russische Übergewicht bei taktischen Kernwaffen zum Gegenstand von Verhandlungen und Abrüstung machen zu wollen. Dass sich Deutschland als NATO-Mitglied massiv einbringen sollte, passte exakt in das Bild von der „Führungsrolle“. Überhaupt sind internationale Gremien der ideale Raum für das Agieren deutscher Politik; namentlich für gemeinsame (atomare) Abrüstung – mit seiner mahnenden Geschichte im Rücken. Aber eben keine einseitigen Aktionen, die oft von besserwisserischer, moralischer Überheblichkeit zeugen und zu Hohn und Spott führen: „No strategies please – we´re German“ oder „No shooting, we´re German“ oder auch die These, dass die Deutschen „militante Pazifisten“ seien.
Freundliche Grüße
Stephan Wohanka
Lieber Kollege Wohanka,
eine Bemerkung vorweg: Als langjähriger Leser, Autor und Forum-Beiträger dürften Sie (wie mach anderer auch) den Autor hinter dem Pseudonym Sarcasticus sicher kennen. Falls doch nicht: Von „anonym“ kann dennoch keine Rede sein, denn seriöse Publikationen veröffentlichen nie anonyme Beiträge, die Redaktion kennt die Autoren.
Nun aber zur Sache: Sie schreiben u.a.: „Dabei ist das Land in der Mitte Europas umgeben von NATO-Mitgliedern, die sich auf eine gemeinsame Verteidigung verständigt haben.“ Diese „Verständigung“ ist doch eine Schimäre, dir Militärpolitik der Nato unterliegt nahezu vollständig einem US-Diktat. Darüber hinaus solltes Sie bitte nicht stets vergessen, dass es (auch schon seit 60 Jahren) eine „Europäische Verteidigungsgemeinschaft“ EVG gibt, die ohne die USA und vor allem gegen deren Hegemonialstreben in (West)-Europa gegründet wurde. Auf eben diese stützte sich die damalige spezielle Art der Suspendierung (ein Austritt im Sinn des Wortes war es ja nicht) Frankreichs 1967, in dessen Folge sämliche Truppen und Waffen der USA Frankreich binnen kürzester Zeit – gegen den massiven Widerstand aus Washington und Bonn – verlassen mussten. (Frankreich kehrte erst unter dem Präsidenten Sarkozy zurück.) Und? War die Verteidigungsfähigkeit Westeuropas um nur einen Deut verringert? War die „politische“ Macht der Nato auch nur irgendwie beschädigt?
Als 1990 und den ersten Jahren danach das Ende des so genannten Kalten Kriegs verkündet wurde, hieß es: Die Nato wird sich binnen kürzester Zeit zu einem vorrangig politischen Bündnis wandeln. Mir scheint, Sie glauben diese Lügen heute noch. Die Vorstellung, die „Sicherheit Europas“ (welches Europas?) werde allein durch die von den USA diktierte Nato gewährleistet, spielt ganz genau deren Hegemonialstreben in die Hände. Gestützt werden derartige Begründungen vor allem aus „der „Wirtschaft“, denn es ist ja bekannt und wurde – Sie erinnern sich? – mehrfach praktiziert, dass die USA ein Sich-Sperren gegen ihre Militärdoktrin mit massiven wirtschaftlichen „Sanktionen“ bestraft. Das ist keine Trump-Frage, das taten auch Obama und seine Vorgänger im Amt, am wenigsten noch Bill Clinton.
In der heutigen Zeit wäre es angesichts der seit etwa 20 Jahren stetig steigenden Polarisierung der Welt zwischen den USA und China nötig, die o.g. EVG neu zu beleben (dies wird auch in anderen Nato-Ländern Westeuropas gefordert) und sich einmal auf den KSZE-Prozess von Mitte der 1970-er Jahre zu besinnen. Der hatte die Konfrontation mit der Sowjetunion über eineinhalb Jahrzehnte zumindest spürbar gemildert. Heute hieße die Aufgabe für Deutschland, von dem Sie offensichtlich sklavische, wenn nicht gar Nibelungen-Treue zum Diktat der USA fordern, selbst als Garant für den Frieden in Europa einzustehen. Das sicherste Mittel dazu ist ganz einfach: Es muss eine neue „Achse Paris-Berlin-Moskau“ geschmiedet werden. Und falls es doch zu (wie stets vorüber gehenden) Zerwürfnissen kommen sollte: Wir können uns auch auf die „Frappe de Force“ verlassen. Ohne „Ami-Knecht“ zu sein.
Lieber Kollege Nachtmann,
ich nehme die Anrede „Kollege“ gern auf… ich gestehe, dass ich trotz langjähriger Tätigkeit im Dunstkreis des Blättchen nicht weiß, wer hinter dem Pseudonym Sarcasticus steckt.
Nun auch zur Sache: Um nochmals auf meinen kritischen Punkt zu kommen – ich denke, es ist falsch, ja schädlich für dieses Land, wenn es auf dem Hintergrund seiner mahnenden Geschichte „Sonderwege“ in der Politik geht – und nicht wenige finden das offenbar gut und richtig. Das betrifft auch und namentlich die breit verstandene Außen-, Sicherheits- oder Verteidigungspolitik, um die es sich in diesem Disput dreht. Ich denke, es ist besser und richtiger – ich will nun keine Debatte initiieren, ob „richtig“ steigerbar ist; es gibt Stimmen, die das meinen -, wenn sich Deutschland an jeder Initiative beteiligte, die die Hegemonie der USA in der NATO zurückdrängte oder relativierte, die die Anstrengungen stärkte, eine europäische Sicherheitsstruktur aufzubauen oder zu stärken, die die atomare Abrüstung auf dem europäischen Kontinent oder besser noch – weltweit vorantriebe, aber eben nicht im Alleingang, sondern immer nur im Verbund mit anderen Staaten. Ich denke, dass Deutschland dabei schon einiges Positive geleistet hat wie das von den UN-Vetomächten, Deutschland und dem Iran beschlossene Atomabkommen, das Minsker Abkommen zur Ostukraine, letztlich die Libyen-Konferenz oder auch geglückte Vermittlungsaktionen im Nahen Osten.
Wenn führende SPD-Politiker jetzt einseitig das Ende an der so genannten Nuklearen Teilhabe fordern und die Stationierung dieser Atombomben hierzulande beenden wollen, halte ich das für falsch; es wieder ein Alleingang, ein „Sonderweg“. Auch andere Staaten hätten untersagt, auf ihrem Territorium US-Atomwaffen zu lagern, ohne dabei die NATO infrage zu stellen. Wie ich schon schrieb, zieht dieses Argument nicht. „Wir sollten als Deutsche selbstbewusst fordern, die Nuklearstrategie der Nato auch dann mit zu prägen, wenn keine Nuklearwaffen mehr auf unserem Gebiet lagern.“ Da kommt es durch – „wir als Deutsche“ zeigen es denen mal; dieses Besserwisserische, vermeintlich Überlegene….. Da verkommt die Behauptung „Viel stärker als andere Parteien orientieren wir uns nicht nur am eigenen, nationalen Interesse, sondern beachten auch die Interessen anderer Länder, weil wir wissen, dass wir nur gemeinsam stark sein können“ zur puren Phrase.
Beste Grüße
Stephan Wohanka
Mir bereiten diese akademischen Atomwaffen-Monopoly-Debatten ein hochgradiges Unbehagen. Es ist mir vollkommen egal, wer hier meint, wie mit welchen Strategiechen an welchem Spieltisch auch immer mitmischen zu können oder zu müssen. Das Zeug muss weg, die Hemmschwelle der Strategen scheint sich wieder einmal abzuflachen. Jedes Land, das diese Werkzeuge des Teufels von seinem Boden entfernt, ist nur zu beglückwünschen. Natürlich sind das „Sonderwege“. Jeder Anfang ist ein „Sonderweg“. Zu erwarten, dass es mit der Atomwaffenlobby irgendeinen Konsens geben könnte, ist absolut lächerlich. Weg mit dem Zeug, das ist das einzige, was zählt. Wenn das – damit haben Sie ja recht, Herr Wohanka – nicht ganz einflusslose Deutschland da endlich eine Vorreiterrolle übernimmt, würde das durchaus auf andere ausstrahlen.
Ich wäre ziemlich entsetzt, wenn ausgerechnet im „Blättchen“ für den Verbleib von Kernwaffen – es ist mir egal, welches Etikett auf ihnen klebt – im Lande argumentiert werden würde. Das hat nichts mit „Verläßlichkeit deutscher Politik“ – was ist denn das für eine Phrase! – zu tun, das wäre ein Beklatschen der Fortsetzung der jahrzehntelang gepflegten Hasard-Spielchen mit dem Schicksal der Menschheit. Herr Wohanka, Sie sitzen aber auf so etwas von einem falschen Pferd …
In diesem unserem Lande wird die Bundesliga wieder angepfiffen – mit Geisterspielen, aber Einnahmen aus Fernsehmitteln. In der Schweiz forderte der dortige Fußballverband vom Bund 200-250 Millionen Franken, um Corona zu überleben; er brauche staatliche Bürgschaften und Kurzarbeitergeld. Wenn nichts passiert, so der Verbandspräsident Heinrich Schifferle, dann werde der Profifußball „bald anders aussehen“. Die Neue Zürcher Zeitung kommentierte ironisch: angesichts von der Realität völlig abgehobener Spielergehälter wäre das vielleicht gar nicht so schlecht.
In Deutschland will man die erhalten. Ein schönes Plakat von Klaus Staeck aus dem Jahre 1997 präsentierte die Losung: „Ein Volk, das solche Boxer, Fußballer, Tennisspieler und Rennfahrer hat, kann auf seine Universitäten ruhig verzichten“. Das gilt nun auch für Kinderkrippen.
Ob dafür noch die altvordern Seelenkrüppel verantwortlich sind oder neu gewachsene, vermag ich nicht zu sagen. Eher ist es nicht eine Seelen- sondern eine Geldfrage.
na, so geht eben kapitalismus. das haben wir doch schon in der schule gelernt.
Schwierig, schwierig. Meine Kritik an Jörn Schütrumpfs „Seelenkrüppel“-Artikel vom 27.4. führte nicht zur Diskussion über diesen Artikel, sondern über die Berechtigung und Form meiner Kritik – zwei strenge Rügen durch Wolfgang Brauer eingeschlossen.
Und nun? Ist die Frage, ob es „den deutschen Nachkriegsmenschen“ (Schütrumpf) gab – und noch gibt? Jörn Schütrumpf nennt ja nicht nur keinen sozialen Ort, sondern auch keine Zeit – immer noch nicht beantwortet. Dabei kann diese Antwort doch nur „Nein“ lauten. Es gibt ihn so wenig wie „den sowjetischen“ oder „den US-amerikanischen“ oder „den österreichischen Nachkriegsmenschen“ – egal, mit welchem Term er je näher bezeichnet werden sollte. Ich war wohl nicht genau genug in meiner Kritik. Nun also ein Versuch des Bessermachens: Ja, es gab nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit unendlich viele durch das Erlebte zu Seelenkrüppeln gemachte und gewordene Menschen. Und es ist notwendig und wichtig und verdienstvoll, nicht darin abzulassen, über Ausmaß und Fortexistieren dieser Verkrüppelungen zu forschen und zu schreiben und sich auszutauschen. Darin bin ich mir mit Jörn Schütrumpf völlig einig. Zumal selbstverständlich die Debatte über die Verkrüppelungen in Deutschland – dem Land des Nazi-Faschismus, das den Weltkrieg begonnen, fast ganz Europa brutal unterworfen und den Holocaust verbrochen hat – von ganz besonderem Gewicht sein muss. – Aber die Verkrüppelungen – ich bleibe dabei – haben einen je genauen sozialen Ort. Es gab – und gibt – ein Oben und ein Unten, ein Besitzen und Nichtbesitzen, ein Herrschen und Beherrschtsein, und entsprechend unterschiedlich sind die Verkrüppelungen. Oder will ernsthaft jemand behaupten, es machen keinen Unterschied, ob man ein KZ kommandierte oder in ihm eingesperrt war? Und so wehre ich mich also gegen die Vereinfachung der Konstruktion „des deutschen Nachkriegsmenschen“. Mit ihr werden die Unterschiede verschleiert, verkleinert, unwesentlich gemacht. – (Übrigens nennt Jörn Schütrumpf in seiner auf die „Seelenkrüppel“-These hinzielenden Kritik an den Nachkriegszuständen an einer Stelle dann doch einen einzigen konkreten sozialen Ort: die „links-nationalistische Mottenkiste“. Das ist eine interessante Auswahl.)
Zu meiner Frage nach einem eventuellen Widerhaken beim Überbordwerfen marxistischen Denkens habe ich von Stefan Wohanka erneut erfahren, dass „der Marxismus als System“ eben nun einmal gescheitert ist. Was nützt es mir da, dass ich Sartre zitiere. Und beim Marxismus nicht von einem System rede, sondern von einer Methode der Gesellschaftsanalyse. Und bei meiner eigenen Praxis des Verdichtens auf im Internet leicht zugängliche Quellen verweise. – In einem anderen Beitrag vermutet Lars Niemann, dass es mir gar nicht um den Schütrumpf-Text gehe, sondern dass mich „ein vordergründig psychologischer Blick auf die Geschichte“ störe, „obwohl ein solcher durchaus mehr bringen könnte als die gebetsmühlenartige Wiederholung bekannter Einschätzungen“. Was soll man zu Vermutungen sagen? Sie vermuten falsch, Herr Niemann. (Und nun könnte ich auf 1000 Seiten Befassung mit konkreten deutschen Nachkriegsmenschen und ihren seelischen Verkrüppelungen in meiner Roman-Trilogie „Hartenstein“ verweisen – aber wollen Sie das denn wissen? Haben wir denn solches Interesse aneinander?) – Lars Niemann verwies auf Günter Tembrock und den Menschen als biopsychosoziale Einheit. So ende ich also mit Tembrocks Hinweis auf „die ‚kulturelle Fitness‘ als Fähigkeit, sich Kultur über Tradition anzueignen und weiter zu fördern, sowie die ‚gesellschaftliche Fitness‘ als Fähigkeit zur Integration in die Gesellschaft unter Ausbildung eines ‚gesellschaftlichen Bewusstseins‘.“ (G. Tembrock, Parameter der organismischen Individualität im Vorfeld der Evolution der Persönlichkeit, in: Vom Gen zum Verhalten. Der Mensch als biopsychosoziale Einheit, Berlin [DDR] 1988, S. 107-117, hier: S. 116). Nicht „bio“ weg, nicht „psycho“ – und eben auch nicht: „sozial“.
Der neueste Stand zu Corona?
Die Zahl der aktiv Corona-Infizierten sinkt weiter und hat die Schwelle von 30.000 deutlich unterschritten. Für die zweite Welle, von der zwischenzeitlich die Rede war, gibt es bislang keinen Beleg.
Die Reproduktionsrate, also jene Zahl, die angibt, wie viele Menschen ein Infizierter ansteckt, liegt mittlerweile bei 0,78. Damit ist die Epidemie rückläufig.
Die Intensivbetten in den Krankenhäusern sind weitgehend leer. Die Kliniken klagen über Unterbeschäftigung.
Führende Virologen haben dem Team der Kanzlerin eine Alternative zum allgemeinen Shutdown nahegebracht, der zufolge man neue lokale und regionale Corona-Hotspots des Virus wie Heinsberg abschirmen kann, ohne die gesamte Volkswirtschaft abzuwürgen.
Soweit heutige Medienberichte.
Da bleibt zu hoffen, dass die Kanzlerin nun endlich Licht ans Fahrrad macht oder – sollte sie so zögerlich bleiben wie bisher – dass die Bundesländer, soweit der Föderalismus das zulässt, die Dinge in die eigenen Hände nehmen …
Sehr geehrter Herr Kannapin,
1. Baentsch war ein respektabler Journalist durchaus bürgerlicher Verortung. Das sind aber viele. Zum Zeitpunkt seines Eintretens in den Ruhestand (er ist Jahrgag 1939) war er Vize-Chef der WELT. Das Blatt kann man als Linker mit guter Berechtigung nicht mögen. Nazistisch ist es nicht. Zum Zeitpunkt der Vorlage seines Buches (2006) war noch nicht vorhersehbar, dass er in Richtung AfD abgleiten wird. Das wurde erst 2014 offenbar.
2. Ähnliches trifft auf COMPACT des Jahrganges 2012 zu. Ich zitiere einen Aufsatz vom Beginn des Jahre 2012. COMPACT war seinerzeit noch nicht das, was es heute ist. Die zunehmend völkische Ausrichtung führte erst 2014 zu einem Bruch in der Redaktion und zum Ausstieg des Gesellschafters Andreas Rieger. Es ist keine Werbung für ein inzwischen mehr als AfD-nahes Blatt, wenn ein Text aus dessen Anfangsjahren zitiert wird. Es gibt auch keinen Grund, die Zeitung neues deutschland heute weder zu lesen noch zu zitieren, nur weil Jürgen Elsässer von 2008 bis 2009 für dieses Blatt gearbeit hat.
3. Spekulationen hinsichtlich möglicher Hintermänner des Geschehens verbieten sich für ein seriöses Blatt. COMPACT und andere würden das sicherlich machen. Denkbar wären verschiedene „Interessenten“. In der Boulevard-Presse ist das seinerzeit breit ausgewälzt worden. Bewiesen wurde nichts. Hier wären die Ermittlungsergebnisse abzuwarten – wenn denn die Ermittlungen wieder aufgenommen würden. Rechtlich ist das jederzeit möglich. Mord verjährt nicht.
All diese Dinge mit dem Vorwurf mangelnden Klassenkampf-Bewusstseins zu verbinden, ist ein einigermaßen lächerlicher Vorgang. Im leider fast vergessenen chinesischen Spielfilm „Die Stadt Hibiskus“ (1986) – der Film startete am 13. Januar 1989 in den Kinos der DDR, ein dreiviertel Jahr vor der Ausstrahlung durch die ARD – wird eine Losung aus der schlimmen Zeit der Kulturrevolution zitiert: „Nie den Klassenkampf vergessen!“ Ihre Vorwürfe, Herr Kannapin, erinnern mich an diesen Film.
Heinrich Honestus
Liebe Leserinnen und Leser, auch ich muss mich entschuldigen, dass ich usw. Und ich muss jetzt sogar etwas weiter ausholen: Sie kennen sicherlich das Märchen von der Schneekönigin. Das ganze Unglück beginnt damit, Sie werden sich erinnern, dass der Teufel einen Spiegel erfindet, der alles Schöne aufs Grässlichste verzerrt. Der Spiegel zerbirst, größere Scherben gelangen hier und da in Brillen … Neulich habe ich dieses Märchen in der sehr schön von Ruth Koser-Michaels illustrierten Ausgabe noch einmal gelesen und mir gedacht: Was der Teufel kann, das kann ich auch. Jedenfalls etwas in der Art. Und ich habe eine Brille erfunden, die die wunderbare, in Diskussionen höchst nützliche Eigenschaft hat, dass ich, wenn ich sie zum Lesen aufsetze, nicht etwa lese, was im Text steht, sondern was mir in den Kram passt. Und dann habe ich diese Brille, das Ergebnis unendlicher Mühen, auf dem Weg zum Patentamt irgendwo liegengelassen. Aber welch ein Glück, Herr Kannapin hat diese Brille gefunden. Anders kann ich mir nämlich nicht erklären, wie er dazu kommt, meinen Satz, dass Marx seinen Klassenbegriff nicht als Universalschlüssel zum Verständnis der Weltgeschichte konzipiert hat, dahingehend umzugestalten, dass des Bärchens Wunderhorn, womit ich gemeint bin (ich hatte den Beitrag mit den Worten: „Nanu, nanu, Bärchen wundert sich“ begonnen), dass dieses Wunderhorn also schon lange den Klassenkampf vergessen habe, der seit 2000 Jahren tobt usw. Herr Kannapin, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Brille zurückgeben würden. Vielleicht beim nächsten Blättchen-Treff?
Ich muss mich zunächst dafür entschuldigen, dass ich nun nochmals hier auftrete. Ich denke, dass Wolfram Adolphi zum Text „Seelenkrüppel“ ausreichend das Richtige gesagt hat. Des Bärchens Wunderhorn hat ja leider schon lange den Klassenkampf vergessen, der seit über 2000 Jahren tobt und bisher immer von den herrschenden Klassen initiiert und gewonnen wurde. Das sollte aber die Verfechter des Kampfes um die menschliche Gesellschaft nicht davon abhalten, eben genau diesen Klassenkampf zu analysieren und praktische Vorschläge zu dessen Aufhebung zu machen. Politische Mittel sind, wie Dietmar Dath einmal meinte, längst gefunden, sie aufzugeben kann kein Fortschritt sein. Die Friedensangebote an die Kapitalisten sind bislang immer mit Übernahmen beantwortet worden – so sollte man weiterhin sehr misstrauisch sein, klassenmäßig eben.
Es ist darüber hinaus sehr irritierend, dass im letzten „Blättchen“ außerdem ein Text zu Uwe Barschel erschienen ist, der sich auf Quellen stützt, die u.a. im neurechten Magazin „Compact“ ausgebreitet und nunmehr hier positiv rezipiert worden sind. Auch stimmt bedenklich, dass der Text selbst die wichtigste Fragestellung (nämlich: wem nutzte zum damaligen Zeitpunkt der Tod Barschels zu welchem Zweck?) gar nicht erst stellt. Solche Türöffner sind gefährlich, denn jede unreflektierte Wahrnehmung rechter Publikationsorgane schafft diesen eine Tribüne. Man sieht: auch hier Klassenkampf, wie überall. Er hat ja nie aufgehört, also sollte man auch nicht so tun.
Mal weg von den großen Themen…
Als Zeitungsleser war mir die Auseinandersetzung um Staatlichen Ballettschule Berlin und Schule für Artistik in groben Zügen geläufig. Deshalb las ich auch die Meldung in der Rubrik „Antworten“ der aktuellen Blättchen-Ausgabe zum Thema. Und nahm zur Kenntnis, dass – wie dort zu lesen ist – eine Autorin der Berliner Zeitung meint, die Ballettschuldirektoren Rolf Stabel und Gregor Seyffert würden aufgrund einer üblen Intrige aus Ihren Ämtern getrieben und eine international hoch geachtete Einrichtung über die Demontage verdienstvoller Persönlichkeiten auf den Status des üblichen Mittelmaßes zurechtgestutzt werden solle. So weit so gut.
Im heutigen Tagesspiegel finde ich jedoch unter Titel und Untertitel Folgendes zum Thema: „Experten bestätigen Vorwürfe gegen Staatliche Ballettschule / Der Zwischenbericht zu den Vorwürfen gegen die Berliner Ballettschule liegt vor – und zeigt auf, wer den hohen Preis für die Reputation der Schule in der Tanzwelt zahlt.“
Um nur eine Passage des Tagesspiegel-Textes zu dokumentieren: „Dass es eine ´Kultur der Angst´ gebe oder zumindest gegeben habe, wird von der Kommission nicht bestritten, vielmehr sei diese Kultur sogar ´prägend´ an der Schule. Die Experten stellen die Frage nach den Ursachen und kommen zu dem Schluss, dass sich diese Angst nahezu zwangsläufig aus den Bedingungen der Schule ergebe, nämlich aus dem Nebeneinander von Drill und Auslese und der damit verbundenen Konkurrenz unter den Schülern und der latenten Gefahr des Rauswurfs, der sogenannten Abschulung. In diesem Zusammenhang weist die Expertenkommission auf den problematischen Umgang mit Schülern durch ´herabwürdigende, beleidigende und übergriffige´ Äußerungen hin: ´Diese Äußerungen verursachen Angst, zumal wenn sich die Betroffenen kaum wehren können´, stellen die Experten fest. In der Schule gebe es kein hinreichendes Bewusstsein für die Bedeutung von Kritik und Beschwerden, was auch in dem Fehlen eines funktionierenden Beschwerdemanagements deutlich werde.“
Das Frappierende ist, wie zwei Medien respektive ihre Autorinnen zu so diametral unterschiedliche Auffassungen in der gleichen Sache kommen können. Oder wird da (auch) ein Ost-West-Konflikt gespielt?
https://www.tagesspiegel.de/berlin/kindeswohlgefaehrdung-wurde-beguenstigt-experten-bestaetigen-vorwuerfe-gegen-staatliche-ballettschule/25794074.html
Lieber Herr Wohanka,
das ist überhaupt nicht frappierend, sondern ein normaler Vorgang. Es kommt immer darauf an, wer beim Recherchieren mit wem spricht. Ich kenne Birgit Walter („Berliner Zeitung“) seit vielen Jahren als sehr solide arbeitende Journalistin, die sich – bevor sie eine Aussage zu Papier bringt – niemals mit nur einer Quelle und nur einer Meinung zufrieden gibt. Sonst hätte dieser kurze Text den „Filter“ des Redakteurs nicht passiert. Es geht um sehr schwerwiegende Vorwürfe.
Ich kenne und schätze auch Prof. Seyffert seit sehr langer Zeit, ebenso wie die Ballettschule Berlin. Der „Tagesspiegel“ wirft allerdings eine sehr grundsätzliche Frage auf, die nach „dem Nebeneinander von Drill und Auslese und der damit verbundenen Konkurrenz unter den Schülern und der latenten Gefahr des Rauswurfs, der sogenannten Abschulung“. Das Wort „Drill“ hätte ich nicht benutzt. Es ist stark pejorativer Natur. Drill hat viel mit Zwang zu tun, niemand ist gezwungen, sich diesem „Drill“ auszusetzen. Diese Schule ist kein Kasernenhof. Die Tatsachen eines harten Trainings, damit verbundener „Auslese“ – wenn es zum Beispiel um die Auftritte und auch die Soli oder die Pas des deux (das ist häufig noch krasser, da hier gerade bei Heranwachsenden noch Fragen außerhalb des Tanzes hinzukommen)geht -, die Konkurrenzen und natürlich auch die Möglichkeit der „Abschulung“ sind in allen leistungsorientierten Schulen, den sogenannten „Eliteschulen“ (in der DDR sagte man „Spezialschulen“) ein Problem. Wer das abschaffen will, muss diese Schulen abschaffen. Ich glaube, darum geht es auch letztendlich.
Es ist eine spannende Frage und durchaus ein großes Thema. Wir werden da wohl dranbleiben.
Herzlichst
Ihr
Wolfgang Brauer
Ich danke Ihnen, Herr Brauer, für Ihre prompte Stellungnahme…
Sie haben Recht; aus Sicht Betroffener gibt es nur „große“ Themen. Und da immer Menschen betroffen sind, ist die Unterscheidung zwischen groß und klein in diesem Zusammenhang eine letztlich müßige.
Herzlich
Stephan Wohanka
Bei der in den letzten Tagen im Forum so intensiv geführten „Schütrumpf-Adolphi“-Debatte frage ich mich, ob hier nicht in Wirklichkeit ein anderes Thema verhandelt wird als es vordergründig der Fall zu sein scheint. Sie ruft mir eine Erfahrung ins Gedächtnis, die natürlich als rein persönlich und anekdotisch keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann, es jedoch vielleicht verdient vorgebracht zu werden. Ich erinnere mich, mit welcher Ablehnung und Ignoranz in Schule und Studium in der DDR, in Sonderheit natürlich im Staatsbürgerkunde- und Geschichtsunterreicht oder in den damals obligatorischen ML-Seminaren im Grundstudium (verpflichtend, egal, welches Fach man eigentlich belegt hatte), vor allem die älteren und männlichen (das muss ich hier betonen) Lehrer und Dozenten alle Versuche von Schüler/innen oder Studierenden zurückwiesen, psychologische Aspekte in die Erklärung historischer oder aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen auch nur ansatzweise einzubringen. Aus heutiger Sicht ging es ihnen vermutlich um die Verteidigung des verinnerlichten Dogmas, wonach die Eigentums- und Produktionsverhältnisse und daraus resultierende Klassengegensätze zur Erklärung von allem und jedem hinreichend wären. Aber da musste es doch noch mehr und anderes geben… Ich habe es jedenfalls als ungemein befreiend empfunden, als es in den 1980er Jahren endlich Zugang zu manchen Schriften von Siegmund Freud gab, als endlich vom Menschen als „bio-psycho-sozialer Einheit“ die Rede war, wir in den Vorlesungen von Professor Tembrock oder auf Podiumsdiskussionen über die international gewonnen Kenntnisse der Verhaltensforschung informiert wurden.
Und nun wird einem Autor, der sich in seinem Text mit der Frage der psychischen Deformation von Menschen durch die NS-Diktatur, ihren Voraussetzungen und ihren Folgen für die deutsche Geschichte befasst und mit dessen Thesen man sich sozialpsychologisch auch durchaus kritisch auseinandersetzen könnte, de facto vorgeworfen, sein Thema historisch und politisch nicht richtig eingeordnet zu haben oder, um ein überlebtes Unwort zu zitieren, nicht vom richtigen Klassenstandpunkt aus zu betrachten. Meine Vermutung: was hier stört, ist ein vordergründig psychologischer Blick auf die Geschichte, obwohl ein solcher durchaus mehr bringen könnte als die gebetsmühlenartige Wiederholung bekannter Einschätzungen. Ich hätte an den Verfasser eher die Frage, wie er sich die „Fernwirkung“ auf die Nachgeborenen vorstellt, welches psychosoziale Erbe aus jener dunklen Zeit auf uns gekommen ist.
Nun ist die Missachtung der sozial- und individualpsychologischen Voraussetzungen und Auswirkungen historischer Ereignisse und gesellschaftlicher Entwicklungen kein Privileg der marxistischen Orthodoxie im untergegangenen Realsozialismus. (Die eher pluralistische Linke im Westen hatte da ja andere Zugänge, auch wohl eine andere Denktradition.) Ich habe zumindest den Eindruck, dass etwa bei dem aktuellen Themenkomplex, den ich mit „Migration – Flucht – Fremdenfeindlichkeit – Rassismus“ umschreiben möchte, psychologische und verhaltenswissenschaftliche, ja meinethalben sogar evolutionsbiologische, Erklärungen zu wenig herangezogen werden obwohl sie vermutlich wertvolle Aufschlüsse bringen könnten.
Nun muss ich doch noch einmal meinen guten Vorsätzen untreu werden. Als ich das Zitat las, dachte ich mir: Das stammt doch bestimmt aus einer recht frühen Arbeit. Und so ist es auch, es steht im Kommunistischen Manifest. Wenn ich mich recht entsinne, hat Engels aber in seinen späten Briefen eingeräumt, dass Marx und er manche Aspekte ihrer Geschichts- und Gesellschaftsauffassung zunächst (und zwar bewusst, wie ich vermute) überbetont haben, um den Abstand zu gängigen Vorstellungen zu verdeutlichen. Es war ihnen also, so würde ich das deuten, schon klar, dass sich nicht alles gesellschaftliche Geschehen mit Hilfe des Klassenbegriffs erschließen lässt (könnte allenfalls sein, dass sie das anfangs gehofft hatten – aber kaum eine Vorstellung tritt ja fix und fertig in die Welt).
Erhard Weinholz schrieb am 29.4.: „Ich dachte, es sei klar, daß Marx seinen Klassenbegriff nicht als Universalschlüssel zum Verständnis der Weltgeschichte konzipiert hat.“ – Wie passt das zu folgendem Marx-Zitat: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“
Ausführlicher wiedergegeben und kommentiert habe ich dieses Zitat in einem Buch, das bereits im Jahre 2006 erschien; die fraglichen Passagen (am Anfang des Kapitels 2) sind online zugänglich unter:
http://www.bernhard-mankwald.de/leseprobe2006.htm
Ansonsten vielen Dank an den Autor für die tollen Kochrezepte in der aktuellen Ausgabe!