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3.243 Beiträge im Forum

  1. Sehr schön und überzeugend formuliert, Herr Richter. Wahrscheinlich haben Sie Recht!
    Schöne Grüße!
    Ulrich Scharfenorth

  2. Sorry für die Verstümmelung, aber ich weiß nicht, ob man hier den eigenen Beitrag korrigieren kann. Im meinem Text muss es heißen ….Veränderung der Welt ( Beendigung des Raubbaus an der Natur, Abkehr vom Wachstumswahnsinn ….

    • Werner Richter sagt:

      Sehen Sie es mir bitte nach, Herr Scharfenorth, selbst Ihren Namen hatte ich verstümmelt. Aber zu Geißler kann ich als gewachsener, nicht konvertierter(!) Atheist keinen Glauben entwickeln, in ihm ein Lamm zu sehen. Wäre er das, müßte er naiv in eine nicht vorhersehbare Rolle des Protestglätters geschlittert sein, aber doch nicht ein gelernter Stratege, den er als Generalsekretär eindrucksvoll gab. Alle möglichen Attribute können auf ihn Anwendung finden, nur nicht Naivität, zumal die Lageentwicklung vor der Quatschrunde recht einfach vorhersehbar war. Ja, er ist auch für mich ein Systemverbesserer, Zeugnis gibt sein Buch: Gefährlicher Sieg, 1995. Ihm war von Anfang an klar, das kein Schiedsspruch möglich war u. doch ging er in den Ring. Mit welchem Ziel? Ich fürchte, da bleibt nicht viel übrig, denkt man darüber nach. Es war eine reife Leistung, das Volk, den großen Lümmel, weg von den Bäumen nach weißem Sand zu schicken. Dies soll unbeabsichtigt gewesen sein? Es ist, der Rauch ist inzwischen verzogen, als Resultat greifbar, was nach Losbrechen des Sturmes Freund Mappus immer u. kompromißlos zugestanden hatte: Wir können über das "Wie", aber nicht über das "Was" jederzeit reden. Jetzt, bitte schön, wird es eben im Planfeststellungsverfahren, nicht danach, gehandhabt. Deshalb kommen auch keine weiteren Fakten u. Dokumente auf den Tisch, die die Interessenlage erhellen könnten. Warum hat Heini dies im Schlichtungsverfahren nicht gefordert? Er hat diesen Punkt nicht einmal berührt, aus gutem Grund. Gewußt hat er die Brisanz dieser Verhandlungsforderung ganz gewiß. Mappus ist ihm zu ewigem Dank verpflichtet, aber ich bin mir nicht sicher, ob der soviel Anstand entwickeln kann.Eher nicht.

  3. Danke für Ihre kurze Stellungnahme, Herr Richter! Ja, ich bin mir nicht ganz im Klaren darüber, wo Geißler wirklich steht. Vielen der in den letzten Monaten von ihm geäußerten Standpunkte konnte ich beipflichten. Wir machen es uns sicher zu einfach, wenn wir ihn als "Um-jeden-Preis-SystemRetter" betrachten. Solange es zum Kapitalismus keine tragfähige Alternative gibt, muss man Geißler den Versuch zur System-"Verbesserung" (sein PLazet: die öko-soziale Marktwirtschaft) zubilligen. Dazu muss man ihn nicht als machiavellistisch agierenden Jesuiten vorführen. Die notwendige Veränderung der Welt (nachhaltige k, Abkehr vom Wachstumswahnsinn, Bändigung des Weltfinanzsystems) bedarf starker Kräfte aus dem Volk – vor allem aus den Bürgerbewegungen, und die müssen auf Basis von Schnittmengen Bündnispartner gewinnen, um Druck aufmachen zu können. Mit der Verkündung der so genannten "reinen" Lehren, sei es nun die vom Regieren des Marktes (Milton Friedmann) oder die von der Diktatur des Proletariates ist es nicht getan. Heiner Geißler ist in vielen Fragen ein Bündnispartner von attac gewesen. Ich erinnere mich noch gut an seine Worte anlässlich der Mai-Demo in Düsseldorf. Die waren strikter und geradliniger als die von SPD und Gewerkschaft. Sollte das alles nur Täuschung sein?

  4. Werner Richter sagt:

    Verehrter Herr Scharfenroth, ich verstehe, wenn Sie H. Geißler wegen seines Images des gütigen Alten, der noch dazu für seine Abkunft bemerkenswert weit links zu stehen scheint, Erbarmen zeigen, er würde schmunzelnd Ihre Pluspunkte registrieren, läse er das Blättchen. Ich vermute eher, daß er völlig klaren Sinnes diese Aufgabe übernahm, da er hier einen Zäsurpunkt der politischen Grundlagen der Bundesrepublik gefährlich nahe kommen sah, die Herrschaft der Parteien mit ihren von Volkes Interessen divergierenden Sonderinteressen, es ging, so wohl seine Erkenntnis um die Fundamente. Vergessen wir nicht die historische Rolle des Jesuitenordens, dem er wohl angehört, der weit vorausschauernder als der Rest der Mächtigen auch mit dem Teufel (nach katholischer Definition) paktiert, wenn es die grundlegenden Verhältnisse zu bewahren gilt. Diese Befürchtung hatte ich schon bei seinem Beitritt zu Attac, die vermutlich den Braten nicht roch. Ich denke, so ganz falsch kann ich da nicht liegen. Es ist eher angesagt, den so gestrickten "Verbündeten" etwas mehr Distanz zukommen zu lassen.

  5. Werner Sorge sagt:

    Ich freue mich darauf, dass es weitergeht und wünsche den Redakteuren Mut und Kraft und Ausdauer, damit es weiterhin möglich ist, Stellungnahmen und Meinungen außerhalb des Mainstreams in den öffentlichen Medien zu erfahren. ganz im Sinne von Tucholski und Ossietzki.

  6. Jochen Gutte sagt:

    Zu erfahren, daß es mit dem Blättchen weitergeht, ist ein Lichtblick in dieser finster gewordenen Zeit!
    Allen Machern wünsche ich Kraft und Durchhaltevermögen!

  7. David wird aufgeblasen, doch Goliath hat gesiegt
    Als Heiner Geißler seinen Job in Stuttgart aufnahm, fragte ich mich, warum er sich das antue. Denn eine für beide Seiten auskömmliche Lösung zu Stuttgart 21 war nicht in Sicht. Der Bahnhof auf halber Höhe, die Hochgeschwindigkeitsstrecke mit halber Steigung, die Bäume im Park nur gestutzt. Das alles schien abwegig. Was sich anbot, war ein JA oder NEIN. Heute, da der Schlichterspruch vorliegt, gibt man sich anerkennend und salbungsvoll. Dabei liegt eher kein Ergebnis vor. Es sei denn man stellt neuerlich fest, dass solche Verhandlungen – transparent und natürlich mit anderem Namen – grundsätzlich vor Beginn neuer Planfeststellungsverfahrens für Großvorhaben anberaumt werden sollten. Die Bürgerbeteiligung – und das ist sicher ein brauchbares Resultat – muss früher stattfinden. Nur so kann auf die Entwürfe Einfluss genommen werden, bevor sie Geld kosten und Verträge vorliegen. Nun, die Bürger hatten auch bei Stuttgart21 Gelegenheit sich an den unzähligen öffentlichen (allerdings keineswegs transparenten) Prozeduren zu beteiligen. Sie taten es nicht oder nur in geringem Maße – wobei die fehlende Transparenz keine Rolle spielte, weil nicht wahrgenommen. Erst die Bagger, erst die sich anbahnende Zerstörung, erst die inmitten der Finanzkrise explosionsartig anwachsenden Aufwandszahlen haben die Bürger aufwecken/aufschrecken können. Auch heute nach der belobigten Schlichterparade verrät uns niemand, wie der Bürger – im Vergleich zu bisher – sehr viel schneller, sehr viel früher für Großprojekte interessiert und an die Zeichentische gezerrt werden soll. Soweit nichts Neues, soweit so schlecht.
    Was Stuttgart21 betrifft, so hat Geißler die Fortführung der Arbeiten – sogar ohne Baustopp – empfohlen, und daran scheint sich die CDU-Regierung auch halten zu wollen. Warum auch nicht, wenn die Entscheidung eben das festschreibt, was Regierung und Bahn anstrebten. Für die Stuttgart21-Gegner ist dagegen so gut wie nichts herausgekommen. Allenfalls die Ruhigstellung vieler ihrer Mitkämpfer, von denen jeder zweite nicht weiß, ob er sich nun eher an den (unverbindlichen) Schlichterspruch halten und auf weitere Proteste verzichten oder aber völlig anders bewegen müsse. Die Bilanz ist tatsächlich mau: Zwei Gleise mehr, bessere Untergrundprüfungen, höhere Kosten, ein paar Bäume – das war’s. Kein Wunder, dass die Ex-Demonstranten jetzt verdattert aufwachen, weil sie nichts oder viel zu wenig gekonnt haben. Zwar tönt der baden-württembergische Grünen-Fraktions-Chef Winfried Kretschmann, dass er beim Wahlsieg im März alles kippen könnte, doch ganz so einfach dürfte sich das nicht darstellen. Immerhin rollen bis dahin weitere Kosten an, und niemand weiß, ob nicht doch noch ein Bürgerentscheid die Karten ganz anders mischt.
    Nein, nein: Wenn DIE ZEIT heute titelt, David habe gewonnen und eben diese Feststellung Mr. Kretschmann anheften möchte, dann bewertet sie in die bewusst falsche Richtung, oder moderater formuliert: dann weckt sie beim Leser echt Widerwillen. In Wirklichkeit nämlich hat Goliath das Rennen gemacht – auf (fast) der gesamten Strecke. Er hat es nicht nur geschickt verstanden, den als halb links, also als CDU-untypisch geltenden und damit unverdächtigen Geißler für sich einzuspannen, sondern diesen Mann auch politisch zu wenden und …erstmals einen Keil zwischen ihn und viele seiner Anhänger zu treiben. Das ist – mit Verlaub – ein fulminanter Sieg des Konservatismus mit Schwächung vor allem der Linken.
    Gewiss: Geißler hat gezeigt, wie man die Dinge in Zukunft anfassen muss, der Sache an sich aber einen Bärendienst erwiesen. Weit verheerender aber haben die Anführer der Protestbewegung, und unter ihnen auch die grünen Führungskader, gehandelt. Sie ließen sich darauf ein, nur eine technische Lösung, nämlich die des unterirdischen Bahnhofs, zu diskutieren. Und sie schluckten die Beschwichtigung, dass man ja an kritischen Stellen nachbessern könne. In eine solche Situation hätten sie nie einwilligen dürfen. Im Gegenteil: Sie hätten kraftvoll für den Erhalt des Kopfbahnhofes kämpfen müssen. Auch um den Preis des Scheiterns der Schlichtung.
    Jetzt ist die Protest-Bewegung – auch mit Hilfe von Geißler – gespalten, wenn nicht zerschlagen. Welch Böswill oder Dummtrotz da von Davids Sieg zu sprechen. Warten wir ab, wie es künftig bei Großvorhaben laufen wird. Die Menschen – das wissen wir – vergessen schnell und gründlich. Ganz im Gegensatz dazu die an Großvorhaben interessierten Bauherren und Politiker. Sie werden den Dreh schon finden, um die Dinge in alter Routine zu befördern.
    Was Stuttgart angeht, so scheint die Sache klar: Dort wird weiter gebaut, dort werden weiter Fakten geschaffen. Dass man dem Stresstest (Prüfung auf Durchlassfähigkeit der Gesamtkonstruktion) bis zum kommenden Sommer Zeit lässt, zeigt nicht nur, dass bei aller Wertschätzung der Fachgespräche auch Dummköpfe und Verdummer am Werk waren. Weiß doch jeder, dass Verkehrssimulationen keines 6-monatigen Aufwandes bedürfen und dass Sommer-2011-Ergebnisse an bis dahin geschaffenen Fakten nichts ändern werden. Oder glaubt man, zwei zusätzliche Gleise etc. noch so schnell nachträglich einbinden bzw. den Platz dafür offen halten zu können. Was Stuttgart21 angeht, so wird jetzt weiter gebaut und ggf. Geld verbraten. Die rigiden Gegner des Projekts stürzen (geschwächt) zurück auf die Barrikaden, Geißler verschwindet und der Rest schaut zu. Frohe Weihnachten!

  8. Werner Richter sagt:

    Lebt denn das alte Blättchen noch? Ja, es lebt noch, es lebt noch! Und mit dem Holzhacken wird es auch wieder gehen. Zu u. nicht an Weihnachten werde ich mir die Ruhe nehmen u. alles lesen können. Es wird wie Weihnacht werden.

  9. Herbert Wilkow sagt:

    Advent, Advent – nun brennt ja doch noch ein erfreuliches Lichtlein: Das Blättchen kommt zurück. Ich freu mich drauf und wünsche alles Gute!
    Herbert Wilkow

  10. Die Redaktion sagt:

    Redaktioneller Hinweis

    In der “Debatte” unserer Homepage kann und soll diskutiert werden. Ein solcher Diskurs kann auch polemischer Natur sein, keine Frage. Sofern Polemik sich jedoch außerhalb sachlicher Argumente in Beleidigungen ergeht und sich auf das Niveau von Verbalinjurien begibt, behält sich die Redaktion die Löschung solcher Einträge vor.
    Der jüngste Eintrag von Jochen B. (?) bleibt lediglich deshalb erhalten, um als Beispiel dafür zu dienen, was wir nicht wollen und – im folgenden – auch nicht mehr zulassen. Darüber, daß hier gar der Geist der Weltbühne in Anspruch genommen wird, breiten wir den Mantel des peinvollen Schweigens.

  11. Ines Fritz sagt:

    Liebeskummer einer radikalen Linken

    Im Jahr 2004 habe ich meinen ersten Artikel der Redaktion des Blättchens angeboten und er wurde veröffentlicht. Angetan war ich, auch von der Vorstellung, durch das Blättchen mit Kurt Tucholsky, Erich Mühsam, Siegfried Jacobsohn und Carl von Ossietzky und vielen anderen linken Intellektuellen in Tradition der Weltbühne zu wirken. Mich erfreute die Nettigkeit der Redaktion, ich mochte die Texte, das Konzept und besonders den Anspruch, dem Wort mehr Raum zu geben als bunten Bildern; eben: Wissen und Inhalte zu vermitteln, Werturteile bilden zu wollen und dies auch zu können.

    Ich habe mich in das Blättchen verliebt, über jede Veröffentlichung habe ich mich gefreut, war stolz und habe mich auf die nächste Möglichkeit vorbereitet, teilzuhaben. Die Umstellung vom Druckerzeugnis auf eine Onlineausgabe war mir herzlich egal. Mein Stolz, eine Blättchenautorin zu sein, verlangt keinen greifbaren Beleg. Zum 10jährigen Jubiläum 2007 bin ich gern nach Berlin gefahren und es war ein sehr wohltuendes Erlebnis. Zu diesem Anlass erfuhr ich, dass meine Texte gelesen und verstanden werden und sie gefallen, wenn auch nicht jedem. Mein politisches Denken schriftlich festzuhalten, meine Politik öffentlich zu machen, ist ein berechtigtes Anliegen und durch das Blättchen wurde es zu meinem Vergnügen. Aus meiner Begeisterung darüber, es beim Blättchen mit freundlichen Intellektuellen zu tun zu haben, entstanden wieder und wieder Artikel, bei wohlwollender Kritik und bedachten Hilfeleistungen. Es gab eigentlich nichts, womit ich überhaupt nicht klar kam.

    Bis zur Veröffentlichung von Texten des Roberto J. De Lapuente und mittlerweile sind es drei. Den ersten las ich schweigend, beim zweiten übte ich nachlesbare Kritik [1], nach dem dritten ziehe ich Konsequenzen. Es reicht mir nicht, mit ihm „entrüstet“ zu sein und „irgendwelchen Opfern solidarisch zu begegnen“ [2] und dabei in Apathie zu versinken. Mir reicht zum Widerstand nicht das „widerstehen“. Zudem stört mich der geschichtsrevisionistische Ungeist [3], der den „kritischen Sozialisten“ De Lapuente nach seinem „Linksschwenk“ (dt. für „ad sinistram“) im Jahr 2008 hin zum Anarchismus [4] umtreibt, und immer werde ich in seinen Texten dazu fündig. Er schiebt mit seinem Kulturpessimismus jede soziale Protestbewegung ins Abseits. Zum Sichabfinden bietet De Lapuentes Demokratie-ist-auch-nur-Diktatur-Geschwurbel [5] das einschläfernde Hintergrundrauschen. Während also De Lapuente die „Diktaturbereitschaft“ und die „wachsende Ausländerfeindlichkeit“ den Blättchen-Lesern zur Kenntnis gibt, bedauere ich die Toleranz gegen linksliberale Genügsamkeit in der Blättchen-Redaktion.

    Auch ein organisierter Linksliberalismus hat im Kampf gegen die nationalsozialistische Herrschaft so gut wie keine Spur hinterlassen. Für mich ist der linksliberale Diskurs Ausdruck einer gefährlichen Ignoranz in nachfaschistischen Zeiten, die sich auch nicht mit einem Fokus auf Antirassismus und Verteidigung der Rechte Arbeitsloser auf Kippen und Bier ertragen lässt. Mir fehlt in De Lapuentes Texten die emanzipatorische Perspektive, mir fehlt der linke Gesellschaftsentwurf als Alternative zur Herrschaft, mir fehlt die Idee einer Revolution, mir fehlen eine Prognose und eine Aussicht auf Besserung. Und so lange dazu nichts kommt, bleibt Solidarität mit irgendwelchen Opfern des Kapitalismus eine piefige Litanei.

    Auf seinem Blog [6] kommen seine Reaktionen auf die Tagespolitik dazu reichlich uncharmant daher: In moralischer Empörung über die Vertreibung der Roma beschimpft er Sarkozy als (vielleicht) „hinterfotzig“ [7]. Sarkozy ist zu dieser Tirade sicher weniger entrüstet als Frauen wegen dieser Formulierung Anlass zur Empörung haben. Aktuell beklagt er auch „weiblichen Karrierismus“ [8] und wünscht sich Beschäftigungsverbote für Frauen; vorerst anlässlich einer Geburt. Natürlich zetert er auch immer wieder auf Feministinnen, die eben nicht so gut wie er wissen, was gut für Frauen ist. De Lapuente scheint jedes Thema recht, um auch nur nebenbei über die vermeintlich niederträchtigen Ambitionen geschlechterdemokratischer Gleichstellungspolitik – nie frei von Polemik, aber immer frei von Fakten- „aufzuklären“. Mit Opfern solidarisiert er sich nur, wenn es keine Feministinnen sind. Um Frauen das Leid stummer Schreie unter dem Joch der Gleichstellung zu ersparen, stellt er sie lieber vor den Herd, oder besser: Er möchte die Frauen und Kinder aus dem Einfluss der „feministischen Eiferer und Eifererinnen“ befreien und ihnen das Glück schenken, ganztags Kinder zu betreuen [9]. Und so soll wenigstens einem Geschlecht geholfen werden, aus Liebe zu Mann und Kind, vorzeitig der „Ökonomisierung“ [10] entsagen zu dürfen und gegen lediglich geldwerten Vorteil (abzuleisten als Oralverkehr [11]) klaglos und glücklich, vom Ernährer alimentiert, die gemeinsamen Kinder zu hüten.

    Nun aber, als wäre es noch alles nicht schlimm genug, hat er sogar etwas gegen Basisdemokratie [12]. Denn er meint, Basisdemokratie führt wegen des Drills „durch Bertelsmann und Springer und Burda“ – gegen die er natürlich selbst mit einem messerscharfen Intellekt gewappnet ist – in die Diktatur. Die basisdemokratische Gewerkschaft FAU verweigert sich zeitnah seiner einseitigen „Solidarität“ durch Werbung mit deren Logo und er schimpft darum wie ein Rohrspatz, „wie einige FAUler gemeinsam um einen klapprigen Tisch lagern, stundenlang Plörre saufen und darüber beratschlagen“ [13]. Robertos Solidarität ist eben leicht verderblich. Um Basisdemokratie und Volksabstimmungen abzuwenden, flehte er zuvor: „Bloß keine Volksbefragung – keine Basisdemokratie, damit dieses letzte Rudiment von Demokratie erhalten bleibt!“ [14]. Da ist die darauffolgende Hetze gegen die basisdemokratische FAU wegen einem Rückzug aus seinem Interesse eigentlich nur konsequent. Demokratie ist in innerlinken Debatten aber sonst bitte kein „sowohl als auch“ zur Diktatur. Direkte Demokratie ist auch nicht gleich Basisdemokratie und sowieso etwas mehr als „nur“ Volksabstimmungen. Und auch Anarchisten haben das Recht, sich gegen die Vereinnahmung durch ihre Verhetzer auszusprechen. Aber wenn das Volk Diktatur wirklich will und auch bekommt, hat die Linke versagt. Wie ein solches Versagen linker Opposition heute aussehen kann, belegen nachhaltig De Lapuentes Texte.

    De Lapuentes Abhandlungen sind vom Aussagegehalt sehr simpel, bergen keine linken Positionen und sind vor allem Angstmacherei. Die Verharmlosung von Rassismus als „Ausländerfeindlichkeit“, das Nachfragen, ob „Moslems raus!“-Rufe wie aktuell im Blättchen eher „basisdemokratisch oder dann doch Diktatur“ sind, die als Volkshetzung erkannte Parole von der „Todesstrafe für Kinderschänder!“ zum Usus zu machen [15], sein fanatischer Antifeminismus und der moderne Sexismus, sowie der Streit darüber, ob nun der Pöbel dumm ist oder der Schreiber nur besonders schlau, blamieren mich. Toleranz gegen De Lapuentes Linksliberalismus „neutralisiert“ allein durch Gegenüberstellung – nach Herbert Marcuse’ Überlegungen zu repressiver Toleranz [16] – meine radikale Position: „Das Ergebnis ist eine Neutralisierung der Gegensätze, eine Neutralisierung freilich, die auf dem festen Boden der strukturellen Einschränkung der Toleranz und im Rahmen einer präformierten Mentalität stattfindet.“

    Da werde ich auch durch mein Geschlecht zum zufälligen Feindbild eines linksliberalen Sexisten und muss darum auf liebgewonnene Möglichkeiten zur Darstellung meiner Politik verzichten. Moderner Sexismus [17], wie ihn De Lapuente als Teil eines „innerlinken“ Diskures salonfähig macht, verweigert Frauen ihre Berechtigung, sich überhaupt politisch zu äußern und die unfreiwillige Gegenüberstellung zum Linksliberalismus besorgt den Ausschluss radikaler Ideen aus dem politischen Diskurs und etabliert eine „liberalere“ Gesellschaftsmitte, die es so nicht gibt. Kann sich meine radikale Position aber doch gegen die Neutralisierung durch De Lapuentes Liberalismus durchsetzen, verweigert der Sexist De Lapuente mir als Frau aber schon wieder die Teilnahme am Diskurs.

    Es geht für mich aber auch um den Blick in den Spiegel, als Frau und als Linke. Und darum, wie ernst ich mich selbst und meine Artikel nehme. Ich will nicht von Männern gerade so geduldet, mir und den Lesern meine, den Männern abgetrotzte, Emanzipiertheit beweisen, sondern selbstständig denken und erfolgreich eingreifen. Meine Anliegen sind die Überwindung von Stereotypen, das Aufknacken verkrusteter (auch sexistischer) Mythen und die Möglichkeiten politischen Handelns durch die radikale Veränderung von Deutungs- und Wahrnehmungsmustern auszuloten, das Hinterfragen auch sexistischer Ordnungsmerkmale- alles mit dem Ziel die Gesellschaft zum Positiven zu verändern, mit den Frauen und nicht zu deren Lasten. Ich will Emanzipation aus herrschenden Verhältnissen, durch Basisdemokratie und bei Gleichberechtigung, auch der Frauen und Männer. Durch eine unfreiwillige Nähe meiner Texte zum linksliberalen Sexisten und „Infokrieger“[18] Roberto J. De Lapuente wird meine Politik zur Karikatur, denn ich bin neben der Blättchenautorin auch noch eine Frau, Anarchafeministin und Gewerkschafterin. Ich möchte darum nicht mit jemandem gemeinsame Sache machen, der lediglich mit ausgewählten Opfern solidarisch ist, aber dabei sexistische Klischees bedient und auch noch gegen Basisdemokratie wettert, denn: „Eine radikale Linke solidarisiert sich nicht mit ›Opfern‹, sondern mit politischen und gesellschaftlichen Zielen, die über jede Art von Herrschaft und Ausbeutung hinausweisen.“[19]

    Mit freundlichen Grüßen

    Ihre

    Ines Fritz

    [1] http://das-blaettchen.de/debatte/comment-page-1/#comment-645
    [2] http://www.dasgelbeforum.de.org/forum_entry.php?id=82453&page=13&category=0&order=name
    [3] http://de.indymedia.org/2007/12/202365.shtml
    [4] http://links-im-sueden.blogspot.com/2007/12/sozialismus-ein-schweres-erbe.html
    [5] http://das-blaettchen.de/demokratie-versus-diktatur-oder-sowohl-als-auch/
    [6] http://ad-sinistram.blogspot.com/
    [7] http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/09/wirklich-nur-mit-dreck-geworfen.html
    [8] http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/10/de-dicto_25.html
    [9] http://links-im-sueden.blogspot.com/2008/05/ja-zur-emanzipation-frauentag-statt.html?showComment=1210662900000#c3722128365097522948
    [10] http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/04/ein-volk-von-okonomen.html
    [11] http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/10/gleichstellung-abgeblasen.html
    [12] http://das-blaettchen.de/demokratie-versus-diktatur-oder-sowohl-als-auch/
    [13] http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/10/die-dogmatik-ansonsten-so.html
    [14] http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/07/blo-keine-volksbefragung.html
    [15] http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/09/mibrauch-mit-dem-mibrauch.html
    [16] http://www.marcuse.org/herbert/pubs/60spubs/65reprtoleranzdt.htm
    [17] http://isis-welt.blog.de/2010/10/24/sexismus-netz-ad-sinistram-9752591/
    [18] http://infowars.wordpress.com/2007/12/19/spielend-zur-kritiklosigkeit-erzogen/
    [19] http://de.indymedia.org/2009/01/239712.shtml

    Anm. d. Red.: Der vorstehende Text ist auch hier erschienen:
    http://isis-welt.blog.de/2010/11/01/liebeskummer-radikalen-linken-9874967/

    • jochen b. sagt:

      fritz, du bist mittlerweile bekannt wie eine bunte hündin. jeden tag ein anderer lapuente, berger oder finkeldey den du durchs dorf scheuchst mit deinem extremistischen käse. berger ist kein sexist. lapuente ist auch keiner. an vielen stellen spricht er sich gegen missbrauch aus. du hast nur stellen erwähnt die dir dienlich sind.
      das blättchen muß sich nicht für texte von lapuente schämen. für dich sollten sie sich schämen. lapuentes texte sind traditionell weltbühne. deine texte sind meistens stus.

  12. Die Redaktion sagt:

    Vielen Dank für Ihren Eintrag, Herr Albrecht. Wir erlauben uns, ihn durch weitere Hinweise auf besagtes Braunbuch zu ergänzen.
    Die Redaktion

    Braunbuch Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in West-Berlin

    Seit 1955 gab die DDR gezielt belastendes Material über einzelne Staatsanwälte, Richter und hohe Beamte heraus. Deren Tätigkeit im Dritten Reich und oft auch manche peinliche Ergebenheitsadresse wurden dadurch der Öffentlichkeit bekannt. Wie im Falle des Generalbundesanwalts Wolfgang Fränkel und des Ministers für Vertriebene Hans Krüger führten derartige Enthüllungen auch zum Rücktritt hoher Beamter und Bundesminister.
    Am 2. Juli 1965 präsentierte der für die Aufarbeitung der Nazi- und Kriegsverbrechen und für Propaganda zuständige SED-Politiker Albert Norden der Weltpresse ein Braunbuch, das die SS-Dienstränge und NS-Parteiämter von 1800 Wirtschaftsführern, Politikern und führenden Beamten der Bundesrepublik Deutschland auflistete. Einige der Angaben waren zusätzlich durch Faksimiles belastender Dokumente belegt.
    Das Buch wurde in der Bundesrepublik weitgehend als „kommunistisches Propagandawerk“ abgelehnt, eine weitere Auflage 1967 auf der Frankfurter Buchmesse skandalträchtig beschlagnahmt. Die Bundesregierung erklärte, die erhobenen Vorwürfe träfen nicht zu. Für die Beschuldigten hatte die Veröffentlichung vorerst keine Folgen.
    Spätere unabhängige Nachforschungen ergaben dann, dass die meisten Angaben zutrafen. Allerdings erwiesen sich einige Angaben in diesem Braunbuch als Namensverwechslung oder als Teilfälschung von Dokumenten, um die Bundesrepublik und ihre Repräsentanten wie den Bundespräsidenten Heinrich Lübke international zu diskreditieren. Dies machte es den Angegriffenen im „Kalten Krieg“ leicht, das gesamte Material als „propagandistische Munition des Ostens“ abzuwerten.
    Eine dritte Auflage erschien im Sommer 1968. Sie wurde im Jahre 2002 neu aufgelegt und im Internet als Volltext veröffentlicht. In einer Rezension von 2002 bezeichnete der Historiker Götz Aly das Buch zwar als „Propaganda“, betonte aber, dass die Irrtumsquote bei den Angaben deutlich unter einem Prozent gelegen habe. Nach den Forschungsergebnissen einer Unabhängigen Historikerkommission 2010 treffen die Angaben des Braunbuchs zur „NS-Belastung führender westdeutscher Diplomaten” in den 1950er Jahren „zum allergrößten Teil zu“.

    Quelle: Wikipedia
    *
    Auszug 1:

    Diplomaten Ribbentrops im Auswärtigen Dienst Bonns

    • Das faschistische Auswärtige Amt – Instrument imperialistischer Eroberungspolitik
    o Sie weiten den Krieg aus…
    o … und teilen die Welt auf
    o An der „Endlösung der Judenfrage“ mitgewirkt
    o Vorbereitung der Wannsee-Konferenz
    o Mit Eichmann Hand in Hand
    o Intrigenspiel um 7000 jüdische Kinder
    o Todeslisten ausgefertigt
    o Gestapo-Terror war ihnen zu mild
    o „Zweckdienlich“ und „vertrauensvoll“
    o Rücksichtslose Plünderer
    • Die Stützen der aggressiven Bonner Außenpolitik
    o 520 Nazi-Diplomaten im Auswärtigen Amt
    o Gestapo-Mitarbeiter leiten die Ostabteilung
    • Sie besetzen Bonns Auslandsvertretungen
    o Mohr, E.-Günther: Nazi-Propagandist und Spion
    o Schwarzmann, Hans: Vertrauensperson Ribbentrops
    o Nüßlein, Franz: Günstling von Bormann und Heydrich
    o Melchers, Wilhelm: Spezialist für 5. Kolonnen
    o Schütter, Oskar: Mitorganisator der Aggression gegen Dänemark
    o Ferring, Franz: Goebbels-Prahlhans übelster Sorte
    o Grewe, Wilhelm: „Ostforscher“ und „Neuordnungstheoretiker“
    o Etzdorf, Hasso von: Komplice der Waffen-SS
    • Ribbentrop-Diplomaten im Auswärtigen Dienst (Namenliste)

    Auszug 2:

    AN DER „ENDLÖSUNG DER JUDENFRAGE“ MITGEWIRKT

    Auch an der Ermordung von Millionen Juden waren die Diplomaten der Wilhelmstraße maßgeblich beteiligt. Über ihre Mitverantwortung an diesen Verbrechen wird im Urteil des Wilhelmstraßen-Prozesses gesagt:
    „Es gibt für niemand eine Entschuldigung oder Rechtfertigung, der an den Maßnahmen bewußt und zustimmend teilgenommen hat, aus denen diese abstoßenden und schauderhaften Verbrechen im einzelnen bestanden, und es ist gleichgültig, ob er sie veranlaßt oder ausgeführt hat, oder nur Beihilfe geleistet oder sie der Welt gegenüber gerechtfertigt oder den Tätern Hilfe und Unterstützung gewährt hat“ (NG, Fall XI, Bd. CCXLII, S. 27827)
    Das Auswärtige Amt unter Ribbentrop spielte bei der Organisierung, Planung und Verschleierung dieser Verbrechen eine verhängnisvolle Rolle. In der Anfangsperiode der Judenverfolgung, etwa 1938 bis 1940, als es hauptsächlich um die Enteignung, Ausweisung und Beseitigung der in Deutschland lebenden Juden ging, prüfte das Auswärtige Amt mit der Gestapo und dem SD, zu welchem geeigneten Zeitpunkt auch die in Deutschland lebenden Juden ausländischer Staatsangehörigkeit verfolgt werden könnten. Ferner hatte das Auswärtige Amt die Aufgabe, den Antisemitismus im Ausland zu fördern und die Greueltaten der Faschisten zu verschleiern. Damit sollten die Wahrheit über den Terror gegen die Juden verschwiegen und der wachsende Haß gegen den Faschismus eingedämmt werden.
    Typisch für die Arbeit des Auswärtigen Amtes in dieser Zeit sind vor allem zwei Dokumente. Das eine ist das Memorandum Wiehls, des damaligen Leiters der Wirtschaftspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, vom 25. Januar 1939. Es beschäftigte sich mit den Enteignungsmaßnahmen gegen die Juden und wurde allen Gesandtschaften und Konsulaten zugestellt. Das andere Dokument ist die Denkschrift des Legationsrates Schumburg vom „Sonderreferat Deutschland“, ebenfalls vom 25. Januar 1939. Sie heißt „Die Judenfrage als Faktor der Außenpolitik im Jahre 1938“ und wurde gleichfalls allen diplomatischen Vertretungen des faschistischen Deutschlands übermittelt. Das Auswärtige Amt setzte sich in der Schumburg-Denkschrift für eine solch „radikale Lösung der Judenfrage“ ein, daß sie selbst dem Reichssicherheitshauptamt „verfrüht“ erschien. (Siehe Tafel 35)
    *
    Jene ehrenwerten Diplomaten der Bundesrepublik Deutschland, an deren Nachrufen sich 2005 die Debatte um die Nazi-Verstrickung des AA-Personals entzündete – die Angaben stammen aus dem Braunbuch, sie betreffend zwei von 219 dort aufgelisteten Ex-Nazis im Solde des Auswärtigen Amtes:

    Krapf, Franz
    Vor 1945: 1940 bis Kriegsende Legationssekretär und Mitarbeiter der „Niederlassung der Reichsbahnwerbezentrale“ (Auslandsdienststelle des SD) an der Botschaft in Tokio/Japan; Mitarbeiter der Abteilung III des Reichssicherheitshauptamtes; 1936 NSDAP,- SS-Untersturmführer
    Nach 1945: Ministerialdirektor und Leiter der Ostabteilung des Bonner Auswärtigen Amtes; seit 1966 Botschafter in Tokio/ Japan
    Nüßlein, Franz, Dr.
    Vor 1945: Hat als Oberstaatsanwalt in Prag/CSR an Blut- und Terrorurteilen mitgewirkt (1942); 1937 NSDAP (Nr. 4628997)
    Nach 1945: Generalkonsul in Barcelona/Spanien

    *
    Das komplette Braunbuch ist einsehbar unter http://www.braunbuch.de/

  13. Richard A l b r e c h t sagt:

    Betr.

    DIE BRAUNEN AA-JAHRE.

    Zur neuen Außenamtsstudie (2010)

    Zur Studie des AA´s unterm Hakenkreuz (2010) hier meine – freilich so subjektive wie scheinbar belanglose – Meinung als auch nicht erst seit vorgestern historisch arbeitender Sozialforscher.

    Wie erinnerlich – galt das zuerst vor 45 Jahren, 1965 (später in 3. korrigierter Auflage 1968) erschienene sogenannte BRAUNBUCH – Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik -> http://de.wikipedia.org/wiki/Braunbuch nicht nur als kommunistisches Propagandamachwerk aus der DDR: Es war auch in der Alt-BRD verboten und mußte über Umwege aus A, CH oder NL besorgt werden.

    Wenn ich nun lese, was einer der Autoren, Eckart Conze, zusammenfassend unterm Titel HITLERS WILLIGE HELFER in „Die Welt“ (20. Okt. 2010) veröffentlichte -> http://www.welt.de/print/die_welt/vermischtes/article10628254/Hitlers-willige-Helfer.html?print=true – dann zeigt sich, daß vieles, was damals im BRAUNBUCH-Kapitel „Diplomaten Ribbentrops im Auswärtigen Dienst Bonns“ stand, richtig war.

    Daraus folgt für mich nicht nur und erstens ein oberflächlich-rechthaberisches quod-erad-demonstrandum. Sondern auch und zweitens, daß die damaligen bundesdeutschen Buchverbieter das waren, was sie den damaligen Buchmachern vorwarfen: Politlügner und Geschichtsfälscher. Und drittens und weitergehend meine ich:

    Vieles, was heute als gesicherte ganzdeutsche Wahrheit, derzufolge alles legal und korrekt und ordentlich ablief und abläuft, gilt – könnte sich in nochmal 45 Jahren als Geschichtsfälschungen und Politlügen erweisen: etwa auf der empirischen Makroebene, daß es zur Staats- und Regierungskriminalität 1990 im Zusammenhang mit der am 3. Oktober 1990 formell vollzogenen deutsch-deutschen Staatsvereinigung KEINE Staats- und Regierungskriminalität gab. Oder auf der empirischen Mezzoebene, daß es sich bei sämtlichen Nord-LB-Vorständlern um eine ehrenwerte Gesellschaft und um KEINE Wirtschaftskriminellen handelt. Oder daß es (um auf eigene Forschungen anzuspielen) entsprechend des Verfassungsgrundsatzes „Eine Zensur findet nicht statt“ hierzulande KEINE ZENSUR gibt …

    Mit freundlichem Gruß

    Dr. Richard Albrecht

  14. W. Kost sagt:

    Armutsrisiko in Deutschland (2008)
    Bevölkerungsgruppe Armutsrisiko in Prozent
    Frauen 16,3
    Männer 14,7
    Über-65-Jährige 15,0
    Alleinerziehende 37,5
    Ein-Personen-Haushalte 29,3
    Zwei-Personen-Haushalte 14,0
    Vier-Personen-Haushalte 7,7
    Erwerbstätige 6,8
    Arbeitslose 62,0
    insgesamt 15,5
    Als armutsgefährdet gilt, wer von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung lebt. Quelle: Statistisches Bundesamt
    —————————————————————————————–
    15,5 Prozent der deutschen Bevölkerung (laut Statistischem Bundesamt 2009 rund 81,7 bis 81,8 Millionen) entsprechen 12,25 Millionen Menschen. Das nur mal zur Kenntnis.
    W. Kost

  15. Brian Jones sagt:

    @Redaktion

    Besten Dank. Ich werde darüber nachdenken. Hier nur ein Hinweis:

    Wenn ich aktuelle deutsche Blogs (1) richtig las – soll es jetzt eine „Debatte“ über „Führerdemokratie“ geben, die sich auf Texte des Herrn von Arnim (Hochschule Speyer) rückbezieht. Es war und ist aus meiner Sicht moralisch fragwürdig und politisch dumm von Herrn v. Arnim, parallel mit dem Aufwind des Sarrazynismus der letzten Jahre eine sogenannte „Führerdemokratie”-Debatte publizistisch loszutreten – unabhängig davon, daß das Wortungetüm schon als Widerspruch in sich wirkt. Auch ist Arnims Rückbezug auf das Prinzip der hochgelobten “plebiszitären Führerdemokratie” des deutschen Soziologen Max Weber oberflächlich:

    „Ludendorff: Da haben Sie ja nun Ihre gepriesene Demokratie! Sie und die Frankfurter Zeitung sind daran schuld! W a s ist denn nun besser geworden?
    Weber: Glauben Sie denn, daß ich die Schweinerei, die wir jetzt haben, für D e m o k r a t i e halte?
    L.: Wenn Sie so sprechen, können wir uns vielleicht verständigen.
    W.: Aber die Schweinerei vorher war auch keine Monarchie.
    L.: Was verstehen Sie d a n n unter Demokratie?
    W.: In der Demokratie wählt das Volk seinen Führer, dem es vertraut. Dann sagt der Gewählte: ‘Nun haltet den Mund und pariert.’ Volk und Parteien dürfen ihm nicht mehr hineinreden.
    L.: Solche ‘Demokratie’ kann mir gefallen!“
    W.: Nachher kann das Volk richten — hat der Führer Fehler gemacht — an den Galgen mit ihm!” (2)

    Ludendorff konnte diese Weberianische „Demokratie“ in der Tat „gefallen“.

    Ludendorff war in der zweiten Hälfte des „ersten großen Schlachtfest des Todes in unserem Jahrhundert“ (Thomas Mann) im Deutschen Reich faktisch ein Militärdiktator, ab 1916 mit dem vaterländischen Hilfsdienstgesetz, Kommunisten gab es noch nicht, Sozialisten, linke Publizisten, Künstler waren wenn nicht in der Deutschschweiz (mit dem Emigrantenzentrum Zürich, Hugo Ball, Ernst Bloch z.B.) dann in deutschen Zuchthäusern und Gefängnissen (Rosa Luxemburg) oder als Armierungssoldaten ins Heer gepreßt (Karl Liebknecht). Ob „das Volk“ damals richtig handelte und seinem Kriegsführer Ludendorff „den Galgen“ ersparte mögen andere beurteilen …

    (1) http://www.attac-koeln.de/index.php?option=com_content&task=view&id=551&Itemid=150 und http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/10/keine-andere-wahl-basta-politik-bleibt.html
    (2) Diesen Dialog Weber-Ludendorff (1919) erzählte Marianne Weber in ihrer 1926 als Buch erschienenen Weberbiographie auf Seite 665

    Mit freundlichem Gruß

    BJ

  16. Die Redaktion sagt:

    Sehr geehrter Brian Jones,

    “Die ›Weltbühne‹ verzichtet bewußt auf ein starres Dogma; bei uns wird diskutiert.” – hat Kurt Tucholsky 1929 das Selbstverständnis dieser Zeitschrift charakterisiert. Bei aller Unvollkommenheit: “Das Blättchen” ist bemüht, diesem Ansatz treu zu bleiben. Dass dies Beiträge voraussetzt, die bei manchen, gegebenenfalls auch mal vielen Lesern Widerspruch hervorrufen, ist dabei selbstverständlich; permanente Übereinstimmung als Bestätigung eigener Erfahrungen und Auffassungen bedarf schließlich keiner Diskussion und damit geistiger Auseinandersetzung und Weiterentwicklung. Solange Widerspruch sachlich-argumentativ und nicht beleidigend und/oder exorzistisch daherkommt, ist er unserem Anliegen allemal dienlich.
    Deshalb unsere Bitte bzw. unser Angebot: Fassen Sie Ihre Kritik am “inkriminierten” Text doch in eine ausführliche Argumentation und stellen Sie diese entweder in dieses Debatten-Fenster oder senden Sie uns einen solchen Text als Angebot für die Aufnhame in das nächste “Heft” oder eine der nächsten Ausgaben. Das jedenfalls wäre genau das, was wir uns wünschen und was – nicht nur, aber derzeit vielleicht besonders – das Thema “Demokratie” auch dringend verdient.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Die Redaktion

    (P.S. Kleiner technischer Hinweis: Als Text für eine reguläre Ausgabe darf ein Beitrag die Länge von 7.500 Zeichen brutto, also inklusive Leerzeichen, nicht überschreiten. Ein Beitrag im Debatten-Fenster der Homepage hat keine Längenbegrenzung, sollte aber ebenfalls eine präzise und damit knappe Darstellung der inhaltlichen Position sein.)

    • Brian Jones sagt:

      @ Redaktion

      Werte Blaettchen-Redaktionaere,

      Sie anregten (26. Okt.) einen Beitrag von mir. Zum Demokratie – Diktatur – Text Ihres Autors Da L. Ich schrieb Ihnen spontan (27. Okt.) und kritisierte aspekthaft was neuerlich als “plebiszitären Führerdemokratie” (Max Weber) durch die deutsche Netzlandschaft schwirrt.

      Nun lese ich hier eine ausgiebige Kritik von Ines Fritz (1. Nov.). Viele Passagen dieses engagierten , „Liebeskummer einer radikalen Linken“ genannten, Pamphlets sind mir unverständlich. Aber diese Passage habe ich verstanden:

      „[…] Auch ein organisierter Linksliberalismus hat im Kampf gegen die nationalsozialistische Herrschaft so gut wie keine Spur hinterlassen […] Der linksliberale Diskurs [ist] Ausdruck einer gefährlichen Ignoranz in nachfaschistischen Zeiten, die sich auch nicht mit einem Fokus auf Antirassismus und Verteidigung der Rechte Arbeitsloser auf Kippen und Bier ertragen lässt. Mir fehlt […] die emanzipatorische Perspektive, mir fehlt der linke Gesellschaftsentwurf als Alternative zur Herrschaft, mir fehlt die Idee einer Revolution, mir fehlen eine Prognose und eine Aussicht auf Besserung. Und so lange dazu nichts kommt, bleibt Solidarität mit irgendwelchen Opfern des Kapitalismus eine piefige Litanei […].“

      Diese Hinweise halte ich für historisch-politisch zutreffend. Es wäre gewiß viel hinzuzufügen. Freilich actuell nicht von mir und nicht hier.

      Freundliche Gruesse

      BJ

  17. Brian sagt:

    Werter Herr De L.,

    Ihren Beitrag halte ich für formal mißlungen und für inhaltlich grundfalsch:

    i) Auf höchstproblematischer Grundlage eines papers der Ebertstiftung bemühen Sie inhaltlich die Totalitarismusdoktrin in ihrer rechtssozialdemokratischen Ideologievariante. Ebensowenig jedoch wie es „die Demokratie“ gab und gibt – gab und gibt es „die Diktatur“

    ii) Ihren Beitrag beginnen Sie wie jeder beliebige „Kopflanger“ (Bert Brecht) mit dem in diesem ganzdeutschen Herbst besonders mediengängigen Politmittewir („Wir alle“), das suggestiv wirken soll und doch viele in den wirklichen (basis-) demokratischen Bewegungen aktive nur ekelt.

    Mit freundlichem Gruß

    Brian Jones, PhD. (LSEPS)
    zZt. Bonn

  18. Thomas Weiler sagt:

    Zu “Demokratie versus Diktatur”. Mir scheint der Autor hat keinen blassen Schimmer was Basisdemokratie ist. Er argumentiert hier tatsächlich für weniger Bürgerbeteiligung. Im Umkehrschluss heisst das also je weniger Demokratie desto weniger die Gefahr der Diktatur? Stuttgart 21 also als Vorbild der Demokratie, weil man hier ganz im Sinne von Herrn Lapuente gehandelt hat? Das Blättchen versteht sich angeblich in der Tradition der Weltbühne. Oder doch eher des Stürmers?

    • Kost sagt:

      Lieber Thomas Weiler,
      Möglicherweise gehören Sie zu jener beneidenswerten Spezies, die über alles Bescheid weiß. Das freilich entbindet Sie dann natürlich auch von der Notwendigkeit, sich mit einem ziemlich offenkundigen Dilemma zu befassen, wie dies Lapuente betrachtet hat.
      Seine Gedanken dazu hat er hier nun angeboten. Auf die kann man natürlich auch polemisch antworten und den allgemeinen Erkennisprozeß auf diese Weise ein kleines Stück befördern. Man kann einen solchen Text und seinen Autor aber auch in die Nähe des wohl übelsten Nazi-Hetzblattes stellen.
      Wer von beiden der Tradition der Weltbühne näher ist, wird beurteilen können, wer die Weltbühne kennt. Diesen Zustand herzustellen ist aufwendig und macht Mühe, aber möglich ist es, denn die kompletten Jahresausgaben sind bei Propyläen erschienen.
      Ob Sie das anficht, wage ich nach Ihrem stentorartigen Verdikt allerdings ein wenig zu bezweifeln.
      Ihr Wolfgang Kost

  19. Werner Richter sagt:

    Stuttgart 21 u. Demonstrationsrecht
    Es ist kaum zu glauben, aber bietet sich eine Gelegenheit, holt der jeweilige Innenminister einen Stapel Projektexposes aus seinem Schreibtisch, läßt sie durch einen Subalternen entstauben u. präsentiert eines oder zwei einigermaßen zurechtfeilbare als zwingend notwendige Gesetzesvorlagen. Die Zeit arbeitet für die Akteure. Kommt man jetzt nicht durch, dann vielleicht beim nächsten Mal, irgendwann paßt es bestimmt. All diese Projekte sind auf ein Ziel gerichtet: Die Abschaffung der lästigen Bürgerrechte, die Angriffe erfolgen zu unterschiedlichen Zeiten u. aus verschiedenen Richtungen an mehreren Stellen. Der Anlaß ist dabei unerheblich, Hauptsache, er läßt sich verbal mit dem Vorhaben verbinden. Noch besser ist es, er kann zur Verschleierung der Absichten genutzt werden. Mit Stuttgart 21 schien mir die Situation dafür gar nicht so günstig zu sein, aber ich habe mich wohl geirrt.
    Zunächst hatten Staats-, Wirtschafts- u. Landeslenker ohne große Hürden der Parteiengrenzen ein geeignetes Projekt, das Eitelkeiten u. Gewinne der wirklichen Klientel gleichermaßen u. optimal ohne Rücksicht auf Gemeinwohlinteressen bedient, ausgewählt. Stuttgart 21, das gilt es zu bedenken, ist kein Einzelfall, denn eine Reihe solcher Projekte wie der Main-Donau-Kanal sind schon durch, andere brüten noch unterschiedlichen Reifestandes in den Röhren von Verwaltung u. Verwaltungsrecht. Dabei verließ man sich auf die selbst konstruierte Rechtsmaschinerie, die kaum einem gewählten Volksvertreter, wenn er das je wirklich wollte, sachlichen Durchblick ermöglicht, vom Pöbel ganz zu schweigen. Das Gemeine daran ist, man kann sich immer auf die gesetzlich zugesicherten Mitwirkungsmöglichkeiten berufen, ganz so wie beim Lotto: Jeder kann gewinnen, er muß nur die richtigen Zahlen ziehen. In der Realität läuft es so ab, daß amtliche Bekanntmachungen, deren wesentlicher Inhalt in einer Vielzahl von Gesetzeshinweisen nahezu unkenntlich gemacht ist, im „Öffentlichen Aushang“ am Rathaus oder in einzelnen Zeitungen dem Volke zur Kenntnis gebracht werden. Wer glaubt da ernsthaft, daß so eine stattliche Anzahl von Bürgern hellhörig werden könnte, das soll auch mit dem Verfahren verhindert werden. Die Bekanntmachung müßte schon im Stile: „Morgen ist Kirmes vor dem Rathaus u. es gibt von 14:00 bis 16:00 Uhr Freibier!“ gehalten sein, ja, dann käme man in Massen, sollen sie aber nicht.
    Dann verließ man sich auf die jahrelange Garungszeit u. den plötzlichen Überraschungsangriff, der Fakten schaffen u. Widerstand zwecklos erscheinen lassen sollte. Bisher ging diese Rechnung immer auf, zur Überraschung der unter sich Kungelnden diesmal jedoch nicht. Sie hatten in ihrer Selbstzufriedenheit u. Volksverachtung glatt vergessen, hin u. wieder die Tarnmaßnahmen zu überprüfen, u. übersehen, daß der Nebelvorhang, der das Volk einlullern sollte, an einigen Stellen zerrissen u. die Eigennützigkeit der Oberen u. die Blödsinnigkeit des Projektes von vielen klar zu sehen war. Jetzt wirkte die ungewollte Kirmesankündigung, das Volk strömte. So wurden wir Zeugen einer köstlichen Realsatire, denn die Herren (u. Damen) waren sehr erschrocken u. durcheinander u. reagierten kopflos, wie der oft zitierte aufgeschreckte Hühnerhaufen. Zuerst trat der dicke Mappus forsch an den Bühnenrand u. sprach dem Publikum jedes Mitbeteiligungsrecht ab, er werde an seinem Einzelpart festhalten, der von Seinesgleichen extra ihm auf den Leib geschneidert worden sei, mutig, mutig. Ich versuche vergebens, mir den Öttinger in dieser Rolle vorzustellen, es gelingt mir nicht. Da ihm aber keiner zuhörte, schickte er nach den Bütteln, auf daß sie den Volkshaufen in seine Ställe zurückwürfen. Sie hatten, so ein Polizeirechtsexperte sehr eindeutig anhand der Handlungspläne u. -berichte, nicht den Auftrag das Volk zu beruhigen, sie sollten es mit allen Mitteln Mores lehren als Strafe für dessen Unbotmäßigkeit. Gleichzeitig demonstrierte der Feiste wilde Entschlossenheit gegen die armen Bäume. Plötzlich krähte völlig deplaciert der Bahnchef, vollkommen von der Rolle, dazwischen, es gäbe kein Demonstrationsrecht gegen die Bahn u. Verträge müßten, komme was da wolle, eingehalten werden, wobei er nicht den über den Atomausstieg meinte, sondern nur einige, die er u. seinesgleichen selektieren. Als ob so nicht schon genug Öl ins Feuer gegossen worden wäre, hielt es auch den Polizeisprecher nicht mehr zurück, er mußte unbedingt die Aggressivität der eigentlich handzahmen jugendlichen Demonstranten beklagen, sehr kläglich. Muß man immer die geistig Minderbemitteltsten vorschicken? Naja, die etwas Klügeren waren wohl unabkömmlich in der Etappe verschwunden. Die Unfähigkeit der Herrschaften hatte seinen Höhepunkt erlangt, da taugten auch Gesprächsbereitschaftserklärungen über die Ausgestaltung der Arbeiten, nicht über den Sinn des Projektes, nicht mehr zur Manipulation. Die Stunde des Vermittlers von außen hatte geschlagen.
    Und dann kam das für mich völlig Überraschende: Der Bundesinnenminister kündigte keinesfalls die Prüfung mutmaßlicher Verstöße der Polizei gegen das Grundgesetz, sondern die Rache an den Demonstranten an. Nach seinem Willen sollen Teilnehmer, die sich der Festnahme widersetzen, also flüchten, von Gefängnis bis zu 3 Jahren bedroht werden, unabhängig von Schuld oder Nichtschuld. Geht es noch infamer? Wir werden es erfahren. Bedeuten würde dies, daß der Polizei die Kesseltaktik als Grundsatz präsentiert wird. Die Demonstrationen, egal ob genehmigt oder nicht, friedlich oder nicht, werden durch Kesselbildung, die nach einschlägigen Erfahrungen den Betroffenen stundenlanges Verharren im befohlenen Raum ohne jegliche Versorgung abverlangt, „aufgelöst“, Deeskalation war gestern. Logischerweise werden immer einige nicht mitmachen u. bei nächster Gelegenheit verschwinden. Die Polizei hat so ihre Täter, die Dokumentation ermöglicht deren Verfolgung. Ermittlungen u. Strafnachweis entfallen, es wird auf Festnahmeentzug, der leicht beweisbar ist, abgestellt. Dabei kommt zustatten, daß mit einer Selbststellung der Täter nicht zu rechnen ist, vielleicht straferschwerend. Vielleicht kann man so auch die Demo-Organisatoren zur Kasse bitten, ich halte das für möglich, wird dann wohl mal getestet werden. Das Gegen-Demo-Fließband wäre installiert.
    Dem jetzigen Innenminister traue ich zu, diese Praxis dann als „Erleichterung der Polizeiarbeit“ u. „kostensparend“ zu verkaufen. Er hat seine Stellung mit der eigentlich strafwürdigen Vernichtung von Ermittlungsakten im kriminellen sächsischen Obrigkeitssumpf erworben, er hat die jetzt gefragte Skrupellosigkeit. Da hätte sein Vorgänger nicht mithalten können, er hat nur die ominösen 100 T DM am Hals, das befähigt ihn bestenfalls zum Finanzminister. Hat das was mit Stuttgart 21 zu tun? Tatsächlich nicht, aber eigentlich schon.
    Noch verwirrter macht mich, daß hier eine schmutzige Chose gegen fundamentale Bürgerrechte abläuft u. ich keinen Aufschrei derer, die sich Demokraten nennen, hören kann. Es wird diesmal mit deren Abbau an dieser Stelle klappen. Hätte ich wirklich nicht gedacht.

  20. Helge Jürgs sagt:


    Theater darf, wenn es uns mit Wahrhaftigkeit aufspielt, eine freudvolle, weil nur simulierte, Vorhölle genannt werden: Albträume sind im Theater für ein paar Stunden zum Fest erhoben, und wir haben uns fürs Fest zurechtgemacht, weil es etwas Besonderes ist, für diese paar Stunden mitzuspielen, also in Geist und Gemüt so zu tun, wir könnten – das Nichtige sehend und aus dem Bösen lernend – bessere Menschen sein, uns angestoßen fühlen fürs Schöne und Gute. Bis der Vorhang wieder fällt, zwiefach: auf der Bühne und in uns. Wir bleiben die Alten. Aber seltsam: Obwohl die Wirkungslosigkeit der Kunst absolut nichts Neues ist, stieß sie, so mein Eindruck, in dieser Premiere besonders aufdringlich zu. Weil besonders auffiel, was ein Symptom derzeitigen Theaters ist: Etwas kann auf der Bühne noch so spiegelbildlich hart, abstoßend, erbärmlich, hilflos, erschütternd gezeigt werden – kaum endet eine Aufführung, so zerjuchzt und zerquickt ein claqeurhaft anmutender Jubelchor jedes mögliche Sekündchen Besinnung. Als sei die Hingabe an den ernsten Moment, an wahre Aneignung tabu geworden. Das Können, das sich sehen lässt, stimuliert die Eitelkeit des Publikums, kreischend von sich hören zu lassen. An diesem Abend schien’s mir so blöd wie selten.

    Hans-Dieter Schütt in einer (sehr positiven) ND-Rezension zu Stephan Kimmigs Inszenierung von Maxim Gorkis »Kinder der Sonne« am Deutschen Theater Berlin

  21. H. Wilkow sagt:

    Auch wenn ich den Zusammenhang des Goethe-Zitats von Wolfgang Kost mit der Ausgabe Nr. 19 nicht verstehe, möchte ich doch auch einen “Klassiker” zitieren. Anlass ist mir dafür all das, was sich mit der neuerlichen Gesundheitsreform verbindet, das Zitat ist aber wohl doch sehr viel allgemeingültiger.

    “Nichts ist gefährlicher als der Einfluß der Privatinteressen in die öffentlichen Angelegenheiten, und der Mißbrauch der Gesetze von seiten der Regierung ist ein geringeres Übel als die Verdorbenheit des Gesetzgebers, die die unausbleibliche Folge einer Berücksichtigung der Privatabsichten ist.”

    Aus: Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag

  22. Wolfgang Kost sagt:

    Zur aktuellen Ausgabe des Blättchens ist mir eine Goethescher Aphorismus in den Sinn gekommen, den ich nicht unpassend finde:

    “Es ist schon bald zwanzig Jahre her, daß die Deutschen sämtlich transzendieren.Wenn sie es einmal gewahr werden, müssen sie sich wunderlich vorkommen.”

    Zumal:

    “Es gibt viele Menschen, die sich einbilden, was sie erfahren, das verstünden sie auch”.

    (auch Goethe)

    Freundliche Grüße,
    W. Kost

  23. Helge Jürgs sagt:

    Fein beobachtet
    (Aus einer Kolumne von Brigitte Fehrle in der heutigen Berliner Zeitung)

    … Die kollektive Bürgerbeschimpfung verletzt den Bürgerstolz. Bürgerstolz aber gehört auch zu dem Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Es ist die Mitte, die sich in Stuttgart artikuliert, auch die Mittelschicht, deren Schwinden von der Regierung sonst beklagt wird. Wenn dieses Drittel der Gesellschaft aber in den Augen der Regierung wohlstandsverwöhnte Fortschrittsfeinde sind, und die Armen, das andere Drittel, in dem Ruf stehen, der spätrömischen Dekadenz zu frönen, dann scheint der Zeitpunkt gekommen zu sein, an dem sich die Regierung ein neues Volk wählen sollte.

  24. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea VI

    1. Klartext
    Unter genannter Überschrift erschien in der „Berliner Zeitung“ vom 4. Oktober 2010 auf Seite 24 ein Text von „Fritz Schumann, 20 Jahre“. Seine These: Das Verbot von Nazi-Werken sei überholt. Seine Argumentation: Der Roehler-Film über den Harlan-Film mache auf das Defizit aufmerksam, dass Verbote von NS-Kunst nichts bewirkt haben. „Man befürchtet bei diesen Werken“, so der Autor, „weiterhin ein gewisses Verblendungspotenzial (übrigens: Potential!), vor dem man vor allem Jugendliche schützen möchte.“ Da „in anderen Ländern“ „gelassener“ mit Nazi-Werken umgegangen werde, sollte man „auch in Deutschland überlegen, Werke aus der NS-Zeit zur öffentlichen Verfügung zu stellen, so dass jeder mündige Bürger sich selbst eine Meinung bilden kann.“
    Soviel Unsinn in so wenigen Zeilen. Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll, werde es aber kurz machen:
    a) Zum letzten Mal: Der Harlan-Film „Jud Süß“ ist nicht verboten. Es ist überhaupt kein Nazi-Film verboten. Von ca. 1200 Spielfilmen zwischen 1933 bis 1945 sind ganze 60 (!) von den Alliierten 1945 mit einem Vorbehalt versehen worden. Der Vorbehalt sagt: Zeigen ja, aber nur mit Einführung. Seit 1952 ist im deutschen Fernsehen, Ost wie West, mindestens die Hälfte der 1200 wieder ausgestrahlt worden, vielfach mehrmals. Da kann man schwer davon sprechen, es sei nichts bekannt (vom Bildträger-Markt ganz zu schweigen).
    b) Es gibt bei der NS-Kunst in der Regel kein Verblendungspotential. Nahezu jedes Kunstprodukt der Nazis ist eine Mischung aus Kitsch und Tod. Diese Botschaft kommt immer wieder sehr deutlich zum Ausdruck – Nazi-Bilder lügen nicht, sie meinen es so. Ziel der Veranstaltung war die Konditionierung einer Herrenrasse für die Weltherrschaft.
    c) Man kann über die „unbefangene“ Offenlegung von NS-Werken erst dann reden, wenn die gesellschaftlichen Grundlagen, die den Faschismus möglich machten, beseitigt sind. Dann wird sich erweisen, wie ästhetisch ärmlich sich das alles ausnahm. Das Interesse am Nazikitsch speist sich heute weniger aus einer vermeintlich früheren Tabuisierung, die es gar nicht gab, sondern aus der kulturellen Ratlosigkeit der Gegenwart, die den Zumutungen der Jetztzeit nicht den Hauch einer fortschrittlichen Zukunftsperspektive zu verleihen vermag.
    d) Eine menschlichere Epoche als die heutige wird in ihrer ersten Amtshandlung den Status der NS-Gewerke festlegen müssen. Diese werden niedrig hängen. Man kann natürlich versuchen, auf dem Reichssportfeld Plastiken von Breker und Thorak in den Lichtdom Albert Speers zu platzieren. Oder in der Germania-Kuppel Sinfonien von Richard Strauss spielen, im daneben liegenden Technotempel auf Leinwand ein Harlan-Liebeneiner-Riefenstahl-Potpourri ohne Ton laufen lassen sowie eine öffentliche Lesung aus den Goebbels-Tagebüchern arrangieren. Was wäre damit erreicht? Nichts zur Erklärung der NS-Vergangenheit. Warum informiert man sich nicht stattdessen in den Werken von Kraus, Lukács, Pasolini u.v.a. über die Gefahren des historischen Faschismus, der als integrierter bevorzugt und aktualisiert so unbefangen wie möglich ohne die braunen Verkleidungen auskommen kann? Und warum plädiert keiner für die öffentliche Aufführung antifaschistischer Kunst?
    e) Zur Meinungsbildung des mündigen Bürgers ist zu sagen, dass erstens Meinung nicht gleich Wissen ist und zweitens Mündigkeit ein solides Maß an Selbstbewusstsein voraussetzt, das von einer Gesellschaft gepflegt werden sollte, die auch möchte, dass Aufklärung und Vernunft die beherrschenden Kriterien der Geistesbildung sind. Es muss befremden, dass der Klartextautor 20 Jahre alt ist.

    2. Sprachlehre III
    Kann jemand den folgenden Satz in Sinn und Geist zurückübersetzen? „Ja, das flasht mich retro.“ Aus dem Wunsch Lichtenbergs, es möge eine Grammatik geben, die so streng wäre, dass sie den Ausdruck von Unwahrheiten von vornherein ausschlösse, ist eine Sprache geworden, die nicht mehr weiß, was eine Wahrheit sein könnte.

  25. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea V

    1. Sprachlehre II
    Dass der Zustand des Geistes und der des Ausdrucks sich in den allermeisten Fällen in Übereinstimmung befinden, ist eine Binsenweisheit. Ebenso der kluge Satz, dass ein klarer Stil den klaren Gedanken offenbart und natürlich umgekehrt. Zur Zementierung dieser deutlichen Einsicht ergab sich in konkret Hamburg, Heft 10/2010, Literaturbeilage Seite 7, das Folgende:
    „Der ganze Seepark, Schilf, Wege und Geschöpfe, schlief tief, bis auf ein paar Enten und einen Rentner mit einem Dalmatiner an der langen Leine, der sein Tier in unsicherem Freiburger Alemannisch zurechtwies (‚Bobbi, nit! Gehsch du nit da hin, pfui!’). Ich war in dickster Dunkelheit mit dem Fahrrad vom Fluß her quer durch Betzenhausen zum Park gefahren; in vielen der blitzsauberen Eigenheime links und rechts vom Kopfsteinpflaster leuchtete es da schon aus Fenstern.“
    Aha. Es ist Morgen. Das geht zwar nur aus dem Zeitwort „schon“ hervor, aber immerhin. Was leuchtet aus Fenstern? „Es“. Anzunehmen ist eine Lichtquelle. Was könnte sonst noch leuchten? Die Dunkelheit erscheint hier „dick“. Das geht nun sprachlich beim besten Willen nicht. Selbst Nebel wäre nicht dick, sondern dicht. Tiefste Dunkelheit ist möglich, wirkt hier aber offenkundig zu prosaisch, zumal der Superlativ an dieser Stelle fehl am Platze ist. Also: „Dickste Dunkelheit“. Das „unsichere Freiburger Alemannisch“ erspare ich mir und komme rückwirkend zum Auftakt. „Der ganze Seepark… schlief…“ Lag still!, möchte man ausrufen, und gleich die ganze Einfügung wegjagen, denn: Geschöpfe können zwar schlafen (Mehrzahl), Schilf und Wege nun jedoch ganz bestimmt nicht, das Erstere kann still stehen, das Zweite bleibt, sowohl vom Schlaf als auch von der Dunkelheit, unberührt.
    Der Ich-Erzähler, so geht die Geschichte weiter, trifft dann im Morgengrauen einen Neurobiologen aus Edinburgh, der ihm nachweist, dass bei höchster kommunikativer Vernetzung alle mit allen über gar nichts mehr reden und dass auch er, der Autor, sich mit seinen Veröffentlichungen dem Nichts unausweichlich annähert, bis er selbiges erreicht. Ist es wirklich nötig, zur Illustration einer sachlichen Nichtigkeit eine grammatikalische voranzustellen? Der Autor ist Dietmar Dath.

    2. Faktenlehre II
    Nachschlag zur 20-Jahr-Feier. Aus einem Brief des Dramatikers Peter Hacks an den Historiker Kurt Gossweiler vom 9. März 1998:
    „Für Ihre wichtigste Nachricht halte ich eine These, die Sie gar nicht aufstellen, die ich aber aus Ihnen extrapoliere und das Gossweilersche Gesetz nennen will. Es lautet: Jede kommunistische Bewegung zu jeder Zeit seit 1848 ist zu einem etwa konstanten Anteil mit Kräften durchsetzt, denen die ganze Sache zu anstrengend ist und die potentiell bereit sind, die Friedensangebote, die die Bourgeoisie ihnen macht, wohlwollend zu prüfen.“
    Ist eigentlich schon aufgefallen, dass der ganze Aufwand von Bestechung, Korruption, Verlockung, wissenschaftlichem Nachweis, religiöser Weihe, technischer Überlegenheit und nicht zuletzt politisch-ideologischem Angriff es nicht vermochte, die staatssozialistischen Systeme zur Kapitulation zu zwingen? Ist nicht frappierend, dass sich die Überlegenheit der ersten Vorstufe des Kommunismus selbst in ihrem Abgang manifestierte, als nämlich auf Gewalt verzichtet wurde? (Man wird hingegen den welthistorischen Niedergang des Kapitals keinesfalls gewaltfrei erleben.) Und ist es nicht merkwürdig genug, wie geräusch- und reibungslos eine Gesellschaft zum Abtritt gezwungen wurde, deren Mitglieder, die mehrheitlich nicht an den obersten Schalthebeln der Macht saßen, sehr genau die Vor- und Nachteile des Lebens in ihr abwägen konnten?
    Die Abschaffung auf Raten kam von innen her, aus dem Zentrum der Macht. Ich werde das nachweisen müssen und bitte um Geduld.

  26. Noli sagt:

    Selbstreflexion

    Auch ich Blättchen-Leser und gelegentlicher Debatten-Autor halte mich zumindest für hinreichend im Stoff stehend, um gelegentlich eine Meinung von mir zu geben. Das soll auch so bleiben! Allerdings war mir dieser Tage ein Beitrag in der FAZ (Rolf Dobelli, Warum vermutlich auch Sie Ihr Wissen systematisch überschätzen, FAZ, 20.09.2010) Anlass zur Selbstreflexion. Darin hieß es, wissenschaftliche Untersuchungen hätten ergeben, dass Menschen im Hinblick auf ihr eigenes Wissen praktisch durchweg am Overconfidence-Effekt litten – also an Selbstüberschätzung.

    Wie meine anschließende Selbstreflexion ausgefallen ist, will ich zwar für mich behalten, da mir jeglicher Exhibitionismus abgeht, aber ich will zumindest verraten, dass mir die folgende Passage im genannten Beitrag denn doch zum Trost gereichte: „Wirklich überraschend ist Folgendes: Experten leiden noch stärker am Selbstüberschätzungseffekt als Nichtexperten. Ein Ökonomieprofessor liegt bei einer Fünfjahresschätzung der Entwicklung des Ölpreises genau so falsch wie ein Laie. Nur tut der Professor es mit einer ungeheuren Selbstüberschätzung.“

  27. Herbert Wilkow sagt:

    Lieber Herr Kannapin,

    zunächst Danke für die Bereicherung dieses Forums durch Ihre Miscellanea, ich schätze das sehr, bitte setzen Sie das fort.

    Einen Einwand zu einem Ihrer jüngsten Texte hätte ich denn aber doch.
    “Zur Entschlüsselung der Herrschaftsstruktur des Faschismus”, schreiben Sie, ” ist es immer noch zwingend notwendig, die imperialistischen Produktionsverhältnisse kennenzulernen, die zum Zweiten Weltkrieg, zu Auschwitz und zur Verhinderung des Sozialismus im Weltmaßstab geführt haben.”

    Das ist nun sicher unstrittig, aber genügt das? Oder bleibt nicht doch auch etwas “Unerklärliches” (was es natürlich nicht ist, denn auch psychologische wie anthropologische Faktoren sind letztlich erklärbar). Denn wenn die Ableitung aus den Produktionsverhältnissen genügen würde – wie würden Sie dann die Millionen Opfer des Stalinismus oder eines Pol-Pot-Kommunismus erklären wollen? (Was übrigens die Verhinderung des “Sozialismus im Weltmaßstab” durch die imperialistischen Produktionsverhältnisse betrifft, so sollte dieses Anliegen des Kapitalismus gegenüber einer Kraft, die ihn abschaffen will – “Auf zum letzten Gefecht” – nun eigentlich nicht überraschen, aber das nur am Rande.)

    Ich finde, wir sollten aus der (auch jüngeren) Geschichte gelernt haben, daß die Reduktion des Menschen als Produkt von Klassenverhältnissen auch dann nicht genügt, wenn diese als Basiserklärung taugt. Ein wenig mehr ist der Mensch als Individuum aber woghl doch; “Unerklärliches” eingeschlossen.

    Aber ich kann mich natürlich auch irren.

    Freundliche Grüße,
    H. Wilkow

    • Ines Fritz sagt:

      Lieber Herr Wilkow,

      mit Ihrem “ganzheitlichen” Ansatz, also einer kritischen Betrachtung der Verhältnisse über die Produktionsverhältnisse hinaus, liegen Sie mit Frigga Haug und Regina Stosch auf einer Linie, ND vom 13.09.2010; thematisch zur Kritik des unvollständigen Programmentwurf der Linskpartei:

      “Kapitalismuskritik bleibt unvollständig, ohne die Bedeutung der Geschlechterverhältnisse für die Beständigkeit des Systems herauszuarbeiten. Geschlechterverhältnisse sind als Produktionsverhältnisse Voraussetzung für die Kapitalverwertung. Sie bestimmen »Fragen von Arbeitsteilung, Herrschaft, Ausbeutung, Ideologie, Politik, Recht, Religion, Moral, Sexualität, Körper, Sprache … Daher kann im Grunde kein Bereich sinnvoll untersucht werden, ohne die Weise, wie Geschlechterverhältnisse formen und geformt werden, mit zu erforschen.« (Frigga Haug in: Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, 2001)

      Produktion und Reproduktion sind miteinander verzahnt. »So wird ein feministisches Projekt einer Linken heute nicht bei der Gleichstellung der Geschlechter in der schlecht verwalteten und barbarischen Gesellschaft beginnen, sondern bei der Arbeit als dem menschlichen Stoffwechsel mit der Natur und ihrer Verteilung. Dafür müssen wir als erstes gegen den bornierten Blick streiten, der nur das als Arbeit zählt, was heute in der Form der Lohnarbeit geregelt ist. Alle Arbeit in der Gesellschaft gehört besichtigt und ihre Verteilung gerecht angegangen.« (Frigga Haug, Briefe aus der Ferne, 2010)

      Fragen der Reproduktion einer Gesellschaft als »Frauenfragen« zu betrachten, ist reaktionär. Der Reproduktionsbereich umfasst den privaten Bereich, Kindererziehung, Ernährung, Freizeit, persönliche Beziehungen, Sexualität und nicht zuletzt den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist keine Frauenfrage, sondern eine allgemeine Frage von Produktion und Reproduktion einer Gesellschaft.”

      (Und ich sehe das genauso: Kapitalismuskritik, die sich auf Produktionsverhältnisse fixieren läßt, bleibt unvollständig.)

      Liebe Grüße

      Ines Fritz

  28. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea IV

    1. Sprachlehre
    In M/III/1 ist mir ein Satz unterlaufen, der irritierend wirkt. Dieser Satz lautet: „Wenn jemand sagt, dass diese oder jene Entscheidung ‚nicht hinnehmbar’ sei, meint er oder sie in Wirklichkeit eine von der Entscheidung abweichende Meinung.“ Der Satz selbst ist sinngemäß korrekt, ebenso grammatikalisch. Etwas merkwürdig ist sein Ausdruck. Man könnte die Frage stellen: Seit wann meint er oder sie eine Meinung? (In der verkürzten Fassung wäre jetzt unter Umständen sogar ein Plural angemessen.) Tatsächlich ist es so: Man kann eine Meinung meinen (hier im Sinne von „haben“). Analog zu: Das Sein ist…, z.B. verhängnisvoll (die Bestimmung berechtigt zur Verdopplung). Was nicht ginge, wäre: Es meint oder das meint. Die Identität zwischen Prädikat und Objekt des zitierten Satzes ist eine essentielle, die durch die Sinngebung: er oder sie hat (haben) eine andere Ansicht als das Vorstehende, gerechtfertigt wird. Hingegen: Die passive Form ist grammatikalisch ausgeschlossen. Eine Unbestimmtheit oder ein Neutrum können keine auf etwas gerichtete Aussage treffen. Um aber alle Missverständnisse auszuräumen und den Jargon sozialwissenschaftlicher Proseminaristik zu unterlassen, ändere ich den Satz in: „Wenn jemand sagt, dass diese oder jene Entscheidung ‚nicht hinnehmbar’ sei, artikuliert er oder sie in Wirklichkeit eine von der Entscheidung abweichende Meinung.“

    2. Faktenlehre
    In einigen deutschen Zeitungen wurde aus Anlass des letzten Roehler-Films behauptet, Veit Harlans „Jud Süß“ von 1940 sei in der BRD für öffentliche Aufführungen verboten, weswegen die „Auseinandersetzung“ geführt werden müsse. Richtig ist: Der Film von Harlan steht auf einer durch die heutige Gesetzgebung bestätigten Liste von über 50 NS-Vorbehaltsfilmen, die nur gezeigt werden dürfen, wenn der Vorführung eine den Kontext erläuternde Einführung vorangestellt wird. Die Vorbehaltsliste wurde 1945 von den Alliierten dekretiert, um zu verhindern, dass volksverhetzendes, menschenfeindliches, rassistisches und kriegstreibendes Gedankengut weiterhin vermittels Film transportiert wird. Ich wüsste nicht, was daran bedenklich ist. Vielmehr: Sollte man nicht froh sein, wenn historische Filme kompetent erläutert werden, damit die nachfolgenden Generationen überhaupt einen Schimmer davon bekommen, was eigentlich durch Film einst möglich war? Da es in den letzten Jahren immer mal wieder Sondervorführungen von „Jud Süß“ gegeben hat, ist eine Unkenntnis des Films im Prinzip ausgeschlossen. Dieses Faktum hat sich im deutschen Feuilleton offenbar nicht durchsetzen können. Ich halte abschließend fest: Marian und Harlan sind (neben ganz vielen anderen) durch ihre wissentliche und willige filmästhetische Ausgestaltung des Antisemitismus NS-Täter sui generis.

  29. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea III

    1. „Nicht hinnehmbar“
    Eine Floskel aus Politik und Journalismus, die mehr über das Zeitalter aussagt, als viele lange Ausführungen und Ausflüchte. Wenn jemand sagt, dass diese oder jene Entscheidung „nicht hinnehmbar“ sei, meint er oder sie in Wirklichkeit eine von der Entscheidung abweichende Meinung. Der Unterschied ist nur, dass suggeriert wird, tatsächlich nicht hingenommen zu haben, um sogleich zu verändern. Hierfür muss man aber auch die Kraft und die Macht haben. Sich hinzustellen und zu sagen, etwas sei „nicht hinnehmbar“, ohne dem Übel wirksam zu Leibe rücken zu können, ist schlimmer als zu verkünden, man könne nichts machen.
    Bereits Hegel wusste, dass die Beschränktheit des überkommenen Lebens nur dann überwunden wird, wenn das Bessere schon im Begriff ist, Macht zu erhalten. Das ist ja offensichtlich nicht der Fall. Somit sollten alle genau abwägen, mit welchen Worten welche Sachverhalte kritisiert werden. Und insofern ist die Wortwahl alles andere als unschuldig. „Abgründe dort sehen zu lehren“, riet Karl Kraus 1932, „wo Gemeinplätze sind – das wäre die pädagogische Aufgabe an einer in Sünden erwachsenen Nation; wäre Erlösung der Lebensgüter aus den Banden des Journalismus und aus den Fängen der Politik. Geistig beschäftigt sein – mehr durch die Sprache gewährt als von allen Wissenschaften, die sich ihrer bedienen – ist jene Erschwerung des Lebens, die andere Lasten erleichtert.“

    2. „Gefahren der Verführung“
    Dass das deutsche Feuilleton sich weigert, dieses Kraussche Gesetz auch nur zur Kenntnis zu nehmen, ist seit langem bekannt. Besonders irrlichternd wird der Schreibzirkel in Sachen NS-Kultur. Die für die Gegenwart spannende Frage kann auf diesem Gebiet doch nur lauten, was an den damals herrschenden Verhältnissen heute noch normal erscheint. Und das ist bestimmt nicht das Hakenkreuz.
    Angesichts der Reproduktion des deutschen Antisemitismus im Kino mittels des frisierten biographischen Abschnitts zum österreichischen Schauspieler Ferdinand Marian, der fakultativ-obligatorisch die Hauptrolle in Veit Harlans Film „Jud Süß“ von 1940 übernahm, fällt der Kritik im deutschen Zeitungswesen nur ein, dass das alles schlimm war, aber inzwischen ohne Belang zu sein scheint. Da ist von „Gefahren der Verführung“ die Rede, die „Mephisto nur zu gut kennt“. Welcher ist denn gemeint? Der Leibhaftige selber, die Hauptfigur aus „Faust“, die aus Klaus Manns Roman, die aus Istvan Szabos Film oder der ganz Andere, der in jedem von uns steckt? Das ursprünglich Böse, vermutlich dem Buch Hiob entsprungen, hat schließlich, so muss man den Spalten glauben, auch den Faschismus erzeugt. Wie weit Unwissenheit plus Geschwätzigkeit mittlerweile reichen, veranschaulicht eine sozialistische Tageszeitung, die behauptet, weder Marian noch Harlan seien Nazis gewesen. Dieses Blatt schließt gewagt und grammatikalisch auf dünnem Eis: „Ein schwieriges Thema, das man nicht so kunstgewerblich, wie bei Roehler geschehen, behandeln darf.“ Da kann man nur gratulieren für soviel Scharfsinn. Und Machern wie Lesern deutscher Kultur sei erneut anempfohlen, freischwebende und obskure Verallgemeinerungen doch lieber zu meiden, um mit sprachlicher Genauigkeit den Fanatismus zu verhindern, der die Gefühle mit verworrenen Schlagworten beherrscht.

    3. Das Exempel
    Um nicht ganz mit leeren Händen dazustehen, hier der vollständige Text meiner Rezension zu „Jud Süß – Film ohne Gewissen“. Eine erste Fassung erschien stark gekürzt und um die Hauptaussagen beschnitten in der März/April-Ausgabe 2010 der Zeitschrift „antifa“. Der ursprüngliche Text wurde nochmals am 14. September 2010 den Redaktionen der „jungen Welt“ und des „Neuen Deutschland“, am 15. September 2010 der Redaktion von „Jungle World“ zum Abdruck angeboten. Alle drei Organe hielten es nicht für nötig, auch nur eine kurze Ablehnungsnotiz zurückzusenden.

    Das Wesen des Kleinbürgertums.
    Wie ein Film zur Selbstentlarvung einer Klasse beiträgt

    Der Faschismus, namentlich der deutsche, war bekanntlich die zeitweise, staatlich sanktionierte Übergabe der Regierungsgewalt aus den Händen der Bourgeoisie in die Hände des Kleinbürgertums. Zur Entschlüsselung der Herrschaftsstruktur des Faschismus ist es immer noch zwingend notwendig, die imperialistischen Produktionsverhältnisse kennenzulernen, die zum Zweiten Weltkrieg, zu Auschwitz und zur Verhinderung des Sozialismus im Weltmaßstab geführt haben.
    Soweit – so mühselig. Wenn man das nicht will, verlegt man sich auf Nebenschauplätze, spricht diese groß bis zur Monstrosität und legt die Platte der Unerklärbarkeit auf. Wie weit die deutsche Gesellschaft damit im Jahre 2010 erneut vorangekommen ist, beweist einmal mehr ein Film. Schließlich ist der Film, dem Diktum Siegfried Kracauers folgend, nach wie vor ein „Spiegel der bestehenden Gesellschaft“. Und in schöner, oder besser: brutaler Zementierung des Grundsatzes, wer worüber nicht reden will, sollte auch darüber schweigen, präsentiert uns die Filmkultur des Landes in beinahe karnevalistischer Regelmäßigkeit, was das Verschweigen systematischer historischer Zusammenhänge mit der Gegenwart zu tun hat und warum diverse Produkte filmischer Unmittelbarkeit auf diejenigen taghell scheinen, die der Meinung sind, beim Dabeigewesensein von „Erdballgegnern“ (Peter Hacks) unbedingt eine Kamera draufhalten zu müssen.
    Der österreichische Schauspieler Ferdinand Marian (1902-1946) wurde 1939/40 mit der Titelrolle des Veit-Harlan-Großfilms „Jud Süß“ betraut. Er lehnte nicht ab, rang aber mit sich vor, während und nach den Dreharbeiten, sah offenbar nicht oder zu spät, worauf er sich da einließ und zerbrach. Immerhin handelte es sich bei dem Film um die Legitimation der Vernichtung der europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg durch Deutschland in historischem Kostüm. Im Jahre 2000 notierte der Filmhistoriker Friedrich Knilli sehr einfühlsam-kumpelhaft die Geschichte von „Ferdl“ Marian, alias „Jud Süß Oppenheimer“, und sprach ihn von fast jeglicher Schuld frei. Knillis Buch inspirierte, warum auch immer, den Filmregisseur Oskar Roehler zur Filmnotierung des Schicksals von Marian. Kaum erstaunlich, dass nun auch jener Film „Jud Süß – Film ohne Gewissen“, immerhin eben noch im Wettbewerb der 60. Berlinale, uns das ewig junge Märchen des getriebenen Nur-Schauspielers in den Klauen finsterer Mächte auftischt.
    Das Ganze wäre wirklich nicht der Rede wert, wenn sich nicht mit der Art der Unbewältigung des Stoffes durch penetrante Unmittelbarkeit eine neue Qualität der Sichtweise auf den Faschismus ergibt, die Speer und Fest in den Schatten stellt, eine antifaschistische Kritik á la Friedländer oder Seeßlen allerdings auch souverän ins Leere laufen lässt. Man könnte mit einigem Recht dem Film viele gemeine Etiketten anpappen, von Verdikten wie, Roehlers Film wäre mindestens grob fahrlässig und ahistorisch und kitschig, bis hin zu den Holzhämmern, er wäre selber protofaschistisch oder latent antisemitisch. Aber was würde das bringen? Leider gar nichts. Selbst wenn das alles stimmen würde, und ich fürchte sogar, eine auch nur oberflächliche Analyse käme zu genau diesem eineindeutigen Urteil, dann ist immer noch nicht klar, wieso so ein Film heute gedreht werden muss, warum er so gedreht werden muss, wie er gedreht wurde und was uns das alles für die Jetztzeit sagt.
    Kurzum: Der geschichtliche Ablauf der Entstehung und Aufführung von „Jud Süß“ ist im Wesentlichen korrekt dargestellt – mehr kann von einem Film im abstrakten Sinne nicht verlangt werden. (Es ist ja sogar deutlich geworden, dass Veit Harlan der „barocke Faschist“ war, als den ihn Karsten Witte 1980 zutreffend bezeichnete, späteren Freisprechanlagen ins Stammbuch). Die Attitüde des Dabeiseins macht aus dem Film auf der beschreibenden Ebene ein Machwerk, das in einigen Momenten selbst den „0,1%-Film“ „Der Untergang“ von 2004 toppt. Die unreflektierte Wiedergabe von nachgestellten und originalen Szenen aus dem Harlan-Film verrät eine heimliche Faszination am Lynchen, Greulen, Brennen („Tut nichts, der Jude wird verbrannt.“ / „Der Jude muss weg!“ usw.), die pädagogisch billig, wenigstens jedoch wohlmeinend einfach durch die Einblendung von Leichenbergen aus den befreiten Vernichtungslagern hätte gebrochen werden können. Da dies unterbleibt, erweist sich einmal mehr nach Georg Seeßlen das faschistische Bild als dominant gegenüber dem Bild vom Faschismus. Sexualphantasien in Verbindung mit Morbidität schließen dann den Kreis einer Dekadenzgesellschaft, die am Spiel der Großen beteiligt werden wollte, das Morden aber übertrieb und dadurch, trotz Verzwitterung in den Grundfesten, der Effektivität und vor allem der Geräuschlosigkeit des kapitalistischen Todes zuwiderlief.
    „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ ist Ausdruck und Spiegel zugleich in der Vorstellung des Kleinbürgertums von seiner eigenen Herrschaft. Man möchte ihn als obligatorischen Anschauungsunterricht ex negativo für die Jahrgänge der mittleren Reife in der Schule anpreisen. Begründung: In diesem Film kann man erstens sehen, wie das Kleinbürgertum sich sein Bild vom Faschismus schafft, das hier nur noch um den selbstzerstörerischen Mikrokosmos des Egomanentums kreist, welches zwangsläufige Opfer als „Abrieb“ für ein „endlich anständiges Leben“ (frei nach Göring im Hauptkriegsverbrecherprozeß von Nürnberg 1946) einstuft. Zweitens ist erkennbar, dass das Wesen des Kleinbürgertums in der Verkörperung eines strukturell notwendigen Anhängsels des Kapitals besteht, nämlich in dem auf Gedeih und Verderb zur geführten Führerrolle verdammten und verstümmelten Charakter in Betrieb, Staat und Privatsphäre. Wenn es das Kleinbürgertum nicht geben würde, hätten es die Kapitalbesitzer erfinden müssen – zwecks Ausführung der Drecksarbeit, Vortäuschung falscher Tatsachen, Verwechslung von gesellschaftlichen Ansprüchen mit Individualinteressen sowie der geräumigen Ausblendung historischer Kontexte.
    Mit George Grosz gesprochen: Da sind Leute am Werk, die an keine Zukunft glauben und sie dennoch bestimmen wollen. Somit ist dann auch der Übergang zur Gegenwart erreicht. Einen derartigen Film so zu drehen wie vorliegend kann man nur, wenn man zum einen mit dem unumstößlichen Bewusstsein von der Ewigkeitsherrschaft des Kapitals ausgestattet ist, das uns „Gewissenlosigkeit“ als Archetypus menschlicher Verhaltensweisen verkauft, weswegen Faschismus immer möglich ist. Zum anderen verraten die Filmemacher mit ihrer Sichtweise unfreiwillig die Kontinuität einer Gesellschaftsformation, die sich mittlerweile auf so ziemlich allen Gebieten als dermaßen verantwortungslos zeigt, dass es unmöglich ist, sie zu verteidigen.
    Die neue Qualität des Films ist eine Form der ahnungsvollen Assoziation, nach der es ausreicht, das polnische Ortsschild von Auschwitz einzublenden, und dann wisse man schon. Man weiß es eben nicht, nicht ursächlich. Unter normalen Umständen wäre mir sofort ein produktives Gegenstück im Spielfilmbereich eingefallen. Warum komme ich nur immer wieder auf den Dokumentarfilm „Nacht und Nebel“?
    Jud Süß – Film ohne Gewissen, BRD 2010, Regie: Oskar Roehler, Länge: 116 min., Farbe, Darsteller: bekannt, Kinostart am 23. September 2010.

    • Richard Albrecht sagt:

      Lieber Dr Kannapin:

      Ihre grundlegende Kritik an spätimperia(listisch)er Ideologie (UK Juli/Aug. 2008) erinnere ich.

      Hier freilich könnten Sie in Ihren Ausführungen etwas doppelt verwechseln: Formal den Ort und material die Dimension.

      Auf der Ebene der Einzelheit – Beispiel Medien-Chiffre “nicht hinnehmbar” (Kohls Mädchen), Kohl selbst sprach weiland meist von “unakzeptabel” – ist das Grundproblem m.E. weder theoretisch analysierbar noch praktisch lösbar. Und wie im Justizfeld gibt’s auch im Große-Medien-Bereich das, was – im Doppelsinn – als
      DER SCHEIN BESTIMMT DAS BEWUSSTSEIN gilt: Wie dort mit “Gerechtigkeit” gespielt wird, so hier mit (Meinungs/Publikations)-“Freiheit”:
      Es eben nicht bloße „Reduktion von Komplexität“ à la Luhmann über Info-Selektion/Auswahl, sondern nachhaltige – strategische – bewußte – großmediale Konformitätsproduktion.

      Mein 1986 verstorbener Genosse/Kollege Reinhard Opitz nannte was abläuft (1974) BEWUSSTSEINSFALSIFIKATION. Ich nenns im letzten Buch SUCHLINGE (2008) VERKEHRUNG.

      Dazu (auch von mir) nächstens mehr. Aber nicht hier …

      best;-)

      Richard Albrecht

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Lieber Detlef Kannapin,
      inzwischen scheint ja leider Gottes wieder viel Mut nötig zu sein, um laut zu sagen, daß der Kaiser nackt ist. Sie haben’s gesagt und das ist gut so. Da köchelt tatsächlich unter dem Deckmantel von “Aufklärung” und “Auseinandersetzung mit …” eine braune Brühe auf, die wenig mit den Glatzen und Schlagetoterichen, gegen die zu Recht die Straßen und Plätze blockiert werden, zu tun hat – aber viel mehr mit der selbsternannten “Mitte der Gesellschaft”. Nun stelle man sich einmal den “Sarrazin-Debatten”-Verlauf vor, wenn dem nicht das Ding mit dem jüdischen Gen rausgerutscht wäre! Nichts wäre an dessen ominösen präfaschistischen Sprüchen anders gewesen, nur die Aufregung der “politischen Klasse” hätte sich stärker in Grenzen gehalten.

  30. Paul sagt:

    Lieber Herr Lapuente,

    entschuldigen Sie meine grobe Unachtsamkeit. Sie sprechen natürlich von Ausspucken, nicht von Anspucken, insofern ist meine Kritik falsch.

    Beste Grüße,
    Paul

  31. Ines Fritz sagt:

    Sehr geehrter Herr Boden,

    diese kluge Ines Fritz ist im richtigen Leben tatsächlich eine Linke und Frau und darum ist es mir eben nicht egal, wie und womit (auch) Antifaschisten ihre Empörung über bestehende Verhältnisse auszudrücken pflegen. Und es bedeutet tatsächlich einen Unterschied, ob man (zBsp) Sarkozy einen ‘doofen Kackarsch’ nennt oder ihn als “hinterfotzig” verunglimpft. Letzteres meint nämlich nicht nur Sarkozy sondern reproduziert und transportiert böse sexistische Vorurteile. Herr de Lapuente möchte in seiner publizistischen Schaffenskraft auf solche “Ausrutscher” leider nicht verzichten und sie finden in einer Häufigkeit statt, die auf Gewohnheit schließen lassen. Dass es Herrn de Lapuente gelingt, für das Blättchen Texte zu schreiben, in denen er nicht (wie oben beschrieben) ‘nebenbei’ gegen Frauen feuert, kann man würdigen, das muß ich aber nicht. Andere Blättchen-Autoren schaffen es dagegen, überhaupt und nirgends sexistisch zu sein. Das finde ich großartig.

    Aber de Lapuentes bestenfalls notdürftig als Antifeminismus getarnter Sexismus gegen Frauen ist Standbild in seiner Selbstdarstellung und Autorendiskografie. Selbst wenn er wie neulich in seinem Blog über Cinti und Roma und Sarkozy schreibt, rutscht ihm dann eben ein “hinterfotzig” mit durch. Und das ist kritikwürdig.

    In der Linken ist so etwas ein NoGo und sicherer Anlaß für ein ausführliches Kritikpapier – auch und gerade unter Antifaschisten. Bei linker Politik geht es nämlich nicht nur um empörte Kritik am Bestehenden und/oder um Solidarität mit Opfern, sondern um Perspektiven, die über das Bestehende, und die berechtigte Kritik daran, hinausweisen. Nur meckern kann ja jeder.

    Wenn aber nun Kapitalismuskritik auf Sexismus nicht verzichten will, dann löst sie kein Problem, sondern begründet ein neues. Antifaschismus, der auf Sexismus zurückgreift, ist darum unglaubwürdig und kontraproduktiv. Wirkungsvoller Antifaschismus braucht eine theoretische Grundlage, er folgt einem Prinzip, und welches soll das sein, das Faschismus bekämpfen will, aber Sexismus ignoriert oder gar toleriert und sich darauf positiv bezieht?

    Liebe Grüße

    Ines Fritz

  32. Markus Boden sagt:

    Sehr geehrte Frau Fritz, sehr geehrter Paul,

    lesen Sie eigentlich, worüber Sie hier polemisieren?
    Bei Lapuente steht kein Wort von „anspucken“, nichts von Feministinnen und Gewalt.
    Ausspucken ist seine Methode der Verächtlichmachung. Daran kann sich doch wahrlich nur stören, wer, wovon Sie doch wohl gänzlich frei sind, Sympathien fürs Faschistoide hegt.
    Was Frau Fritz angeht, will sich mir ohnehin der Verdacht aufdrängen, jene intelligent formulierende und scharf analysierende Autorin unterscheidet sich von der Leserbriefschreiberin, der man all das weniger nachsagen möchte. Dazu gleich ein taktischer Hinweis: Wenn ich jemanden unausstehlich finde, würde ich nicht für ihn, durch Hinweis auf seine Internetseite und Texte, auch noch Reklame machen.
    Besser ist da schon die Methode, ein Textfragment aus dem Zusammenhang zu reißen und dann sinnentstellend darüber herzufallen, wie das mit dem Ausschnitt aus dem Lapuente-Text “de-audito“ geschieht.
    Bei all dem geht eines unter: Lapuent wendet sich polemisch gegen Sarrazin und seinesgleichen. Besteht nun Ihrer beider Anliegen darin, durch Herabwürdigung des Autors von seinem betrachteten Objekt abzulenken? Auch das ein bekanntes Mittel der Gegenpropaganda.
    Während sich Linke gegenseitig beschimpfen, marschieren Faschisten, Rassisten, Neoliberalisten schnurstracks ihrem Ziel entgegen. So etwas sollten Sie bei aller Kritik immer mit ins Kalkül ziehen.

    Herzliche Grüße
    Markus Boden

  33. Paul sagt:

    Lieber Herr Lapuente,

    Schade, dass Sie auf Hass nur eine Antwort kennen: Hass. In dieser ach so unlustig lachenden Welt brauchen wir nicht noch mehr Gesabbere. Aber keine Angst! Zu Tucholskys Zeiten war es nicht besser, sonst würden seine Texte nicht so schön frisch wie gerade geschrieben auch in dieser Zeitschrift erscheinen.
    Auch wenn Sie diesen Artikel nicht als Gewaltaufruf verstanden wissen wollen, Anspucken gilt vor dem Gesetz als Körperverletzung. Körperverletzung ist in jedem Fall Gewalt, dazu rufen Sie auf. Ich frage mich, wer darüber lachen soll.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Paul

  34. zeitgenossin sagt:

    @RedaktionäreInnen
    Kommentar Nr. 198

    Mag sein, daß Frau Ines bisserl überzog. Aber Recht hat sie, wenn sie sagt:

    “Auf Empirie verzichtet Lapuente”

    Und als moderate Kritikerin des L.-Textes, die vermutet, Autor L. weiß intellektuell wenig und kann praktsch noch weniger, fühl ich mich, freundlich gesagt, verhöhnt wenn ich da oben lese:

    “Die Debatte soll ein Ort sein, in dem Leser und Redakteure ins Gespräch kommen, vorzugsweise natürlich über das Blättchen.”

    Also alles Ossie wie damals?

    • Rüdiger Bermann sagt:

      Ach Gottchen, verehrte Zeitgenossin, wenn Sie sich “verhöhnt” fühlen, dann beschäftigen Sie sich doch nicht mit dem Blättchen – von dieser Entscheidung hätten dann wenigstens beide einen Nutzen. “Alles Ossie wie damals” – weist Ihrerseits nicht unbedingt größeres “intellektuelles Wissen” aus, als Sie Lapuente (dessen Texte ich auch nicht besonders mag) zubilligen.

    • ZeitGenossin sagt:

      “Wird gemacht, Scheff!” (Peter Zudeik)

  35. Ines Fritz sagt:

    Liebe Redaktion,

    “Ausgerechnet Lapuente. Im Blättchen!” – das war mein Ausruf, als ich Lapuentes Artikel an prominenter Stelle in der aktuellen Ausgabe sah. Ausgerechnet der. Und auch noch mit dem typischen Stereotypengeleier. Ich fand es einfach nur schwach, aber er hat wengistens Tucholsky zitiert und bemüht sich um eine antifaschistische Position. Immerhin. Seine gestelzten Versuche die Arbeitslosigkeit zu begreifen (“Alle Menschen sind gleich”, Blättchen Nr. 15),

    http://das-blaettchen.de/alle-menschen-sind-gleich/

    um den Unterprivilegierten gegen deren Verhetzung beizustehen, schließen nämlich zu oft die Frauen aus. Emanzipatrische Politik, die alle angeht, sucht man bei ihm vergeblich. Durch Feminismus wird für ihn das männliche zum “anrüchigen” Geschlecht,

    http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/08/das-anruchige-geschlecht.html

    und jeder Versuch, seine Perspektive zu erweitern, wird prompt zum Feminismus verklärt und darum verbannt. Lapuente solidarisiert sich nicht mit Ideen, sondern mit Opfern und seine liebsten Opfer sind männlich. Gegen seine Solidarität kann sich da kein Mann erfolgreich wehren, seine Haltung zu Geschlechterfragen ist reaktionär.

    Herr de Lapuente bespuckt nämlich nicht nur “Faschistoide”, sondern auch Feministinnen wie mich, die er dazu in die gleiche Reihe stellt. Genau in diese Logik (Wer ein Opfer ist, bestimme ich) passt auch sein neuerlicher Erguss, den man einfach gelesen haben muss, um Roberto J. de Lapuente als synonymjonglierenden Schwätzer zu entlarven:

    http://ad-sinistram.blogspot.com/2010/09/de-auditu.html .

    Dieser Artikel auf seinem Blog allerdings, für den Sie Werbung machen, auch wenn Sie unter seinem Namen einen anderen Text abdrucken, ist aber nur unerträglich peinlich:

    “Wiewohl der alltäglich benutzte Missbrauchsbegriff unter bösartigen Vorzeichen verstanden wird, könnte man dem Gebrauch, den es alltäglich gesprochen gar nicht gibt, den es jedoch dialektisch gedacht geben müsste, zuschreiben, nicht böser Absicht zu sein – man meint es gegenteilig vielleicht auch nicht gut: eher vernünftig und zweckmäßig. Dass dabei die kindliche Gemütslage oftmals verkannt, dass kindliche Freiheit eingezäunt wird, rückte den Gebrauch in ein fadenscheiniges Licht. Hier entsteht die Schnittstelle, an der Gebrauch und Missbrauch verquirlen; hier wird der Gebrauch das, was er eigentlich nicht sein sollte: Missbrauch! Kinder, Menschen überhaupt, zu gebrauchen: das ist kein Pendant zum Missbrauch – es ist dasselbe, wenn auch manchmal aus einem anderen Impuls heraus.”

    Damit Lapuentes brüskierende Zumutung einen Sinn ergibt, lässt er eben einfach den Hinweis auf den sexuellen Kontakt (=Missbrauch) weg, den es bei Katharina Rutschky noch gab, um dann eigens das zu diesem Zweck gedachte “Pendant” vom “alltäglichen Gebrauch” damit zu vermengen und wieder zu bestreiten. Ja, geht´s noch? Zum “Missbrauch mit dem Missbrauch” – so wie Rutschky ihre Beobachtungen phrasierte – müssen keine semantischen “Unstimmigkeiten” herausgearbeitet werden und nicht deren “Alltäglichkeit” durchdacht, es ist nur eine verkürzte Phrase eines komplexen Sachverhaltes, eine Überschrift, die Rutschky ausführlich empirisch belegte. Auf Empirie verzichtet Lapuente aber ganz. Der (sexuelle) Gebrauch von Kindern ist deren Missbrauch, darum heißt es auch korrekt (und im StGB) ‘sexueller Missbrauch’. Nun kann man sexuellen Missbrauch verharmlosen, bagatellisieren und politisch zweckentfremden (am einfachsten, in dem man den Bezug auf sexuellen Kontakt weglässt), aber nicht die Opfer selbst verhöhnen, in dem man ihren (nichtsexuellen) Gebrauch legitimiert, um sich dann davon zu distanzieren. Von hinten durch die Brust geschossen, das ist dann fast ein “sarrazinischer” Tabubruch. Mir gefällt das nicht.

    Liebe Grüße

    Ines Fritz

  36. Hans-Peter Götz sagt:

    Zur Sarrazin-Debatte und zu Ingolf Griewank (Zuschrift v. 12.09.2010)

    Dass Thilo Sarrazin sich mit seinen genetischen „Argumenten“ disqualifiziert hat, steht außer Frage, und er sollte sich nicht wundern, wenn auch alles andere, was er von sich gibt, durch dieses Prisma beurteilt wird. In Schutz nehmen gegen seine Kritiker muss man ihn auch. Doch wenn Ingolf Griewank all jenen, die sich ob des Verlaufs und der bevorzugten Methoden in der öffentlichen Sarrazin-Debatte Hinweise auf den Grundsatz der Meinungsfreiheit gestatten, entgegenhält, sie sollten sich nicht hinter vorgeschobenen Nebelschleiern verbergen, sondern sich zu ihrem tatsächlichen eigenen Rassismus bekennen, dann muss ich diese Unterstellung zurückweisen. Sie ist als Totschlagsargument die kleine Schwester von Sarrazins Juden-Gen.

    Einige anregende Anmerkungen in Sachen Meinungsfreiheit fand ich dieser Tage bei Christian Bommarius in der BERLINER ZEITUNG: „Die effektivste Methode, einen Streit für sich zu entschieden, ist die Ausschaltung des Gegners. Das Ziel, den Kontrahenten zum Schweigen zu bringen, wurde kaum je häufiger erreicht als zwischen 1589 und 1607 in Frankreich – viertausend Edelleute verloren in nur 18 Jahren ihr Leben in Duellen, ein gewaltiger Blutzoll, der das Land derart schwächte, dass König Ludwig XIII. zur Bekämpfung des Duellwesens Jahre später sinnigerweise zwei Adlige als abschreckendes Beispiel hinrichten ließ.

    Seitdem hat sich, allen gegenteiligen Beteuerungen von Historikern und Soziologen zum Trotz, nicht allzu viel geändert. Zwar kommt der politische Meinungskampf heute ohne Degen und Pistole aus, selbst der Griff an die Gurgel des Gegners wird in Europa kaum noch geduldet, aber am Ziel, den Gegner möglichst endgültig zum Schweigen zu bringen und die Debatte ohne ihn erfolgreich fortzusetzen, halten die Beteiligten aus naheliegenden Gründen fest. Mundtot gemacht wird er nicht mehr durch Verlust seines Lebens, sondern durch die Ächtung seiner Person, die den sofortigen Ausschluss von der Debatte nach sich zieht …

    Dieses Ausschlussverfahren funktioniert so reibungslos und zuverlässig wie vormals das Duellsystem in Frankreich. Auch die Folgen lassen sich durchaus vergleichen. Nur verröchelt heute kein abgestochener Edelmann in seinem Blut, es verödet die politische Debatte. Wenn jede Verwendung eines verfemten Begriffs, jede Äußerung eines verpönten Gedankens, also jeder Verstoß gegen die Spielregeln der sogenannten Streitkultur mit der Höchststrafe belangt wird – dem Ausschluss vom Diskurs –, dann kommt der Streit irgendwann ohne Gegenstand aus, weil alle Teilnehmer nur mehr mit der Einhaltung oder dem Verstoß gegen die Spielregeln beschäftigt sind. So ist es im Fall Thilo Sarrazins …

    … eine Frage, die nicht nur die SPD, sondern auch … alle anderen Mitglieder der sogenannten politischen Klasse recht schnell beantworten sollten … lautet: Wie hältst du’s mit dem Ur-Versprechen der freien Rede? Es stammt von Voltaire: ‚Ich mag verdammen, was Du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Du es sagen darfst.’“

    Beste Grüße, Hans-Peter Götz

  37. zeitgenossin sagt:

    So ist´s das Leben …
    (und das blättchen)

    Geballte das-blättchen-Erinnerungen an Hiller – Meusel – Tucholsky. Nur umgekehrt verreiht: Tucho vorn, Meusel Mitte, Hiller zum Schluß.
    Wenn zutrifft, daß die Form nur die Form des Inhalts sein kann … dann kennt Ihr vorn placierter Kuß-Autor weder Tucho noch die historische Lage: Reagierte Tucho damals nicht auf Neumanns K.D.P.-“Schlagt die Fascisten wo Ihr sie trefft“-Losung mit “Küßt die Fascisten …”
    Und “Vom Küssen” (Adrianne Blue) scheint Ihr Autor weniger als wenig zu verstehen…

    Gruß

    zeitgenossin

  38. Zum Sarrazin-Artikel.

    http://das-blaettchen.de/herr-broder-herr-sarrazin-und-das-juden-gen/

    Ich stimme Werner Jurga zu, auch wenn einige der Aussagen durch die tatsächliche Entwicklung überholt wurden. Das Juden-Gen ist genauso schwachsinnig wie das Anti-Integrations-Gen der Türken.

    An Broder und an vielen anderen Kommentatoren finde ich eines interessant: Sie sagen, es ginge ihnen um eine Hexenjagd gegen Sarrazin, um eine Aburteilung des armen Thilo, um “öffentliche Exekution” bei Talkshows, um Meinungsfreiheit. Ja halloo?! Muss man den armen Sarrazin in Schutz nehmen? Wurde er gezwungen, eine Polit- und Finanzkarriere zu machen und 232.000 Euro pro Jahr zu kassieren? Hat man ihm die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt: Schreib dieses Buch?

    Liebe Sarrazin-in-Schutz-Nehmer: Seid doch bitte so ehrlich und sagt, worum es euch wirklich geht. Dass ihr seine Thesen gut findet. Dass ihr meint, Türken, Araber und Afrikaner sind minderwertig und haben Dummheits-Gene. Sagt’s doch einfach, dann wissen wir wenigstens, woran wir sind. Anstatt hier die reine Menschenfreundlichkeit und Meinungsfreiheits-Verteidigung vorzuschieben.

    Gruß
    Ingolf Griewank

  39. Werner Richter sagt:

    Steinbach,Polen u. der Kriegsanfang
    Sie muß der Teufel geritten haben u. hätten sie von Geburt an etwas mehr Grips mitbekommen, diese Sache nicht aufgerührt, mal nicht eingerechnet, daß sie grundzynisch sein könnten, wer weiß. So kamen die beiden wohl leicht minderbemittelten Vertreter des BdV in der „Vertreibungskommission“ mit Flankenschutz der unsäglichen Steinbach, die ja auch nicht gerade geistige Größe aufweisen kann, ihrer eigentlichen Mission, nicht etwa die Wahrheit über Vertreibungen in Europa der Öffentlichkeit nahe zu bringen, das ist nicht mal die Aufgabe der Kommission, folgend, wenn die Gelegenheit günstig scheint, zu stänkern u. im steten Prozeß die Sichtweise der ewig gestrigen sogenannten Vertriebenenverbände, von denen auch unverschämter weise nicht wenige schon lange vor dem Eintreffen der Roten Armee vorsorglich von den Nazis Evakuierte hinzugezählt werden, so kann man mit gewaltigeren Zahlen operieren, in der offiziellen Geschichtsschreibung durchsetzen. Die Folge der gelegentlichen Attacken, auch die jetzige, belegt dies sehr augenfällig. Nur hat man jetzt jegliches Maß selbst aus der Sicht des globalen Manipulationssystems aus dem Auge verloren, das könnte nach hinten losgehen.
    Es ist sowieso von bundesrepublikanischer Seite im Kern die sogenannte Vertreibung der „Volksdeutschen“ aus Ost- u. Süd-Ost-Europa infolge des 2. Weltkrieges gemeint, der man leider andere Vertreibungen höchstens gleichberechtigt anhängen muß, die anderen Europäer müssen dem ja leider zustimmen, nicht negierbar. Es wird wohl kaum dokumentiert werden, daß die „Schwaben“ in den meisten Ländern über Jahrhunderte als Einheimische oft bis aufs Blut aussaugendes Herrenvolk ihr Unwesen trieben u. nicht etwa diesen Völkern Kultur u. Wohlstand brachten, sondern nur sich selbst auf dem Rücken der Eingeborenen, deren Kultur sie rassistisch verachteten, deren Sprache nie lernten u. sich ja nicht assimilierten. Beispiele wie mein Vater, der nur tschechische Freunde hatte u. die Sprache perfekt u. ohne Akzent erlernte, waren absolute Ausnahme u. verpönt. Nicht umsonst rekrutierten die Nazis genau aus diesem Milieu ihre Mörderbanden, die dann skrupellos Partisanenbekämpfung vorgebend große Teile der zivilen Bevölkerung ausrotteten u. ganze Landschaften verwüsteten. Daß nach 1945 die Tschechen, Polen oder Rumänen nichts mehr mit diesen Schwaben zu tun haben wollten, der Rubikon des Erträglichen war von diesen überschritten worden, u. sie zum Teufel jagten, ist nur verständlich, auch mir, wenn ich auch selbst davon betroffen wurde. Mit dieser Erkenntnis gingen meine Eltern freiwillig, trotz inständiger Bitten seiner tschechischen, politischen Freunde zu bleiben.
    Diese geistigen Koniferen rütteln gefährlich an dem verlogenen Geschichtsbild der Bundesrepublik, das die Herrschenden wie einen heiligen Kral hüten, ohne zu ahnen, was sie da anrichten. Inzwischen wurde akzeptiert, daß Deutschland 1939 Polen überfiel, aber inzwischen überbetont gemeinsam mit der Sowjetunion. Dieser Schwenk brachte eine willkommene Relativierung der eigenen Schuld, etwa wie einem Verbrecher, der nach Inhaftierung seine Kumpane ans Messer liefert, um nicht allein Schuld zu büßen. Die in dieses einfache Bild so gar nicht passenden Fragen u. Fakten konnten elegant aus der Schußlinie gehalten u. dem Vergessen überlassen werden. Dieses recht günstige Bild gerät nun in Gefahr, daher rührt wohl die heftige Reaktion von Bundesregierung u. Parteienvorständen. Es könnte wieder die Frage aufkommen, warum der polnische Außenminister Graf Beck wochenlang als Gast Görings mit großem Militärgefolge unmittelbar bis zum Überfall in Deutschland weilte, selbst ein Gesprächs- u. Besichtigungsprogramm absolvierend, getrennt von seinen Offizieren, die derweilen mit dem OKW, ja was?, verhandelten. Planten sie etwa dabei, wie manche Historiker behaupten u. wohl beweisen können, den gemeinsamen Überfall auf die SU? War die tatsächlich durchgeführte Teilmobilmachung des polnischen Heeres vor dem Überfall schon die von polnischer Seite, deren durchaus auch zu Recht faschistisch zu benennenden Regierung, ernst genommene Vorbereitung auf dieses Projekt, die Demonstration ihres ernsthaften Willens? Stunden vor dem Überfall auf Polen wurden von Görings Seite die Verhandlungen urplötzlich abgebrochen u. Beck, der das ungläubig nicht wahr haben wollte, mit Troß nach Hause geschickt. Die perfekte Tarnung des deutschen Überfalls war geglückt, nicht zuletzt auf Grund der antisowjetischen Verbohrtheit der Becks u. der anderen Nachfolger des unseligen Pilsudski, der seit dem als Säulenheiliger herhalten muß. Ihrer Grundeinstellung folgend ließen es sich diese Herren nicht nehmen, alle Kommunisten, die sie in Massen eingesammelt hatten, mit ausdrücklichem Befehl den Deutschen, deren Vordringen abzusehen war, als Primärfeinde auszuliefern, auf daß diese sie erledigten. Die Organisation der Verteidigung erscheint dabei als zweitrangig betrachtet worden zu sein, könnte man böswillig unterstellen. Nebenbei bemerkt wäre dieser Coup Görings beinahe vorzeitig geplatzt, denn eine Diversionseinheit der Division Brandenburg war in geheimer Mission zum vorher festgelegten Zeitpunkt über die Beskiden schon auf polnisches Territorium vorgedrungen ohne ahnen zu können, daß in Berlin der Zeitpunkt des Überfalls um 14 Tage verschoben worden war, die Funkverbindung hatte nicht funktioniert, aber die polnische Abwehr war wohl mit Kommunistenjagd ausgelastet u. bemerkte das nicht. Die Angelegenheit zeitigte keine Auswirkung. An Warnungen vor dem drohenden deutschen Überfall von sowjetischer Seite, auch von Vorschlägen, den Schutz der polnischen Westgrenze zu übernehmen, mangelte es nicht, alles wurde negiert, auch wenn Mißtrauen gegen Stalins Kalkül durchaus verständlich ist. Man glaubte, weil der Wunsch Vater der Gedanken war, an die Aufrichtigkeit ausgerechnet der deutschen Nazis, man war ja selbst auch sooo ehrlich.
    Vor diesem Hintergrund erscheint das Eingehen der SU auf die deutschen Vorschläge, nachdem ihr die polnische Regierung die kalte Schulter gezeigt hatte, der sogenannte Nichtangriffspakt u. das mit Deutschland abgestimmte Vordringen der Roten Armee auf bis dahin von Polen seit dem Brest-Litowsker Abkommens besetzte Gebiete, die eigentlich nicht zu Polen, sondern zur Ukraine u. Belorußland gehörten, in einem völlig anderen Licht. Auch die Rolle Polens, wie sie als historisch ewiges Opfer Rußlands so schön dargestellt wird, würde in Frage gestellt werden. Es müßte Verständnis für die Alternativlosigkeit der sowjetischen Politik eingeräumt u. die offizielle Geschichte richtig gestellt werden.
    Die aufmüpfigen Berufsvertriebenen, die mehrheitlich nie vertrieben, sondern in der Bundesrepublik geboren u. nur per Gesetz nachträglich in diesen Status gehievt wurden, nicht durch Tatsachen, wollen natürlich diese Zusammenhänge nicht offen legen, sie kochen ihr eigenes Süppchen, sie wehren sich mit ihrem Aufbegehren gegen ihre schleichende natürliche Abdrängung in die historische Bedeutungslosigkeit, der sie hoffnungslos ausgeliefert sind.
    Auch die so mühsam aus aktuellen Interessen zusammengeklebte Harmonie mit Polen könnte in Gefahr geraten. Die Kacynskis gehen u. die Steinbachs kommen. Beide Varianten würden die gleichen Ergebnisse zeitigen, den schönen Geschichtskleister rissig machen u. die wahre Interessenlage offenbaren, um Himmels willen.
    Das wäre das Letzte, das eine Bundesregierung sich wünschen könnte u. deshalb die jetzige Reaktion. Die Leichen müssen unter allen Umständen im Keller bleiben. „Scheibenkleister!“ würde meine Mutter dazu nur anmerken.

  40. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea II

    1. Eine Bemerkung zu Lukács, Entscheidendes betreffend
    Seit wenigen Wochen ist ein Buch auf dem Markt, das lange keine Rezeption erfahren hat. Es handelt sich um die Studie „Hegel und der Staat“ des Religionsphilosophen Franz Rosenzweig. Die Arbeit wurde vor dem Ersten Weltkrieg im Wesentlichen abgeschlossen und 1920 in zwei Bänden veröffentlicht. Die jetzige Ausgabe macht also einen Meilenstein der bürgerlichen Hegel-Forschung wieder zugänglich.
    Rosenzweig erörtert Leben, Werk und Staatsverständnis Hegels aus der Perspektive des Wilhelminischen Deutschland, was ihn zwangsläufig dazu bringen muss, den Vernunftabschluss deutscher Geschichte und damit auch denjenigen Hegels in der damals scheinbar saturierten Monarchie zu erkennen. Dass Hegel weit darüber hinaus dachte und Rosenzweig somit das Wesen der Hegelschen Dialektik und seiner Staatsauffassung zu verkennen genötigt war, wird vor allem in der stiefmütterlichen Resonanz deutlich, die Rosenzweig der „Phänomenologie des Geistes“ und der Württembergischen Verfassungsschrift von 1817 zubilligt. Da sich das Staatsproblem als das Schlüsselproblem der kapitalistischen Gesellschaft schlechthin erweist, ist also ein intensives Studium der Hegelschen Staatsidee von außerordentlichem Interesse für alle, denen das Kapital nicht als letztes Wort der Weltgeschichte dünkt.
    In dem anhängenden wirkungsgeschichtlichen Nachwort hat einer der durchsichtigen Erben der Frankfurter Schule, der Sozialphilosoph Axel Honneth, daran erinnert, dass Georg Lukács im Jahre 1948 in seiner bahnbrechenden Arbeit „Der junge Hegel und die Probleme der kapitalistischen Gesellschaft“ Rosenzweig bereits einzuordnen wusste. Nämlich als Vertreter der neukantianischen Hegel-Lesart, wonach christologische Versatzstücke und Romantikerträume von feudalabsolutistischen Zuständen dem Sensorium aus Vernunft und Revolution bei Hegel vorzuziehen seien. Laut Honneth hätte das Werk von Lukács für Rosenzweigs Darstellung „nur polemische Bemerkungen“ übrig und wäre im Ganzen „ein Dokument groben Unwillens und derber Vorurteile“. Kurz gesagt und kaum erstaunlich: Das ist nicht wahr. Rosenzweig kommt bei Lukács immer dann vor, wenn es darum geht, Hegel gegen rückwärtsgewandte Tendenzen in Schutz zu nehmen. Keineswegs ist da nur Polemik vorherrschend. Ganz im Gegenteil versucht Lukács, die wilhelminische Deutungsphraseologie im historischen Kontext ihrer Entstehungszeit zu sehen. Und das erfolgt mit der gebotenen Klarheit und Würze, die der heutigen Zeitgenossenschaft wie eine Botschaft aus versunkener Welt anmutet. Der Umgangsjargon bewusster Falschinformation ist sicher nicht neu, aber es sieht natürlich gut aus, einmal Erreichtes durch ungenaues Wahrnehmen zu diskreditieren. Vordergründig mag es eine Marginalie sein, über Hegel-Bücher zu streiten. Es kann allerdings einmal entscheidend werden, wenn die Quellen der Vernunft endgültig versiegt sind.

    2. Salatexistenzen im Feuilleton
    Karl Kraus, einer der wenigen wirklichen Deutschkenner letzter Hand, hat im November 1908 folgendes notiert: „In deutschen Ländern ist der Sinn für das Ornamentale so sehr entwickelt, daß kein Käse ohne Salathülle auf den Tisch kommt. Der Salat, mit dem die Deutschen sich selbst servieren, ist ein Orden. Hier (in Österreich-Ungarn – D.K.) aber gibt es Menschen, die ganz und gar eine Salatexistenz führen. (…) Das Stigma des Malerischen (…) ist hier Ehrenzeichen und Bürgschaft einer Karriere, und überall verschwinden die Nutzmenschen hinter den Salatmenschen.“
    Die allgemeine ideologische Gleichmacherei der schönsten aller Welten, nämlich der immerwährenden Gegenwart, hat es mit sich gebracht, dass im Jahre 2010 (!) nicht nur Großdeutschland salatexistentiell vollendet ist, sondern gleich die ganze Welt. Wenn wir hier bleiben, müssen wir über Arno Widmann reden. Der ließ sich letztens in der „Berliner Zeitung“ (am 3. September) dazu hinreißen zu behaupten, dass der integrierte Faschismus des Hilfssoziologen Thilo Sarrazin einzig und allein durch den Einsatz der Journalisten und Medienleute zu Fall gebracht werden konnte. Ja, wo sammer denn? Keine anderen als die Preßreptilien der Bundesrepublik Deutschland haben doch erst dafür gesorgt, dass einer, der als letzter etwas über gesellschaftliche Probleme des Landes hätte gesagt haben sollen dürfen, nun von überallher sein Plädoyer für so etwas wie Bundesarbeitsdienste und Intelligenzscanner herausposaunt. Widmann lügt und Sarrazin lügt. Und das eben immer noch mit dem Stigma des Malerischen, Erhabenen, Großgeistigen, was beide zu elementaren Salatexistenzen macht.
    Ja, die alles entscheidende Frage für die Zukunft der Menschheit kommt jetzt. Warum nehmen viele Menschen so etwas offensichtlich Falsches und Gemeingefährliches ernst, halten es gar für legitime Diskussionsgrundlagen? Antworten wir nochmals mit Kraus, in diesem Fall erläutert durch seinen britischen Biographen Edward Timms: „Der verschwenderische Verbrauch von Zeitungspapier für Berichte über (…) frivolen Zeitvertreib (wir sind jetzt im Jahre 1911 – D.K.) verrät, daß jeder Sinn für Verhältnismäßigkeit verlorengegangen ist. Noch schlimmer ist allerdings der Ton, in dem über solche Ereignisse berichtet wird: der hochtrabende Stil, der Wildwuchs schillernder Adjektive. Die Tätigkeiten eines ehrgeizigen Cafetiers oder eines blasierten Gesellschaftslöwen werden mit einem Überschwang beschrieben, als ginge es um ein Kronjubiläum. (…) Und anstatt derart albernes Journalistengeschreibsel als nicht weiter beachtenswert abzutun, stellt er (Kraus – D.K.) die entscheidende Frage: Wie werden die mit solchem Krimskrams vollgestopften Köpfe reagieren, wenn sie je mit etwas Wichtigem konfrontiert werden?“ Die Beschreibung einer Gartenschau erfolgt mit demselben gefühligen Ton wie die Beschreibung der fernen Kriege. Mit einer funktionierenden Öffentlichkeit, die noch so etwas wie Anstand besäße, wäre Sarrazin auf dem Stellenwert eines Dorfpolizisten und Widmann sein Konjunkturist im Gemeinderat. Sie würden also (fast) keinen Schaden anrichten. Das zu sagen, wäre wichtig. Nicht hier, sondern in einem Massenmedium.

  41. Noli sagt:

    Zum XXL-Beitrag im jüngsten Blättchen:

    Wiglaf Droste hat auch aktuell noch Interessantes zu Peter Hacks beizutragen, wie dieser Tage in der JUNGEN WELT zu lesen war:

    http://www.jungewelt.de/2010/08-28/025.php

    Fast en passant, dafür jedoch mit finaler Treffsicherheit hat er bei dieser Gelegenheit eine der ideologischen Stilikonen des vorherrschenden Zeitgeistes erlegt – den Pluralismus:

    „Um das klare Denken zu ermöglichen, muss man selbstverständlich das pluralistisch genannte Beliebigkeitsgebrabbel ausschließen, in dem das Idiotische, das Selbstreferentielle oder einfach bloß das jede schöne Stille mit Gewäsch Abtötende gleich viel und wert gilt wie das ernsthaft Suchende und damit, zumindest versuchsweise, eben auch das Findende. Pluralismus ist das Nebeneinander aller nur erdenklichen Denkverweigerungen und damit die Welt- und Medienreligion jener, die nichts zu sagen haben. Sie preisen den Pluralismus, weil er ihre Substanzlosigkeit in den Rang des Grund- und Menschenrechts auf Watte im Kopf erhebt und es als solches auch aggressiv verteidigt gegen Klügere.“

  42. Clemens Fischer sagt:

    Man mag den Beitrag Ulrich Scharfenorths gegen Google Street View im aktuellen Blättchen

    http://das-blaettchen.de/uebler-eingriff-ins-persoenlichkeitsrecht/

    für übertrieben halten – um sich Hausfassaden anzusehen, bedarf es nun wahrlich keines Internetdienstes. Nützlich wäre der Beitrag trotzdem, könnte man ihn die Rubrik pricipis obsta einordnen. Aber dafür ist es zu spät, denn die Deutschen sind inzwischen am Erhalt ihrer Grund- und Bürgerrechte herzlich desinteressiert. Jedenfalls hat die breite Öffentlichkeit das BKA-Gesetz, die Vorratsdatenspeicherung und andere „Big brother is watching you“-Attacken diverser Bundesregierungen in den vergangenen Jahren mit geradezu pathologischer Gleichgültigkeit passieren lassen. Wir haben es nur ein paar unbeirrbaren Alt-Liberalen um Gerhart Baum, Burkhard Hirsch und, bevor sie als Justizministerin zur zahnlosen Tigerin mutierte, auch Sabine Leutheuser-Schnarrenberger mit ihren wiederholten Gängen vors Bundesverfassungsgericht zu verdanken, dass wir vom gänzlich gläsernen Bürger immer noch ein Stück entfernt sind.
    Oder doch nicht? In der Sonntagsausgabe des TAGESSPIEGELs fand ich dazu Einiges von Henryk M. Broder. Den hat zwar mal jemand recht treffend als „polternde(n) Schwarz-Weiß-Maler im Dauerdienst“ apostrophiert, in diesem Fall hat er aber vielleicht doch Recht:

    „…Lustängste kann Google nicht befriedigen, aber es reicht, um den Innenminister, die Justizministerin und die Ministerin für Verbraucherschutz aus dem Vorruhestand zu erlösen. Dieselben Leute, die unser Leben in eine ‚Truman-Show’ verwandelt haben, wollen uns und unsere Privatsphäre nun vor Google beschützen. Das ist, als würden Repräsentanten der Alkohol-Lobby das Verbot von Mon-Chéri-Pralinen fordern.
    Wer ein Handy benutzt, ist nicht nur jederzeit erreichbar, er hinterlässt auch Spuren, kann jederzeit lokalisiert werden. Wer Geld an einem Bankautomaten abhebt, der kann seine Kontodaten gleich bei Facebook online stellen. Wer durch eine Großstadt flaniert, wird von zahllosen Überwachungskameras begleitet. Ob sich jemand in einem Supermarkt an der Kasse anstellt oder bei ‚Big Brother’ auf dem Sofa lümmelt, macht erfassungstechnisch keinen Unterschied aus. Der Missbrauch des so produzierten Materials wird nicht durch Gesetze, sondern durch die Menge der gesammelten Daten verhindert. Kein Amt ist in der Lage, sie auszuwerten. Hinzu kommt der Hang zum Exhibitionismus, früher das Privileg weniger ‚Gliedvorzeiger’, heute das tägliche Brot in der Kantine der Infotainmentgesellschaft. Dass sich junge Frauen von einem Fernsehteam bei der Brustvergrößerung beziehungsweise Verkleinerung filmen lassen, ist mittlerweile so normal wie ein Besuch im Nagelstudio.
    Bei Google läuft die Sache anders. Es sind nicht Menschen, deren Privatsphäre verletzt wird, sondern Häuser beziehungsweise Häuserfassaden. Das ist so absurd, als würde Amnesty International oder Human Rights Watch gegen den Abriss von Gebäuden protestieren, die zu alt und zu baufällig sind, um sich selbst zur Wehr setzen zu können. Die ‚informationelle Selbstbestimmung’ wird offenbar umso mehr hoch gehalten, je weniger von ihr übrig geblieben ist. Das Bankgeheimnis gibt es nicht mehr, vom Briefgeheimnis ist die Aufforderung ‚Diskretion bitte’ übrig geblieben, mit der Postkunden ermahnt werden, am Schalter Abstand voneinander zu wahren.
    Und jetzt kommt Google! Wie Godzilla aus der Tiefe des Meeres, und bedroht unsere Idylle … Aber an unsere Hausfassade lassen wir keinen ran! Wir werden sie bis zum letzten Mauerbrösel verteidigen!“

  43. Werner Richter sagt:

    Lieber Herr Bongs,
    Dank für Ihre Einwürfe, es freut immer, wenn man etwas beachtet wird, sonst läuft man auch dabei Gefahr sich in Resignation zu verfangen, so aber wird man doch etwas gestärkt. Nicht nur im Blättchen, wie jüngst wieder zu erleben, auch in Kreisen, die sich außerhalb dessen zur Verständigung gefunden haben, ist diese Gefahr zu spüren.
    Mir geht es fast wie Ihnen, habe auch Skepsis gegenüber Begriffen u. Praktiken, wie sie auch in Gestalt „Interaktiver Demokratie“ oder ähnlich abstrahierender durch die Szene geistern, modernistisch gestylte Worthülsen zumeist, die nach gewisser Zeit Eigenleben entfalten u. mit den Ursprüngen nicht mehr viel gemein haben. Das riecht mir immer stark nach der „political correctness“-Kampagne, in der auch abstrakte Kategorien manipulierend eingesetzt werden, wie „Demokratie“, „Freiheit“, „Soziale Marktwirtschaft“, „Wertschöpfung“, „Sozialismus“ etc. Mit „Demokratie“ wurde uns jahrzehntelang z.B. Süd-Koreas schlecht getarnte Militärdiktatur als solche verkauft, präsentiert Putin seine „gelenkte“, wird Israel als „einzige“ in Nahost gestreichelt, obwohl nüchterne Israelis die Regierung als faschistisch erkennen. Diese Begriffe können alles Mögliche in ausgedehnter Bandbreite subsummieren u. das geschieht ausgiebig.
    Für unsere Gesellschaft steht zu erwarten, daß in einem ständigen Prozeß der kleinen Schritte auf sehr breiter Front unter Vorhaltung von Sachzwängen alles, was bisher als demokratische Elemente, Rechte u. Regelungen galt, abgeschafft, umfunktioniert oder bedeutungslos gestellt u. am Ende eine völlig andere Gesellschaftsstruktur zu finden sein wird. Aber solange kein Imperator oder personelle Gruppen alle Befugnisse erhielten, wird uns die Gesellschaft als „Demokratie“ angepriesen werden, aber vielleicht auch dann noch. Mich deucht, daß nicht unbeträchtliche Teile der gesellschaftlichen Opposition in diese Falle getappt sind u. im gleichen Schematismus denkend adäquate Gegenmodelle ersonnen, die wegen der Unterordnung unter die von der Macht vorgegebenen Spielregeln ins Leere stoßen müssen.
    Politische „Revolutionen“, hat uns die Geschichte gelehrt, ich erinnere hier nochmals an Berdjajew, der hatte meist viel tiefer gesehen als der Rest der Historiker, landen immer im Stadium des Resets u. das Spiel beginnt wieder bei null in die gleichen Entwicklungsrichtungen, ohne auch nur einen Hauch von Rekonstruktion der Gesellschaft zur Lebensfähigkeit, Weiterentwicklung zu erzeugen. Im Gegenteil, nach Riesenverlusten der Bevölkerungsmassen entstehen Kretins, die nicht mal der alten Gesellschaft das Wasser reichen können.
    Das Instrument „Interaktive Demokratie“ wird mir auch zu abstrakt gehandhabt, liegt im von den Lenkern der Gesellschaft vorgegebenen Strukturdenken, das unbedingt negiert werden muß, u. kann so kaum Wirksamkeit entfalten, da der theoretische Ansatz selbst nicht hinterfragt wird. Es führt, davon bin ich genau wie Sie überzeugt, logisch u. bestenfalls zu einer Veränderung in der Lobbystruktur. Die Lobby jedoch ist Kind einer Gesellschaft, in der jedermann, sinnvoller Weise in Interessengruppen potenzverstärkt, seine Interessen auch gegen die Interessen des Restes der Bevölkerung durchzusetzen versucht. Mit direkter Mitbestimmung, denn darauf läuft es letztendlich hinaus, entsteht jedenfalls keine dem Gemeinwohl zu driftende Gesellschaft, da so nur die Herrschaft der Mehrheitsinteressen gestärkt wird. Dieses Instrument taugt demnach nicht zur Hauptlinie einer erneuernden Strategie, ist jedoch als Teil der Gesamtkonzeption unverzichtbar. Sie ist sehr hilfreich, die Bestrebungen der Herrschenden, mit Hilfe des Zurechtbiegens des Rechtssystems ihre autonomen Regierungsmöglichkeiten auszubauen u. dabei auch die Abschaffung des Grundgesetzes in Kauf zu nehmen, zu blockieren. Aber eine Bürgergesellschaft, die aller Gesellschaftsmitglieder Interessen gleichermaßen bedienen soll, muß wohl anders entstehen. Genau da liegt mein Denkansatz. Was wäre erfolgversprechend, sinnvoll u. machbar? Wo kann der Hebel angesetzt werden, sodaß ein Druck aufgebaut wird, der Stück für Stück tatsächlich demokratische Elemente in die politischen Entscheidungsvorgänge eindringen läßt, das Lobbytum zurückdrängt u. letztlich abschafft.
    Es muß zunächst dieser fatale Zerstörungsprozeß gestoppt, bevor selbst das Grundgesetz u. damit die letzten Bürgerrechte abgeschafft sind, u. der Weg eröffnet werden, auf dem über mehr Bürgerbeteiligung andere Institutionen der Politikbestimmung Einzug halten können.
    Und die Methode der „subversiven“ Volksabstimmung, die dabei zur Anwendung kommt, finde ich interessant, weil effektiv u. schwer abwehrbar. Darauf zielten meine Überlegungen vorrangig ab, nicht im Politikbetrieb mitwirken, auch die z. B. in der Schweiz geübte Volksabstimmung ist integraler Bestandteil der Kapitalherrschaft in parteidominierten Politikstrukturen, sondern von außen. Eine Bewegung der „Sammlung der Wahlverweigerer“ jedoch nimmt Wahlen nur zum Anlaß, ohne selbst die Wahlen zu akzeptieren oder sich in diese Manipulationsmaschine einbetten zu lassen u. sie ist gesetzeskonform, da sie das Grundgesetz verteidigt, sie wäre legitim. Sie wäre „subversiv“ aus der Sicht der Herrschenden, aber nicht vor den Gesetzen. Diese Methode hätte auch das Potential, die viel besprochene Politikverdrossenheit in Politikinteresse umzuwandeln. Wird eine bestimmte Bevölkerungsmenge dazu animiert, ihre Wahlzettel aus (warum nicht?) verschiedenen Gründen ungültig zu machen u. dies anschließend dokumentieren zu lassen, u. nimmt dies unübersehbare Ausmaße an, können Medien u. Politikmacher sie nicht ignorieren. „Stuttgart 21“ ließ sogar den Bahnfürsten den Runden Tisch wieder erfinden, den er bis dato abgelehnt hatte. Was ist da die Bundesmutti gegen diesen Moloch?
    Dann fänden sich Foren, auf denen die alten u. bis heute brandaktuellen Forderungen zur Änderung des Wahlsystems erhoben u. durchgesetzt werden. Diese Forderungen müßten natürlich diskutiert u. katalogisiert werden, dazu ist hier kein Platz. Es wäre ein erster Schritt. Die oben u. schon a.a.O. beschriebenen Aktionen wären nicht Inhalt, sondern der Schlüssel zur Tür, durch die die sich z. Z. wieder findende APO ihre politischen Forderungen einbringen könnte, ohne selbst in die Instanzen integriert zu werden, denn das wäre der Tod der APO.
    Je länger ich über diese Thematik nachdenke, ich komme immer wieder auf diese Lösung zurück, ich finde keine andere, die die Dinge in Bewegung u. so heftig Ergebnisse bringen könnte. Selbst die obligatorischen Demos aus beliebigem Anlaß, so ehrenwert sie auch sind, ringen den Herrschenden nicht mal mehr einen aufmerksamen Blick ab, geschweige denn ein Luftanhalten, denn sie sind doch angemeldet u. geregelt. Es gilt leider auch dieser Meinungsäußerung gegenüber das Business-as-usual.

  44. Wolfgang Kost sagt:

    Frau Merkel hat heute (28.8.) die Deutschen aufgefordert, noch mehr für die Notleidenden in Pakistan zu spenden. Das ist ebenso löblich wie diese Spenden wahrhaft lebensrettend sind. Leider hat Frau Merkel die Gelegenheit verpaßt, die Bestverdiener in unserem Land um ein eindrucksvolles Vorbild zu bitten, den Chefs der Atom-Stromkonzerne hat sie ja grade erst die Hand geschüttelt. Stellen wir uns nur mal vor, die Vorstände der DAX-Konzerne sowie einer Handvoll weiterer Großunternehmen würden allesamt ein Jahresgehalt spenden. Schon wären locker 100 Millionen Euro zusammen und den jeweiligen Herren täte es dennoch nicht weh…

    • Frl. Noahkasten sagt:

      Aber erstens weiß ich nicht, ob und wie viel diese Herren spenden und zweites sollte es uns selbst nicht davon abhalten, das Richtige zu tun.

  45. B. Will sagt:

    In der heutigen Taz-Montagskolumne von Friedrich Küppersbusch:

    Taz: 40 Deutsche Manager und Prominente ergreifen in großen Anzeigen Partei für die Atomindustrie. Zu den Unterzeichnern zählt Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. Warum waren Sie nicht dabei?

    Küppersbusch: Ich dachte, die seien von der Titanic. An der Unterzeichnerliste würde eine intakte RAF auch nur noch die Großschreibung ändern. Mit Bahnchef Grube polemisiert hier ein Staatsangestellter gegen den Staat, Gewerkschaftsboss Vassilidiadis steht trotz Absage drauf. Olli Bierhoffs Kindheit mit RWE-Papa muss man sich wohl so heiter – verstrahlt vorstellen wie Loriots “Weihnachten bei Hoppenstedts”. Ansonsten Titanen des opinion – hoppings: Clement, Schily, Merz. Schließlich Manager von Strom- und stromnahen Konzernen und Einrichtungen. Allein RWE und eon haben im ersten Halbjahr rund neun Milliarden verdient – hier sieht man, was man mit einem Almosen daraus publizistisch anrichten kann. 2,3 MRD soll die Brennelementesteuer dem Bund bringen. Die Anzeige wirkt, als wäre deutlich mehr zu holen. Eine wertvolle Anregung von Ollis Papa und die 40 Räuber.

  46. Wolfgang Kost sagt:

    Die Seite 4 der Berliner Zeitung ist Meinungen vorbehalten. Von denen ranken sich üblicherweise mehrere um eine zentrale Kolumne, in der – wie sich das gehört – das für den jeweiligen Tag relevanteste Thema behandelt wird.

    Am Samstag, dem 21. August befaßt sich die schätzenswerte Autorin Brigitte Fehrle mit dem erpresserischen Mobbing der Atomindustrie gegen Regierung und Volk – angebunden an den öffentlichen Appell der Lobbyisten und ihrer Geistesverwandten per Anzeige in diversen großen Zeitungen – und geißelt diese berechtigterweise mit wirklich scharfen Worten. Toll!

    Und was gerät dem Leser dieser Zeitung auf der gegenüberliegenden Seite 5 ins Auge?: Der ganzseitige Appell eben dieser Erpresser. Nun ja – Anzeigennot kennt kein Gebot, zumal, wenn es sich um solche finanzattraktive Anzeigen handelt – man kann deren Inhalt dann ja immer noch als Erpressung entlarven…

    “Die erste Freiheit der Presse ist, kein Gewerbe zu sein”, hat der gute Marx einmal gesagt. Nun genügt diese Voraussetzung für eine umfassende Pressefreiheit zwar auch nicht, wie man aus realsozialistischen Zeiten weiß, als Presseerzeugnisse eher symbolisch eine Ware waren – aber bei der Unabhängigkeit zum Beispiel und vor allem von Wirtschaftsgangstern fängt sie allemal an.

    Wolfgang Kost

  47. P.Ixel sagt:

    Auch Postkarten und Bildbände gehören verpixelt – oder besser noch verboten!
    P. Ixel
    Kampfbund Deutscher Verpixeler (Die Wahren)

  48. v.Alzheimer sen., Bonn sagt:

    @Redaktion

    Ist die hier dokumentiert erschreckende staatsdienerische Kontinuität (BGH 1956 zum GG 131) Thema für Ihr Blättchen und wenn dies – wär´n linksrheinisch-justizkritischer Beitrag willkommen?

    Gruß

    v.A.

    • Redaktion sagt:

      Gute Artikel sind uns immer willkommen!

  49. Oliver Spam sagt:

    Danger: streetview!

    Mich stört nicht die Debatte über den google-Dienst, bei dem man sich künftig Häuserfronten und Straßenfluchten anschauen kann, sondern das Pupslaue derer, die das Verbot solcher Praxis fordern.

    Was, so frage ich, soll die Verpixelung einzelner Gebäude oder Köpfe? Das Übel an der Wurzel zu packen, darum muß es gehen! Und zwar nicht nur bei google. Ist denn noch niemandem aufgefallen, daß die filmische und öffentlich einsehbare Abbildung von Gebäudefronten und Menschen längst kriminelle
    Routine ist? Fast täglich – um nur ein, aber dafür brisantes Beispiel zu nennen – steht irgend ein TV-Barde vor dem mit seiner Frontseite komplett abgelichteten Bundeskanzleramt – oder aber vor dem Bundestag – live, leicht aufzuzeichnen und detailreich auszuwerten! Fenseh-Berichte der Länderanstalten aus den Orten ihres Einzugsbereiches führen nahtlos Gebäudeansichten vor – oft genug sogar deren Inneres! Gnadenlos und verräterisch bilden Kameras und Fotoapparate nicht nur Häuser sondern auch die Gesichter unbeteilgter Menschen ab – ob als Passanten im öffentlichen Raum oder als Teilnehmer von Veranstaltungen aller Art.
    Und, und, und…
    Alles, wie gesagt, von Verbrechern und/oder Voyeuren per Rekorder konservierbar und somit allerbeste Grundlage terroristischer Gewaltakte – den Einwurf von Werbematerial in die abgebildeten Briefkästen inklusive.

    Hier ist die Wurzel, an die nun die Axt zu legen wäre.
    Wenn die google-Debatte dies in Gang setzen würde, dann – aber eben n u r dann, hätte sie eine Berechtigung.

    Oliver Spam,
    Wandzeitungsredakteur im Deutschen Zentralverband für Öffentlichkeitsverpixelung

    • W. Kost sagt:

      Was den Datenschutz zur Bewahrung der persönlichen Sphäre betrifft, plädiere ich für den Tschador – und zwar für Personen (außer denen des öffentlichen Interesses, obwohl er dort eigentlich besonders angebracht wäre) und Gebäude.
      Was könnte dies neben einem ungeahnten Mehr an Sicherheit auch Arbeitsplätze in der Textilindustrie schaffen!
      W. Kost

  50. v.Alzheimer sen,, Bonn sagt:

    @ Webmaster et.al

    Leider schade, auch ich fand den BGH-Text nicht im www-Netz, wohl Ingo Müllers drauf bezug nehmenden Gastvortrag Linz/Donau Ende 2008 vor Austrorichtern, in dem´s unter Hinweis auf Ihre BGH-Quelle S. 265-319 heißt:

    „Am klarsten hat der Große Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung zum 131er-Gesetz im Jahr 1956 den westdeutschen Juristenkonsens formuliert: Der nationalsozialistische Staat war „im Kern ein Rechtsstaat“: „Im Sinne des Rechts blieben sich der Staat, dessen legitime Aufgaben fortbestanden und der in diesem wahren inneren Kern von dem nationalsozialistischen Terror nicht berührt wurde, und das Beamtentum (einschließlich der Richterschaft), soweit es sich innerlich und in Erfüllung dieser legitimen Staatsaufgaben dem Terror nicht beugte (und das war die große Mehrheit), weiterhin innerlich verpflichtet“.

    Soweit es bisweilen zu Rechtswidrigkeiten gekommen war, seien dies „Zierate“ gewesen, und die daran beteiligten Richter und Beamten hätten

    „nur deshalb positiv mitgearbeitet, … weil sie glaubten, sich der Entwicklung der politischen Verhältnisse nicht entgegenstellen zu dürfen oder weil sie aus besonderem Pflichtgefühl heraus `Schlimmeres zu verhüten` meinten“.

    Sie haben

    „ihren Dienst in treuer und sachlicher
    Arbeit zum wirklichen Wohl der Allgemeinheit geleistet“.

    http://www.richtervereinigung.at/images/Texte/hartheim_linz%2B-ingo%2Bm%FCller%2Bvortrag%2Bnov%2B08.pdf

    Klar, daß ich eine linkswissenschaftliche Mindermeinung vertrete, wenn ich sage:

    1) Die Radbruchformel (1946) wurde leider (zu) rasch Makulatur,

    2) das Konstrukt Verbrechen gegen die „Menschlichkeit“, nach Hannah Arendt „das understatement des Jahrhunderts“, ist so verfälschend wie verniedlichend, es ging und geht um VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHHEIT,

    besten Eilgruß

    v.A.

  51. v.Alzheimer sen,, Bonn sagt:

    @ Netzmeister

    Mit solchen Hinweisen können Nichtjur. nix anfangen (“Webmaster schrieb
    am 15. Juni 2010 um 19:36 Uhr Wer es nachlesen möchte: BGHZ 13, S. 265”), recherchen Sie´n ordentlichen Link, grad weil der Satz des BHG-Obergerichts 1956, NS-Staat = im Kern “Rechtsstaat” so unendlich wichtig ist … oder gehnse Pilze sammeln im Wald und lassens als Webmaster;-)

    v.A.

    • Webmaster sagt:

      Notfalls müsste wahrscheinlich eine öffentliche Bibliothek aufgesucht werden, der Beschluss des Bundesgerichtshofs ist auch in der Neuen Juristischen Wochenschrift veröffentlicht (Jahrgang 1954, Seite 1073 ff.).

      Dem Beschluss liegt eine Auseinandersetzung zwischen Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof zu der Frage zugrunde, ob die Beamtenverhältnisse den 8. Mai 1945 rechtlich überdauert hatten. Eine kurze Darstellung findet sich hier:

      http://akj.rewi.hu-berlin.de/zeitung/99-1/g131.html

      Ich gebe mal einige Auszüge aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs:

      Der Satz, das Beamtenrechtsverhältnis überdauere den Wechsel der Staatsform, gilt um deswillen, weil das Rechtsverhältnis zwischen dem Staat als solchem, unabhängig von seiner Staatsform, und dem Beamten besteht, der sich dem Staate gegenüber für sein ganzes Leben bindet und ihm lebenslang alle seine Kräfte zur Verfügung stellt, wofür ihm der Staat wiederum lebenslange Treue und die lebenslange Gewährung ausreichenden Unterhalts für ihn und seine Familie schuldet. Der Satz beruht auch darauf, daß das Beamtentum verwaltende und rechtsprechende, nicht aber im eigentlichen Sinne politische Funktionen hat, also Funktionen, die der Staat als solcher immer übt und die weitgehend unabhängig sind von seiner wechselnden Erscheinungsform und den in diesem Wechsel sich ausdrückenden politischen Kräften. Deswegen ist der Staat als solcher, nicht der Staat in irgendeiner bestimmten organisatorischen Verfassung, gebunden. Das ist der rechtliche Kern des Beamtenrechtsverhältnisses. Deswegen läßt sich der Satz von der grundsätzlichen Fortdauer des Beamtenrechtsverhältnisses auch nicht auf den demokratischen Mehrparteienstaat des 19. Jahrhunderts beschränken. Wenn sich etwa ein solcher Mehrparteienstaat, getragen von dem Mehrheitswillen des Staatsvolkes, in einen Einparteienstaat umformte, wenn sich dieser innerhalb der naturrechtlichen Ordnung hielte, wenn er jedermann in gleicher Weise Zutritt zu der sogenannten staatstragenden Partei gewährte, so würde diese staatsrechtliche Umformung für sich allein noch nicht die gegenseitige Bindung zwischen dem Beamten und dem Staat als solchem berühren, ebensowenig wie die Rücküberführung eines solchen Staates in den demokratischen Mehrparteienstaat. Allerdings steht ein solcher Einparteienstaat, wie gerade das nationalsozialistische Regime gezeigt hat, in der steten Gefahr, zum Unrechtsstaat zu entarten und dabei auch das Beamtentum zu Maßnahmen des Unrechtes zu mißbrauchen und seinen Dienst an den fortdauernden legitimen Staatsaufgaben rechtswidrig zu verfälschen. Nur diese unrechtmäßige “Gleichschaltung”, wenn und soweit sie eingetreten ist, und nicht schon die staatsrechtliche Umformung kann die Frage aufwerfen, ob das Beamtenverhältnis auch eine derartige “Gleichschaltung” überdauern kann. Sie kann aber dann offenbar nicht für das Beamtentum als solches, d.h. für die gesamte Rechtseinrichtung, d.h. für unter schiedslos alle Beamten gestellt werden, gleichgültig, ob sie sich gleichschalten ließen oder nicht, gleichgültig, ob sie sich zu Maßnahmen des Unrechts mißbrauchen ließen oder nicht, und gleichgültig, ob sie ihre legitimen Staatsaufgaben nach wie vor ordnungsmäßig erfüllten oder nicht, sondern nur in Bezug auf jeden Einzelfall besonders.

      (…)

      Nach Auffassung des Großen Senates kann dem historischen Werturteil des Bundesverfassungsgerichts nicht beigepflichtet werden. Der überwiegende Teil der deutschen Beamten fühlte sich nach wie vor trotz des schimpflichen, rechtswidrigen Druckes, der auf ihm lastete, in erster Linie dem Staate und seinen legitimen Aufgaben verpflichtet und nahm sein Amt in dieser Gesinnung wahr. Die Bindung an Hitler persönlich konnte zu Anfang und eine gewisse Zeit hindurch als eine Bindung an das oberste Staatsorgan verstanden werden, zumal das geltende Beamtengesetz den Beamten ausdrücklich auch auf den Staat verpflichtete, die Bindung an die Partei zunächst als die Respektierung einer politischen Mehrheitsentscheidung der Nation. Als sich aber die verbrecherischen Ziele und Methoden des Nationalsozialismus allmählich immer mehr enthüllten, wurde diese aufgezwungene Bindung überwiegend nur unwillig, unter scharfer innerer Ablehnung und unter schärfstem Terror ertragen.

      (…)

      War hiernach das Beamtentum als Institution nicht zerstört oder in seinem Wesensgehalt berührt, so hatte der neu geformte demokratische Staat allerdings das Recht, aber auch nur das Recht, zu prüfen, ob der einzelne Beamte durch sein eigenes Verhalten unter dem Nationalsozialismus seinen Beamtenstatus verwirkt hat. Er konnte in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren untersuchen, ob der einzelne Beamte während der nationalsozialistischen Herrschaft gegen seine auch unter diesem Regime fortdauernden wahren Beamtenpflichten verstoßen hatte und konnte zu diesem Zweck auch entsprechende beamtenrechtliche Entlassungstatbestände schaffen. Er konnte sich aber nicht auf den Standpunkt stellen, alle Beamtenverhältnisse seien automatisch erloschen.

  52. Bert Will sagt:

    Ich kenne Herrn Kannapin nicht persönlich, verehrte Angela, aber vielleicht – so jedenfalls lese ich es aus seinen Zeilen heraus – hat er auch mit 40 Jahren (ist das so?) ausreichende Erfahrungen mit dem kleinen Unterschied gemacht, der da – bis auf sehr wenige Ausnahmen – allzeit zwischen “der Sache” und so vielen ihrer Sachwalter augenfällig ist?

    • Detlef Kannapin sagt:

      Lieber Bert,
      Genauso ist es. Vielen Dank für das Verständnis.

  53. Angela sagt:

    @ Dr. Kannapin

    Unterstellt, Du bist der Autor dieses wesentlichen Stücks KRITIK SPÄTIMPERIALISTISCHER IDEOLOGIE, die hierzulande als Philosophie gilt (UK 2008), dann bleibt unverständlich, warum MANN schon mit 40 so “ein kaputter Typ” ist,

    Gruß A,

    • Detlef Kannapin sagt:

      Liebe Angela,
      unverständlich hin oder her. Es ist bei mir der Punkt gekommen, an dem die Einsicht in die Wahrheit einer Situation mit der fehlenden Seelenruhe kollidiert ist. Bevor ich “richtig” kaputtgehe, mache ich doch lieber Pause. Außerdem gibts zu dem UK-Artikel von 2008 einen ausführlichen Nachfolger, der hoffentlich irgendwann einmal das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Ansonsten möchte ich einfach angesichts der Zustände nicht zynisch werden.
      Beste Grüße, Detlef Kannapin

  54. Vill Fred sagt:

    Der gute Ton des Verleumdens

    Wenn ein Repräsentant eines Regierungssenders wie der Deutschen Welle mit Sitz in Moskau, den Russen vorwirft, keine freie Presse zu haben, so ist das auf den ersten Blick keineswegs falsch. Nur wie es „rübergebracht“ wird, ist es schon fragwürdig.

    Der Russische Wald brennt und die Putin-Administration hat nichts weiter zu tun, Pressekonferenzen für ausländische Pressevertreter abzuhalten? Man stelle sich einmal Folgendes vor:

    In Mitteleuropa herrschen wochenlang Temperaturen zwischen 30 und 38°C und in einem Rechteck zwischen Amsterdam (NL) – Vilinius (LT) – Sofia (BG) – Toulouse (F) – das ist vergleichsweise der „Moskauer Raum“! – lodern ständig zwischen 500 und 800 Brandstellen gleichzeitig, die zusammengenommen mit 87 Tausend qkm größer als die Landesfläche Tschechiens sind! Die Einwohnerzahl pro qkm ist zugleich ein Bruchteil der Mitteleuropäischen und es gibt wirklich noch „tiefe Wälder“ die den Begriff dimensional rechtfertigen. Die Siedlungs- und Infrastruktur ist ganz anders zu bewerten. In Russland gibt es Oblast-Hauptstädte, die im Internet um Investoren werben, wenn sie einen Bahnanschluss schon in 150 km Entfernung haben.

    Was ich damit sagen will, wir sollten uns einfach mal in den Relationen sachkundig machen, um welche Dimensionen es geht, die dieses Land betreffen. Auch Torfbrände sind anders zu betrachten als Untergründe hier und da. Torf flammt bei ca. 80°C. Brennt es an der Oberfläche, weiß niemand, in welchen Strängen es sich unterirdisch fortbewegt. Die deutschen Medien sollten es den Russen nicht noch schwerer machen. Unser medialer Mainstream ist mindestens genauso einseitig, wie die Russen es halten. Nur tun wir immer als hätten wir den Stein der Weisen. Als Redaktion der Deutschen Welle beweisen Sie das ja selbst, als funktionierender Akteur unserer informellen Einseitigkeit.

    Ach, Herr Mannteufel, fahren Sie einfach mal durch dieses Land! Am besten, mit der TransSib, wenn es nicht brennt; und nur bis zum Ural – die (knappe) Millionenstadt Perm tut es schon (so groß wie Deutschlands viertgrößte Stadt: Köln!). Oder einfacher, jedermann nehme sich einen Atlas zur Hand, wenn über Russland berichtet wird.

    Nebenbei, der gemessene, kontinentale Mittelpunkt von Europa liegt übrigens in Belorussland.

  55. Ralf König sagt:

    Chef eines Berliner Landesunternehmen müßte man sein – das ist eindeutig lukrativer als das Bundeskanzlern.
    Messe-Chef Hosch verdient 499 000 Euro im Jahr, sein Co-Chef Göke immerhin noch 398 000. Die beiden Chefs der Flughafengesellschaft kommen zusammen auf 400 000 Euro, die der BVG, der Wasserbetriebe und der Stadtreinigung jährlich auf gut 300 000.

    Allesamt sind diese Unternehmen keineswegs global-player, wie man weiß, sie sind – pardon – popelige Stadtbetriebe mit je ein paar tausend Mitarbeitern.

    Aber nun das Schönste von allem. Laut Berliner Zeitung, aus der diese Angaben stammen, rechtfertigt die Wirtschaftsstaatssekretärin Almut Nehring-Venus d i e s e Einkommen mit den Erfolgen der Unternehmen.
    Die Dame gehört zur Partei der Linken – Chapeau!

    Ist es vielleicht auch (auch!) das, lieber Detlef Kannapin, was Sie zu Ihrem ebenso bedauerlichen wie nachvollziehbarem Abgesang an das (natürlich “unfreiwillige und widerwillige” Mittanzen ums Goldene Kalb (und natürlich “nur für die gute Sache”), wenn die Umstände dies nur erlauben, veranlaßt hat?

    Immerhin: auch die Erfahrung, daß auch Linke keine anderen und also besseren Menschen sind als andere, kann ja heilsam und hilfreich sein, zumindest für einen selbst.
    Ralf König

  56. Angela sagt:

    @Detlef

    Wenn Du Lenin nicht nur durch die heutige jW-Brille von Hans Heinz Holz sehn willst – speziell zum M+E-Buch gab´s damals, langlang ist´s her, im linksakademischen “Argument” diesen philosophiegeschichtlichen Aufsatz:

    Richard Albrecht, Die Kritik von Korsch und Pannekoek an Lenins ´Materialismus und Empiriokritizismus´; in: Das Argument, 14 (1972) 74: 586-625

    Gruß Angela

    • Detlef Kannapin sagt:

      Liebe Angela,
      vielen Dank für Deinen Tipp. Ich betrachte M+E eher als Klärung gegenüber Absurditäten. Ein vollendetes philosophisches System sähe anders aus und muss anders aussehen. Speziell mit der Widerspiegelungstheorie habe ich deutliche Probleme und stehe damit auch in Distanz zu H.H. Holz und der jw-Brille. Leider habe ich keine Zeit, mich nochmals intensiv mit Korsch und Pannekoek auseinanderzusetzen.
      Lieber Ralf König,
      es stimmt, ich kriege Zustände bei all dem Irrsinn um uns herum. Bevor ich aber komplett wahnsinnig werde, ziehe ich lieber die Reißleine. Vielleicht kommt mein Einzeleinsatz irgendwann wieder, aber im Moment ist der Akku alle.
      Beste Grüße, Detlef Kannapin

  57. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea

    1. Bücher, ein altes und ein neues
    Durch langwierige Umstände und Zeitläufte hindurch hat sich auf meinem Schreibtisch viel Unerledigtes angesammelt. Vor allem zu lesende Bücher. Wie ich auch immer hin- und herräume, sie bleiben größtenteils nur angelesen. Bis auf zwei. Buch 1: Lenin, Materialismus und Empiriokritizismus. Den Tipp gab mir mein betagter Vater, der zu meiner letzten Schreibübung nur süffisant bemerkte, dass Scharlatane auch in der Philosophie so bezeichnet werden sollten. Da habe ich mich nun durch Dath, Eagleton, Zizek, Badiou und Groys gequält – und dann das. Gesunder Menschenverstand plus Polemik trifft ausufernde Lautmalerei um geklärte, aber vergessene Lösungen. Die bürgerliche Sekundärliteratur hat Lenins Werk für primitiv befunden. Und aus ihrer Sicht stimmt das sogar. Möchte man aber den Standpunkt zur Welt, zumindest subjektiv für sich selbst, geklärt wissen, dann greife man hier zu. Es ist die leider alte Geschichte, die mehr und mehr zur einzigen Wahrheit wird, dass alles, was uns not tut, bereits geschrieben steht. Es wäre nur zu heben und anzuwenden. Wenn ich etwas verstanden habe, dann dies: Das benannte Unerledigte bleibt umso mehr unerledigt, je klarer es zutage tritt, und das nur, weil Verhältnisse und Menschen anders sind, als wir es gebraucht hätten.
    Buch 2: Schütrumpf: Freiheiten ohne Freiheit. Es geht um die DDR, und es geht um mehr. Zum ersten Mal wird aus linker Perspektive Tacheles geredet. Keine Chance den Illusionen, Selbsttäuschungen und Verblendungen. Das ganze Konstrukt war von Anfang an zum Scheitern verurteilt, DDR-Deutschland ein sozialdemokratischer Kompromiss mit staatstotalitärem Überbau. Schütrumpf weiß viel und setzt sein Wissen virtuos ein. Er fälscht zwar nicht, doch lässt er weg, was ihm nicht wichtig ist. Das Denkmal der Interpretation läuft aus anarchosyndikalistischer Sicht zur Parteinahme für den corpus Arbeiterschaft hinaus, den der Autor selber gern führen würde, wenn er Vertrauen in seine gesellschaftsverändernde Kraft hätte. Hat er aber nicht, sondern er setzt alles auf die Karte des eigenen Scharfsinns, der doch bitte irgendwann zumindest einige Massen ergreifen möge. Es ist ein ärgerliches Buch – nicht weil es Wahrheiten ausspricht, sondern weil es sich weigert, nahezu sämtliche Bedingungen, unter denen Arbeiterbewegung/Sozialismus/Kommunismus seit nun schon über 150 Jahren in die bürgerliche Politik gezwungen werden, zur Kenntnis zu nehmen. Ich jedenfalls bin mir völlig im Unklaren darüber, wovon dieses Buch mich überzeugen soll. Es erscheint, ein Hanns-Eisler-Wort paraphrasierend, als Laubsägearbeit, durch die man hindurchsehen kann, weil Kenntnis in Schlauheit umschlägt.

    2. „Kommunisten“
    Die Debatte um Gehälter von Parteivorsitzenden ist nicht nur eine Debatte zur Schädigung des Ansehens der Partei. Da geht es um das Wesen emanzipatorischer Politik. Was organisationssoziologisch unvermeidbar erscheint, ist politisch die eigentliche Schande. Tenor: Natürlich müssen auch Parteivorsitzende leben müssen. Im Verhältnis zu den Repräsentanten des Kapitals handelt es sich um peanuts. Wir können die Aufschlüsselung der Einkommen genau beziffern und begründen. Warum regt sich jemand auf?
    Es hat zwar länger gedauert, als ich mir selber eingestehen wollte, aber es ist dann doch passiert. Man muss sich wohl oder übel von der Vorstellung freimachen, dass es in absehbarer Zeit zu grundlegenden Verbesserungen im menschlichen Zusammenleben kommen wird. Die Einsicht in die Dinge ist das Eine, der Weg zur Veränderung das defintiv Andere. Ich kann zwar weiter auf den Weltgeist hoffen, auf die Vernunft setzen, dem Proletariat die Revolution zuschreiben u.v.a.m. Möchte ich aber nicht bei Dostojewski, Artaud oder Beckett enden, indem ich die Tyrannei als Übergangsgesellschaft notwendig heißen muss, bleibt nur übrig zu schweigen und andere über mein Schweigen nachdenken zu lassen.
    Ich habe sicherlich nicht alles versucht, aber ich habe mir Mühe gegeben, mein Weniges so verständlich wie möglich mitzuteilen. Immer dann, wenn die gute Idee, der Vorschlag, der Hinweis auf die Administration traf, war es Essig. Na dann eben nicht. Es ist interessant zu beobachten, wie schnell sich der Impetus, etwas für die Erniedrigten zu tun, verflüchtigt, wenn sich die Gelegenheit zum Mitspielen bietet.

    Damit verabschiede ich mich von allen, die in den letzten Jahren meine Texte gelesen haben. Von insgesamt 108 Artikeln und Aufsätzen sind immerhin ca. 50 im „Blättchen“ erschienen. Ich wünsche allen, Machern und Lesern, die Kraft zum Kämpfen, die ich nun anderweitig einzusetzen genötigt bin.

  58. Noli sagt:

    Paulus schrieb … (Blättchen 14/2010)
    http://das-blaettchen.de/paulus-schrieb-hommage-a-robert-gernhardt/

    In memoriam Robert Gernhardt und zur Aufklärung der Jugend hier noch einen Zweizeiler:

    Paulus schrieb an die Philipper:
    Ohne Kondome droht euch AIDS!

    • Frl. Noahkasten sagt:

      Mir ist auch noch etwas einfallen:

      Paulus schrieb das den Tibetern:
      Euch geht es schlecht,
      ihr dürft ruhig zetern.

  59. Heidi Jülich sagt:

    Spätestens seit Edmund Stoibers grandioser öffentlicher Feststellung wissen wir, daß „wir leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern“ haben. Das oberbayerische Örtchens Olching hat soeben einen weiteren Beleg dafür abgeliefert; hat sein Gemeinderat doch beschlossen, daß auf einem Grundstück neben einer Hauptschule und einer Turnhalle ein Schützenheim samt Schießstand für die heimischen Ballermänner vom Schützenverein „Gemütlichkeit Olching“ (Achtung: keine Satire!) gebaut werden soll. Laut SPD-Bürgermeister Magg ist das überhaupt kein Problem, ginge es doch um einen harmlosen Sport, schließlich werde nur mit Luftgewehren geschossen.

    Wenn man sich an die öffentliche Betroffenheitskulisse nach Winnenden erinnert, kann man bayerisch-intellektueller Gemütlichkeit von Ortsschulzen und deren wackren Mannen nur das landesübliche „Prosit“ zurufen. Aber da selbst böseste Praxiserfahrungen nicht bewirken, was dieses „Prosit“ ja eigentlich meint, gibt man sich besser ohne diesen Gruß die Kante…
    Heidi Jülich

  60. Kein Ausstieg aus dem Ausstieg !
    Jetzt, da immer heftiger um längere Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke gestritten wird, ist es höchste Zeit, zu rekapitulieren. Was hat zur Laufzeitbeschränkung geführt (der Atomkonsens – 2000 unter Rot-Grün beschlossen und seit 2002 in Kraft. Hiernach sollten alle Kernkraftwerke der Bundesrepublik Deutschland bis ins Jahr 2020 abgeschaltet werden), und was erlaubt irgendwelchen Politikern plötzlich, von ihr Abstand zu nehmen. Die Argumente für und wider die Kernenergie haben sich in den letzten 10 Jahren kaum verändert. Nur dass heute die Widersacher von rot-grün am Ruder sind, und die standen mit ihren Bagatellisierungs- und Beschwichtigungsformeln seit eh und je auf Seiten der Atom-Lobby.
    Man muss die Details nicht neuerlich ausgraben – die Grausamkeiten liegen auf der Hand:
    1) die Mineros, die Uranerze in vielen Teilen der Erde abbauen, sind zumeist abhängige Geringverdiener, die die Verstrahlung vor Ort bewusst oder unbewusst hinnehmen. Uns interessiert in der Regel nur, was in den Atomkraftwerken und um sie herum geschieht. Mit Blick auf die EINE WELT aber sind globale Betrachtungen zwingend.
    2) Sämtliche in Deutschland laufenden Atommeiler wären nach heute geltenden Sicherheitsbestimmungen nicht genehmigungsfähig. Bis heute ist beispielsweise unklar, wo und in welchem Umfang unzertifizierte Rohre im Einsatz sind, wie man Trafobränden dauerhaft beikommt, ob der prophylaktische Austausch von belasteten Konstruktionselemente in den vorgegeben Zyklen tatsächlich praktiziert wird etc. In älteren Anlagen kommt es erfahrungsgemäß öfter zu bedenklichen Vorkommnissen
    als in neuen.
    3) Die Endlagerfrage ist bis heute nicht geklärt. Alles konzentriert sich auf Gorleben, obwohl Expertengutachten gerade diesen Standort nicht präferiert hatten. Gegenwärtig spricht alles dafür, dass der Schacht wegen der fehlenden Ton/Lehmschicht über dem Salzstock durch evtl. Wassereinbrüche extrem gefährdet ist. Allein die Tatsache, dass am falschen Standort viel Geld investiert wurde, ist heute Grund genug, ebenso falsch weiter zu machen. Auch wenn Gorleben weiter verfolgt würde, dauerte es 15 Jahre, bis ein Langzeittest die Tauglichkeit des Standortes belegen oder ausschließen
    würde.
    4) Die Zwischenlagerung von mittel- und hoch radioaktivem Müll – in unmittelbarer Nähe der KKWs – stellt eine immense Gefahr dar. Terroristen wären problemlos in der Lage, diese Depots mit panzerbrechenden Waffen in die Luft zu jagen. Ein solcher Angriff war als Option zu den Aktionen des 11. September 2001 in konkreter Planung.
    5) Die Laufzeitverlängerung der alten Kraftwerke um 8 Jahre brächte den
    Energiekonzernen zusätzliche (!) Gewinne von 50 Milliarden Euro, bei den mehrfach geforderten 28 Jahren wären es 225 Milliarden Euro. Nur Narren könnten davon ausgehen, dass Teile dieser Renditen zur Reduzierung des Strompreises benutzt würden.
    6) Die Laufzeitverlängerung der Meiler trüge maßgeblich zur Ausbremsung der
    alternativen Energien bei, da ein zusätzliches Aufkommen an grünem Strom nur
    bedingt zur Aufrechterhaltung des Netzgleichgewichtes benötigt würde.
    7) Die schwarz-gelbe Regierung wird die Laufzeitverlängerung auch damit begründen, dass fossile Kraftstoffe durch Ökostrom abgelöst werden müssen. Sie werden diese, seit Jahrzehnten von den Grünen vertretene These missbrauchen, indem sie neuerlich behaupten, dass Atomstrom CO2-arm und damit ökologisch erzeugt werde. Wirklich haarsträubend wird dieser Ansatz aber erst im Verbund mit dem Elektro-Auto. Letzteres soll ja – das hat Frau Merkel erst kürzlich bekräftigt – bereits 2020 ganz kräftig unsere Straßen bevölkern (1 Million Stück). Beide Ansagen sind mehr als abenteuerlich, könnten aber bei denen, die schlecht informiert sind, durchaus auf
    Zustimmung stoßen. Ich erinnere: Nur die ganzheitliche Betrachtung führt zu realistischen CO2-Bilanzen für die Stromerzeugung. Das trifft auch auf die KKW-
    Schiene zu. Folglich sind sämtliche CO2-Emissionen relevant, die, bezogen auf die Gesamtlebensdauer einer Erzeugungsanlage, auftreten. Dabei inbegriffen sind Aufbau und Entsorgung der Anlage, aber auch die Reststoffdeponierung. Hier liegen die offenen Schecks der Kernenergie, die immens zu Buche schlagen – auch wenn man sie derzeit nur schwer quantifizieren kann.
    Die Legende vom flächendeckend verbreiteten Elektro-Autos ist ebenfalls schnell von Tisch gefegt. Vor allem deshalb, weil der erforderliche Strom in den nächsten 30 Jahren auch nicht annähernd zur Verfügung steht. 70 Milliarden Liter Kraftstoff sind nicht von heute auf morgen zu ersetzen. Schon gar nicht, wenn man an die bis 2030 anstehende Steigerung des Energiebedarfes von 30 – 50 % in Rechnung stellt.
    Einige dieser Thesen griff auch das Fernsehen auf (“Frontal 21”- “Der große Bluff”, 13. Juli 2010):

    http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/1/0,1872,1001633_idDispatch:9770811,00.html

  61. Kay sagt:

    Wen wundert dieses Urteil? Das Blättchen hat Tucholsky oft genug zitiert:

    “Justitia, ich wein´fürchterlich,
    Du gehst auf einen langen ————————–
    Kay

  62. Rolf Pastor sagt:

    Am 22.7. in der Berliner Zeitung

    Politisches Urteil gegen Ramelow und die Linke
    Christian Bommarius

    Eine der zynischsten Bemerkungen über die Opfer der Finanz- und Wirtschaftskrise stammt von einem prominenten Vertreter der Linken: “Weil die Deutschen im Wohlergehen nicht Sozialisten werden wollten, werden sie jetzt aus Armut Sozialisten werden müssen.” Ein anderer Parteivertreter rief eine “Zeitenwende vom bürgerlichen Zeitalter zum Zeitalter des werktätigen Volkes” aus, und schickte die Beteuerung nach, “wenn wir von Sozialismus sprechen, so sehen wir für uns darin eine ganz bestimmte geistige Grundhaltung”.

    Es ist nun eben diese Grundhaltung, die das Bundesamt für Verfassungsschutz bis heute ermuntert, die Linke scharf zu observieren, es sind Äußerungen wie diese, die bei den Beamten des Bundesamtes Zweifel nähren, ob sich die Linke jederzeit auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegt. Was, wenn sie erführen, dass die Sätze keineswegs von Funktionären der Linkspartei gesprochen wurden, sondern der erste von Kurt Schumacher, erster SPD-Vorsitzender nach dem Krieg und als Kommunistenfresser bekannt, der zweite von Jakob Kaiser, zweiter Berliner CDU-Vorsitzender nach dem Krieg und einer der Väter des Grundgesetzes?

    Ob einer sein Weltbild auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung errichtet hat, definiert das Bundesverfassungsschutzgesetz in § 4. Danach zählen zur dieser Grundordnung unter anderem die Gewaltenteilung, die Volkssouveränität, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Achtung vor den Menschenrechten etc. Die Wirtschaftsordnung gehört nicht dazu. Das weiß das Bundesverfassungsschutzgesetz, das wusste das Bundesverfassungsgericht schon in einem seiner frühesten Urteile, nur das Bundesverwaltungsgericht weiß es nicht und will es auch nicht wissen.

    Seine Entscheidung, mit der es – anders als die Vorinstanzen – die Observierung des Thüringer Linksfraktionschefs Bodo Ramelow erlaubt, ist nicht nur falsch, sie ist miserabel. Sie beschädigt nicht nur Ramelow als Person, sie verwechselt auch den Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit der politischen Bühne. Es ist nicht eine einzige Äußerung Ramelows aus den vergangenen Jahren bekannt, die seine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigen würde. Er gilt, nicht nur in den eigenen Reihen, als integrer Politiker, der ganz erfolgreich auf die Veränderung von Mehrheitsverhältnissen hinarbeitet, ganz gewiss nicht auf den Umsturz der Machtverhältnisse. Und was für Ramelow gilt, das gilt – zumindest auf diesen Punkt bezogen – auch für die Partei. Mag es in ihren Reihen – durchaus mehr als in anderen Parteien – auch etliche Spinner geben, Revolutionsträumer und Steinzeitmarxisten, aufs Ganze gesehen kann niemand bestreiten, dass die Linke längst im Parlamentarismus, in der Parteiendemokratie, im Rechtsstaat angekommen ist. Das nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist ein denkwürdiges Versagen des Bundesverwaltungsgerichts. Offenbar hat es nicht verstanden, dass auf dem Boden der deutschen Grundordnung schon immer selbst dann Platz war, wenn von Kapitalismuskritik die Rede war.

  63. Vill Fred sagt:

    Fortsetzung: Debatte vom 27.05.2010

    Helge Jürgs endete in seinem Beitrag mit den Worten:

    „Besten Dank, Horst Köhler, für soviel Klartext. Nun verbindet sich mit Ihrer Amtszeit denn doch noch das Hautgout des Exklusiven…“.

    Kaum einer spricht heute noch darüber, warum H.K. in Verlegenheit kam und sein Amt verließ. Es wird in der Zwischenzeit sogar viel umfassender interpretiert. Und alles wird zum „Hautgout des Exklusiven…“. Das Erschreckende für mich daran ist, es gelingt den Mächtigen alles offen Liegende dennoch zu verschleiern. Die Wahl des Nachfolgers von H.K. ist selbst ein solches „Hautgout des Exklusiven“.

    Die Emotionen zum Ausgang der Bundesversammlung schlagen sehr hoch. Es sind ganz persönliche Empfindungen, die sachliche, unsachliche und alle möglichen Halbwahrheiten zum Hintergrund haben, die jedem Menschen zu Grunde liegen, wenn er eine Meinung äußert – egal zu welchem Thema oder zu welchem „Lager“ er sich zählt. Es gibt keine absolute Wahrheit. Das wird jeder gebildete Mensch wissen. Wahrheit beruht immer auf einem Erkenntnisstand und dieser ist nicht absolut erreichbar. Deshalb erweitert sich stets das Wissen der Menschheit und seine Fähigkeit Wissen anzuwenden.
    Es ist deshalb schade, wenn teils unsachliche Argumente immer wieder wie Axiome wiederholt werden, ohne den verfügbaren aktuellen Erkenntnis- und Wissensstand zu verwenden. Wenn sich jemand auf ein solches Axiom festgelegt hat, ist es wahrlich schwer, sachlich darauf zu begegnen. Die Diskussion verläuft ins Nichts! Das ist typisches „Lagerdenken“.
    Aber es geht ja nicht um die Diskussion schlechthin, sondern um die Inhalte und was sie für praktische Folgen haben.
    Wenn ich so herangehe, muss ich erst einmal für mich klar machen, um Was es bei der Bundesversammlung ging. Der Bundespräsident/-in war zu wählen, weil der Vorgänger das Handtuch warf. Diese Wahl erfolgt in einer Folge von Rechtsakten, die gleichzeitig auf dem heutigen Erkenntnisstand des Demokratieverständnisses beruhen und im Grundgesetz und §§ff. formuliert sind. Hier, meine ich, gibt es schon die ersten gravierenden, unterschiedliche Ansätze in den Beiträgen. Jeder Beteiligte an der Diskussion, aber auch bei der Wahl selbst, stellt seine Axiome voran als unumstößlich.
    Als erstes sind in dieser Angelegenheit Kandidaten erforderlich, die den Job des/der Bundespräsidenten/-in machen wollen.
    Da die Bundesversammlung von den Zusammensetzungen der Bundes- und Lan-desparlamente abhängig ist, und diese durch die von Parteienkonstellationen geprägt sind, kann also die Bundesversammlung nur dessen Spiegelbild sein. Jeder von uns weiß, dass die Inhalte der Koalitionen z.B. in den Ländern völlig differieren. Was z.B. in einem CDU-geführten Land an Inhalten möglich ist, kann in einem anderen CDU-geführten Land als Nonsens gelten (vergl. dazu Hamburg, Saarland und Thüringen – alle CDU-geführt). Es gibt und kann also keine völlige Interessenübereinstimmung geben – „…und das ist gut so!“. Hinzu kommen die Differenzen zwischen den oppositionellen Parteien, die weitaus gegenläufiger sind, als bei den koalierenden Parteien. Auch das ist gut so?
    Nun gibt es noch eine weitere Überlagerung der Interessen im Bundesparlament, das die andere Hälfte der Wahlmänner und -frauen stellt. Die Inhalte der Differenzen der Wahlmänner/-frauen sind parteilich, persönlich, regional und was weiß ich noch alles. Und so mancher hat noch sein ganz persönliches Messerchen geschärft. In einem sind sich jedoch alle einig: Ein Kandidat ist nur erfolgreich, wenn er dem Parteikodex entspricht, von dem er nominiert wurde. Das Regierungslager um Frau Merkel entschied sich sehr schnell, Herrn Wulff ins Rennen zu schicken. Eine richtige Begründung, diesen Politiker ausgewählt zu haben, gibt es bis heute nicht; und warum diese Riege sich nicht breiter bei ihren Parteigängern absicherte bleibt ein Rätsel, denn es war weder Tag noch Stunde der Kandidatenbenennung festgelegt. Darin liegt m. E. eine Führungsschwäche unter Merkel. Gerade weil viele Unstimmigkeiten in der Koalition und der CDU/FDP-Parteigremien vorhanden sind, wäre hier mehr Übereinstimmung oder gar Sorgfalt nötig gewesen.
    Die bundesweite, unorganisierte Opposition von SPD, Grünen und Linke hatte in der Bundesversammlung zwar von vornherein keine absolute Mehrheit, aber unter den Umständen der Zerwürfnisse im CDU/FDP-Lager durchaus Chancen, einen Favoriten durchzubringen. Das stand zum Zeitpunkt der Einberufung der Bundesversammlung zweifelsfrei fest. Hätten SPD und Grüne ein ehrliches Interesse gehabt, einen Kandidaten „durchzubringen“, waren sie unzweifelhaft auf die Linken angewiesen. Es wäre also genug Zeit gewesen, einen solchen gemeinsamen Kandidaten zu küren. Aber das Feindbild zur Linken ist stärker und die Führungsriege um Steinmeier verhält sich synchron der CDU-Riege um Merkel, nur keine breitere Kandidatensuche und schon gar nicht mit den Linken. So ihre Devise. Um aus dem Merkel-Lager „Abtrünnige“ zu gewinnen, um die absolute Mehrheit von CDU/FDP zu unterlaufen, kam also nur ein bürgerlicher Kandidat in Frage. Es gab und gibt viele Personen in Deutschland, die CDU/FDP/SPD/Grüne/Linke-übergreifend als bürgerlicher Bundespräsident repräsentieren könnten. Herr Gauck war und ist einer, der diese Eigenschaften nicht verkörpert, zumindest nicht für die Linken. Nicht nur weil er alle außen- und innenpolitischen Wendungen der Bundesrepublik seit 1990 mit trägt und gutheißt, sondern auch weil er „auf einem Auge blind geworden ist“. Es war gar nicht von denen, die ihn zum Kandidaten benannten, realistisch vorgesehen, ihn auch ernsthaft zum Bundespräsidenten zu küren, denn dazu hätte man von vornherein eben auch die Stimmen der Linken-Wahlmänner und -frauen benötigt. Denn diese mehr als einhundertzwanzig “Ersatz-“Stimmen allein aus den Abtrünnigen des Regierungslagers zu rekrutieren, wäre doch eine Vermessenheit. Das man den Kandidaten Gauck gar nicht erst den Linken vorschlug und ihn genauso schnell präsentierte, wie dies das Regierungslager mit Herrn Wulff tat, belegt eigentlich schon die ganze Infamie. Das die Linke nun selbst eine/n Kandidaten/-in küren muss war nur eine logische Folge, wenn Die Linke auch in Zukunft überhaupt ernst und wahrgenommen werden will.
    Einen (in Zahlen:1) Kandidaten dem Regierungslager entgegenzustellen der Erfolg haben kann bedeutet also auch, den unversöhnlichen Spagat vom CDU/FDP- bis zum Linken-Lager zu schaffen. Wie gesagt, Menschen, die dieses Charisma verkörpern, gibt es natürlich, aber Herr Gauck gehört aus linker Sicht nicht dazu. Es lief also auf eine Schau von SPD und Grünen hinaus, dessen Ergebnis die Nominierungen von Wulff, Gauck und Jochimsen darstellte.
    Das es Herr Wulff im ersten Wahlgang nicht schafft war Kalkül. Auch konnte das Regierungslager nicht verlieren, da die Linke-Kandidatin eine satte Stimmen-Differenz zum SPD/Grünen-Kandidat ausmachte. Eine bessere Gelegenheit gibt es nicht, der eigenen Merkel-Führung durch die Blume zu sagen, dass sie Frau Merkels Stil nicht mögen. Es konnte nicht schief gehen, die Kritik so zu bewerkstelligen. Das sich ab dem zweiten Wahlgang die Parteidisziplin durchsetzt war auch klar, denn letztendlich würde niemand des CDU/FDP-Lagers auf seine Macht verzichten wollen und das ganze Regierungskonstrukt ins Wanken bringen wollen. Die eigene Abhängigkeit ist viel zu verwoben. Das dies so ist, bewies das Endergebnis, als im dritten Wahlgang sogar die absolute Mehrheit des Regierungslagers erreicht wurde, obwohl es hier gar nicht mehr nötig war – aber sicher ist sicher! Wäre die Linke-Kandidatin bereits im zweiten Wahlgang ausgestiegen, wäre bereits hier das Wulff-Ergebnis erreicht worden. Es war ein Spielchen der Unzufriedenen im Regierungslager, die gern den von der SPD/Grünen zugespielten Ball annahmen, um ihn im entscheidenden Wahlgang zurückzugeben. Mit der personellen Bundespräsidentenwahl hatte das alles nichts zu tun. Warnen – nicht Stürzen war das Ziel. Und das haben die Unzufriedenen des Regierungslagers erreicht.
    Bleibt also die Frage, warum das Steinmeier-Lager mit ihrer Nominierung – ohne die Linken – so verfuhr? Der Konstellation folgend, war es ein gut durchdachter, taktischer Schachzug, um gegen die Linken strategisch Stimmung zu machen. Die Linken werden scheinbar zu Gegnern einer gemeinsamen Opposition dargestellt – besser gesagt: „vorgeführt“ als „Verweigerer“, obwohl es gar keine Verweigerung war, da sie vom Angebot ausgeschlossen waren. Es war kein Kandidat da, den sie wählen konnten. Und, es war gut so, dass sie sich nicht zum Hampelmann gemacht haben, denn hätten sie im letzten Wahlgang Herrn Gauck gewählt, hätte Wulff auch gewonnen und sie ständen prinzipienlos da. Wie sagte doch ein Vertreter des Regierungslagers sinngemäß vor den Mikrophonen, wenn Herr Gauck auch von den Linken mit gewählt wird, dürfte dieser Herr Gauck eine gewonnene Wahl nicht annehmen. Soweit geht das „Abweichen der Abweichler“ im Regierungslager nun doch nicht. Und damit bin ich wieder am Ausgang meiner Betrachtung.
    Dieser logische Erkenntnisprozess war seit der Einberufung der Bundesversammlung logisch ableitbar. Das Wissen war vorhanden und ein heutiges mediales Draufschlagen auf das Wahlverhalten der Linken ist Erkenntnis- und Wissensverweigerung derjenigen, die sich zu den betreffenden Lagern dazugehörig fühlen. Es tut mir leid, es so deutlich zusagen, die meisten Lagervertreter merken gar nicht, dass sie der Manipulation aufgesessen sind. Wer nicht Willens ist, Erkennen in Lernen und Lernen in Wissen umzuwandeln, wird auf seinem Axiom der Unkenntnis stecken bleiben.
    Meine Anerkennung den Linken Wahlmänner und -frauen, die sich nicht beirren ließen, in der Flut von Anfeindungen, Schmähungen und Demütigungen, denen sie in der medialen Öffentlichkeit am Wahltag, jetzt und auch künftig ausgesetzt sind/werden, das Beste aus der Situation gemacht zu haben.

    Der neue Bundespräsident Wulff wird nun seinen Job machen und die Gesetze unterschreiben, die die jetzige und künftige bürgerliche Regierungen zum Systemerhalt vorlegen werden. Er wird Reden zur Demokratie halten, wird die Freiheit loben und das Zusammenleben zwischen Ost und West schön reden. Die sozialen Ungerechtigkeiten und die Interessen Deutschlands im Ausland wird er Im Interesse der aktuellen bürgerlichen Macht weiter unterstützen. Über linke Gesellschaftskonzepte und -ideen wird auch er warnend schweigen. Es ist offensichtlich noch nicht die Zeit linker Politik auf Regierungsbänken. Der Erkenntnisprozess lässt das in der Bevölkerung noch nicht zu, da das Wissen darüber verhindert wird. Die Manipulationen durch das konservative Lager von CDU/FDP bis SPD und Grüne sind klug gemacht und effizient wirksam, denen die Linke noch nichts entgegensetzen kann. Noch nicht?

    PS. Natürlich weiß ich, dass es eine CSU in Bayern gibt, die auch zum regierenden Lager gehört. Aber ich erlaube mir, diese Regionalpartei hier textlich der CDU einzuverleiben.

  64. „80 Mrd.-Euro-Sparpaket“, das die Regierung gerade auf den Tisch gepackt hat, macht mich nicht nur sprachlos – es macht mich wütend. Denn das, was Deutschland zwischen 2011 und 2014 befähigen soll, seine Schulden einzudämmen (und die EU-Defizit-Kriterien zu erfüllen) – ist nicht nur intransparent, sondern zutiefst ungerecht. Doch noch abstoßender als die Paket-Inhalte selbst wirkte die Bemerkung der Kanzlerin, dass das, was man „in aufreibender Arbeit“ zustande gebracht habe, nicht durch interne Misstöne in Frage gestellt werden dürfe. Statt zu begreifen, dass Kritik aus den eigenen Reihen ein guter Sensor für Unbrauchbarkeit ist, versucht es Merkel mit Druck. Parallel dazu prüft man, ob sich Zustimmungserfordernisse durch „Bilanzierungstricks“ ausdünnen lassen. Offenbar ist es möglich, dass Gesamtpaket so zu splitten, dass Teile davon lediglich den Bundestag passieren müssen, nicht aber der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Schon der Gedanke mutet – zumindest für den Außenstehenden – grotesk an. Dass es an der Substanz vorbei möglich ist, allein durch Findigkeit und Cleverness die Zustimmung zu Gesetzesvorlagen „zu erschleichen“, begreift niemand. Sollte der Kurs der Bundesregierung, auf die wachsende Verschuldung und die spekulativen Attacken der Wall Street mit einschneidenden Sparprogrammen zu reagieren, richtig sein, dann müsste diese Strategie auf einem möglichst umfassenden, parteiübergreifenden Konsens beruhen. Immerhin könnte nicht nur die Stabilität des Euro, sondern auch die der gesamten Volkswirtschaft gefährdet sein. Die schwarz-gelbe Regierung aber glaubt dieser Gefahrenlage allein begegnen zu können. Ja mehr noch: Sie versucht, Abwehr und Sicherheitsmaßnahmen so zu stricken, dass die eigene Klientel möglichst wenig zur Kasse gebeten wird. Da mit Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung in NRW die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat verloren geht, sieht Merkel diese Strategie gefährdet.
    Soweit die Gesamtwetterlage. Doch nun zu den Inhalten:
    Nimmt man die Kabinettsvorlage, so will die Regierung ihre Ausgaben 2011 um 13,2 Mrd. Euro, 2012 um 19,1 Mrd. Euro, 2013 um 24,7 Mrd. Euro und 2014 um 26,6 Milliarden Euro kürzen. Dabei werden für 2011 zunächst Titel genannt, die Unternehmen betreffen, inhaltlich aber völlig unklar sind. Man spricht im Rahmen eines 5,3-Mrd.-Sparpaketes von zu kappenden Ökosteuerrabatten (bleibt unerläutert), einer Luftverkehrsabgabe (ohne Kerosinsteuier?), der Brennelementesteuer (die ist mit Blick auf die Versteuerung bei konkurrierenden Energieträgern längst fällig) und der Bahndividende (Verzicht auf Ausschüttung oder was?) – schwenkt dann schnell auf die Arbeitslosen, denen man befristete Zuschläge und Rentenzuschüsse, den Heizkostenzuschuss und Weiterbildungskurse streichen und damit 4,4 Mrd. Euro sparen will. 0,6 Mrd. Euro sollen Zugriffe auf das Eltergeld bringen. Hier sind Kürzungen geplant, bei Hartz-IV-Familien sogar die komplette Streichung der Bezüge. Völlig nebulös nehmen sich Einsparungen aus, die der Staat sich selbst verordnet: Stellen- und Gehaltskürzungen bei Bundesbeamten, die Kürzung des Wehretats und die Senkung allgemeiner Verwaltungsausgaben (2,3 Mrd. Euro). Mit 0,6 Mrd. Euro bringt man dann die Verschiebung des Schloss-Wiederaufbaus in Berlin und geringere Zinslasten (da geringere Schulden) ins Spiel („Rheinische Post“, 8. Juni 2010).
    Der Bürger kann mit diesem Konglomerat – ohne dass er über Grunddaten und Berechnungsverfahren informiert ist – kaum etwas anfangen. Zwei Dinge allerdings dürften ihm sofort auffallen: Dass man den Reichen im Lande offenbar nichts, den Armen dafür umso mehr Geld abknöpfen möchte. Und dass man Nebelkerzen dazwischen knallt: scheinbare Selbstverpflichtungen des Staates (schon immer undifferenziert angesagt und kaum irgendwo abgerechnet), die Brennelemente-Steuer und das Stadtschloss.
    Besonders verheerend ist die Idee, das Elterngeld zu kürzen bzw. total abzuschaffen. Sie konterkariert nicht nur bisherige Bemühungen, der bedrohlichen Alterspyramide entgegenzuwirken. Sie macht auch deutlich, dass man „den Vermehrungsbemühungen der Verlierer unserer Gesellschaft“ ein für alle Mal den Riegel vorschieben möchte. Wir brauchen Kinder von Leistungsträgern und nicht von Hartz-IV-ern scheint der geheime Leitspruch zu lauten, für den man nicht einmal Thilo Sarrazin bemühen muss. Dass ALG-II-Bezieher heute undifferenziert in eine Kiste verabscheut werden, gehört zu den größten Würdeverletzungen unserer Zeit. Wer diesen Menschen, die zu mehr als 80% Opfer einer verfehlten Wirtschafts- und Finanzpolitik sind, die Gründung von Familien erschwert, nur weil Hartz-IV an einigen Stellen vererbt wird, verstößt gegen fundamentale Menschenrechte. Außerdem lehrt die Geschichte, dass Notsituationen eher mit vielen Kindern einhergingen als mit wenigen.
    Wir leben heute in der grotesken Situation, dass der Staat Hartz-IV-Empfänger massiv unter Druck setzt, jegliche Arbeit anzunehmen, obwohl er die Arbeitsangebote nur im eigenen, nämlich dem öffentlichen Bereich direkt beeinflussen kann. Allerdings soll der staatliche Sektor im Schnitt personell ausgedünnt und nicht aufgestockt werden. Die Privatwirtschaft gehorcht ausschließlich effizienzgesteuerten Mustern. Sie wird Arbeitsplätze nur in dem Maße anbieten, wie das Konjunktur und (privat)wirtschaftliche Interessenlagen vorgeben. Dennoch werden Hartz-IV-er auch dann stigmatisiert, wenn es Jobs partout nicht gibt. Etwas Besseres, als dass der Staat permanent – also unabhängig von Konjunktur und Arbeitskräftebedarf – Druck macht und ein Heer von Praktikanten, 1-€-Jobbern und Hartz-IV-Empfängern vor sich hertreibt, kann den privaten Arbeitgebern nicht passieren. Sie saugen ab, wenn Bedarf da ist und pressen zurück, wenn die Nachfrage ins Stocken gerät. Nimmt man die staatlich unterstützte Leiharbeit hinzu, dann lässt sich durchaus schlussfolgern, dass Arbeitnehmer in Deutschland noch nie so angstvoll und brutal auf die Wünsche und Begierden der Arbeitgeber getrimmt wurden wie heute. Dass man Hartz-IV-ern nun auch noch die Qualifizierungsmöglichkeiten kappt, besiegelt deren Schicksal. Sie verkommen zur billigen Manövrier- und Polemisiermasse. Schon jetzt gelingt nur 7% der Betroffenen der Aufstieg in den 1. Arbeitsmarkt.
    Doch kommen wir auf den Gegenstand zurück: Das vorliegende Sparpaket ist eine brutale Kampfansage. Kein Wunder, dass sich Gewerkschaften, Die Linke, Attac und ein Teil der Medien etc. spontan dagegen auflehnten und selbst konservative Politiker, Wirtschaftswissenschaftler und betuchte Bürger die Köpfe schütteln. Gerade hat Boston Consulting mitgeteilt, dass die Zahl der deutschen Millionärshaushalte im Krisenjahr 2009 gegenüber dem Vorjahr um 23 % auf nunmehr 430.000 gestiegen sei („Rheinische Post“, 12.Juni 2010). Wo – frage ich – bleibt angesichts dieser Tatsache die gerechte Lastenverteilung? Warum versucht schwarz-gelb wieder bei denen zu sparen, denn es echt wehtut und verschont die, die zusätzliche Lasten kaum spüren oder gar nicht erst wahrnehmen? Warum kann auf den drohenden Schuldenberg nicht mit weniger Sparen und mehr Versteuern – bei Reichen und Superreichen – reagiert werden? Warum ist die Vermögenssteuer kein Thema? Rot-grün hat sie im Jahre 1997 ausgesetzt – eine bis heute unverständliche Bevorzugung der Besserverdienenden. Es ist höchste Zeit, sie erneut einzuführen. Auch deshalb, weil es andernorts völlig normal ist, solche Abgaben zu leisten. In den OECD-Staaten müssen auf Vermögen im Mittel 5,6 % Steuern entrichtet werden, in Frankreich sind es 7,8%, in Großbritannien 11,6 % und in den USA sogar 11,7 % („Die ZEIT“, 17. Juni 2010).
    Ähnliche Einnahmepotentiale für den Staat gäbe es bei Erbschaftssteuer, Körperschaftssteuer und Kapitalertragssteuer (auch sie wurden von rot-grün abgesenkt). Alle drei müssten differenziert angehoben werden, was angesichts wachsender Einnahmen bei den Vermögenden, aber auch mit Blick auf die zügigere wirtschaftlichen Erholung jederzeit vertretbar wäre.
    Eine weitere Möglichkeit, kommende Lasten besser zu verteilen, wäre die Erhöhung des Spitzensteuersatzes für Besserverdienende – von heute 47,5 % auf 50-55%. Diese Größe galt über viele Jahrzehnte hinweg als angemessen – in den 70er Jahren lag sie sogar bei 56 %. Ausgerechnet rot-grün betrieb auch hier „Reichen-Entlastung“ und veranlasste 2003 die Absenkung von 48% auf 42 % (http://www.wsws.org, 21.Oktober 2003).
    Zwingens ist überdies die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Angela Merkel will sie derzeit in Toronto auf die Tagesordnung bringen. Mit welcher Ernsthaftigkeit, ist nicht auszumachen. Immerhin könnten bereits bei einem Steuersatz von nur 0,01 % auf laufende Finanztransaktionen EU-weit ca. 50 Mrd. €, in Deutschland bis zu 20 Mrd. € generiert werden („ARD/Monitor“, 20. Mai 2010). Die USA und Großbritannien sind erklärte Gegner einer solchen Steuer, für die es auch in der EU keine geschlossene Zustimmung gibt. Selbst der Ansatz von Frau Merkel wird von vielen als politisch motiviertes Feigenblatt betrachtet. Bleibt abzuwarten, ob in Deutschland und Europa Mut und Willen wachsen, ggf. auch Alleingänge gegen die ausufernde Spekulation zu starten. Hier wünschte ich mir noch massivere Unterstützung durch unsere Bürgerrechtsbewegungen und Gewerkschaften.
    Darüber hinaus müsste unzeitgemäße „Ehegattensplitting“ (es belohnt Hausfrauen, die nicht oder nur in sehr geringem Maße berufstätig sein wollen) beseitigt werden. Allein durch diese Maßnahme könnte der Staat Mehreinnahmen von 22 Mrd. Euro generieren („ZDF/Frontal, 13. April 2010). Auch die Kohlesubventionen gehören auf den Prüfstand. Nach einer Studie von Greenpeace belief sich die staatliche Unterstützung allein im Jahre 2008 auf 12,8 Milliarden Euro (1950-2008: 432 Mrd. Euro!), während die Bundesregierung in ihrem Subventionsbericht nur 1,9 Mrd. Euro angibt („taz“, 4. Juni 2010). Auch die immensen staatlichen Unterstützungsleistungen für so genannte „Aufstocker“ könnten reduziert werden – dann nämlich, wenn Mindestlohn und neue 400-€-Job-Angebote (für Hartz-IV-Bezieher) in Deutschland vorankämen. Auf diesen Feldern aber sieht es bis heute mau aus, weil das Zetern um deutsche Wettbewerbsfähigkeit das Bemühen um faire Reglungen auf dem Arbeitsmarkt bei weitem übertönen konnte. In der Folge gewannen Leiharbeit und Lohndumping weiter an Fahrt. Vor allem dann, wenn Staat bereit war, prekäre Löhne durch Zuzahlungen auf Hartz-IV-Niveau aufzustocken, drückte ein Teil der Arbeitgeber die schon niedrigen Löhne weiter. Die staatlichen Zuschüsse für die nunmehr 1,3 Millionen Aufstocker wuchsen so auf unvorstellbare 10,9 Mrd. Euro (2009) an (Sozialleistungen.info, 4. Mai 2010)
    Last but not least: Wir brauchen endlich eine konkrete Exitstrategie für das sinnlose Afghanistanabenteuer. Auch sie muss zur Haushaltskonsolidierung beitragen. Zwar dürfte das Obama, der deutsche Sparanstrengungen a priori für falsch hält und derzeit Leuten wie dem Hedgefond-Guru und Spekulant George Soros das Wort redet, noch mehr auf die Palme bringen. Doch wer zwingt uns, hier einzuknicken?

    Mit dieser Analyse ist die Frage, ob Sparen oder mehr Verschulden und Investieren die jeweils richtigen Tools zur Konsolidierung der Weltwirtschaft darstellen, nicht beantwortet. Vor allem deshalb nicht, weil zu beiden Lösungsansätzen nicht nur unterschiedliche Positionen von „Wirtschaftsweisen“ und unterschiedliche Auffassungen innerhalb betroffener Länder, sondern auch Kontroversen zwischen einzelnen Ländern Staaten und Regierungen bestehen. Obama, aber auch die Wall Street stehen für weiteres Schuldenmachen und Investieren. Die deutsche Regierung hingegen möchte sparen, nicht zuletzt deshalb, weil sie andere, in Schieflage geratene Staaten zu genau diesem Verhalten angespornt hat. Die EU-Schuldnerländer müssten ihre Anpassungslasten allein tragen, so die verkürzte Strategieformel, gegen die sich zunehmend Widerstand aufbaut („Rheinische Post“, 22. Juni 2010). Während die Amerikaner meinen, dass Gläubigerstaaten mit starkem öffentlichen Engagement zur Überwindung der Krise beitragen müssten, bohren vor allem EU-Staaten (Frankreich, Griechenland etc.) an anderer Stelle. Die Deutschen, so heißt es, dürften jetzt nicht sparen, sondern müssten im Ausland kaufen. Es sei höchste Zeit, die unmäßigen Überschüsse beim Export abzubauen. Vor allem aber sollten sie darauf verzichten, die Sozialstandards weiter abzusenken (Stichworte: Dumpinglöhne, Rente mit 70, Ausdünnung des sozialen Netzwerkes), um damit die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der EU und auf den Weltmärkten zu steigern.

  65. Werner Richter sagt:

    Mein Credo 1
    Immer wieder zögere ich es hinaus, wer bist du eigentlich, was maßt du dir an, auf dich hat die Menschheit gerade noch gewartet ihr zu sagen, was sie tun soll. Stimmt. Aber wäre es nicht feige, erst zu beanstanden, was dich stört, u. dann zu kneifen? Stimmt auch. Es hilft nichts, wer A sagt, muß auch den Rest austrinken. Jeder blamiert sich eben, so gut er kann, ich muß es zu Ende bringen. Gute Gelegenheit, auszudrucken u. nachzulesen, was ich selbst so zusammengesponnen habe.
    Längere Zeit vor u. nach der Blättchen-Wende habe ich ungefragt meine Sicht zur gesellschaftlichen Entwicklung manchmal ins „Blättchen“, aber meist in dessen „Debatte“ gestellt, wobei klar ist, ich habe keine Urheberansprüche, andere hatten diese Gedanken weit vor mir u. meist begründeter. Man sehe es einem Laien nach, doch es ist ehrlich gedacht.
    Ich las aus vielen Schriften, die zu verarbeiten waren, im Wesentlichen das Fazit:
    Unsere so feine Gesellschaft weist scheinbar Züge des Endstadiums einer Warenproduktionsweise auf, aber Vorsicht ist hier geboten. Mit einer grandiosen Implosion a la „Sozialistisches Weltsystem“ sollte man nicht rechnen, ist eher unwahrscheinlich, dagegen durchaus mit einem stillen Wandel der Produktions- u. Gesellschaftsverhältnisse, der wachsenden Vergesellschaftung der Produktion u. des Kapitals folgend u. von diesen alternativlos, wie jetzt sehr schön im Krisenverlauf anzuschauen, u. zwingend erfordert. Auch wenn der jetzige, immer rasantere Krisenzyklus einer Eruption entgegensteuert, ob im Zusammenbruch des Weltfinanzsystems gipfelnd oder im offenen Wirtschaftskrieg mit China oder in politisch-militärischen Interventionen in der ganzen Welt, nach der damit verbundenen Vernichtung von Kapitalen werden neue Aufschwungsmöglichkeiten unter veränderten Bedingungen entstanden sein, auch die Exportsteigerung in direkter Linie mit Rüstungsaufschwung ist Teil dieses Prozesses, ein Anfang. Und die etablierten politischen Kräfte, hier bei uns die politischen Parteien, werden nicht die sich bietenden Möglichkeiten der demokratischen Verteilung u. Umverteilung nutzen, sondern die Sicherung u. weiteren Konzentrierung des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen der bisher schon besitzenden Klassen betreiben. Wie es dann dem Volk gehen wird, steht auf einem anderen Blatt. Aber ein neuer Zyklus wird wieder anlaufen. Bis dahin wird auch die etwas primitive Art des eigentlich lächerlichen neoliberalen Unfugs der Neue-soziale-Marktwirtschaft-Sekte, die recht konspirativ in allen Parteien u. Verwaltungen wirken, durch die Realität überholt sein, vermutlich in anderen Formen präsent bleiben. Die Produktionsverhältnisse, speziell die Eigentumsstrukturen, werden, tendenziell heute schon zu beobachten, durch einen größeren Einfluß des Staates, aber auch einer neuen Qualität der Verschmelzung von Finanz- u. Staatskapital gekennzeichnet sein. Eine neue Schicht der staatsbürokratischen Oligarchie, in Wirtschaftsstrukturen fest eingebunden, wird die Macht haben, Innehalten u. Neubesinnung angesichts der Wahnsinnsspirale u. damit demokratische Entwicklungspolitik sind freiwillig von denen nicht zu erwarten, egal, welche Partei welches Gewicht erlangt hat, von denen ist nichts zu erwarten. Ihr Credo ist: unbedingt mithalten u. drin bleiben. Sie werden die Entscheidungen zu ihrem Standpunkt immer zuerst von der Machtfrage her treffen. Auch so heute noch nach außen sich revolutionär gebärdende Parteien werden als Bettvorleger enden, sie üben ja schon mal, zunächst noch auf Länderebene, ihre Integration in „Sachzwänge“. In Perspektive können sie jedoch ein interessantes Absicherungspotential der Machtverhältnisse auch für die große Politik sein. Sarah Wagenknecht könnte jederzeit mit einem Parteiverfahren ausgeschaltet, sollte sie lästig werden. Eine avantgardistische Kraft, die, u. sei es wie gehabt tatsächlich nur scheinbar, dem Volke den Weg zur Mitherrschaft, zu demokratischen Entwicklungen weisen u. führen könnte, ist nicht verfügbar, vielleicht ist das die historische Chance. Das Volk, zunächst wohl wieder mal nur der Zoon Politikon, einer muß anfangen, artikuliert seine Interessen selbst außerhalb der politischen Institutionen, ja nicht in diesen!
    Alle bisherigen Bürgerbewegungen oder –initiativen in der alten Bundesrepublik, ob gegen mehr Kernkraftwerke, Umweltverschmutzung, Arbeitsplatzabbau, Hartz-Gesetze oder Globalisierungsauswirkungen gerichtet, waren immer auf einzelne Bereiche der Gesellschaft beschränkt, damit auch einziehbar ins stinknormale Leben u. eigentlich ungefährlich für die Machstrukturen. Sie konnten sogar ideal von interessierten Personen zur Profilierung zum Aufstieg in höhere Kreise genutzt werden. Da konnte man schon mal, war man gerissen u. skrupellos genug, vom Taxikutscher zum Außenminister/Dozenten aufsteigen, die Bewegung allerdings mußte so pervertieren. Als Ratio bleibt alsdann, eine neue APO ist gefragt, die immun gegen die Streckbank der Politikfähigmachung bleibt, sonst geht auch sie dann den Weg des schleichenden Suizids, wie Bündnis-Grüne u. wohl demnächst auch Die Linke. Diese APO haben schon ganz andere als unausweichlich prophezeit, z.B. Thomas Klein, hierin bin ich also auch nicht Urheber. Sie hat die Chance des Eingriffs in grundlegende gesellschaftliche Strukturen. Als thematischer Ansatzpunkt der APO bietet sich das meines Erachtens einzig intakte verbliebene Grundrecht, das Wahlrecht, noch ideale Eingriffsmöglichkeiten, die Chance der Verteidigung des Grundgesetzes vor weiterer Farcierung. Und hier ist ein „Wurzelthema“ gegeben. Wie gesagt, stelle ich mir ein abgestimmtes Zusammenwirken einer Vielzahl bereits vorhandener Initiativen u. Gruppen vor, zu den Wahlen in diese indirekt eingreifend, eine Opposition zu Wahlgesetzen, Wahlgeschehen u. Annexion der Wahlergebnisse durch die herrschende politische Klasse unübersehbar zu machen. Meine nachzulesende Idee ist, quer über den Wahlschein ein dickes oranges Kreuz mit entsprechendem Marker zu ziehen u. den Schein damit ungültig zu machen. Die Gleichartigkeit dieser Methode ist wichtig. Zugegeben, in Punkto Farbe habe ich abgekupfert, aber andere Farben wären zu blaß oder könnten zu leicht bewußt mißverstanden u. mit den üblichen Todschlagargumenten diskriminiert werden. Schön wäre noch ein einfaches Symbol, von jedermann darauf zu malen, aber wer hat da eine Idee? Moment: wie wäre es mit einer stilisierten Blume, die wir als Kinder gemalt haben? Damit wäre der erste Schritt getan u. niemand würde es merken. Ich vertraue aber der Weisheit Gandhis: Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich u. dann gewinnst du. Ganz einfach: Die Stimmen dieser Farbe müssen gezählt werden. Die parteinahen Wahlbeobachter werden sich weigern, in den Wahlräumen u. –objekten keine als Propaganda auslegbare parallele Sammlung u. Auszählung zulassen u. die Staatsmacht vorschicken. Aber auf der Straße vor den Wahllokalen wäre schon was zu machen, Form u. Entfernung wären noch zu prüfen, an Juristen wird es dann bestimmt nicht mangeln. Diese Idee holte ich mir von Naomi Klein („No Logo!“), die sehr anschaulich anhand der in den anglikanischen Ländern etablierten Bürgerrechtsbewegung „Reclaim the street“ die sehr wirksame, legale u. kostenlose Methode der spontanen Volksfeste zur symbolischen zeitweisen Rückeroberung öffentlicher Räume beschrieb. Durchaus modifiziert auch hier anwendbar: örtliche alternative Gruppen veranstalten eine Sit-Inn-Picknick-Grill-Trampolinspring-Gaukler-undwerweißnochwas-Fete 50 oder 200 m vom Wahllokal entfernt auf einem nicht infragestellbaren Platz. Ach so, wir sind in Deutschland, dann eben mit vorheriger Genehmigung, auch nicht kriegsentscheidend. Und mittendrin steht ein orangen markierter Tisch, auf dem liegen Wahldokumentationslisten. Da tragen sich die orangenen Wahlverweigerer ein. Die Listen werden gesammelt, zentral, beglaubigt, Ordnung muß sein, u. ausgewertet. Die Ergebnisse pro Wahllokal u. Kommune werden der Presse u. den Öffentlich-Rechtlichen zugestellt. Geduld wird schon notwendig sein, erst ab einer bestimmten Größenordnung werden diese, analog Marxens Kapitalbeispiel, erst lebhaft usw. Diese Bewegung, da bin ich mir sicher, hätte das Zeug zum Wachsen u. Nichtübersehenwerden, mit dem obligatorischen Spaßfaktor. Dieses kommt jedoch nicht im Selbstlauf, da müssen alle vakanten Gruppe, Grüppchen u. Personen angeregt werden, durchaus eine Heidenarbeit. Was bin ich wieder mal so schön subversiv, gelle Schlapphüte? Aber immer im Rahmen der Gesetze, ätsch! Ist der Punkt der gesellschaftlichen Relevanz überschritten, geht es eigentlich erst richtig los. Worüber man sich im Vorfeld u. parallel schon einig werden muß: welche Forderungen in die übrige Gesellschaft getragen werden müssen. Ist es dabei noch von Bedeutung, ob eine Gruppe mit meinen Ansichten unvereinbare Wunschziele oder feige Haltung über die eigene vergangene Rolle hat oder nicht? Wohl muß ich über meinen Schatten springen, nicht die anderen. Es werden Konflikte aufkommen, das ist klar, aber die liegen genau genommen in der Vergangenheit, nicht in der Zielsetzung für die Gegenwart: Ein Forderungspotential an die Politikerklasse aufbauen, das diese nicht mehr ignorieren kann, die Wahlgesetze zu demokratisieren, tatsächliche Mitbestimmung des Volkes zuzulassen, jenseits des heutigen Zustandes der simulierten. Natürlich werden dann auch Menschen mitmachen oder dies vorgeben, die in Parteien sind, die über diese Institutionen den Weg zur Macht zu beschreiten gedenken. Sollen sie, die kommen nur ein Stück mit unseres Weges, dann geraten sie in Selbstkonflikte u. müssen sich entscheiden, so oder so. Bis dahin wären auch sie willkommen. Ist vor diesem Geschehen dann noch die Forderung, die Linke u. speziell Die Linke solle zunächst ihre historische Verantwortung übernehmen noch zielführend? Schreckliches Wort, in jüngster Zeit oft gehört, muß ich mir merken. Damit kein Mißverständnis aufkommt, ich halte diese Auseinandersetzung, die noch ewig dauern wird, aktuell lähmt u. die Defensive zementiert, für grundsätzlich u. notwendig, aber offensiv lösbar, siehe oben. Sie löst sich von selbst, denn wer glaubt ernsthaft, eine Partei, egal, wie sie heißen mag, würde mit daran wirken, die Parteienrolle in der Gesellschaft auf ein unschädliches, grundgesetzliches Maß zurückzudrängen, gegen die vom Verfassungszerstörerschutz abgesicherten Grundgesetzeleminierer? Und es würde sich auch die uns von der Reaktion aufoktroyierte Diskussion, ob wir noch von einer Linken sprechen sollten, erübrigen. Mit diesen objektiv rückwärts gerichteten Themen würden Zeit u. Kräfte, gebunden, die in der Offensive fehlen würden. Denn die Aufgaben wären immens, denke man sich die Vorbereitung u. Durchführung auch nur eines „Pilotprojektes“: Auffinden, Auswählen, Ansprechen u. Gewinnung einer möglichst großen Zahl von relevanten Gruppen, Einrichtung von Informationsplattformen, auch in den Wahlkreisen, Planung, Vorbereitung u. Durchführung von Wahlfeten in ausgewählten Wahllokalen, Auswertung u. Medienarbeit, Koordinierung u. das alles freiwillig, mit Ausfällen u. Improvisieren. Allein schon diese Vorstellung läßt zweifeln. Also, warum packen wir es nicht an? Oder, wir erzählen uns weitere 10 Jahre, was uns so alles nicht gefällt.

    • Harald Bongs sagt:

      Hallo Herr Richter und liebe Blättchen-Leser,

      vor kurzem erst bin ich auf folgenden Ansatz der Einführung einer “Interaktiven Demokratie” gestoßen, den ich recht interessant finde – genannt Liquid Democracy oder Liquid Feedback.
      Zusammengefasst geht es wohl darum, das bisher nur alle paar Jahre Kreuzchen machende Wahlvolk unmittelbar an Entscheidungen zu den jeweiligen Sachthemen einzubeziehen. Dabei handelt es sich um ein stetiges Referendum, das entweder (im Idealfall) bindend oder als Handlungsempfehlung für die Repräsentanten dient. Letzteres finde ich persönlich wolkig, da meine Erfahrung ist, dass die Politik oft den ausgedrückten Volkswillen ignoriert – und somit der beliebte Ausdruck “Volksvertreter” bildlich auszumalen ist. Immerhin wäre ein solches Handeln dann mehr als offenkundig für die Einäugigen unter den Blinden.

      Die jeweilige Stimme soll hierbei aufgrund der Vielzahl von Sachthemen an, ich bezeichne es mal als Experten Ihres Vertrauens, delegierbar sein.

      Lobbyarbeit würde in erster Linie nur noch durch Argumente wirken können, da direkte Einflussnahme auf Einzelne (Entscheidungsträger) ausufernd sein wird. Das schützt natürlich niemanden vor den versuchten altbewährten medialen Propagandamechanismen.
      Ich hoffe aber darauf, dass die Gleichgültigkeit und Politikverdrossenheit durch direkte Beteiligung einer Motivation weichen wird, mit mehr hinterfragender Diskussion und Austausch.

      Wie ich aber auch feststellen muss, haben gewisse Kreise (names Piratenpartei), die diese nicht wirklich neue, jedoch für die bei uns vorliegenden aktuellen Verhältnisse fast schon revolutionäre Idee jüngst voran getrieben haben, scheinbar Angst vor der eigenen Courage bekommen. Ich finde es wünschenswert, dass der aus meiner Sicht vielleicht einzig WIRKLICH RELEVANTE und weitreichende Aspekt des Programms dieser Partei nicht untergeht. Dafür muss ich kein Piratenfreund sein, da es AUF DIE SACHE ankommt. Etwas, was ich bei den Regierigen und in der Parteiendemokratie allgemein ebenfalls oft bemängele – Ellbogenverhalten statt sachlich konzentrierte Themenargumente.

      Da ich selbst noch im Meinungsbildungsprozess über den Ansatz dieser interaktiven Demokratie stecke und mich informiere, überlasse ich es jedem dies gleichzutun.
      Der Bitte, auf Links zu verzichten entsprechend, empfehle ich dazu einfach den Suchbegriff “Liquid Feedback” ins weltweite Spinnennetz einzugeben.

      Lieben Gruß,
      Harald Bongs

    • Die Redaktion sagt:

      Lieber Harald Bongs,

      zu Liquid Feedback hat übrigens gerade unsere Autorin Ines Fritz etwas geschrieben:

      http://isis-welt.blog.de/2010/08/17/mitbestimmung-9195176/

  66. Martin Franke sagt:

    Ein Nachtrag zu den Sondierungsgesprächen der NRW-SPD mit der dortigen Linkspartei

    Liebe Frau Kraft!
    Ich bin ja nur ehemaliger NRWler und ehemaliger PDSler, aber ich muß sagen: Die DDR war ein Unrechtsstaat. Jawoll!
    Am klarsten hat der Große Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (…) 1956 (…) formuliert: Der nationalsozialistische Staat war „im Kern ein Rechtsstaat“.
    Und mit denen will ich die DDR, bei all ihren Fehlern, Mängeln und, ja, auch Verbrechen, nicht in einem Atemzug genannt wissen.

    Gruß aus Boxhagen,
    Martin Franke

    • Webmaster sagt:

      Wer es nachlesen möchte: BGHZ 13, S. 265

  67. Wolfram Adolphi sagt:

    NeXXor lernt

    Dies ist in eigener Sache, und es muss sein. Am 12. April habe ich in Nr. 7/2010 des Blättchens über meinen selbsternannten Wikipedia-Biographen NeXXor geschrieben

    http://das-blaettchen.de/nexxor

    und nun – siehe – hat NeXXor reagiert. Nicht von sich aus zwar, aber immerhin. Auf der Diskussionsseite zum mich betreffenden Wikipedia-Eintrag lese ich am 9. Juni, dass sich am 7. Juni ein Autor (eine Autorin?) namens Babel fish zu Wort gemeldet und mit Hinweis auf meinen Text vom 12. April gefragt hat: “Hilft das?”, worauf NeXXor schon wenige Minuten später antwortete: “Ich bin ehrlich beeindruckt. Ich werde die sachlichen Fehler im Laufe des Tages beheben. Danke für den Link.” Und wiederum 20 Minuten später war die Seite tatsächlich so bearbeitet, dass nun die Anmerkungen zum beruflichen Lebenslauf korrigiert sind. Außerdem findet sich jetzt auf der Seite ein Verweis auf den Artikel im Blättchen und einer zu meiner Homepage Asiaticus.

    Wenn NeXXor nun noch so freundlich wäre, die Information “Als Oberassistent nahm er 1988 ehrenamtlich den Posten des SED-Parteisekretärs an der Humboldt-Universität ein” durch den Satz “… wurde er zum ehrenamtlichen SED-Parteisekretär der Sektion Asienwissenschaften der Humboldt-Universität gewählt” zu ersetzen, wäre der Exaktheit ein weiterer guter Dienst getan.

  68. Beate Hambacher sagt:

    Ebenfalls zur „Gipfel-Nachlese“ in der aktuellen Ausgabe:

    http://das-blaettchen.de/gipfel-nachlese/

    Das Anliegen Barack Obamas, das eigentlich jeder verantwortungsbewusste Staatsmann auf dieser Welt teilen müßte, durch internationale Anstrengungen zu verhindern, daß spaltbares Material je in die Hände von Terroristen fallen und für Anschläge mit katastrophalen Konsequenzen mißbraucht werden könnte, ist aller Ehren wert und lange überfällig. Und daß Washington mit dem kürzlichen Gipfel zu dieser Frage die Initiative ergriffen hat, ist angesichts der existentiellen Bedeutung des Problems mehr als gerechtfertigt, obwohl – oder gerade weil? – die USA die erste und einzige Macht waren, die bisher Kernwaffen im Krieg eingesetzt haben.

    Allerdings ist ein Konzept der USA zur Erreichung des erklärten Ziels bisher nicht erkennbar. Der Gipfel ist ja zunächst lediglich übereingekommen, daß alle Staaten, die spaltbares Material besitzen, durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen unautorisierte Zugriffe verhindern müßten. Dabei waren es die USA, wo zu Beginn des Nuklearzeitalters bereits darüber nachgedacht worden ist, wie die nukleare Büchse der Pandora geschlossen gehalten werden könnte: durch vollständige Übertragung sämtlicher zivilen Aspekte des Umgangs mit dem Atom in die Hand einer internationalen Organisation – ausgestattet mit entsprechen Vollmachten, Instrumentarien und Sanktionsmechanismen – sowie durch Abschaffung aller Kernwaffen. Einen solchen Ansatz hatte eine von Präsident Truman beauftragte Expertenkommission unter Leitung des damaligen US-Vize-Außenministers Dean Acheson und des Rechtswissenschaftlers David Lilienthal bis Anfang 1946 entwickelt.

    Leider wurde daraus dann der Baruch-Plan – benannt nach dem ersten Vertreter der USA bei der Atomenergiekommission der Vereinten Nationen, Bernard Mannes Baruch. Als dieser Plan am 14. Juni 1946 der Öffentlichkeit präsentiert wurde, enthielt er diskriminierende Elemente in einer Weise, die eine Ablehnung durch die Sowjetunion im heraufziehenden Kalten Krieg geradezu provozierte. Bertrand Russell resümierte in seinem 1961 erschienenen Buch „Has Man a Future?”: „The Baruch Plan proposed an International Atomic Development Authority which was to have a monopoly of mining uranium and thorium, refining the ores, owning materials, and constructing and operating plants necessary for the use of nuclear power. It was suggested that this Authority should be established by the United Nations and that the United States should give it the information of which, so far, America was the sole possessor. Unfortunately, there were features of the Baruch Proposal which Russia found unacceptable, as, indeed, was to be expected.” Einflußreiche Kreise in Washington wollten diesen Weg nicht einschlagen, und es ist kein Geheimnis, daß Kräfte dieser Provenienz dort auch heute noch eine mächtige Fraktion bilden.

  69. Helge Jürgs sagt:

    Präsidialer Klartext

    Am Rande seines Truppenbesuches in Afghanistan hat Bundespräsident Horst Köhler dem Deutschlandradio ein Interview gegeben. Darin sind Aussagen enthalten, die man sich ob ihrer Offenheit bezüglich der Motivation militärischer Operationen der Bundeswehr im Ausland (besser gesagt: Kriegführung) auf der Zunge zergehen lassen sollte:

    “Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.”

    Besten Dank, Horst Köhler, für soviel Klartext. Nun verbindet sich mit Ihrer Amtszeit denn doch noch das Hautgout des Exklusiven…

    Helge Jürgs

    • Vill Freed sagt:

      Wer hätte das gedacht, dass Sie vor Tagen so präzise und kurz alles bereits erfassten, was jetzt – nach dem H.K.-Rücktritt! – in allen Medien ausgeschlachtet wird. Meine Bewunderung für Ihre Sicht!

  70. Marie-Luise Grohl sagt:

    Zur „Gipfel-Nachlese“ im BLÄTTCHEN Nr. 10:

    http://das-blaettchen.de/gipfel-nachlese/

    Da haben Russland und die USA beim jüngsten Nukleargipfel also vereinbart, ab 2018 je 34 t bisher offensichtlich militärisch genutztes Plutonium einer zivilen Verwendung zuzuführen, womit eine Nutzung als Reaktorbrennstoff gemeint ist, oder das Plutonium endzulagern. Zur Vervollständigung des Bildes gehören aber einige weitere Sachverhalte. Nicht jedes Plutoniumisotop ist spaltbar, also waffenfähig. Geeignet ist vor allem Pu 239, und das ist ein teuflischer Stoff, wie der Autor der „Gipfel-Nachlese“ knapp, aber treffend skizziert hat. Davon verfügt Rußland nach amerikanischen Quellen über fast 200 t, und in US-Depots lagern immerhin auch mehr als 90 t. Bereits Ende der 90er Jahre hatten beide Staaten Teilmengen ihrer militärischen Vorräte offiziell als „überschüssig“ deklariert – die USA 52,5 t, Rußland „bis zu“ 50 t. Passiert ist damit rein physisch gar nichts, die Mengen sind nach wie vor vorhanden.

    Das führt zu einem grundsätzlichen Problem. Plutonium kommt in der Natur auf der Erde praktisch nicht mehr vor. Es ist durch radioaktiven Zerfall, bei dem es in andere Elemente umgewandelt wird, verschwunden; seine längste Halbwertzeit liegt bei 80 Mio. Jahren (Pu 244). Sämtliches heute vorhandenes Plutonium ist in Reaktoren entstanden – entweder durch gezielte Herstellung zur Verwendung für Kernsprengköpfe (dazu werden bestimmter Uran-Isotope mit Neutronen beschossen) oder als Abfall-Produkt in mit hoch angereichertem Uran betriebenen Kernkraftwerken. Die stehen – außer in Rußland und Amerika – an vielen Stellen der Welt. Daher fallen jährlich immer neue Mengen an Plutonium an.

    Wenn dieses Plutonium dauerhaft aus dem Verkehr gezogen bzw. entsorgt werden soll, dann ist der Begriff endlagern einerseits richtig, denn der Stoff kann physisch nicht vernichtet werden. Frühere Ideen, das Zeug ins All – etwa in Richtung Sonne – zu schießen, wurden sinnvollerweise nie ernsthaft verfolgt; Raketenabschüsse sind bis heute keine hundertprozentig sichere Angelegenheit. Man kann Pu 239 nach heutigem Stande der Technik nur „wegschließen“ und abwarten, bis der natürliche Zerfall das Problem beseitigt hat. Dafür ist endlagern jedoch zugleich der völlig falsche Begriff, weil er etwas suggeriert, wofür es in der Praxis keine gesicherten Verfahren gibt. Plutonium 239 hat eine Halbwertzeit von über 24.000 Jahren. Das bedeutet, von den 68 t, über die sich Rußland und die USA jetzt verständigt haben, wäre, lagerte man sie komplett end, nach der nach menschlichen Maßstäben unvorstellbaren Spanne von 144.000 Jahren immer noch mehr als eine Tonne vorhanden.

    Für ein sicheres Handling über eine derartige Zeitspanne fehlen jegliche Erfahrungswerte und hinreichend erprobte Technologien. Das Problem wird auf unabsehbare Zeit nur von Generation zu Generation weitergereicht werden können. Darüber schweigen sich die politisch Verantwortlichen allerdings geflissentlich aus, wenn sie denn die Tragweite der Angelegenheit überhaupt begriffen haben.

  71. Martin Nicklaus sagt:

    Sehr geehrter Herr Brauer,

    da haben Sie ja einen schönen Text über Sozialschmarotzer geschrieben.

    http://das-blaettchen.de/peachum-faehrt-maserati/

    Dieses Schmarotzertum verdeutlicht noch eine Angabe des Statistischen Bundesamtes, wonach Geschäftsführer ein durchschnittliches Jahresgehalt von rund 91.000 Euro haben.

    Herzliche Grüße
    Martin Nicklaus

  72. Wolfram Adolphi sagt:

    Tucholsky bei “Lesen gegen das Vergessen”

    Die neu gewählte LINKEN-Vorsitzende und Berliner Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch organisiert seit Jahren mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ihres Büros am 10. Mai auf dem Bebelplatz ein “Lesen gegen das Vergessen” zur Erinnerung an die Bücherverbrennung am selbigen Ort durch die Nazis 1933. Immer werden da – natürlich – auch Tucholsky-Texte vorgetragen. Diesmal zum Beispiel einer aus dem Jahre 1928:
    http://www.roland-claus.de/nc/startseite/aktuell/detail/zurueck/aktuell-88/artikel/lesen-gegen-das-vergessen-zur-mahnung-und-erinnerung-an-die-buecherverbrennung-1/

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Lieber Wolfram Adolphi,
      es ist gut, daß Gesine Lötzsch hinter dem LESEN GEGEN DAS VERGESSEN steht. Aber wenn es einen Preis zu vergeben gäbe für den langen Atem beim nunmehrigen zwanzigjährigen Hochhalten der Fahne widerständischer und von den Nazis verbrannter Literatur am TAG DES FREIEN BUCHES nach dem Abgange der DDR und dem sang- und klanglosen Abgange ihres Schriftstellerverbandes, dann gebührte der einer tapferen Berlinerin. Diese Frau heißt Helga Elias und sie hat weder Ämter noch Mandate und sie sei dreimal gelobt. Ohne Helga Elias gäbe es das LESEN nicht mehr und kaum jemand würde sich aufregen über das instinkt- und niveaulose Gestöckele der fashion-week über diesen Ort der deutschen Schande.

  73. Wolfram Adolphi sagt:

    Liebe Ines Fritz, danke für Ihren wunderbaren, klugen und einfühlsamen Artikel im jüngsten Heft.

    http://das-blaettchen.de/alice-amendt-und-die-abtreibung/

  74. Helge Jürgs sagt:

    So lohnend ist ein Anlegerbetrug, wie er im Falle Goldman Sachs derzeit ja justiziabel anhängig ist:

    Erstmals in seiner Geschichte hat das Institut auf bzw. mit dem Finanzmarkt an jedem einzelnen Geschäftstag eines Quartals Geld verdient. “An 35 der 63 Arbeitstage (des ersten Jahres-Quartals H.J.) hat die Bank sogar mehr als hundert Millionen Dollar Plus gemacht – und an keinem weniger als 25 Millionen.”, so spiegel-online. “Die Zahlen stammen aus einer Goldman-Mitteilung an die Börsenaufsicht SEC vom Montag. Goldman begründete den Erfolg mit einem robusten Risikomanagement und den boomenden Märkten in den ersten drei Monaten des Jahres.”
    Was ist der Einbruch in ein Finanzinstitut gegen die Gründung und den Betrieb eines solchen. Daß GS entweder freigesprochen oder zu einer – für deren Verhältnisse – Bagatell-Millionen-Strafe verurteilt wird: Wetten, daß?
    Helge Jürgs

  75. Holger Dranseck sagt:

    Walton Ford

    Die Ausstellungsempfehlung „Walton Ford. Bestiarium“

    http://das-blaettchen.de/walton-ford/

    im aktuellen Blättchen kann ich nur doppelt unterstreichen. Auch ich war fasziniert von diesen Bildern. Wer den Künstler und seine Arbeitsweise übrigens etwas näher kennenlernen möchte, wird im Internet fündig:

    http://www.taschen.com/pages/en/community/video/19336.walton_ford.htm.

    Das knapp dreieinhalbminütige Video-Selbstporträt im Atelier Fords setzt aber zum vollen Vergnügen leidliche Englischkenntnisse voraus.

  76. Hans-Peter Götz sagt:

    Neues aus Griechenland in Sachen Rüstungsexport

    Die Indizien verdichten sich, dass Griechenland im Gegenzug für das finanzielle Hilfspaket zur Abwendung seines Staatsbankrotts weitere Rüstungsimporte aus Frankreich und Deutschland für mehrere Milliarden zusagen musste (siehe mein Debatten-Beitrag v. 22.04.). Am vergangenen Freitag erklärte der Grünen-Europapolitiker Daniel Cohn-Bendit unter Berufung auf ein Gespräch mit Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou, das hoch verschuldete Land habe Rüstungsverträge für französische Fregatten, Hubschrauber und Flugzeuge sowie deutsche U-Boote „bestätigen“ müssen. „Wir leihen also den Griechen Gelder, damit sie unsere Rüstungsgüter kaufen“, schlussfolgerte Cohn-Bendit. Dazu sagte der Chef des Berliner Informationszentrums für transatlantische Sicherheit (Bits), Otfried Nassauer, der Zeitung TAGESSPIEGEL: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Griechenland unter Druck gesetzt wurde.“

    „Gerichtsverwertbare“ Beweise für einen solchen Deal liegen zwar noch nicht vor, aber mal sehen, was noch kommt …

  77. Hella Mertens sagt:

    Ein kleiner Zusatz zu Erhard Cromes Beitrag, der “den Alten aus Trier” zitiert:

    http://das-blaettchen.de/krise-zum-zweiten/

    In Band I des “Kapital” (24. Kapitel) zitiert Karl Marx in einer Fußnote aus einem Artikel von P.J. Dunning in der Zeitschrift Quarterly Reviewer:

    “Kapital flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens…”

    … den aber müssen die Finanzkriminellen ja nicht fürchten. die HRE beweist grade das absolute Gegenteil. Deren Ex-Boß Funke, unter dessen Führung die HRE vor der Insolvenz stand und mit rund 100 Milliarden Euro aus Steuermitteln vor dem Kollaps gerettet werden mußte (mußte?), kann nach richterlichem Urteil auf die Nachzahlung eines Millionengehalts (3,5 Mio) hoffen, das ihm durch seinen Rauswurf entgangen ist.

    Seine Klage beinhaltet auch die Forderung nach einer spätere Pension von rund 560 000 Euro im Jahr , also rund 47 000 Euro per Monat. Das alles ist absolut rechtstaatlich, versteht sich, denn die perversen Verträge, auf die sich solche Parasiten beziehen, gelten in diesen Kreisen als als “üblich” und dann natürlich auch verbindlich.

    Man kann, lieber Max Liebermann, wirklich nicht soviel fressen, wie man kotzen möchte!

  78. NRW-Wahl: vermutlich schwarz-rot.
    Bevor Sie am Sonntag zur Wahl gehen, verstärkt sich vielleicht Ihr Unwohlsein. Gut möglich, dass Sie sich – ähnlich wie ich – für keine der antretenden Parteien vollen Herzens entscheiden können. Nur für diejenigen unter Ihnen, die von jeher konservativ wählen, scheint die Sache klar. Sie geben ihre Stimme für ein schwarz-rotes Bündnis, denn für ein schwarz-gelbes wird es keinesfalls reichen. Leute, die traditionell SPD wählen und das auch fortzusetzen gedenken, stimmen mit 98%iger Wahrscheinlichkeit ebenfalls für schwarz-rot – ganz gleich, ob sie eine andere Konstellation wünschen oder nicht. So funktioniert Demokratie nun einmal. Für die Wähler, die sich eine starke Opposition wünschen, weil nur sie Missstände in der Gesellschaft klar aufzuzeigen vermag, könnte es attraktiv sein, die die Grünen oder sogar die Linke zu wählen. Letztere würde dann zwar nicht mitregieren, aber im Kampf um die 5%-Hürde Unterstützung erfahren. Sowie es jetzt aussieht, scheinen 5%+ für die Linke sicher. Spekulationen, dass diese Partei den Einzug ins Parlament verpassen könnte, werden heute vom konservativen Lager genährt, dürften aber nicht aufgehen. Die Option, dass es dann mit 47 % für CDU und FDP zum Regieren reichen würde (“Rheinische Post”, 4. Mai 2010), scheint dann ebenso ausgehebelt. Ähnlich unrealistisch wirkt ein Plakat, das die SPD offeriert: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für ein gerechtes NRW, heißt es da. Dass die SPD auf diese Position aus ist, wirft die Frage auf, ob Kraft nicht heimlich mit der Duldung einer SPD-geführten Regierung durch die Linke liebäugelt. Voraussetzung wäre dann allerdings, dass die SPD mehr Stimmen erlangt als die CDU – denn nur so wäre ein Regierungsauftrag denkbar. Also doch die Stimme für die SPD abgeben? Ich meine NEIN, denn diese Partei hat das Vertrauen der Bürger nicht verdient. Sie hat es bei den letzten Bundestagswahlen gerade verspielt und … sich dennoch nicht reformiert. Und auf Duldung der Linken zu setzen ohne sie als Partner anzuerkennen, ist mehr als unehrenhaft. Für mich ist völlig klar: Weder CDU noch SPD brauchen Ihre Stimme, weil eine Regierung ohne CDU nicht denkbar ist und die SPD auf andere, ehrliche Art ihr Gesicht zeigen muss. Entweder ist sie zu einer Politikwende bereit (rot-rot-grün) oder sie verdammt sich selbst zu weiterer Unglaubwürdigkeit – ganz gleich, ob sie mit der CDU koaliert oder auf besagte Duldung aus ist. Für die Grünen zu votieren macht Sinn, wenn Sie deren Überzeugungen mittragen und vom Trend zu schwarz-grün (außerhalb von NRW) nicht frustriert sind.
    Um diese Analyse zu untermauern, schicke ich einige Betrachtungen nach:
    Eine von der Rheinischen Post, Center TV und Antenne Düsseldorf in Auftrag gegebene Umfrage zum voraussichtlichen Wahlausgang in NRW ergab, dass sich am 9. Mai mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Patt-Situation einstellen wird. Keines der bisher konkurrierenden Konglomerate – CDU und FDP auf der einen, SPD und Grüne auf der anderen Seite – soll die einfache Mehrheit erreichen (“Rheinische Post”, 4. Mai 2010). Diese Aussage wundert niemanden, denn sie bestätigt nur, was seit Wochen absehbar ist. Eines jedoch bleibt vage: die Position der Linken, der RP-“begleitete” Umfragen im Wechsel 4 oder 6% der Wählerstimmen zubilligten. Allein von Votum und Verhalten der SPD-Chefin Hannelore Kraft wird abhängen, welches Regierungsbündnis letztlich zustande kommt – ein schwarz-rotes oder ein rot-rot-grünes. Kraft hat sich dazu bisher nur unzureichend, oder besser gesagt, widersprüchlich geäußert. Ihre Aussage, dass sie mit den Linken nicht koalieren wolle liegt einige Wochen zurück. Inzwischen vermeidet sie jede definitive Meinungsäußerung. Das trägt ihr beim politischen Gegner tägliche Schelte ein (“Ypsilanti – Verdacht”), während die Linke den Willen bekundet, prinzipiell mit der SPD zusammenzuarbeiten. Ausgehend von dieser Gemengelage ziehen vor allem die konservativen Medien fast täglich gegen Lafontaine und Co. zu Felde. Hinzu kommen massive, an Kraft gerichtete “Ratschläge” der CDU, die Linken weiter auszugrenzen – als ob die SPD nicht allein wüsste, was zu tun sei. Hinzukommt, dass die Rheinische Post bis zum 4. Mai nicht bereit war, die Linke als Partei wahrzunehmen (wie sie auch in ihrer groß angelegten Philosophen-Runde Leute wie Herbert Marcuse einfach unter den Tisch fallen lies). In umfangreichen Sachdiskussionen kamen nur die etablierten Parteien zu Wort. Sämtliche Auffassungen der Linken wurden kurzerhand unterschlagen. Heute, am 5. Mai, gibt es stattdessen einen Rundumschlag, der mir die Wut ins Gesicht treibt. Die “Dunkelroten” – so heißt es – seien nicht nur angetreten, Strom- und Wassererzeuger sowie Banken zu vergesellschaften, sie wollten auch an die Eigenheime von Hausbesitzern. Derart dumme Anwürfe, erinnern an den Stall, dem der heutige Meinungsmacher der RP entstieg ist: an BILD. Hier soll vor allem Angst geschürt werden – Angst vor dem Systemsturz, vor Totalenteignung und Kompetenzlosigkeit der Linken. Richtig ist, dass die Linke heute mehr fordert/verspricht, als sie finanzieren könnte. Richtig ist auch, dass sie in NRW, strikter als anderswo, gespalten ist – in die Sozialistische Linke (SL) und die Antikapitalistische Linke (AKL), wobei die Unterschiede im politischen Konzept schwer erkennbar sind. Die AKL gibt sich radikaler, die SL versucht die Begriffe radikal und realistisch irgendwie zusammenzubringen – sehr konkret wird sie dabei nicht. Folgt man dem neuen Grundsatzprogramm der Linken, dann summieren sich die o.a. Auffassungen nicht, sie relativieren sich. Die SL hat vor allem ihre Forderungen nach gesetzlichem Mindestlohn, nach einer bedarfsorientierte Grundsicherung und nach der gesellschaftliche Sicherung des Zugangs zu Wohnung, Lebensmittel, Bildung, medizinischen Leistungen und Pflege, zu Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten, kulturellen Angeboten und Mobilität für Arme eingebracht. Auch die “solidarische Bürgerversicherung” und eine Reform des Gesundheitssystems wurden bestimmende Leitlinien. Die AKL konnte sich mit ihrem Bekenntnis zum Antimilitarismus, einer neuen (noch wenig definierten) Steuerpolitik und der Forderung nach Abschaffung der Bildungsprivilegien einbringen. Insgesamt steht die Linke für eine Reform des Schulsystems, wobei eine Einheitsschule mit gemeinsamem Lernen bis zur 10. Klasse favorisiert wird. Bezeichnend ist, dass in vielen Zeitungen abfällig über die Linke referiert, den Leuten selbst aber keine Chance gegeben wird, ihre Standpunkte in eigenen Kommentaren darzulegen. Der Fairness halber muss ich erwähnen, dass EINS EXTRA eine einstündige Sendung des WDR über die Linke ausgestrahlt hat (Revolution und ‘ne Bratwurst”, 1. Mai 2010) – Danke für die Ausgewogenheit!
    Was CDU, SPD und Grüne in ihr Wahlprogramm geschrieben haben, ist weitgehend bekannt. Die Thesen müssen nicht sonderlich wiederholt werden. Neu sind die Bestrebungen der SPD, die Agenda 2010 sowie das Schulsystem zu reformieren. Unverändert ist die Abneigung der NRW-Grünen, mit CDU und FDP zusammenzugehen (Differenzen in der Atompolitik etc.) und ebenso beständig die neoliberale Linie der FDP, die den Staat als Akteur zurückzudrängen und Steuererleichterungen – vor allem für den Mittelstand – durchsetzen möchte, ohne dabei wirklich voranzukommen.

  79. Kay Rehmer sagt:

    Nochmal zum Thema “Nazi-Stop”:

    … Vor sechs Tagen wollte ich gemeinsam mit anderen Demonstranten Neonazis am Berliner Marsch hindern. Die Polizei, ausgestattet mit Kampfhunden, Wasserwerfern, Knüppeln und Schusswaffen war zum Schutz der Nazis vor den ungefähr 10 000 protestierenden Berlinern Bürgern beauftragt. Das sind 0,3 Prozent der Berliner, die sich durch Faschisten gestört fühlten und die Straßen blockierten. Nicht einmal ein Drittel von einem Prozent!! Was nützt alles Erinnern?

    Mely Kiyak, freie Autorin heute in der Berliner Zeitung

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Lieber Kay Rehmer, liebe Mely Kiyak,
      Sie haben die Nazis aufgehalten. Und 10 000 Protestierende waren eine ganze Menge, soviel Demonstranten gegen aufmarschierende Faschisten sind ja nun auch nicht Alltag in Berlin. Vor nicht allzu langer Zeit marschierte die Bande über die Allee der Kosmonauten in Marzahn, machte riesigen Krach und nur ein kleines Häufchen versuchte sich ihr vergeblich entgegenzusetzen. Am 1. Mai 2010 war das anders. Ich stand selbst den ganzen Tag auf der Kreuzung Wichert/Greifenhagener und es war ein verdammt gutes Gefühl, daß da ein paar Tausend andere waren. Und die hätten sich nicht so locker mit ein paar freundlichen Sprüchen wegtragen lassen. Was da alles Erinnern nützt? Ohne dieses Erinnern wären es ein paar Tausend weniger gewesen an jenem 1. Mai in Pankow und die Faschisten wären durchmarschiert. Meinen Sie allerdings mit “Erinnern”, die staatlichen Rituale – klar, die sind kein Ersatz und auch ziemlich hilflos, wenn statt dessen die braunen Brüder marschieren. Man sollte aber auch die Kehrseite bedenken: Ein Staatswesen, das dieses “Erinnern” fallen ließe, das stünde kurz vor einem neuen 30. Januar. Ich bin ganz froh darüber, daß wir da noch nicht sind. Klar hab ich mich geärgert, als ich am Ausgang des S-Bahnhofes Schönhauser wieder umdrehen mußte … Aber oh Wunder, die Greifenhagener Straße war frei und da standen wir ganz richtig. “Eingekesselt” von der Berliner Polizei waren diesmal übrigens die Faschisten, auf dem Bornholmer Platz. Schauen Sie sich die Bilder an. Ich will auch, daß das so bleibt. Am 7. Mai protestierte die Berliner FDP im Abgeordetenhaus gegen unzulässige Einschränkungen des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit. Die Jünger Westerwelles meinten nicht die 10000 Gegendemonstranten, die meinten die NPD. Da lauern die Gefahren.

  80. Rüdiger März sagt:

    Nochmal zum “Verpaßten Nazi-Stop”:
    ” Sie ist … eindeutig verfassungsfeindlich, da gibt es keinen Zweifel,” sagt kein geringerer als Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm über die NPD. Aber ach, sie kann ja wegen eines Procedur-Fehlers nicht verboten werden…
    Und ein Pastörs kommt mit Bewährung davon, wenn er, wie das Gericht feststellt, sich der Sprache der Nationalsozialisten bedient und zu Hass und Gewalt aufgestachelt. Pastörs wird sich nun sowas von bewähren!
    Ich habe mir mal einen Blättchen-Text zu diesem Thema aufgehoben, der kurz und knapp sagt, für wie bekloppt die uns regierend Bekloppten uns schon längst halten, auch er gehört hier erinnert:

    NPD-Verbot
    Man stelle sich vor: Nowhereland I verhält sich feindlich zu Nowhereland II. Klar, daß beide Seiten, solange es zwischen ihnen nur kaltkriegerisch zugeht, untereinander auch Agenten platzieren, um die Absichten des jeweiligen Gegners zu ermitteln und diesem gegebenenfalls zuvorkommen zu können. Übermitteln solcherart V-Leute dann zweifelsfreie Informationen von der Absicht der anderen Seite, die eigene – von innen heraus oder von außen – kompromißlos zu zerstören, dann gilt es zweifellos zu handeln.
    Und nun stelle man sich weiter vor, daß die Regierung des bedrohten Landes aber nichts gegen seinen erwiesenen Todfeind unternimmt und dies damit begründet, man gefährde seine Informanten und deren weiteres Nachrichtensammeln. Man darf wohl davon ausgehen, daß, solange nicht das gesamte Kabinett aus Bekloppten besteht, noch soviel Vernunft obwaltet, die amtierenden Bescheidwisser in eine Klapsmühle zu überstellen.
    Soweit die Vorstellung…
    Herbert Jahn

  81. Gerhard Schönherr sagt:

    Lassen die Griechen es sich auf Kosten Europas gut gehen?

    So lautet ein gängiges Vorurteil. Die Realität sieht anders aus. Tatsächlich liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit mit 41,6 Stunden deutlich über dem EU-Durchschnitt (37,4 Stunden). Die Griechen gehen auch nicht früher in Pension: Das mittlere Renteneintrittsalter liegt mit 61,4 Jahren genau im EU-Durchschnitt. In Deutschland sind es 61,7 Jahre. Die Griechen verdienen auch weniger als der durchschnittliche EU-Bürger: Das Lohnniveau liegt bei 73 Prozent, die Renten sogar nur bei 55 Prozent des EU-Durchschnitts. Jeder vierte Grieche verdient weniger als 750 Euro im Monat, jeder fünfte Haushalt lebt unterhalb der Armutsschwelle. Andererseits genossen die rund 800000 Staatsbediensteten bisher viele Privilegien – einschließlich der Möglichkeit, mit Mitte 50 in den Ruhestand zu gehen.

    Aus: Frankfurter Rundschau vom 6. Mai

  82. Die Redaktion sagt:

    Den folgenden Text haben wir schon einmal veröffentlicht. Die nahezu unerträglichen Kommentare zu Wolfgang Thierses Courage am 1. Mai in Berlin sind uns Anlaß zu einer bewußten Wiederholung. Ziehe jeder seine Schlüsse daraus.
    Die Redaktion

    Der verpaßte Nazi-Stopp

    von Robert M.W. Kempner*

    Während der Jahre von 1928 bis 1930 schwollen die Wählerstimmen für die National Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei von 810 000 am 20. Mai 1928 auf 6 400000 am 14. September 1930 an. In dieser Zeit wurde die illegale und legale Tätigkeit der Nationalsozialisten immer stärker und aggressiver und die öffentliche Ordnung ernsthaft bedroht. Die Besorgnis des für die Sicherheit der Weimarer Demokratie zuständigen Preußischen Innenministeriums wurde immer stärker. Der Innenminister Albert Grzesinski und später Carl Severing erwogen deshalb energische Maßnahmen zur Bekämpfung der NSDAP, der SA und vor allem des „Führers“ Adolf Hitler. Die politische Abteilung (Ia) des Polizeipräsidiums Berlin wurde beauftragt, eine eingehende Untersuchung über die zahlreichen strafbaren Handlungen der nationalsozialistischen Funktionäre und die Frage der Legitimität der NSDAP als strafbare staatsfeindliche Verbindung im Sinne der §§ 128,129 des StGB zu untersuchen. Diese Untersuchungen ergaben einwandfrei, daß Hitler selbst, zahlreiche NSDAP-Funktionäre und die NSDAP wegen strafbarer Handlungen verfolgt werden müssten. Es handelte sich dabei um den Verdacht schwerer Verletzungen der Strafbestimmungen gegen hochverräterische Unternehmen, sowie die Förderung und Zugehörigkeit zu einer staatsfeindlichen Verbindung (§129 StGB; § 4Ziffer 1 des Republikschutzgesetzes und § 86 StGB).
    Auf Grund der polizeilichen Untersuchungen, die bereits im Jahre 1929 begonnen hatten, kam1930 eine Denkschrift von 97 Seiten zustande. In diesem Dokument vom August 1930 wurde der strafbare Charakter der NSDAP sowie die Strafbarkeit ihres Führers Adolf Hitler und seiner Mitarbeiter durch die eigenen Erklärungen von Hitler und maßgebenden Nationalsozialisten in Wort und Schrift überzeugend bewiesen. Der Berliner Polizeivizepräsident Bernhard Weiß, der Regierungsassessor Hans Schoch, der Kriminalkommissar Johannes Stumm – nach dem Kriege Polizeipräsident in Berlin – gehörten zu den verantwortlichen Verfassern. Auf Veranlassung des Staatssekretärs Wilhelm Abegg vom Preußischen Innenministerium wurde ich selbst, damals Justitiar der Polizeiabteilung im Preußischen Innenministerium, bei den Beratungen über die schwierige Rechtslage eingeschaltet. Diesem Umstand verdanke ich auch ein persönliches Exemplar der Denkschrift, das ich nach meiner Auswanderung nach USA mitgenommen habe.
    In den USA habe ich es häufig bei meinem Kampfe gegen Hitler benutzt, um meinen Gesprächspartnern klar zu machen, daß der verbrecherische Charakter des Hitlerregimes bereits 1930 einwandfrei feststand. Die notwendigen Konsequenzen waren bedauerlicherweise von der Reichsregierung nicht gezogen worden. Wäre sie den Feststellungen der Preußischen Regierung damals gefolgt, so wäre Hitler am 3. Januar 1933 nicht Reichskanzler geworden und der Zweite Weltkrieg hätte nicht stattgefunden. Hitler wäre in einem rechtsstaatlichen Kriminalverfahren bereits im Jahre 1931 wegen hochverräterischer Unternehmen, Meineides und Gründung staatsfeindlicher Organisationen, wie der NSDAP, der SA und der SS, verurteilt und sofort als lästiger Ausländer aus dem deutschen Reich ausgewiesen worden. Den Meineid hatte er in dem sogenannten Ulmer Reichswehrprozeß vor dem Reichsgericht am 14. September 1930 geleistet. Dort hatte er der Wahrheit zuwider behauptet, daß er mit legalen Mitteln zur Macht kommen wolle, –während er und seine Partei ständig Terrorakte verübten.
    Das Dokument des Polizeipräsidiums Berlin ging seinerzeit über das Preußische Innenministerium, das Preußische Staatsministerium des Ministerpräsidenten Otto Braun und das Reichsinnenministerium an den Reichskanzler Heinrich Brüning. (…)
    Die völlige Fehlbeurteilung der politischen Lage durch die Reichsregierung und der Mangel an Initiative gegenüber der NSDAP lässt sich nachträglich durch die Niederschrift über eine Sitzung der Reichsregierung vom 19. Dezember 1930 beweisen. (…) Das Thema dieser Sitzung war die Frage der Legalität oder Illegalität der NSDAP. (…) Auf Grund dieser Erörterungen gelangte Reichskanzler Heinrich Brüning zu einer Schlussfolgerung, die geschichtlich äußerst verhängnisvoll war. Sie torpedierte die preußischen Schritte zu einer energischen Bekämpfung Hitlers und der NSDAP, die 1930 durchaus erfolgreich hätten sein können. Es heißt in der Niederschrift:
    „Der Reichskanzler vertrat die Auffassung, dass das Reichskabinett jetzt noch nicht zu der Frage der Legalität oder Illegalität der NSDAP endgültig Stellung nehmen könne. Auf jeden Fall müsse die Reichsregierung sich davor hüten, dieselben falschen Methoden gegen die Nationalsozialisten anzuwenden, welche in der Vorkriegszeit gehen die Sozialdemokraten angewendet worden seien.“
    Die übrigen anwesenden Mitglieder des Reichskabinetts erhoben keine Einwendungen gegen diese grundsätzliche Stellungnahme des Reichskanzlers.
    – Mit dieser Haltung im Dezember 1930 wurde das Schicksal der Weimarer Republik besiegt.! – (…)
    Die preußischen Sicherheitsbehörden ließen sich durch die ängstliche und defaitistische Haltung Brünings jedoch nicht entmutigen. Seit dem Herbst 1930 war eine Verschärfung des hochverräterischen und terroristischen Kurses der NSDAP sichtbar. (…) Der zunehmenden Aggressivität der NSDAP waren die Sicherheitsbehörden kaum noch gewachsen. Ein energisches Vorgehen der Reichsregierung durch Verbot der NSDAP auf dem Wege einer Notverordnung des Reichspräsidenten wäre zum Schutze der Weimarer Republik notwendig gewesen. Ein vorübergehendes Verbot der SA und SS war nur eine Farce. Einer politischen Selbstpreisgabe kam es gleich, daß die Reichsregierung trotz juristischer Möglichkeiten duldete, daß Adolf Hitler von der damals schon nationalsozialistischen Regierung in Braunschweig im Februar 1932 zum Regierungsrat bei der braunschweigischen Vertretung in Berlin ernannt wurde. Durch diesen Trick wurde Hitler braunschweigischer, und damit deutscher Staatsangehöriger. Dies ermöglichte dem Hochverräter und Terroristen einen quasi-legalen Weg zur Reichskanzlerschaft.
    Trotz all dieser, geradezu entmutigenden Signale, unternahm der preußische Ministerpräsident Otto Braun am 4. Mär4 1932 nochmals beim Reichskanzler Brüning einen Vorstoß zur Rettung der Weimarer Republik vor einem befürchteten Regime Adolf Hitlers. (…) Eine ausführliche Denkschrift von 236 Seiten bewies die republikfeindliche, staatsgefährdende und dem Strafgesetzbuch zuwiderlaufende Tätigkei5 der NSDAP. (…) In Preußen erwartete man mit Spannung eine Antwort auf die energischen Vorstellungen bei der Reichsregierung. Sie kam jedoch niemals. (…)
    Vierzig Jahre später fand ich einen schriftlichen Vermerk über die Behandlung der preußischen Denkschrift vom 4.3. 1932 in den Akten der Reichsregierung. (…) Das Rätsel der Nichtbeantwortung des preußischen Antrages mit dem Ziel, die NSDAP zu verbieten, ist ein handschriftlicher Vermerk auf dem Originalbrief von Otto Braun. Der frühere Mitarbeiter Brünings, und seit dem 2. Juni Staatssekretär in der 3 Tage alten Regierung des neues Reichskanzlers Franz von Papen, Erwin Planck, hat vermerkt: Der Herr Reichskanzler Brüning wünschte keine Antwort auf das Schreiben des Ministerpräsidenten Braun vom 4. März 1932. Einen Teil der Anlagen habe er auf Wusch Brünings vernichtet. –

    *Auszug aus dem Vorwort der 1983 bei Ullstein erschienenen, gleichnamigen Preußischen Denkschrift von 1930. Robert M.W. Kempner wurde 1933 wegen „politischer Unzuverlässigkeit in Tateinheit mit fortgesetztem Judentum” aus dem Staatsdienst entlassen und 1935 verhaftet. Dank internationaler Proteste wurde er wieder freigelassen und floh über Italien in die USA, die er als Stellvertreter des amerikanischen Chefanklägers Robert H. Jackson bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen vertrat.

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Für den Wiederabdruck des Kempnerschen Textes bin ich dankbar. Sowohl die Verharmlosung (“Es sind ja nur einige Tausend wirkungslose Irre…”) als auch der leider Gottes selbst von einigen linken Politikern gebetsmühlenartig wiederholte Spruch, daß doch die Demonstrationsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung heiligste Güter einer Demokratie seien, die für alle Gültigkeit hätten, verkennt die tatsächliche Virulenz der braunen Subkultur:
      “Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahm zu legen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre Sache… Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. Wenn es uns gelingt, bei diesen Wahlen sechzig bis siebzig Agitatoren und Organisatoren unserer Partei in die verschiedenen Parlamente hineinzustecken, so wird der Staat selbst in Zukunft unseren Kampfapparat ausstatten und besolden.”
      Das schrieb Joseph Goebbels am 30. April 1928 im Angriff. Es wurde nur von wenigen ernst genommen. Auch die Sprüche der heutigen Nazi-Agitatoren werden noch von zu wenigen ernst genommen. Das gehört verboten und unterdrückt wo auch immer es aus seinen Höhlen kriecht. Und Thierses Verhalten am 1. Mai in Berlin muß in den höchsten Tönen gewürdigt werden. Hinterfragenswert hingegen die Position der vermeintlichen “Verteidiger des Rechtsstaates”. Sie nehmen wissend dessen Beschädigung in Kauf.

      Wolfgang Brauer

  83. Europa verschuldet sich, gezwungen, unfreiwillig, durch seine eigenen Verträge, die nur dann gelten, wenn sie erwünscht sind, seitens der Mitglieder, gewisser Mitglieder, so, wie man sie gerade braucht, oder nicht, die so gesehen hinfällig sind. Griechenland ist dafür teilweise, aber nicht nur, der Auslöser. Die Kanzlerin und andere Polemiker fordern nun in bester “Bildpropaganda”, Kriterienverletzer in der Zukunft hart zu bestrafen, die anderen natürlich, wäre man selbst betroffen, müssten die Verträge eben angepasst oder wieder gebrochen werden, je nachdem, wer betroffen ist, Deutschland würde es weniger treffen, versteht sich, es ist ja quasi Deutschlands Machwerk, das EU-Monster. Jedenfalls agiert Deutschland in ihm nach Gutdünken.Nötigenfalls solle es zum Ausschluß kommen.

    Ein durchsichtiges Spielchen, denn welcher der Staaten erfüllt denn schon noch die Kriterien, legt man das ursprüngliche Machwerk zugrunde? So gut wie keines, sie hätte sich inzwischen selbst auflösen müssen, die EU. Diese “Kapital für deutsche und französische Unternehmen” Gelddruckmaschinerie. Nichts anderes ist sie nämlich, diese EU.

    In der EU spielt das richtige Leben, das Abbild quasi, man könnte fast sagen, “die Wirtschaftslindenstrasse”, die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Je nach Staat wurden jeweils Konditionen angepasst, verwässert, galten nicht, wurden aufgeweicht, verwässert, im Monopoly der Staaten. Europa ist das lächerliche Abbild deutscher Politik, der Schatten sozusagen. Ackermanns Victoryzeichen wurde hier Wirklichkeit, derweil der Kunde erpresst wird, gedemütigt, ausgebeutet, dies ist die reelle EU der deutschen Wirtschaft, ihr ureigenes Spielbrett. Die anderen Staaten, ihre Menschen, sie sind die Schachfiguren, die nach Belieben aufgestellt, entsorgt, ausgetauscht werden, die man hin- und herschiebt, wenn der Arbeitsmarkt, die Wirtschaft und die Banken mit ihren Konten es so wollen.

    So, wie Frau Merkel die Krise nutzt, um unbemerkt deutschen Automobilkonzernen Vorteile im Elektrorun zu verpassen, so passiert das auch jeweils, wenn Deutschland in Europa kriselt. Es gibt keine Sanktionen oder nur lächerliche.

    Ach, Entschuldigung, von dem, was sie, die Wirtschaftsmutti, der Automobilindustrie leise zuschustert, haben Sie nichts mitbekommen? Nun, dafür stirbt wieder einmal der Umweltschutz ein Stück. Das nette Antiumweltpaket heißt schlicht “Supercredits“, das ist mehrfache Anrechnung von emissionsarmen Fahrzeugen im Flottenverbrauch, wodurch die Gesamtemissionen gedrückt werden und wodurch eine Flotte, die EU-Kriterien nicht einhalten muss, künstlich daruntergebufft wird. Besser, 140 Gramm CO2 je Kilometer, das leisten Autokonzerne wie Daimler momentan im Bestfall, durch den Trick landen sie weit darunter und sind eben deutsch-politisch gewollt umweltfreundlich und liegen damit weit unter den 140 Gramm CO2 je Kilometer, welche die Europäische Union als durchschnittliches Emissionsziel je Fahrzeug festgeschrieben hat. Verstanden? Fördermittel fliessen, nur eben anders. Das Wirtschaftsmerkel handelt. Die nächste Parteienspende ist gesichert.

    Insofern haben die Nachbarn natürlich Recht, die ja auch das künstliche Lohndumping immer wieder anprangern, wo in Deutschland dann der Steuerzahler Niedrigstlöhne aufstockt. Genau das ist das schändliche Handeln gegen die Nachbarn, um als “Bester” im Dauerrampenlicht der Expoteure zu profitieren. Fair ist das nicht, zumal dann, wenn man anschließend gegen Griechenland die Keule schwingt, man hat es ja nahezu in den Ruin getrieben. Kein Land der Welt kann gegen eine Neu-DDR mithalten, die ihre Arbeiter aus Steuern unterhält, damit die eigene Wirtschaft, sozialistisch entlastet, profitiert,, mithalten kann.

    Wer der EU beitritt, dem wird zu spät klar, hier dominieren Frankreich und Deutschland, diktieren, und haben ein Konstrukt erschaffen, dass zwar diesen beiden Teilnehmern aber kaum einem anderen dient, im Gegenteil, die Verbreitung des Raubtierkapitalismus wird beschleunigt, Wirtschaft wird zur Absurdität, nur um sich selbst Profite zu sichern, die eigenen Waren besser absetzen zu können.

    Vermehrt werden Deutschlands Unternehmen vor Gerichten verklagt, intern wie extern , wegen seiner sittenwidrigen Dumpinglöhne hier und wegen unwürdigster Arbeitsbedingungen selbst in Niedrigsthungerlohnländern. Und weil Deutschlands Unternehmen für Maximalprofite tausende von Existenzen zerstören.

    Und so hat Merkel auch bei der Griechenlandstütze geeiert, um bei Darlehensrückzahlung Griechenlands den Profit der eigenen Banken zu erhöhen, ein durchsichtiges Spielchen. Selbst die EZB ist inzwischen völlig verseucht von deutscher Wirtschaftspolitik ala schwarz-gelb, und wird zur Europäischen Bad Bank, da sie nun Schrottpapiere gegen Eurosofts dealt.

    Jeder mitgehangene Staat muss nun dem EU-Betrüger Griechenland helfen. Eine beispiellose Unverfrorenheit, denn natürlich gehen die Bereicherten aus Großkapital, Banken und Wirtschaft, wie so üblich, straffrei aus. Niemand muss für die Bikanzfälschungen seinen Kopf hinhalten ausser der KleinstverdienerGriechenlands, die reihenweise ihr Erspartes, ihre Altersvorsorge ect verlieren, jene, die um eine Lebensleistung betrogen wurden. Auch daran ist Deutschland beteiligt.

    Deutschland, der EU- Profiteur – Ein Staat, der seine eigenen Bürger von Finanzämtern bis aufs Hemd sich ausziehen und bis zum letzten Cent wie eine Zitrone ausquetschen lässt, der seine Kleinsteuersünder bis ins Grab verfolgt und Erben für Elternschulden in Haftung nimmt, dieses Deutschland lädt jeden ungeprüft und unbesehen in die EU um des eigenen Profites Willen, koste es seine Steuerzahler, was es wolle.

    Zynisch ist es, was nun, in der Krise, passiert. Jeder zahlt nun nach seiner Leistung. Auch Staaten, die selbst schwer angeschlagen sind, wie Irland. Nur damit Merkel sofort losprügeln und in Bildmanier warnen kann: Durchgreifen, abstrafen, aussortieren, wie es der Spiegel so schön beschreibt. Wie viele Staaten werden jetzt daran zerbrechen? Das kämpfende Irland? Droht Merkel bereits ihm? Erst retten, dann raus, weil danach das Defizit zu hoch ist?

    Übrigens, wer bestimmt eigentlich, wann Deutschland zu hoch verschuldet ist? Die Ratingagentur Deutsche Bank beim Dinner mit Ackermann im Kanzleramt? Hätte man sich an die eigenen Regeln gehalten, wären es nicht quasi fast “deutschdominierte” Regeln gewesen, wäre Deutschlands Einfluss nicht so hoch, die EU nicht deutsches Kunstprodukt, Deutschland wäre längst geschasst worden.

    Riesenbrummis brettern übrigens demnächst auch über unsere Autobahnen, wenn es denn nur der Wirtschaft dient, dient auch die Kanzlerin. Und um die Atomlobby der FDP zu bedienen werden ratzfatz, ganz unbemerkt in der Griechenlandkrise, die Förderprogramm für Ökoenergie infrage gestellt.

    Frau Merkel aber muß ihr Volk beruhigen, damit die eigene Wirtschaft und Banken am Griechenland Deasaster bestmöglich verdienen können. Sie sagt nicht, dass neue Lohndumpingrunden in Deutschland drohen, wenn Griechenland seine Löhne senken muss. Und so versucht sie es mit Polemik und einem Fernsehinterviewmarathon. Sie sagt auch nicht, dass der Euro als Währung nur vorrübergehend etwas an Härte gewonnen hat, solange nämlich, bis die Welt den miesen eben abgeschlossenen Deal zugunsten einer einzigen Wirtschaft, nämlich der deutschen durchschaut. Und ob sich das China und der Dollar, amerikanische Ratingagenturen und Banken gefallen lassen, diese geballte, künstlich gestützte Wirtschaftsmacht, das steht auf einam anderen Blatt Papier. Vorstellbar jedenfalls ist es nicht. Der Untergang des Euro, sein Aufweichen, es wurde nur etwas verzögert. Die Grenzen haben sich längst in Richtung China verschoben, und der Drache wartet nur ab, bis er dieser selbstherrlichen EU mit einem gewaltigen Ausatmen einen kräftigen Feuersturm aus Kapitalkraft und Wirtschaftspower entgegenblasen wird.

    Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, und den Zug der Erneuerung von Technologie, den hat Deutschland, den hat die EU lange verpasst, weil sie nach der Wende, die nicht an ihren Grenzen stoppte, zu sehr sich selbst die Eier geschaukelt hat. Die DM im Euro zu verstecken mag vorrübergehend vom Bürokratenwahn sowohl der EU als auch Deutschlands abgelenkt haben, aber nun erstickt dieser Wahn seine Mitglieder und Bürger, und die Ablösung durch andere Wirtschaftsmächte und auch der einstmals harten Währung ist unaufhaltsam.

    Für das Kapital und die Börsen, dafür ist eine Vielleichtkanzlerin viel zu unbedeutend, jetzt werden die Fehl- und Nichtentwicklungen, Fehl- und Nichtinvestitionen in Zukunftstechnologien und Bildung schwer abgestraft. Zeit wurde es.

    Wirtschaftsdienkanzlerin eben, aber auch das wird bestraft, denn Märkte reagieren voraussehend und verständnislos bei Tricksereien und nicht erst dann, wenn das Haus bereits lichterloh brennt, und das tut es, EU-weit. Nachhaltigkeit, auch in das menschliche Kapital, das ist es, was sich auszeichnet, nur das können wirtschaftshörige Politiker und deutsche Wirtschaftler eben nicht erkennen, die nur auf kurzzeitige Gewinne setzen. …

    ©denise-a. langner-urso

  84. Friedrich Pfäfflin sagt:

    Katharina Wagenbach schickt mir die freundliche Besprechung der Büffelhaut weiter, ‘Die Wut des Karl Kraus’.

    http://das-blaettchen.de/die-wut-des-karl-kraus/

    Würden Sie dem Autor dieser Rezension, Jörn Schütrumpf, (siehe Nr. 8/10, d.Red.), bitte mitteilen, dass er den Jicinern Unrecht tut: Das Geburtshaus trägt zwei Hinweistafeln, tschechisch und deutsch; im Stadtmuseum gab es eine bemerkenswerte Ausstellung (2004); es gab eine Kraus-Tagung etwa unter dem Titel ‘In der Welt bekannt, in Jicin zuhause’, veranstaltet vom Prager PNP. Es gab Führungen zu den Krausstätten um Jicin; im Geburtshaus fand ein Abend statt mit der Vorführung eines tschechischen KK-Films. Also, wenn er wieder auf dem schönen Marktplatz von Jicin steht

    Mit freundlichen Grüßen,
    Dr. h. c. Friedrich Pfäfflin, Marbach am Neckar

  85. Die Redaktion sagt:

    Offener Brief von MdB Wolfgang Gehrcke (Die Linke) an Verteidigungsminister Guttenberg:

    Sehr geehrter Herr Minister, verehrter Herr Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg,

    Sie haben mich eingeladen, am 29. April 2010 als Beobachter an der Übung der Bundeswehr »Extricate Owl 2010« in Bitburg teilzunehmen, einem Manöver zur »militärischen Evakuierung deutscher Staatsbürger aus einem Krisengebiet«. Ich nehme Ihre Einladung nicht an und möchte über die Gründe öffentlich sprechen. Deshalb wähle ich die Form des offenen Briefes.

    Kein Manöver, was auch immer im einzelnen geübt werden mag, kommt um die Tatsache herum, daß die Bundeswehr von einem Instrument der Landesverteidigung zu einer Armee im Krieg gemacht worden ist. Nicht Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, sondern Deutschland führt Krieg am Hindukusch. Dort geht es nicht zuletzt um die Aufteilung von Interessensphären.

    Die Opfer dieser Politik sind vor allem afghanische Frauen, Kinder, Schüler, Jugendliche, Männer, deren Vergehen es war, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Die Trauer um diese Menschen hält sich in unserem Land sehr in Grenzen. Über sie wird wenig gesprochen, ihre Namen sind unbekannt.

    Opfer sind auch Soldaten und Angehörige der Bundeswehr. Viele von ihnen sind der Überzeugung, daß sie in Afghanistan Gutes und Richtiges tun, schließlich hat der Bundestag sie geschickt. Deshalb muß sich jede und jeder einzelne Abgeordnete die Frage stellen: Womit rechtfertigen wir ihren möglichen Tod?

    Angesichts der Toten und Verletzten redet die Bundeskanzlerin und reden Sie, Herr Verteidigungsminister, von »Helden«, »Ehre« und dem »Eid«, anstatt zunächst einmal über die eigene Schuld und Mitverantwortung nachzudenken. Es hat mich zutiefst entsetzt, daß Sie sogar das Gespräch mit Ihrer kleinen Tochter über Helden und Stolz ins Feld führen, statt schlicht in Trauer zu schweigen, innezuhalten. Umkehr ist nötig aus meiner Sicht, moralisch und politisch. Wir müssen unsere Soldaten aus Afghanistan abziehen, nicht, um das Land alleinzulassen, sondern um ihm eine Chance auf Versöhnung und Entwicklung zu geben.

    Ich gehöre einer Generation an, für die es selbstverständlich war, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgeht. Das gab mir für meine Tochter und meine Enkelin die Hoffnung, daß Deutschland zum Frieden und nur zum Frieden beiträgt. Ich wollte, daß wir nie mehr Helden brauchen und stolz nur auf den Mut des Alltags sind. In Bitburg, wo das Manöver stattfinden wird, wurde dieses Selbstverständnis der alten Bundesrepublik gebrochen, als Helmut Kohl und Ronald Reagan 1985 mit einem Händedruck über Kriegsgräbern von Angehörigen der US-Armee, der Wehrmacht und der Waffen-SS ein neues Kapitel der Nachkriegsgeschichte aufschlugen. Es ist jener Geist von Bitburg, der zur angeblichen deutschen Normalität geführt hat, die auch Kriege beinhaltet. Für mich wird Krieg nie normal sein. Ich danke für die Einladung. Ich sage weiter nein! Ohne mich!

  86. Ansgar Visby sagt:

    Lehrstück mit Kruzifix

    Kaum hatte die türkischstämmige designierte niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) gefordert, Kruzifixe aus deutschen Klassenzimmern zu verbannen, da wurde aus ihrer Partei und von einem Teil der Medien das Feuer auf sie eröffnet – bis hin zu der Drohung, sie gar nicht erst als Ministerin zu vereidigen. Frau Özkan knickte ein und soll sich vor der CDU-Fraktion in Hannover entschuldigt haben. Seit dem gestrigen Dienstag ist sie nun Ministerin.

    Was der Fall wieder einmal lehrt, daß nämlich das konservative Establishment hierzulande ein gelinde gesagt eigentümliches Verhältnis zur Verfassung hat, hat Christian Bommarius in der BERLINER ZEITUNG unter der Überschrift „Aygül Özkan hat recht“ seziert. Denn bereits vor 15 Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden: „Die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art. 4 Abs.1 Grundgesetz“, der die “Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses” garantiere. Verfüge der Staat – wie im damals zugrunde liegenden Fall der Freistaat Bayern – das Anbringen von Kruzifixen in den Klassenzimmern schulpflichtiger Kinder, so hatte das Bundesverfassungsgericht seinerzeit begründet, dann würden diese mit dem religiösen Symbol “ohne Ausweichmöglichkeit” konfrontiert und seien gezwungen, “unter dem Kreuz” zu lernen. Das verstoße schon deshalb gegen die Religionsfreiheit, weil sie nicht nur die Teilhabe an kultischen Handlungen gewährleiste, sondern ebenso das Fernbleiben.

    Bommarius kommentierte, daß Aygül Özkan sich mit ihrer Forderung nach einem Kruzifix-Verbot in Klassenzimmern wohl nicht ganz auf der Linie der eigenen Partei bewegt habe, umso sicherer aber habe sie im Geist des Grundgesetzes agiert. „Mehr als alle ihre Kritiker zusammengenommen hat die türkischstämmige Juristin den Sinn und Zweck des staatlichen Neutralitätsgebots verstanden. Das Gebot meint nicht: Der Staat hat sich gegenüber allen Religionen neutral zu verhalten, sofern er die christliche begünstigt. Es meint: Der Staat hat sich in Äquidistanz zu allen Religionen zu bewegen. Denn der deutsche Staat, der Staat des Grundgesetzes von 1949, ist kein christlicher Staat. Wer ihn als solchen begreift, der hat den deutschen Staat nicht begriffen und ebenso wenig das Grundgesetz.“

    • Roman Possselt sagt:

      Kleiner Nachtrag zu Ansgar Visby: Thomas de Maizière hat dieser Tage im Fernsehen erkärt, er freue sich immer, wenn er in einer Schule ein Kruzifix sehe. Ergo: Der Innenminister freut sich, wenn er Verfassung und BVG-Urteil verletzt sieht! Wenn das nicht gut für die Filzläus´ist…

  87. Übrigens:

    Wie gut, in Nr. 8 auch wieder mal einen Text von Margit van Ham zu finden! Glückwunsch – der Autorin zum Schmäckerchen und dem “Blättchen” zur Autorin.

    http://das-blaettchen.de/ueber-die-gefahr-subtiler-ironie/

  88. Erhard Crome macht hier in der Debatte am 25. April auf die durch die Faschisten kontaminierten Wörter und Begriffe der deutschen Arbeiterbewegung aufmerksam und verweist damit auf ein besonders kompliziertes Problem im Umgang mit Sprache überhaupt. Ernesto Laclau hat in den 1970er und 1980er Jahren über die “popularen Anrufungen” gearbeitet, und im PIT (Projekt Ideologietheorie) an der Freien Universität sind diese Forschungen aufgenommen und weitergeführt worden. “Populare Anrufungen” – dazu gehörten neben rassistische und völkische Ressentiments bediendenden Begriffen auch genau jene, die in den Arbeiterhaushalten seit Jahrzehnten einen guten Klang hatten und mittels derer die Nazi-Führung nun jene erstaunlichen Massen der Arbeiterschaft hinter sich brachte, die ihnen den Wahlsieg und die unerhört breite Zustimmung verschafften, die alles weitere an Terror und Krieg erst ermöglichten. Der Begriff des Sozialismus selbst fällt darunter, der nun zum National-Sozialismus umgeformt wurde. Das wäre doch nicht erfolgreich gewesen, wenn nicht der Begriff des Sozialismus in der Arbeiterschaft einen guten Klang gehabt hätte. Oder auch der Begriff der Revolution. Die Faschisten bezeichneten und feierten ihren Vormarsch und ihren Sieg 1933 ja als Revolution, hinwegfegend die “Systemzeit” und “Versailles”.

    Selbstverständlich ist die Betonung und Nutzung von Kontamination oder ihre Verdrängung immer auch eine Zeitgeistfrage. Die beständige Neigung des mainstreams, den von den deutschen Faschisten für ihre Herrschaft selbst gewählten Begriff des Nationalsozialismus dem Begriff des Faschismus vorzuziehen, weil auf diese Weise die gewollte Ineinssetzung von Nationalsozialismus und Sozialismus leichter funktioniert (und zugleich der Antifaschismus, der sich in der ganzen Welt gegen den deutschen Faschismus erhoben hatte – und der übrigens auch in allen Sprachen so heißt und nirgends Anti-Nationalsozialismus genannt wurde – in einer seltsamen Schwebe bleibt, weil es ja in dieser Lesart den deutschen Faschismus gar nicht gab), ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Tatsache, dass die Kontamination des Begriffs “Revolution” spätestens seit 1989 vollständig ausgeblendet wird.

    Klar ist: Es wird eine sehr schwierige Aufgabe für jeden bleiben, der linke Programme verfasst, eine populäre Sprache zu finden, die nicht in die Falle der kontaminierten Begriffe tappt. Wird aber keine populäre Sprache gefunden, wird es keine öffentliche Wirkung geben. Und andere werden sich finden, die mit “popularen Anrufungen” die Lücke füllen. Dies ist eine der vielen Lehren, die aus 1930/31 ff zu ziehen sind.

  89. Werner Richter sagt:

    Tschto delatj? Zum Zweiten
    Ich hatte in der „Debatte“ am 31.03.10 hier im Blättchen angedroht, mir erst mal weiter Gedanken über das Wieweiter zu machen u. mich dann zu melden. Meine Drohung ist real geworden u. ich will so viele wie möglich damit belästigen. Am Rande bemerkt: Natürlich sind das keine Überlegungen nach den ersten, sie sind nur etwas „logischer“ geordnet klarer auszudrücken.
    Meine dauernde Unruh ist die Frage: Wohin bewegt sich unsere Gesellschaft ohne mich und das Gros der „Gesellschafter“, die Kurs, Hafen u. Konsequenzen einfach zu akzeptieren haben, zu fragen? Daraus ergibt sich unweigerlich: muß ich das? Gegen diese Entmündigung sträubt sich in mir alles. Bei meinen Vorfahren, die, welche ich erleben konnte, hatte sich dazu unisono u. unbeeinflußt von einander Resignation eingenistet. Da kannst‘ nix machen! war ein oft gehörter Satz u. der wird nicht nur in meiner Familie zu hören gewesen sein. Und Achselzucken ist auch heute eine weit verbreitete Übung, sofern überhaupt Interesse an politischen Fragen vorhanden ist. Das Volk, der große Lümmel, konsumiert. Auch hatte ich bisher, auch in Geschichtsbüchern, kaum eine große Auflehnung gegen diese zugewiesene passive Rolle registrieren können. Wenn überhaupt aktiv, dann wütend aufflammendes Rasen, das kurz danach erlosch, Strohfeuer eben, war das Ergebnis der Auflehnung. Erlebt habe ich dies nur 1989, da war es dann aber genauso.
    Um der Realität Genüge zu tun, muß ich schon mal die Frage stellen: wie viele Zeitgenossen haben denn tatsächlich in dieser Zeit aktiv gewollt, daß überhaupt Veränderungen in der DDR-Gesellschaft erzwungen werden sollen? Waren es mehr als 10-15 %? Ich glaube nicht. Machen wir uns nichts vor u. schon gar nicht, glauben wir nicht den Propagandalinien der demokratisch brav folgenden Medien von der „friedlichen Revolution“, die vom Volk auf der Straße bewirkt worden wäre. Das ist nur als Köder für den Pöbel gedacht, soll gar nicht die Realität widerspiegeln, eine Kumpelei der Mächtigen mit dem/der gemeinen Mann/In vorspiegeln, hat seinen Sinn ausschließlich in aktuell-politischen Kalkulationen, gerade jetzt, wo die Kacke global am Dampfen ist. In meiner Erinnerung begegnete ich damals außerhalb der „revolutionären“ Kreise überwiegend Unverständnis, Verärgerung, Skepsis u. offene Ablehnung unter den „normalen“ Menschen, die vorrangig ihren Alltagsgeschäften nach gingen u. nicht gestört werden wollten. Erst, als bestimmte Kreise, die nicht unbedingt in der DDR ansässig waren, gezielt den Mob auf die Straße holten u. dem beibrachten, daß er gefälligst Bananen u. Reisen zu fordern habe, wollten viele auch einen Stück vom verheißenen Kuchen u. sangen das Lied vom Deutschland einig Vaterland statt „Wir sind das Volk“. Was zählte da die sichere Prognose, daß dann keine Arbeit auch keine Reisen brächten.
    Auch unter Bürgerrechtlern war der Anteil derer, die zuerst oder auch ausschließlich eine ganz persönliche Rechnung mit dem „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ offen hatten, beträchtlich, ganz normal m. E. Erinnern wir uns doch der lawinenartigen Absetzbewegungen der parteigebundenen „Bürgerrechtler“ von einstmals gemeinsam aus vollem Herzen (?) am „Runden Tisch“ beschlossenen Demokratisierungsthesen, in die (West-)Parteien, angeblich, um dort besser diese Ideale verwirklichen zu können, so manche Krokodilsträne ist damals öffentlichkeitswirksam vergossen worden, der mit ihrer Hilfe zunehmenden Dominanz westdeutscher „Berater“ aus dem Hintergrund, die dann in recht gut vorbestimmten Wahlen u. im Einigungsvertrag, den auch hervorragende Vertreter der DDR wie Freund Krause (Deckname unbekannt) u. de Maiziere (IM Czerni) unterschreiben, aber wohl kaum inhaltlich mitgestalten durften, wenn sie je gewollt hätten, endeten. Die Bürgerbewegungen, von den jetzt dominierenden Parteien permanent aus dem Hinterhalt angegriffen, schon erheblich dezimiert u. jeglichen Einflusses beraubt, begannen, sich vorwiegend mit sich selbst zu beschäftigen oder auf Nebenkriegsschauplätzen auszulaufen. Selbst die fälschlicherweise immer den Bürgerbewegungen zugerechnete Akten-Behörde, der nach langem Abtauchen in der Aufbauphase dann Gauck vorstehen durfte, ein genialer Schachzug des Bundeinnenministeriums, wurde personell u. inhaltlich stabsmäßig von diesem, und nur von diesem, aus dem Boden gestampft, nachdem die Auslagerung der Akten in Staates Hand durch die Bürgerkomitees verhindert worden war. Nur ein winziges Häuflein Aufrechter blieb, ich erkenne nur noch das Neue Forum mit sichtbaren Lebenszeichen, aber gesellschaftlich unbedeutend, wie Wikipedia zu berichten müssen glaubt. Bestenfalls, schon um diesen gerecht zu werden, muß ich noch diejenigen zu den Aufrechten zählen, die sich enttäuscht, weil vorher mit völlig lebensfremden Utopien ausgestattet, in ihre privaten Ecken zurückzogen. Es ist wohl nicht ganz falsch, diesen sehr kleinen Kreis als die „Bürgerrechtler im Namen aller“, die eigentlichen, zu bezeichnen. Die, welche der Öffentlichkeit als solche „verdienstvolle“ zu Anlässen, wie jüngst durch Frau Merkel, offeriert werden, zählen ganz gewiß nicht dazu. Meckel, Gauck, Merkel, Eppelmann u. Co haben schon Verdienste erworben, aber nicht im vorgeblichen Sinne, siehe oben. Doch den nun trotzig weiter lebenden Bürgerrechtsbewegungen war die Luft rausgelassen worden.
    Warum konnte jedoch eine Bürgerbewegung so gewaltig anwachsen u. in recht kurzer Zeit quasi in sich zusammenbrechen? Gut, es war schon etwas unverschämt, sich auf Tische zu stellen u. im Namen des Volkes, ohne dieses zu fragen, Forderungen zu stellen, also nicht legitimiert, ein damals oft gehörter Vorwurf der Rückzugsgefechte Führenden. Aber dieser Vorwurf erledigte sich von selbst, legte man den Maßstab tatsächlicher Legitimation der herrschenden Clique an. Doch da gibt es noch als Erklärung das Fehlen wirklichen Wollens von Veränderungen in der Volksmehrheit. In der „marxistischen“ Revolutionstheorie wird das als „subjektive revolutionäre Situation“ bezeichnet. Ich fürchte, daß die meisten DDR-Bürger keine Lust hatten, sich auf ein neues Abenteuer mit unbekanntem Ausgang einzulassen, die Unausweichlichkeit kommender Veränderungen ahnten u. unter diesen Umständen sicheres Terrain mit Bananen bevorzugten. Die Zukunft, in der wir jetzt leben, war noch weit weg. Inzwischen haben sich viele Befürchtungen mehr als bewahrheitet, auch wenn die von Regierenden u. Medienmeute erzeugten Nebelwände vieles noch im Trüben erscheinen lassen. Der Hauptgrund, der die Herrschenden Zurückhaltung bei der Sicherung günstigerer Verwertungsbedingungen des Kapitals in dessen Interesse üben ließ, eine möglicherweise wachsende soziale Attraktivität des Lebens in den als „sozialistisch“ bezeichneten Ländern, auch wenn dies auf einer unrealistischen Beurteilung basierte, war recht schnell entfallen, das bemerkenswerte Teilnehmenlassen breiter Bevölkerungskreise an den Profiten über das bisher gekannte Maß hinaus, zusammengefaßt unter dem recht fragwürdigen Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“, war unnötig geworden. Das Kapital konnte sich stärker seiner eigentlichen Trieben zuwenden u. die Politik ebnete jetzt dafür die Wege. Aus „Sozialer Marktwirtschaft“, auch wenn dabei ab u. zu eine Nebelkerze gezündet wird, wurde „Neue Marktwirtschaft“, freie Fahrt für freies Kapital. Potentielle organisierende Kräfte, die die Masse der Bevölkerung im Widerstand gegen diesen Trend hätten führen können, waren vorsorglich ins Abseits gestellt worden. Die Gewerkschaften wurden dank der gewandelten Kapitalstruktur unattraktiv gemacht u. z.B. die LINKE auf den Weg der „Politikfähigkeit“ geprügelt, die USPD läßt grüßen. Ich ahne, eine einigermaßen revolutionär zu bezeichnende Lage, in der organisierte Kräfte sich an die Spitze der anwachsenden Massenbewegung stellen, wird es unter diesen Umständen objektiv sobald nicht geben, bestenfalls, wenn die Kapitalbeauftragten sich u. die Regierungen/internationalen Organisationen in eine Pattsituation laviert, keine Verschleierungs- oder Verzögerungstaktiken bezüglich der Weltfinanzkrise noch akzeptable Ergebnisse zeigen u. an der Beseitigung der Haushaltsdefizite, Währungsreformen (Abwertung) nicht mehr vorbei kommen. Wenn ich Hobsbawm, Attali, Günter Reimann u.a. richtig verstanden habe, kann das aus weltökonomischer Sicht so um 2015 bis 2020 durchaus erwartet werden, ganz in Abhängigkeit von den Trends, die sich bis dahin durchsetzen werden. Allerdings gibt es die nicht unbegründete Befürchtung, daß diese Prozesse noch sehr viel Blut kosten werden, wie Hobsbawm in einem seiner letzten Interviews vorhersagte. Man denke sich nur die Situation, Chinas inneren Konflikte, der stärkste ist wohl der, daß der gesamte Reichtum u. das wirtschaftlich rasende Wachstum vor allem auf der brutalsten Ausbeutung des Millionenheeres rechtloser Wanderarbeiter beruht, explodieren, die Machthaber grundlegende innere Reformen zur Sicherung ihres Machterhalts mit Milliardeninvestitionen im Konsumsektor angehen müssen u. damit China notgedrungen in die Reihe der US-Staatsanleihenverweigerer (bisher nur Nordkorea, der alte Irak, Iran, also die „Schurkenstaaten“) tritt u. damit eine weltweite Lawine auslöst, die die Wirtschaften der USA u. in Folge der EU in kürzester Zeit zusammenbrechen läßt. Die Reaktion käme logisch mit der einzigen verbleibenden Potenz: militärische Macht. Die Dislozierung der Kräfte u. Mittel für genau diesen Fall ist schon voll im Gange (Jugoslawien, Afghanistan/Pakistan, Mittelasien, Türkei, Kaukasus, Middel-East, Horn von Afrika, Mittelmeer). Wünschenswert ist eine solche Entwicklung nicht, wie überhaupt politische Umstürze jeglicher Art, deren Ergebnisse nur mittels semantischer Begriffsakrobatik, nie aber real, Verbesserungen der gesellschaftlichen Verhältnisse erbrachten u. erbringen, dafür aber nur Tod u. Leid den Völkern.
    Ebenso sind derzeit Veränderungen in den europäischen Ländern, auch in der Bundesrepublik, nicht auf „revolutionärem“ Wege denkbar oder wünschenswert, Veränderungen jedoch sind bitter notwendig. Wenn auch die hiesigen gesellschaftlichen Verhältnisse aus vielerlei Gründen keinen primären Einfluß auf das Weltgeschehen haben, so ist es für uns u. auch die Welt nicht bedeutungslos, in welche Richtung welche Veränderungen angeschoben werden. Wie gesagt, es gibt auch in der Bundesrepublik eine stattliche Anzahl von Initiativen, die meist isoliert u. am wenigsten auf die grundlegenden gesellschaftlichen Verhältnisse gerichtet, fast nur Reaktionen auf sekundäre Felder der Politik- u. Wirtschaftsentwicklung, wenig Aktion, also aufzwingenden Charakter tragend, oft nur Diskussionsforen mit sporadischen Aktionen ohne langfristigen Plan. Wie schon in anderem Zusammenhang dargestellt, fehlt es grundlegend an Einfluß auf u. Verantwortung der Bevölkerung für die Politikstrukturentwicklung als Voraussetzung für Wachstum der Demokratie. Gegenwärtig ist, u. das schon geraume Zeit, deren Abbau, soweit überhaupt vorhanden, auf breiter Front zu verzeichnen. Es vergeht kein Ereignis, ohne daß die Politiker aller Farben alte Entdemokratisierungsszenarien aus ihren Schubladen ziehen u. diese immer wieder als neu zu platzieren versuchen, mögen sie auch noch so idiotisch sein. In kleinen Etappen vollzogen kann man einen ideellen Gesamtplan der fusionierenden Politik- u. Finanzeliten in Richtung einer nichtdemokratischen Gesellschaftsform unterstellen. Vor allem die Staats- u. Parteienbürokratien u. ihre Strukturen sind die Ursache dieser unheilvollen Entwicklung. Sie sind der Krake, der die Gesellschaft in Lethargie versinken läßt u. die wirklich kreativen Potenzen der Bevölkerung, nicht die als „Kreative“ uns von Lakaienmedien vorgesetzten Dummschwätzer meine ich, lähmt. Keine der oben erwähnten Initiativen u. Bewegungen ist wegen ihrer Entstehungs- u. Entwicklungsgeschichte prädestiniert, die Initialzündung einer Wandlung der inneren Struktur unserer Gesellschaft zu sein. Dies kann nur eine Bewegung anstoßen, die auf die Grundlagen der Gesellschaft fixiert ist, wie einst das „Neue Forum“. Ob es die Überreste des NF sein können, kann ich nicht einschätzen, aber das ist nicht von Bedeutung. Vielleicht kann sich aus dem alten Bodensatz eine neue Bewegung gebären, vielleicht muß eine neue her, aber her muß sie, sonst befürchte ich eine bleierne Zeit bis zum Zusammenbruch. Also, werde ich auch das Neue Forum direkt ansprechen müssen, die Ärmsten. Ich weiß, das ist eine Zumutung, denn ich bin immer noch Mitglied, habe mich aber seit den 90-er Jahren bis auf gelegentliche Fernkontakte herausgehalten, aus privaten Gründen u. weil ich auch mit meinem Latein am Ende war. Mal sehen, was wird.
    Die Idee hatte ich schon früher, wo man jetzt ansetzen, wie eine gesellschaftlich relevante Erneuerungsbewegung entstehen könnte. Der „Point of Return“ muß da gesucht werden, wo das Volk noch (!) Einfluß nehmen kann, den Wahlen. Die kann man noch nicht abschaffen, obwohl das von manchem nicht ungewollt wäre. Sie sind so lästig, da sie Schicksal der Politiker bestimmen können, bei allen Versuchen, diesen Einfluß zu minimieren. Und vor allem: hier befände man sich in voller Übereinstimmung mit dem Grundgesetz, das noch nicht vollständig deformiert ist bei allen Anstrengungen der Politik auch mit Hilfe des Verfassungsschutzes, den Geist dieses Gesetzes Schritt für Schritt umzukehren. Oder hat schon jemand von Ermittlungen gegen Politiker gehört, die gerade wieder u. zum x-ten Mal das Grundgesetz beschneiden wollen? Einzige institutionelle Einrichtung, die zur Zeit noch das GG hält, ist das Bundesverfassungsgericht, das aber auch immer mehr ausgehebelt wird. Der notwendige Spielraum für Initiativen gegen die undemokratische Verfahrensweise der Politikerkaste mit Wahlen u. Wahlergebnissen u. damit letztlich auch für mehr Schutz des GG ist also noch gegeben. Wahlverweigerung, obwohl ich diese Idee lange Zeit sympathisch fand u. praktizierte, ist doch nur eine Variante der Abwendung von der Politik, den eigenen Interessen u. ein Ebnen des Terrains für die Parteiapparate, nach eigenem Gusto u. unkontrolliert die eigene Macht auszubauen. Gerade wir in Deutschland müßten das Lied kennen, das so regelmäßig in Katastrophen u. Katzenjammer endete. Wahlverweigerung fällt damit aus. Die Wahllisten, die immer mehr denen der „Gemeinschaftsliste der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland“ seligen Gedenkens ähneln, u. die Grotesken des Wahlkampfes kann ich als Alternative zwischen Pest u. Cholera auch nicht ernst nehmen. Nur die dümmsten Kälber… Bleibt nur: Zur Wahl gehen u. dort meinen Protest dokumentieren. Ja, Demonstrationen an Wahleinrichtungen sind a priori verboten, aber noch kann ich mit dem Wahlschein machen, was ich will. Ungültige Stimmen, die ich erzeugen könnte, sind per Gesetz ebenfalls nicht relevant gemacht worden. Das ist wirksam, wenn einige tausend Wähler irgend etwas auf den Wahlschein schreiben oder diesen anders ungültig machen. Da reklamieren die sich mit begrenzter Gefahr sich wählen lassenden Politiker auch diese Stimmen für sich mit einer Art von Entmündigung der Fehlgelaufenen. Wie lang jedoch kann eine Gesellschaft gleichaussehende analog gekennzeichnete ungültige Wahlscheine, mein Vorschlag sind orange diagonal durchkreuzte Wahlscheine, ignorieren, wenn diese einen relativ gleichen Wählerwillen erkennen lassen? Würden Medien 10.000, 20.000, 50.000 oder 100.000 derart verunstalteter Wahldokumente ignorieren können, ohne sich als Afterkriecher bloßzustellen? Ich glaube, nicht lange. Gut, ein staatliches Gesundheitsinstitut könnte plötzlich feststellen, daß orangene Marker krebserregend sind u. per Gesetz vom Markt nehmen lassen. Da gäbe es dann noch rote Marker, vielleicht wären diese dann genehmer.
    So oder so, ein Anfang wäre gemacht u. nur das ist zunächst wichtig.

  90. HWK sagt:

    Ach, Liebermann…

    Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg – pietätvoll haben Sie auf der Trauerfeier für die sinnlos verheizten Bundeswehrsoldaten schon mal einen reizvollen Ausblick in die (sicher nahe) Zukunft gewagt:

    “Nach den Gefechten vom 15. April und vom Karfreitag ist deutlich geworden, was wir vielleicht zu lange nicht wahrhaben wollten. Tod und Verwundung sind Begleiter unserer Einsätze geworden, und sie werden es auch in den nächsten Jahren sein – wohl nicht nur in Afghanistan”, sagte der Minister. Trotzdem dürften Tod und Verwundung “niemals, wirklich niemals zur Routine werden”

    Ganz, ganz w i r k l i c h!!!
    Und das “nicht nur in Afghanistan”!!!

    Ach, Liebermann….

  91. Erhard Crome sagt:

    Bin erst jetzt dazu gekommen, die Nummer 7 des Blättchens zu lesen. Hier der Text von Heerke Hummel: Was heißt hier „Verstaatlichung“?

    http://das-blaettchen.de/was-heisst-hier-verstaatlichung/

    Darin steht der Satz: „Endlich… orientiert sich DIE LINKE mit ihrem Programmentwurf wieder deutlich an ihren Wurzeln mit dem Grundsatz: Gemeinnutz vor Eigennutz!“
    Dieser Satz aber findet sich zum Beispiel auf der 5-Reichsmark-Münze von 1935, vorn die Garnísonskirche, hinten die 5 mit Reichsadler und Hakenkreuz und auf dem Rand der Satz: “Gemeinnutz geht vor Eigennutz”. Ob man ihn mit oder ohne „geht“ bei Google eingibt, es kommt immer heraus, daß dieser Satz zur Demagogie der Nationalsozialisten gehörte, oder man landet auf einer aktuellen NPD-Seite. Ich wüßte nicht, daß DIE LINKE zu „ihren Wurzeln“ kommt, wenn sie an Nazi-Slogans anknüpft. So hat Heerke Hummel offenbar der LINKEN ein Kompliment machen wollen, das sich als Bärendienst erweist, und hat in den Eimer mit brauner Sch… gegriffen.
    Gewiß, der Inhalt besagter Formulierung ist nichts anderes als eine tradierte sozialistische Forderung; nur, daß die Nazis diese – wie anderes originär sozialistische Gedankengut – zu ihren demagogischen Zwecken übernommen hatten. Das macht die heutige Übernahme einer solchen Wortwahl aber nicht besser.
    Das gilt übrigens auch für den Terminus „Plutokraten“, der ursprünglich eher die nazistische Umschreibung von Kapitalismus war, und dann gegen Angelsachsen und Juden gewandt wurde – im Sinne: gute deutsche Kapitalisten, die ordentliche deutsche Erzeugnisse produzierten – die dann „Wirtschaftsführer“ (ein Terminus, den übrigens die heutige bürgerliche Presse wieder gern benutzt) bzw. „Wehrwirtschaftsführer“ waren – und böse angelsächsische und jüdische, weil die vor allem über die Finanzinstitutionen agierten. Die „Plutokratie“ taucht in dem Artikel von Martin Niklaus in der gleichen Nummer auf.
    Es gibt keine Vererbung von sozialer oder historischer Erfahrung. In der Bibel heißt es, daß die Schuld der Väter bis „ins dritte und vierte Glied“ reicht (5. Mose 5.9), und wir sind jetzt in Deutschland wohl am Übergang zu den „unschuldigen“ Generationen, die zwar – wenn’s gut geht – persönliche Betroffenheit zeigen, wenn es um Auschwitz geht, und zur Einweihung von Stolpersteinen gehen, aber das nicht mit sich selbst oder ihren nahen Anverwandten, mit einem Gefühl eigener Schuld verbinden.
    Victor Klemperer schrieb: „Das Dritte Reich hat die wenigsten Worte seiner Sprache selbstschöpferisch geprägt, vielleicht, wahrscheinlich sogar, überhaupt keines. Die nazistische Sprache weist in vielem auf das Ausland zurück, übernimmt das meiste andere von vorhitlerischen Deutschen… Das Gift der LTI (Lingua Tertii Imperii) deutlich zu machen und vor ihm zu warnen – ich glaube, das ist mehr als bloße Schulmeisterei. Wenn den rechtgläubigen Juden ein Eßgerät kultisch unrein geworden ist, dann reinigen sie es, indem sie es in der Erde vergraben. Man sollte viele Worte des nazistischen Sprachgebrauchs für lange Zeit, und einige für immer, ins Massengrab legen.“ Das gilt m.E. noch heute. Dabei hilft, Klemperers Buch, das den Namen „LTI“ trägt, immer mal wieder zur Hand zu nehmen. (Meine Ausgabe wurde 1975 in Leipzig verlegt. Diese Anmerkung nur, weil nachwendisch von interessierter Seite behauptet wurde, das hätte es in der DDR nicht gegeben.)

  92. Werner Richter sagt:

    Zur Verteidigung am Hindukusch: Entschuldigung, Frau Merkel, aber idiotischer auch nicht. Da Sie ja das verantwortliche Handeln des Bundestages einfordern , wäre es hierfür unterstützend angebracht, an den Zugängen des Bundestages Namenstafel der Getöteten, aller natürlich, anzubringen. Aber bitte, lassen Sie genügend Platz für die nächsten Kriege!

  93. Helge Jürgs sagt:

    Frieden ante portas…
    2001 hat der Bundestag erstmals für eine auf sechs Monate (!) begrenzte „Friedensmission“ der Bundeswehr votiert. Gerhard Schröder als seinerzeitiger Kanzler erklärte in der damaligen Debatte, es gehöre “zu den bitteren Wahrheiten”, daß der Frieden in Afghanistan nur durch Krieg näher gerückt sei. Auf daß der Friede immer näher rücke, hat die Mehrheit der Abgeordneten Jahr für Jahr einer Verlängerung des Einsatzes zugestimmt. Mittlerweile ist dieser Friede so nahe herangerückt, daß er immer mehr Todesopfer fordert, von Verwundeten oder traumatisierten ganz zu schweigen
    Der Erkenntnisstand der Bundestagsmehrheit, neun Jahre, tausende afghanische, 1.700 Tote auf Seiten der Koalitionstruppen, unter ihnen 43 deutsche, später, weiß Volksparteichefin Merkel: “Der berühmte Satz unseres früheren Verteidigungsministers Peter Struck bringt das für mich auf den Punkt: Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt. Bis heute hat es niemand klarer, präziser und treffender ausdrücken können, worum es in Afghanistan geht.”
    Und der Kommentar des Volkspartei-Vorsitzenden Siegmar Gabriel zur inzwischen gut 70 Prozent betragenden Ablehnung des Krieges in der deutschen Öffentlichkeit: “In einer so elementaren Frage müssen wir Politiker mehr sein als ein Echolot öffentlicher Gefühle.“
    Chapeau! Denn das meint sicher auch die Gefühle der Afghanen selbst, in deren Ansehen Deutschland spätestens nach Kundus deutlich gesunken ist.
    Helge Jürgs

    • Webmaster sagt:

      Ganz abgesehen davon weiß der Herr Gabriel offenbar auch nicht, was ein Echolot ist.

  94. Hans-Peter Götz sagt:

    Auch eine Art von Exportförderung

    In der jüngsten Ausgabe des „Spiegel“ wird das Rettungspaket für das am Rande des Staatsbankrotts stehende Griechenland in Zusammenhang mit Rüstungskäufen des Landes in der Bundesrepublik und Frankreich gebracht. Dabei geht es um sechs deutsche U-Boote und sechs französische Fregatten. „Deutsche und Franzosen hatten die Griechen in der Hand“, so zitiert das Nachrichtenmagazin den ehemaligen Chef der Europäischen Verteidigungsagentur Nick Witney und fügt hinzu, dass selbst Berater des griechischen Premiers Georgios Papandreou eingeräumt hätten, dass „Zugeständnisse an der Rüstungsfront“ offenkundig hilfreich bei den Verhandlungen über die Finanzhilfen gewesen seien.

    Laut „Spiegel“ hatte die griechische Regierung einen Vertrag über den Kauf von vier U-Booten der Klasse 214 von ThyssenKrupp im Herbst 2009 wegen Zahlungsschwierigkeiten und Streit um angebliche Baumangel gekündigt, nun aber kurz vor Ostern erneuert und sogar noch erweitert: Die Griechen kauften nun statt vier insgesamt sechs U-Boote; Mehrkosten – knapp eine Milliarde Euro.

  95. Detlef Kannapin sagt:

    Zu Wolfram Adolphis NeXXor:
    http://das-blaettchen.de/nexxor/

    Ich muß mich hier zunächst dafür entschuldigen, daß ich sehr verspätet bin. Dem armen Wolfram Adolphi hatte ich schon vor Wochenfrist einen Kommentar versprochen. Aber der Tanz auf vier Hochzeiten (Jobsuche, Kleinkinder, Projektarbeit und Philosophie) lassen nicht immer gleich eine Reaktion zu, nun denn:

    Im Jahre 1988 formulierte der Situationist und Hegelianer Guy Debord “Kommentare” zu seinem 1967 erschienenen Buch “Die Gesellschaft des Spektakels”. Darin werden die fünf Hauptkriterien des Zustands der kapitalistischen Gesellschaft wie folgt umrissen:

    1. ständige technologische Erneuerung,
    2. Fusion von Staat und Wirtschaft,
    3. generalisiertes Geheimnis,
    4. Fälschung ohne Replik,
    5. immerwährende Gegenwart.

    M/L-geschulte Leser werden Vieles wiedererkennen, ich muß das nicht wiederholen. Ich selbst würde unsere Zeit Spätimperialismus nennen, andere sagen Restauration, wie auch immer.

    Wir befinden uns im Falle NeXXor genau auf der Linie der Kriterien 1 und 4. Wolfram Adolphi hat das einzig Richtige getan, nämlich den Fall öffentlich gemacht und sein Recht auf Replik wahrgenommen, um der Fälschung zu entkommen. Aber was bleibt hängen? Er ist nunmal “Täter”, Pech, und NeXXor hat dem Leibhaftigen die Maske vom Gesicht gerissen. Ein Hinweis: In Wikipedia namentlich eingetragene Personen haben das Recht, sich bei der Redaktion, in Notfällen beim Provider, über falsche Angaben zu beschweren. Sie sind auch befugt, solche Einträge selber richtigzustellen. Sehr schlecht wäre eine Abschaltungsverfügung (ist aber auch möglich).

    Lange Rede, kurzer Sinn: Es kommt darauf an, wie das Medium Internet genutzt wird. Der jugoslawische Philosoph Slavoj Zizek hat einmal geschrieben: “Kommunismus = Sowjetmacht + Internet für alle”. Wer weiß denn schon, daß 80% der Menschheit offline sind (übrigens im wahrsten Sinne des Wortes). Ihnen bleibt zwar viel erspart, aber eben auch viel vorenthalten. Ich halte es also weiter mit dem alten Hegel und präsentiere der geneigten Leserschaft noch ein unveröffentlichtes Arbeitspapier, das ich am 28.10.2009, drei Tage vor Auslaufen meines Arbeitsvertrages bei der Linksfraktion im Bundestag an die dafür zuständigen Stellen schickte und das ohne Resonanz blieb.

    “Netzpolitik

    Im Zusammenhang mit den jüngsten Diskussionen über das Zugangserschwerungsgesetz bei der angeblichen Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet, wurden Probleme aufgeworfen, die weit über das hinausgehen, was das Gesetz vordergründig bezwecken soll.
    Es geht nämlich erstens um das Grundrecht auf Informationsfreiheit, zweitens um die Zugangsmöglichkeiten zum Internet als demokratischem Medium schlechthin und drittens um zukunftsweisende Entscheidungen, welche Funktion das Netz für die demokratische Teilhabe in der Gesellschaft haben kann.
    Aus bekannten Gründen hat die Fraktion DIE LINKE. Mitte Juni 2009 gegen den Gesetzesentwurf der Bundesregierung gestimmt. Wir sagten: Es fehlt die Zuständigkeit des Bundes. Es fehlt eine rechtsstaatliche Kontrolle. Es fehlt die Verhältnismäßigkeit. Es fehlt die Verfassungsmäßigkeit. Es fehlt der Schutz der Opfer. Stattdessen werden möglicherweise sogar die Täter gewarnt. Alles in allem wird das Gesetz das Tor zur Internetzensur eröffnen.
    Und da sind wir an der entscheidenden Stelle: Der Trick ist einfach. Unter dem Deckmantel, etwas für missbrauchte Kinder und gegen die visuelle Offenlegung ihres Missbrauchs zu tun, erfolgte ein kaum verhüllter Angriff auf ein Medium, das zum ersten Mal in der Geschichte der modernen Massenmedien potentiell eine wirkliche Informationsfreiheit erreicht, die mit denkbar einfachsten Mitteln jeder Bürgerin und jedem Bürger die Information beschafft, die bisher immer durch den Filter der Medienkonzerne gegangen ist. Das heißt, das Internet räumt technisch die Möglichkeit ein, in kürzester Zeit an Wissen zu kommen, das anderweitig vermutlich gar keinen Adressaten finden würde und sollte. Zwar gibt es auch hier viel Datenmüll. Und DIE LINKE. ist auch nicht so naiv zu glauben, dass die bloße Existenz des Netzes alle gesellschaftlichen Kommunikationsprobleme löst. Aber der Fortschritt an sich ist ungemein: Niemand kann mehr sagen, er hätte nichts gewusst.
    Darüber hinaus wurde das Sender-Empfänger-Problem entschärft. E-mail, blog, chat und twitter sind Mechanismen, die eine direkte Antwort auf ein Informationsangebot zulassen. Die eindimensionale Informationsübertragung, früher klassisches Einfallstor ideologischer Beeinflussung, ist dadurch ausgehebelt und eine Utopie der kritischen Medienforschung zur Realität geworden. Der oder die Angesprochene kann sich mitteilen.
    Internetfreiheit ist ein Grundrecht und muss ein Grundrecht bleiben. Deshalb sollte unsere Fraktion in der Netzpolitik ihre Aktivitäten verstärken. Die Unterstützung der e-Petition, die Internetsperrungsabsicht der Koalition zu verhindern, war von daher selbstverständlich. Eigene Netzprojekte sind in Arbeit.
    Wie gesagt, es geht um weiterreichende Dinge als um den vorgeschobenen Schutz missbrauchter Kinder. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder das Internet bleibt demokratisch und frei. Dann erscheint eine Diskussionskultur auf elektronischer Basis am Horizont, deren Vielstimmigkeit eine öffentliche Aushandlung sozialer Probleme wirklich öffentlich machen würde. Traditionelle Medien und eine demokratische Medienerziehung wären damit nicht überflüssig. Denn nur im Kontext einer substantiellen Allgemeinbildung kann das Internet tatsächlich produktiv genutzt und dessen Informationsleistung entsprechend eingeordnet werden. Eine zukünftige Politik ohne Berücksichtigung des Netzes ist jedoch illusionär.
    Oder aber, es gelingt den multinationalen Medienkonzernen eine Reterritorialisierung des Internets zu erreichen, kurzum Grenzen im Netz zu ziehen – mit den wichtigen Informationen, die bezahlt werden müssen, für die Einen, und frei verfügbarem Informationsschrott für die Anderen, die von elementarem Wissen aufgrund fehlender Zahlungsfähigkeit ausgeschlossen werden. Eine solche Zwei-Klassen-Informationsgesellschaft kann und muss verhindert werden. Die Fraktion DIE LINKE. setzt sich für die flächendeckende und kostenfreie Breitbandversorgung für alle ein. Und sie setzt sich dafür ein, dass das Internet mit all seinen Potenzen vor staatlicher Bevormundung geschützt wird. Dann hätten wir in der Tat ein Medium, dass politische Veränderungen im Sinne sozialer Gerechtigkeit mit umzusetzen hilft.”

    So, das war’s dann erstmal. Ende der Darbietung.

  96. Wolfgang Schwarz sagt:

    US-Kernwaffen in Europa

    Wer gemeint hat, die vor einem Jahr von Präsident Barack Obama in Prag entwickelte Vision einer nuklearwaffenfreien Welt könnte die Voraussetzungen dafür verbessern, die letzten ca. 200 taktischen US-Kernwaffen aus Europa abzuziehen – darunter 20 bis 40 vom Fliegerhorst Büchel der Bundesluftwaffe in der Eifel –, der musste sich spätestens mit der Veröffentlichung der so genannten Nuclear Posture Review (NPR), die Präsident Barack Obama veranlaßt hatte und die Anfang April veröffentlicht wurde, eines Schlechteren belehren lassen.

    Aus diesem Grundsatzdokument für die Nuklearstrategie und die atomaren Rüstungsprogramme und Planungen der USA geht hervor, daß die Lebenszeit der thermonuklearen Bomben vom Typ B-61, die auch in Büchel lagern, „in vollem Umfang“ verlängert werden soll. Es liegt in der Logik der Sache, daß, was modernisiert wird, kaum zur Verschrottung in nächster Zeit vorgesehen sein dürfte. Darüber hinaus enthält die NPR den Hinweis, daß mögliche Entscheidungen über dieses Waffensystem „im Konsens mit den NATO-Partnern“ getroffen würden. Das bedeutet, daß jeder NATO-Staat praktisch über ein Vetorecht verfügt, um eine Abzugsentscheidung zu blockieren. Experten trauen dies den russophoben baltischen Republiken, aber z. B. auch Polen durchaus zu. Daß die USA auch anders können, hat in den vergangenen Jahren ihr vollständiger Abzug aller taktischen Kernwaffen erst aus Griechenland, dann aus Großbritannien gezeigt. In beiden Fällen erfolgte der Abzug einseitig, ohne formellen Konsens mit den Verbündeten.

    Die jetzige Aussagen in der NPR zeigen den Einfluß maßgeblicher Kräfte innerhalb der Washingtoner Administration – auch Verteidigungsminister Robert Gates gehört dem Vernehmen nach dazu –, die gegen ein vollständigen Abzug der US-Kernwaffen aus Europa votieren. Den fordert hierzulande unter anderem Bundesaußenminister Guido Westerwelle, und der kann sich inzwischen auf ein breites parlamentarisches Votum stützen. Kürzlich passierte ein interfraktioneller Antrag von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen – die Linkspartei war zu einer Teilnahme nicht eingeladen worden – den Bundestag, wonach das deutsche Parlament die Absicht der Regierung begrüße, „sich im Bündnis sowie gegenüber den amerikanischen Verbündeten dafür einzusetzen, dass die in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abgezogen werden“. Auch Westerwelles Amtskollegen aus den Benelux-Staaten und Norwegen vertreten inzwischen vergleichbare Positionen und haben das Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle gemeinsam mit Westerwelle auf die Tagesordnung der bevorstehenden NATO-Ratstagung in Tallinn (22./23.April) gesetzt.

  97. Bernhard Schaub sagt:

    “Es ist doch offensichtlich, dass der Finanzsektor nicht nur unsere Wirtschaft verzerrt hat, sondern auch unsere Werte. Die Gier hat völlig inakzeptable Ausmaße angenommen. Es ist einfach nicht richtig, wenn Banken wie in den USA die Ärmsten mit Kreditkarten dazu verführen, sich Dinge zu kaufen, die sie sich nicht leisten können.

    Und wir geben jungen Menschen nicht die richtigen Anreize, wenn man als Banker mit dem Verkauf von schlechten Finanzprodukten ein Vielfaches von dem verdient, was Wissenschaftler, Ärzte oder Lehrer für Arbeit von viel höherem gesellschaftlichem Nutzen bekommen. Geld ist zum Maßstab für richtig und falsch geworden. Deswegen brauchen wir dringend eine Debatte darüber, inwieweit wir der Wirtschaft weiterhin erlauben wollen, unsere Gesellschaft zu prägen – und inwieweit es umgekehrt sein sollte.”

    Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, bis 2000 Chefökonom der Weltbank,
    in einem Interview (Berliner Zeitung vom 19.April 2010)

    Schöne Erkenntnis, nur: “Was nützt die Liebe in Gedanken…?”
    B. Schaub

  98. Die Redaktion sagt:

    Heute im ND:

    Ein verdammt hoher Preis
    von Mathias Wedel

    Ich bin umzingelt von mutigen Deutschen, die aus der Geschichte gelernt haben. Beispielsweise, dass man Unrecht nicht geschehen lassen darf. Oder dass man keinem anderen Volk mit Gewalt – und sei es mit einer harmlosen Maßnahme, wie Krieg – zum Glück verhelfen darf. Gebildete unter diesen Mutigen wissen zudem, dass der »gerechte Krieg« eine Erfindung der Militärs oder – wie es im Kasernendeutsch heißt – eine Latrinenparole ist. Selbst Leute, die weder Tagesschau gucken noch eine ordentliche Zeitung lesen, wollen nicht, dass junge Thüringer oder Sachsen tot, verwundet oder verrückt aus Afghanistan zurückkommen. Natürlich auch nicht junge Schwaben.
    Auch passt es ihnen nicht, dass der Krieg Milliarden kostet, während in den Städten Bibliotheken, Schwimmhallen, Theater schließen, weil Geld fehlt. Sie fragen sich, ob die Auslöschung einiger religiöser Eiferer in einer Schlacht, an der zuletzt 3000 Soldaten beteiligt waren, die Schwimmhallenschließung aufwiegt. Und wieso nicht Afghanen die dortige Müllabfuhr und die Finanzämter übernehmen können, ohne zuvor durch deutsche Polizeiausbilder qualifiziert zu werden.
    Der Mut dieser Leute äußert sich subtil. Sie brüllen ihre Kriegsverachtung nicht auf der Gasse aus, sondern teilen sie den Call-Centern mit, die sie zu Hause im Auftrag von Meinungsforschern anrufen. Jede Woche sind es mehr Leute, die anonym in die Leitung flüstern, dass sie den Krieg Scheiße finden. Der Antikriegskampf wird nicht von charismatischen Politikern, Freiheitshelden oder Gewerkschaftern geführt, sondern von Statistikern. Nach den letzten vier Toten sind fast alle Deutschen fahnenflüchtig geworden.
    Man kann die Courage dieser Leute nicht genügend bewundern. Denn aus dem letzten Krieg wissen sie, dass man am nächsten Baum aufgehängt werden kann, wenn man mitten im Krieg sagt, dass der Krieg nun mal langsam aufhören solle, oder wenn man nicht glaubhaft an den Endsieg glaubt. Dann hat man ganz rasch ein Schild um den Hals: »Ich war zu feige, deutsche Frauen und Kinder vor dem Taliban zu verteidigen.«
    Na gut, so schlimm wird es diesmal nicht kommen. Die Herrin über Krieg und Frieden, über Tod und Leben, eine Protestantin aus der Uckermark, hat im Plauderton bereits durchblicken lassen, dass sie für Leute »Verständnis« hat, die sich nicht so recht für den Krieg erwärmen können (sagt aber, sie mache trotzdem weiter). Vielleicht lässt das manche Friedensfreunde glauben, der Krieg würde irgendwie von selbst zu Ende gehen, an Unlust, oder einschlafen, weil die Feriensaison beginnt. So lange, bis alle deutschen Soldaten »da unten« erschossen sind, würde er bestimmt nicht gehen.
    Er könnte schon nächste Woche zu Ende sein. Alle die Millionen mutigen Deutschen müssten sich nur per E-Mail, Facebook, twitter oder Festnetztelefon oder durch Zuruf übern Gartenzaun zum Generalstreik verabreden. Sagen wir für nächsten Montag um 8 Uhr morgens. Dazu wäre weder eine feurige Agitation des Berufsrevolutionärs Michael Sommer vom DGB von Nöten, noch müsste Gregor Gysi von der Linken mit einem Patronengurt überm Jackett herumlaufen. Man müsste nur alle Betriebe, Bahnhöfe, Flugplätze und großen Kreuzungen besetzen und ein paar Lkw auf den Autobahnen querstellen. Auch Kinder, Arbeitslose und Nichtstuer könnten mitmachen, die Patienten in den Pflegeheimen könnten die Nahrung und die Windel verweigern. Von Arbeitslosigkeit bedrohte Schauspieler und Orchestermusiker und der Chor der Parteiveteranen würden ausschwärmen und die Streikenden unterhalten; die noch zwischen Krieg und Frieden Schwankenden müssten Tee für sie kochen und Brötchen schmieren. Nach zwei, höchstens drei Tagen würde die oberste Heeresleiterin den großen Frieden verkünden und wir könnten nach Hause gehen.
    Natürlich wäre das illegal. Doch keiner würde erschossen. Und will man die Bevölkerung verhaften? Allerdings würde es noch Jahre dauern, bis es in Afghanistan eine ordentliche Parkraumbewirtschaftung und die Feinstaubplakette gibt – ein verdammt hoher Preis.

  99. Liebe Freunde,
    noch bin ich nicht gesund, aber freut Euch weiter über die neuen BLÄTTCHEN – wir haben das JAKU und den Kalhorns zu danken.
    Wolfgang Sabath
    (Falls Fehler: Bitte Entschuldigung!)

    • Webmaster sagt:

      Willkommen zurück, Kapitän!

  100. Ansgar Visby sagt:

    Den Papst vor den Kadi?

    Die katholische Kirche befindet sich derzeit in schweren Fahrwassern, vielleicht den schwersten seit der Reformation. Der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Angehörige des Klerus, der jahrzehntelang und offenbar unter tätiger Mitwirkung des Heiligen Stuhls inklusive des derzeitigen Papstes in früheren Funktionen in Deutschland und im Vatikan unter den klerikalen Teppich gekehrt wurde, – in der Debatte des Blättchens war kürzlich darauf Bezug genommen worden – ist allerdings schon in seinen bisher bekannt gewordenen Ausmaßen wirklich monströs. Und zugleich spricht nichts dafür, dass nur in Irland, Deutschland und den USA, von denen in diesem Zusammenhang bisher vornehmlich die Rede ist, derartige Delikte vorgekommen sind. Die öffentliche Kritik an diesen Verbrechen und am Skandal des Umgangs seitens hoher katholischer Würdenträger damit, kann auch von eingefleischten Fans des Pontifex Maximus kaum mehr als bloße atheistische Propaganda abgetan werden. Und nun noch dies: In London wird der juristische Versuch unternommen, Papst Benedikt II. während seines Besuches in Großbritannien im September festnehmen zu lassen.

    Am Sonntag, den 11. April, teilten der Biologe Richard Dawkins und der Journalist Christopher Hitchens in der „Sunday Times“ mit, sie hätten den Rechtsanwalt Geoffrey Robertson mit der Vorbereitung einer entsprechenden Eingabe an die englischen Strafverfolgungsbehörden beauftragt. Robertson selbst hatte am Karfreitag im „Guardian“ unter der Überschrift „Setzt den Papst auf die Anklagebank!“ einen Artikel publiziert.

    Ein verspäteter Karnevalsscherz? Nicht ernst zu nehmen? Immerhin war es Großbritannien, wo vor einigen Jahren der Ex-Diktator Pinochet wegen Verbrechen während seines Terrorregimes in Chile festgesetzt worden war. Und Robertson ist nicht irgendwer. Der 1946 in Australien geborene Robertson ist seit 1988 Queen’s Counsel und einer der bekanntesten Menschenrechtsanwälte der Welt. Als Berufungsrichter im Sondergerichtshof der Vereinten Nationen für Sierra Leone war er z. B. Verfasser eines Urteils zur Ungültigkeit von Amnestien bei Kriegsverbrechen. Robertson sieht allein schon in der Duldung des Kindesmissbrauchs ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß heute geltendem Völkerrecht, das nach dem Prinzip der universalen Jurisdiktion, der Zuständigkeit jedes Gerichts für schlimmste Verbrechen, auch von der britischen Justiz verfolgt werden könne. Der Präzedenzfall war die Causa Pinochet.

    Ein Blick in die Geschichte verheißt auch wenig Gutes, denn die Bekämpfung der weltlichen Macht der Päpste war seit Heinrich dem VIII. und Elisabeth I. über Jahrhunderte ein konstituierendes Element der englischen Staatsräson. Nachlesen kann man dies u.a. bei Geoffrey Robertson. Er hat – neben anderen – ein Buch über den Prozess gegen den englischen Monarchen Karl I. geschrieben. Seine Landeskinder richteten ihn als Tyrannen hin – und als Papisten. Anhänger Roms zu sein war seinerzeit allein schon ein todeswürdiges Verbrechen.

    Allerdings wird Benedikt II. beim Betreten britischen Bodens im September nicht wirklich etwas zu befürchten haben. Denn eingeladen hat ihn Her Majesty, Elisabeth II., zum offiziellen Staatsbesuch, und damit genießt der Papst diplomatische Immunität. „Honi soit qui mal y pense“, wie das Motto des altehrwürdigen britischen Hosenbandordens so schön heißt – „Ein Schelm, wer Arges dabei denkt“.

  101. Wolfgang Schwarz sagt:

    Rüstungsexporte

    Als ich den in der aktuellen Ausgabe des Blättchens enthaltenen Beitrag zur Entwicklung der bundesdeutschen Rüstungsexporte im Zeitraum von 2005 – 2009 verfasste, lag mir der jüngste Rüstungsexportbericht der Bundesregierung noch nicht vor.

    Der Bericht war lange überfällig, denn er bezieht sich auf das Jahr 2008. Kurz vor Ostern hat ihn das Bundeswirtschaftsministerium dann veröffentlicht – mitten in Parlamentsferien und ohne ausführliche Information für die Presse. So war für minimale Aufmerksamkeit gesorgt. Diese Choreographie mag mit der zentralen Ziffer des Berichtes zu tun haben: Im Jahre 2008 hat die Bundesregierung Genehmigungen für Kriegswaffenexporte im Umfang von 5,8 Mrd. Euro erteilt. Dieser Wert liegt um 2,12 Mrd. Euro oder 57,6 Prozent über dem des Vorjahres. Dabei ist ein breites Spektrum an in den Export gehenden Rüstungsgütern, die nach offizieller Lesart nicht unter dem Begriff Kriegswaffen firmieren, noch nicht einmal mit erfasst.

    Der aktuelle Bericht ist auf der Homepage des Bundeswirtschaftsministeriums einsehbar (pdf).

  102. Lieber Gerd Kaiser, danke dafür, daß Sie auf das Werkbuch zum “Gewöhnlichen Faschismus” aufmerksam gemacht haben.

    http://das-blaettchen.de/der-gewoehnliche-faschismus/

    Ihre Besprechung zu lesen und in der nächsten Buchhandlung eine Bestellung aufzugeben war eins. Das Buch zu lesen, die Bildfolgen zu betrachten – das verschafft Eindrücke von ungeheurer Intensität. Die Kommentare sind außerordentlich erhellend, und die Ausstattung des Buches ist vorbildlich. Nochmals: Danke!

    Wolfram Adolphi

  103. Danke, lieber Wolfram Adolphi, für die Klarstellung! So ist denn auch an dieser Stelle die Debatte über den Programmentwurf begonnen. Grüße zurück,
    Heerke Hummel

  104. Zu Heerke Hummel, “Was heißt hier ‘Verstaatlichung'”?
    http://das-blaettchen.de/was-heisst-hier-verstaatlichung/

    Kollege Hummel schreibt in seinem interessanten und dem Programmentwurf der LINKEN insgesamt deutlich zugetanen Beitrag, daß in diesem Programm “die fordernde Formulierung ‘Verstaatlichung’ (…) so unglücklich wie überflüssig” sei. Da die Debatte vom ersten Tag der Veröffentlichung des Programms um diesen Begriff der “Verstaatlichung” geht und auch viele Politikerinnen und Politiker der LINKEN selbst Front gegen ihn machen, möchte ich darauf hinweisen, daß – wie man, auch wenn man zum Studium des Textes gerade mal keine Zeit hat, bei einfacher Nutzung der Suchfunktion in der pdf-Datei (unter http://die-linke.de) rasch erkennen kann – der Begriff “Verstaatlichung” im Entwurf gar nicht vorkommt.

    Auf Seite 3 heißt es: DIE LINKE kämpft für eine andere, demokratische Wirtschaftsordnung, die die Marktsteuerung von Produktion und Verteilung der demokratischen, sozialen und ökologischen Rahmensetzung und Kontrolle unterordnet. Sie muss dazu auf öffentlichem und demokratisch kontrolliertem
    Eigentum in der Daseinsvorsorge, an der gesellschaftlichen Infrastruktur, in der Energiewirtschaft und im Finanzsektor sowie der demokratischen Vergesellschaftung weiterer strukturbestimmender Bereiche auf der Grundlage von staatlichem, kommunalem, genossenschaftlichem oder Belegschaftseigentum beruhen und den privatwirtschaftlichen Sektor strikter Wettbewerbskontrolle unterwerfen.

    Wenn ich das richtig verstehe, ist hier also von demokratischer Vergesellschaftung die Rede – und nicht von Verstaatlichung.

    Gut. Und was ist mit dem Begriff “verstaatlicht”? Er kommt genau einmal vor, und zwar auf Seite 15: Die privaten Banken sind für den Spekulationsrausch der vergangenen Jahre und die entstandenen Milliardenverluste wesentlich verantwortlich. Private Banken müssen deshalb verstaatlicht, demokratischer Kontrolle unterworfen und auf das Gemeinwohl verpflichtet werden.

    Ich soll demnächst für die Kreiszeitung der LINKEN in Potsdam einen kleinen Beitrag zum Programmentwurf schreiben. Meine Anfangszeile wird sein: Studieren, studieren, studieren. Und zwar das Original. Und zwar sorgfältig.

    Beste Grüße
    Wolfram Adolphi

  105. Holger Teschendorf sagt:

    Lieber Werner Richter – danke für diesen anregenden Text und beste Wünsche bei der Suche nach Lösungen – Sie würden sich im Erfolgsfall unsterblich machen.
    Natürlich muß – undzwar dringendst! – über Lösungen nachgedacht werden; und das nicht im Kleinen sondern grundsätzlich. Nur eben bin auch ich diesbezüglich eher pessimistisch. Nicht nur, weil ich den Aktivisten unter den Lösungssuchern einen Erfolg nicht zutraue, auch, weil ich – auch dabei – an Kierkegaards tiefe Weisheit denken muß, die da lautet: “Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.”
    Wenn es denn also auch pessimistische Optimisten geben sollte, ich wäre einer von ihnen.
    H.T.

  106. Wolfgang Schwarz sagt:

    Der falsche Papst

    „Wenn es irgendetwas gibt“, so stoßseufzte Matthias Heine kürzlich in der Zeitung „Die Welt“, „das konservative Protestanten insgeheim an der katholischen Kirche bewundern, dann ist es die Härte und Konsequenz, mit der diese Institution gegen ihre Feinde vorgeht. In der Laber- und Verständniskultur des evangelischen Alltags sehnt man sich manchmal nach einer Autorität, die dogmatisch auf den Tisch haut und sagt: ‚Du bist ein Ketzer, troll dich!’” Von dieser Unnachgiebigkeit der katholischen Kirche ist allerdings schon in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust-Leugner Bischof Richard Williamson nichts zu spüren gewesen, wie Heine konstatiert, um dann fortzufahren: „Noch fassungsloser macht einen die lässige Haltung, die der Papst und seine Getreuen derzeit gegenüber der pädophilen Mafia, die ihre Kirche infiltriert hat, an den Tag legen.“

    Vor diesem Hintergrund macht Matthias Heine keinen Hehl aus seiner Sorge, daß es vielleicht schon zu spät sein könnte, um „noch zu verhindern, daß die katholische Kirche zerbröselt und von der Bildfläche verschwindet wie ihr politischer Arm in Italien, die Democrazia Cristiana“. Nun wäre es allerdings mit Blick auf fast 2000 Jahre Geschichte der katholischen Amtskirche auch zu verstehen gewesen, wenn eine derartige Perspektive keinen Grund zur Sorge böte. Aber Matthias Heine sorgt sich nun einmal und plädiert – getreu dem Diktum, wonach außergewöhnliche Umstände außergewöhnliche Maßnahmen sowohl erfordern als auch rechtfertigen, – für eine radikale Rückbesinnung auf erzkatholische Traditionen durch Revitalisierung der Inquisition. Sie sei „der Organisation gewordene Wille, sich von Ketzern zu reinigen“ gewesen, und „ein wenig von dem Verfolgungseifer, den diese Institution an den Tag legte, könnte momentan wohl nicht schaden“. Da ist Heine hinwiederum zweifelsohne Recht zu geben. Und: „Die neue Inquisition sollte ruhig wieder so heißen, denn allein der schreckliche Klang dieses Namens hätte eine abschreckende Wirkung auf jeden möglichen Verbrecher im Kirchendienst.“

    Als Kenner der einschlägigen Geschichte weiß natürlich auch Matthias Heine, daß die frühere Inquisition immer nur dann quasi allmächtig war, wenn sie rückhaltlose Unterstützung durch den jeweiligen Papst erfuhr. Und an dieser Stelle kollidieren Heines Überlegungen leider mit der ernüchternden Realität: „Daß der derzeitige Papst dazu bereit wäre, darf bezweifelt werden. Denn Benedikt war ja 24 Jahre Vorsitzender der Glaubenskongregation, der Nachfolgerin der Inquisition. In diesem Amt hat er sich seinen gesamten Jagdehrgeiz für Linksabweichler aufgespart. Und als solche verstand er auch alle, die es wagten, die seit Jahrzehnten immer wieder entdeckten Missbrauchsfälle (in Irland und Deutschland wiederholt sich ja gerade nur das, was Österreich und die USA schon früher erlebten) öffentlich bekannt zu machen. Deshalb forderte er von allen Kirchenleuten, die Missbrauchsfälle untersuchten, in einem vertraulichen Rundbrief 2001 die guten alten mafiotischen Tugenden ‚Geheimhaltung’ und ‚Verschwiegenheit’ und drohte: ‚Verrat wird mit Exkommunikation bestraft.’“ Heines Resümee: „Deshalb sind alle Fantasien über eine neue Inquisition auch nur Hirngespinste von Machtlosen, solange der Papst der alte bleibt.“ Trotzdem muss man nicht alle Hoffnung fahren lassen – siehe Democrazia Cristiana.

  107. Vatis Sohn sagt:

    Die fast achtstündige(!) OP ist gut überstanden!

    Mehr noch. Er hat uns sogar schon mit dem für
    ihn typischen Humor beglückt.

    Gruß Steffen Sabath.

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Großes Aufatmen … Komm bloß bald wieder aus der Horizontalen! Keiner sei unersetzbar schwadronierte neulich ein Links-Politiker. Stimmt nicht.
      Beste Besserung!
      W. Brauer

  108. Vatis Sohn sagt:

    Mit zum kommunistischen Gruß erhobener Faust
    ist unser lieber Vater vor ca zwei Stunden in den
    OP geschoben worden.
    Nun heißt es fleißig Daumen drücken!

    Gruß Steffen Sabath.

  109. Werner Richter sagt:

    Un nu? oder tschto delatj?, wie ein bekannter Ausländer zu fragen pflegte

    Ehrfurchtsvoll bestaunen wir das Grollen des finanziellen Erdbebens u. mit Furcht, diese verdammte Ungewissheit. Eigentlich kennen wir das, was kommt, allein schon aus den Katastrophenberichten: Nachbeben sind so sicher bei diesen Naturerscheinungen als auch in der Krise. Allerdings gibt es da einen kleinen Unterschied: in der Krise wird es kein schwächer werdendes Nachgrummeln geben, sondern sie ist gleich Vorbote anschwellender Krisenstärke in kürzeren Abständen. Kann man in den einschlägigen Foren, wie z.B. der wiwo.de „Wie die Staatsschulden Ihr Geld bedrohen“, nachlesen. Das ist in der Natur wohl eher selten, es sei denn, Hollywood inszeniert. Nicht die üblichen Zeugen, die sich auch Ökonomen nennen, aber immer mehr Fachleute mit selbstlaufendem Gehirn, noch in der Minderheit u. exotisch gestellt, erkennen aus den Krisenzyklen die Dynamik u. vermuten tiefer sitzende Ursachen, als die uns von Politik, Ökonomie u. Medien servierten. Zumindest beginnen sie zu fragen: Wenn die Immobilienkrise der USA die Ursache der jetzigen Finanzkrise sei soll, woher kamen dann die anderen 100 Krisen zuvor? Sie sehen ganz einfach, daß die gleichen Leute, die die Krise mit ausgelöst hatten, diese jetzt bewältigen sollen u. auf gleiche Weise agieren, wie vorher. Die krisenbeschleunigenden Finanzaktivitäten werden noch intensiver betrieben, allein schon dadurch, daß dieses Geschäft z. B .in den USA von weniger Banken (Konzentration des Finanzkapitals), 100 sind raus gekegelt, also mit erhöhter Machtkonzentration, beherrscht wird. Unterschätze man diesen Effekt nicht, er ist von gewaltiger Wirkung! Immer mehr wird die Ursache der immer wiederkehrenden Krisen in der wachsenden Kluft zwischen den geschaffenen Wertvolumina u. der umlaufenden Geldmengen gesehen, in der Loslösung der Finanzprozesse von der Warenproduktion, letztendlich im Zinssystem. Diese Fragestellung war unter „Ökonomen“ vor wenigen Jahren unvorstellbar, nur in speakers corner geduldet, denn sie ist auch die Frage nach der kapitalistischen Produktionsweise. Nun ist es relativ unwichtig, ob die Gesellschaft die Ursachen benennt, die Prozesse laufen auch unabhängig davon u. politische Revolutionen, die meist paramilitärische Formen annahmen u. in einer Art „Kriegskommunismus“ endeten, als Problemlösung erwiesen sich immer als Schüsse in Öfen. Wir erleben, wie ich bei Heerke Hummel gelernt habe, eine Wandlung der Produktionsverhältnisse, die vielleicht schon jetzt nicht mehr mit dem klassischen Begriff „Kapitalismus“ erfaßt werden, in mittelfristiger Zukunft aber garantiert nicht. Seine Frage, wo denn die Dominanz privaten Kapitals (in der Warenproduktion) zu finden sei, kein Unternehmen hat einen Eigenkapitalanteil über 15%, der Rest ist gesellschaftliches Kapital in verschiedenster Ausprägung, ist ein präziser Fingerzeig auf die stille Wandlung der ökonomischen Produktionsverhältnisse weg vom klassischen Kapitalismus, die aber durch politische Strategien vorbereitet u. begleitet werden muß, soll das Neue nicht chaotisch mit grausameren Folgen als wir uns vorstellen können durchbrechen. Hobsbauwm z.B. befürchtet „viel Blut“, wenn das nicht gelingt. Da sind der Staat u. die Staatengemeinschaft gefordert, ihre Rolle ist beträchtlich gewachsen. Ihnen obliegt historische Verantwortung für die Aufstellung u. Durchsetzung von Regeln für den Finanzsektor, die diesen in die gesellschaftliche Verantwortung zwingt. Hier hat Sarah Wagenknecht recht: Finanzsysteme können nicht machen was sie wollen, schon gar nicht, nachdem sie so wie jetzt sich sehr fragwürdig den Besitz gesellschaftlicher Werte anmaßen, diese in ihre Buchgeldkreisläufe bringen, damit Buchgewinne erzielen u. diese wiederum in realen Werten beanspruchen. Das verweist auf die Sonderrolle der Banken in der Gesellschaft u. ihre gesellschaftliche Verantwortung, zumal die Risiken von der Gesellschaft getragen werden müssen. Ich bezweifle allerdings Wagenknechts Credo, dieses Problem mit einer Verstaatlichung der Banken lösen zu können. Hier verläßt die Gute ihr ansonsten scharfer Verstand, sie muß sich wohl so brachial in die Parteilinie einpassen, ohne weitere Fragen zu stellen. Jaja, aus Parteidisziplin verleugnet man schon mal die eigene Intelligenz, nur um drin zu bleiben, wie gehabt! Es muß was geschehen, das steht außer Frage, aber nicht mit dem Vorschlaghammer. Verteidiger der „Bankenfreiheit“ wie Hans-Olaf Henkel können immer genüßlich darauf verweisen, daß 70% der faulen US-Kredite durch staatliche (!) Banken ins deutsche Finanzsystem geholt worden waren, hauptsächlich nicht durch private, u. sie haben recht. Wir können hier das desaströse Wirken der Staaten nicht unberücksichtigt lassen, denke man nur an die gesetzliche „Liberalisierung“ der Finanzmärkte: Zulassung der Hedgefonds auf dem deutschen Markt, Aufhebung der bis dahin strengen Kriterien für die Sicherheit der Schuldverschreibungen usw. Kein Geringerer als Günter Reimann hat schon 1993 in seinem „Die Ohnmacht der Mächtigen“ den üblen u. wachsenden Einfluß des Staates als größter Konsument auf die Deformierungen des Finanzsektors hingewiesen.
    Die kritischen Fachleute, die ich in richtiger Position sehe, konstatieren an dieser Stelle äußerst beunruhigt ein glattes Versagen der politischen Kräfte. Entgegen lauter Ankündigung, die Banken u. Börsen an die Leine legen zu wollen, resümieren sie perplex, daß die günstige Gelegenheit direkt nach dem Crash verpaßt u. im Grunde nichts, aber auch gar nichts von dem dringend Notwendigen, geschehen ist. Es wurden national u. international keine Grenzen, die Exzesse auf dem Börsenmarkt einengen, gezogen. Allerdings ist da die Frage berechtigt, ob Politiker überhaupt die Macht dazu hätten, Obamas, der des Öfteren Schritte in diese Richtung ankündigte, Ohnmacht spricht Bände. Seinem jüngst angedrohten Kampf gegen Banken u. Börse werden von Insidern bestenfalls Realisierungschancen von 20% eingeräumt. Er müßte schon einige Überraschungen im Ärmel haben. Dirk Müller u. Frank Lehmann jedenfalls stellen eine Beschleunigung u. Verstärkung der Wahnsinnsspirale fest, diesmal nur von weniger Spielern betrieben, also noch gefährlicher. Die Machtverhältnisse sprechen für sich.
    Jetzt stellt sich naturgemäß die Frage nach den Ursache dieses existentiellen Widerspruches: relativ richtige Erkenntnis u. Nichthandeln. Es gibt eine recht einfache Erklärung: die gesellschaftlichen politischen Strukturen sind völlig ungeeignet für sachgerechte (nicht nur) Finanzpolitik. Es ist „von oben“ nichts zu erwarten. Die Entwicklung der politischen Klasse u. der politischen Strukturen, u. hier verweise ich nochmals auf alte Analysen wie die von Wolfgang Herles 1994, hat eine schiefe Richtung genommen, notwendige u. mögliche Reformen in den 90-er Jahren wurden bewußt vermieden.
    Vielleicht hätte der Verfassungsentwurf von Wolfgang Uhlmann selig andere Möglichkeiten geschaffen, wer weiß. Es gab die Chance einer neuen Gesellschaft nach den Kalten-Kriegs-Konstrukten, die mehr die wahren Machtverhältnisse verschleiern als tatsächliche Mitbestimmung einrichten sollten, u. der Einrichtung einer Bürgerbeteiligung u. -verantwortung. Jedenfalls hätte es nicht schlechter laufen können, das steht fest. Aber schon damals setzten sich wiederum erfolgreich die restaurativen Kräfte durch u. nichts geschah diesbezüglich. Stattdessen wurden die halbwegs demokratischen Rechte des Grundgesetzes systematisch ausgehöhlt, bis nur noch deren Karikaturen übrig blieben. Asylrecht ist die Setzzeichen seines Druckes nicht mehr wert, man schaue nur mal in unsere kleinen Guantánamos, Abu Graibs oder Bagrams an den Flughäfen, umfassende Kontrolle aller Bürger (hallo Stasi!) ist auf scheinbar unaufhaltsamem Vormarsch, „Arbeitnehmer“(oder besser: Arbeit(skraft)geber-?)-Rechte wurden mit aktiver Hilfe der Gewerkschaften zugunsten der Gegenseite kapitalgerecht gestutzt, die Kontrolle von Staatsunternehmen, wozu auch Bahn, Post, Telekom zu zählen sind, die nur von Staatsgeldern leben u. die Rolle von Marktunternehmen nur spielen, wird immer bescheidener, die direkte Einflußnahme großer Unternehmen u. Konzerne auf Politikentwürfe u. –gestaltung wird immer unverschämter, die wechselseitige Bedienung zwischen Politik u. Wirtschaft läuft immer dreister, die Bestechung von Parteien u. Politikern ist legalisiert worden, die politische Klasse hat sich den allgemeinen Rechtsgrundsätzen durch eigene Gesetzgebung ansatzweise entzogen u. damit Ansätze eines neofeudalen Status geschaffen. Gleiches läuft im internationalen Wirtschaftssystem mit der klammheimlichen Installation der M.A.I.-Kriterien, in Europa durch die EU-Kommission, die nur dafür da ist, lanciert. Offensichtlicher Wahlbetrug, gegenwärtig am traurigen Schicksal des 400-Punkte-Einsparungsprogramms der FDP nachweisbar, ist nicht strafrechtsfähig. Man kann zu ihr stehen, wie man will, ein besseres Resümee, als das von Bärbel Bohley: Wir wollten Gerechtigkeit u. bekamen den Rechtsstaat!, oft wütend attackiert, soviel Offenheit geht nicht, konnte man bisher nicht finden. Man kann seine Ziege boshaft „Bärbel“ taufen, im Gegensatz zu manch anderem „Bürgerrechtler“ stand sie immer zu ihrer Meinung u. ließ sich nicht kaufen, Namen sind Legende.
    Das Wahlsystem ist schon derart verbogen, daß es keine Rolle spielt, wer gewählt wird. Die Parteien streiten nur noch um den Platz an der Machtkrippe. Die Bereitschaft fast aller Politiker, über ihre treuhänderische Tätigkeit öffentlich Rechenschaft zu geben, in old Germany noch nie besonders hoch, aber z.B. in England eine Selbstverständlichkeit, ist auf null gesunken. Fragen von Journalisten, immer wieder zu bestaunen, werden als Unverschämtheiten abgekanzelt u. diese sind aus Existenzgründen fast gezwungen hofberichterstattend Zurückhaltung zu üben. Grundgesetzwidrig okkupierten die Parteien Parlamente, Medien u. Regierung. Unter diesen Umständen kann die Tätigkeit von Politikern nur auf Machterhalt bzw. –vermehrung ausgerichtet sein, Sachverstand u. Orientierung an sachbezogenen Problemlösungen fänden logischerweise dabei keinen Platz, wären nur hinderlich. Um dies zu verschleiern hält sich die Regierung eine Anzahl von Personen u. Institute, die eigentlich zur Lösungsfindung erkoren waren, nunmehr aber als Hofastrologen den Anschein der fachlichen Begründung der Politikerwillen abzugeben haben u. dies auch in der Regel tun. Nur manchmal wird dies offensichtlich, wie jüngst am Kesseltreiben gegen Sawicki vom Bundesamt für Arzneimittelsicherheit zu beobachten, der sich dieser Rolle verweigert u. seinen Auftrag ernst zu nehmen sich erlaubte. Oder die jüngst glossenhaft von einem „Plusminus“-Team durchgeführte Fahndung nach Experten, die die These der Regierung, eine Steuersenkung würde selbsttragenden Aufschwung bringen, stützen, u. mit Null-Ergebnis endete. Selbst Sinn hielt sich raus, er stützt nur Steuersenkungen allgemein u. immer. Miegel, wohl von Skrupel gepackt, schwenkte zumindest temporär völlig um. Das bedeutet, die jetzige Regierungspolitik ist allein den Auffassungen der sich am Zuge befindlichen Politiker geschuldet, die ja gar keinen Sachverstand haben dürfen, wollen sie sich halten. Daher rührt auch das peinliche Geschwafel von der Beseitigung der Krise, wie erst wieder im Bundestag als Ziel proklamiert zu bestaunen war. Im Sinn hat man zur Krebsbekämpfung bestenfalls einige kosmetische Korrekturen.
    Mit einem Satz: Das politische System ist völlig paralysiert.
    Wo, bitte schön, soll da ein Ansatzpunkt gegeben sein, daß durch Auswahl von verfügbaren Politikern u. Parteien, auch DIE LINKE arbeitet an ihrer „Politikfähigkeit“ wie einst die Grünen, die auf diese Art zum Joschka-Fischer-Fan-Club pervertierten u. heute von schaurige Gestalten beherrscht werden, u. fällt damit leider aus, eine langfristige u. fundierte Strategie gefunden werden kann? Ich bin da absoluter Pessimist u. das wird leider bestätigt werden. Es muß das Fundament der Politik neu gerichtet werden, soll die notwendige Richtung der Politik gefunden werden. Das allerdings kann nur von unten erzwungen werden u. es stellt sich die Frage, welche Kräfte sind in der Gesellschaft für diesen Umschwung, denn ein solcher steht an, fähig, dies zu initiieren. Es gibt eine bunte Vielzahl von Organisationen u. Gruppen, auch in den Parteien, die Veränderungen wollen, jedoch verschiedene Ausgangspunkte u. Wege gewählt haben u. somit relativ isoliert wirken. Die Buntheit u. Vielfalt sind ideale zeitgemäße Voraussetzungen zum koordinierten Handeln, ganz im Gegenteil zu konservativen Vorstellungen.
    Aber das ist eine weitere Frage, über die ich weiter nachdenken werde. Ich melde mich dann, wenn ich zu Lösungen gekommen bin.

  110. Gerd Kaiser sagt:

    Im Nachgang und zur Ergänzung des XXL-Textes von Feliks Tych: “Europäische Komplizenschaft beim deutschen Staatsverbrechen” mache ich auf einen Bericht aufmerksam, der in der Zeitschrift “Polen und wir” (H.1-2/20010, S.14) erschienen ist. Zum Thema “Krieg, Besatzung, Völkermord – Polen nach dem deutschen Überfall 1939-1945” traf sich der Historiker nach der Gedenkstunde im Deutschen Bundestag´mit etwa 80 Jugendlichen, vorwiegend aus Deutschland, aber auch aus Frankreich, Russland, Österreich und den USA, die gerade aus Polen kamen. Dort hatten sie sich dem schwierigen Erbe der deutsch-polnischen Geschichte gestellt, das Vernichtungslager Treblinka, Archive und Museen besucht und mit Zeitzeugen gesprochen.
    “Vergesst nicht, was gewesen ist – und betrachtete es als Warnung”, sagte Feliks Tych den Jugendlichen. Eine der Teilnehmerinnen an der Gesprächsrunde wollte von ihm wissen, was für ihn heute Treblinka sei – ein Denkmal? “Für mich ist es vor allem ein Friedhof”, antwortete der Wissenschaftler. Eine andere Jugendliche wollte von ihm wissen, was Tych von der heutigen Generation erwarte: “Was wünschen Sie sich konkret von uns?” In seiner Antwort forderte er die Anwesenden auf: “Betrachtet (das Geschehene) als Warnung”. Antisemitismus. auch dem isamischen Antisemitismus, müsse mit Wachsamkeit begegnet, keineswegs dürfe er geduldet werden. “Zu diesem zivilisatorischen Code müssen sich die Menschen bekennen.”

  111. Die Redaktion sagt:

    Halina Wawzyniak, MdB, per Blog zum unten behandelten Thema:
    —————————————————————————————————-

    Schwieriges Thema verlangt umfassende Information
    30.März 2010

    … und keine schnellen Antworten.

    Nachdem schon eine andere Tages”zeitung” einen Brief Israelischer Linker veröffentlicht hat, hat nun auch das Neue Deutschland die Debatte aufgegriffen. Einigen schien dies nicht Verbreitung genug zu sein (oder sie meinen es wird keine Zeitung gelesen) und schickten den Brief gleich noch einmal per Mail. Selbstsverständlich geht es in der Debatte um Nahost und die Bezugnahme auf den Brief nicht um innerparteiliche Auseinandersetzungen.

    Die Debatte ist sicherlich notwendig und sie wird geführt. Der Brief jedoch scheint mir aber auf Grund ziemlich einseitiger Informationen zu Stande gekommen zu sein. Ich will das an drei Beispielen belegen:

    Da wird davon gesprochen, dass führende Mitglieder an einer Demonstration teilgenommen haben, in der die Weiterbombardierung des Gaza-Streifens gefordert wurde. Ist bekannt, was dort gesagt wurde? Nein? Dann verweise ich einmal auf diese Stellungnahme und auf diesen Brief.

    Es wird weiterhin davon gesprochen, dass es einen Arbeitskreis in der Partei DIE LINKE gibt (BAK Shalom), der jedes Vorgehen des Staates Israel unterstütze. Es gibt einen BAK Shalom im parteinahen Jugendverband “Linksjugend [`solid]” und ob dieser “jedes Vorgehen des Staates Isreal” unterstützt, mag jede und jeder selbst nachlesen und beurteilen, am besten im Original.

    Dann wird behauptet, dass die führenden Parteimitglieder zur Isrealischen Besatzungspolitik schweigen. Ich verstehe den Beschluss des Geschäftsführenden Parteivorstandes vom 25. Mai 2009 nicht als Schweigen, sondern unterstütze ihn nach wie vor.

    Ich würde gern mit der Isrealischen Linken genau über die im Beschluss genannten Punkte debattieren. Mir ist nämlich nicht bekannt, dass die israelische Besatzungspolitik in der LINKEN als “Lehre aus der deutschen Geschichte” gerechtfertigt wird.

    Die israelische Linke (oder der Teil der den Brief geschrieben hat) macht Vorschläge. Diese Vorschläge sind aber nicht neu, sie tauchen zum Teil im genannten Beschluss des Geschäftsführenden Parteivorstandes auf (Waffenexportverbot, Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Strukturen) zum Teil gibt es Differenzen. Mir scheint der Beschluss des Geschäftsführenden Parteivorstandes geht deutlich weiter, als die Forderungen derjenigen, die einen Brief geschrieben haben.

    Mir persönlich würde es ganz gut gefallen, wenn jemand der/die die Absender/innen kennt Ihnen den Beschluss des Geschäftsführenden Parteivorstandes zur Kenntnis bringt und anhand der dort vorgeschlagenen Punkte debattiert werden könnte.

  112. Die Redaktion sagt:

    In einem Offenen Brief an die LINKE haben über 100 linke Israelis ihre Erwartungen an eine solidarische Politik der deutschen Linkspartei deutlich gemacht und Kritik an Teilen der Partei geäußert, die die israelische Politik im Nahen Osten unterstützen. Zu den Unterzeichnern gehören Universitätsgelehrte und Publizisten ebenso wie Aktivisten der politischen Linken und Künstler. Im folgenden Auszüge aus dem Brief, den das ND am 30. März veröffentlicht hat.

    Widerspruch gegen linkes Lavieren

    Wir haben uns zu diesem Brief entschlossen, nachdem uns wiederholt Berichte über Aktivitäten Eurer Partei bezüglich der Situation in Israel/Palästina bekannt wurden, so die Teilnahme von führenden Mitgliedern Euer Partei an einer Demonstration im Januar 2009 in Berlin, auf der die Weiterbombardierung des Gaza-Streifens
    gefordert wurde; das Bestehen und die Akzeptanz eines Bundesarbeitskreis in Eurer Partei (BAK Shalom), der jedes militärische Vorgehen des Staates Israel unterstützt und militaristische und nationalistische Propaganda betreibt; schließlich das Schweigen der Mehrheit der führenden Parteimitglieder zur israelischen Besatzungspolitik. All das hat uns bewogen, unsererseits nicht länger zu schweigen, sondern zu intervenieren.
    Das Andenken an den Holocaust und der auch heute in Deutschland gebotene Kampf gegen Antisemitismus gehören zu den wichtigsten Aufgaben jeglicher emanzipatorischen Bewegung. Nicht trotz, sondern gerade aufgrund dieser Tatsache fällt es uns schwer nachzuvollziehen, wie man die israelische Besatzungspolitik in Deutschland als Teil der »Lehren aus der deutschen Geschichte« rechtfertigen kann.
    Die intensiven diplomatischen und militärischen Aktivitäten der Bundesrepublik in der Region und die aktive Unterstützung der israelischen Besatzungspolitik reichen uns, um in der BRD einen der Akteure zu sehen, die für die durch die israelische Regierung begangenen Verstöße gegen das Völkerrecht und für die israelischen Kriegsverbrechen mit verantwortlich sind. Aus diesem Grund denken wir, dass es unser Recht ist, von Euch als AktivistInnen für soziale Veränderung in Deutschland und als Mitglieder in einer Partei, die im Parlament und in regionalen Regierungen vertreten ist, Verantwortung für das Vorgehen Eures Staates in Bezug auf unser Land zu übernehmen.
    Die andauernde Besatzung und Entrechtung sind keine innerisraelischen Angelegenheiten. Die antidemokratische Herrschaft des Staates Israel über mehr als drei Millionen PalästinenserInnen, die kein Wahlrecht haben, und die Kriegsverbrechen, die in den besetzten Gebieten stattfinden, sind die Angelegenheit von allen, denen die Menschenrechte ein Anliegen sind. Vor allem aber tragen die BürgerInnen von Europa wegen ihrer – auch in der Gegenwart weiterhin stattfindenden kolonialistischen Interventionen im Nahen Osten eine besondere Verantwortung für den Konflikt. Angesichts dessen ist eine Scheu davor, Israel zur Verantwortung zu ziehen, unangebracht. Die ökonomische, militärische und politische Unterstützung, die Israel von der EU und besonderes von Deutschland erfährt z. B. in Form von Waffenlieferungen und von Investitionen oder, indem Israel ein bevorzugter Status im Handelsabkommen mit der EU eingeräumt wird, fördern einen Friedensprozess nicht, sondern tragen zur Aufrechterhaltung der Besatzung und zur umfassenden Repression gegenüber der palästinensischen Bevölkerung bei. Außerdem verstärkt diese Unterstützung Militarisierungsprozesse und die Erziehung zu Rassismus und Intoleranz in unserer Gesellschaft.
    Darüber hinaus bedürfte es angesichts der Schwäche der PalästinenserInnen eines stärkeren Drucks auf Israel seitens der Internationalen Gemeinschaft. Die stärkere Seite wird ohne wirksamen Druck ihre Positionen niemals aufgeben. Der Staat Israel hat immer wieder bewiesen, dass er nicht zu einem Friedensabkommen und zur Beendigung der Besatzung bereit ist, ohne dass im Ausland intensiv Druck (…) ausgeübt würde.
    Wir sind ermutigt durch Eure letzten Wahlerfolge und hoffen, dass Euer Erstarken dafür sorgt, in Sachen soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Feminismus und Antirassismus in Deutschland eine neue Agenda auf die Tagesordnung zu bringen. Wir sind überzeugt, dass eine linke und solidarische Politik auch eine internationalistische Agenda haben muss, und wir erwarten, dass sich Eure Partei auch in diesem Bereich am weltweiten Dialog mit linken, antirassistischen und feministischen Kräften aktiv betätigt. Als Teil eines solchen Dialogs möchten wir unsere Positionen zur Politik Eurer Partei in Bezug auf den Konflikt in Israel/Palästina darstellen.
    Wir sind der Auffassung, dass der Staat Israel für die Besatzung, die rassistische Separation und die Kriegsverbrechen nicht belohnt und darin bestärkt werden sollte. Nur eine internationale Politik, die Israel klarmacht, dass Verstöße gegen das Internationale Recht nicht zu akzeptieren sind, kann einen gerechten Frieden für alle BewohnerInnen des Landes bringen. Einige konkrete Forderungen, die Eure Partei stellen könnte, sind z.B:
    – die Einstellung aller deutschen Waffenexporte nach Israel.
    – die Verhinderung der Aufwertung der Handelsabkommen zwischen der EU und Israel. Deutschland und andere Mitgliedsstaaten der EU versuchen, diese Handelsabkommen mit Israel weiter aufzuwerten, obwohl solche Abkommen die Respektierung elementarer Menschenrechte im Partnerland fordern.
    – ein allgemeines Importverbot für israelische Produkte in die EU, die ganz oder teilweise in den besetzten Gebieten (inklusive Ostjerusalem) produziert werden.
    – die Förderung von Gerichtsverfahren gegen die Täter bei Kriegsverbrechen in Israel/Palästina und die Umsetzung der Empfehlungen des Goldstone-Berichts.
    – die Unterstützung von Organisationen und AktivistInnen der Zivilgesellschaft in Israel/Palästina und vor allem des gewaltfreien und basisdemokratischen Widerstands gegen die Mauer und die Siedlungen in den besetzten Gebieten.
    Abgesehen von diesen Vorschlägen hoffen wir, dass Eure Partei sich erfolgreich darum bemühen wird, in Deutschland eine Debatte über die Bedeutung der deutschen Verantwortung für das Geschehen im Nahen Osten zu initiieren. Es sollte eine Debatte sein, die aus einer historischen und aktuellen Sicht, die alle BewohnerInnen der Region gleichermaßen berücksichtigt, eine Politik des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte fördert. Wir würden uns freuen, zusammen mit unseren palästinensischen GenossInnen und Partnern an den Debatten in Eurer Partei über das Geschehen in unserer Region teilzunehmen und hoffen, dass dieser Brief zu einem fruchtbaren und gleichberechtigen Dialog zwischen der Linken in Deutschland und der Linken in Israel/Palästina beiträgt.

  113. Helga Jürgensen sagt:

    Unter der schönen deutschen Parole “Equal pay day” haben am Freitag zahlreiche Frauen aus guten (bzw. schlechten) Gründen gegen die diskriminierende Minderentlohnung gegenüber Männern protestiert. Es wäre interessant zu wissen, ob auch Angela Merkel 23 Prozent weniger Knete bekommt als dereinst Gerhard Schröder. Wahrscheinlich nicht, denn sonst hätte man sie ja mit einem selbstgemalten Plakat am Brandenburger Tor gesehen.

  114. Detlef Kannapin sagt:

    Hochgeschätzte “Blättchen”-Redaktion,
    ich bin höchst erfreut darüber, dass “Das Blättchen” den Text von Rapoport nachgedruckt hat. Mein eigener Kommentar dazu findet sich inzwischen auf der “Peter-Hacks-Seite” (20.3.2010).
    Zur Ausgabe 5/2010 selbst: Mich wundert, dass in ihr ein Text erschienen ist, der sich mit der filmedition suhrkamp beschäftigt. Nicht der Fakt als solcher verwundert, sondern die Art der Behandlung. Mal abgesehen davon, dass ich vor Jahresfrist den Kluge-Film, m.E. zu Recht, in der Printausgabe verrissen habe, wird er jetzt wieder als Innovation und sogar “Vollendung” von Eisensteins Wunschverfilmung angepriesen. Der Autor sitzt der schlechten und schlichten Suggestion Kluges komplett auf, wenn er das 10-stündige und zum Teil bis zu 20 Jahre alte Kompilationsmaterial als bahnbrechend beschreibt.
    Bei “Kuhle Wampe” desselbigengleichen. Seit wann wollten Brecht, Eisler und Dudow das Schicksal der Arbeiterfamilie “einfühlsam” gestalten?
    Der Text ist so schwach, dass ich dazu “ca.-Text” sagen würde, so wie die Preisangaben am Ende ca.-Angaben sind, obwohl die DVD’s schon lange käuflich zu haben sind.
    Über Krinks “Boxhagener Platz-Kritik” ließe sich trefflich streiten, aber man kann das so sehen.
    Beste Grüße, Detlef Kannapin

  115. Bernd Pastor sagt:

    Auf einer Rangliste des gesellschaftlichen Ekels stünde moralische Heuchelein ziemlich weit oben. Ein aktuelles Beispiel dafür hat gestern der Historiker Götz Aly in der Berliner Zeitung so kommentiert:

    Gesine Lötzsch in Sippenhaft

    Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch soll demnächst zur Vorsitzenden der Partei Die Linke gewählt werden. Deshalb hat Die Welt ihr Leben mit Hilfe der Birthler-Behörde ausgeleuchtet. Soweit, so gut. Parlamentarier müssen sich Recherchen nach ihrer Vergangenheit gefallen lassen. Doch fanden die Reporter keinerlei “Hinweise oder gar Belege dafür”, dass Frau Lötzsch “selbst” in Stasidienste “verstrickt war”. Folglich nahmen sie sich deren wesentlich älteren, in keiner öffentlichen Funktion tätigen Ehemann vor. Sie fanden eine Verpflichtungserklärung von 1962 und 457 Blatt Stasipapier. Daraus bastelten sie in der Welt vom 16. März die Überschrift “Stasi-Problem für künftige Linkspartei-Chefin Lötzsch – Umfangreiche Akte über Ehemann entdeckt”.

    Wer so argumentiert, verfolgt das Prinzip der Sippenhaft. Wer so arbeitet, betreibt Ekeljournalismus. An diesem Punkt steht nicht die Ehre der Abgeordneten Lötzsch zur Debatte, sondern die Ehrlosigkeit der Journalisten und der Chefredakteure des Blattes Die Welt. Die anderen Zeitungen und – fast – alle Abgeordneten des Bundestags sahen das ebenso. Sie übergingen den Bericht aus dem Springerhochhaus mit Kurzmeldungen und Schweigen.

    Der Sprachwissenschaftler Ronald Lötzsch war als junger Mann in die SED eingetreten und konnte als Arbeiterkind studieren. 1957 wurde er wegen “konspirativer partei- und staatsfeindlicher Tätigkeit” verhaftet und zu drei Jahren Haft in Bautzen verurteilt. Ende 1960 kam er frei. Er blieb Kommunist aus Überzeugung. Er arbeitete seit 1962 und längstens bis 1982 mit der Stasi zusammen. Warum? Ob er erpresst wurde? Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass es im 20. Jahrhundert Zehntausende solcher gebrochenen, oft tragischen kommunistischen Lebensläufe gegeben hat.

    Ronald Lötzsch berichtete angeblich “über die Trinkgewohnheiten” eines Kollegen, “skrupellos”, wie Die Welt hinzufügt. Der heutige Chefredakteur derselben Zeitung, Thomas Schmid, arbeitete in seiner poststudentischen Jugend zwar nicht für die Stasi, forderte aber 1975 die “Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft”, die Einleitung eines gewaltsamen “revolutionären Prozesses”, der “zersetzend, zerstörend, negativ” zu sein habe. Über Tote ging er in seinen Texten leicht-füßig hinweg. Schmid hat sich von seinem weltanschaulich vernagelten Treiben längst abgewandt. Warum billigt er späte Einsicht nicht auch Ronald Lötzsch zu, der seinen Lebensweg unter deutlich härterem staatlichem Druck gehen musste und 1956/57 ein Maß an Mut aufbrachte, das den luxurierenden Westlinken niemals abverlangt wurde?

    Zu Schmids Verhalten passt, dass als einziger Bundestagsabgeordneter Wolfgang Wieland (Die Grünen) von der Kollegin Lötzsch eine “umfassende Erklärung” zu ihrem Ehemann verlangte. Wieland gehörte in den 1970er-Jahren zum maoistischen Kommunistischen Studentenverband in Westberlin. Dort feierte man damals die kambodschanische Revolution, sprich: Pol Pot, auf Trotzkisten ging man mit Eisenstangen los. In seinem Lebenslauf für das Bundestagshandbuch unterschlägt Wieland diese Zeit. Gesine Lötzsch berichtet dagegen, dass sie 1984, mit 23 Jahren, Mitglied der SED wurde. So eine Abgeordnete ist mir lieber als ein selbstgerechter Verfechter der Sippenhaft.

    ***

    Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Höchstens ein Zitat von Sören Kierkegaard, das da lautet:

    “Gott im Himmel weiß: Blutdurst ist meiner Seele fremd, und eine Vorstellung von einer Verantwortung vor Gott glaube ich auch in furchtbarem Grade zu haben: aber dennoch, dennoch wollte ich im Namen Gottes die Verantwortung auf mich nehmen, Feuer zu kommandieren, wenn ich mich nur zuvor mit der ängstlichsten, gewissenhaftesten Sorgfalt vergewissert hätte, dass sich vor den Gewehrläufen kein einziger anderer Mensch, ja auch kein einziges anderes lebendes Wesen befände als – Journalisten.”

  116. Gerd Kaiser sagt:

    An Daniel Rapoports sachkundige Überlegungen zum Verhältnis von Juden und der DDR anknüpfend, möchte ich auf die Lebenserfahrungen von Gabriel Berger (Berlin) hinweisen. Vollständig sind sie in der “Jüdischen Zeitung” (www.jzeit.de) Nr.49, März 2010 nachzulesen.

    Hier auszugsweise nur soviel:

    “Bei aller politischen Distanz, die ich in den letzten Jahren meines Lebens in der DDR zu ihrem diktatorischen Einparteiensystem hatte und heute nach wie vor habe, den Vorwurf des Antisemitismus kann ich diesem Staat nicht machen. Weil ich 1944 in Frankreich in einer jüdischen Familie im Versteck geboren wurde, war ich ganz im Gegenteil selbst Ziel der Fürsorge und der materiellen Hilfe seitens der DDR für die Überlebenden des Holocaust (der allerdings damals noch nicht so hieß). Ich möchte hier kurz die Vorteile aufzählen, die ich in der DDR als Jude und deshalb anerkannter Verfolgter des Naziregimes (VdN) gegenüber der sonstigen Bevölkerung hatte: Stipendium bereits als Oberschüler, später Zusatzstipendium während des Studiums; Teilrente in Höhe von 280 Mark, zusätzlich zum Gehalt, seit dem 26. Lebensjahr; die feste Perspektive einer Zusatzrente in Höhe von 1400 Mark ab dem 60. Lebensjahr; regelmäßige medizinische und psychologische Sonderbetreuung durch VdN-Ärzte; die nicht von mir aber von meinem Vater genutzte Möglichkeit von Urlaubsreisen und Kuren in VdN-Heimen und VdN-Sanatorien; Sonderkontingent für Wohnungen und deshalb keine Wartezeit auf eine Wohnung (…)

  117. Ilse sagt:

    Sehr geehrter Herr Rapoport, ich danke Ihnen herzlich für diese umfassende Aufklärung. Es wäre schön, wenn sie noch in vielen anderen Publikationen verbreitet werden könnte.
    Mit freundlichen Grüßen
    Roswitha Clüver

  118. Wolfgang Sabath sagt:

    Liebe Leserinnen und Leser,
    die sich schon heutige am späten Sonntagabend an unserem neuen “Blättchen” erfreuten, werden natürlich auch gemerkt haben, daß wir nicht das richtige Titeldatum (nämlich den15. März) auf das Titelbild aufschrieben hatten, sondern – peinlich, peinlich – dort versehentlich 15. Februar dort vermerkten. Es wird natürlich noch geändert werden.
    Die Redaktion

  119. Wolfgang Brauer sagt:

    Betr. Antwort an den Maserati-Freund von der Treberhilfe Berlin in der Ausgabe 5/2010: Nun stelle man sich doch einfach mal vor, der Herr E. wäre da jüngst im Mecklenburgischen nicht in die Radarfalle getappt, pardon, gerast … Die Geschichte hatte ja auch noch ein “retardierendes Moment”. Die Kollegen von der verkehrsregulierenden Behörde verlangten vom Fahrzeughalter, wie immer wenn ein Temposünder auf stur schaltet, die Führung eines Fahrtenbuches. Der Herr E. hat auch das verweigert. Erst dadurch kam die Sache ins Rollen und der Berliner Senat wurde hellhörig, daß da etwas mit seinen Steuergeldern schief läuft und der berühmte “Paritätische” wurde aufmerksam, daß da die öffentliche Wohlfahrt zwar gepflegt, aber doch besonders die einer privaten Tasche. Man stelle sich einfach mal vor, dieser gesamte Sektor des “Sozialmarktes” würde einer soliden Prüfung unterzogen werden … Das provozierte allerdings zwei Fragen: a) Wer hat in diesem Lande die erforderliche Unabhängigkeit von den diversen Netzwerken jeglicher Couleur, um hier tatsächlich unbeeinflußt zu Werke gehen zu können? Die Frage dürfte rein rhetorischer Natur sein. b) Ist es nicht an der Zeit die Voraussetzungen abzuschaffen, die überhaupt zur behaupteten Notwendigkeit dieses sogenannten “Trägermarktes” im sozialen Bereich führten? Auch auf diese Frage dürfte es kaum eine Antwort geben. Die zu stellen, getraut sich momentan nämlich kaum jemand. Auch die LINKE nicht. Die ist augenblicklich mit der ersten Phase der Zellteilung beschäftigt. Sie doppelt ihr Spitzen.

    • Ilse sagt:

      Das Finanzamt ist verpflichtet zu überprüfen, ob die Kriterien für die Gemeinnützigkeit eingehalten werden. Dazu gehört auch, dass Vergütungen und Betriebsausgaben angemessen sind. Man müßte das Finanzamt verklagen wegen Begünstigung zur Steuerhinterziehung.
      Aber da werden ja lieber die durch Verbrecher geschädigten Kleinanleger noch mit Steuerbescheiden und Strafverfahren auf die verlorenen Spareinlagen verspottet. Unter Rechtsstaat verstehe ich was anderes.
      Mit freundlichen Grüßen

  120. Vill Freed sagt:

    Wie haben wir uns Ende 2009 gefreut, als die Redaktion erklärte, “Das Blättchen” lebt im Online-Format weiter! Die Form der Online-Ausgabe ist lobenswert – ohne Schnick-Schnack, sachlich, ehrlich und vielstimmig in Meinung und Schreibstil! So muss es sein – wie die Weltbühne zu Ossietzkys Zeiten! Soweit – so gut!

    Meine persönliche Hoffnung an das weitere Erscheinen ist ein reger Gedankenaustausch im Netz zu den Artikeln und die darin vertretenen Argumente. Denn das hilft mir weiter, mit der gesellschaftlichen Gegenwart klar zu kommen. Wer ist nicht wütend, wenn tagtäglich – m.E. ganz gezielt – manipuliert, verurteilt, verfälscht und Menschen persönlich wegen ihrer Auffassungen ausgegrenzt werden. Das “Schlag”-Wort Populismus gelte ja nur für die Linken. Ständig wird dies wiederholt in allen Medien. Dass, nicht nur von Herrn Westerwelle, ständig Losungen herausgegeben werden, was der deutsche Michel unter Sozialismus zu verstehen hat, fällt schon gar nicht mehr als Populismus auf. Aber es wird offensichtlich verinnerlicht – kaum jemand wehrt sich, so mein Empfinden.

    Was wird den Menschen nicht alles “verklingelt”:
    • Sexuelle Verbrechen gegenüber Kindern in katholischen Internaten (hat denn niemand Diderots “Die Nonne” gelesen?), werden als “Missbrauch” verharmlost;
    • Schulessen wird/soll mit voller Mehrwertsteuer belegt werden und Hoteliers bekommen ihre Suiten steuerlich ermäßigt (die Würde des Menschen sollte unantastbar sein);
    • in der sogenannten Terrorismusbekämpfung werden Personenlisten für gezielte Tötungen erstellt, als wenn es um Inventuren in einem Supermarkt geht (Soldaten sind also doch Mörder!); …
    Die Liste kann leider unschwer fortgeführt werden.

    Warum tauschen wir Leser des Blättchens uns nicht gedanklich aus? Das Forum lässt es zu. Mein Vorschlag geht dahin, dass wir Leser nicht nur eine Meinung in schnelle Tastengriffe schreiben, sondern der Leser selbst argumentativ ein gesellschaftliches Thema aufgreift was ihn bewegt und hier an das Forum sendet. Es wäre für mich schön zu erleben, wenn sich unabhängige Journalisten, Wissenschaftler, Künstler und ganz normale kreative Menschen sich beteiligten. So könnte wirklich eine qualitative Plattform entstehen, die anerkannt wird, Einfluss gewinnt und die hilft, gesellschaftliche Probleme “zu beleuchten”. Die Blogs in vielen Zeitungen sind m.E. zum Teil betonte, emotionale Reaktionen auf eine Meldung, die meist in Rede und Gegenrede übergeht, aber eben nicht argumentativ ist. Manchmal ist es wichtiger einen einzigen Satz zu begründen, als viele Stichworte zu liefern. Weniger ist manches Mal eben mehr.
    Was könnte weiter daraus werden? Vielleicht ein Almanach der Jahresthemen? Oder ein Diskussionswochenende von Leser mit dem Blättchen? Ein nur virtueller Austausch bleibt auch ein “theoretisch Ding” für den Einzelnen, würde ich sagen.

    Das sollen meine ersten Sätze sein, die ich zur Diskussion zum Beleben des Forums in “Das Blättchen” stellen möchte. Ich würde mich sehr freuen, Bedürfnisse zu wecken.

    • Webmaster sagt:

      Lieber Vill Freed,

      danke für Ihre Anregungen. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, nicht die einzelnen Artikel kommentierbar zu machen, sondern das Gespräch mit und unter den Lesern auf die Debatte zu beschränken. Jede Beschränkung hat Vor- und Nachteile. Wenn es Vorschläge gibt, wie dieses Gespräch technisch erleichtert werden kann, lassen Sie es uns wissen. Wir stehen noch ganz am Anfang, glaube ich.

  121. Kay sagt:

    Vorschlag zum Thema von Hajo Jasper: Wenn schon nicht die Namen, so sollte doch die Parteizugehörigkeit und/oder das Wahlverhalten jener Steuerbetrüger genannt werden, die nun, da sie ohnehin aufzufliegen drohen, sich selbst anzeigen, um gnädig unterm Regen wegzukommen.
    Wetten, daß es lauter gelb-schwarze Leistungsträger sind?
    Zu Zeiten der Französischen Revolution hätte es in solchen Fällen wohl geheißen “A la lanterne!” – wie Wolf Biermann das Ausbleiben dieser Forderung nach der Wende bedauert hat. So rachsüchtig sind wir geläuterten Bürger des 21. Jahrhunderts freilich nicht mehr – aber Spießruten sollten jene, die Marktwirtschaft und Demokratie so auf den Hund gebracht haben, allemal laufen müssen.
    Kay

  122. Horst Jakob sagt:

    Das Kind im Brunnen

    Ein Kind ist in den Brunnen gefallen. Fünf, die das bemerken, bauen sich am Rand der Zisterne auf und schauen gebannt in die Tiefe. Daß das Kind gerade am Ertrinken ist, so ihre übereinstimmende Auffassung, hat Ursachen, über die jetzt und ein für alle mal – und zwar Tacheles (!) – geredet und entschieden werden müsse. Das verlange nach einer Analyse der ursächlichen Umstände für das Desaster, dem Abwägen von Alternativen und nach einer gesetzes- und verfassungskonformen Beschlußfassung.

    Da die Berechtigung dieser Überlegungen absolut plausibel und daher unstrittig, ist die Leidenschaft, mit der die Analyse nun vorgenommen wird, beträchtlich. Schließlich geht es um ein Menschenleben; um viele mehr sogar noch, würde sich nichts an den Rahmenbedingungen ändern! Wer also – wird scharf die Frage gestellt – trägt die Schuld daran, daß der Brunnen nicht so eingezäunt war, wie es zur Verhinderung dieses Dramas hätte sein müssen? Wer ist zur Verantwortung zu ziehen: lokal, kommunal, gesamtstaatlich, global? Wie hätten Elternhaus, Schule, und vor allem die Kinder selbst, aufgeklärt werden müssen über die Gefahren, die im Leben auf sie lauern? Wie wäre eine auf nachhaltige Sicherheit bedachte Lösung vorzubereiten, beschlussfähig zu machen und durch eine konsequente Umsetzung zu realisieren gewesen, auf daß Unglücke wie dieses sich nie mehr wiederholen könnten?

    Die Debatte über all das am Brunnenrand ist leidenschaftlich, und man gerät in Anbetracht der dramatischen Lage mehr und mehr zu einem parteiübergreifenden Konsens. Zum Glück sind Feder und Papier zur Hand; der nach weniger als zwei Stunden gefasste Gemeinwille wird festgehalten, redigiert und in seiner endgültigen Form von allen Unfallzeugen ratifiziert.

    „Und wenn wir das Kind erstmal retten?“ fragt plötzlich ein Hinzugetretener. Die derweil zur Arbeitsgemeinschaft „Gegen ungeschützte Brunnen“ konstituierten Fünf lassen ihn tolerant gewähren. Erst nachdem das Kind glücklich geborgen und in letzter Minute sogar hatte wiederbelebt werden können, sagen sie ihm auf den Kopf zu, wie verächtlich sie seinen konzeptionslosen Aktionismus finden.

    P.S. diese Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten zum Beispiel mit der derzeitigen Debatte über Schnee-, Eis- und Müllberäumung in der deutschen Hauptstadt (Werbeformel: be berlin!) sind rein zufällig.

  123. Die Redaktion sagt:

    Parteitags-Lobbyismus aus Insider-Sicht
    von H. Klein am 26. Februar 2010

    Mal abseits von zweifelhaften Angeboten für Gespräche mit Rüttgers – Was läuft eigentlich sonst in den Vorhallen der Parteitage? Um uns ein genaueres Bild zu machen, haben wir mit Leuten gesprochen, die in der letzter Zeit mit (eher kleineren) Ständen auf verschiedenen Parteitagen vertreten waren. Sie haben uns ihre Eindrücke geschildert:

    Der “60. ordentliche Bundesparteitag der FDP” fand im Mai 2009 in der Halle 2 der Messe in Hannover statt. Und der Ort war bezeichnend für den Charakter der Veranstaltung, so wird uns berichtet: eher CeBIT als demokratische Willensbildung. Das eigentliche Parteitagsprogramm, Versammlungen, Debatten und Abstimmungen der Delegierten, über die im Fernsehen berichtet wird, stellte nur einen kleinen Teil dar. Rundherum herrschte Messe-Atmosphäre.

    Werbe- und Lobbymeile an Monopoly-Straßen

    Über 60 Unternehmen und Verbände waren mit Werbeständen und Lobby-Personal vor Ort. Sie reihten sich an Gängen auf, die so klingen als hätten die Organisatoren zu lange Monopoly gespielt: E.on, die Agentur für Erneuerbare Energien, Audi, TÜV, UPS und das Deutsche Atomforum wurden an der “Großen Freiheit” angesiedelt; der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft GDV, RWE, der Verband der Privaten Krankenversicherungen PKV, Bertelsmann an der “Mehr Netto Allee”, Bayer AG, Bahn, Vattenfall, EnBW, der Rüstungskonzern EADS, der Pharmalobby-Verband Vfa, Vodafone waren am “Liberalen Wirtschaftsweg” zu finden.

    Der Stand des größten Platzhirschen Audi (”Wechselweg” Ecke “Große Freiheit”) umfasste mehr Quadratmeter als die Stände der FDP-Abgeordneten (MdBs) und der FDP-Fraktion zusammen.
    An den Ständen gab es passende Werbegeschenke und kleine Snacks – Fruchtsaft bei den Krankenkassen, Äpfel bei den Apotheken… Die längste Schlange für den besten kostenlosen Kaffee bildete sich vor dem Stand von n-TV, die eigens einen “Barista”, einen zertifizierten Kaffeespezialisten, engagiert hatten. Derweil kamen die Raucher bei Philipp Morris am Ende des “Bürgerrechtssteigs” auf ihre Kosten: die Stehtische neben dem Stand des Tabak-Konzerns waren der einzige Ort in der Halle, an dem Rauchen erlaubt war. Die Zigaretten gab es gleich als Werbegeschenke dazu. Über die großzügige Finanzierung von Parteien durch Philipp Morris und ihre Präsenz auf Parteitagen und in Parteizeitungen brachte im August letzten Jahres Report Mainz einen sehr aufschlussreichen Bericht, der die hier geschilderten Beobachtungen bestätigt.

    Die Preise für die Stände bei der FDP betrugen laut uns vorliegendem Angebotsblatt 220 Euro pro Quadratmeter. Nimmt man die auf dem Lageplan eingezeichneten Standgrößen (siehe Bild oben; der Maßstab ist mit 1:5000 offenbar falsch angegeben; richtig müsste 1:500 sein, denn sonst wäre die Halle über 750 m lang und der Stand von AUDI 125 x 85 m), dann brachten die großen Stände durchaus ähnliche Summen zwischen 10.000 und 20.000 Euro ein, wie sie jetzt über die NRW-CDU bekannt wurden. Und auf den Foto-Rundgang der Parteiführung konnten sich zumindest die Großaussteller auch verlassen – ob dabei Absprachen im Spiel waren, ist uns nicht bekannt.

    Brüder zur Sonne zur Freiheit?

    Auch der Bundesparteitag der SPD im November 2009 in Dresden fand in den dortigen Messehallen statt. Über 70 Aussteller präsentierten sich in den Hallen 2 und 4 – von A bis Z waren Unternehmen und Verbände dabei: Audi, Bayer, BDI, Deutsche Bahn, Deutsche Post, E.on, N-tv, Philipp Morris (diesmal ohne Raucher-Tische), RWE, Vattenfall, Vodafone, Zentralverband Eletrotechnik (ZWEI), uvm. Daneben wirkten die Naturfreunde Deutschland wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Immerhin war auch der Parteibasis mit Jugendorganisation und Ortsgruppen recht viel Platz eingeräumt.

    Ein Rundgang der Parteichefs zwischen den Ständen war auch hier selbstverständlich, und die Fototermine galten vornehmlich den großen Ausstellern. Auch hier ist unbekannt, ob es dazu Absprachen gab – offiziell konnte man unter “weitere Serviceleistungen” lediglich Schnittblumen oder eine Grünpflanze für seinen Stand bei dem mit der Organisation beauftragten Messe-Dienstleister DesignBerlin ordern.

    Dafür ist aber das Infoheft zum Parteitag, das mit der Tagungsmappe verteilt wurde, mit Werbeanzeigen gepflastert: 26 von 107 Seiten sind mit Anzeigen gefüllt.

    Vom Bundesparteitag der SPD 2007 in Hamburg wird uns berichtet, dass es eine nur für Journalisten, Delegierte und deren Gäste zugängliche Presse-Lounge gab, die den Namen eines Ausstellers trug, der dort auch kostenloses Mittagessen auftischte.

    Standmieten als verdecke Parteienfinanzierung ins Visier nehmen

    Nun glauben wir nicht, dass sich ein Delegierter mit einem einfachen Mittagessen oder einem geschenkten Apfel kaufen lässt. Dennoch zeigen die Erfahrungsberichte, dass vor allem Großunternehmen und Wirtschaftsverbände Parteitage als Lobbyveranstaltungen begreifen, zu denen es gilt, Präsenz zu zeigen und mit kleinen (Äpfel) und größeren (z.T. hohe Standgebühren, Anzeigen) Geschenken an die Parteien die Freundschaft zu erhalten.

    Und den Parteien scheint das nur recht zu sein, können sie so doch einen Teil der Kosten für die immer aufwendigeren und damit teureren Parteitage wieder reinholen. Die taz spricht von Ausgaben für die jährlichen Partei-Versammlungen im siebenstelligen Bereich.

    Die Sponsoren wiederum können ihre Kosten als Betriebsausgaben von der Steuer absetzen – anders als Parteispenden, die nicht absetzbar sind. Ein weiterer Vorteil des Sponsoring: Sie werden nicht – wie bei Parteispenden ab 10.000 Euro vorgeschrieben – namentlich im Rechenschaftsbericht der Parteien genannt. Ihre Wohltaten werden so zwar den Parteien bekannt, nicht aber der Öffentlichkeit. Die hat aber ein berechtigtes Interesse zu wissen, wer welche Parteien mit welchen Summen beglückt.

    Auch eine Einschränkung oder ein komplettes Verbot von Parteien-Sponsoring – zumindest bei demokratischen Grundpfeilern wie Parteitagen – wäre denkbar. Dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, haben die letzten Tage allzu deutlich gezeigt.

    Quelle: http://www.lobbycontrol.de/blog/index.php/2010/02/parteitags-lobbyismus-aus-insider-sicht/

  124. Und Westerwelle hat doch Recht –
    Politprostitution und -dekadenz

    Was ist Prostitution? Menschenhandel, seine Haut zu Markte tragen, das ist Prostitution, seinen Körper verkaufen müssen. Im Allgemeinen sind es Frauen, oft Männer, die das tun, oft gezwungen, oft auch Kinder, und häufig gibt es mehrere Zwischenhändler, die an ihr verdienen, die Zuhälter, und über Dinge wie Kinderprostitution, wollen wir hier gar nicht reden. Sondern von Politik und Wirtschaft.
    Es ist die tägliche Politprostitution, die (alt?)-römisch anmutende Politdekadenz, Westerwelle hat Recht, nur drei Finger zeigen zurück auf ihn, seine Partei, deren Klientel, das gesamte Politsystem, die Wirtschaft, den Staat, wie er einerseits als ein Zuhälter, andererseits als Nutte fungiert.
    Menschenhandel an sich sollte verboten sein, und anderes ist es nicht, und es gehören immer zwei dazu, einen, der sich anbietet, einen, der die, nennen wir sie nett „Dienstleistung“ kauft, das fängt damit an, daß das Baby vom Kindchenschema lebt und hört in der Wirtschaft nicht auf.
    Ganz schlimm aber wird es, wenn Politik sich prostituiert, käuflich wird. Wenn Politiker ein Wahlversprechen geben und dafür gewählt werden, gehört es ebenso dazu, wie, wenn dafür Geld genommen wird, es ist immer ein Geben und Nehmen, und nur selten sind anschließend beide Partner zufrieden. Wird dafür im politischen aber Geld angenommen, in der Wirtschaft, so nennt man das Bestechung und es ist doch nur und nichts anderes Prostitution, von der Prostitutionselite politisch korrekt bezeichnet, anders, wie ihr genehm, formuliert.
    Politprostitution, politische Verhandlungen, Koalitionsverhandlungen, Ausschüsse unter Ausschluß der Öffentlichkeit, bis spät in die Nacht, nichts als das, was die Edelnutte nicht auch tun würde, bevor sie sich verkauft…
    Parteienfinanzierung, wie sie heute üblich ist, nichts als Prostitution und schiere Zuhälterei, Punktum, ob den Akteuren das nun passt, oder nicht, wer in die Politik geht, prostituiert sich in irgendeiner Form, bewusst oder unbewusst. Basta. Der eine bezahlt in Naturalien, in Reisen oder mit anderen Annehmlichkeiten, mit seiner Stimme, der andere stimmt zu, erfüllt unbewußte oder bewußte Erwartungen, meist bewußt, gesteuert, Forderungen, Leistung und Gegenleistung.
    Jede Partei ist irgendein mehr oder weniger leichtes Mädchen, gut, eher eine Edelnutte, denn billig ist es nicht, bis Forderungen irgendwann in Form und Gesetz gegossen werden, von gut bezahlten Anwälten, und weil niemand alle Berufe erlernt haben kann, undurchsichtig, wenn es an Einzelinteressen geht, wie das zum Beispiel im Gesundheitswesen, bei der Waffenindustrie ect. üblich ist.
    Zur Prostituierten wird nun der Zuhälter zwischengeschaltet, der Lobbyist, der, der die Nutte für die Wirtschaft darstellt und sich und den Körper des Unternehmens bei der Politik zu verkaufen hat. Ein sich prostituierender Doppelagent quasi, der von beiden Seiten an die jeweilig andere berichtet, je nachdem, wer gerade besser zahlt…
    Aber ein einziger Zuhälter reicht nicht, ein zweiter wird fällig, der Anwalt des Lobbyisten, der, der ihm die fertigen Gesetzestexte liefert, was kein Politiker je könnte. Die Politnutte nimmt es dankbar an, ansonsten wäre sie nicht in der Lage, ihr Tagesgeschäft, von dem sie ja lebt, zu erfüllen, und bei großen Forderungen ist mit dem parlamentarisch verabschiedeten Gesetzestext der Aufsichtsratsposten für die älter werdende Prostituierte, die nun auch unattraktiver wird (weil nicht gewählt, aber stimmberechtigt), verbunden.
    Derweil braucht die zahlende Zuhälter-Klientel etwas, um sich vor der Staatsfinanzierung zu drücken, Gesetze zu ihren Gunsten mit vielen undichten Stellen oder ganzen Schlaglöchern, Steuergesetze, die niemand durchschaut, steuerberatende Zuhälter, Banken, die sich nach oben und unten prostituieren, die, die an beiden Seiten verdienen.
    Geld reicht aber oft nicht aus, schließlich sind Wahlkämpfe teuer, jeder im System will gewählt, wieder gewählt werden. Parteienkapitalwachstum wie im Dschungel. Wird eine Partei zu gierig, ein Politiker, dann gibt es die Aufstockung, dann verkauft man seine PolitikerInnen für Einzelgespräche, wie im Falle Rüttgers geschehen.
    Wer das System von Gebern und Nehmern einmal genauer analysiert, der stellt fest, Westerwelle hat hat doch Recht, wenn er von altrömischer Dekadenz spricht. Jeder Mensch braucht Vorbilder, und Vorbilder sind es nicht, die diesen Staat regieren, ihn präsentieren. Jeder kehre vor seiner eigenen Haustür, speziell die FDP, die sich prostituiert, wann immer sie kann, und die zum Brutus wird, wann immer möglich.
    Jawohl, Deutschland versinkt im Chaos altrömischer Dekadenz, und das fängt bei der Macht des Kapitals der Reichen an und endet nicht bei Rüttgers und in den Parteien. Das beginnt bei der Gesetzgebung, die Diebstahl schärfer bestraft als Mord und endet nicht beim Steuergesetz. Wer diese Dekadenz abschaffen will und es ehrlich meint, der hält nicht unflätige Reden gegen schwächere, der arbeitet für sein Geld, und setzt sich genau für diese ein, verteidigt sie, das wäre sozial. Der schafft schlagartig alle Steuerlöcher ab und einen einheitlichen Steuersatz für alles an. Wer das nicht will, der ist eine verlogene Prostituierte, die dem nächsten besserzahlenden Freier den Allerwertesten zur Begutachtung ins Gesicht schiebt, nur weil er seinen eigenen Vorteil sucht und eigene Privilegien verbessern oder erhalten will!
    Und ja, Wechselwähler sind auch Nutten, aber diese haben wenigstens keine solchen Zuhälter sondern wenigstens noch etwas Hoffnung auf Besserung, während Nichtwähler oft die Hoffnung bereits verloren haben und das Beste aus dem Großpuff Deutschland und seinen diversen Zuhältern und Nutten zu machen wissen.
    Und die Hartz4-Empfänger? Das sind die, die ganz unten gelandet sind, die Kinder vom Bahnhof Zoo, die niemand mehr will, die Ausgestoßenen, das sind die, die ihre Körper nun auf dem Straßenpuff an jeden zu jedem Preis verkaufen müssen, weil sie endlich von den Zuhältern durch Wohlstandsdrogen so abhängig gemacht wurden, daß sie jeden Lidl-, Aldi- und haste nicht gesehen Schwanz mit Minimalentlohnung lutschen müssen –
    jeden Job ertragen müssen, den dieser angebliche Sozialstaat ihnen noch läßt, nur, damit sie nicht ganz auf dem Abfallhaufen der reichen Politklientel landen, die derweil mit dem Maserati in der Suppenküche nach dem rechten schaut.
    Und unter diesen unwürdigen Bettlern sind auch immer öfter die eigenen Großeltern, die noch leben, die wenigen alten Menschen, die ihnen ihre Reichtümer und ihren Wohlstand vererbten, die, die es ihnen ermöglichten zu protzen ohne zu klotzen, ohne zu erarbeiten zu schwelgen, dieses Wohlstandsniveau, auf dem sie hocken, welches sie ihren eigenen Eltern, Kindern und Enkeln nicht gönnen wollen, wenn diese es ihnen nachtun, und ebenso wie all die Westerwelles nur abzukassieren gelernt haben.
    Prostitution bis zum Erbrechen verfeinert, denn ohne sie wäre das heutige Politgeschäft unmöglich. Wer ehrlich ist gibt das zu und krempelt endlich die eigenen Ärmel hoch, schraubt eigene Vorteile und die der Klientel herunter, passt an Realitäten an, wirft über Bord und baut ein System, das den Namen verdient, allerdings ist da unvereinbar mit Amt und Würden und kostet. Und bezahlen, das wissen wir, wollen solche wie Westerwelle und Konsorten nie. Dumm geboren und nichts dazu gelernt, außer, einem, nämlich dem, wie man sich prostituiert und das System dahinter gleich mit.
    Na dann Prost, unten Wasser, oben Champagner, dann wird die Wirtschaft schon wachsen und die römische Dekadenz der Mächtigen in alle Ewigkeit blühen, und es ist nichts anderes, was solche dunklen Gesellen, wie jene an der Macht wirklich wollen, denn sonst würden sie ein Stück von ihrer Macht loslassen und Bürgerbegehren, Volksentscheide ect. viel öfter genehmigen und nicht dauerhaft der wahren Demokratie Steine in den Weg legen, und sie würden auch viel öfter ihre Ämter niederlegen.
    Aber so ist das, den Anstand zur Einsicht, für das Volk und zu seinem und nicht ausschließlich zum eigenen Wohl zu handeln, der geht bei Machtinteressen zuerst flöten, wie Westerwelles verbale Ausscheidungen und Rüttgers Haut-Verkäufer in seiner Partei beweisen.
    In der Wirtschaft und beim Kapital hört er sowieso komplett auf, der Anstand, das sieht man, wenn ein Fahrer ein Autorennen einer sterbenden Mutter vorzieht oder wenn Madame im Pelz um Volksgeld wimmert, damit sie den Pudelpool heizen kann, oder, wenn bei der Obdachlosenhilfe der Chef im Maserati vorfährt, wenn ein Politiker auf die einprügelt, denen er sein Einkommen verdankt. Wenn Arbeitsplätze ob schierer Gier ins “Kinderarbeitende” Ausland verlegt werden und wenn der Mindestlohn von 1 Euro noch vom Steuerzahler finanziert werden muss.
    Und nun darf Westerwelle gerne beantworten ob ein Geldwinkel oder ein Hartzmüller dem Sozialstaat mehr schadet.
    Der Steuerhinterzieher jedenfalls geht bei Selbstanzeige straffrei aus, und feiert das beim Luxusurlaub auf der eigenen Jacht mit Politfreunden während der Hartzer leidet, über Generationen, weil man seinen Kindern die gleiche Bildung verwehrt, in Sippenhaft und auf Niedrigstniveau ausgebeutet und beschimpft und ohne Lobby.
    ©denise-a. langner-urso
    http://menschenzeitung.de/?p=3096

  125. Martin Franke sagt:

    Zu “Fit für die Volksgemeinschaft” von Wolfgang Brauer

    Na, hab ich mir gedacht, so’n Titel? Da will mir doch einer den schönen ollen Film vermiesen!?
    Und macht er auch. Nach Strich und Faden.
    Aber recht hat er…
    Ich habe nur die alte, zwar schon restaurierte, aber noch nicht ergänzte, Fassung gesehen, und das schon vor einigen Jahren; die Erinnerung ist also nicht ganz frisch. Die Geschichte, die der Film erzählt, ist einfach nur blöd, das stimmt. Die Bilder fand ich mächtig gewaltig. Doch, im großen ganzen schon…
    “Die Ästhetik von det Janze lappt schon bißken int Braune”, fand mein damaliger Mitkucker. Und er hatte nicht den Sepia-Ton der Aufnahmen gemeint.
    Wir haben das dann, bei der anschließenden Nachbesprechung in einer Kneipe, zügig verdrängt, und uns mehr auf “für die damalige Zeit echt scharf” und “was hätten die noch alles machen können, wenn nicht der Anstreicher gekommen wäre” geeinigt.
    Wolfgang Brauer hat das sehr schön seziert und herauspräpariert, was uns eher vom Gefühl her gestört hatte.
    Aber einmal gesehen haben sollte man ihn schon, obwohl… Also, wenn ich es recht bedenke, dann war der Film für seine Zeit, was Matrix und Avatar für heute sind. Und die muß man ja auch nicht gesehen haben, findet
    Martin Franke

  126. Noch eine kurze Erwiderung auf den Kommentar von Uwe Stelbrink vom 20. Februar 2010 um 19:01 Uhr (Thema: Attac und Gesellschaftstheorie):

    Lieber Uwe Stelbrink, danke für die interessanten Ergänzungen. Wir liegen mit unseren Auffassungen m.E. gar nicht weit auseinander. Eines muss ich jedoch klar stellen: Ich möchte keineswegs jedwede Gesellschaftstheorie durch eine Auflistung von “Veränderungsnotwendigkeiten” ersetzen. Dennoch müssen die zunächst formuliert sein, um die Ziele zu fixieren. Dann bedarf es einer Theorie, die lebbare und ökonomisch tragfähige gesellschaftliche Strukturen aufzeigt. Diese zu entwickeln obliegt der kommenden Generation. Klar ist, dass die gegenwärtige, globalisierte und stark fragmentierte Welt dafür wenig Handlungsspielräume eröffnet. Das Seiende überrollt die progressiven Denker geradezu. Wie es gelingen könnte, die Globalisierung vor allem in ihrer ökonomischen Komponente zurückzudrehen, um zur regionalen Produktion und Dienstleistung zurückzufinden, weiß ich derzeit auch nicht. das geht nur über massive internationale Interventionen – die es wiederum nur dann geben wird, wenn die Not größer wird (leider). Darüber, dass es auf Dauer unmöglich ist, unsere Produkte und Dienstleistungen mit denen zu vergleichen, die bei gleicher Qualität in Niedriglohnländern erzeugt werden und welche Auswirkungen Billigimporte auf die mittelständische Industrie in westlichen Industrieländern generieren, habe ich in meinem Buch ausführlich diskutiert. Wir müssen das heutige zerstörerische Wachstum und den Exportwahnsinn der großen Kapitalgesellschaften zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung ausbremsen. Das gelingt nur über neue Gesellschaftsentwürfe, gepaart mit außerparlamentarischen Massenbewegungen.

    Zweifellos kann man auch an bestimmten Verhaltensweisen bei Bürgerbewegungen Kritik üben. Niemand ist ohne Fehler. Doch man sollte die positiven Wirkungen – vor allem die Impulse auf die Politik voranstellen. Ich wünsche mir eine enge Zusammenarbeit auch mit den Theoretikern. Sie haben einige von ihnen benannt. Und ich setze große Hoffnungen auf das von der Linken in Berlin initiierte, parteiübergreifende “Thinktank”-Denkfabrik (“Crossover-Institut” u.a.), dessen Gründungsaufruf 170 auf Veränderung bedachte Leute unterzeichnet haben.

    Zur Person von Sven Giegold kann ich nur soviel sagen. Der Mann hat viel für Attac getan. Ihn jetzt als “bequemen” Grünen abzustempeln, halte ich für ungerecht. immerhin macht er bei der Denkfabrik mit und wird dort auch seinen Beitrag leisten. Die Attac-Arbeit ist schwer, weil sie zumeist nebenberuflich abläuft. Giegold hat bei attac längst einen Nachfolger gefunden, der seine Arbeit weiterführt. Lastenverteilung und Ablösung müssen immer zulässig bleiben – denn die Freude an der Sache darf nicht zerstört werden.

    Schöne Grüße!
    Dr. Ulrich Scharfenorth
    http://www.stoerfall-zukunft.de

  127. Der Staat und seine Kirchen

    von Ingolf Bossenz

    Die Berliner Urania war kürzlich Ort einer bemerkenswerten Veranstaltung. Umriss doch der Titel »Die Privilegien der Kirchen und das Grundgesetz« ein Thema, das in den Mainstream-Medien bestenfalls eine marginale Rolle spielt: die Verfilzung von Staat und Kirche in Deutschland. Dass die – so der Untertitel – »4. Berliner Gespräche über das Verhältnis von Staat, Religion und Weltanschauung« von der veröffentlichten Meinung weitgehend unbeachtet blieben, ist daher nicht verwunderlich. War Kirchenkritik seit der europäischen Aufklärung über Jahrhunderte selbstverständlicher Bestandteil der intellektuellen Debatte, gilt sie mittlerweile als anrüchig, bestenfalls als altmodisch und verstaubt. Wohl noch bemerkenswerter ist der Umstand, dass die von der Humanistischen Union initiierte Tagung gemeinsam mit der »Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit« ausgerichtet worden war. Steht doch die Naumann-Stiftung bekanntlich der FDP nahe. Und es war ein Bundesparteitag der FDP, der 1974 das viel beachtete Thesenpapier »Freie Kirche im freien Staat« verabschiedet hatte. Mit Blick vor allem auf die Stellung der beiden Großkirchen enthielt es Forderungen wie die Ablösung des Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Ersetzung der Kirchensteuer durch ein kircheneigenes Beitragssystem, die Aufhebung der Kirchenverträge und Konkordate sowie der Staatsleistungen und finanziellen Sondervorteile. Nachdem das FDP-Papier seinerzeit von Kirchen und Konservativen massiv diffamiert worden war, verschwand es in der Schublade.

    Seit Kurzem haben die Freidemokraten wieder teil an der Regierungsmacht. Und im schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht der apodiktische Satz: »Den Christlichen (Großschreibung im Original – I. B.) Kirchen kommt eine unverzichtbare Rolle bei der Vermittlung der unserem Gemeinwesen zugrunde liegenden Werte zu.«
    Eröffnet wurde die Veranstaltung von Irmgard Schwaetzer, ehemalige Bundesministerin, Mitglied des Vorstandes der Naumann-Stiftung und – Vorsitzende des Domkirchenkollegiums des Berliner Doms. Wohl vor allem aufgrund letzterer Funktion kam Schwaetzer nicht umhin, zu fragen, ob es denn »tatsächlich Privilegien« seien, »was die Kirchen in unserem Staat haben«. Oder ob dies nicht die »selbstverständliche Konsequenz der fördernden Neutralität des Staates« sei – »unverzichtbar für den ethischen Grundkonsens unserer Gesellschaft«.

    Der zweite FDP-Protagonist, dem auch die Formulierung des Schlusswortes oblag, war der Bundestagsabgeordnete Pascal Kober, Theologe und Pfarrer, Vizesprecher der Gruppe »Christen in der FDP-Bundestagsfraktion«. Er verzichtete gleich auf die Frageform und sah definitiv »keine Privilegien« der Kirchen. Dafür unterstellte er den Kritikern der seit Dezennien ausgeteilten staatlichen Kirchengaben schlichten Neid. So habe er, Kober, den Eindruck, dass die Humanistische Union – Mitausrichter der Tagung – den Kirchen »bestimmte Dinge nicht gönnt«.

    Solcherart von liberalem Zeitgeist durchweht, bewegte sich die Debatte zwischen Apologetik und Polemik, zwischen rechtfertigenden und kritisierenden Polen, die Juristen, Publizisten und Theologen setzten. Es ging für und wider die staatliche Einziehung der Kirchensteuer, für und wider die zum Teil jahrhundertealten Staatsleistungen, für und wider das Netz der Staatskirchenverträge.

    Der Jurist Johann-Albrecht Haupt von der Humanistischen Union kam auf immerhin 38 Kirchenprivilegien, als deren bedeutsamste er neun hervorhob: Körperschaft des öffentlichen Rechts, Besteuerungsrecht, Religionsunterricht, theologische Fakultäten, Staatsleistungen, Anstalts- und Militärseelsorge, Staatskirchenverträge, spezielles Arbeitsrecht, Steuer- und Gebührenbefreiungen.

    Änderungen zumindest in der öffentlichen Akzeptanz dieses Zustandes bewirken könnte ein Ereignis, das die deutsche Hauptstadt erst nach der Tagung in der Urania voll erwischte – der inzwischen weltweite sogenannte Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche. In Parenthese: Wie mir eine Frau, die nach eigener Darstellung als Mädchen jahrelang in kirchlichen Heimen in der Bundesrepublik »missbraucht« worden war, sagte, empfinden viele Opfer diesen Begriff als Hohn und Verharmlosung. Es gehe um Gewalt. Um Vergewaltigung.
    Im Übrigen sollte die massenhafte Verwicklung katholischer Prälaten nicht die Tatsache verdrängen, dass auch in der evangelischen Kirche – besonders mit Blick auf die kirchlichen Heime – ungeachtet der geringeren Dimensionen ausreichend Grund zu demütiger Rückschau besteht.

    Seit Roms Kaiser Konstantin I. den Jesus-Kult protegierte, beziehen Herrschende ideologische Legitimation durch eine von ihnen gesponserte christliche Kirche. »Denn«, so verfügte Paulus, der Erfinder des Christentums, in seinem Brief an die Römer, »es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt.« Und der Reformator Martin Luther fand es allen Ernstes besser, »durch die Obrigkeit zu leiden, als dass die Obrigkeit durch die Untertanen zu leiden hat. Denn der Pöbel besitzt und kennt kein Maß. In jedem Einzelnen stecken wohl mehr als fünf Tyrannen.« In Deutschland markiert die Abdankung Kaiser Wilhelms II. zwar offiziell das Ende des Bündnisses von Thron und Altar. Allerdings versucht Politik bis heute, zusätzliche Legitimation aus einer kirchenchristlichen Einbettung zu ziehen. So gelten prunkvolle »ökumenische Gottesdienste« zu staatlichen Anlässen nach wie vor als Selbstverständlichkeit.

    Im Unterschied zu den tiefgläubigen Herrschern des Mittelalters bekennen sich indes mittlerweile viele deutsche Politiker wohl nur deshalb zum christlichen Glauben, weil sie damit persönliches Vertrauen zu gewinnen hoffen. Der Dortmunder Politikwissenschaftler Thomas Meyer verweist darauf, dass die Kirchen noch immer zu den Institutionen zählen, denen sehr viel Vertrauen geschenkt werde (Wieso eigentlich?). Deshalb sei der Rückbezug von Politikern aufs Christentum letztlich der Versuch eines Vertrauenstransfers.

    Dieser Rückbezug stellt zweifellos ein entscheidendes Hindernis dar für eine klare Trennung von Staat und Kirche, von Politik und Religion. Was sich im aktuellen Gewaltskandal darin äußert, dass das bewährte Kartell Kirche-Politik alles tut, um die kriminellen Handlungen lediglich als Entgleisungen Einzelner zu verharmlosen und den Verweis auf strukturelle Fehlentwicklungen zu vermeiden.

    Anstatt Deutschland endlich in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts zu verankern, indem die Zeiten der »unverzichtbaren Rolle« der Kirchen bei der Wertebildung für beendet erklärt werden, wird eben diese Rolle von Schwarz-Gelb im Koalitionsvertrag sanktioniert. Und erst im vergangenen Monat vereinbarten die CDU und die beiden großen Kirchen eine »besonders enge Zusammenarbeit«.

    Das ist die aktuelle und gleichwohl seit Jahrzehnten unveränderte Lage in Deutschland. Sie ist dem Staat lieb und – teuer. Der Münchner Rechtsanwalt Johannes Wasmuth nannte auf der Berliner Tagung die ungeheure und ungeheuerliche Zahl von rund 18 Milliarden Euro, die – außerhalb des Kirchensteueraufkommens von etwa 9 Milliarden Euro – Jahr für Jahr an Staatsleistungen und Subventionen vom Staat zu den Großkirchen transferiert werden. Eine Zahl, die im öffentlichen Diskurs ebenso fehlt wie in den immer klammer werdenden Sozialkassen. Die Zahlung von Bischofsgehältern mit (allgemeinen) Steuergeldern, gründend im sogenannten Reichsdeputationshauptschluss von 1803 (!), gehört dabei noch zu den vergleichsweise geringeren Posten.
    Zudem stellt das üppige deutsche System von Staatskirchenverträgen nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers Gerhard Czermak eine »Selbstentmachtung des Parlaments« dar, da diese Verträge weder eine Kündigungsklausel noch eine Befristung enthalten.

    Eine solche Daueralimentierung fördert Opportunismus und Affirmation und kaum – womit sich die Kirche ja gern schmückt – die Verteidigung der Schwächsten gegen die Begehrlichkeiten von Staat und Kapital. Und wenn in den Reihen der Kirchenfürsten doch einmal der eine oder die andere beispielsweise wider den Stachel der Kriegsbeteiligung in Afghanistan löckt, geht ein Aufschrei der Empörung durch die politische Klasse.

    Es war ein Diskutant aus dem Publikum, der bei der Veranstaltung in der Urania das treffende Fazit zog: »In Deutschland gibt es keine Staatskirche. Aber es gibt eine Kirche des Staates.«

    Mit Genehmigung des Autors aus dem „Neuen Deutschland“ vom 18.02.2010

  128. Uwe Stelbrink sagt:

    Lieber Ulrich Scharfenorth,

    Ihre Begeisterung für attac, dem ich einige Jahre angehörte, kann ich so nicht nachvollziehen. Das hat einmal etwas mit inhaltlichen Fragen zu tun und zum anderen mit persönlichen Erfahrungen (die ich mit einigen anderen teile).

    Inhaltlich – um es hier in einer Replik nicht auszuweiten: attac verwechselt Kritik am Neoliberalismus mit Kapitalismuskritik, und das konsequent, weshalb die “Handlungsanweisungen” von attac immer auf die Wiederherstellung des guten alten Sozialstaats BRD hinaus laufen. Der aber ist passé, weil die Voraussetzungen dafür – eine funktionierende Verwertung – passé sind.

    Erfahrungen: Neben vielem guten Willen habe ich vor allem Aktionismus und eine ausgeprägte, bis ins Persönliche gehende Theoriefeindlichkeit erlebt, die wiederum Ursache für siehe oben ist.

    Ulrich Scharfenorth: “Hier kann ich mich nur fragen: Wer, bitte sehr, geht der Finanzkrise kritischer und zielstrebiger auf den Grund als … Attac?”

    Na z.B. die Wertkritik, z.B. Robert Kurz “Das Weltkapital”. Oder siehe auch: http://www.exit-online.org, nur so als Beispiel…

    • Lieber Uwe Stelbrink, eine ausführliche Stellungnahme zu Ihrer Kritik ist in diesem Rahmen kaum möglich. Dennoch ein paar kurze Einwürfe:

      1) Nach meinem Kenntnisstand und nach Hinweisen von Thomas Eberhard-Köster arbeiten bei Attac sowohl Menschen, die den Kapitalismus reformieren als auch solche, die ihn beseitigen wollen. Davon, dass der “gute alte Sozialstaat BRD” revitalisiert werden soll und nicht mehr … kann deshalb m.E. keine Rede sein. Vielmehr ist die künftige gesellschaftliche Struktur offen. Ich persönlich glaube, dass auch in Zukunft Staat und Gesellschaft ein Abbild des Menschen (mit all seinen guten und schlechten Eigenschaften) sein müssen und werden. Da ich das “real sozialistische Experiment” mit erlebt habe, glaube ich nicht mehr an (sozialistische/kommunistische) Wunder mit “edlen” selbstlosen Protagonisten an den Schalthebeln/der Macht. Wohl aber an katastrophengesteuerte Regulierung, die schlimmste Auswüchse des heutigen Neoliberalismus hinwegfegen wird (dazu mein Buch).
      Ich halte die Idee zu Attac deshalb für besonders wichtig, weil m.E. nur außerparlamentarische Bürgerinitiativen etwas bewegen können. Sektirische Grüppchen (alle miteinander zerstritten) und ein paar tausend Gysi-Anhänger können niemals das Potential entwickeln, das für eine substanzielle Veränderung der Welt (ich spreche vom Ziel einer nachhaltigen EINEN WELT) nötig ist. Vielmehr muss man die Veränderungsnotwendigkeiten formulieren und dann schnittmengengemäß all die Leute (“Die Linke”, linke Kräfte in der SPD, bei den Grünen, in den Gewerkschaften etc.) sammeln, die der Hauptrichtung folgen wollen. Die müssen dann zu Zehn- und Hunderttausenden, unterstützt von kommenden Krisen, Druck machen.
      Der Weg über die sog. reine (marxistische oder “nachmarxistische”) Lehre – mit den stets folgenden Ausgrenzungen der Abweichler – führt, das lehrt die Geschichte, in eine Sackgasse (Marginalisierung). Alle Säuberungen in der ehem. Sowjetunion/in den anderen soz. Ländern haben gezeigt, dass auch unter Kommunisten Eitelkeit und Machtbesessenheit dominierten. Da sich der Mensch auch in Zukunft nicht grundlegend verändern wird, bleibt es vermutlich bei diesen Mustern. Gut möglich, dass unter diesen Vorzeichen und Gegebenheiten eine dauerhafte Ablösung des Kapitalismus nicht möglich wird – so gern wir ihn auch loswerden möchten.

      2) Ihre Quellen-Hinweise sind interessant. Ich habe Sie zumindest im Ansatz studiert. Theoretisches Rüstzeug ist – vor allem für die Diskussion – wichtig. Wenn Attac-Aktivisten hier “schlampen” oder nicht vertiefen wollen, ist das unverantwortlich. Ich persönlich glaube nicht, das solche Mängel vom Führungkreis mitgetragen/akzeptiert werden.
      Meine Quellenhinweise fielen der Kürzung zum Opfer: „Wie kann eine neue Weltordnung aussehen? – Wege in eine nachhaltige Politik“ (Prof. Harald Müller), „50 Vorschläge für eine gerechtere Welt“, „Neue Werte für die Wirtschaft“ (Christian Felber) sowie der „Atlas der Globalisierung“ („LE MONDE diplomatique“/“taz“).

      Leider fehlt jeweils die Kritik des politischen Gegners und die Auseinandersetzung mit der Kritik an der Kritik.

      http://www.stoerfall-zukunft.de

    • Uwe Stelbrink sagt:

      Lieber Ulrich Scharfenorth, das war ja auch keine „Kritik“ meinerseits, sondern bestenfalls eine „kritische Randbemerkung“ – allgemeine Glückwunschschreiben zum attac-Geburtstag kamen aus aller Herren Windrichtung; und da hatte ich in Ihrem Artikel einfach ein wenig kritische Distanz vermisst.

      Nun machen Sie freilich einen inhaltlichen Bogen auf, der zwar auch attac betrifft, aber doch viel weiter reicht. Das können wir hier gar nicht austragen – aber vielleicht finden Sie Zeit, Ihre These (oder Befürchtung?) der „katastrophengesteuerten Regulierung“ für´s „Blättchen“ aufzubereiten; ich werde mich bemühen, am Beispiel (!) attac einige meiner kritischen Positionen genauer zu fassen.

      Hier dagegen will ich auf einige Punkte Ihre Antwort eingehen, vor allem, um Missverständnissen vorzubeugen:

      – Ich teile Ihre Auffassung, dass nur soziale Bewegungen, die sich selbst bewusst außerhalb des offiziellen Politikbetriebes stellen, in der Lage sind, grundlegende Änderungen an den bestehenden Verhältnissen oder sogar deren Überwindung in Gang zu setzen. Der von Ihnen genutzte und freilich gängige Begriff der „außerparlamentarischen Bewegungen“ verweist schon auf ein gravierendes Problem, denn er impliziert einen, wenn auch tendenziell kritischen, Bezug auf den parlamentarischen Betrieb, von dem man sich die Erfüllung der eigenen Forderungen erhofft. Ihr Verweis auf den „Sympathisanten“ Sven Giegold, dem dann das Hemd des Politikbetriebes der Grünen offensichtlich doch näher war als der Rock einer beschwerlich basisorientierten Organisation wie attac belegt das auf eine Weise, der ein gewisses „Gschmäckle“ nicht abgeht.
      Ich könnte Ihnen einfach mit Marx Recht geben, dass „jeder Schritt wirklicher Bewegung … wichtiger (ist) als ein Dutzend Programme“, halte es aber für unverantwortlich, wenn in „außerparlamentarischen Bewegungen“ Ziele formuliert werden, die eine grundlegende Änderung gesellschaftlicher Verhältnisse versprechen, obwohl die angebotenen Lösungen oder „Handlungsanweisungen“ ohne Überwindung eben dieser bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse nicht umsetzbar sind und dann meist in mehr oder weniger faulen Kompromissen innerhalb des Systems enden. Unverantwortlich vor allem deshalb, weil damit kritisches Potential verschlissen wird – das Auf und Ab vieler mittlerweile nur noch historischen Bewegungen belegt das.

      – Ich kann Ihren Pessimismus – wenn das der richtige Begriff dafür ist, Sie werden wahrscheinlich eher von Realismus sprechen wollen – dass eine „dauerhafte Ablösung des Kapitalismus“ nicht möglich sein könnte, durchaus verstehen.

      Die Erwartung in zukünftige Entwicklungen auf eine „katastrophengesteuerte Regulierung“ zu reduzieren wäre aber gleichbedeutend mit einem Vorabverzicht auf jegliche Möglichkeit einer Überwindung des Kapitalismus. Dann kann sich auch der Kampf sozialer Bewegungen „vernünftigerweise“ nur noch gegen die „schlimmsten Auswüchse“ und auf „Verbesserungen“ des Bestehenden richten. Das ist aber schon die Praxis, die aus Sicht der von den Segnungen des Kapitalismus besonders hart Gebeutelten nachvollziehbar ist.

      Ich nehme dann den gleichen Pessimismus in Anspruch und halte das Entstehen einer neuen sozialen Bewegung, die über die warenproduzierende Gesellschaft dauerhaft hinaus will, immerhin noch für möglich.

      – Ich habe das „real-sozialistische Experiment“, das ich heute begrifflich anders fasse, auch miterlebt, aber schon damals weder an sozialistische/kommunistische „Wunder“ und „edle“ Protagonisten an den Schalthebeln der Macht geglaubt. Ich teile auch Ihre Auffassung, dass „sektiererische Grüppchen… und ein paar tausend Gysi-Anhänger … niemals das Potential entwickeln (können), das für eine substantielle Veränderung der Welt… nötig ist.“

      Sie wollen über die Formulierung von Veränderungsnotwendigkeiten (was Sie ja offensichtlich auch in Ihrem Buch tun – ich konnte bisher leider nur die Auszüge auf Ihrer Website zur Kenntnis nehmen) Schnittmengen erzeugen, die „all die Leute sammeln, die der Hauptrichtung folgen wollen“ und hoffen dabei, „unterstützt von kommenden Krisen“ auf Hunderttausende.

      Zumindest von der „Hauptrichtung“ sollte es doch aber eine begründete Vorstellung geben. Zur Konkretisierung dieser Vorstellung kann in der Tat kein „Weg über die sog. reine (marxistische oder “nachmarxistische”) Lehre“ führen. Ohne eine offene, gleichwohl radikal kritische und gern auch „nachmarxistische“ Theorie wird sie aber auch nicht zu haben sein.

      Ich habe beim Lesen Ihrer Texte ein wenig das Gefühl, dass Sie dabei sind, jedwede Gesellschaftstheorie durch eine ingenieurtechnische – Sie verzeihen den Bezug – Auflistung von „Veränderungsnotwendigkeiten“ ersetzen zu wollen. Da aber beharre ich dann nochmal auf meinem Pessimismus, was die Erfolgsaussichten solcher Herangehensweise betrifft.

      Oder habe ich Sie einfach falsch verstanden?

  129. Ein Lese-Tip

    „Blättchen“-Leser, die in unserer neuesten Ausgabe (Nr. 3/2010) den XXL-Beitrag “Glaube, weil du kein Tier bist“ von Joanna Podgórska, Warschau, über Religion in polnischen Schulen gelesen haben (Nachdruck aus der „Polityka“), machen wir auf den untenstehenden Beitrag aus der heutigen Zeitung „Neues Deutschland“ aufmerksam.
    Die Redaktion

    Gesteigerter Bedarf an
    Teufelsaustreibern

    Von Julian Bartosz, Wroclaw

    Polens elektronische Medien schlugen in den letzten Tagen Alarm: Immer mehr Menschen sind vom Teufel besessen!
    Der Warnruf bezog sich diesmal nicht direkt auf die Politiker. Die bieten dem »live« anwesenden Fernsehpublikum in vier »außerordentlichen Untersuchungsausschüssen« des Parlaments eine sogar für polnische Verhältnisse seltsame Schau unter dem Titel »Nichts als die Wahrheit«, womit sie das Offenliegende allerdings völlig verdunkeln. Was eigentlich jedermann klar ist, nämlich der Machtkampf vor den diesjährigen Wahlen, wird da als »patriotische Sorge um das liebe Vaterland« gepriesen.
    Nein, diesmal handelt es sich beim bewussten Alarmruf der Medien tatsächlich um den Leibhaftigen, der das brave katholische Volk zu verderben sucht. Aus dem etwa 40 Kilometer von Warschau entfernt gelegenen Franziskanerkloster Niepokalanów informierte Pater Marek Wódka darüber, dass erstmals vertrauenswürdige Journalisten aus den Religionsressorts elektronischer und gedruckter Medien zur halbjährlich stattfindenden Exorzistenkonferenz an einen diesmal nicht geheim gehaltenen Ort eingeladen wurden. In einer Presserunde seien sie am vergangenen Freitag über den Verlauf der Beratungen der »Teufelsaustreiber« informiert worden. Der von der polnischen Bischofskonferenz benannte Koordinator der Exorzisten, Pfarrer Marian Piatkowski, gab der Runde bekannt, dass die mehr als 80 in den 48 Diözesen zum »besonders wertvollen Dienst an der Kirche« berufenen Geistlichen bereits zum 22. Mal über die »Vertiefung des Wissens von den Dämonen« berieten.
    Pfarrer Andrzej Grefkowicz stellte fest: »Der Grundfehler unserer Zeit besteht in der Nichtwahrnehmung der Existenz des Bösen.« Damit kann man durchaus übereinstimmen. Die Frage bleibt jedoch: Nimmt das Böse tatsächlich eine personifizierte Gestalt an?
    Die Exorzisten sind da absolut sicher und wollen dem immer lauter werdenden Verlangen der Gottgläubigen nachkommen, das Böse wirksam zu bekämpfen. Es lockt, quält und macht schließlich besessen. Die Konferenzteilnehmer gaben zu, dass sich die Beherrschung durch den Teufel faktisch so äußern könne, wie es in zahlreichen Filmen dargestellt wird. Es könne aber auch anders, milder aussehen. Wie – das erfährt unsereiner auf der Webseiteegzorcysta.org. Da ist zu lesen, dass es mit Depressionen und Hoffnungslosigkeit beginnt oder aber mit anhaltenden Bauch-, Rücken und Halsschmerzen. Die Römisch-katholische Kirche brauche dringend neue »qualifizierte Kräfte«, um der Nachfrage der Kirchengemeinden nachzukommen. Derzeit werden deswegen in Polen weitere Exorzisten ausgebildet – so wie es Papst Benedikt will, der weltweit einen Bedarf an 3000 neuen »besonders wertvollen Dienern an der Kirche« sieht. Man ist versucht zu fragen, ob das angesichts des wirklichen Bösen in der Welt ausreicht?

  130. Herbert Japp sagt:

    Klare Antwort

    Frage der Taz:
    Nach dem Urteil über den Hartz-IV-Satz beginnt die große Rechnerei. Beherrscht die Regierung das Einmaleins?

    Küppersbuschs Antwort:
    Ja, die CDU rechnet mit der Vergesslichkeit des Publikums: Eben noch sprudelten 15 Milliarden Euro für HRE, 13 für die Commerzbank und viele weiteren Tranchen aus dem “Bankenrettungspaket”. Nun sei ein “einstelliger Milliardenbetrag” für eine Hartz-Korrektur ein Riesenproblem. Die FDP rechnet, vor allem mit Schwarz-Grün auch noch in NRW und dann im Bund. Prompt schließt Westerwelle die Lücke nach Lambsdorff: Auf Marktgraf folgt Pornograf. Guido Westerwelle war seit 1983 Juli-Chef, seit 88 im FDP-Bundesvorstand und schloss sein Jurastudium erst 1991 ab: Parteiamtssalär, Diäten, Ministergehalt: Der Mann hat nie ernsthaft von etwas anderem als Staatsknete gelebt. Dass nun ausgerechnet er wirklich Bedürftige als überfressene Orgiasten schmäht – im vorrevolutionären Frankreich wäre das als der mannhafte Wunsch verstanden worden, sich immerhin die eigene Laterne auszusuchen.

    Friedrich Küppersbusch in der Taz vom 15.02.2010

  131. Wolfgang Schwarz sagt:

    Gesteigerter Komfort

    Die neue BLÄTTCHEN-Website erscheint mir gut handhabbar, aber da das Bessere noch stets der Feind des Guten war, hätte ich trotzdem zwei Wünsche.

    Da ich nicht gern am Bildschirm lese, drucke ich mir aus, was mich interessiert. Das ist ist auch schon mal die komplette Ausgabe. Die ließe sich natürlich besser ausdrucken, wenn es eine entsprechende Funktion auf der Website gäbe oder man sich die komplette Ausgabe wenigstens als PDF downloaden könnte.

    Und zum zweiten: Natürlich kann man sich merken, dass DAS BLÄTTCHEN alle 14 Tage erscheint. Aber mit Merkposten dieser Art ist es so eine Sache. Schöner wär’s, man könnte auf der Website seine Mail-Anschrift hinterlegen und bekäme bei Erscheinen der aktuellen Ausgabe jeweils eine automatische Nachricht.

    Herzliche Grüße,

    Wolfgang Schwarz

    • Webmaster sagt:

      Lieber Herr Schwarz,

      danke für Ihre Anmerkungen. Wir freuen uns immer über Kritik an dieser Seite.

      Die Newsletter-Funktion ist sinnvoll und in Arbeit. Früher sorgten der Postbote oder der Zeitschriftenhändler dafür, dass sich die Leser den Erscheinungstag nicht merken mussten. Das müssen wir jetzt anders lösen.

      Eine Druckfunktion für die einzelnen Artikel ist bereits integriert. Ein pdf-Dokument für das ganze Heft zu erstellen, setzte ein druckfertiges Layout voraus und ist nicht ganz so einfach. Ich hoffe, dass uns das eines Tages glücken wird, vielleicht auch mit Hilfe der Leser. Und dann hätten wir ja schon fast wieder ein gedrucktes Heft…

  132. Helge Jürgs sagt:

    Ist´s so (R)recht?

    Ein deutscher Steuersünder kann sich nach seiner Enttarnung berechtigte Hoffnungen auf Entschädigung durch die von Datenklau betroffene Bank machen. Entsprechend eines Urteils des Landgerichtes Vaduz muß die Liechtensteiner LGT Treuhand einem Immobilienhändler aus Bad Homburg 7,3 Millionen Euro zahlen.

    Der Betroffene, so die Urteilsbegründung, habe keine Zeit für eine Selbstanklage gehabt, da der Kläger zu spät über den Datendiebstahl informiert worden sei. Hätte er sich rechtzeitig selbst angezeigt, wäre ihm eine Bewährungsauflage – einer Buße anstelle einer Freiheitsstrafe – von 7,3 Millionen Euro erspart geblieben. Für diesen Betrag müsse nun die 2002 vom Datendiebstahl betroffen gewesene LGT Treuhand des Liechtensteiner Fürstenhauses aufkommen, da es sich bei der Bewährungsauflage um einen ersatzfähigen Schaden gehandelt habe…

    Das folgende Zitat aus Joseph Hellers Roman „Endzeit“ ist im Blättchen – wenn auch in einem jeweils andere juristischen Kontext – schon mehrfach zum Einsatz gekommen. Es hilft nichts, die Aussage des dort agierenden Jurastudenten muß ein weiteres Mal herhalten, denn ein treffenderes gibt es, zumal in dieser Kürze, kaum:

    „Je mehr ich vom Recht kennenlerne, desto mehr erstaunt es mich, daß es nicht verboten ist.“

    In diesem Sinne,
    Helge Jürgs

  133. Herbert Hanisch sagt:

    Liebe Angelika Leitzke – ich bin weitgehend d´accord mit dem, was Sie ausführen. Nur bitte korrekt bleiben, auch und grade in einer Polemik.
    Die Ausssage, daß man einst seine Uhr nach der Bahn auch bei eisigen Winterverhältnisses stellen konnte, ist leider schlichtweg albern. Ich weiß nicht, ob Sie vor 50 Jahren schon Bahn gefahren sind – sofern ja, wüßte ich gern, auf welchen Strecken Sie diese ultimative Erfahrung gemacht haben. Dort, wo ich seinerzeit auf Gleiseswegen der Deutschen Reichsbahn unterwegs war – und dies war bis in die endsiebziger Jahre mangels eigenen PKWs sehr häufig der Fall – konnte von jenem paradiesischen Zustand, den Sie erinnern, in Wintern leider nicht die Rede sein, in heftigen schon gar nicht.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Herbert Hanisch

  134. Zum aktuellen Beitrag von Jörn Schütrumpf:

    “Solange diese Haltung fortexistiert, kann man nur wünschen, daß die Linke – von der linken Sozialdemokratie bis zu den Anarchisten – auch künftig unerhört bleibt. Entweder nehmen wir, egal wo wir in der Linken stehen, die Geschichte der Linken als Ganzes an, mit allen Irrsinnigkeiten und Verbrechen, misten den Augiasstall bis auf den Grund aus und überlegen dann in Demut, ob wir noch das Recht haben, der Gesellschaft Vorschläge zu machen – und zwar ohne alle Avantgardeanmaßungen und Oberlehrerhaftigkeiten. Oder die Linke stirbt aus, zu Recht.”

    Ja. Diese Auseinandersetzung ist wohl nötiger denn je, wollen wir den Gedanken an eine (gar geschlossene) Linke nicht begraben – und uns gleich mit. Es ist an der Zeit, diverse Wolkenkuckucksheime zu verlassen, sich mit der Vergangenheit und den eigenen Positionen (nicht zu sagen: Dogmata) kritisch auseinanderzusetzen und dann einen Schritt nach vorn zu wagen.

    Um es deutlich auszusprechen: wir benötigen eine “neue, geschlossene Linke”, wenn man so will, die “Volksfront”. Dafür müssen wir alle, Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten unsere Vergangenheit bewältigen und Grenzen einreißen, damit wir wieder aufeinander zugehen können.

    Bei uns läuft das im Kleinen schon …

    Solidarische Grüße
    Frank Benedikt

  135. Alles Theater?
    Diese Frage kam mir in den Sinn, als ich am Ende von Schütts Buch „Glücklich. Beschädigt“ in seiner Biographie las: „1969 bis 1973 Studium der Theaterwissenschaften an der Theaterhochschule ‚Hans Otto‘ in Leipzig. Während dieser Zeit halbjähriges Praktikum am Landestheater Halle (Saale), Dramaturgie- und Regieassistenzen in Magdeburg und Gera.“ Dies alles beste Voraussetzungen für sein späteres Mitwirken an der Selbstinszenierung des „Staatstheaters DDR“ als Zentralratsmitglied des Jugendverbandes FDJ sowie als Chefredakteur von deren Sprachrohr „Junge Welt“? Oder Grundlage für seine Nach-Wende-Rolle als erbarmungsloser (Selbst-) Kritiker dieser versunkenen Bühne? Welchem Schütt dürfen wir glauben? Da wir doch offenbar aufs Glauben angewiesen sind! Dem ersten oder dem zweiten Sch.? Denn der gleiche ist er ja nicht mehr, wenn auch derselbe! Oder kann es sein, dass er ehrlich war und ist, man ihm also auch fürderhin vertrauen darf? Wie aber wäre dann ein so abrupter Sinneswandel, wie der Autor ihn uns schildert, zu erklären?
    Schütt selbst analysiert seine Vergangenheit akribisch, beleuchtet sie in vielen Aspekten, blickt zurück auf viel Dienstliches und Persönliches, zieht auch Dritte heran, auf diese Weise „sein“ Problem verallgemeinernd, denn er war ja kein Einzelfall, fragt sich vorwurfsvoll nach dem Wieso und Warum, findet aber eigentlich keine, jedenfalls keine eindeutige Antwort. Eine solche gibt es wohl auch nicht. Denn eine Unmenge von Faktoren, Umständen bestimmt menschliches Denken und Handeln. Sie liegen in uns und außer uns. Wollen wir was wir denken, oder denken wir was wir wollen? – Eine Frage, die schon Schopenhauer beschäftigte und an der sich die Hirnforschung noch immer abarbeitet! Und egal, wie sie zu beantworten ist – welchen Sinn machen „Schuld“-Vorwürfe? Jeder Mensch ist ein Individuum, ausgestattet mit einer einmaligen Gesamtheit von genetischen Anlagen, durchbrechenden Eigenschaften und Charakterzügen, Erfahrungen, Kenntnissen, Lebensumständen, Arbeitsbedingungen, körperlichen und geistigen Fähigkeiten. All das bestimmt, was er wann denkt, will, tut, sagt, auch schreibt. Darüber urteilen, gar verurteilen? Ich kann es nicht und will es nicht. Ich lachte und lache noch über manches, was Menschen einst taten oder heute tun. Vieles ist mir gleichgültig, einiges ärgert mich, kann mich auch wütend machen. Die Welt – für mich als Zuschauer ein Theater! Aber niemand ist darin eben nur Zuschauer, alles ist – oft toternste, bittere – Wirklichkeit, mal zum Lachen, meist zum Weinen.
    Was H.-D. Schütt anbelangt, so erbaue ich mich an dem „neuen“ Schütt, an Sprache und Inhalt so vieler seiner Beiträge und Werke, die zu schreiben und zu veröffentlichen er nun die veränderten Lebensumstände – viele nennen es Freiheit – nutzt. Und viele von diesen Vielen mögen das – „zurecht“ – ganz anders sehen, denn sie haben, jeder auf seine Weise, die Vergangenheit anders erlebt und durchlebt, andere Erfahrungen gemacht, vielleicht auch persönliche mit Schütt. Bei mir entdeckte ich nach der Lektüre seines nun vorgelegten Buches auch Dankbarkeit für mein, anderen Umständen entsprungenes Glück, nicht wie er solche Last der Vergangenheit tragen zu müssen. Auch stellte sich mir schließlich die Frage, ob nach dem nächsten großen, schon zu erwartenden Werte- und Meinungsumbruch je einer von den nun Tonangebenden in des Wortes mehrfacher Bedeutung eine so ehrliche, erbarmungslose Abrechnung mit seinem derzeitigen Denken und Tun vornehmen wird.

    • Rüdiger Hampe sagt:

      Als jemand, der selbst mal in das Räderwerk der unseligen Informationspolitik in der DDR verstrickt war, bin ich H.-D. Schütt dankbar für seine so gnadenlose Ehrlichkeit bei der Betrachtung jener Zeiten. Glaubwürdige Neuanfänge sind, denke ich, anders auch nicht zu haben. Allerdings treibt mich auch der Gedanke Heerke Hummels um, ob und wann man wohl von einem der heute medial Tonangebenden eine solch ehrliche Abrechnung mit seinem eigenen Tun und Lassen hören oder lesen kann. Mögen die Verfehlungen (moralischer und/oder handwerklicher Natur) heute in manchem andersartig sein als die seinerzeitigen: Grund zu kritischer Selbsteinkehr hätten nicht nur die Kollegen vom Boulevard; beileibe nicht…

  136. Jochen Gutte sagt:

    Ich freue mich über die Wiederauferstehung des Blättchens. Doch leider komme ich nicht ran..
    1) Die Woche beginnt mit einem Gruß von Wolfgang Sabath und dem Verweis auf Heft 2. Aber zu finden ist davon nichts.
    2) Ich klicke auf http://das-blaettchen.de/ und freue mich auf Heft 2, kann es aber nicht öffnen. Ob es einen geheimen Zugang hat? Ob es neben der Additionsaufgabe noch eine weitere Hürde gibt?
    Wo findet ein dummer Mensch die erforderliche Aufklärung?
    Für sachdienliche (auch für Ältere) Hinweise wäre ich dankbar, zumal ich durch neugiermachende Häppchen schon angefüttert wurde.
    Herzlichst Jochen Gutte

    • Webmaster sagt:

      Mit der Maus über das Inhaltsverzeichnis fahren und den/die Artikel der Wahl anklicken, müsste eigentlich funktionieren?

  137. Jürgen Rennert sagt:

    Betrifft: Blättchen 2/2010

    Notizen zur Selbstwahrnehmung, zu Rechts, zu Links und zu Schütrumpf:

    Daß mensch sich selbst – bei allerbestem Willen – kaum hinlänglich wahrnehmen kann, ist physiologisch bedingt. Allein auf unser Sensorium gestützt, hören wir nie, wie uns andere hören. Wie andre uns sehen, sehen wir nur spiegelverkehrt.

    Jandl: “manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht velwechsern / werch ein illtum.”

    Schütrumpf: “Oder die Linke stirbt aus, zu Recht.”

    Rennert (Texter im 1990er Wahlkampfteam der PDS): “Das Herz auf dem rechten Fleck – links von der Mitte”.

    Schütrumpf: “Alle am Tisch wissen: Heute ist es alles andere als selbstverständlich, daß Künstler ihre politische Gesinnung zu erkennen geben, geschweige denn sich engagieren, egal ob in Polen oder in Deutschland.”

    Rennert: Alle?

  138. Die Redaktion sagt:

    Lieber Martin Nicklaus,
    wir beglückwünschen Ihre Frau und Sie zur Vergrößerung Ihrer Familie. Sie sind, Herr Nicklaus, eben nicht nur ein sehr verläßlicher “Blättchen”-Autor.
    Die Redaktion

    zwillinge

  139. Liebe Redaktion,

    da leider keine Möglichkeit zu bestehen scheint, auf Antworten zu antworten, muß ich mir quasi selber antworten ;-)
    Daß kein Geld da ist, ist ein altes und leidiges Problem, welches die meisten von uns, die schon mal sich an solchen oder ähnlichen Projekten versucht haben, nur zu genau kennen. Einen Etat für Werbung gibt es nicht, ohne Werbung aber kommen wiederum nicht genug Leser, bei zu wenig Lesern hat man nicht genug Einnahmen, womit wiederum kein Geld für Werbung da ist … Ein Teufelskreis. Ich will mal schauen, ob ich da nicht etwas tun kann … ;-)

    Daß das “Blättchen” schon länger im Netz beheimatet ist, war mir – wie seine generelle Existenz – bis vor kurzem unbekannt, was mir zeigt, daß es doch leider einen sehr niedrigen Bekanntheitsgrad im Internet haben dürfte, was sich auch an der geringen Zahl der Backlinks und dem Pagerank 3 erweist. Da sollte imho was geschehen, denn Konzept und Autoren hier verdienen mehr Leser. Einsamkeit macht nämlich nicht immer stark ;-)

    Da ich es beim letzten Kommentar leider zu erwähnen vergessen habe: Das spartanische, an’s historische Vorbild gemahnende, Layout gefällt mir ausgezeichnet und macht das Lesen zu einem Vergnügen.

    “Das Blättchen” hat jedenfalls schon mal einen neuen Leser gewonnen (gar mehrere, wenn ich mir meine Freunde so anhöre) und es werden hoffentlich noch viele folgen.

    Herzliche Grüße
    Frank Benedikt

    • Webmaster sagt:

      Doch, doch: Einfach nochmal auf Antworten über der Antwort (oder den Antworten) klicken und schon kann man auf die Antwort (oder die Antworten) … antworten.

  140. Helge Jürgs sagt:

    Wolfgang Schäuble „macht Ernst im Kampf gegen die Schwarzarbeit“ (Bild). 200 neue Fahnder will er einstellen, um das Anwachsen der Schattenwirtschaft – 2009 laut Experten 253 Milliarden Euro betragend – zu stoppen. Das ist natürlich wirklich eine Menge Holz und freilich auch nicht zu billigen. Schade nur, daß Schäuble seine Offensive nicht an jener Front ansetzt, die Schwarzarbeit – zumindest maßgeblich – hervorbringt. Leser, die erraten, worum es sich dabei handeln könnte, können einen Arbeitsplatz gewinnen!
    Helge Jürgs

  141. Liebe “Blättchen”-Macher, meinen Glückwunsch zur ersten Netzausgabe! Möge diesem kleinen, aber sehr ambitionierten Projekt, das in der Tradition eines großen Namens steht, ein langes und produktives Leben beschieden sein.

    Einen leisen Vorwurf muß ich den Herausgebern aber machen: Warum erfahre bspw. ich erst jetzt und durch Zufall von der Existenz des “Blättchens” und warum kommt die online-Ausgabe erst jetzt, während ich den “Ossietzky” schon seit Jahren kenne und lese?

    Nun, ich habe es natürlich in unsere Linkliste aufgenommen und werde auch ein paar befreundete BloggerInnen darauf hinweisen ;-)

    Beste Grüße
    Frank Benedikt

    • Die Redaktion sagt:

      Lieber Frank Benedikt,
      das war und ist eben jenes Kreuz, das wir seit 12 Jahren tragen: Kein Geld! Und damit auch (nahezu) keine Möglichkeit, z.B. annoncieren zu können. Und so blieb und bleibt es denn bei eher zufälligem Wohlwollen von interessierten Kollegen, von unserer Existenz irgendeine Kunde zu geben. Solange aber Mitteilungen auf Medienseiten wie die vom vielzähligen Besuch am Grab der Fernsehmoderatorin Schürmann u.v.a.m. vorrangigen Mitteilungswert besitzen, bleibt unsereins halt medial im Regen stehen. Macht aber nichts: Auch Einsamkeit kann stark machen…
      Die Redaktion

      P.S. Übrigens hatte das Blättchen auch bisher eine Webseite, sogar unter dieser gleichen Adresse. Dort erschien das Heft zeitversetzt.

  142. Die Redaktion sagt:

    Auch wenn intern längst übermittelt: Das bereits vielfach geäußerte Lob für die Gestaltung unserer neuen Webseite ist natürlich auch ganz auf unserer Seite, und dies möchten wir angelegentlich der Notiz von Frank Bitterlich nun sehr gern öffentlich machen.

    Und vor allem „Roß du Reiter“ nennen: die Gebrüder Stefan (Greifswald) und Axel Kalhorn (Angermünde). Chapeau!!!

    Und noch etwas gehört hier mitgeteilt: Wiewohl die völlige Neugestaltung eines solchen Webauftritts allemal eine mühevolle Angelegenheit ist, haben beide dies ebenso ehrenamtlich geleistet wie sämtliche Autoren dies seit Jahr und Tag tun, die Redakteure sowieso.

    Wohl dem, der solche Freunde hat!
    Sagen für
    Das Blättchen

    Wolfgang Sabath & Heinz Jakubowski

  143. Frank Bitterlich sagt:

    Viele journalistischen Online-Portale haben sich scheinbar von Gestaltern aus dem Umfeld des Chaos-Computer-Clubs zu entsprechend chaotischen Layouts überreden lassen. Ein Musterbeispiel einer solchen optischen Fehlentwicklung ist zum Beispiel der neue Druck- und der Internetauftritt der Wochenzeitung FREITAG. Deren Neueigentümern gelang es planmäßig, der Zeitungsästhetik der einstigen Freitag-Vorgänger „Sonntag“ und „Volkszeitung“ völlig den Garaus zu machen. Ästhetik ist altmodisch.
    Gerade auch darum fällt mir nun bei Ihrem neuen Online-„Blättchen“ die so gelungene, die ruhige, die schöne Gestaltung auf: sauber, dezent, klar, übersichtlich, lese(r)freundlich.
    Da ist Ihnen zu Ihren Gestaltern, die Sie im Impressum etwas „verstecken“, nur zu gratulieren.
    Frank Bitterlich

    • Webmaster sagt:

      Danke für die Blumen!

      Allerdings halte ich die Druckausgabe des Freitags für gut layoutet. Aber zum Glück lässt sich über Geschmack schlecht streiten.

  144. @ Redaktion

    Wer so lange nicht warten will, kann ja schon immer mal hier reinschauen:

    http://www.blogsgesang.de/2010/01/23/lafontaines-botschaft-nur-staerke-erlaubt-mitgestaltung/

  145. Ankündigung:

    In “Blättchen” 2/2010 (1. Februar):

    Jörn Schütrumpf:
    Verweigerte Selbstwahrnehmung

    Nikita Specht:
    Zur SPD (zurück)?

  146. Heinz Jakubowski sagt:

    Die Quo-vadis-Frage in Bezug auf die Linkspartei stellt sich je beileibe nicht nur für Sebastian Prinz. Schaut man sich die Geschichte des Kommunismus an* haben wir es heute mit nahezu dem gleichen Dilemma zu tun wie die seinerzeitigen Sozialdemokraten vor knapp 100 Jahren: Fundamentalopposition oder Reformismus, wobei ich letzteren nicht als pejorativen Kampfbegriff verstanden haben möchte.
    Die Alternative der heutigen Linke ist ebenso offenkundig: Als Fundamentalisten bleiben sie auf unabsehbare Zeit Sektierer. Als Quasi-Sozialdemokraten erfüllen sie hingen die Aufgabe einer wirklichen Opposition nicht: Hoc Rhodos, hic salta – nun denn!

    Wie auch immer erinnert mich das an geniale Sätze von Karl Kraus, geschrieben in seiner „Fackel“ vor 90 Jahren:

    “Der Teufel hole seine Praxis (des Kommunismus. H.J.), aber Gott erhalte ihn uns als konstante Drohung über den Häuptern jener, so da Güter besitzen und alle andern zu deren Bewahrung und mit dem Trost, dass das Leben der Güter höchstes nicht sei, an die Fronten des Hungers und der vaterländischen Ehre treiben möchten. Gott erhalte ihn uns, damit dieses Gesindel, das schon nicht mehr ein und aus weiß vor Frechheit, nicht noch frecher werde, damit die Gesellschaft der ausschließlich Genussberechtigten, die da glaubt, dass die ihr botmäßige Menschheit genug der Liebe habe, wenn sie von ihnen die Syphilis bekommt, wenigstens doch auch mit einem Alpdruck zu Bette gehe!”

    *In diesem Zusammenhang durchaus zu empfehlen:
    David Priestland, Weltgeschichte des Kommunismus, Von der Französischen Revolution bis heute, Siedler 2009, ISBN 978-3-88680-708-6, 782 Seiten, 32 Euro

  147. Gehört:
    Der Politikwissenschaftler Sebastian Prinz kommentierte am 22.01.2010 im Deutschland Radio Kultur die Vorgänge in der Linkspartei:

    Der innerparteiliche Streit in der Linken dreht sich um Fragen wie: Welches Sozialismusmodell will die Partei, und wie kann sie es erreichen? Soll die Linke Regierungsbeteiligungen anstreben, und wenn ja: Unter welchen Bedingungen? Akzeptiert die Partei Auslandseinsätze der Bundeswehr, wie es die SPD als Voraussetzung für eine mögliche Koalition auf Bundesebene fordert?

    Diese Streitpunkte gab es auch schon in der alten PDS. Damals sprach man von einem Kampf der Reformer gegen die Orthodoxen. (…) Durch die Fusion von PDS und WASG haben sich auch die innerparteilichen Kräfteverhältnisse verändert. Denn damit wurden die Orthodoxen gestärkt: Wer sich als von der Agenda-SPD frustrierter Sozialdemokrat oder Gewerkschafter der WASG angeschlossen hat, wird kaum bereit sein, wie die Brandenburger Linke einen Koalitionsvertrag zu unterschreiben, der dem SPD-Wahlprogramm zum Verwechseln ähnelt.

    Der rot-rote Senat in Berlin verkaufte sogar landeseigene Wohnungen an eine sogenannte Heuschrecke, den Hedge-Fonds mit dem schönen Namen Cerberus. Und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nannte ausgerechnet diesen Senat die arbeitnehmerfeindlichste Landesregierung im ganzen Bundesgebiet. (…) Welche Kräfte werden sich in der Linkspartei durchsetzen?

    Sollten es die Radikalen sein, dann wird die Partei weiter fundamentalistisch und populistisch agieren und Proteststimmen einsammeln. Vielleicht kann sie durch diesen Druck aus der Opposition heraus mehr bewirken als mit Regierungsbeteiligung. Setzen sich aber die Regierungsbefürworter durch, dann würde die Partei sich der SPD als Mehrheitsbeschafferin andienen. Das wäre Regierungsbeteiligung als Selbstzweck beziehungsweise mit dem einzigen Zweck, führenden Linke-Politikern zu Ministerposten und Dienstwagen zu verhelfen. Aber wofür braucht man eine solche Partei neben der SPD? Und wer würde sie wählen?

  148. Hagen v.-Tr. sagt:

    Habe mich lange Zeit an der gedruckten Ausgabe erfeut und nun die virtuelle erstmalig vor Augen.
    In der Hoffnung, daß die inhaltliche Qualität so bleibt wie sie war, soll es doch nun gelingen, weitere Kreise interessierter und kritischer Zeitgenossen zu erreichen. Dem wird zum Glück auch das Layout des neuen Blättchens nicht entgegenstehen – so angenehm klar strukturiert und farblich sachlich zurückhaltend.

    Meine Empfehlung

  149. Ein Freund machte mich heute auf das Blättchen aufmerksam. Ich werde es nun sicher öfter lesen. Vor allem hat mich der Gedanke von Andre Brie angesprochen, dass es – in meinen Worten – nur noch Geschwätz ist, von bürgerlich, Bürgertum oder bürgerlichem Lager zu sprechen. Deutschland mutiert zu einer neuartigen Feudalgesellschaft – mit allen negativen Kennzeichen, aber ohne die im alten Feudalismus positive Seite der (unbeabsichtigten) Nebenwirkung: Kunst und Kultur auf hohem Niveau.

  150. Dem virtuellen “Blättchen” nach dem gelungenen Start weiteres gutes Gelingen. Man weiß ja: Wer erst einmal im Web ist, kann daraus kaum wieder vertrieben werden. Immer bleibt irgendein Blättchen erhalten – für alle Ewigkeit. Und dieses gewiss mit Recht. Auch darum:

    http://www.blogsgesang.de/2010/01/19/das-blaettchen-als-blogroll/

  151. Martin Conradi sagt:

    Jürgen Rennert, dem treuen Blättchenleser gut bekannt, hat heute in weitrundig adressierter ePost empfohlen, das Blättchen mit Lesezeichen der Zugänglichkeit zu sichern. (Hier sofort passiert.) Zu DDR-Zeiten las ich gern immer mal die Weltbühne. Das Blättchen sah ich nun auch gelegentlich gern an, aber eine starke Bremse war immer die Angst vor nicht gelesenem “noch mehr Papier”. Online ist für mich die ideale Erscheinung des “Blättchen”!
    Sehr gern las ich schon eine Reihe der Kommentare – hervorragendes Podium mich verschieden ansprechender Gedanken!
    Danke den Blättchen-Machern in seinen Inhalten und in so schöner Gestaltung, danke allen “Kommentatoren” bzw. Parallel-Autoren.
    Martin Conradi, Berlin-Moabit

  152. Jochen Gutte sagt:

    Sehr geehrte Blättchenmacher,
    erst, wenn man etwas Liebgewonnenes nicht mehr hat, weiß man’s recht zu schätzen… Ich freue mich mit Euch, daß es gelungen ist, das Blättchen wieder ins Leben zurückzurufen. Es hat gefehlt, mutig und eigenwillig, wie es stets war. In diesem Sinne möchte ich allen mit Wolfgang Sabath an der Spitze, die dafür gesorgt haben, für die damit verbundene Arbeit danken…
    Das Blättchen wird gebraucht. Die Zukunft wird noch Fragen aufwerfen, die uns der breiteste Mainstream nicht beantworten wird. Da sind Eure Anregungen wichtig, um auf eigene Art weiterdenken zu können.
    Behaltet Euren journalistischen Optimismus und dazu eine heitere Gelassenheit!
    In alter Verbundenheit
    Jochen Gutte

  153. jayne-ann igel sagt:

    Dank an die Redakteure für die Publikation der Tucholsky-Dokumente – sehr eindrücklich und erschütternd …
    Herzlich
    Jayne-Ann Igel

  154. Ines Fritz sagt:

    Liebe Herren und Damen,
    lieber Herr Sabath, lieber Herr Jakubowski,
    liebe Leser und Leserinnen,

    ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freu mich sehr, in der ersten Onlineausgabe vertreten zu sein.

    Das Blättchen so online zu sehen, die Liga der außergewöhnlichen Autoren, und ich dazwischen, dazu die Möglichkeit, in Tucholskys Nachlaß zu stöbern, dabei zu sein, das alles haut mich um. Zudem ist der Onlineauftritt großartig gelungen. Er entschädigt (fast) für den Verlust der Druckausgabe. Manchmal muß man neue Wege gehen und Sie haben bewiesen, dass das Blättchen inhaltlich durch die Onlineausgabe nicht an Qualität verloren hat. Ich bin hocherfreut.

    Liebe Grüße

    Ihre

    Ines Fritz

  155. Ende letzten Jahres machte mich ein Bekannter auf ein Interview der Neuen Zürcher Zeitung mit Peter Sloterdijk unter der Überschrift «Wir lebten in einer Frivolitätsepoche» aufmerksam. Das lag zwar schon ein Jahr zurück, aber die Kommentare von Lesern zu diesem Interview reichten bis in den Dezember 2009. Also wollte auch ich noch meine Meinung sagen – zu der Bemerkung von P. S.

    „Man muss endlich auch die Wirtschaftswissenschaften als Wissenschaften vom Irrationalen rekonstruieren, als eine Theorie des leidenschaftsgetriebenen und zufälligen Verhaltens. Die Psychologie beschreibt den Menschen seit über hundert Jahren als animal irrationale. Etwas Ähnliches zeichnet sich jetzt langsam in den Staats- und Wirtschaftswissenschaften ab. Auch dort porträtiert man den Menschen zunehmend als ein Wesen, das sich so gut wie nie als vernünftiger Langzeitrechner verhält. Der wirkliche Mensch, wie er ausserhalb der theoretischen Modelle erscheint, lebt durch die Leidenschaften, aus dem Zufall und dank der Nachahmung.“

    Von der Online-Redaktion der NZZ bekam ich folgende Antwort:

    „Sehr geehrter Herr Hummel Wir danken für Ihren Beitrag. Die Redaktion sichtet die Leserkommentare und schaltet sie frei. Das kann je nach Tageszeit und Arbeitsbelastung etwas länger dauern. Wir behalten uns vor, Beiträge nicht zu publizieren. …
    Mit freundlichen Grüssen
    Redaktion NZZ Online“

    Weil mein Beitrag von der NZZ bis heute nicht ins Netz gestellt wurde, will ich ihn hier öffentlich zur Kenntnis geben:

    Ökonomie – eine Wissenschaft vom Irrationalen?
    Kommentar zu einem Interview von Peter Sloterdijk in der Neuen Zürcher Zeitung (29. 11. 2008)

    Eine schöne Sprache und etliche interessante Gedanken! Als in der DDR ausgebildeter Volkswirt muss ich aber Ihnen, Herr Sloterdijk, wie auch einigen Kommentatoren in Einem widersprechen: Man muss nicht, wie Sie meinen, „die Wirtschaftswissenschaften als Wissenschaften vom Irrationalen rekonstruieren“, sondern, im Gegenteil, überhaupt erst von ihrem Irrationalismus, den sie als „bürgerliche“, nach-marxsche Wissenschaften an den Tag legten, befreien! Denn ungeachtet ihrer gelegentlichen mathematischen Aspekte waren sie mit ihren Erklärungen ökonomischer Erscheinungen, insbesondere was beispielsweise das Wesen von Ware, Wert und Geld (von Lohn und Arbeitskraft ganz zu schweigen!) in der bürgerlichen Gesellschaft betrifft, zutiefst irrational. Gerade daraus erklärt sich die ganze Idiotie, die in den letzten Jahrzehnten, ja im ganzen vorigen Jahrhundert in der Ökonomik der westlichen Welt zu beobachten war. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen, als ich mir nach der „Wende“ an der Potsdamer Universität eine Vorlesung über Geldtheorien anhörte und der erste Satz von Prof. Dr. Fuhrmann lautete: „Was Geld ist, kann man eigentlich nicht erklären.“ Und was dann an Erläuterungen über die Entstehung von Geld durch Kauf, Kredit und Verkauf folgte, war alles andere als rational – pure Beschreibung dessen, was an der Oberfläche der bürgerlichen Ökonomik uns als Erscheinung gegenüber tritt. Kein gedanklicher Ansatz, einmal durch Abstraktion auf das Wesen der Sache zu schließen oder die Theorie aus der Historie des Warenaustausches abzuleiten! In einem Kommentar für den „Vorwärts“ bezeichnete ich denn auch die große Krise der Banken als eine Krise der Wissenschaft. Letztere ist mit ihren Illusionen, die sie verbreitet, die eigentlich Verantwortliche für die Illusionen über das Geld- und Finanzsystem, denen sich Unternehmer, Banker, Politiker und diese ganze Gesellschaft hingeben, wenn sie wie im Fieberwahn spekulieren und Finanzberge anhäufen. Der jetzige Bundesfinanzminister Dr. Schäuble meinte im November 2008 in Berlin auf einer Luther-Konferenz in Hinblick auf die aktuelle Krise, uns bleibe nichts weiter übrig als weiterzumachen wie bisher, nach der Methode „Versuch und Irrtum“. Mit Geist und Rationalität hat das alles doch wohl wenig zu tun.

    Heerke Hummel

  156. Dr. Jens Langer sagt:

    Zum Gedenken an Günter Wirth (7.12.1929-5.12.2009)

    Drei Tage vor seinem Tod schrieb mir Günter Wirth in seinem nun letzten Brief, er wolle mit den Zeilen über seinen sich verschlechternden Gesundheitszustand wenigstens ein Signal senden. Zwei Tage vor seinem 80. Geburtstag ist er verstorben. Der Geburtstagsartikel ist zum Gedenkartikel geworden. Ihm dürfte der Hinweis auf den Herrnhuter Lehrtext für seinen Sterbetag recht sein: “Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir” (Hebräerbrief 13,14). Requiescat in pace! Unser Mitgefühl der Familie.
    Jens Langer, Rostock

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Lieber Dr. Langer,
      seit vielen Monaten liegt auf meinem Schreibtisch ein nunmehr zehn Jahre altes suhrkamp-taschenbuch “Der andere Geist von Potsdam”. Es ist ein Text, der es dem Leser nicht leicht macht, dem ich dadurch immer wieder Anregungen verdanke. Es ist ein Text von Günter Wirth. Wirth durfte ich Ende der 1970er Jahre im Kulturbund kennenlernen. Er war für mich ein großer Gewinn. Der ANDERE GEIST, den er selbst so hervorragend vertrat, ist wohl nötiger denn je – um so schmerzlicher, Wirths Stimme künftig vermissen zu müssen.

  157. Ulrich Scharfenorth sagt:

    Dass Barack Obama in Kürze weitere 30.000 Soldaten nach Afghanistan schicken will, steht nicht nur in krassem Widerspruch zur anstehenden Nobelpreis-Verleihung an ihn. Es markiert auch eine bodenlose Ignoranz, die nur durch seine „Gefangenheit“ im US-amerikanischen Establishment erklärt werden kann. Auch diese Aufstockung der Truppe auf dann fast 100.000 Mann wird die Probleme am Hindukusch nicht lösen – nicht einmal von der „Manpower“ her.
    Ich folge sehr ungern makabren Schätzungen. Eine ist dennoch nicht uninteressant. Die amerikanische Rand Corporation hat 2002 ermittelt, dass für »robuste Friedenssicherung und Staatenbildung« 11,5 Soldaten pro 1.000 Einwohner erforderlich sind. Das ergebe für Afghanistan eine Truppenstärke von 365.000 Soldaten. Die schier unüberbrückbare Differenz von 265.000 beschreibt demnach schon das „zahlenmäßige“ Dilemma. Ganz zu schweigen von den unerträglichen ethisch-moralischen Aspekten des Einsatzes.
    Wenn Obama die Vergleiche mit dem Vietnam-Krieg heute strikt zurückweist, wirkt das wie ein dummes Abwehrmanöver. Die ISAF-Aktion unterscheidet sich vom damaligen Vorgehen der USA nur dadurch, dass diesmal verbündete Truppen auf Basis eines UNO-Mandats „mitspielen“. Doch die rekrutierten Willigen spielen von ihrem Potential her („Manpower“+Technologie) keine wikliche Rolle. Und die Voraussetzungen für ein UN-Mandat entpuppen sich immer mehr als widersinnig.
    Barbara Tuchmann hat ihrem Buch „Die Torheit der Regierenden“ Ursachen und Verlauf des Vietnamkrieges ausführlich analysiert. Sie kommt dabei zu Schlussfolgerungen, die auch auf Afghanistan direkt anwendbar sind. Hiernach benennt sie drei Gründe für das damalige Fiasko: Dem Regierenden, der mit seiner Politik auf Irrwege geraten ist, sagt sie, falle es leichter, weiter zu gehen als umzukehren. Zudem veranlasse die so genannte „kognitive Dissonanz“ untergeordnete Politiker – und dann auch den Präsidenten selbst – „psychisch schmerzhafte Probleme“ zu unterdrücken, wegzuinterpretieren, zu verwässern und zu zerreden. Obwohl Kennedy die schwierige, ja aussichtslose Lage erkannte, handelte er wider besseres Wissen, und keiner seiner Ratgeber fiel ihm in die Zügel. Drittes Motiv sei ein persönlicher Vorteil gewesen. Kennedy hoffte auf eine zweite Amtszeit – die ihm in einer Sphäre des Kalten Krieges als „Rückzugspräsident“ nie zuteil geworden wäre.
    Und an andere Stelle vermerkt die Autorin: „Eine Politik, die ’an den aus dem Land selbst erwachsenen nationalen Zielsetzungen vorbeigeht oder sich gegen sie richtet’ , sei ’von vornherein zu Scheitern verurteilt’. Es ist eine niederschmetternde Tatsache, dass die Amerikaner während der langen Torheit in Vietnam immer wieder das Ergebnis vorausgesagt und dann ohne Rücksicht auf ihre eigenen Vorhersagen gehandelt haben.“
    Barack Obama ist dabei, die gleichen Fehler zu machen wie einst Kennedy. Sein, dem eigenen Wollen entgegen gesetztes Engagement wirkt zudem grotesk. Dass er mit seinem Vorstoß auch Druck auf die Verbündeten ausübt, macht die Sache doppelt schwierig. Auch Deutschland dürfte damit in den Sog des Verhängnisses gezogen werden – mit Folgen, die absehbar sind.
    Der Afghanistan-Kenner Peter Scholl-Latour hat die Gesamtlage erst vor ein paar Tagen treffend formuliert: „Selbst in Nato-Kreisen behauptet ja längst niemand mehr, dass wir in Afghanistan für die Demokratie kämpfen. Die wären schon hoch zufrieden mit einem einigermaßen stabilen Regime in Kabul und einem Staat, der sich allein verwalten kann.“ […] „Es ist eine Torheit des Westens zu glauben, dass sich unsere Form des demokratischen Zusammenlebens ohne weiteres auf andere Kulturen übertragen lässt“ […] „Auch die Behauptung, dass die Demokratie eine Art Vorbedingung für Wohlstand ist, stimmt ja nicht“ […] „Man sieht eigentlich nirgendwo in der dritten Welt und den Schwellenländern, dass sich unser Rezept durchgesetzt hätte“ („Rheinische Post“, 2. Dezember 2009). Bereits vorher hatte Scholl-Latour mehrere Male darauf verwiesen, dass der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen sei. Heute rät er zu Gesprächen mit den gemäßigten Taliban und den Saudis. Nur so sei ein „geordneter“ Rückzug der ISAF noch möglich.
    Ulrich Scharfenorth, Ratingen

  158. Werner Richter sagt:

    Ich habe mir ein kleines Spiel erfunden, wie der ältere, aber leicht besoffenen Herr schaue ich mir die Online-Zeitungen an, was die Damen u. Herren Journalisten so schreiben tun. Und dann beginnt das Spiel: Ist der Artikel arg meinstreamhaft oder strafbar oberflächlich, versuche ich die dort ignorierten Zusammenhänge zu hinterfragen. Die Redaktionen haben hierfür recht ideenreich Abwehrmechanismen entwickelt, die es dann zu überwinden gilt, herrlich. Neuestens geht mir die Berichterstattung über Demjanjuk gegen den Strich u. platziere den nachfolgenden Kommentar, den Spiegel-Online seinen Administrator abweisen ließ.
    „Saubere Endlösung“
    So soll es geschehen, nach Jahrzehnten schuldbewußten Asche-aufs-Haupt-Streuens in der Weltöffentlichkeit mit innerem Grollen kann jetzt unsere Gesellschaft zeigen, daß sie aus der Vergangenheit am besten gelernt hat, die Polen z. B. wollen einfach ihre Schuld nicht eingestehen, u. gleichzeitig einen grandiosen Schlußakkord posaunen, denn das Ende der biologischen Lösung ist erreicht. Das vernebelt das bisherige „Versagen“, war es das wirklich, u. wird im Weltgedächtnis bleiben, die deutsche Justiz ist gegenüber Unrecht unerbittlich u. die Welt kann daran wieder mal genesen. Da, wo welsche Gerichte in den USA u. Israel in Humanitätsduselei den Schwanz einzogen, wird die gerechte Hand der deutschen Justiz triumphieren, Unmenschen(wie einst Untermenschen) keine Gnade zu kommen lassen. Denn diese waren die eigentlichen Verbrecher, halb verhungert aus Kriegsgefangenenlagern oder als Mörder aus Zuchthäusern geholt u. vor die Wahl gestellt, selbst an die Wand oder mitgemacht, wählten viele die egoistische Variante, nur ums erbärmliche Überleben, pfui. Kein Erbarmen mit diesen Kreaturen! Die deutsche Justiz wird sauber gewaschen neu erstehen u. lästige Fragen nach ihrer Rolle bis heute erübrigen sich. Wozu auch die Geschichte aufrühren, die ist, wie zu jeder Zeit, Vergangenheit, Gott sei Dank. Was soll auch die Frage, wieso die deutsche Justiz von den ca. 200.000 Kriegsverbrechern aus den alliierten Fahndungslisten jahrzehntelang niemanden fand, geschweige denn anklagte u. schon gar nicht verurteilte. Es bringt heute auch nichts, nach der Verhinderungsrolle der zuständigen Staatsanwaltschaft (war es die Dortmunder?) zu fragen, die wohl das grandiose „Scheitern“ von Strafverfolgungen planmäßig verursachte, Schnee von gestern. War ja auch kein Wunder, wenn ganze Netzwerke von Gestapoleuten u. NS-Juristen dort das Sagen hatten. Hatten die sich etwa eingeschlichen oder selbst eingestellt? Naja, sowas passiert eben, hat aber auf die heutige Generation der dortigen Polizisten u. Staatsjuristen keinen Einfluß. Diese wurden von den „alten Kämpfern“, die Punkt Stunde null astreine Demokraten wurden, nur ausgesucht, ausgebildet, gehirngewaschen u. nach Afterkriech-Aspekten gefördert, die ansonsten unbeeinflußt völlig demokratisch gewachsen die Alten ablösten. Es war ja schlicht unmöglich, den Vorgesetzten der Demjanjuks, die argwöhnisch deren Handeln immer auch mit einem Strick in der Hand motivierten, niedere Beweggründe nachzuweisen, bei dem Befehlsnotstand. Waren ja auch im Grunde unschuldig im Gegensatz zu diesen Untieren, das ist gerichtsnotorisch, siehe Freisprüche für die Befehlsgeber der Demjanjuks. Daß heute in Dortmund ganze Stadtteile von Neonazis beherrscht werden, die Andersdenkende unter wohlwollendem Wegschauen der Staatsmacht bis zur Unerträglichkeit drangsalieren, hat mit dieser Geschichte nichts zu tun, diese Parallelen sind reiner Zufall. Wie die ganze Bundesrepublik seit ihrer Gründung, ja schon vorher, ein Ausbund an Demokratie ist, entgegen anders lautenden Gerüchten über unzählige Nazis an Schaltstellen, die dort weitermachten, wo sie 1945 aufgehört hatten, Verfolgte der Nazizeit auch weiterhin zu drangsalieren, ist die Justiz auch heute die lauterste demokratische Einrichtung, die jetzt endlich die Vergangenheitsbewältigung an den wahren Schuldigen vollendet. Fragen nach der geistigen Struktur in der Justiz wie der gesamten Staatsmacht wären da völlig fehl am Platz. Wer ist eigentlich perfider, die alten Juristen, die nach 1945 Ihresgleichen Verbrechen absicherten, oder die nachfolgende Generation, die diese Rolle vertuscht u. wo ordnen sich die Journalisten ein, die da nichts hinterfragen? Halleluja!

    • Werner Richter sagt:

      Selbstverständlich ist es nicht “mein stream”, sondern “main Strom” oder so. Sorry!

  159. Gerd Kaiser sagt:

    WIRSING

    In der Hoffnung, daß Herr Fabian Ärmel im künftigen BLÄTTCHEN-Online seine Rubrik “Wirsing” weiterführen wird, erlaube ich mir, ihm vorab etwas ins Handwerk zu pfuschen, indem ich untenstehende Angelegenheit zur Kenntnis gebe:

    Professor Dr. Joachim Sauer, Arbeitsgebiet Quantenchemie, privat “First Husband”, ließ dieser Tage während einer Podiumdiskussion in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften seine ab- und Zuhörer wissen, daß an der Akademie der Wissenschaften der DDR, der früheren Wirkungsstätte der Frau Gemahlin, Dr. Angelika Merkel, ein Drittel der Mitarbeiter nicht gearbeitet, ein weiteres Drittel das eigentlich leistungsfähige letzte Drittel von der Arbeit abgehalten habe.
    Leider gab er keine Antwort auf die Frage, welchem Drittel die nunmehrige Familie Merkel-Sauer zuzuordnen gewesen war. Sie wird doch nicht etwa durch exzellente Forschungsergebnisse die DDR gestärkt haben?
    Gerd Kaiser

  160. Die Redaktion sagt:

    Liebe Bettina,
    bis Mitte dieses Jahres konnte man das, denn bis dahin erschien das Blättchen als zweiwöchentliches Oktavheft.

    Ab Januar 2010 wird es nun online herausgegeben. Ob nur zwischenzeitlich oder dauerhaft, wird sich zeigen und nicht zuletzt vom Interesse der Leser abhängen.

    Muß letzterer nunmehr auch auf den sinnlichen Genuß eines Druckwerkes verzichten, spart er somit allerdings auch Geld; der Bezug von Blättchen-online ist kostenlos.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Die Redaktion

  161. Bettina sagt:

    kann man das blättchen auch abonnieren?

  162. Ulrich Scharfenorth sagt:

    Horst Thoren, dem leitenden Redakteur der Rheinischen Post (RP) wird bescheinigt, dass er sein Blatt im Laufe der zurückliegenden Monate flott aufgezogen und erfolgreich vermarktet hat. Dem äußeren Anschein nach ist das richtig: die Zeitung liest sich. Freilich nur dann, wenn man den Inhalten – zumindest im Wesentlichen – folgen möchte. Hier aber liegt der Kackpunkt. Die größte überregionale Rhein-Ruhr-Zeitung ist bis heute alles andere als eine objektiv berichtende Gazette, stattdessen aber ein fulminantes Sprachrohr des Konservatismus geworden. Gut, mögen Sie sagen, daran gibt es nichts auszusetzen. Der Leser kann schließlich wählen. Leider ist das in NRW kaum der Fall, denn echte Gegengewichte sind rar.
    Als ich am letzten Montag die Politik-Seite der RP aufschlug, glaubte ich mich tatsächlich in der BILD-Zeitung. Im Beitrag zum 7. Reformkongress der NRW-CDU nämlich gab es eine Passage zu Heiner Geißler, die einem die Schuhe auszieht. Dem verdienstvollen Querdenker wurde im Untertitel vorgeworfen, er habe die Tagung genutzt, um wie ein Jungkommunist über den Kapitalismus herzuziehen. NRW-Ministerin Christa Thoben sei nicht nur entgeistert gewesen, sie habe auch vermerkt, dass man Leute wie Geisler nicht hätte einladen dürfen.
    Ähnliches ist man eigentlich nur aus erzkonservativen Ecken der USA gewohnt. Wie heißt es dort so schön: Seid ihr nicht für uns, dann seid ihr Kommunisten. Politische Gegner aller Couleur werden damit auf einen Begriff genagelt, den kaum jemand im Land richtig definiert hat. Wohlauf RP, wohlauf, Frau Thoben, sie wandeln in diesen Fußstapfen. Die Demokratie lässt grüßen!
    Auf der gleichen Seite wird genüsslich das Gerücht kolportiert, dass Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht mehr verbinde als reine politische Arbeit. Christa Müller habe Ihren Mann aus eben diesem Grunde vor die Wahl gestellt, entweder die Kandidatur Wagenknechts zum Bundestag zu verhindern oder selbst zu verzichten. Nun gut, da hat man der Linken mal wieder gut eins verpletten können – ganz gleich, ob die Dinge wahr oder gelogen sind. Beim Leser gräbt`s sich ein.
    Nimmt man hinzu, dass die RP ihre Leser fast pausenlos mit der Schweinegrippe volldröhnt und den Hype um den armen Robert Enke bis spatentief unter die Erde begleitet, dann wird schnell klar, wie hier Auflage gemacht wird. Praktisch nirgendwo erfährt der Leser, dass die schweinegrippebedingten Todesfälle im Vergleich zur Influenza-Mortalität marginal sind. Dennoch wird “Schwein für Schwein” nachgegraben und Angst gesät – als ob es eine stillschweigende Panderix-Marketing-Vereinbarung mit der Bundesregierung gäbe. Auch bei Enke sind die Dimensionen total verzogen, denn sein Fall steht in krassem Kontrast zu den Afghanistan-Opfern, die zunehmend unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) leiden. Unser Glück ist, dass sich Fachleute und Politiker heute mehr als gestern um das Thema “Depressionen” kümmern. Fragt sich, ob das anhält – oder auch nur ein schnelles Tagesgeschäft bleibt.

    http://www.stoerfall-zukunft.de

  163. Frank Bitterlich sagt:

    Als ich eben hier auf der Blättchen-Website in den „neuen Texten“ die „Antworten“ las und mich insbesondere an der „Antwort“ delektierte,die dem Einzelhandelskaufmann Ramelow zugedacht war, meinte ich, einen neuen Artikel Albrecht Müllers von der Internetplattform NachDenkSeiten hier ins „forum“ stellen zu sollen. Man mag ja über DIE LINKE oder über Lafontaine denken wie man mag, was derzeit bei denen abgeht, ist einfach nur widerlich. Aber vielleicht kann es auch gar nicht anders sein in einer Gruppierung, die Worte wie „Sozialismus“ oder – weniger dramatisch – „Gemeineigentum“ und dergleichen zum Beispiel durch die Kampfziele „mitregieren“ und „Haushaltskonsolidierung“ ersetzt haben.
    Frank Bitterlich

    Mieses Spiel
    bei der Linken –
    wie am Anfang
    des Niedergangs der SPD

    von Albrecht Müller

    Ob die Partei Die Linke Teil und Träger der so notwendigen politischen Alternative zu Schwarz-Gelb werden wird, das hängt auch von ihrer inneren Entwicklung ab. Dort gibt es offensichtlich jedoch ähnlich fremdbestimmte Kräfte wie beginnend vor 37 Jahren bei der SPD. Vorgestern waren es genau 37 Jahre nach dem größten Wahlsieg der SPD mit 45,8 % im Jahr 1972. Willy Brandt musste nach gewonnener Wahl wegen geschädigter Stimmbänder ins Krankenhaus. Seine Stellvertreter Herbert Wehner und Helmut Schmidt begannen trotzdem mit den Koalitionsverhandlungen. Albrecht Müller. Mehr.
    Sie führten die Verhandlungen zu einem Ergebnis, das über weite Strecken dem Koalitionspartner FDP inhaltlich und mit einer äußerst großzügigen Zuteilung von Ministern entgegenkam. Sie zerbrachen damit die im Wahlkampf entstandene Aufbruchstimmung und die Hoffnung vieler Sympathisanten Willy Brandts und der damaligen SPD. Herbert Wehner, dem Willy Brandt für die Koalitionsverhandlungen detaillierte handschriftliche Leitlinien übergeben hatte, „vergaß“ übrigens diese Notizen in seiner Aktentasche. Willy Brandt stand, nachdem er das Krankenhaus im Dezember 1972 verlassen hatte, vor vollendeten Tatsachen. Damit war das Ende seiner Kanzlerschaft eingeläutet.
    Vorgestern musste Lafontaine ins Krankenhaus. Einer seiner Nachfolger-Aspiranten, der thüringische Oppositionsführer Ramelow befeuert gleichzeitig ungerührt die Diskussion um die Nachfolge Oskar Lafontaines als Parteivorsitzendem der Linken.
    Ich will die Parallelen nicht überstrapazieren. Aber sie sind nicht übersehbar. Der Wahlsieg von 1972 war wesentlich den Millionen von SPD-Anhängern und Sympathisanten Willy Brandts zu verdanken, die sich mit ihrem Bekenntnis zur Politik Willy Brandts in vielfältiger Weise in den Wahlkampf eingemischt hatten. Die konservative Meinungsforscherin Noelle-Neumann vom Allensbach-Institut hatte damals in besonders angelegten Forschungsversuchen herausgefunden, dass dieses Engagement der SPD-Sympathisanten den Wahlkampf beherrschte und wahlentscheidend war. Siehe dazu – und zu vielen anderen durchaus aktuellen Erkenntnissen – meine Dokumentation und Analyse „Willy wählen ’72“. Das Schlusskapitel dieses wichtigen Dokuments wird in den nächsten Tagen in den NachDenkSeiten eingestellt.
    Darin skizziere ich den Umgang der SPD-Spitze mit dem Hauptwahlsieger jener Wahl und den – wie ich finde – schamlosen Missbrauch der Krankheit Willy Brandts. In den Geschichtsbüchern kommt dies kaum vor, weil es nicht in das Schema der meist von konservativen Historikern geschriebenen Geschichte passt.
    Am Ende der Koalitionsverhandlungsprozedur und der davon geprägten Regierungserklärung im Januar 1973 waren jedenfalls die im Wahlkampf aufgebauten Engagements ernüchtert und zertrümmert. Darunter, unter der damit begonnenen programmatischen Entleerung und unter dem weiteren Druck auf Willy Brandt leidet die SPD bis heute.
    Oskar Lafontaine hat zwar keine direkt vergleichbare Mobilisierung von Menschen erreicht. Die Dimension ist eine andere. Aber auch von ihm kann man sagen, dass das gute Ergebnis der Linkspartei allgemein und insbesondere im Westen und noch mehr im Saarland ohne ihn nicht möglich geworden wäre.
    Wie bei Willy Brandt wurden auch bei Oskar Lafontaine angebliche Frauengeschichten in die politische Debatte eingespielt. Auch hier wie bei Willy Brandt gab es scheinheilige Erklärungen der Medien und der instrumentalisierten oder sich instrumentalisieren lassenden Parteifreunde. Der thüringische Fraktionschef Ramelow rief seine Partei auf, berichtete stern.de am 18. November, sich im kommenden Jahr gezielt auf die Zeit nach einem Ausscheiden Lafontaines vorzubereiten. Wörtlich: „Es muss ohne Lafontaine gehen“, so Ramelow in der „Leipziger Volkszeitung“.
    Und dann scheinheilig laut Focus vom 18. November: ‚Ramelow betonte: „Ich gehe davon aus, dass sich Oskar Lafontaine nach seiner Operation so gut erholt, dass er in den kommenden zwei Jahren weiterhin den Vorsitz führt.“ Lafontaine habe mit dem Vorschlag, dass die Partei eine Doppelspitze brauche, selbst die Programm- und Personaldebatte eröffnet. „Das ist angesichts seines Alters von 66 Jahren auch vernünftig, damit er nicht wie Franz Müntefering auf dem Parteitag nicht mehr weiß, wie er aus der Sache rauskommt.“
    Diese Einlassungen inklusive des Hinweises auf das (vergleichsweise jugendliche) Alter und den Vergleich mit Franz Müntefering, der seine Partei ruiniert hat, haben in etwa die „Qualität“ dessen, was ich beginnend vor 37 Jahren im Umgang mit Willy Brandt erlebt habe.
    Der thüringisches Oppositionsführer Ramelow macht seinen Vorschlag, über die Nachfolge Lafontaines nachzudenken, ausdrücklich nicht an der Krankheit, sondern am Alter von Oskar Lafontaine fest. Nun gut, wenn man genügend junge Leute hat, die fähig sind, dann kann man es sich leisten, Personen vom Schlage Oskar Lafontaines beiseite zu schieben. Ob der sich selbst ins Spiel gebrachte potentielle Nachfolger Ramelow die notwendigen Qualitäten aufweist, kann man sich durchaus fragen. Ramelow ist, wenn er sich wie zitiert äußert, geistig vermutlich sehr viel älter als Lafontaine mit seinen 66 Jahren.
    Das Netzwerk der Unterstützer Ramelows in den Medien funktioniert schon – ähnlich konstruiert und verlogen wie bei der Niedermache von Willy Brandt. Die für die Vorsitzendenwahl entscheidenden Funktionäre und Mitglieder der Linken bekommen zum Beispiel Nachhilfeunterricht von einer der „großen“ Publizistinnen der Hauptstadt. Brigitte Fehrle schrieb einen einschlägigen Kommentar in der Berliner Zeitung vom 20. November.
    Unter der Überschrift „Lafontaine, Macht und Pietät“ schreibt sie so tolle Sätze wie: „Bodo Ramelow ist kein brutaler Mensch. Als einer der wenigen in der Linkspartei praktiziert er aktiv den evangelischen Glauben und setzt sich für die Verständigung seiner Partei mit den Kirchen ein. Als der frühere thüringische Ministerpräsident Althaus nach einem Skiunfall, infolgedessen eine junge Frau starb, in den Wahlkampf zurückkam, war es Bodo Ramelow, der dies niemals gegen ihn verwendete. Wenn er also jetzt die Pietätlosigkeit besitzt und die Krankheit seines eigenen Parteichefs Oskar Lafontaine für eine Nachfolgedebatte nutzt, so liegt das nicht an seiner Bösartigkeit. Zu vermuten ist eher, dass es in der Partei einen immensen Druck gibt, die Führungsfrage zu diskutieren. Und dass Ramelow, mehr unbewusst als bewusst, diesem Druck nachgegeben hat.“ Der arme Ramelow.
    Das ist eine geradezu tolle Beschönigung, obendrein wunderbar verpackt von christlich verbrämter Nächstenliebe.
    Dann geht es bei Brigitte Fehrle weiter mit einem schon im Wahlkampf immer wieder hoch stilisierten angeblichen Konflikt in der Linkspartei. Fehrle wörtlich:
    „Seit Oskar Lafontaine und Gregor Gysi die Linkspartei zusammengeschmiedet haben, quält sich die Partei mit ihrer Führung. Lafontaine hat die Linke im Westen zu Höhenflügen geführt. Mit ihm an der Spitze konnte bei Landtagswahlen im Westen die Fünf-Prozent-Marke übersprungen werden. Mit Verweis darauf wurde in der Partei eine Debatte über Lafontaines Führungsstil, seine politischen Positionen und die Nachfolge unterbunden. Eine Debatte, die sich aufzwängt, bedenkt man, dass Lafontaine inzwischen 66 Jahre alt ist, Lothar Bisky 68 und auch Gysi nicht mehr der Jüngste. Will die Linke aber ihre Macht langfristig festigen, ist die Debatte über neue Köpfe nicht pietätlos, sie ist überlebenswichtig.“
    Man kann nur hoffen, dass die Funktionsträger der Linken aus der Geschichte lernen. Andernfalls, wenn sie ihre Partei ähnlich fremdbestimmen lassen, wie das mit der SPD zwischen 1972 und 2009 geschehen ist, dann haben sie ihre historische Mission, die Alternative zu Schwarz-Gelb wesentlich zu tragen und mit zu organisieren, verspielt. Ramelow arbeitet schon an der Dauerherrschaft von Schwarz-Gelb.

  164. Werner Richter sagt:

    Schönes Zitat, Freund Bitterlich, es belegt nahezu lehrbuchhaft seinen inneren Gehalt u., daß R. aus dem Osten kommen muß, egal, was er angibt. Nur ist daraus leider seine körperliche Größe nicht ersichtlich, schade. Er ist ein heißer Anwärter für die FS-Kategorie “Die Größten Deutschen”. Die Zeit ist reif, dorthin Nachwuchs einzubringen, der den Zeitgeist besser widerspiegelt als die verstaubten Goethe, Kant, Schiller. Eine neue Generation, Leistungsträger eben, ist gefragt, die der Dieter Bohlen, Guido Knopp, Lothar Mattheus, Dirk Niebel, Lilly Schönauer. Abrundend steht schon Peter Sloterdijk in der Disziplin “Geistige Größe” bereit, dem könnte Rindermann den Platz streitig machen. Wäre als Hilfsmaßstab die körperliche Größe sinnvoll, das müßte noch zu prüfen sein. Oder, wir machen neue Kategorien auf: einer für “Denken” u. einer für “Quasi-Denken”. Ne, auch keine Lösung, so würden nur neue Fragen aufgeworfen u. kein rundes Bild geschaffen werden.

  165. Die Redaktion sagt:

    Dr. Jochen Reinert †

    Jochen Reinert ist tot. Wie bereits zuvor bei der „Weltbühne“, hat er Zeit der zwölfjährigen Existenz des gedruckten Blättchens unser Heft mit seinen kenntnisreichen und anregenden Texten bereichert.

    Als langjährigem Korrespondenten in Indien und länger noch in Skandinavien galt diesen geopolitischen Räumen sein besonderes Interesse, ja, seine Liebe und Leidenschaft.

    Jochens Texte haben dafür ebenso Zeugnis abgelegt wie für seine Nähe zu den Granden der „Weltbühne“ – Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky, um deren Andenken er sich forschend und publizierend besonders verdient gemacht hat.

    Für all das danken wir Jochen.
    Wir sind sehr traurig.

    Die Redaktion

  166. Frank Bitterlich sagt:

    Nachtrag zum gestrigen Sedanstag,denn die untenstehende Erkenntnis muß einfach noch unter die Leute!:

    »Menschen sind in sozialistischen Ländern aber nicht nur weniger intelligent und wissen weniger, sie sind auch durch den geringen Wohlstand deutlich kleiner. Auf gesellschaftlicher Ebene wird damit deutlich: Sozialismus führt nicht nur zu intellektueller Selbstverzwergung, sondern auch zu physischem Kleinwuchs.«

    Der Sozialforscher Heiner Rindermann in der August-Nummer (723/ 2009) der “Deutschen Zeitschrift für europäisches Denken MERKUR”
    Da möchte man ja glatt drauflos kalauern: “Rindermann statt Rinderwahn!”

  167. Hans Jahn sagt:

    Der Mauerfall nach fortgeschriebener Überlieferung ins Jahr 2030
    ***

    Der Oberst zum Adjutanten:
    “Am 9. November jährt sich der Mauerfall, etwas, was nicht alle Tage passiert. Die Männer sollen im Drillich auf dem Kasernenhof stehen und sich über das seltene Schauspiel informieren. Ich werde es ihnen erklären.
    Falls es regnet, werde ich nicht draußen erklären, dann sollen sie in die Sporthalle gehen.“

    Adjutant zum Hauptmann:
    “Befehl vom Oberst: Morgen früh um neun ist ein Mauerfall. Wenn es regnet, kann man er vom Kasernenhof aus nicht sehen, dann findet er im Drillich in der Sporthalle statt. Etwas, was nicht alle Tage passiert. Der Oberst wird’s erklären, weil das Schauspiel selten ist.“

    Hauptmann zum Leutnant:
    “Schauspiel vom Oberst morgen früh neun Uhr im Drillich. Einweihung des Mauerfalls in der Sporthalle. Der Oberst wird erklären, warum es
    regnet. Sehr selten so was!“

    Leutnant zum Feldwebel:
    “Seltener Schauspiel-Befehl: Morgen um neun wird der Oberst im Drillich die Mauer fällen, wie es alle Tage passiert in der Sporthalle, wenn ein schöner Tag ist. Wenn’s regnet: Kasernenhof!“

    Feldwebel zum Unteroffizier:
    “Morgen um neun Verfinsterung des Oberst im Drillich wegen der Mauer. Wenn es in der Sporthalle regnet, was nicht alle Tage passiert, antreten
    auf’m Kasernenhof!

    (frei nach Peter Frankenfeld)

  168. Netz sagt:

    Diese kleine Humoreske Tucholskys ist 1907 (übrigens anonym)in der Zeitschrift Ulk erschienen.
    G.N.

  169. Holger P. sagt:

    Hübscher Text. Leioder ist nicht ganz klar, ob nun von Tucholsky (wie ich vermute) oder doch von Holger Netz. Erbitte Aufklärung…
    Holger

  170. Netz sagt:

    Dem Blättchen habe ich über die Jahre mehrfach die Neu- oder Wiederentdeckung von Tucholsky-Texten danken können. Nun will ich auch mal ein kleines beisteuern und grüße im Vertrauen auf die angekündigte Online-Ausgabe des Heftes ab Januar.
    Ihr Gerald Netz

    Vorsätze

    Ich will den Gänsekiel in die schwarze Flut tauchen. Ich will einen Roman schreiben. Schöne, wahre Menschen sollen auf den Höhen des Lebens wandeln, auf ihrem offenen Antlitz soll sich die Freiheit widerspiegeln …

    Nein. Ich will ein lyrisches Gedicht schreiben. Meine Seele werde ich auf sammetgrünem Flanell betten, und meine Sorgen werden kreischend von dannen ziehen …

    Nein. Ich will eine Ballade schreiben. Der Held soll auf blumiger Au mit den Riesen kämpfen, und wenn die Strahlen des Mondes auf seine schöne Prinzessin fallen, dann …

    Ich will den Gänsekiel in die schwarze Flut tauchen. Ich werde meinem Onkel schreiben, daß ich Geld brauche.

  171. Die Redaktion sagt:

    Wiewohl sich das Blättchen rezensorisch auf Sachbücher beschränkt,kann es folgende Veranstaltung und mehr noch das dort vorgestellte Buch nur wärmstens empfehlen.
    Die Redaktion
    ***

    Donnerstag, 12. Nov 2009 20 Uhr

    Kathrin Gerlof
    „Alle Zeit“
    Lesung und Gespräch

    Kathrin Gerlof erzählt die traurig-schöne Geschichte von fünf Frauen, die einander sehr viel näher stehen, als sie glauben. Ein berührender Roman über das Altwerden und Neugeborensein, über Liebe, Verlust und neugewonnenes Vertrauen.

    Veranstaltungsort: Kavalierhaus
    Breite Straße 45, 13187 Berlin
    Eintritt: 4 €
    Gemeinschaftsveranstaltung mit der Caritas-Klinik „Maria Heimsuchung“

    Voranmeldungen erbeten
    BUCHHANDLUNG BEI SAAVEDRA
    Breite Straße 2a, 13 18 7 Berlin
    Fon 030 – 47 48 21 56
    Email: kontakt@saavedrabuch.de
    http://www.saavedrabuch.de

  172. Rüdiger Becker sagt:

    Lieber Herr “Liebermann”,
    nicht nur zum Verständnis dieses einen Ihnen angeführten Aspekts empfehle ich ein schmales Büchlein mit dem Titel “Postdemokratie”.
    Autor Colin Crouch belegt darin ziemlich plausibel, daß wir eh auf dem Weg zurück sind in Zeiten der Vordemokratie.
    (Erschienen 2008 bei edition suhrkamp)
    Rüdiger Becker

  173. Max Liebermann sagt:

    Vorwärts ins 19. Jahrhundert!

    Die Sozialgesetzgebung bzw. Sozialgesetze waren ein Versuch des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck, auf die – im Zuge der Industrialisierung entstandene – soziale Not der Arbeiterschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert zu reagieren.
    Bismarck hatte die politische Sprengkraft der extremen sozialen Gegensätze erkannt und wollte dem entgegenwirken, nicht zuletzt, um der sozialistischen Bewegung den Nährboden zu entziehen. Es galt, der noch jungen Nation zu beweisen, dass der Staat mehr zu bieten hatte, als die politischen Vertretungen der Arbeiterschaft wie SDAP (Sozialistische Deutsche Arbeiterpartei) und ADAV (Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein)(ab 1875 gemeinsam als SAD (Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands), Umbenennung im Jahre 1890 in SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands)) und sie auf diese Weise fest an die Regierung zu binden. Außerdem machte auch das repressive Sozialistengesetz einen Ausgleich notwendig (Politik mit „Zuckerbrot und Peitsche“).
    Langfristige Absicht Bismarcks war, die Autorität der Regierung gegen das erstarkende Proletariat abzusichern.
    Im Zuge der Sozialgesetze führte Otto von Bismarck 1883 die Krankenversicherung und 1884 die Unfallversicherung ein. Zunächst waren nur Arbeiter zwangsversichert. Beide Gesetze machten die Schaffung von Krankenkassen wie z. B. die AOK und Berufsgenossenschaften unabdingbar, um den Arbeiter bei einer möglichen Arbeitsunfähigkeit vor großer Not zu bewahren. Die Beiträge zur Krankenversicherung wurden zu 1/3 von den Arbeitgebern und zu 2/3 von den Arbeitnehmern getragen, die Unfallversicherung hingegen finanzierte der Arbeitgeber komplett. Bei der später eingeführten Rentenversicherung standen die Einzahlungen dann im Verhältnis 50:50.

    1885-1913 Beiträge der Arbeitgeber: 6.670.413.000 Mark;
    Beiträge der Versicherten: 5.949.365.000 Mark;
    Beiträge des Staates: 806.643.000 Mark;
    Entschädigungen wurden gezahlt: 10.818.740.000 Mark

    Quelle: Wikipedia

    Mit schönen Grüßen, Max Liebermann

  174. Die Redaktion sagt:

    Liebe Kritiker unseres derzeitigen Internetauftritts!
    Wir lernen doch und “üben” noch – und deshalb bitten wir um etwas Geduld und um etwas Nachsicht. Es kann alles nur besser werden, und irgendwann wird es dann sehr gut sein …
    Wolfgang Sabath & Heinz Jakubowski

  175. Olaf sagt:

    Ich sehe ja ein, daß die derzeitige Präsentation noch provisorisch ist. Aber kann man sie nicht trotzdem sauberer anbieten als bisher. Und wenns nur um solche Dinge wie Abstände zwischen den Texten oder den Überschriften zu den Texten oder die einheitliche Kursivierung von nachgestellten Verlagsangaben bei Rezensionen geht. Das macht doch keine große Mühe, findet der ansonsten Blättchentreue
    Olaf

  176. Kay Stolze sagt:

    Zwar fehlt mir das gedruckte Heft nach wie vor, aber dennoch chön, dass es weitergeht, wenn auch – wenn ich das richtig sehe – zunächst nur provisorisch.
    Wenn Euch ab Januar eine richtig gute Homepage gelingt, bin ich guter Hoffnung, daß Euch sehr viele der bisherigen Abonnenten treu bleiben werden.
    Beste Wünsche also für Wolfgang Sabath und die Autoren,
    Kay

  177. Werner Richter sagt:

    Nach den Wahlen
    Demokratie oder das, was man damit bezeichnet, könnte ganz angenehm sein, wären da nicht die Wahlen, besonders die letzten, vermutlich auch die nächsten. Dabei hielt ich eisern meinen Entschluß durch, niemanden zu wählen u. das war anstrengend. Was müssen erst die durchlitten haben, die ihre Stimmen schön brav verteilten oder auch nicht. Die Belastung hält aber noch weiter an: war es richtig, wie jetzt weiter bzw. beim nächsten Mal blubbert öfters in meine Gedankengänge. Als ob das nicht genug sein, fiel mir noch dank meiner chaotischen Lesegewohnheiten das Buch von Wolfgang Herles: „Das Saumagensyndrom“, 1994, in die Hände. Danach war es mit meiner Rentnerbeschaulichkeit endgültig vorbei, die letzte leise Hoffnung, meine Bedenken seien Hirngespinste, hat dieser Kerl ungerührt restlos zerschmettert. Dabei schreibt er ganz gut, ziemlich exakte Beobachtungen u. Wertungen der Politiklandschaft liefert er. Gut, ein bißchen viel soziologische Theorieansätze holt er zu Hilfe, so nach dem Motto des vorsichtigen Journalisten aus besserem Hause: viel hilft viel oder besser zu viel als zu wenig u. je renommierter die Theoretiker, desto unangreifbarer werde ich. Und so richtig scharf geht er trotz fataler u. beunruhigender, fundamentaler Fehlentwicklungen des politischen Systems, die er sehr präzise beschreibt, u. das schon 1993, mit der herrschenden Politikerklasse nicht ins Gericht. Eigentlich übt er genau genommen den Verständigen, die Verhältnisse, sie sind eben so. Sei es ihm nachgesehen, ein bisher wohlbehüteter u. gutbezahlter Journalist taugt eben nicht zum Revoluzzer. Aber er hat bemerkenswerten Ein- u. Überblick zu den Vorgängen in den Parteien, Regierung u. Parlamenten, seine Analysen würde ich brillant nennen. Zu einem Credo jedoch brauche ich ihn nicht, wir leben eben auf verschiedenen Planeten. Damit geht er auch recht vorsichtig um, verständlich, siehe oben, u. auch ungefährlicher ist es so. Nach der Lektüre habe ich keine Zweifel: Die jetzt in der Politik handelnden Organisationen u. Personen sind nicht willens u. in der Lage, eine analytisch bestimmte Richtungsänderung zu bewirken, die dringend notwendig wäre. So, wie die Strukturen objektiv wirken, kann nur eine permanente Verschlechterung der Situation, sprich Demokratiedemontage, erfolgen. Interessanter Weise benutzt Herles häufig Begriffe der Lehensbeziehungen, Oligarchien oder Privilegien, wenn er die Beziehungen in den Parteien, die voll auch in Regierung u. Parlamente durchschlagen, auf den Punkt bringt, bekanntlich übliche Herrschaftskategorien aus dem Feudalismus. Er mutmaßt hier eine vorherrschende Tendenz, mit Demokratie nicht gerade kompatibel, seit damals dynamisch zunehmend täglich jedermann beobachtbar, sehr glaubhaft. Sachfragen spielen in der Politik eine Nebenrolle, den herangezogenen Politiker mangelt es regelmäßig an Sachkenntnis, ganz zu schweigen vom Intellekt. Dumpe Gemüter, die als „Generalisten“ einzig die Machtkampftastatur virtuos spielen können, sind gefragt u. dominieren. Inzwischen haben die Zumutungen die Erträglichkeitsgrenze überschritten. Gäbe es doch die gesetzliche Institution des personenbezogenen Fernsehübertragungsverbot oder zumindest eine Vorankündigungspflicht aus Verbraucherschutzgründen für Schießbudenfiguren a la Westerwelle, Roth, Niebel, Pofalla, Scholz, wenn es sein muß, eingeschränkt nur für Herzkranke wie mich. Diese Typen haben die ganze Gesellschaft grundgesetzwidrig unter die undemokratischen Parteienstrukturen gezwungen u. setzen dieses in strategischen Bereichen außer Kraft. Wahlen sind zu reinen Shows verkommen, Reden u. Parteiprogramme wurden jeglichen Inhalts beraubt. Das Wahlsystem wird durch Abbau der Politikauswahlmöglichkeiten pervertiert, das fragwürdige Koalitionssystem u. die 5%-Klausel sichern den Machterhalt zumindest einer Partei, unabhängig vom Wahlergebnis. Als Wähler soll ich gezwungen sein, vorgegebene Übel durch Stimmabgabe nachträglich abzusegnen. Dafür machen die Medien, die ja auch grundgesetzwidrig von den Parteien okkupiert wurden, unisono gewaltigen Druck: Nichtwählen ist antidemokratisch! Scheibenkleister! Änderung muß her, die kann nur von außen kommen, wegen mir wieder APO, nur reifer. Die Gesellschaft hat sich verändert seit APO-Zeiten selig, es gibt inzwischen eine Vielzahl von Vereinigungen u. Initiativen, Keimzellen der mündigen Bürger. Und es gibt erprobte Kommunikationstechniken, die unübersehbaren Widerstand der Gesellschaft sichtbar machen können. Es ist an der Zeit, die Bürgerbewegungen der auslaufenden DDR in die jetzige Republik zu bringen, sie hat es verdammt nötig. Ich habe bei der letzten Wahl die Probe gemacht:
    [Schade! Hier sollte der Handyschnappschuß meines Wahlscheines her, klappt nicht. Also: Wahlschein, zweimal mit orangenem Marker diagonal ungültig gemacht]
    Zugegeben, sehr spektakulär sieht das noch nicht aus. Es fehlt irgendein gemeinsames Zeichen, von jedermann zeichenbar, wird sich aber ganz gewiß finden. Welche Möglichkeiten bieten sich da! Herrlich! Hunderttausend so abgegebene Stimmen brächten einiges in Bewegung, da bin ich mir sicher. Die erste Etappe wäre mit einer, zeitweilig begrabenen, Verfassungsdiskussion bewältigt. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

  178. Erhard Weinholz sagt:

    Hallo,

    ich lese am 5. 11. um 20 Uhr im Cafe Tasso, Frankfurter Allee 11, Eintritt frei, um Spende wird gebeten,
    am 12. 11. im Café Boheme,Winsstr. 12, 10405 Berlin, 20 Uhr, Eintritt frei,
    und am
    17. 11. im Nachbarschaftstreff Schmargendorf, Sylter Straße 12/Ecke Zopotter Straße, Bus 249, 186, 19 Uhr, 5,– Euro, ermäßigt 3,– Euro

    aus meinem Buch “Schon vorbei” (vielleicht auch noch andere Texte) und würde mich freuen, wenn Sie bei einer der Lesungen vorbeikommen würden.

    Grüße von Erhard Weinholz.

    Textprobe:

    Abschied von der Insel

    Ein Verlust ist anzuzeigen, eine schwer zu beschreibende, aber dennoch spürbare Art von Freiheitsberaubung: das Verschwinden des alten Stralau. Der Name der zum Bezirk Friedrichshain gehörenden Spreehalbinsel ist in Berlin sicher allbekannt, die Örtlichkeit selbst aber wohl nur wenigen. Den meisten, mir ging es lange Zeit nicht anders, zerfällt die Großstadt in eine Reihe gesonderter Orte des Wohnens, Arbeitens, Einkaufens, der Erholung. Was dazwischen liegt, sind Wege, der Rest bleibt unbeachtet.
    In diesem Falle zu Recht, mag man sagen. Denn was ist, was war, muß es jetzt schon fast heißen, bemerkenswert an diesem alten Stralau, das nicht einmal das ganz alte mehr ist? Architektonisch fast nichts. Das Fischerdorf, der Villenvorort, die beide auf ihre Art reizvoll gewesen sein mögen, waren seit Ende des letzten Jahrhunderts allmählich verdrängt worden von Mietshäusern, Bürogebäuden und Fabriken. So war hier die gleiche Mischung von Wohnen und Gewerbe entstanden wie anderswo in der Stadt. Nur war, was sich in Zentrumsnähe zusammendrängte und übereinandertürmte, hier auf die Fläche verteilt und mit viel Grün durchmischt. An Stralaus Vorzeit erinnerten schließlich allein noch die Kirche und ein Denkmal auf der Parzelle des längst schon verschwundenen Fischerhauses, worin der Student Marx 1837 einige Monate logiert hatte.
    So abgelegen wie damals ist der Ort schon seit langem nicht mehr; er ist, nur ein paar S-Bahnstationen vom Alex entfernt, von den Bahnhöfen Treptower Park und Ostkreuz zu Fuß in wenigen Minuten zu erreichen. Dennoch hatte ich, wann immer ich in den achtziger Jahren den Tunnel durch den Ringbahndamm passiert und den Lärm der sechsspurigen Stralauer Allee hinter mir gelassen hatte, auf einmal das Gefühl, fernab vom Zentrum zu sein. In einer Gegend zudem, die der vielzitierte Fortschritt kaum berührt zu haben schien: Schlaglöcher, rostige Zäune, langsam zerbröckelnder Putz. Kaum ein Auto war zu sehen, selten nur ein Fußgänger. Im HO-Kramladen Alt-Stralau Nr. 70 fand ich manchmal Dinge, Kapern etwa, die anderswo gerade ausverkauft waren. Wäre ich in irgendeinem Winkel auf eine Losung wie “Deutsche an einen Tisch ” gestoßen, es hätte mich nicht gewundert. Doch gearbeitet wurde auch hier: Hin und wieder war aus der Engelhardt-Brauerei Flaschenklirren zu hören, aus der Glashütte dumpfes Krachen. Ein Vormittagsspaziergang mitten in der Woche hatte so auch etwas vom Genuß des Schuleschwänzens an sich. Weit hinten hingen, mein Inselgefühl noch verstärkend, als Zeichen einer moderneren Welt die Dampfwolken des Kraftwerks Klingenberg am Himmel.
    In den ersten Jahren nach der Währungsunion mußten die meisten Stralauer Betriebe schließen. Ihre Überbleibsel waren nun Treuhand-Eigentum, aber das war mir egal: Ich drang in ihr Gelände ein, stöberte in funktionslos gewordenen Baracken herum, eignete mir zumindest betrachtend an, was ich zuvor nur dem Namen nach besessen hatte, und verwirklichte so auf nicht ganz zulässige Weise einen schäbigen Rest der großen Idee des Volkseigentums. Als materielle Ausbeute blieb mir eine Schüssel mit blauem Rand und dem Firmenzeichen der Deutschen Binnenreederei; ich nutze sie beim Kartoffelschälen.
    Der Holländer Constant, der Situationistischen Internationale angehörend, hatte 1966 in seinem “New-Babylon”-Text von der Suche nach dem Illegalen in der funktionalen Stadt gesprochen, nach dem Abenteuer, das in letzten Teilen der Altstadt ein kümmerliches Dasein friste. Solche Orte seien Sammelpunkt all derjenigen, die sich von der utilitaristischen Gesellschaft absondern oder von ihr abgewiesen werden, ein Reservoir kreativer Triebe und damit ein Vorgriff auf die künftige Stadt des freien und kreativen Menschen. Stralau hätte solch ein Ort werden können: eine der immer wieder nicht nur von außen, sondern auch durch Selbstvermarktung bedrohten und daher zum Vagabundieren genötigten Lokalitäten möglichst zwanglosen Denkens und Handelns, wie sie sich einst in Mitte im Tacheles oder im kurzlebigen LomoDepot geboten hatten. Der unvollkommene, sogar marode Zustand der Gegend wäre dafür kein Hindernis gewesen. Im Gegenteil, er hätte als Einladung zu eigener Gestaltung verstanden werden können.
    Ich war auch nicht der einzige, der Stralau in diesem Sinne für sich entdeckt hatte. Etliche Fabrikhallen wurden einige Zeit für Rockkkonzerte genutzt. In die Hüttenhäuser, einst als Unterkunft für Glashüttenarbeiter errichtet, zogen Ende 1994 BesetzerInnen ein. Auf eine noch weit weniger gesicherte Existenzweise stieß ich im Herbst ’96 am Rande des Glashütten-Geländes: Hier, am Fuße der Halbinsel, mit Blick auf die Rummelsburger Bucht, hatte sich in einer dünnwandigen Laube ein – so vermute ich – Obdachloser eingerichtet. Neben seiner Behausung war allerlei Alteisen aufgehäuft, verbogene Rohre, rostige Fahrradrahmen, Bettgestelle; was er damit vorhatte, war nicht zu erkennen.
    Zu der Zeit begannen bereits andere, erheblich stärkere Kräfte, das Schicksal Stralaus zu bestimmen. Im Sommer ’92 war vom Senat die Entwicklungsträgergesellschaft Rummelsburger Bucht (ERB) gegründet worden, deren Planungsraum außer Stralau das angrenzende Areal am Bahnhof Ostkreuz und das unwirtliche Gelände nördlich der Bucht umfaßt, auf dem sich zu DDR-Zeiten Kasernen und das Untersuchungsgefängnis Rummelsburg befunden hatten. Das gesamte Gebiet, das ihr lediglich als „fehlgenutzte Fläche“ galt, sollte völlig umgestaltet werden. Im Februar ’93 wurde in der Presse ein erster Entwurf veröffentlicht, der noch mit den Berliner Olympiaplänen verknüpft war: Die neuen Stralauer Wohnanlagen sollten Teil des zukünftigen Olympischen Dorfes sein.
    Berlins Olympiabewerbung scheiterte jedoch, und von einem Baubeginn war vorerst nichts zu sehen. Vielleicht, so dachte ich damals, würde auch Stralau zu jenen Teilen der Stadt gehören, die, wie es bei Constant heißt, allen Säuberungsversuchen der Utilitaristen und Funktionalisten entwischt zu sein scheinen. Doch das erwies sich als ein Irrtum.
    Der Standort Rummelsburger Bucht ist ja in der Tat ideal: zentrumsnah gelegen, verkehrsgünstig und obendrein am Wasser. In der S-Bahn-nahen Hälfte Stralaus wird einer der Wohnschwerpunkte des Entwicklungsgebietes liegen. Man will dort nicht einmal tabula rasa machen: Einige denkmalgeschützte oder gut erhaltene Wohn- und Gewerbebauten, so der markante Palmkernspeicher am Stralauer Nordufer, bleiben erhalten, und die geplante Bebauung greift mit ihrer Zeilenstruktur die alte Stralauer Flurstücksteilung als Zitat auf.
    Die Obdachlosen-Laube ist inzwischen verschwunden. Die Hüttenhäuser waren zuvor schon, im April ‘96, geräumt worden. 1997 wurden die ersten Stralauer Neubauten fertig, teils Fünf-, teils Sechsgeschosser. Es sieht alles ganz hübsch aus und durchaus nicht monoton, aber trotz mancher architektonischen Zitate kaum anders als in all den anderen neuen Wohngebieten in und um Berlin, im Kirchsteigfeld, an der Havelspitze oder in Karow-Nord. Zwar könnte ich, etwa auf dem geplanten Uferweg, auch in Zukunft in dieser Gegend spazierengehen. Ich weiß nur nicht, was ich dort noch zu suchen hätte.

  179. Peter Jacobs sagt:

    Landung zwischen den Stühlen

    “Unser Platz ist immer zwischen den Stühlen.” Jörn Schütrumpf, Verleger des Weltbühne-Nachfolgers Das Blättchen, wurde zwölf Jahre lang nicht müde, diesen Tucholsky-Satz zu wiederholen. Solange behauptete sich die kleine ziegelrote Publikation mit dem alten Weltbühne-Format in der linksintellektuellen Nische des vereinten Deutschland, in der auch Zeitungen wie etwa Der Freitag zu finden sind.
    Jetzt haben die Blättchen-Macher die Erfahrung machen müssen, dass der Versuch, zwischen den Stühlen Platz zu nehmen, eine harte Bodenlandung nicht ausschließt. Nummer 20, 12. Jahrgang, datiert vom 28. September, präsentiert sich als letzte Printausgabe ihrem Leserkreis. “Die Marktgesetze konnten nicht einmal wir außer Kraft setzen”, gestehen die Macher ihren Lesern und fügen “nach zwölf Jahren freudvollen Tuns” melancholisch hinzu: “Wir hoffen, dass Sie unser Heft häufiger mit Gewinn lasen und Sie demzufolge seine Einstellung zumindest ebenso bedauern wie wir selbst.”
    Davon ist mit einiger Sicherheit auszugehen. Eine kleine Gemeinde von zuletzt noch knapp 600 Abonnenten und einer etwa doppelt so großen Anzahl von Kioskkäufern genoss das intellektuelle Niveau und empfand manches kulturelle Vergnügen an den Betrachtungen zu Zeitthemen, Inland wie Ausland, dazu Buch- und Theaterrezensionen und Marginalien für den eiligen Konsumenten im Schlussteil. Ostblick auf die Welt, polemisch mitunter, aber keine Spielereien mit den Ost-West-Klischees und jede Zeile konsequent jenseits parteipolitischer Auseinandersetzungen.
    An Autoren hat es dem Blättchen nie gefehlt. “Weniger gestandene Journalisten, eher Fachleute mit wissenschaftlichem Hintergrund, die viel herumgekommen sind, ausgestattet mit leichter Feder, ohne den krampfhaften Ehrgeiz, mit einer aktuellen publizistischen Arbeit vor ihrer Kollegenschaft bestehen zu wollen”, rühmt der Historiker Schütrumpf. Mancher junge Autor fand beim Blättchen eine Startrampe, wo er sich erproben konnte für den Weg in die Tageszeitung oder die wissenschaftliche Publizistik. “Undruckbares kam natürlich auch”, erinnert sich Schütrumpf. “In so einer Nische melden sich gern ganz normale Genies, die glauben, sie hätten die Weltformel gefunden.”
    Finanziell auskommen mussten sie beim Blättchen all die Jahre ohne bezahlte Anzeigen und ohne Zuschüsse. Ein gutes Stück Idealismus schrieb immer mit. Am Anfang hatten sie fast tausend Abonnenten. Manch einer, der eher eine orthodoxe sozialistische Weltanschauung bedient haben wollte, sprang enttäuscht ab. Aus der Generation der vierzig- bis sechzigjährigen Intellektuellen, der eigentlichen Zielgruppe, wuchs ihnen mangels Werbung zu wenig Leserschaft zu. Aus plusminus Null wurde allmählich ein Minusgeschäft, die Schmerzgrenze war jetzt erreicht.
    Eckhard Spoo, Herausgeber des anderen, ebenfalls vor zwölf Jahren gegründeten Weltbühne-Nachfolgers namens Ossietzky, bedauert das Ende des Blättchens, obgleich es anfangs so schien, als stünden sich da in der linken Nische zwei Konkurrenten im Wege. Für sein in Berlin redigiertes und in Hannover editiertes Blatt hatte er 1997 den größeren Teil ehemaliger Weltbühne-Autoren binden und wohl auch den besseren Ost-West-Mix finden können, von Daniela Dahn bis Otto Köhler, von Kittner bis Kusche. Das Blättchen hat für Spoo in der letzten Ausgabe eine kostenlose halbe Anzeigenseite eingeräumt. So darf er vielleicht auf den einen oder anderen Abo-Wechsler hoffen.
    Was den Blättchen-Redakteuren Wolfgang Sabath und Heinz Jakubowski bleibt, ist die Internet-Plattform, die sie “fröhlicher denn je” (Schütrumpf) zu betreiben versprechen. Der Verleger selbst will sich auf den Karl Dietz Verlag und auf eigene Buch-, CD- und Ausstellungsprojekte konzentrieren.

    Berliner Zeitung”, 1. Oktober 2009

  180. Thomas Kuczynski sagt:

    Nachruf auf “Das Blättchen”

    Nachdem die Weltbühne 1993 totgemacht worden war, gab es im real unvereint gebliebenen Deutschland einige Unverbesserliche, die ein Nachfolgeblatt kreieren wollten. Sie fanden, wie so häufig in diesem Lande, nicht zueinander. Es war schon ein Glück, daß sie, weil beide zu einer Wochenschrift nicht in der Lage, sich auf ein alternierendes Erscheinen einigten, so daß jene, die beide abonnierten, in unbedachten Augenblicken davon träumen konnten, es gäbe sie noch, die eine Wochenschrift, in der einen Woche als Blättchen erscheinend und in der andern als Ossietzky.
    Aber wie viele von jenen, die es sich finanziell hätten leisten können, hatten beide abonnie rt? Die Idee allein schon schien den meisten völlig abwegig, wurde doch der eine Nachfolger von einem »Westjournalisten« gemacht und der andere von einem »Osthistoriker«. Gar für beide zu schreiben galt Außenstehenden – aber nicht nur diesen – nahezu als Sakrileg, das nur besonders dickfellige Autoren wie der Schreiber dieser Zeilen begingen.
    Dabei ergänzten sich die beiden Nachfolger in mannigfacher Weise. Wer an scharfer Kritik an den Zuständen in der alten wie der neuen Bundesrepublik interessiert war, griff lieber zumOssietzky (das Blättchen war da viel zu zahm). Wer dagegen Kritisches zur Geschichte des Sozialismus und der kommunistischen Bewegung lesen wollte, fand das eher im Blättchen. In beiden Fällen schlug sich letztlich doch die Sozialisation der »Macher« nieder, die in guter alter Weltbühne-Manier lieber das eigene Nest beschmutzten als das »fremde«. Wer Berichte über das »neue« Osteuropa lesen wollte, fand dazu mehr und besseres im Blättchen, wen das »alte« Westeuropa mehr interessierte, wurde eher im Ossietzky fündig. Unter den besprochenen Büchern fand sich selten etwas aus den berüchtigten »Bestseller-Listen«, allerdings auch kaum eins, das in beiden eine Rezension erhielt. Bemerkenswert – und eine weitere Belohnung für jene, die sich den Luxus leisten konnten (und wollten), beide Hefte im Wechsel zu lesen.
    So ließe sich noch manches miteinander vergleichen. Nunmehr nur noch zum Nutzen desOssietzky, denn das Blättchen stirbt. Am 28. September ist seine letzte Nummer erschienen, weil die sozialen Folgen der andauernden Wirtschaftskrise die Zahl der Abonnenten so stark schrumpfen ließen, daß die Verleger dieses Zuschußgeschäft nicht mehr weiter betreiben konnten. Der Vorgang selbst ist nicht neu, schon gar nicht in der ohnehin ausgedünnten linken Presselandschaft, und in jedem Einzelfall, aber in diesem ganz besonders zu bedauern. Bleibt zu hoffen, daß die Leserinnen und Leser des Blättchens ihren Weg zum Ossietzkyfinden. Vielleicht auch einige der Autorinnen und Autoren.
    Thomas Kuczynski
    Wie Das Blättchen in seinem letzten Heft mitteilt, plant es für Januar 2010 eine online-Ausgabe.
    Aus “Ossietzky”

  181. Wolfgang Brauer sagt:

    Dreimal messen …

    Dreimal müsse man messen, ehe man einmal schneidet, sagt eine Handwerkerregel. Das gilt auch für ambitioniertes Bauen, zumal in Berlin. Hier zeigen sich alle Architekten und öffentlichen Bauherren seit den Zeiten Andreas Schlüters immer wieder vom komplizierten Baugrund und anderen planerischen Mißlichkeiten überrascht. Was hat das mit der neulich hier im „forum“ von Angelika Leitzke so trefflich problematisierten Wowereitschen Kunsthalle zu tun? Sie soll auf kompliziertem Baugrund am Humboldt-Hafen gleich gegenüber vom Hamburger Bahnhof entstehen, der kein Bahnhof mehr ist, sondern ein Museum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Geplante Kosten: 30 Millionen Euro. Und sie soll „ausschließlich zeitgenössischer, auch international ausgerichteter Gegenwartskunst in Berlin“ dienen. Dafür gibt es einen ab dem Jahr der Fertigstellung anvisierten Jahreszuschuss in Höhe vier Millionen Euro. Damit haben wir das Problembündel beisammen.
    „Berlin braucht eine Kunsthalle!“ So steht es in fetten Buchstaben über einer dem Abgeordnetenhaus vorliegenden „Konzeption“. Warum dies so ist, erschließt sich auch bei wiederholter Lektüre nicht so richtig. „Zeitgenössische auch international ausgerichtete Gegenwartskunst“ (was immer das ist) stellen in Berlin aus: der Hamburger Bahnhof (13.000 m² Ausstellungsfläche), die Neue Nationalgalerie am Potsdamer Platz (4.900 m²), die Akademie der Künste am Hanseatenweg (2.000 m² plus 540 m² am Pariser Platz), der NBK (764 m²), die NGBK (450 m²), die Berlinische Galerie (4.100 m²) , der Kunst-Werke e.V. in der Auguststraße (2.000 m²), das Zehlendorfer Haus am Waldsee (400 m² plus 10.000 m² Plastik-Garten). Das ist mehr Ausstellungspotential als der von Angelika Leitzke zitierte „private Schuhkarton“ auf der Schloßfreiheit. Die LANDES-KUNSTHALLE soll 2.000 m² Ausstellungsfläche haben. Eine Besonderheit hat sie im Vergleich zu den letzten drei landesgeförderten Instituten meiner Aufzählung: Die haben allesamt keinen Ausstellungsetat. Was könnten sie leisten, wären sie „auskömmlich“ ausgestattet? Nicht erwähnt habe ich die immer zahlreicher werdenden privaten Angebote, nicht erwähnt habe ich die darbenden kommunalen Galerien. Nicht erwähnt habe ich das Stadtmuseum, das sich – anders als zu Zeiten Leistikows – sehr wohl zeitgenössischer Kunst widmet. Das spricht nicht gegen die Idee einer Kunsthalle.
    Nur: Solange die öffentliche Hand ihre bestehenden Kunstinstitute mit einem ähnlichen Aufgabenprofil darben lässt, sollte sie kein neues installieren.
    Übrigens dürfte keine Landeseinrichtung in der Lage sein, gegen eine in unmittelbarer Nähe liegende Einrichtung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wie dem Hamburger Bahnhof (dessen Ausbau das Land Berlin finanziert hatte …) mit omnipotenten Sammlern im Hintergrund zu bestehen. Die Stiftung spielt Champions League… Es bleibt bei genauerer Prüfung der Argumente der Hinweis, hier gelte es mit Hilfe der Kunst ein unterentwickeltes Stadtquartier attraktiver zu machen. Die Gegend ist tatsächlich ein öder Acker. Letztens fand dort das bei manchem beliebte „Sandfigurenfestival“ statt. Ursprünglich sahen Klaus Wowereits Planungen vor, hier einen privaten Investor zu platzieren. Dieser sollte Baurecht für was auch immer erhalten. Einzige Bedingung: Er hätte eine „möglichst hochkarätige Sammlung“ dort in einem Privatmuseum unterbringen müssen und dem Land Berlin eine Kunsthalle bauen. Im selben Gebäude sinnigerweise. Die Kunsthallenidee sollte also mitnichten einzig der Kunst dienen. Sie war als Köder für Baulustige am sandigen Humboldthafen-Ufer gedacht. Mit Kunst hatte das wenig zu tun. Zudem erwies sich die Liste generöser Investoren als zu kurz. Genau genommen wars nur einer, dem kam wohl auch noch die Finanzkrise dazwischen. Die Sache platzte. Daraufhin entschloß sich der Senat, selber zu bauen. Für die besagten 30 Millionen Euro hart am Wasser. Auf wundersame Weise entspricht diese Summe genau der, die für die lange überfällige Erweiterung des Berliner Bauhaus-Archivs in die Finanzplanung des Landes eingestellt werden sollte. Es ist schon ein Bubenstück, im Bauhaus-Jahr 2009 die weltweit einzigartige Berliner Sammlung zugunsten einer sandigen Vision weiter in die Kisten verbannen zu wollen.
    Es gibt übrigens einen Gegenvorschlag zum Wowereit-Standort: Die Blumengroßmarkthalle an der südlichen Friedrichstraße. Favorisiert wird diese Idee von der Grünen-Kulturpolitikerin Ströver. Es geht um die Aufhübschung eines darniederliegenden Stadtquartiers, allerdings mit einem Grünen-Bürgermeister. Das gab es schon einmal. Als der Kreuzberger Bürgermeister und spätere Bausenator Peter Strieder (SPD) das Luxus-Immobilienquartier einer ehemaligen Brauerei am Kreuzberg „qualifizieren“ wollte, setzte der damalige Senat Himmel und Hölle in Bewegung, um die Berlinische Galerie in die noch auf Jahrzehnte nassen Brauereikeller zu setzen. Zum Glück für die Galerie ging der Investor pleite. Die Blumengroßmarkthalle soll zudem vom Jüdischen Museum genutzt werden. Das wäre erst einmal zu vertreiben und dies machte richtig gute Presse für Berlin.
    Christina Weiss, Kulturstaatsministerin im Kabinett Schröder (SPD), beschrieb einmal das „Defizit“ Berliner Kulturpolitik ganz knapp: Es müsse „mehr Glanz in die Hütte“. Dem diente auch das Kunsthallenprojekt. Am 12. Oktober beschloss der Kulturausschuß des Abgeordnetenhauses, dem Senat quasi eine zweijährige Ideenentwicklungsphase für die Kunsthalle einzuräumen. Dann erst wolle man über Bau oder Nichtbau entscheiden. Vielleicht reift in dieser Zeit der Gedanke, dass es besser wäre, erst einmal die bestehenden Potentiale für die Kunst und die Künstler intensiver zu nutzen.

  182. Stefan sagt:

    Einen Twitterkanal abonniert, würde man vielleicht auf deutsch sagen, aber das trifft es nicht so richtig. tatsächlich gibt es in der Netzwelt Dinge, die man schwer übersetzen kann, ohne unscharf zu werden. Nicht-Übersetzen darf meines Erachtens ein Stilmittel sein.

    Twitter bitte ich selbst zu googlen bzw. nachzuschlagen.

  183. Christoph Herzog sagt:

    Aber Herr Bitterlich: Sind Sie wirklich noch nie einem account gefollowt?
    Was für ein verpfuschtes Leben!
    Im bowing me bis auf weiteres smpathiesfull,
    Christoph

  184. Frank Bitterlich sagt:

    Wer den letzten Satz des ansonsten bedenkens- und lesenswerten und intelligenten untenstehenden Beitrages verstanden hat, tue das bitte hier im “Blättchen”-forum kund.
    Frank Bitterlich, altmodisch bis zum Gehtnichtmehr

  185. Stefan Kalhorn sagt:

    Am Sonnabend vor der Wahl werde ich noch einmal unsicher. Es geht ja um nichts. Warum eigentlich nicht die Piraten? Sie sind neu, sie sind noch nicht korrumpiert, sie sind netzaffin, demokratisch, grundrechtsbewußt, international und kommen aus Schweden. Sie haben schicke Buttons. Und tonnenweise Twitter-Accounts. Und machen diesen maritimen Long-John-Silver-Wahlkampf. He, wieviele Piratenbücher habe ich als Junge verschlungen? Warum eigentlich nicht?
    Ich mag keine Ego-Shooter und ich halte sie auch nicht für ungefährlich. Aber davon sollte man seine Wahlentscheidung vielleicht nicht abhängig machen. Ich kenne auch nette Leute, die Ego-Shooter spielen. Und wahrscheinlich gibt es auch Piraten, die andere Sachen spielen oder gar nichts, weil sie immerzu Foren und Blogs vollschreiben oder Wikis programmieren.
    Bin ich zu alt? Am Wahlstand der Piraten werde ich konsequent gesiezt, als ich in den orangenen Faltblättern krame. Ich klappere mal die Kandidatenlisten und Vorstände ab. Klar, die meisten lassen ihre Wäsche noch zuhause waschen, aber es gibt auch ein paar Ältere. Ein bisschen wenig Frauen sind dabei, aber ich bin auch keine Frau. Das kann man ihnen schlecht vorwerfen.
    Ich lese das Wahlprogramm. Den Teil mit den Urheberrechten verstehe ich nicht. Musik habe ich mir immer gekauft, auch als ich fast kein Geld hatte. Bücher auch. Und es gibt (leider völlig unterfinanzierte) Bibliotheken. Aber den Rest kann ich gut lesen. Ja, es gibt Kriminalität und natürlich gibt es auch im Internet Kriminalität. Und niemand behauptet, dass Kriminalität nicht verfolgt werden soll. Das Programm mutet beinahe schon anachronistisch an ob seiner Rechtsstaatlichkeit.
    Aber es ist mir viel zu kurz. Was ist mit der Krise? Was ist mit dem Krieg? Welche Wirtschaftsordnung wollen die Piraten? Welche Sozialordnung? Welches Menschenbild haben sie? Nachher sitzen die im Bundestag mit meiner Stimme und sind auf einmal so eine Art Retro-FDP!
    Es ist richtig: Der Mensch hat einen Anspruch auf Schutz vor dem Staat. Aber es ist auch richtig: Er hat auch einen Anspruch auf Schutz durch den Staat. Der Mensch ist nicht nur Individuum. Er ist auch ein soziales Wesen. Sehr richtig: Der Mensch braucht Information und deshalb Zugang zu Informationen. Er braucht aber auch Wasser, Nahrung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Energie, Krankenbehandlung, Sicherheit, Verkehr. Wie soll das organisiert werden? Wer soll das organisieren? Der Markt oder der Staat? Oder der regulierte Markt? Das Infrastrukturkapitel lese ich mit Wohlwollen. Ich hoffe, es kommt ein Kapitel über die Dinge hinzu, die man früher Daseinsvorsorge nannte. Früher, bevor die Leute mit dem Agenda-Sprech kamen.
    Ich habe dann doch nicht die Piratenpartei gewählt. Aber ihren Twitter-Account gefollowt, immerhin.

  186. Angelika Leitzke sagt:

    Berliner Dauerbrenner

    Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der seit seiner zweiten Legislaturperiode auch das Amt des Kultursenators bekleidet, hat in seinen Richtlinien für seine Regierungspolitik eine kommunale Kunsthalle gefordert, um Platz für die zeitgenössische Kunst aus Berlin zu schaffen. Diese sei zwar international präsent, erblicke aber in ihrer Heimatstadt gar nicht oder nur sporadisch in Museen, Kunstvereinen, Galerien oder auf Messen das Licht der Öffentlichkeit.
    Seit 1994 die Staatliche Kunsthalle an der Budapester Straße Nähe des Bahnhofs Zoo, 1977 eröffnet, geschlossen wurde, gibt es also an der Spree keinen Ort mehr, der sich systematisch der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Berliner Kunst widmet. Zwar hat seit Herbst 2008 der privatfinanzierte Schuhkarton auf dem Schlossplatz, genannt “Temporäre Kunsthalle”, diese Funktion teilweise übernommen, doch soll er ab 2010 dem Bau des Humboldt-Forums weichen. Damit stünde Berlin wieder vor der Frage: wohin mit einem kommunalen Kunsttempel und wer finanziert ihn? Schließlich haben Wowereit und sein Kulturstaatssekretär André Schmitz ihn 2006 als eines der obersten Ziele ihrer Kulturpolitik versprochen.
    Interessanterweise hatte Berlin schon vor 100 Jahren genau dasselbe Problem: So ist einem von Curt Glaser verfaßten Beitrag, der im Mai 1910 in der Berliner Monatszeitschrift “Kunst und Künstler” erschien, zu entnehmen, daß zwar Berlin eine Nationalgalerie und ein Märkisches Museum hätte, doch keinen Ort, um zeitgenössische Berliner Künstler adäquat präsentieren zu können. Denn wäre die Nationalgalerie bereits zu überfüllt, um noch weitere Kunst aufzunehmen, so das Märkische Museum zu sehr Kolonialwarenschau, um Werken von Lokalgrößen wie Liebermann, Leistikow & Co. eine angemessene Dauerbleibe zu garantieren.
    Damals ging es Curt Glaser nur um zwei Ölbilder und eine Gouache von Walter Leistikow, der, heute fast vergessen, zu Kaiser Wilhelms Zeiten ein wichtiger Kulturmann der Preußenmetropole war. Diese hatte zwar die Leistikows angekauft, sich aber keinerlei Gedanken darüber gemacht, wo sie unterbringen zu wären.. Zwar sparten damals die Stadtväter Geld für einen städtischen Kunstfonds, um jedoch, so Curt Glaser, am Ende nicht eine Kunsthalle, sondern einen Märchenbrunnen zu errichten – der 1913 tatsächlich eingeweiht wurde. Von dessen Ästhetik zehren die Bewohner des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg immerhin heute noch, doch die kommunale Kunsthalle fehlt nach wie vor – nachdem die Nazis sie zwar in Nähe des Roten Rathauses planten, sich ihre Architekturvisionen aber dann in Bombenrauch auflösten.
    Wir dürfen also gespannt sein, was das Jahr 2010 bringt: vielleicht eine Kunsthalle am Standort Kreuzberger Blumengroßmarkthalle, Heizkraftwerk Mitte oder Postfuhramt? Oder eine zur Minigalerie umfunktionierte Toilette im à la Schlüter rekonstruierten Stadtschloss? Oder ein praktikabel zusammenklappbares luftiges Kunstzelt, das sich je nach Lust und Laune der Stadtobersten an jedem beliebigen Ort aufstellen lässt? Wie heißt es doch so schön in Wowereits sündhaft teuren Werbekampagne für die deutsche Hauptstadt:
    “be open, be free, be Berlin”.

  187. Gerd Kaiser sagt:

    Der Arzt und Gott

    von Gerd Kaiser

    Marek Edelman, 1922 geboren im belorussischen Gomel, hat es nicht leicht gehabt, und er hat es sich nicht leicht gemacht. Sein Leben lang, das sich am 2. Oktober 2009 in Warschau vollendete, stand er auf eigenen Füßen und kämpfte, wie er mir einmal sagte, „für das Wichtigste im Leben – das Leben, ein menschenwürdiges, aufrechtes und gerechtes Leben“.
    Seine Mutter verstarb 1934, sein Vater noch früher. Da war ihr Junge bereits Mitglied im Socjalistischen Kinder-Farband, der Kinderorganisation des Allgemejnen Jidischen Arbejter-Bundes (Bund), der Partei jüdischer Sozialisten Polens, Litauens und Rußlands.
    Der junge Marek Edelman wehrte sich bereits in den frühen antifaschistischen Abwehrkämpfen der Jugendorganisation Cukunft gegen nationalistische Übergriffe der Falanga und der Endecja. Die Cukunft nahm 1939 ohne Säumen den Kampf auf Leben und Tod gegen deutsche Herrenmenschen auf, die Polen nahezu sechs Jahre unter ihrem Stiefel hielten. 1942 sorgte Edelman mit Gleichgesinnten dafür, daß sozialistische, kommunistische und zionistische Jugendorganisationen gemeinsam in der Jüdischen Kampforganisation ZOB (Zydowska Organizacja Bojowa) den Kampf aufnahmen. Edelman, er starb als der letzter der fünf Kampfkommandanten des Warschauer Gettoaufstandes von 1943, kämpfte auch im darauffolgenden Jahr im Warschauer Aufstand. Auch hier gemeinsam mit Aufständischen der kommunistischen Armia Ludowa (AL), weil die Armia Krajowa (AK), die Landesarmee, ihm und seinen jüdischen Mitstreitern nicht hatte garantieren können, daß sie nicht Opfer von Angriffen aus den Reihen der Antisemiten unter polnischer Flagge werden würden. Kämpfend überlebte er.
    Nach dem Medizinstudium war Lodz bis an ans Lebensende Stätte seines Wirkens. Tausende Tode hätte er sterben können, er rettete Tausenden das Leben. Als erster führte er in Polen als Herzchirurg neue Operationsmethoden ein, die Liste seiner wichtigsten wissenschaftlichen Publikationen beläuft sich auf hundert.
    Im Frühjahr 2001 hatte ich das Glück (redete er doch nicht mit jedem, und schon gar nicht mit jedem Deutschen …), Gast in seinem bescheidenen zweistöckigen Haus am Rande der abgewrackten Industriestadt Lodz zu sein. Wir sprachen über seine Lebenserfahrungen und auch über sein Verhältnis zu Deutschen, Drei Persönlichkeiten nannte er, derer er sich, ihres ehrlichen Verhältnisses zu deutscher Schuld und Verantwortung wegen, achtungsvoll erinnerte. An Willi Brandt, den sozialdemokratischen Kanzler, der 1937 als Emigrant in einem Jugendlokal der Cukunft in Warschau eine Bleibe auf der Reise nach Skandinavien gefunden und – ein Bett war nicht vorhanden – auf einem Tisch hartes Nachtlager fand, weil er 1970, „außerhalb des offiziellen Programms“, vor dem Denkmal der Warschauer Gettokämpfer niedergekniet war; Hans Koschnick, den Bremer Sozialdemokraten, „den einzigen deutschen Sozialdemokraten, mit dem ich befreundet bin“, und „die Sozialistin, selbst wenn dieser Begriff durch die Sowjets so diffamiert worden ist“, Rita Süßmuth, die Katholikin, CDU-Bundesstagsabgeordnete und erste gesamtdeutsche Bundestagspräsidentin.
    Alle drei außergewöhnliche Zeitgenossen, wie auch er. Ab 1976 hielt Marek Edelman im Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) und in den 80er Jahren in der Solidarnosc seinen Kopf hin. Wie auch Tadeusz Mazowiecki, („der erste Premier der richtigen, der alten Solidarnosc“) gehörte er zu jenen Politikern, die sich nicht verbogen, und die sich später an- und auch weggeekelt zurückzogen. Edelman war Sejmabgeordneter nur bis 1994.
    Das Feilschen deutscher Politiker und Unternehmer um die Zwangsarbeiterentschädigungen empfand er, wie er mir sagte, „als empörend“ und „die andauernden Verschiebungen der Zahlungen an die wenigen Überlebenden auf den St. Nimmerleinstag abscheulich. Ich selbst will von den Deutschen nichts. Ich habe meine Rechnungen im Kampf aufgemacht, ich habe mit den Mördern abgerechnet.“
    Und er schenkte ihnen nichts, bis zu seinem letzten Atemzug: „Hört auf, die Deutschen zu bemitleiden, ihnen geschieht kein Leid.“ Und: „Der Nationalismus ist fruchtbar, noch immer. Besonders in Deutschland. Bis vor kurzem war die Politik dieses Staatswesens auf Nationalismus begründet …. Es geht nicht um Buße, sie haben für eine historische Schuld zu bezahlen, so lange, bis aus der deutschen Mentalität das Verlangen nach Herrenmenschentum verschwunden ist … Ihre Mentalität geht mich nichts an, weil sie sich freuten, als meinesgleichen erschlagen wurde.“ Diese Ansichten Edelmans fanden in der deutschen Presse kaum Widerhall, man überging sie hochmütig. Dieser Edelman ward nicht gemocht.
    In einem ausführlichen Interview mit Krzysztof Burnetko und Jaroslaw Makowski für die 2003 noch liberale katholische Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“ sagte er (es war sozusagen sein letztes Wort zu diesem Thema): „Ich ziehe mir ihre Schuhe, die Schuhe von Henkersknechten nicht an … Nur Gott allein ist so gerecht, daß er sogar Henkersknechte beweint. Und ich bin nicht Gott.“
    Und weil er nicht Gott, sondern Mensch war, war sein letztes Buch, das kurz vor seinem Tode in Warschau erschienen ist, ein Buch über die Liebe: „Es war einmal eine Liebe im Getto“. Dem Buch ist ein Gedicht des gemeinsamen Freundes Wiktor Woroszylski beigegeben: „Der Arzt und Gott“. Es endet mit der Strophe:
    Und beide
    Der Arzt wie auch Gott
    Weinen um die junge Frau
    Für die alle Möglichkeiten der Rettung
    Sich erschöpft hatten.

    (Berlin, den 5. Oktober 2009)

  188. lapismont sagt:

    Habs grad durch Zufall im Feuilleton der Berliner Zeitung gelesen. Schade für den Nachfolger der Weltbühne!
    Freue mich aber ehrlich gesagt sehr auf eine online-Ausgabe! Ihr solltet einen Newsletter oder einen RSS-Feed einrichten, damit man mitbekommt, wenn es los geht.

    Alles Gute!

  189. Jochen Gutte sagt:

    Wenn’s auf moderne Weise via Internet weitergehen kann, soll mich’s von Herzen freuen, doch Ihr habt ja weiterhin Unkosten… – Das macht das geschenkte Abo-Geld doch nicht wett!
    Dennoch zeigt sich auch hier: Die Hoffnung…, na ihr wißt schon!
    Schön, daß die Stammleser und -schreiber geblieben sind!

  190. Werner Richter sagt:

    So ist der Mensch, verehrter Günther Drommer, der Sie im letzten, hoppla, mindestens zwei Bedeutungen sind getroffen, Blättchen Ihr Wahldilemma ausbreiteten. Ich hatte im Blättchen-Forum (28.08.) ähnliche Gedanken, soweit liegen wir da nicht auseinander, aber ich kam zur genau entgegengesetzten Schlußfolgerung. Ist ja eigenartig, wer hat dies nur so eingerichtet? Diesem Phänomen begegne ich seit Jahren u. es verblüfft mich immer wieder. Spinne ich oder der, frage ich dann, löse aber das Rätsel meist mit der Erkenntnis: wohl beide. Natürlich sehe ich mit Sorge die rechtsextremen Tendenzen, glaube aber andererseits nicht, daß diese eine unmittelbare Umsturzgefahr beinhalten. Die Analogie zu 1930-33 drängt sich scheinbar auf, ist aber tatsächlich nicht vorhanden. Da ist den Manipulatoren das offizielle Geschichtsmärchen hilfreich, die Nazidiktatur sei auf den Straßen erschaffen worden. Der Naziterror war die Voraussetzung u. Begründung, die „Machtergreifung“ war ein Staatsstreich des Großbürgertums, im Staatsapparat subversiv vorbereitet u. durchgeführt. Diese Gefahr sehe ich zur Zeit nicht, von der Straße weg kann man keine Regierung stürzen u. eine neue etablieren, das gelingt sehr selten. Entweder ist der Staat schon vollständig unterwandert, wie in Deutschland, oder die Regierung ist absolut handlungsunfähig, wie in Rußland. Ich habe den nicht unbegründeten Verdacht, hier einer latenten Erpressung der etablierten Parteien ausgesetzt zu sein. Wählt uns, sonst kommt der schwarze Mann. Seht uns den Sozialabbau, die Umsetzung von Banken- u. Konzernstrategien, die vorrangige Sicherung unserer Privatinteressen mit der uns gegebenen Gesetzesgestaltung nach. Ja, wir zerstören dabei auch die sogenannte Demokratie, es geht leider nicht anders, das müßt ihr verstehen. Geht trotzdem schön brav zur Wahl, wir sorgen dafür, daß ihr nur unter unserer Wenigkeit wählen könnt, denn nicht wählen nützt den Extremen. Wir, die einen Neofeudalismus der Finanz- u. Parteienoligarchie Stück für Stück aufbauen, werfen euch anderenfalls vor, ihr zerstört mit eurer Politikverdrossenheit die Demokratie, wie 1933. Der Popanz ist mir zu offensichtlich, ich mache da nicht mit. Ich stärke die Partei der Nichtwähler, die den Wahlzettel aus Protest unmißverständlich ungültig abgibt. Vielleicht gelingt es in naher Zukunft, daraus eine Bewegung des Widerstandes gegen die Erpressung zu formen.

  191. Trautz, Bernhard sagt:

    Schön zu lesen, daß Sie es mit einer on-line-Existenz versuchen wollen.
    Und schön auch, wenn Ove Lieh seine Bereitschaft mitteilt, auch daran mitwirken zu wollen. Darf man das bei den meisten Stammautoren des Blättchens auch hoffen?
    Einige wären mir z.B. durchaus wichtig.
    Hoffnungsvolle Grüße und beste Wünsche,
    B. Trautz

  192. Ove Lieh sagt:

    Liebe Leute,

    also, daß auch ich kein Geld zurück möchte, versteht sich von selbst,
    ebenso, daß ich dabei bin, wenn es mit dem Blättchen online weitergeht, soweit es meine Kraft neben dem Broterwerb erlaubt.
    Aber, Sie können mit mir rechnen.
    Ove Lieh

  193. Die Redaktion sagt:

    Geschätzte Freunde des Blättchens,

    danke für Ihre freundlichen Worte zum nun Vergangenen unseres Daseins. Der so vielfach geäußerte Wunsch nach einer Fortführung des Blättchens in einer Online-Variante hat uns veranlaßt, diesen Versuch nun doch unternehmen zu wollen.

    Bis auf weiteres geht es auf der Homepage – für Freunde der deutschen Sprache: Wohnungsseite – unter http://www.Das-Blaettchen.de weiter.
    Für Januar 2010 ist ein Blättchen-online in der Verantwortung von
    Wolfgang Sabath vorgesehen.

    Bis dahin wird unsere bisherige Homepage ständig ergänzt.
    Wir freuen uns, wenn Ihr Interesse am Blättchen auch bei dieser Erscheinungsweise erhalten bliebe – zumal Sie diese nichts kosten würde.

    Danke also nochmal für Ihre Zuneigung, die wir so gut zurückgeben wollen, wie wir dies können – gewiß unvollkommen, aber unabhängig, und ganz sicher weiterhin zwischen den Stühlen sitzend….

    Die Redaktion

  194. Jörg Schulz sagt:

    Sehr geehrte Damen und Herren Verleger und Autoren,

    nun halte ich die vorletzte Ausgabe des “Blättchen” in der Hand.
    Lassen Sie mich einfach nur sagen,daß es mir unendlich schwerfällt in Zukunft auf meine Lektüre zu verzichten.

    “Das Blättchen” und zuvor “Die Weltbühne”, die ich seit 1978 abonnierte, wurden mehr und mehr wichtig als notwendige Informationsergänzung im der jeweiligen medialen “Käseglocke”.

    Was habe ich nun für Alternativen??

    Jedenfalls danke ich Ihnen allen für Ihre schwierige und wertvolle Arbeit und wünsche Ihnen Gesundheit und Erfüllung.

    Ich bin sehr traurig.

    Mit freundlichen Grüßen
    Jörg Schulz

  195. Boris Turanski sagt:

    Es ist immer die alten Freunde zu verlieren. Die WELTBÜHNE abonierte ich nach meine Adresse in Moskau. Und war sehr zufrieden.
    Nach dem ich nach Deutschland umgesiedelete, wusste ich nicht, um das Existieren von Blättchen. Zufällig habe ich ES entdeckt. So bekam ich zurück den klugen, interessanten, vielseitigen Freund. Für einige Jahren sogar! Und schon wieder Abschied… Herzlichst wünsche ich das Wohlergehen allen Blättchenschöpfern! Aber die Hoffnung stirbt als Letzte. Die Hoffnung ist jetzt – online “Seitchen”.

  196. Werner Richter sagt:

    Halleluja!
    Na bitte, geht doch! Es ist kein Zweckoptimismus, der mich zu hoffen veranlaßt, es gibt immer eine Lösung, siehe hier. Gratulation, lieber Wolfgang Sabath, zur erfreulichen Mehrarbeit ohne Lohn, aber es muß sein, Sie verstehen das sicherlich. Nun können wir Schritt für Schritt gemeinsam (?) die Rückzugsposition befestigen u. Voraussetzungen zum Angriff schaffen. Ich frage nach „gemeinsam“, warum wollt Ihr immer alles allein tragen, das schafft Ihr nicht, das bisherige Geschehen zeigt es. Der mannhafte Einzelkämpferfeldzug der Vergangenheit, auch wenn Ihr derer dreien ward, engt naturgemäß die Flexibilität ein u. kann nicht gewonnen werden.
    Nun, der erste Schritt ist getan, Blättchen-online wird weiterleben. Kann mir aber denken, auch nicht so ganz ohne Kosten, wie alles, wie ich als Ökonom erfahren mußte. Also, müssen die Kostenquellen neu erschlossen u. künftige Strukturen angelegt werden. Meine Vorschläge gehen in folgende Richtungen, die sicher ausbaufähig wären:
    1. Öffnung des „Freundeskreises der Weltbühne/des Blättchens“, ordentliche Gründung, wenn nicht schon vorhanden, Gewinnung der Leser dafür
    2. Mitgliedsbeitrag in Höhe des bisherigen Abonnements für das Blättchen, vielleicht auch höher, wenn es die Kalkulation erfordert
    3. Begleichung der laufenden Kosten des Blättchen-online daraus u. Begleichung eventuell vorhandener Verbindlichkeiten aus den Überschüssen
    4. Gründung einer Stiftung der „Freunde der Weltbühne/des Blättchens“, Schaffung eines Fonds zur Wiederherausgabe des Blättchens, gespeist von den Beiträgen u. Spenden
    So müßte es doch gehen, mein Obulus ist hiermit versprochen, mögen andere folgen, ich bin gespannt.

  197. Steffen Spenke sagt:

    Liebe Herausgeber, Redaktion und Autoren,

    vielen Dank für die fast zwölf Jahrgänge des “Blättchens”.

    Ich hatte das Blättchen, seit 1963 in all den Jahren abonniert und natürlich auch mit Interesse gelesen, in denen es herausgekommen ist. Die meisten Hefte habe ich noch. Ich habe es gern gelesen und es hat mir geholfen, die Welt ein wenig besser zu verstehen.

    Auf die Rückerstattung der restlichen Abo-Gebühren verzichte ich natürlich.

    Ich würde mich freuen, wenn “Das Blättchen” wieder erscheinen könnte und werde natürlich die Internetausgabe zwischenzeitlich nutzen. Eine Preiserhöhung würde mich nicht schrecken, damit Kosten und Aufwand auch ausgeglichen werden.

    Mit freundlichen Grüßen und den besten Wünschen für die Zukunft aller bisher Beteiligten.

    Steffen Spenke

  198. Redaktion sagt:

    Liebe Freunde und Leser!
    Das wird nun nach zwölf Jahren freudvollen Tuns von Autoren, Lesern, Redaktion und Verlag die letzte Printausgabe sein, die Marktgesetze konnten nicht einmal wir außer Kraft setzen … Wir hoffen sehr, daß Sie unser Heft immer
    mit Gewinn lasen und Sie demzufolge seine Einstellung zumindest so bedauern wie wir selbst.
    Doch neigen wir nicht zum Trübsalblasen, man kann nicht alles haben, und man kann die zwölf »Blättchen«-Jahre auch so sehen, wie es unser Autor Henryk Goldberg, Erfurt, tat, der die Nachricht vom Hinscheiden des geliebten Periodikums per E-Mail folgendermaßen kommentierte:

    “Liebe Menschen, auch wenn Ihr wenig zu meiner Miete beigetragen habt, so doch einiges zu meinem Wohlbefinden. Nicht nur, aber auch deshalb senken wir Thüringer unsere Holzlanzen mit Trauer und Respekt. Ich hoffe, es geht Euch allen dennoch gut. Es ist doch auch schön, einmal etwas Schönes gemacht
    und gekonnt zu haben.
    Herzlichst & freundlichst & vermissend
    Henryk Goldberg.”

    In diesem Sinne bedanken wir uns für Ihre andauernde und gelegentlich heftige
    Zuneigung und dauerhafte Mitarbeit, ohne die wir nichts und nicht gewesen wären, was wir waren: ein rotes Heft zwischen den Stühlen.
    Heinz Jakubowski, Wolfgang Sabath, Jörn Schütrumpf

  199. Eckhart Spoo sagt:

    Liebe Kollegen,

    vielen Dank für fast zwölf Jahrgänge des “Blättchens”. Ich habe alle Hefte aufgehoben. In ihnen stecken starkes Engagement, viel Mühe und Sorgfalt von Autoren und Redakteuren. Ich kann das beurteilen.

    Hiermit verzichte ich auf Rückerstattung der Abo-Gebühren für den Rest des Jahres.

    Freundlich grüßt

    Eckart Spoo