von Bernhard Mankwald
Stephan Wohanka plädiert im Blättchen 19/2018 mit durchaus nachvollziehbaren Argumenten für die Farben Schwarz-Rot-Gold. Eher beiläufig erwähnt er die Rolle Preußens bei der „Nationwerdung Deutschlands“ – verschweigt aber, dass diese Einigung gerade im Kampf gegen die symbolischen Farben durchgesetzt wurde.
Dabei hätte Preußen die Chance gehabt, die Einheit auf demokratisch legitimierte und vielleicht auch friedliche Weise zu erreichen. 1849 verabschiedete die Nationalversammlung in Frankfurt eine konstitutionell-monarchische Verfassung und bot dem König von Preußen die Kaiserkrone an. Der lehnte verächtlich ab. Später nahm Otto von Bismarck sich der Aufgabe auf seine Art an: mit „Blut und Eisen“, prosaischer ausgedrückt durch eine Folge von drei erfolgreichen Angriffskriegen.
Voraussetzung dafür war eine Heeresreform, die Bismarck ohne Zustimmung des preußischen Parlaments durchsetzte; nach dem Sieg beantragte und erhielt er „Indemnität“ für diese Verfehlung. Der Krieg gegen Dänemark war gewissermaßen ein Erbe der Nationalversammlung, die sich als unfähig erwiesen hatte, die Rechte der Deutschen in Schleswig-Holstein zu schützen. 1864 wurden die Truppen der Vormächte des Deutschen Bundes, Österreich und Preußen, schnell mit der schwachen dänischen Armee fertig. Die gemeinsame Besetzung der Herzogtümer lieferte den Zankapfel für den nächsten Waffengang von 1866, in dem Preußen sich gegen den bisherigen Verbündeten und fast alle mittleren deutschen Staaten durchsetzte. Bismarck annektierte Schleswig-Holstein kurzerhand, dazu das Königreich Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt. Er gründete einen neuen „Norddeutschen Bund“ mit absoluter preußischer Dominanz – und mit den neu zusammengestellten Farben Schwarz-Weiß-Rot. Die „Nationwerdung“ verlangte also zunächst den Ausschluss Österreichs aus der Gemeinschaft; in Gestalt eines gewissen Adolf Hitler sollte sich das später rächen.
Draußen blieben zunächst auch die süddeutschen Staaten; das ließ sich indes bald ändern. Die französische Regierung war verärgert, dass die Neuordnung für sie nicht wenigstens einen Gebietszuwachs abgeworfen hatte. Eine gezielte Provokation Bismarcks genügte daher, um den Krieg von 1870/71 auszulösen. Er brachte neue Beute – Elsass-Lothringen sowie eine sehr hohe Kriegsentschädigung, die in Deutschland zu einer Phase der Hochkonjunktur führte. Bayern, Württemberg und Baden hatten an preußischer Seite gekämpft; nun traten sie dem neuen „Reich“ bei und verloren auch den bisherigen außenpolitischen Spielraum, da sie jetzt von preußischen Truppen „eingerahmt“ waren.
Bismarck hatte damit sehr geschickt eine Phase der Entwicklung genutzt, in der begrenzte Kriege möglich waren. Der Aufmarsch mit Hilfe der Eisenbahn erlaubte es, Operationen mit solcher Geschwindigkeit durchzuführen, dass den übrigen Großmächten keine Zeit blieb, sich einzumischen. Preußen hatte auch zuerst neuartige Schusswaffen mit höherer Feuerkraft eingeführt; später machte diese Entwicklung jede erfolgreiche Offensive bis auf weiteres unmöglich. Da Bismarck – anders als die meisten anderen Spieler – klug genug war, sein Glück nicht weiter zu versuchen, blieb eine Tradition skrupelloser Rechtsbrüche, die anscheinend vom Erfolg geheiligt wurden. Der Aufmarsch von 1914 folgte diesem Muster – mindestens gegenüber Belgien und Luxemburg lag ja eine gänzlich unprovozierte Aggression vor. Anders als zu Bismarcks Zeiten ließ sich aber dieser Krieg nicht begrenzen und endete in völliger Erschöpfung der Mittel.
Bismarcks scheinbar glänzende Erfolge schufen also schon die Bedingungen für die spätere Niederlage, indem sie eine dauerhafte Feindschaft mit Frankreich begründeten. Das Reich der Habsburger war nunmehr hinreichend gezüchtigt, um in die Rolle des Juniorpartners hineinzuwachsen; das führte zum eigentlich widernatürlichen Bündnis zwischen dem Zaren und der Französischen Republik. Und Großbritannien war es gewohnt, der stärksten Kontinentalmacht entgegenzuwirken; die Aufrüstung zur See, die Wilhelm II. ebenso am Herzen lag wie der Schwerindustrie, machte es vollends zum Gegner.
Innenpolitisch bekämpfte Bismarck Sozialdemokraten, Katholiken und die nationalen Minderheiten in Polen, Elsass-Lothringen und Schleswig. Ideal der politischen Erziehung war nicht der „Citoyen“, sondern der „Untertan“, wie ihn Heinrich Mann beschrieben hat. Typisch für diese Verhältnisse ist die Bismarck‘sche Konstruktion des Bundesrats, die auch im Grundgesetz fast unverändert weiterlebt. Damals war er Instrument der unbedingten Vorherrschaft Preußens: Als dessen Ministerpräsident war der Reichskanzler zugleich der mit Abstand mächtigste Mann der Legislative. Ein demokratisches Parlament sieht anders aus.
Nach 1918 folgte eine Republik; sie verbrachte ihre ersten fünf Jahre damit, in einem immer wieder an verschiedenen Stellen aufflackernden Bürgerkrieg die Revolution zu bekämpfen, die sie hervorgebracht hatte. Der Militarismus war besiegt, aber nicht ausgerottet. Mit der Revanche musste er allerdings warten, bis eine neue Generation zur Aushebung bereit stand. Unter diesen Umständen hatte die Republik nur Bestand, bis die Rückkehr zu despotischen Verhältnissen und die Vorbereitung eines neuen Krieges möglich wurden. Ihr Bekenntnis zu ihren Farben war sehr halbherzig: In der Handelsflagge dominierte Schwarz-Weiß-Rot.
Nach der totalen Niederlage von 1945 war es dann erst mal wieder vorbei mit der Einheit. Beide Staaten, die unter fürsorglicher Anleitung der jeweiligen Siegermächte entstanden, bekannten sich zu Schwarz-Rot-Gold. Die Flagge der DDR zeigte darüber hinaus mit ihrem Emblem – Hammer und Zirkel im Ährenkranz – dass ihre Gründer sie sich als Staat der Arbeiter, Bauern und Intellektuellen vorstellten. In geänderter Rangfolge war dies sogar eine zutreffende Beschreibung. Der Zirkel als Symbol war allerdings lachhaft: Das Herrschaftswissen der dominanten Politbürokratie war nicht gerade im Bereich der Geometrie angesiedelt.
In der Öffentlichkeit sind heute die traditionellen Farben vor allem Zeichen einer gelegentlich aufflackernden Fußballeuphorie. Das Spektrum reicht da von der Bereitschaft, guten Fußball auch dann zu würdigen, wenn er von der eigenen Mannschaft kommt, bis zu hemmungslosem Chauvinismus. Auffallend war in diesem Jahr die weitgehende Abwesenheit solcher Fähnchen im Straßenbild; sie nahm das uninspirierte Auftreten des DFB-Teams vorweg.
Schwarz-Rot-Gold sind aber auch die Farben einer Bundeswehr, die – ausgerechnet unter einer Regierung aus SPD und Grünen – wieder begonnen hat, begrenzte Kriege zu führen. Da segelt also gewissermaßen die Politik Bismarcks unter der Flagge der demokratischen Revolution. Ist es da erstaunlich, dass sich die Begeisterung für diese Flagge unter „Skeptikern“ in Grenzen hält?
Schlagwörter: Bernhard Mankwald, deutsche Einheit, Nationalfarben, Preußen