Forum

Das Forum ist ein Ort, an dem Leser, Autoren und Redakteure ins Gespräch kommen können, vorzugsweise natürlich über Das Blättchen, seine Beiträge und Kontroverses sowie Interessantes mit Bezug dazu. Die Redaktion behält sich das Recht zur Kürzung von Forum-Einträgen vor.

Sie können einen neuen Kommentar schreiben und auf vorhandene Kommentare antworten. Nutzen Sie gern die Absatzfunktion, um längere Texte leserfreundlicher zu gestalten.

Die Redaktion behält sich vor, Beiträge mit Positionen deutlich außerhalb des vom Blättchen vertretenen Spektrums, mit persönlichen Angriffen gegen Dritte sowie mit extrem einseitigen oder aggressiven Inhalten auch ohne gesonderte Angabe von Gründen gegenüber den Verfassern nicht freizuschalten.

Hinweis: Bitte keine – auch keine kurzen – kompletten Beiträge anderer Autoren (z. B. aus Tageszeitungen oder dem Internet), auf denen ein Copyright liegt, ins Forum stellen, da dies zu urheberrechtlichen Problemen führen könnte. Es spricht allerdings nichts gegen entsprechend gekennzeichnete – auch längere – Zitate.

Falls Sie Antworten auf Ihre Kommentare abonniert und Fragen zu Ihren Daten haben, schreiben Sie bitte an redaktion@das-blaettchen.de.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

 Zeichen können Sie noch einfügen.

*

3.243 Beiträge im Forum

  1. Archivator sagt:

    Neuerlich ist die Forderung nach einem Verbot der NPD aufs Tapet gekommen, und neuerlich wird sie vielstimmig abgelehnt, da man ja wegen der V-Mann-Informanten doch eh wieder keinen Erfolg haben könne und außerdem ein Verbot auch nichts hülfe.
    Dazu ein kleiner Ausflug in das Blättchen-Archiv.

    ***
    NPD-Verbot
    Man stelle sich vor: Nowhereland I verhält sich feindlich zu Nowhereland II. Klar, daß beide Seiten, solange es zwischen ihnen nur kaltkriegerisch zugeht, untereinander auch Agenten platzieren, um die Absichten des jeweiligen Gegners zu ermitteln und diesem gegebenenfalls zuvorkommen zu können. Übermitteln solcherart V-Leute dann zweifelsfreie Informationen von der Absicht der anderen Seite, die eigene – von innen heraus oder von außen – kompromißlos zu zerstören, dann gilt es zweifellos zu handeln.
    Und nun stelle man sich weiter vor, daß die Regierung des bedrohten Landes aber nichts gegen seinen erwiesenen Todfeind unternimmt und dies damit begründet, man gefährde seine Informanten und deren weiteres Nachrichtensammeln. Man darf wohl davon ausgehen, daß, solange nicht das gesamte Kabinett aus Bekloppten besteht, noch soviel Vernunft obwaltet, die amtierenden Bescheidwisser in eine Klapsmühle zu überstellen.
    Soweit die Vorstellung…
    Herbert Jahn
    Aus: Das Blättchen 12/2008
    ***
    Verbotsverbot
    Ich möchte hier klarstellen: Ich bin gegen ein Verbot der NPD! Nicht, weil ich diese Partei mag; mein Gott, wofür halten Sie mich? Und auch nicht, weil ich denke, daß man die völkischen Intelligenzdenunzianten hierzulande oder wo auch immer bräuchte. Diese Partei und ihre Kombattanten sind durchaus schon das, was ihnen junge Antifas in kindermundlicher Putzigkeit zurufen: Scheiße!
    Aber eben: Mit Verboten erreicht man gar nichts; verbieten Sie mal Scheiße. Im Gegenteil – oft initiiert man ein “Jetzt-erst-recht-Trotzverhalten” gerade dadurch, daß man etwas untersagt. Hätten mir meine Eltern zum Beispiel dereinst das Rauchen verboten, vielleicht noch unter Androhung von Strafen, ich hätte heute schon mindestens ein Raucherbein. Habe ich aber nicht, denn ich rauche nicht, damals wie heute, schon weils mir niemand verboten hatte.
    Oder, um wieder in gesellschaftliche Dimensionen zurückzukehren: Würde der mainstreamige Antikommunismus in diesem Land durch ein Verbot der Linken oder auch nur der KPD-ML “Vierte Internationale” gekrönt: die kommunistische Bewegung in Deutschland hätte umgehend eine Massenbasis. Daß sich die Siegerjustiz ein solches Verbot trotz des immer wieder aufkeimenden Rufes danach bislang versagt hat, ist so gesehen ganz schön clever.
    Nochmal: Verbot ist blöd! Man muß vielmehr auf das Bewußtsein einwirken, erzieherisch, ja aufklärerisch tätig sein, auch unter der jungen Gefolgschaft der Braunen. Das erfordert einen längeren Atem als das Verbieten. Gewiß, aber es bleibt das eigentliche Erdfolgsrezept. Auf die Entdeckung des Dummheitsgens und dessen stammzellengestützten Ersatz durch eine Harmlosigkeits-DNA sollten wir besser nicht warten. “Wir können doch über alles reden!”, muß die Devise heißen und nicht: “Wegschließen!”.
    Beweise dafür, daß Verbote allein nichts nützen, gibt es in Hülle und Fülle. Und weil das so ist, hat meine Forderung denn auch einen viel umfasenderen Ansatz: Ich verlange die Aufhebung aller dreißig Straftatbesände des StGB! Denn seien wir ehrlich: Hat das darin festgeschriebene Verbot, jemanden zu töten, jemals das Morden verhindert? Haben die einschlägigen Gesetzestabus den Diebstahl, die Körperverletzung, Betrug, Bestechung, Insolvenzverschleppung etc. pp. ausgeschlossen? Wimmelt es nicht von Verkehrsunfällen, obwohl die meisten Ursachen dafür in der STVO allesamt ausdrücklich verboten sind?
    Ein Blick in das Statistische Jahrbuch der Bundesrepublik belehrt uns eines besseren: 6 391 715 Straftaten sind 2005 registriert worden (was nicht heißt, daß es nicht viel mehr gab); alles Delikte, die verboten sind! Mord und Totschlag:
    2 396 Mal! Gefährliche und schwere Körperverletzung: 147 122 Mal! Schwerer und einfacher Diebstahl: 2 727 048 Mal!
    964 754 Täter sind 2005 verurteilt worden – hätten wir mal besser das StGB abgeschafft und dafür mit allen geredet!
    Also: Statt die NPD zu verbieten, selbst wenn sie laut deutschem Verfassungsschutzchef Fromm “eindeutig verfassungsfeindlich” ist, sollten wir es so halten, wie es weiland schon Kurt Tucholsky anregte: “Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft.” Und: redet mit ihnen! Für geschliffene humanistische Argumente sind sie doch ganz bestimmt empfänglich.
    Heinz W. Konrad
    Aus: Das Blättchern 25/2007

  2. Zitator sagt:

    Berliner Zeitung (online) heute:
    Konjunkturschub
    Deutsche Wirtschaft wächst um 0,5 Prozent

    Berliner Zeitung (Print), auch heute:
    Krise erreicht Solarworld

    Welche Krise?

  3. HWK sagt:

    Mit 71 Jahren ist Jörg-Dietrich Hoppe, der Ex-Präsident der Bundesärztekammer, jetzt einer längeren Krankheit erlegen. Seines beständigen Kampfes für einen freiheitlichen Arztberuf wegen gibt das derzeit zu verdienten Würdigungen Anlass. Hat Hoppe nun seinen persönlichen Kampf mit der tödlichen Krankheit verloren, so leider zuvor bereits einen, der Ihm doch so wichtig war:„Wir sind keine Kaufleute und die Patienten sind keine Kunden“, lautete sein Credo, mit dem er sich gegen den allgegenwärtigen Trend, das Gesundheitswesen den Spielregeln der Kapitalverwertung zu unterwerfen, stemmte. Dass die Würdigung seiner Bemühungen in der Berliner Zeitung ausgerechnet in deren Wirtschafsteil zu lesen war, ist so gesehen kein Fauxpas, sondern Folgerichtigkeit.

  4. Die Bürgerbewegung muss die Reform der Finanzmärkte erzwingen!

    Die Situation um Europa und den Euro scheint verfahren. Dennoch sind Lösungen möglich. Allerdings keine schwarz-gelben:
    1) Derzeit treiben die Finanzmärkte die Politiker vor sich her. Das hat damit zu tun, dass Deutschland und Europa in großen Teilen fremdbestimmt sind – durch die wahnsinnige Verschuldung bei außereuropäischen Geldgebern. Die permanente Vergrößerung der Rettungsschirme bedingt eine weitere Neu-Verschuldung mit der Folge weiter wachsender Abhängigkeit. Hätten Deutschland und Europa das Geld von ihren Bürgern geliehen, wie das z.B. in Japan der Fall ist, dann könnten Rating-Agenturen nichts gegen den Euro bewirken. So aber warten die Sprachrohre der Gäubiger nur darauf, Geldhäuser, Unternehmen und Staaten weiter herabstufen und schließlich vernichten zu können.
    2) Was wir brauchen, ist die Rückführung der Abhängigkeit von außereuropäischen Geldgebern, ein Zurückdrängen außereuropäischer Unternehmen aus Europa und Zölle auf Billigprodukte, die kleine und mittelständische europäische Unternehmen mit gleicher Produktpalette ruinieren
    3) Der deutsche Export in Länder außerhalb der EU muss zu Gunsten des innereuropäischen Handels zurückgedreht werden. Derzeit ist der Trend umgekehrt.
    4) Wir brauchen eine abgestimmte Exportpolitik, die auch Ländern mit zweitbesten Noten Exportchancen und –Umsätze garantieren. Deutschland muss sich aus den außereuropäischen Märkten zurückziehen, statt weiter auf sie zu drängen und dort europäische Partner auszukonkurrieren. Der derzeitige, aus Basis immer mieserer Löhne wuchernde Wettbewerbswahnsinn muss zu Gunsten einer stärkeren Binnnenkonjunktur bei fairen Löhnen (Mindestlöhne von 8,50 – 10 Euro) abgebaut werden.
    5) Deutschland muss sich auf die regionale Produktion und den Verbrauch regionaler Produkte zurück besinnen, weil die offene, ungebremste Konkurrenz mit Billigprodukten der aufstrebenden großen Schwellen-Länder für die Industrieländer bereits mittelfristig in den Ruin führt. Es gibt kein Gesetz, dass den Deutschen vorschreibt, jedes in Deutschland hergestellte Produkt mit einem aus China, Malaysia oder Indien zu vergleichen. Dieser Wettbewerb muss auf Europa beschränkt bleiben, weil stark lohnkostenabhängige Produkte auch in zwanzig Jahren nicht mit denen aus Billiglohnländern konkurrieren können. Immerhin sind die Lohnkosten in Euro bis zu 30 mal höher als in besagten Schwellenländern.
    6) Auch wenn Wall Street und Londoner Börse nicht mitspielen, müssen für europäische und damit auch für deutsche Banken Regelungen getroffen werden, die großflächige Spekulationen auf internationalen Finanzmärkten unterbinden und die Geldinstitute auf ihre vorrangige Aufgabe – die Betreuung von Privatkunden und die Kapital-Versorgung der Realwirtschaft – zurückführen. Geld muss seine „dienende Funktion“ zurückerhalten. Das setzt einmal die Trennung des klassischen Privat- und Firmenkundengeschäftes (Verwahrung der Bürger-Ersparnisse und Kapitalvergabe an die Realwirtschfat/Unternehmen) vom Investmentbanking (Akteure kaufen als Finanzinvestoren Firmen, betreiben Hedgefonds, Eigenhandel ohne Kundenauftrag, Derivategeschäfte etc.) voraus. Wodurch erreicht wird, dass weder Spareinlagen noch Firmenkredite durch Spekulation auf den Finanzmärkten beeinträchtigt werden können. Außerdem führt eine Pleite nicht gleich zur Schieflage für das gesamte Finanzsystem. In den USA, wo diese Trennung eine lange Tradition hatte, 1999 aber plötzlich aufgegeben wurde, ist diese Maßnahem nach dem Absturz von Lehman Brothers erneut eingeführt worden. Hier zu Lande gibt man sich ahnungslos. Ja vielfach wird die Legende verbreitet, dass eine solche Trennung wegen bestehender Geschäftsverquickungen schwierig, wenn nicht unmöglich sei. Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass z.B. die Deutsche Bank das Gros ihrer Gewinne aus dem spekulativen Investmentgeschäften (London) schöpft. Als zweite wichtige Maßnahme gilt die Einführung der Finanztransaktionssteuer auf alle Geschäfte am Kapitalmarkt. Sie würde die Spekulation dämpfen und dem Fiskus bei einem Umfang von nur 0,02 % allein in Europa jährlich 160 Milliarden Euro einspielen. Problematisch bleibt, dass neben den bereits laufenden, quasi nicht kontrollierbaren außerbörslichen OTC-Geschäften weitere Aktivitäten weg von der Börse oder einfach in Länder verlagert werden könnten, die keine solche Steuer erheben. Ohne Teilnahme der USA und Großbritanniens dürfte die Steuer deshalb sehr viel weniger wirksam werden als ursprünglich beabsichtigt. Parallel dazu müssten hoch spekulative Zertifikate- und Derivategeschäften sowie die vor allem von Hedgefonds betriebenen ungedeckten Leerverkäufe /der Handel mit toxischen Papieren (z. B. „Knock-out“-Outperformance- und Hebel-Zertifikate – SPIEGEL ONLINE, 2. Oktober 2008 – Kreditderivate wie ungedeckte Kreditausfallversicherungen CDS Credit Default, Finanztermin (Derivate-)geschäfte / vor allem Wetten auf steigende Nahrungsmittel-, Rohstoff- und Energiepreise, auf den Niedergang von Unternehmen, Währungen und Ländern gänzlich verboten werden. Dasselbe gilt für intransparente – weil nicht über die Börse laufende – OTC-Geschäfte mit Finanzprodukten unterschiedlichster Art. Darüber hinaus muss der Zugang zu spekulativen Geschäften generell erschwert bzw. unmöglich gemacht werden. Es kann nicht sein, dass selbst Kleinanleger bei deutschen Banken gegen den Euro oder gegen Griechenland wetten können – ARD/“Report München“, 27. September 2011). Eine ebenso wichtige Maßnahme besteht darin, ein neues Gleichgewicht zwischen Effizienz und Widerstandsfähigkeit von Banken herzustellen. Diese Bestrebungen müssen allerdings weit über das hinaus gehen, was heute zu Basel III oder im europäischen Maßstab unter CRD4 verhandelt wird. Worum geht es? Vorerst darum, das harte Kernkapital von Banken (Geld der Aktionäre und Rücklagen) massiv aufzustocken, um in Zeiten grassierender Spekulation das Risiko von Bankenzusammenbrüchen/systemischen Krisen deutlich einzuschränken. Doch gerade dagegen begehren die Bankhäuser auf, weil „vorgehaltenes“/festgelegtes Geld zu Lasten der Mittel geht, die für spekulative Geschäfte (und die daraus in Hausse-Zeiten sprudelnden Gewinne) zur Verfügung stehen. Das Gezerre um den Umfang der Absicherung ist grotesk. Da versuchen z. B. die Banken auch das sogenannte „weiche“ Kernkapital (stille Einlagen und Hybrid-Kapital) als „hartes“ angerechnet zu bekommen. Da versuchen Politiker, die Eigenkapitalstruktur der Banken aufzudröseln und zusätzliche Sicherheitskomponenten zu implementieren, wobei zusätzliche Begriffe wie Ergänzungskapital (z. B. genehmigte Genussrechte und langfristige nachrangige Verbindlichkeiten; dabei gilt für Banken: Kernkapital+Ergänzungskapital=Eigenkapital), Zusatzpuffer (u. a antizyklischer Kapitalpuffer/Geld aus guten Zeiten für Krisenzeiten zurückstellen) und Kapitalerhaltungspuffer auftauchen. Um die Prozentsätze für jedes dieser „Glieder“ wird heftigst gestritten. Thierry Philipponnat, Generalsekretär von Finance Watch, der wohl bedeutendsten finanzmarktkritischen Organisation, hat diese Tänze erst vor kurzem heftig kritisiert. Für ihn ist die undifferenzierte Festlegung von Kennzahlen sinnlos. Das beweise schon die Schieflage der belgisch-französischen Dexia, die trotz hervorragender Kernkapitalquote von 10,4 % und bestens bestandenem Stresstest ins Trudeln geraten sei („Die Presse.com“, 12. Oktober 2012) Vielmehr komme es darauf an, die maximal zulässige Verschuldungsgrenze pro Bank vorzugeben und der Risikogewichtung eine nachrangige Rolle bei der Einführung neuer Normen zuzuordnen (s. Plattform von Finance Watch).
    7) Wir brauchen einen radikalen Schuldenschnitt für Griechenland (mindestens 60%), wobei die europäischen Banken, die griechische Staatsanleihen halten, keineswegs vorbehaltlos unterstützt werden dürfen. Bei jedem normalen Geschäft zwischen Unternehmen/privatem Kreditnehmer und Kreditgeber/Gläubiger muss der Geldgeber seine Mittel immer mal abschreiben, wenn der Kunde pleite ist. Solche Vorgänge sind Bestandteil jeder Bilanz und von den Kosten her einkalkuliert. Wer erklärt dem Bürger, dass das auf höchster Ebene anders sein muss, sprich: dass der Bürger/Steuerzahler für die bei Banken eintretenden Verluste gerade stehen, sprich: zahlen muss. Das jetzige, vor dem Absturz Griechenlands ertönende Geschrei – auch der deutschen Banken – war zu erwarten. Es gleicht dem vor dem Absturz der Hypo Real Estate aufs Haar. Wieder malen Ackermann und Konsorten die systemische Krise (den Untergang der Branche) an die Wand, und niemand findet sich, der ihnen das Gegenteil beweist. Die Politik scheint zu dumm dafür, und die Wissenschaft ist im Bannkreis der Banken entweder korrupt oder befangen oder sie hat Schiss in der Hose. Niemand weiß, wie bedroht welche Bank bei einem Schuldenschnitt Griechenlands wirklich ist. Wir lesen zwar, wie viel Milliarden abgeschrieben werden müssten. Aber müssen nicht auch diese Zahlen bezweifelt werden – wo uns doch selbst der Vergleich mit den zurückliegenden Gewinnen einschließlich der gezahlten Boni vorenthalten wird?
    8) Wir dürfen den Bossen der großen Privat- und Investmentbanken, der Hedge- und sonstigen Halsabschneider-Fonds niemals vertrauen. Sie fühlen sich für Deutschland und Europa an keiner Stelle verantwortlich – sind von ihresgleichen an Wall Street und Londoner Börse getrieben und Hörige ihrer maßlosen Renditevorstellungen. Privat-und Investmentbanken müssen zu Gunsten von staatlich kontrollierten und genossenschaftlich organisierten Banken in ihrer Größe begrenzt oder zerschlagen werden.
    9) Europa muss für Griechenland neben dem Schuldenschnitt ein solidarisches Aufbauprogramm organisieren, das die Schaffung einer leistungsfähigeren Wirtschaft und Administration ermöglicht. Dazu ist es erforderlich, die bisherigen Sparprogramme zu ermäßigen und eine „solidarische Spende“ aller Länder zu organisieren. Unter demokratischer Kontrolle muss das gesammelte Geld einer Treuhandanstalt (und nicht einfach griechischen Banken) übergeben werden, die es gezielt zur Verbesserung der Standortbedingungen vor Ort, für Forschung und Entwicklung, für Investitionen in nachhaltige Projekte, zur Reform des griechischen Steuer- und Finanzsystems etc. einsetzt. Der beschämend-egoistische Verkauf von „Regierungs-Know-how – wie ihn „Entwicklungsminister“ Niebel vorschlägt, wäre dann vom Tisch und das Geld der Europäer sehr viel besser angelegt als für sinnlose Rettungsschirme über kollabierenden Staatswesen.

  5. Helge Jürgs sagt:

    Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes : Als “Sternstunde des Parlaments” haben Sie den Beschluß des Bundestages bezeichnet, die Leistungen für körperlich wie seelisch Verwundete bei Auslandseinsätzen deutlich zu verbessern; wobei naturgemäß vor allem von jenen Soldaten dier Rede ist, die Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigen.
    Nun ja, Militär bleibt Militär, und Militärs können halt nur militärisch denken, das ist die Crux. Auf die Idee, dieses superlative Prädikat einer Parlamentsentscheidung zuzubilligen, die 2001 die Kriegsbeteiligung deutscher Soldaten und damit auch deren physische wie psychische Beschädigungen verweigert und verhindert hätte, kommt man da freilich nicht. “Daß Berufssoldaten berufsmäßige Gegner des Pazifismus sind, darf uns nicht wundern und ist verständlich; das ist immer so gewesen”, hat Tucholsky einst festgestellt. Wie so vieles von ihm Festgehaltene, gilt das auch heute noch.

  6. Zitator sagt:

    Volker Pispers in seiner Radiokolumne beim WDR:
    … Den Wachstumsrausch der Freien Marktwirtschaft halten wir seit Jahrzehnten durch die süßeste aller Drogen aufrecht: durch Schulden. Die gab es allzeit problemlos vom Dealer, den Bankern. Plötzlich jammern die Dealer rum, dass die Süchtigen die Drogenpreise nicht mehr zahlen können. Der Preis der Schuldendroge aber sind die Zinsen, und auf die will und kann der Dealer nicht verzichten. Und der Staat kann auf den Dealer nicht verzichten, denn der Dealer ist systemrelevant. Deshalb wird er nicht verhaftet und bei Brot und Wasser für immer weggesperrt – nein, er wird gerettet, egal wie viele arme Süchtige durch den kalten Entzug auch ihr Leben lassen müssen.
    (http://www.wdr2.de/unterhaltung/kabarett/volker_pispers102.html

  7. Zitator sagt:

    Wege aus der Schuldenkrise
    Europas Betriebssystem ist die Demokratie, nicht der Euro
    Ein Kommentar von Heribert Prantl

    Ein Schuldenerlass für Griechenland ist nötig. Die Entscheidung darüber müssen aber die europäischen Demokratien treffen. Vorwürfe gegenüber dem Bundestag, er arbeite zu langsam und kenntnislos, sind unangebracht. Das Betriebssystem Europas ist die Demokratie, nicht der Euro – und die Kanzlerin ist durch das Parlament nicht gefesselt, sondern gestärkt.

    Notwendig ist ein Schuldenschnitt, kein Demokratieschnitt: Es müssen die Schulden Griechenlands halbiert oder geviertelt werden, nicht aber die demokratischen Verfahren in Deutschland und in Europa. Deutschland kann seine parlamentarische Demokratie nicht wegen Griechenland kastrieren lassen.
    Unionskreise: Bundestag wird über Rettungsschirm abstimmen Bild vergrößern

    Kanzlerin Merkel will einen Schuldenschnitt von mehr als 50 Prozent für Griechenland. Der Bundestag soll noch vor dem EU-Gipfel am Mittwoch darüber entscheiden. (© dpa)

    Die EU-Kritik am Bundestag, er arbeite zu langsam, zu umständlich und zu kenntnislos, sind in ihrer Vehemenz und Stoßrichtung unangebracht. Genau genommen: Sie ist aberwitzig. Diese Kritik läuft darauf hinaus, dass die Demokratie nicht taugt, um Europa durch die Krise zu tragen. Sollen die Mitgliedstaaten durch ein EU-Notverordnungsrecht verpflichtet werden können, für astronomische Summen zu haften? Soll womöglich die Kanzlerin allein die Macht haben, das Land zu verpflichten? Wer dazu Ja sagt, der weiß nicht, was er damit sagt.

    Die Kanzlerin würde sich schön bedanken. Ihre starke Stellung in Brüssel beruht auch darauf, dass dort alle wissen: In Deutschland gibt es einen Bundestag, der erstens in die Verhandlungen einbezogen werden und zweitens allen geldträchtigen Rettungsmaßnahmen zustimmen muss. Das mildert den Druck auf Angela Merkel in der Frage, wer das alles bezahlen soll.
    Anzeige

    Darum nämlich geht es beim Euro-Rettungs-Kampf, nicht nur um Europa und den Euro. Bei allen Konferenzen steht letztlich im Vorder- und im Hintergrund die Frage, an wem die Kosten für den Kampfeinsatz hängenbleiben – und zu welchen Anteilen. Bei den Banken, bei den Staaten?
    Die wirklichen Verzögerer waren die Ackermänner

    Im Übrigen haben nicht die Parlamente die Euro-Rettung verzögert – die Verschiebung des Gipfels um drei Tage, weil erst noch der Bundestag abstimmen muss, kann ernsthaft nicht als desaströse Verzögerung dargestellt werden. Die wirklichen Verzögerer waren nicht die Parlamente, sondern die Ackermänner, die es in jedem der wenigen noch finanzstarken Euro-Staaten gibt; als Souffleure der Regierungen haben sie den Teilerlass der Schulden Griechenlands lange hinausgezögert. Das flüsternde Interesse ist: Der Staat soll möglichst viel zahlen.

    Der Staat aber ist der Bürger, der Staat ist der Steuerzahler – und die vertritt das Parlament. Gewiss: Man muss den Griechen helfen, man muss ihnen einen Großteil der Schulden erlassen, aber man darf dabei nicht die Demokratie verlassen. Das europäische Betriebssystem ist nicht der Euro, sondern die Demokratie.

    Die Kanzlerin ist nicht gefesselt durch die Parlamentsrechte, sondern gestärkt. Sie muss nämlich nicht zu jedem Brüsseler Ansinnen und nicht zu allen Forderungen nach immer höherer Haftung des deutschen Staates Ja und Amen sagen – weil es den Bundestag gibt, den das Bundesverfassungsgericht in europäischen Angelegenheiten substantiell gestärkt hat.
    Karlsruhe hat die Gesetzeslage demokratisch zurechtgebogen

    Nun muss am deutschen Verfassungswesen nicht Europa genesen; aber es ist festzustellen, dass die Verfassungsgerichte anderer EU-Staaten ihre Fahne schnell eingerollt haben. Im Spiel geblieben ist nur Karlsruhe – es hat sich als das Verfassungsgericht etabliert: In einer Kraftanstrengung am 7. September hat es Griechenland-Hilfe und Euro-Rettungsschirm gebilligt, indem es die Gesetzeslage demokratisch zurechtbog. Das Gericht gab dem Bundestag umfassende Mitwirkungsrechte.

    Die Alternative wäre gewesen, die Hilfen für verfassungswidrig zu erklären. Die Richter wollten den Rettungsschirm haben und von der Demokratie nicht lassen. Das haben damals alle begrüßt, auch die Eurokraten in Brüssel. Diese haben es aber nicht der Demokratie wegen getan, sondern weil so der Schirm fürs Erste funktionierte.

    Hauptsache, es funktioniert: Seit jeher hat die EU so gearbeitet. Es zählte immer nur das schöne Ergebnis; man fragte kaum, wie es zustande kommt. So wurde aus der EWG die EG und dann die EU, so führte man den Euro ein. Man ging immer den einfachen Weg, einen Weg, bei dem man um die Bürger möglichst wenig werben musste. Regierungschefs entschieden, Parlamente nickten.

    Aber heute kulminieren die Schwierigkeiten dieser Funktionslogik. Die Menschen, so hieß es stets, müssten Vertrauen in das Wachsen und Werden Europas haben; man solle das Wachsen nicht stören. Deshalb wurden Volksabstimmungen in EU-Angelegenheiten in Deutschland immer abgelehnt. Irgendwann, so hieß es, werde man den Bürger schon noch fragen – aber nicht jetzt, sondern erst dann, wenn die Menschen spüren, dass die EU nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für sie gut ist. Dieser Zeitpunkt ist in immer weitere Ferne gerückt. Brüssel hat sich so daran gewöhnt, der direkten Demokratie möglichst aus dem Weg zu gehen, dass dort manche jetzt auch die repräsentative Demokratie stört.

    Natürlich ist der Bundestag noch nicht ganz auf seine neuen EU-Aufgaben eingestellt. Im Haushaltsausschuss etwa sitzen Parlamentarier, denen die europäischen Dinge noch recht fremd sind. Aber der Bundestag lernt; er weiß, dass er europäische Organisationsverantwortung hat. Bei der Euro-Rettung arbeitet der Bundestag genauso im Suchmodus wie alle andere Gremien auch. Das neue Ei des Kolumbus hat noch keiner gefunden. Man darf bei der Suche weder den Kopf noch die Maßstäbe verlieren. Man kann nicht den Euro retten und dabei die Demokratie verkommen lassen.

    Aus: “Süddeutsche Zeitung” vom 25.10.2001/Mit freundlicher Genehmigung des Autors

  8. Zitator sagt:

    Aus der Berliner Zeitung vom 25.11.:
    … Nun haben Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich erstmals genau nachgewiesen, welche Konzerne die Weltwirtschaft dominieren und wie weit ihr Einfluss reicht. Sie kommen zu einem genauso präzisen wie erschreckenden Ergebnis. Demnach kontrollieren lediglich 147 Konzerne große Teile der Weltwirtschaft. Sie haben gemessen an ihrer Größe überproportional viel Einfluss. Besonders dominant sind der Untersuchung zufolge Unternehmen aus dem Finanzbereich, also Banken und Rentenfonds. Als einflussreichstes Unternehmen der Welt stellte sich die britische Barclays Bank heraus. (…)
    Das Ergebnis ist, dass diese 147 Unternehmen, die weniger als ein Prozent der Firmen ausmachen, mehr als 40 Prozent der 43.000 betrachteten internationalen Unternehmen kontrollieren. Die Analyse zeigt die große Macht der Finanzinstitute. Der Kreis der 50 mächtigsten Unternehmen ist ein fast exklusiver Club von Banken, Fondsgesellschaften und Versicherungen. Nur die China Petrochemical Group schaffte es in diesen kleinen Kreis. Insgesamt sind drei Viertel der Unternehmen der Super-Einheit Finanzfirmen. …

  9. Zitator sagt:

    Friedrich Küppersbusch in der heutigen Taz:
    Frage: Muammar al- Gaddafi ist tot. Sogar der Iran hat den Tod des gestürzten libyschen Machthabers begrüßt. Sind wir jetzt dem Weltfrieden ganz nahe?

    F.K.: Klar, nur noch eben Iran, die Amis basteln schon dran. Das könnte dann zwar aus Versehen auch ein Weltuntergang werden, aber, hey, einfach mal versuchen. Die Taliban waren Ziehsöhne der USA gegen die Russen, Saddam Hussein ihr gehätschelter Verbündeter gegen Iran und Gaddafi der irre Waffenkunde mit dem Öl. Diese Menschenrechtskriege mit ihrer gründeutschen Beigabe nachträglicher Auschwitz-Befreiung sind eine Strategie, besonnene Verhandler als Weicheier zu diskriminieren. Wenn Demokratie überlegen ist, warum hat sie im Ernstfall immer Pause?

  10. Zitator sagt:

    Heute im Neuen Deutschland:

    Gaddafi und andere:
    Fatale Lust am Foto
    Von Hans-Dieter Schütt

    Gaddafi in einer Abwasserröhre, Saddam Hussein in einem Erdloch. Der eine unter offenbar jammerndem Beben erschossen, der andere später, nach Rasur und Prozess unter unwürdigen Beschimpfungen ins Loch unterm Strang gestoßen. Erinnerung: Die Ceausescus hatten plötzlich kugelzersiebt in einer Hofecke gelegen. Eine weitere Geschichtssekunde: Mussolini und seine Geliebte hingen einst tot und kopfüber an einer Tankstelle.

    Am erbärmlichen Ende von Diktatoren und abgeschmackten Zurichtungen ihrer Leichen lässt sich so trefflich wie erschreckend studieren, wie der Gerechtigkeitswunsch mit der Rachelust kumpelt. Und mehr und mehr wird das Handy zum filmenden Instrument wider letzte Schleier einer Pietät, die womöglich stärker ist als die Geilheit auf martialische Bilder. Womöglich? Diese Pietät ist niemals stärker. Und so kommt, wenn uns der letzte, flatternde Blick eines Menschen trifft, etwas auf, das wir im Falle politischer Taugenichtse auf keinen Fall Mitgefühl nennen wollen. Aber es hat, ob wir mögen oder nicht, damit zu tun.

    Frau Merkel freute sich in offene Mikrofone hinein, als Osama Bin Laden quasi in sein eigenes Blut versenkt wurde. Nun, ob Gaddafis Tod, wird erneut gejubelt. Und wieder findet ein Volk keine Balance zwischen einem gesitteten Ausdruck für befreites Aufatmen und dem Instinkt der Lefzen, die auch beim Menschentier triefen wollen: Fotos vom sich totblutenden libyschen Tyrann sind Trophäen, sind Volksfest geworden.

    So setzt sich paradoxerweise jene politische Brutalität, die Diktatoren schafft, die sie hält, sie mächtiger und mächtiger macht, bis in den Moment fort, die sie irgendwann endlich aus der Geschichte schlägt. Es ist eine Brutalität, die ihren Eigenausdruck nie zu kaschieren versuchte. Diesen unbegreiflichen Stolz der Amoralität, die sich Fotokameras wie Waffen hält, nannte die US-Schriftstellerin Susan Sontag einen »Grundausdruck von Pornografie«. Er lebt in den Bildern, die deutsche Soldaten bei Hinrichtungen an der Front »schossen«, er lebt in den Szenen des irakischen Miliärgefängnisses von Abu Ghraib, er lebt in den Aufnahmen von Gaddafi und just diese Fotos sorgten sich sehr um eine Ästhetik, die nicht Sterben zeigt, sondern Verrecken.

    Fotografie weckt im Menschen das Bedürfnis, eine Art Patronat über die Realität auszuüben. Fotografie ist der Wille, einen Status quo zu verewigen. Wer seine Opfer demütigend fotografiert, feiert auf diese Weise einen Sieg, der das eigene Machtbedürfnis offenbart. Das wichtigste Kriterium für Öffentlichkeit ist zudem der Grad des Schamlosen geworden. Schon ist jeder Paparazzo ein Diener der moralischen Enthemmung; jede Überwachungskamera fungiert objektiv als voyeuristische Stimulation; jede sicherheitspolitische Observation steigern die Wolllust der geheimen Kontrolleure.

    Dies alles führt nicht automatisch ans Ende des Humanen, wie es jüngste Bilder aus Libyen offenbarten. Aber das Propagieren ungezügelter individueller Freiheit in gefährlicher Berührung mit ebenso ungezügelter staatlicher Amoralität (wie sie ein Krieg oder eine politische Tyrannei unweigerlich darstellen) dies unterhöhlt jede natürliche Abschreckung vor sadistisch angewehtem Entgleisen.

  11. Noli sagt:

    Zum Sarcasticus-Beitrag im aktuellen Blättchen: Für die Verbraucherorganisation Foodwatch ist Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ein „Hungermacher“ – so der Titel einer aktuellen Studie über Spekulationen mit Agrarrohstoffen, vor allem Nahrungsmitteln, die Foodwatch am Dienstag vorgestellt hat. Darin steht Ackermann quasi als Synonym für die Zunft der Investmentbanker. Als Chef einer Großbank und Vorsitzender des Weltbankenverbandes IIF trage Ackermann „persönlich Mitschuld daran, dass Menschen in den ärmsten Ländern Hunger leiden und daran sterben“, so Foodwatch-Chef Thilo Bode.
    Foodwatch kündigte zugleich an, Druck zu machen: Verbraucher können sich mit einer E-Mail an der Kampagne „Hände weg vom Acker, Mann“ beteiligen.
    Bereits zwei Tage später hatte es offenbar klick gemacht bei Josef Ackermann, da hatten nämlich bereits über 16.500 Menschen die Protestmail an die Deutsche Bank unterzeichnet. Und Ackermann zeigte Wirkung. Gestern kündigte er an, das Engagement der Bank bei Wetten auf Agrarrohstoffen zu überdenken. „Kein Geschäft ist es wert, den guten Ruf der Deutschen Bank aufs Spiel zu setzen“, schrieb er an Foodwatch-Chef Bode.
    Das zeigt allerdings zugleich, wes Geistes Kind der Mann ist und auf welchem ethischen Niveau er sich bewegt: Nicht die Hungertoten in der Dritten Welt, nein, der Ruf der Deutschen Bank ist das Motiv der Reaktion. Aber wenn’s hilft, dann sei’s drum!

  12. Helge Jürgs sagt:

    Dem Dokumemntarfilm “Amerikas verletzte Seelen” von 2010 ist die offzielle Angabe zu entnehmen, dass in den USA statistisch gesehen
    t ä g l ic h 23 Veteranen
    des Irak- bzw. des Afghanistan- “Feldzuges” Selbstmord begehen.
    Die Töchter von Georg W. Bush sind verständlicherweise nicht darunter. Auch von den Kinder z.B. namhafter Senatoren ist solches nicht überliefert.

  13. Zitator sagt:

    “Die Massenvernichtungswaffen, die unser System gefährden, stecken nicht in einem Bunker in Nahost, sondern in den Schließfächern unserer Kreditinstitute und den Haushaltsplänen unserer Partner.”
    Jörg Lau im Deutschlandradio Kultur
    Wenn man davon absieht, dass nämliche Gefahren wohl auch in deutschen Haushaltsplänen schlummern, ist das trefflich gesagt.

  14. Die Redaktion sagt:

    Foodwatch hat untigen Brief an Herrn Ackermann gerichtet. Unter http://www.foodwatch.de/e10/e45260/e45290/
    kann ein jeder diesen Text als persönliche Mail an Ackermann absetzen.
    Eine Initiative, die unsere Unterstützung hat
    Die Redaktion
    ***
    Sehr geehrter Herr Ackermann,

    etwa eine Milliarde Menschen auf der Welt hungern und sind unterernährt. Allein im Jahr 2010 stiegen die Nahrungsmittelpreise um ein Drittel und mehr als 40 Millionen Menschen wurden dadurch zusätzlich in absolute Armut gestürzt.

    Die Investmentbanken sind mitverantwortlich für diese Preissprünge. Sie lenken Anlegerkapital, das mit dem eigentlichen Handel von Rohstoffen wie Soja, Weizen oder Mais nichts zu tun hat, in die Warenterminmärkte. Dadurch entstehen Spekulationsblasen, die letztlich zu verteuerten Lebensmitteln führen.

    Mittlerweile haben zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen überzeugende Belege für diesen Mechanismus gefunden. Dennoch argumentieren Banken und ihre Lobbyvertretung, der Weltbankenverband IIF, es gäbe noch keine eindeutigen Beweise dafür, dass diese Art der Spekulation die Lebensmittelpreise treibe und Hungersnöte verursachen könne – daher existiere auch kein Handlungsbedarf. Kritiker sollten doch bitte die Schädlichkeit dieser Kapitalanlagen nachweisen. Diese Auffassung ist zynisch: Nicht die Hungernden müssen die Schädlichkeit eindeutig belegen, sondern die Banken die Unschädlichkeit der Spekulation. Da Sie diesen Beweis nicht erbringen, gebietet schon das Vorsorgeprinzip, das auch im europäischen Recht verankert ist, eine Abkehr von Nahrungsmittelspekulationen, um Gesundheit und Leben von Menschen zu schützen.

    Sehr geehrter Herr Ackermann, Sie sind Vorsitzender einer der größten Investmentbanken der Welt und stehen auch dem mächtigen Weltbankenverband IIF vor. Sie haben immensen Einfluss auf die Politik. Die Investmentbanken haben mit hochspekulativen Produkten die gesamte Weltwirtschaft in eine Krise und Millionen von Menschen ins Unglück gestürzt. Es ist an der Zeit für Wirtschaftslenker wie Sie, nicht nur das Interesse der Finanzindustrie, sondern auch das Wohl der Menschen im Auge zu haben und als verantwortungsvolle Weltbürger zu agieren.

    Ich fordere Sie deshalb auf:

    Widersetzen sie sich nicht mehr effektiver staatlicher Regulierung, um die schädliche Spekulation mit Nahrungsmitteln zu verhindern, sondern unterstützen Sie diese Regulierung aktiv!
    Gehen Sie mit der Deutschen Bank voran und steigen Sie aus jeglicher Spekulation mit Nahrungsmitteln aus!

  15. Bernhard Romeike sagt:

    Die Journalistin Antje Schrupp kritisierte jüngst in ihrem Blog den niedrigen Frauenanteil bei der „Piraten“-Partei. Sie glaubt, „viele Frauen (mehr Frauen als Männer) stehen einfach einer Repräsentationslogik, so wie sie für das männliche politische System typisch ist, skeptisch gegenüber: Diesem Prinzip von ‚Einer übernimmt ein Amt und spricht dann im Namen der Vielen‘. Das ist immer ein Fake, eine Anmaßung, das funktioniert so nicht. Es ist ein Einfallstor für Macht und Hierarchien, also für Un-Politik. Die Politik der Frauen basiert auf anderen Regeln; auf dem Sprechen in erster Person, dem Von sich selbst ausgehen…
    Die Politik, so wie Frauen sie sich vorstellen und praktizieren, basiert nicht auf Wahlen, auf Hierarchie und Repräsentation, sondern auf Individualität, auf Vertrauen und Verantwortlichkeit.“ Darum sind auch die regelmäßigen Kaffeekränzchen von Angela Merkel mit Friede Springer und Liz Mohn so individuell und vertraulich. Und sie beruhen nicht auf Wahlen. Ob sie auch eine Form von Verantwortlichkeit sind, ist eine andere Frage.

  16. Zitat: … Die Antikapitalismusdebatte hält Joachim Gauck für “unsäglich albern” …
    Gott war uns gnädig: Wir haben diesen Ignoranten nicht zum BP (Bundespräsidenten) bekommen.

  17. F.-B. Habel sagt:

    Vielen Dank für das Gedenken an Walther Petri. Seine Bücher haben unendlich viele Leser verdient. Ich hätte ihm gewünscht, daß er noch viele davon hätte schreiben können.
    Selbst das beschissenste Leben ist besser als der teuerste Sarg. Walther Petri

  18. HWK sagt:

    Die Antikapitalismusdebatte hält Joachim Gauck er für “unsäglich albern”, kann man in der “Süddeutschen”, ein “Zeit”-Interview mit Gauck kolportierend, lesen: “Der Pastor betonte, dass der Traum von einer Welt, in der man sich der Bindung von Märkten entledigen könne, eine romantische Vorstellung sei. Zu glauben, dass die Entfremdung vorbei sei, wenn man das Kapital besiege, und dann alles schön sei, sei ein Irrtum.”
    Warum, zum Teufel, fällt mir da Kurt Tucholsky ein, der einst festhielt: ” ´Die sittliche Verderbnis der unteren Stände` – man sollte jedem Pastor, der so etwas in den Mund nimmt die Bibel um die Ohren hauen.”
    Für gewesene Pastoren vom Schlage J. G.´s darf das allemal fortgelten. Der Mann wäre um ein Haar Bundespräsident geworden. Natürlich wäre er dann auch Präsident der “unteren Stände” gewesen…
    HWK

  19. Zitator sagt:

    Occupy-Bewegung Die Globalisierung weckt ihre Kinder
    Ein Kommentar von Heribert Prantl

    Die Globalisierung weckt ihre Kinder. Deren Protest ist nicht rechts und er ist nicht links. Er lässt sich nicht fangen mit den alten Lassos. Sicher: Der Protest ist Ausdruck der Empörung über soziale Ungerechtigkeit, das ist ein altes linkes Thema. Aber der Protest steht auch für das fatale Gefühl, dass die Staaten zu schwach sind und von den Finanzmärkten gewürgt und enteignet werden. Die Sehnsucht nach einem starken Souverän aber ist ebenso ein konservatives, rechtes Thema: die Marodeure der internationalen Finanzwirtschaft sollen gebändigt werden.

    Die Proteste sind schließlich Ausdruck zorniger Enttäuschung. In der Finanzkrise 2008, als die Staaten ungeheuerlich viel Geld in die Banken pumpten, glaubten viele Bürger, sie erlebten eine Läuterung des Kapitalismus. Das war und blieb eine Täuschung. Die Großbanken haben mit den Mitteln und Methoden weitergezockt, die vorher die Finanzkrise herbeigeführt hatten. Sie konnten ihr Spiel weitertreiben; denn keine von den strikten Regeln, die von der internationalen Politik angekündigt wurden, trat in Kraft. Der Finanzkapitalismus wurde keinen Deut menschlicher, der Turbo des Kapitalismus blieb angeschaltet.
    Das alles führt nun zu globalen Protesten. Sie werden wohl nicht so schnell wieder einschlafen, wie ihre Vorläufer gegen den Sozialabbau 2004 in Berlin, Rom und Paris. Aber damals, und schon ein Jahr vorher, bei den Protesten gegen den Irak-Krieg, konstituierte sich erstmals eine europäische Öffentlichkeit. Jetzt konstituiert sie sich, gestützt von den weltweit aktiven sozialen Netzwerken, international.
    Der globalisierte Kapitalismus wird, wenn das funktioniert, nicht mehr so einfach dorthin ausweichen können, wo er es vermeintlich leicht hat und die Leute willig sind. Wenn Protest global wird, funktioniert das nicht mehr so gut. Dann könnte es zugehen wie beim Hasen und dem Igel, dann hat es der Hase Finanzkapitalismus schwer.
    Die Occupy-Proteste docken nicht mehr an die nationale Politik an, weil man sich von dieser nicht mehr viel erwartet und weil man erlebt, wie ohnmächtig, orientierungslos und getrieben nationale Parlamente in der Finanzkrise agieren. Der internationale Protest fordert eine internationale Politik.
    Die Davids der Welt wollen nicht mehr dabei zusehen, wie mit den Millionen und Milliarden der Steuerzahler die Banken saniert und die Löcher in den Autobahnen des Finanzkapitalismus nur zur weiteren Raserei geflickt werden: Die Davids rufen daher nach neuen Verkehrsregeln, nach Geschwindigkeitsbeschränkungen, nach Zulassungsvoraussetzungen und nach einem TÜV für die Vehikel, die auf diesen internationalen Autobahnen verkehren.
    In den vergangenen zehn Jahren wurde Deutschland angeblich am Hindukusch verteidigt. Jetzt gilt es, die Demokratie gegen die Gier der Märke zu verteidigen. Eine Welt, die die Taliban bekämpfen kann, muss sich vor den Brokern nicht fürchten.
    Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 17. 10.2011 (www.sueddeutsche.de) ; mit freundlicher Genehmigung des Autors

  20. Im Vorfeld zum morgigen Aktionstag sieben Bemerkungen:
    1) Derzeit treiben die Finanzmärkte die Politiker vor sich her. Das hat damit zu tun, dass Deutschland und Europa in großen Teilen fremdbestimmt sind – durch die wahnsinnige Verschuldung bei außereuropäischen Geldgebern. Die permanente Vergrößerung der Rettungsschirme bedingt eine weitere Neu-Verschuldung mit der Folge weiter wachsender Abhängigkeit. Hätten Deutschland und Europa das Geld von ihren Bürgern geliehen, wie das z.B. in Japan der Fall ist, dann könnten Rating-Agenturen nichts gegen den Euro bewirken. So aber warten die Sprachrohre der Gäubiger nur darauf, Geldhäuser, Unternehmen und Staaten weiter herabstufen und schließlich vernichten zu können.
    2) Was wir brauchen, ist die Rückführung der Abhängigkeit von außereuropäischen Geldgebern, ein Zurückdrängen außereuropäischer Unternehmen aus Europa und Zölle auf Billigprodukte, die kleine und mittelständische europäische Unternehmen mit gleicher Produktpalette ruinieren
    3) Wir brauchen eine abgestimmte Exportpolitik, die auch Ländern mit zweibesten Noten Exportchancen und –Umsätze garantieren. Deutschland darf auf den Weltmärkten europäische Partner nicht mehr in dem Maße auskonkurrieren wie das heute geschieht
    4) Der deutsche Export in Länder außerhalb der EU muss zu Gunsten des innereuropäischen Handels zurückgedreht werden.
    5) Deutschland muss sich auf die regionale Produktion und den Verbrauch regionaler Produkte zurück besinnen, weil die offene, ungebremste Konkurrenz mit Billigprodukten der aufstrebenden großen Schwellen-Länder für die Industrieländer bereits mittelfristig in den Ruin führt. Es gibt kein Gesetz, dass den Deutschen vorschreibt, jedes in Deutschland hergestellte Produkt mit einem aus China, Malaysia oder Indien zu vergleichen. Dieser Wettbewerb muss auf Europa beschränkt bleiben, weil stark lohnkostenabhängige Produkte auch in zwanzig Jahren nicht mit denen aus Billiglohnländern konkurrieren können. Immerhin sind die Lohnkosten in Euro bis zu 30 mal höher als in besagten Schwellenländern.
    6) Wir brauchen einen radikalen Schuldenschnitt für Griechenland (50-60%), wobei die europäischen Banken, die griechische Staatsanleihen halten, keineswegs vorbehaltlos unterstützt werden dürfen. Bei jedem privaten Geschäft zwischen Kreditnehmer und Gläubiger muss der Gläubiger sein Geld (oft total) abschreiben, wenn der Kunde pleite ist. Wer erklärt dem Bürger, dass das auf höchster Ebene anders sein muss, sprich: dass der Bürgetr/Steuerzahler für die von Banken eingegangenen Risiken gerade stehen, sprich: zahlen muss. Das jetzige, vor dem Absturz Griechenlands ertönende Geschrei – auch der deutschen Banken – war zu erwarten. Es gleicht dem vor dem Absturz der Hypo Real Estate aufs Haar. Wieder malen Ackermann und Konsorten die systemische Krise (den Untergang der Branche) an die Wand, und niemand findet sich, der ihnen das Gegenteil beweist. Die Politik ist zu dumm dafür, und die Wissenschaft hat Schiss in der Hose. Niemand weiß, wie bedroht welche Bank bei einem Schuldenschnitt Griechenlands wirklich ist. Wir lesen zwar, wie viel Milliarden abgeschrieben werden müssten. Nicht nur dass diese Zahlen stimmen, muss stark bezweifelt werden. Uns wird auch der Vergleich mit den zurückliegenden Gewinnen einschließlich der gezahlten Boni vorenthalten.
    7) Wir dürfen den Bossen der großen Privat- und Investmentbanken, der Hedge- und sonstigen Halsabschneider-Fonds niemals vertrauen. Sie fühlen sich für Deutschland und Europa an keiner Stelle verantwortlich – sind von ihresgleichen an Wall Street und Londoner Börse getrieben und Hörige ihrer maßlosen Renditevorstellungen. Große Privat-Banken müssen zu Gunsten von staatlich kontrollierten und genossenschaftlich organisierten Banken größenmäßig begrenzt oder zerschlagen werden

  21. Zitator sagt:

    “Wenn Behörden solche Trojaner in Auftrag geben und sie benutzen, handelt es sich um eine neue Form der Staatskriminalität. Behörden, die so agieren, dringen nicht nur illegal in den PC und die Privat- und Intimsphäre des Bürgers ein; sie brechen auch ein in das von den Verfassungsrichtern geschützte Haus der Verfassung. Solche Sicherheitsbehörden sind Unsicherheitsbehörden, weil ihre digitale Zudringlichkeit die Akzeptanz staatlicher Sicherheitspolitik zerstört.”
    Heribert Prantl in der heutigen Süddeutschen Zeitung

  22. Helge Jürgs sagt:

    Friedrich Küppersbusch in der heutigen Taz: “In Berlin haben vier sich mehr oder weniger irrtümlich für “links” haltende Parteien zusammen gut 65 Prozent bekommen – The mehrheit formerly known as absolute. Ein Ahn Wowereits im Amte – Willy Brandt – nannte dies mal “die Mehrheit diesseits der Mitte”. Wer regiert ? Die CDU. Wie viel Prozent müssen Linke, Sozialdemokraten, Öko- und Sozialliberale eigentlich bekommen, damit am Ende nicht eh wieder die CDU regiert ?”

    • Günter Hayn sagt:

      Die Erregung von Friedrich Küppersbusch ist grotesk. Er schreibt selbst von “sich irrtümlich für ‘links’ haltende(n) Parteien” in Berlin. Und damit benennt er das Problem. Der Rest ist rhetorischer Schaum und Blase. Alle drei sind momentan von der politischen Mentalität ihres jeweiligen Spitzenpersonals her durchaus in der Lage, mit der CDU zu koalieren! Warum sollten die also die CDU aus dem Senat fernhalten – geht es doch allen in der Hauptsache darum, zumindest ein kleines Plätzchen am Katzentisch der Macht zu ergattern. „Gestaltungschancen wahrnehmen“ wird das einigermaßen verschwiemelt benamst. Lediglich bei der Linken (und in Teilen) bei den Grünen würde wohl beim „black-cast“ ein Aufstand der Basis ausbrechen. Bei der Berliner SPD wird sich sehr schnell zeigen, dass sie so “links” nicht ist, wie sie auf ihren Parteitagen herumtönt. Den Berliner Politfilz auf die sanfte Tour zu überwinden, wird nicht funktionieren. Da ist die SPD vor, die zurzeit die Rolle der Liberalen in der Bundespolitik der 1960er Jahre ausübt: Egal wer (und wie!) regiert, wir sind immer dabei! Franz Schulz, Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg (Grüne) hat am 7. Oktober eine andere Option sehr vorsichtig ins Spiel gebracht: Ein von den Potenzialen beider Parteien in Berlin durchaus denkbares Zusammengehen von Linken und Grünen. Das wär’s. Ohne die SPD. Nur sind die Strategen beider Parteien zu solchen Überlegungen wohl noch nicht in der Lage. Leider. Es bedürfte bei beiden eines gründlichen Politikwechsels. Sie haben jetzt fünf Jahre Zeit dazu.

  23. HWK sagt:

    Aus Brigitte Fehrles “Lob dem faulen Kompromiss” in der FR
    “Nach dem dritten Scheitern von Rot-Grün in Berlin ist die Parteienlandschaft der Stadt in wirklich beklagenswerter Lage. Die CDU ist schwach, die SPD hinter Klaus Wowereit kaum erkennbar, die FDP nicht mehr existent. Die Grünen werden zerrieben in Schuldzuweisungen über das abermalige Scheitern von Rot-Grün, und sind der Chance beraubt, in Regierungsverantwortung zu wachsen. Die Linke kommt demoralisiert aus zehn Jahren Regierungspolitik, die ihr nichts gebracht hat, als die Entfremdung zu ihrer Basis.
    Wer jetzt noch fragt, warum Leute die Piraten wählen – das ist die Antwort.”

  24. Lieber Heerke Hummel, “von Schröder nichts Neues” sprich mir aus der Seele. Dieser Mann und sein Komplize Steinmeier haben wahrhaft großes Unglück über Deutschland gebracht – nicht nur mit der Agenda 2010, sondern mit weit mehr Deregulierungen am Finanzmarkt als sie explizit ansprechen.
    In der damals unter Billigung von Rot-Grün gegründeten „Initiative Finanzstandort Deutschland“ saßen 2003 Großbanken und Versicherungen gemeinsam mit dem Bundesministerium für Finanzen und der Bundesbank an einem Tisch. Damals powerte die rot-grüne Bundesregierung auf Druck der Finanzlobby zwei Vorhaben. Deren Ziel war es, die Verbriefung von Bankkrediten und Kreditrisiken auch in Deutschland zu ermöglichen. Zum einen ging es um den „Finanzmarktförderplan“, der Hedgefonds in Deutschland zuließ und unbegrenzte Leerverkäufe erlaubte, zum anderen um die Stützung der von 13 Banken ins Leben gerufenen Lobby-Organisation „True Sale Initiative“, die sich für die Deregulierung des Derivatemarktes einsetzte. Gleichzeitig wurde das „Kleinunternehmensförderungsgesetz“ verabschiedet, das den Banken in Offshore-Zentren die Ansiedlung von so genannten Zweckgesellschaften ermöglichte. Diese sogar staatlich subventionierten Einrichtungen („Conduits“) befassten sich ausschließlich mit den o. a. Verbriefungen, die aus den Bankenbilanzen offiziell ausgegliedert werden durften und der Finanzaufsicht entzogen waren (!!!). Ja mehr noch: Die Gewinne aus diesen Aktivitäten, die bei anfänglich erfolgreicher Spekulation milliardenschwer zu Buche schlugen, blieben frei von jeder Gewerbesteuer (!!!). Die so privilegierten, sprich: mit nahezu jeglicher Freiheit ausgestatteten Finanzinstitute versprachen eine wichtige Gegenleistung. Sie wollten den deutschen Landen treu bleiben (also nicht in Richtung der lukrativen Märkte – Großbritannien und USA – abwandern) und den deutschen Mittelstand sehr viel großzügiger mit Krediten versorgen (“abgebloggt”, Heiner Labonde Verlag, Oktober 2011 – frei nach ARD/“Kontraste“ vom 26. August 2010).
    Unterm Strich sind die rechten SPD-Führer – wie schon immer – sehr viel gefährlicher als die Konservativen. Von Letzteren erwartet man das, was sie repräsentieren … und man wir in der Regel nicht enttäuscht.
    Mit Grüßen aus Ratingen!
    Ulrich Scharfenorth

  25. Werner Richter sagt:

    Einfahrt nach N.Y.
    Schon auf der Fahrt über Schottland, Island, Grönland und Neufundland wird peu a peu auf Big Apple, das neue Weltwunder, wie die USA überhaupt, eingestimmt, im Mainstream des Hurraamerikanismus. Da werden ewige Mythen bemüht, ziehen immer noch, lassen sich gut verkaufen. Wäre das Gegenteil attraktiver fürs Geschäft, würde ich das hören.
    Im Schiffsfernsehen melden sich inzwischen ARD und ZDF ab, Guido Knopp und Elmar Thevesen kämpfen sicher an der Heimatfront weiter gegen die hinterhältigen Verschwörungstheoretiker in einer neuen Etappe, den teilweise selbst fabrizierten plumpen Argumenten zu 9/11 die ärgsten Kanten abzuschleifen, auf daß sie besser geschluckt werden können. An den Heimatfronten standen schon immer die Tapfersten und sie sind nicht allein. RTL, CNN und N24 schießen fast pausenlos Sperrfeuer gegen die Unwilligen. Die müssen aber auch sowas von unangenehm sein, gegen die bisherigen Verleumdungstaktiken immun. Es müssen tausende Rechts- und Wortverdreher angeheuert sein, das Szenarium ist gewaltig. Statt plumper existenzbedrohender Denunziation der Widersprechenden oder einfach nur Fragenden geht man jetzt variabler auf die Gegenargumente und Fragen ein, zumindest die erfolgversprechenden, und widerlegt sie recht voluminös. Da sind PR-Profis am Werk. Eines der Argumente lautet: Warum bestreiten die Kritiker trotz hunderter Augenzeugen das Flugzeug ins Pentagon? Seltsam ist dabei nur, kein Augenzeuge tritt auf, obwohl genau das überzeugend wäre. Nur Regierungsbeamte zu ihren ursprünglich widersprechenden Faktenaussagen. Jetzt wird mit viel Wortspiel die Falschinterpretation der Aussagen konstruiert. Die Leute brauchen nun mal ihren Job.
    Ach, teurer Herr Mittig, wenn man der Keule „Verschwörungstheorie“ nachgibt, hat man schon verloren. Dann bin ich eben ein Verschwörungstheoretiker. Na und? Wie schon einmal gesagt, lieber dieser Gefahr ausgesetzt sein, als auf den gesunden Menschenverstand zu verzichten. Informieren Sie sich mal im Internet, Sie werden unter den schon als fast geisteskrank verleumdeten Kritikern eine große Anzahl von Experten, z.B. Fachtechnikern, die sich organisiert haben, weil ihre Standesehre es erfordert, finden, die ganz einfach auf fachlichen Unsinn aufmerksam machen. Die Kennzeichnung als Verschwörungstheoretiker soll es einfacher machen, den unangenehmen Fragen ausweichen zu können. Derer gibt es jede Menge. Übrigens wird diese Taktik auch mit dem Begriffen Antisemitismus, Stalinismus, Kommunismus oder Demokratie verfolgt. Könnte es sein, daß der Aufruhr in den arabischen Ländern nur eine Seite eines weltweiten Prozesses ist, viele Leute inzwischen nicht mehr die alltägliche Manipulation schlucken wollen und auch die „Verschwörungstheorie“ nur den Ausdruck dieser Entwicklung in den westlichen Ländern darstellt? Wäre wohl eine Überlegung wert, möchte ich meinen. Natürlich können Sie Recht haben, eine geheimdienstliche Inszenierung von 9/11 kann hier nicht abgelaufen sein, es sei denn, man hält den Schwachsinn „James Bond“ für Realität. Aber das die Regierung Teile der Chose still beobachtete und laufen ließ, dann ausnutzte und eigene Aktionen einpaßte, halte ich schon für sehr wahrscheinlich, natürlich nicht durch den Schwachkopf Bush, aber Cheney wäre schon denkbar. Und einige Abläufe erinnern doch sehr an Öl, das ins Feuer gegossen wurde.
    Im Theatrium des Schiffes wird im Unterschied zur Einstimmung auf andere Häfen der Reise zu N.Y. sogar eine literarisch-musikalische Matinee zelebriert. Der Höhepunkt ist dabei ganz simpel: Sieh die Größe dieser Stadt [Wolkenkratzer], sieh den Big Apple! Also: groß=mächtig=gut.
    Über die ganze Zeit der Matinee wird auf einer riesigen Leinwand im Hintergrund ein 5 $-Schein eingeblendet, der eigentlich genügend Anlaß zu ganz anderen Fragen böte. Dessen Aufdruck „In god we trust“ könnte wachen Gemütern die Frage aufdrängen: Wer ist Gott in diesem Falle? Für den US-Amerikaner ist ganz klar der $ der Gott, das ist der Kern der amerikanischen Religiosität. Für den Ausländer, dessen Staat fleißig und ängstlich US-Anleihen, wie sehr nachdrücklich von der US-Regierung eingefordert, kauft, können nur die USA dieser Gott sein: Glaubt an uns! (Und gebt Euer Geld!) Wer nicht, weiß er auch um den Nichtwert des $, landet auf der Schurkenliste.
    Im 4-D-Kino, herrliches Erlebnis, wobei die 4. Dimension hochgestapelt erscheint, kann ich Herbigs Hollywood-Klischee der Mondlandung dreier Fliegen erleben. Naja, Geschmackssache, aber mit einem durchaus ernst gemeinten Abschnitt, der Rekonstruktion der „ersten Schritte eines Menschen auf dem Mond“ mit dem vielleicht zweitblödesten Satz: „Ein kleiner Schritt, aber ein großer für die Menschheit“. Was hat er denn nun gebracht? Ich finde nichts Denkwürdiges. In meiner aktuellen Chartliste wird als blödester die 3-Wetter-Daft-Werbung für den Euro geführt. An 3. Stelle steht Fischers Auschwitzbezug, der zur Etablierung seines militärischen Pazifismus herhalten mußte. Mit diesen Hollywood-Maschen wachsen Millionen Kinder auf, sie sollen nicht hinterfragen und an die Stärke und Güte der USA glauben.
    Das Schiff legt direkt neben einem ausgedienten Flugzeugträger an, der mit einem zu Füßen liegenden U-Boot Kriegsmuseum spielt. Zur Demonstration von US-Stärke, als Angstgenerator, ist er inzwischen doch viel zu klein. Auf seinem Deck steht ein dutzend „legendärer“ Kampfjets aneinander gereiht. Tagsüber ist reger Besuch, Ergötzen an Stärke geboten. Gibt es auf der Welt noch eine gleiche Perversion?
    An den hehren Willen der USA, die Menschheit mit Demokratie zu segnen, habe ich nie geglaubt, das ist was für Einfältige. Ebenso nicht die Mär von Größe=Macht=Güte, eine sonderbare Verbindung, und von US-Demokratie. Schon Hannah Arendt war kurz nach dem 2. Weltkrieg, als der Demokratieslogan aufgebauscht wurde, verwundert: Wieso sollen die USA eine Demokratie sein? Sie waren es nie, geht historisch gar nicht, hier herrscht nur das Gesetz! Seither erleben wir nur Mord und Totschlag im Namen der Demokratie, wenn die USA ein Land beglücken wollen, meist mit dem Abschluß miesester Diktaturen. Aber was soll aus einem Land, das auf dem ersten Völkermord der jüngeren Geschichte aufbaut, und diese Zeiten bis heute als heroische Gründung glorifiziert, kommen? Der amerikanische Gründergeist ist nur verlogen.
    Die Matinee, mehr ein werbeorientiertes Einschießen der engagierten Kulturhistorikerin ist überwiegend von der Bewunderung der Gigantomanie geprägt. Sie steht im nicht hinterfragten Widerspruch zum mitgesungenen Klagelied der „größten Katastrophe“ 9/11 des Jahrhunderts. Tatsächlich die größte? Ich bezweifle das. Ja, wenn man nur die eigenen Verluste zählt, kann das stimmen, aber nur dann. Es fehlt mir dabei die Verbindung zwischen dem Schock der Ereignisse und dem wieder bemühten Gründergeist. Woher kommt die Überdimensionierung als größte Katastrophe und die vielleicht 90%-ige Zustimmung der Amerikaner, irgendjemanden für die Schmach bezahlen lassen zu wollen, unabhängig von Schuld, einfach auf irgendjemanden einzuschlagen? Ist es die ohnmächtige Wut, schwindende Allmacht sehen zu müssen?
    Und trotzig, ja bockig wie ein verhätscheltes Kind, wird auch im Kleinen am Anspruch, alle tanzen gefälligst nach ihrer Pfeife, festgehalten.
    Aus meiner Frau, Ilse Marita mit Vornamen, dabei der zweite als Rufname, wurde dank des etwas schwachbrüstigen Erfassungssystems ESTA, dem unsere Regierung willfährig folgt, über Nacht Ilse, obwohl sie Marita heißt, ohne eine Spur von Konzession.
    Die Köche, die täglich für die Speisemengen unglaubliche Qualität lieferten, waren schon krank vor Angst wegen der gefürchteten US-Qualitätskontrolle, ihr Alptraum. Die bedroht systematisch alle Schiffe, die die USA ansteuern, ungeachtet der schon sprichwörtlichen Schlamperei in der US-Schlachtindustrie, in der seit Beginn skandalöse Zustände herrschen. Deswegen werden ja noch US-Fleischimporte nach Germany verweigert, sehr zum Unwillen der US-Regierung. Ich kann hierin nur eine gehässige Retourkutsche gegen Unbotmäßige sehen.
    Auch das strikte Verbot der Einfuhr auch des unschuldigsten Brötchens kann man wohl diesem Anspruch zuordnen, hier ungeachtet der Posaunenstöße für einen „freien Markt“, nur nicht im eigenen Land.
    Der Passagier wird vor der Landung mehrfach vorgewarnt, der Kapitän entschuldigt sich immer wieder für diese Unannehmlichkeit, nicht an den rüden Umgangsformen der Einwanderungsbehörden zu erschrecken, alle Ausländer würden eben als Feinde betrachtet, bitte keine Gegenrede! Aber hier bitte keinen Vergleich ziehen zu den oft zitierten Erlebnissen der Westbesucher an den DDR-Grenzübergangsstellen, denn diese hier in den USA sind ja demokratisch legitimiert. Mit dem analogen Argument wollte uns einst ein hochrangiger SPD-Funktionär fangen, als wir ihm anboten, nach Abarbeitung des MfS mit dem nächsten Geheimdienst fortzusetzen. Schallendes Gelächter beleidigte ihn zutiefst und er verließ abrupt das Forum. Jetzt führen die USA wohl einen demokratisch legitimierten Bürokratenkrieg gegen den Rest der Welt und wundern sich ob ihres schwindenden Ansehens. Ach ja, von welcher Demokratie sprechen sie eigentlich?
    Ich werde den Verdacht nicht los, daß eigentlich das Versorgungsmonopol der Hafenbetriebe so gesichert werden soll. Po prikasu wird nicht nur bei Strafe die Einfuhr von Lebensmitteln und Getränken untersagt, der Schiffsbesatzung ist strikt untersagt, auch nur einen Passagier oder -koffer helfend anzufassen.
    So stellen sich die USA wohl die idealen Beziehungen zum Ausland vor, hier haben sie noch die Macht.
    Hinter dem Zaun, nicht der Mauer, die wäre ja kommunistisch, würden die Amis dann nett und äußerst liebenswürdig werden, um nicht zu sagen scheißfreundlich. Sind denn an den Einlaßschaltern etwa hirngewaschene Zombis und keine US-Amerikaner? Oder ändern die Amis sekundenschnell ihr Wesen von einem Extrem ins andere?
    N.Y. selbst erzeugt in mir keine Bewunderung, ich wundere mich nur, wieso Andere darin Vorbildliches sehen können. Hier möchte ich nicht tot über`n Zaun hängen. Die „Besichtigungstouren“ sind brutalem Straßenraub nicht unähnlich, ahnungslos zahlt man horrende Preise für fast nichts, um anschließend zum Trinkgeldgeben fast genötigt zu werden. Und immer singt man das Eigenloblied.
    Also, für diese Einsichten lohnt sich auch eine touristische Schiffsreise allemal.

  26. Von Schröder nichts Neues
    Die brandenburgische Landtagsfraktion der SPD hatte für letzten Donnerstag zu ihrem 20. Wirtschaftsforum zahlreiche Gäste aus Politik und Wirtschaft eingeladen. Prominentester und Hauptredner zu „Perspektiven und Herausforderungen für Deutschland und Europa in einer globalisierten Welt“ war Gerhard Schröder, Bundeskanzler a. D. Ministerpräsident Platzeck gab nur eine sehr knappe Einführung ins Thema aus seiner Brandenburger Perspektive.
    Natürlich ging es zunächst gleich um den Euro und seine derzeitige Krise. Und wie jedermann verwies Schröder auf angebliche Irrtümer seines Amtsvorgängers H. Kohl und des Franzosen Mitterrand, die bei ihren Beschlüssen zur Währungsunion geglaubt hätten, der Euro werde die Herausbildung der erforderlichen politischen Union Europas schon voran bringen. Tut er das denn nicht gerade mit aller Macht?
    Dass Schröder seine Agenda 2010 weiterhin rechtfertigen würde, war ebenfalls zu erwarten. Und eine europäische Wirtschaftsregierung, die er heute für erforderlich hält, sieht er, wie auf Grund seiner Agenda ebenfalls zu erwarten war, vor die Aufgabe gestellt, die europäischen Sozialsysteme derart anzugleichen, dass sich die Schere zwischen Arbeitseinkommen und Renten vergrößert, anstatt verringert zu werden. Altersarmut hat damit nun eine andere Umschreibung bekommen und soll europaweit vereinheitlicht werden.
    Auch nicht neu ist Schröders jetzige Forderung nach Kontrolle der Finanzmärkte – nämlich insofern, als er nun in Potsdam nur nachplapperte, was inzwischen alle Welt für erforderlich hält, wo er selbst doch im Jahre 2004 als damaliger Regierungschef seinen sozialdemokratischen Minister Hans Eichel im Interesse des Finanzkapitals das Verbot von Hedgefonds in Deutschland hat aufheben lassen. Sollte er das vergessen haben? Perfider weise mokierte er sich nun über die früheren britischen und amerikanischen Forderungen an Deutschland, man möge diese hochriskanten Papiere endlich zulassen.
    Schröders (und inzwischen auch Steinmeiers) Vorschlag, zur Privatisierung griechischen Staatsvermögens eine europäische Treuhand zu gründen, geht auch nur auf eine entsprechende Idee seines Amtsvorgängers Kohl für die Verscherbelung des Volkseigentums der DDR-Bürger zurück. Dabei könne man, so Schröder, auf deutsche Beratung hoffen. Dass dabei Fehler wie vor zwanzig Jahren in Deutschland nicht wiederholt würden und Staatseigentum nicht verschenkt werde, dürfte sich als ein frommer Wunsch des heutigen Lobbyisten (Wikipedia) des Großkapitals erweisen. Die Finanzhaie stehen schon in den Startlöchern. Die Unternehmensberatung Roland Berger, welche die Europa-Treuhandidee kreiert haben soll, bezifferte die geschätzten möglichen Einnahmen aus dem griechischen Ausverkauf nach Schröders Angaben bereits auf etwa 125 Milliarden Euro. Viel Geld? Wohl kaum für Banken, Versicherungen und sonstige Gesellschaften, die über Billionen-schwere Euro- und Dollarbestände aus ihren Spekulationen verfügen und damit nach profitablen Sachanlagen suchen. Dass sich bei solchem Großausverkauf angesichts der allgemeinen Herrschaft des Finanzgroßkapitals mit Hilfe international operierender Unternehmensberatungen und des weltweiten Lobbyismus auch unter dem Deckmantel einer Europatreuhand nicht das Sanierungsinteresse des griechischen Volkes bzw. der Völker Europas durchsetzt, sondern die namenlose allgemeine Geld- und Profitgier, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und wer – wie Schröder – meint, eine parlamentarische Kontrolle würde dies verhindern, ist bestenfalls ein Selbstbetrüger, ein Illusionist. Wie dieser Tage bei einer Umfrage festgestellt wurde, hatten bei der jüngsten Abstimmung im Bundestag über den erweiterten Euro-Rettungsschirm nur die wenigsten Abgeordneten eine einigermaßen genaue Vorstellung von der Höhe der Beträge, über die sie entschieden.
    Auch was Herr Schröder sonst noch von sich gab, etwa in Sachen China, Indien und Brasilien als ökonomische Großmächte der Zukunft, über Russland als bedeutender Roh- und Brennstofflieferant und mögliches Assoziiertes Mitglied der EU sowie über die Rolle der Türkei als Wirtschaftsmacht und Brücke zwischen der EU und der islamischen Welt, war vorher schon Politikern zu hören gewesen, die an der Regierung beteiligt sind oder waren.
    Das alles ein Wirtschaftsforum? Diskutiert wurde nicht, nicht einmal Fragen konnten gestellt werden. Schröder hatte gesprochen, wie man es gewöhnt war, in schöner Rede und mit einem Schuss Selbstironie – und verschwand. Zurück blieb das mittlere und mittelständische Parteivolk. Es durfte sich an einem opulenten Buffet laben und Connections pflegen. Alles auf Kosten, versteht sich, des zahlenden Volks!
    P.s.: Gerade am Tage des 20. Wirtschaftsforums erschreckte das Land Brandenburg die Öffentlichkeit mit skandalösen antisemitischen Schülermeinungen an Schulen. Und wieder werden nun Schuldige für nazistisches Gedankengut in den Köpfen von Kindern gesucht. Nach den Ursachen sollte man fragen! Dann geriete eine „gut bürgerliche“ Wirtschafts- und Finanzpolitik, auch von Sozialdemokraten betrieben, in den Focus, die, anstatt sozial ausgleichend zu wirken, die Schere zwischen arm und reich in der Gesellschaft (nun sogar bewusst!) vergrößert, die damit Ängste und Misstrauen schürt, Wut erzeugt und so mit uralten Vorbehalten tot geglaubte Gespenster der Vergangenheit weckt.

  27. HWK sagt:

    Eine Meldung in heutigen Tageszeitungen, die zu lesen man nicht verpassen sollte und die hier wohl auch nicht besonders kommentiert werden muß:
    http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/12186122/62249/Bildungsministerin-verspricht-Aufklaerung-der-Vorfaelle-in-Werder-und.html
    HWK

  28. Helge Jürgs sagt:

    „Guttenberg wird Vordenker“ titelt Spiegel-online eine Meldung, deren Inhalt aus der Mitteilung besteht, dass der über eine Plagiatsaffaire gestürzte Politiker nun bei der renommierten amerikanischen Denkfabrik, dem “Center for Strategic and International Studies” (CSIS) angeheuert hat; übrigens mit der Funktionsbezeichnung “ Distinguished Statesman”, also “angesehener Staatsmann”. Immerhin hat diese – unbezahlte ! – Tätigkeit für den Freiherrn einen Vorteil: Wer vorausdenkt, läuft nicht Gefahr zu plagiieren. Sollte man jedenfalls annehmen.
    Helge Jürgs

  29. Kay sagt:

    Preisrätsel: Geht es um eine Demonstration in Syrien?…
    ” Vor dem Anpfiff zeigten Polizisten in Hundertschaften auf Straßen und Plätzen rund um die Arena Präsenz, um die von Krawallmachern aus beiden Lagern angekündigte Randale zu verhindern. Es herrschte von den späten Nachmittagsstunden an Ausnahmestimmung in der sächsischen Landeshauptstadt, der Verkehr brach an vielen Stellen zusammen, vier Hubschrauber kreisten im Tiefflug über der Stadt, um aus der Luft zu beobachten, wohin sich gewaltbereite Gruppen in Stadionnähe zurückgezogen hatten.”
    …oder um ein Fußball”spiel” in Deutschland?
    The winner is: Diese Zeilen aus der FAZ beschreiben die Umstände der Austragung des Zweitligaspieles FFM gegen Dynamo Dresden (in Dresden). Es geht also nur um Sport …
    Kay

  30. Helge Jürgs sagt:

    “Staatlich gefördertes Doping, gab es das nur in der DDR? Neuen Erkenntnissen von Historikern zufolge setzte auch der Westen auf Anabolika und Testosteron. Bei den Olympischen Spielen 1972 kam die Parole “Medaillen gewinnen mit allen Mitteln” nach SPIEGEL-Informationen direkt aus der Bonner Regierung.”
    Ach Mensch, Spiegel-online, grade haben wir uns in der Heimeligkeit unseres nicht zuletzt auch moralisch so sauberen Gemeinwesens eingekuschelt, und dann komnmen Sie uns mit sowas.
    Das erinnert mich an einen West-TV-Bericht vom Ende der Achtziger Jahre, wo eine Dame mittleren Alters aus Dresden, die per Ausreiserlaubnis auf einem westdeutschen Bahhof angekommen von einem Reporter darauf aufmerksam gemacht wuerde, daß ihre sorglosen Zukunftsvorstellungen in Anbetracht einer Massenarberitslosigkeit möglicherweise blauäugig seien, und die Dame dann ins Westfernsehen sagte: “Wers glaubt…”
    Helge Jürgs

    • Thorsten Koppusch sagt:

      Lieber Herr Jürgs, vorgestern las ich in der “Süddeutschen Zeitung” etwas, worüber man sich fast amüsieren könnte, wäre es nicht so widerlich nicht nur, aber auch auch weil hierzulande immer nur dem Osten unlauterer Mittel zwecks Medaillengewinnung unterstellt worden sind:

      “DDR-Staatsdoping als Vorbild: Auch im Westen kamen in den Siebziger Jahren bizarre Praktiken zur Anwendung. Für Olympia 1976 wurden westdeutsche Schwimmer auf unappetitliche Art aufgeblasen. Ein Gummiproduzent soll dem DSV eine Art Stöpsel-Lösung angeboten haben.”

      Wer es ausführlich lesen möchte:http://www.sueddeutsche.de/sport/doping-im-westdeutschland-der-siebziger-jahre-frischluft-im-gesaess-1.1150500
      Th. Koppusch

  31. Claude Lanz sagt:

    PdL-“Stalinismus-Debatte” (E. Crome)

    Guten Tag Herr “Erhard Crome, Dr. rer. pol. habil., Politikwissenschaftler, Referent für Friedens- und Sicherheitspolitik sowie Europapolitik im Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung”.

    Zwei Bemerkungen:

    So ist das formal wenn Mann als Politideologie anderen Politideologen Politideologie vorwirft. Inhaltlich entbehrt es jeglicher Logik, eine “Gespenster”- oder Phantomdebatte zu kommentieren – es sei denn, Mann will sich als noch phantomischer oder gespenstischer darstellen.

  32. jaku sagt:

    Vom Niedergang der Langzeit – Eine “Spiegel”ung
    Unter der Dachzeile “Langzeitprognose” war bei Spiegel-online am 19.9.11 zu lesen:
    “Der internationale Luftverkehr wird nach Einschätzung von Airbus stark wachsen: Mit 27.800 neuen Passagiermaschinen rechnet der Flugzeugbauer in den kommenden 20 Jahren. Das sind 7,5 Prozent mehr als zuletzt für die Zeit von 2010 bis 2029 in Aussicht gestellt.”
    Und am 22.9.2011 ist dann bei der gleichen Quelle unter der Dachzeile “Befürchteter Abschwung” zu lesen:
    “Deutschlands größte Airline will nicht mit leeren Flugzeugen hinterher fliegen: Darum reduziert die Lufthansa die Zahl der Flüge deutlich und setzt künftig kleinere Flugzeuge ein.”
    Was zeigt das – außer der Wertlosigkeit zahlreicher Kaffeesatz-Meldungen besonders zu Wirtschaftsfragen: Langzeitprognosen sind auch nicht mehr, was sie mal waren….
    Jk.

  33. Karl-Heinz Mittig sagt:

    Nun, lieber Wolfram Adolphi – hier scheint ein nicht eben bis ans Ende bedachter Unmut Ihre Feder geführt zu haben. Nicht nur, weil sich die Frage, ob man fragen dürfe, natürlich auch auf eine verschwörungsskeptische Haltung wie die Meine beziehen läßt, seis drum. Aber der antwortheischende Hinweis auf die relativ kleine Zahl der Flugzeugentführer und die mögliche Fernsteuerung der Jets auf die Frage nach der “Unmenge zwingend Beteiligter am Gesamtunternehmen ist eben leider nicht hin- und herreichend. Denn wer hat nun in zwei Gebäuden von jeweils über 100 Stockwerken einfach mal so und unbemerkt die Sprengladungen angebracht? Wer alles hat wissentlich die Mehrzahl der in den WTC-Türmen Arbeitenden an diesem Tag unter Vorwänden von der Arbeit im Haus abgehalten? Wer hat am Pentagon alles Beweismaterial für einen selbstgemachten so schnell weggeräumt, u.a.m.? Da gehts mir doch halt so wie BB, der danach fragte, wer das siebentorige Theben gebaut hatte…
    Ums nochmal zu sagen: ich traue Regierungen und Geheimdiensten alles, aber auch alles zu – auch, den 11. September selbst organisiert zu haben. Nur eben gibts dafür bisher fast nur Indizien, keine zwingenden Beweise. Und solange das so ist (denn auf die Öffnung von Geheimdienstarchiven werden wir wohl warten müssen, bis wieder mal ein globaler Systemwechsel erfolgt (so wir das noch erleben) kann man freilich fragen. Keinen Beweis für die eigene These – und sei diese noch so folgerichtig – zu haben, macht diese Position aber halt nicht überzeugender; es sei denn, man sieht die Dinge so ideologisch, daß man eigentlich auch weder eines sachdienlichen Beweises bzw. keines Gegenbeweises bedarf, um zu glauben, woran man glaubt.
    Ihr KHM

    • Charlie sagt:

      Lieber Herr Mittig, ich fürchte, Sie haben sowohl die Ausgangstexte, als auch die Bemerkungen hier im Forum missverstanden bzw. missverstehen wollen. Vielleicht darf ich Sie aufklären: Die Sicht eines Historikers ist stets eine fragende und muss es zwingend sein – ansonsten wäre keine Aufarbeitung und Durchleuchtung vergangener Geschehnisse möglich. Indizien spielen dabei selbstverständlich eine wichtige Rolle – oft genug kommt es in der historischen Forschung vor, dass mangels Beweisen auf Indizien zurückgegriffen werden muss.

      In diesem Zusammenhang gilt natürlich auch die beliebte Formel “In dubio pro reo” nicht – es wäre grotesk, wenn die Behauptung irgendeiner Regierung – durch keine Beweise belegt – so lange als “wahr” zu gelten habe, bis jemand das Gegenteilt beweist. Das ist sowohl wissenschaftlicher, als auch intellektueller Unsinn.

      Auf 9/11 bezogen lässt sich der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Forschung besonders gut an den Ergebnissen des Schweizer Historikers Daniele Ganser ablesen, der schlichtweg zu dem Ergebnis kommt, dass wir (noch) nicht wissen, was genau an diesem Tag geschehen ist. Er unterscheidet zwischen drei möglichen Hauptvarianten: 1. Die USA wussten von alledem nichts und sind vom Terrorangriff vollkommen überrascht worden. 2. Einige Personen der US-Regierung waren informiert und haben den Angriff aus interessengeleiteter Motivation geschehen lassen. 3. Der Terror ging von Personen innerhalb der US-Regierung aus.

      Welche dieser drei Verschwörungstheorien – denn es sind allesamt solche – nun der Wahrheit entspricht oder ob es noch ganz andere Hintergründe gibt, die bislang niemand kennt, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht festzustellen. Dennoch gibt es genügend Indizien, die zumindest aus wissenschaftlicher, historischer Sicht die erstgenannte Verschwörungstheorie, nach der Herr Bush und seine Kumpane von den Ereignissen vollkommen überrascht worden sein sollen, als höchst unwahrscheinlich erscheinen lassen.

      Aber machen Sie sich selbst ein Bild und hören Sie sich selbst an, wie Herr Ganser an der Universität Basel die Fakten erläutert:

      http://edvan.fadeout.ch/ref/?customerId=30&channelId=189&broadcastId=1379&wide=

  34. Wolfram Adolphi sagt:

    Nun haben wir sie dank Karl-Heinz Mittig auch im Blättchen: die Rede von den Verschwörungstheorien und Verschwörungstheoretikern. Wer hat eigentlich wann und zu welchem Zweck diese seltsamen Begriffe erfunden? Es sind Kampfbegriffe, zielgerichtet eingesetzt, um die Fragenden – und das Fragen überhaupt – zu diskreditieren. Bröckers und Walther stellen Fragen über Fragen. Seit 2001. Keine wird beantwortet. Warum? Weil “Verschwörungstheoretiker” offensichtlich einer Antwort nicht für würdig zu befinden sind. Per se. Basta.
    Bröckers und Walther setzen sich übrigens auch mit der Frage der “Unmenge an Beteiligten” auseinander, die KH Mittig aufwirft, und sie machen in diesem Zusammenhang auf die technischen Möglichkeiten der Fernsteuerung der Flugzeuge aufmerksam und darauf, dass in einem solchen Falle die Zahl der tatsächlichen Mitwisser sehr klein sein konnte.
    Und so bleibt die einfachste Frage doch immer noch die: Warum werden die so verdammt einfachen Fragen zum Nicht-Schutz des Luftraums, zu den unklaren Passagierlisten, zur jahrelangen geheimdienstlichen Überwachung der angeblichen späteren Täter, zu den seltsam komplett auf Täterschaft hinweisenden Gepäckstücken, zur überaus eigenartigen Beschädigung des Pentagon durch – ja, wodurch denn eigentlich? – nicht einfach beantwortet? Womit alle “Verschwörtungstheoretiker” ein für allemal zum Schweigen gebracht wären? Warum werden statt dessen Geheimhaltungsfristen verlängert, Videos unter Verschluss gehalten usw. usf.?
    “Im Zweifel für den Angeklagten”: Wie leicht der sich entlasten könnte, wenn …

    Wolfram Adolphi

  35. Karl-Heinz Mittig sagt:

    Ach, von mir sonst so geschätzter Erhard Crome – so wie schon mal im Mai in diesem Forum frage ich mich erneut, warum Sie es nötig haben, in Sachen 9-11 wieder die Verschwörungstheorien zu bemühen. Nicht, daß ich den Geheimdiensten dieser Welt, allen voran dem amerikanischen – nicht auch jede Schweinerei zutraue – solange es aber nichts Schlüssigeres gibt als Indizien gilt – leider – selbst für diese: Im Zweifel für den Angeklagten.
    Und: Gibt Ihnen nicht auch zu denken, welch Unmengen an Beteiligten in diese Verschwörung World Trade Center, Pentagon) hätten einbezogen werden müssen – mit dem Risiko, daß auch wenn nur einer davon sich erklärt, bevor er eliminiert wird, die Geschichte der Politik ihren wohl XX-Supergau hätte – mit politletalen Konsequenzen dann für jene, die das organisiert haben. Dagegen war die Installierung e i n e s Mordschützen für JFK durch vermutlich eine Handvoll Eingeweihter ein Kindergeburtstag.
    Nichts für ungut, Ihr KH Mittig.

  36. Vill Fred sagt:

    Traum des fragenden Weltbetrachters (Fortsetzung vom12.09.2011)

    … und nun träume ich einmal in den nächsten Abschnitten: Ich schlage eine Zeitung auf und lese folgende Kurzmeldungen:

    Israel und Palästina haben gegenseitig diplomatische Vertretungen in den beiden Hauptstädten Tel Aviv und Hebron eingerichtet. Die Grenze zwischen beiden Staaten wurde weitgehend dem Grenzverlauf von 1967 festgeschrieben, was auch für die Golanhöhe und den Gaza-Streifen gilt. Die ehemals israelischen Siedlungsbauten auf palästinensischen und syrischen Staatsgebiet wurden als Wiedergutmachung den Palästinensern bzw. Syriern übergeben. Palästina hat auf dieser Grundlage auf das Rückkehrrecht der 1,3 Millionen vertriebener Palästinenser in das heutige israelische Staatsgebiet verzichtet. Zwischen Gaza und dem Hauptland wird eine Shuttle-Bahn und eine Transitautobahn für den Personen- und Gü-terverkehr errichtet. Das Baukonsortium wurde paritätisch aus israelischen und palästinensi-schen Unternehmen gebildet, das die Planung und Durchführung übernimmt.

    Das Kosovo hat sich mit Albanien zu einem einheitlichen Staat vereinigt, der nicht mehr Nato-Mitglied ist. Sämtliche ausländische Truppen haben das neue Albanien verlassen. Die Armeen wurde aufgelöst und nur eine Zivilverteidigung mit inneren Aufgaben, wie des Kata-strophenschutzes, gebildet. Der bisher nördliche Teil des Kosovo bleibt Teil Serbiens.

    Zypern ist nun wieder ein eine einheitliche Republik. Um die regionale Trennung der türkischen und griechischen Sprachgruppen zu entkrampfen, können beide Bevölkerungsgruppen frei ihren Wohnsitz wählen. Probleme des Grundeigentums u.a. werden in einer Kommission geregelt. Ist die Rückgabe nicht möglich, werden aus einem gebildeten Versöhnungsfonds finanzielle Ausgleiche gezahlt.

    Die UN-Vollversammlung hat eine Deklaration zur Lösung regionale Konflikte und zur Stärkung nationaler Identitäten beschlossen. Hauptinhalt ist auch, dass Militärstützpunkte eines Staates außerhalb seines Territoriums aufzulösen sind. Da die bisherigen Stationierungsländer immer als Freundländer erklärt wurden und das dort stationierte Militär nicht gegen Dritte gerichtet sei, erübrigt sich eine solche militärische Infrastruktur außerhalb der Landesgrenzen. Ein weiterer Punkt dieser UN-Deklaration ist die Auflösung von historischen Pachtverträgen über Gebiete in anderen Ländern. Der Entzug von Staatsterritorium durch andere Staaten ist nicht statthaft und völkerrechtswidrig.

    Die USA haben den Stützpunkt Guantanamo auf Kuba nach mehr als einhundert Jahren geräumt und den kubanischen Behörden übergeben. Sämtliche Militär- und Gefangenenein-richtungen wurden von den USA abgebaut.

    Alle zum gegenwärtigen Zeitpunkt strittigen Grenzziehungen sind bis zum Ende des Jahres an den UN-Sicherheitsrat von den betreffenden Staaten bekanntzugeben. Der Sicherheitsrat wird diese an ein von den UN-Mitgliedstaaten zu bildendes Gremium leiten, um möglichst binnen eines Jahres einvernehmliche Lösungen zu erarbeiten, die in der UN-Sicheheitsrat abschließend behandelt werden. Jede betroffene Seite kann drei Schiedsstaaten als Kom-missionsmitglieder berufen. Nicht berufen werden können Staaten, die selbst dem Sicher-heitsrat oder einem militärischen Staatenbündnis angehören.

    Die UN-Vollversammlung hat ein weltweites Verbot des privaten Waffenbesitzes den Mit-gliedsländern zur Ratifizierung vorgelegt. Der private Waffenbesitz ist nicht Ausdruck von Freiheitsgefühlen sondern eine potentielle Gefahr für das Leben in einer freiheitlichen Zivil-gesellschaft. Binnen von zwei Jahren hat jeder Staat, der diese Urkunde ratifiziert, die staat-lichen Maßnahmen umzusetzen, und die Entwaffnung der Zivilbevölkerung zu erreichen. Ist die Deklaration von mehr als 100 Staaten ratifiziert, gilt ein weltweites Produktions- und Handelsverbot von Gewehren und Handfeuerwaffen für Zivilpersonen. Rüstungsbetriebe und solche Firmen, die Waffen produzieren werden weltweit einer internationalen Inspektion un-terworfen. Das Jagen und Sportschießen mit Handfeuerwaffen kann in regionalen Sport- und Jagdvereinen, die der Polizei angeschlossen sind, von zivilen Interessenten betrieben werden. Die gesetzlichen Regelungen treffen die Staaten eigenverantwortlich. Das Internationale Olympische Komitee prüft, ob heutige Schießsportarten noch zeitgemäß sind bzw. nicht mehr betrieben werden sollten.

    In den Kaukasus-Republiken ist man zu der Einsicht gekommen, der nationalen Identität mehr Beachtung zu schenken. In einer gemeinsamen Erklärung verpflichteten sich Staatliche Gesandte aus Georgien, Abchasien, Südossietien, Bergkarabach, Aserbaidschan und Ar-menien ihren umstrittenen Regionen die Eigenstaatlichkeit zuzugestehen. Territoriale Gege-benheiten werden bei der Grenzziehung friedlich berücksichtigt. In keinem dieser Staaten werden lt. dem jüngsten UN-Beschluss Militärstandorte andere Staaten eingerichtet. Vor-handene Stützpunkte werden binnen eines Jahres aufgelöst. Keiner der Kaukasusstaaten tritt einem Militärbündnis bei oder beteiligt sich an militärischen Einsätzen und Übungen auf fremden Territorien. Russland stimmt der Durchführung einer Volksabstimmung in Nord- und Südossetien zu, ob beide Territorien zu einem gemeinsamen Staat fusionieren wollen. Stimmen beide Territorien für eine Fusion, wird das bisherige Nordossetien aus der Russi-schen Föderation entlassen. Wird gegen eine Fusion entschieden, bleibt Südossetien ein eigenständiger Staat.

    Das Kaspische Binnenmeer wird zur „Militärfreien See“ erklärt. Alle fünf Anliegerstaaten be-schränken sich ausschließlich auf Grenz-, Zoll- und Katastrophenschutzmaßnahmen. Nicht-anrainerstaaten haben kein Recht, sich mit Militärkräften im Seegebiet aufzuhalten. Auch das Wirtschaftliche Aktivitäten sind ausschließlich den Anrainerstaaten erlaubt. Keiner der Anrainer darf Teile seiner Handlungsrechte an Nichtanrainer übertragen. Dazu wurde ein Kaspirat der fünf Anrainer geschaffen, in dem alle Angelegenheiten einvernehmlich zu regeln sind.

    Der Dalai Lama ist nach Tibet als geistliches Oberhaupt zurückgekehrt. Die bisherige Exilre-gierung hat ihre Aktivitäten eingestellt. Der tibetische Adel und die Klöster haben auf ihr feu-dalistisches Eigentum an Grund und Boden sowie an Frondiensten der Bevölkerung in einer Deklaration verzichtet. Die Klosteranlagen bleiben in Eigentum der dort lebenden Mönche. Zur Erhaltung und Sanierung der Anlagen als Kulturgut wird ein zentraler Tibetfonds gebildet, der von der tibetischen Autonomiebehörde verwaltet bzw. verwendet wird. Der Autonomiestatus im Rahmen des chinesischen Zentralstaates wurde neu geregelt. Neben einem tibetischen Regionalparlament wählen die Tibeter Vertreter in das Pekinger Zentralparlament. Die Außen-, Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik liegt in den Händen der Chinesischen Zentralregierung.

    Pakistan, Indien und China haben gegenseitige Gebietsansprüche niedergelegt. Die aktuellen Grenzen des Status quo wurden vertraglich festgeschrieben, wobei eine Entmilitarisierung der bisherigen Streitgebiete binnen eines Jahres erfolgen wird. Die betroffenen Regierungen haben eine jeweilige gemeinsame paritätische Kaschmir- bzw. Himalaja-Kommission gebildet, deren Vertreter grenzüberschreitend Kontrollen vornehmen. Zur Gleichberechtigung von Religionen in den Gebieten wurde im Vorfeld erreicht, dass sie – die Oberhäupter und Gläu-bigen – künftig friedlich und tolerant ihre Traditionen und Feiertage begehen werden.

    Für Afrika hat die Afrikanische Union nach mehreren Jahren ein länderübergreifendes Ge-samtentwicklungskonzept erarbeitet, ohne das Souveränitätsrechte eingeschränkt werden. Es handelt sich um ein Rahmenprogramm. Erstmals sind auch bilaterale Strategieprogramme interessierter Staaten Bestandteil. Kodexe wurden für folgende Hauptrichtungen unter Berücksichtigung humaner, traditionell-kultureller, ökologischer, klimatischer und wirtschaftli-cher Unterscheidungen vereinbart:
    Trinkwasserversorgung der Bevölkerung und Brauchwasser für klimatisch-wirtschaftliche Existenzbedingungen.
    Ökologisch-wirtschaftliche Erschließung, Abbau von Bodenschätzen in nationaler Verantwortung der Staaten.
    Bodenschätze werden als Nationaleigentum erklärt. Damit ist die Veräußerung von Lagerstätten und Vorräten nicht zulässig und bisherige Verträge nichtig. Mindestens eine erste Verarbeitungsstufe ist wertschöpfend in Eigenregie eines Unternehmens des Nationalstaates vorgesehen.
    Gemeinsame technische Infrastrukurförderung und transnationale Verkehrsentwicklung per Eisenbahn
    Schifffahrt,Straßen und Flug sowie von Energieversorgungsnetzen
    Bildung der afrikanischen Bevölkerung auf nationaler Grundlage
    Das besondere dieses Konzeptes ist, das die UN einen Förderfonds anlegen wird, der als Afrikanischer Solidaritäts- und Wiedergutmachungsfond durch anteilige Zahlungen aller In-dustrieländer und aus Sonderzahlungen von Rüstungsexportländern ausgestattet wird. Die afrikanischen Staaten werden projektkonkrete Eigenanteile zur Fördersumme erbringen. Auf-träge werden ausschließlich an nationale afrikanische Firmen ergehen, die zertifiziert werden. Management und Mittelverwendung unterliegt der offenen Transparenz. Internationale und ausländische Baukonzerne werden an Ausschreibungen nicht beteiligt. Das Gesamtprogramm läuft darauf hinaus, dass die afrikanische Bevölkerung gezielt ausgebildet, beschäftigt und sich künftig in Angebot und Nachfrage selbst entwickeln kann. Projekte werden nicht gefördert, wenn sie Reimporte von Fertigerzeugnissen aus nichtafrikanischen Ländern nach sich ziehen (z.B. Import von Konserven aus Industrieländern mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus Afrika). Das gesamte Programm läuft darauf hinaus, ein sich selbst tragendes Primärarbeitsplatzangebot zu entwickeln, nationale Reichtümer den afrikanischen Völkern nicht zu entziehen und Bildung und Wohlstand zu fördern. Schwerpunkte sollen zunächst in der Landwirtschaft, Wasserwirtschaft und im Verkehr liegen.

    Rüstung muss kontrollierbar werden! In der UNO-Vollversammlung haben sich über einhundert Länder dafür ausgesprochen, Rüstungsexporte und -importe mit einer UN-Abgabe zu belegen. Zwar sträuben sich noch die Staaten mit hohen Rüstungsexportanteilen wie die USA, Deutschland, Russland und China, aber die Länder mit sinkenden Verteidigungsausgaben, gewinnen an Einfluss. So haben gerade die Länder in den letzten Jahren überdurchschnittlich ihren HID-Wert verbessern können, die drastisch ihre Rüstungsimporte senkten. Insbesondere die Staaten der Afrikanischen Union haben enorme Fortschritte im Bildungssektor und bei der Arbeitsplatzschaffung in der Landwirtschaft nachweisen können. Die medizinische Ausbildung und Versorgung ließ die Kindersterblichkeit sinken und das durchschnittliche Alter der Bevölkerung wachsen lassen. Die Versorgung mit Nahrungsmitteln erfolgt zunehmend aus eigener nationaler Wirtschaft. Vor Jahren noch undenkbar! Der Wohnungsbau in Großstädten wie Maputo, Brazzaville oder Addis Abeba wird in ein oder zwei Jahren die ehemaligen Slums der Vergangenheit zuweisen.

    … und hier wachte ich auf und merkte – nach dem Hören der ersten, wahrgenommenen Radio-Sätze: Eben doch nur geträumt zu haben!

    • Vill Fred sagt:

      Für die doch zahlreichen Schreibfehler möchte ich mich entschldigen.
      Vill Fred

    • Thorsten Koppusch sagt:

      Ach, lieber Vill Fred, dies ist ja nun ein Forum und nicht die Edelglanzpapierseite eines Edelglanzmagazins. Deshalb seien Sie beruhigt: besagte Tippfehler schränken die Verständlichkeit Ihres Anliegens nicht im mindesten ein; auch bzw. grade weil Ihre “Warum”-Fragen die Antworten ja bereits implizieren. Brave new world, die wir da zu betrachten haben …
      Beste Grüße,
      Thorsten Koppusch

  37. Vill Fred sagt:

    Weltbetrachtung eines Fragenden

    Könnte ich die Tagesmeldungen wertfrei aneinanderreihen, würde es mehr als fraglich sein, diese zu einem Gesamt-Versteh-Bild zu fügen. Es scheint gar nicht möglich, aus den beherrschenden Mainstream der Medienlandschaft die Werte zu erkennen, die Menschlichkeit, Ehre, Freiheit und Lebensglück ausmachen. Mir fiel neulich der Kodex der Helsinki-Präambel wieder in die Hände, dazu eine UN-Druckschrift mit dem deutschen Wortlaut der Menschen-rechtserklärung und ein aktuelles Titelblatt einer Tageszeitung.

    In Deutschland wurde – korrekter Weise : wird! – in keiner Print- und Online-Zeitung, die ich in den Hände hielt oder zu Gesicht bekam, der Wortlaut zitiert, der in den UN-Resolutionen zu Libyen und jüngst zu Syrien steht. Dies konnte ich nur über „nicht-deutsche“ Medien erfahren. In unseren freiheitlichen Medien wird ausschließlich interpretiert, verdreht und verzerrt, ja gezielt gelogen. Eine Flugverbotszone gegen Gaddafi-Kräfte steht nirgends geschrieben. Von Verhandlungen zwischen den verfeindeten Seiten, die herbeigeführt werden sollten unter Vermittlung eines Beauftragten des UN-Generalsekretärs – wo waren Sie in Libyen, Herr Ban? Jede Bemühung der Afrikanischen Union wurde von den Nato-Regierungen in Frage gestellt und ohne einem Wortwechsel abgelehnt. Die Rebellenseite lehnte in Konsens mit den nordatlantischen Freibombern jede Verhandlung mit Gaddafi ab, der sich mehrmals verhandlungsbereit erklärte. Werden nun die Rebellen, die ausländische Ölarbeiter zu Beginn der Kämpfe massakrierten, auch vor dem Internationalen Gerichtshof angeklagt? Fallen bewaffnete Rebellen unter den undefinierten Schutz der Zivilbevölkerung, als die Gaddafi-Truppen sich in den Orten und bei der Erstürmung von Tripolis den Angreifern widersetzten? Wie werden die Staaten, die die Rebellen mit Waffen, Personal und Logistik trotz den UN-Resolutionen versorgten, wegen Verstoßes gegen diese UN-Resolutionen geahndet? Werden die Nato-Bombardements auf zivile Objekte (TV-Sender, Schulen, Wohnsiedlungen, Brücken, Kraftwerke, Raffinerien, …) verfolgt, als das was sie sind: Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung? Und warum wird zu Syrien, wo die Erklärung des UN-Sicherheitsrates ebenfalls beide Konfliktseiten verpflichtete bzw. aufruft, die bewaffneten Angriffe einzustellen, nur die Assad-Seite in unseren Medien als militanter Auslöser von Zusammenstößen erwähnt? Verhandlungen lehnen diese Zivilisten strikt ab!? Warum und auf welcher Grundlage? Welche konkreten Forderungen haben sie? Wo sind sie fixiert und nachzulesen?

    Warum werden nach israelischen, US-amerikanischen und Terroristen-Vorbild „tot oder lebendig – Listen“ erstellt, die jeder Rechts- oder Demokratie-Auffassung widersprechen (siehe UN-Menschenrechtserklärung!), und ein Friedensnobelpreisträger sogar „Gaddafi muss weg“ skandiert? Und auch „Assad hat seine Legitimität verloren“ hört sich fast schon wieder so an wie „… muss weg“. Nicht eine konkrete Forderung der Opposition wird hierzulande publiziert, außer die Losungen von Freiheit und Demokratie. Aber warum setzen sich Oppositionelle nicht an den Tisch mit Assad?

    Welche Aussagekraft hat eine Arabische Liga, die jeder Aggression, wie im Irak, in ihrer Region zustimmt, nur wenn jeder Despot in seinem eigenen Land ungeschoren bleibt und sich selbst an den Überfällen beteiligt? In welchem arabischen Staat herrscht kein absolutistischer Führer, der zumindest die Frauen ihrer Rechte beraubt (UN-Menschenrechtserklärung)?

    Schon heute erscheinen Vordenkerartikel, die den Libyschen Weg als Antwort auf Probleme in afrikanischen und asiatischen Staaten sehen. Neben Syrien wird Nigeria direkt schon genannt und der Sudan hat auch die Chance libysiert zu werden. Der geografische Weg ist mit dem Nato-gelenkten libyschen Übergangsrat schon fast frei gebombt. Fernere Kandidaten der in Jugoslawien erprobten, im Irak und Afghanistan praktiziert und in Libyen verfeierten Regierungsaustauschmethode sind Angola, Simbabwe, Burma, …, Korea, Venezuela und Kuba sowieso. Die deutsche Diskussion um den außenpolitischen und militärischen Einfluss Deutschlands wird ohne wenn und aber auf Auslandseinsätze gerichtet. Vor einhundert Jahren war dies Kanonenbootpolitik genannt. Wenn heute die Drohung nicht reicht, dann wird halt eine Flugverbotszone für die nichtgewollte Macht eingerichtet.

    Russland und China haben in den letzten Jahren ihren geopolitischen Interessenwandel vollzogen. Eigeninteressen gehen vor und lassen auch aggressive Träume einer undefinierten Staatengemeinschaft durch Stimmenthaltung oder gar Zustimmung wahr werden. Beide aufstrebende Großmächte haben ihr Gesicht als Alternative zu den aggressivsten Kräften in den letzten Wochen verloren. Dieser Verrat wird im Gedächtnis der Kräfte bleiben, die sich gegen Despotismus, Korruption, Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit erheben. Selbst in Libyen weiß man nicht, ob der Bock zum Gärtner ernannt wurde. Wer Kopfgelder ausschreibt, scheint nicht viel von humanistischen Grundsätzen zu halten, oder? Noch nie in der UN-Geschichte wurde ein Übergangsrat oder Übergangsregierung international anerkannt, deren Mitglieder geheim gehalten werden – also kein menschliches Antlitz haben! Wer sind diese geheimen Männer, denn Frauen sind offenbar unter “Gott ist groß”, nicht dabei?

    Russlands präsidentieller Statthalter wurde von den Westmächten wie an einem Nasenring der Welt als unkompetent und unfähig global zu handeln vorgeführt. Die Stimmenthaltung im UN-Sicherheitsrat war schon blamabel genug, als hätte Russland nicht erkannt, dass Frankreich, die USA und Großbritannien schon Teil der Rebellenseite waren. Sich auf dem G8-Gipfel auch noch der völkerrechtswidrigen Formel „Gaddafi muss weg“ anzuschließen, war schon Verrat und dann noch zu glauben, es gehe den Nato-Kräften um Verhandlungsbemühungen, war schon naiv oder gar Beihilfe zum Libyen-Luftkrieg. Dass die russische Führung mit dieser Selbstentblößung langfristig ihr Ansehen verloren hat, beweist das letzte Wochenende, dass es nach zwanzig Jahren erstmalig wieder den G7-Gipfel als klassischen West-Gipfel gab. Vielleicht haben die Russen um Medwedjew noch gar nicht gemerkt, dass der Westen sie nicht mehr braucht. Die Russen sind selbst auf dem Weg, dass der Westen, irgend wann erklären kann, dieser oder jener Präsident „hat seine Legitimität verloren“ oder „… muss weg!“. Der chinesischen Führung geht es zwar ebenso, doch hat deren globaler Einfluss durch stetig wachsende Wirtschaftspotentiale noch eine selbstragende Basis bekommen, die den Russen fehlt und sogar weiter schwindet.

    Im Kosovo wurde trotz dem anderslautenden UN-Beschluss einseitig ein Staat ausgerufen. Nicht von Gottesgnaden, sondern von US-Ziele bestimmt. Die UCK war bis zum Zeitpunkt des Bündnisses mit den Nato-Kräften eine in Deutschland verbotene Terrororganisation. In der Zwischenzeit ist die US-Militärbasis im Kosovo der größte Wirtschaftsfaktor des De-facto-Landes und sicherer Vorposten zum postsowjetischen Raum. Die kleinen US-Basen in Rumänien, Bulgarien, Polen und Estland sind Peanuts dagegen. Serbiens Spagat zwischen verlorenen Völkerrecht und EU-Mitgliedschaft ist nur ein letzter Versuch, sich aus nationaler Tradition zu wehren; die Weichen sind offensichtlich längst an anderer Stelle gestellt. Nationalismus hat auch in der neuen westlichen Wertegemeinschaft keinen Platz, wenn globale US-Interessen behindert werden. Nationalismus wird nur solange akzeptiert, wenn er Anlässe für Expansionsmöglichkeiten bieten. Solange Tschetschenien, Tibet, Kosovo, Abchasien, Georgien, Südossetien, Bergkarabach, Taiwan, Kaschmir, Kurilen, Kurdistan, Falklandinseln, Korea und was weiß ich, noch als Konfliktherde bestehen, ist es nur eine Frage der Zeit, wann diese von Interessenparteien aktiviert werden.

    Der Westen hat eine interessante Strategie der Interessenbündelung gefunden – attraktiv, lernfähig, effizient und strategisch klug vorangetrieben. Worthalten muss der Westen nicht. Je nach Situation wird ein sich selbst fördernder Stimulus erzeugt. Die Anreize müssen stimmen! Mehrheiten in der Staatenwelt müssen medial geschaffen werden. Der nicht definierte Begriff der “Staatengemeinschaft”, die je nach Interessenlage herangezogen wird, wurde als Totschlagargument eingeführt. Je mehr Länder beteiligt werden, je legitimer das Verbrechen. Medien sind durch Satelliten und Internet ohnehin monopolistische Wegbereiter von Konflikten. Der Irak konnte völkerrechtswidrig als führender arabischer Industriestaat besetzt und ausgeschaltet werden. Der jugoslawische Staatenbund wurde von der Nato militärisch zerschlagen ohne völkerrechtliches Mandat, aber mit einem Lügenkonstrukt, das jede zum Schein geführte Verhandlung in Rambouillet sinnlos machte. Eine Koalition der Willigen von über 50 Ländern beteiligte sich an diesem Verbrechen den Irak zu besetzen – mehr als ein Viertel der UN-Mitglieder! Auch Afghanistan wurde nach dem „9/11“ von der Nato-Staatengemeinschaft und über vierzig Willigen besetzt und ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung mit UN-Mandat begonnen, der nun schon länger dauert als die sowjetische Besatzungszeit und nicht weniger blutig ist. Ein Ende ist nicht abzusehen, weder in Afghanistan, Irak und Libyen. Die Schablone ist bereits über Syrien gelegt – ein Übergangsrat in ebenfalls geheimer Personalunion – ist proklamiert, Gesprächsbereitschaft lehnte die Opposition von vornherein ab, Assad wurde die Regierungslegitimität vom Westen abgesprochen; die Willige stehen bereit und bilden die Staatengemeinschaft, die deutschen Tiger-Panzer werden demnächst an den willigen Saudi-Monarchen geliefert. Die G-36-Gewehre werden sogar von den Saudis in deutscher Lizenz produziert. Der Nächste bitte! Eine geschickte Strategie der Kriegsentfesselung. Und jeder Situation anpassbar; vielleicht auch eines Tages in Russland oder China?

    Das ist leider die aktuelle globale Anwendung einer praktizierten Menschheitsgeschichte über viele tausend Jahre hinweg. Ich fühlte mich am Weltfriedenstag, dem 01. September, ohnmächtig und zornig, als ich mit diesem Aufsatz begann. Zwar weiß ich, dass es nicht nur mir so geht, aber es ist doch schlimm offensichtlich nichts tun zu können und ignoriert zu werden. Auch die Antworten sind bekannt – in Lügenform und in Wahrheit.

    Der Westen hat es gut. Er hat den Osten ausgeschaltet. Mit Wirtschaftseffizienz ist er attraktiv und – trotz aller Finanz- und sonstiger zyklischer Krisen – immer noch sehr reich und wie wir erleben mächtig. Er bildet Organisationen im staatlichen und nichtstaatlichen Bereichen. Hervorragend sind die beiden Staatsorganisationen EU und die Nato aufgestellt. Die stetige Zunahme der Mitglieder auf der Basis der Eigenstaatlichkeit bringt auf Anhieb immer mehr UN-Willige Mehrheiten. Die US-geführte Diplomatie funktioniert hervorragend bis hin nach Australien, Asien und Amerika. Da stören nicht einmal kleine Unstimmigkeiten zwischen Einzelstaaten in Detailfragen, wie z.B. das Kosovo betreffend. Nur in Afrika ist man noch nicht als globaler Primus akzeptiert wie anderswo. Das wird sich aber bald ändern, wie wir anfangs gesehen haben, wenn der Trend fortgesetzt wird. Libyen ist zum Eingangstor zum afrikanischen Kontinent für den Westen geworden und gleichsam bedeutend, wie Saudi-Arabien im Nahen Osten. Aber zurück zu den begleitenden Organisationen. Die Nichtstaatlichen Organisationen des Westens sind auch gut aufgestellt. Meist als wirklich Unabhängige agierend, aber nicht mit gleichen Maß messend. Wird z. B. das Recht auf Arbeit nicht als Menschenrecht/Existenzrecht verstanden, haben alle Gesellschaften bei den NGO’s schlechte Karten, die gerade auf diesen Gebieten Überdurchschnittliches leisten. Auch ist die Einmischung über NGO’s in innere Angelegenheiten von Staaten leicht machbar und medial phantastisch zu verkaufen. Der Osten ist gescheitert; die Sowjetunion als Führungskraft aufgelöst und Russland ist bis auf die präsidentielle Periode Putins orientierungslos zwischen den Welten. Die Bildung der BRIC-Staaten, der Shanghaier Gruppe und andere Organisationen war in dieser Periode ein nützlicher Anfang. Die GUS wurde schnell durch Partnerschaftsabkommen der USA, der Nato und der EU untergraben und gegen Jelzin-Russland ausgespielt. Mittelasien wird in Zukunft wie Libyen in seine Stämme auseinanderfallen, wenn die aktuellen Despoten so weiter machen, wie bisher. Durch Unehrlichkeit und Rivalität stören sich die neuen Organisationen gegenseitig. Schwerwiegend ist auch, dass die langjährige antisowjetische Propaganda vollständig auf Russland übertragen wurde und sich fortsetzt. Und dieses Zerrbild wird vom Westen mit allen Möglichkeiten der medialen Welt verteidigt. Herr Medwedjew glaubt, in dem er den Westen bei irgend welchen Anlässen huldigt, Russland hilft. Das ist ein Irrtum! Das Zweierlei-Maß des Westens zu Serbien/Kosovo und Georgien/Abchasien/Südossetien sollte doch mindestens den realen Blick verschärfen. Das beabsichtigte US-Raketenabwehrsystem des Westens zur Kontrolle des europäischen Luftraumes bis zum Ural ist schon merkwürdig. Den Westen hatte es doch auch gestört, dass der Osten vom Harzer Brocken aus den Westen bis zum Atlantik kontrollierte.
    Wenn also Russland gemeinsam mit China nicht in der Lage sind mit Indien, Brasilien, Südafrika, Lateinamerika u.a. ein gemeinsames Solidaritätsverständnis zu entwickeln, werden auch künftig Nato-Willige ihre Ziele einer undefinierten Staatengemeinschaft global und mörderisch verwirklichen können – wo und wann sie wollen! Und das mit breiter Unterstützung der Weltöffentlichkeit – wie es in Libyen aktuell geschieht.

  38. hwk sagt:

    Gysis Haushalts-Rede im Bundestag: Wo er recht hat, hat er recht….
    http://www.linksfraktion.de/reden/schwarz-gelb-haengt-klein-karierter-ideologie/

  39. Heinz W. Konrad sagt:

    Sehr geehrter Herr Perten,
    schon weil Sie nicht der einzige sind, der sich für die Quelle dieses Zitates interessiert, beantworte ich Ihre Wortmeldung gleich hier im Forum:
    Das Trotzki-Zitat ist entmommen dem Band “Die Komintern” von Alexander Vatlin, das 2009 bei dietz berlin in der Reihe “Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus” erschienen ist. Dort findet es sich auf S. 287 und ist mit folgender Quellenangabe versehen:
    Pjatnadzataja konferenzija WKP (B) Stenografitscheski otschet, Moskau/Leningrad 1927, S. 531
    Mit freundlichen Grüßen,
    H.W. Konrad

  40. Wolfram Adolphi sagt:

    Danke, lieber Helge Jürgs, für die Besprechung des Vaget-Buches “Thomas Mann, der Amerikaner”. Ich hatte mir das fulminante Werk als Sommerlektüre eingepackt, und es war eine gute Entscheidung. Das in schöner Lesbarkeit – auch Vorlesbarkeit! – geschriebene Buch steckt voller interessanter Beobachtungen, Analysen, Schlussfolgerungen und Anregungen. Ein ungutes Gefühl bleibt trotzdem, und das hat mit dem Zeitgeist zu tun, dem sich auch Hans Rudolf Vaget – und zwar offenbar ohne jeden Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung – widerspruchslos unterwirft. Zitat: “Die Abwehr des politischen Thomas Mann war eine Konstante der Bonner Republik und reichte noch weit in die Berliner Republik hinein; die sehr selektive Thomas-Mann-Pflege in der DDR ist ein Kapitel für sich.” (S. 12) Und weil die “sehr selektive” Pflege in der DDR “ein Kapitel für sich” ist, bleibt es dann auch das ganze Buch über dabei: Dieses “Kapitel für sich” bedarf keiner weiteren Erwähnung, es muss nicht aufgerufen, geschweige denn analysiert und diskutiert werden.

    Und so erlebe ich, was ich immer wieder erleben darf: Ich komme in Betrachtungen zur deutschen Geschichte nach 1945 mit meinen Erlebnissen, Erfahrungen, Einsichten nicht vor, weil mein Land, die DDR, aus dieser Geschichte ausgeblendet wird. “Sehr selektiv” hat sie sich verhalten – also können wir sie nun ganz vergessen. Es seien, meint Vaget, in Deutschland “aufs Ganze gesehen wenige Stimmen” gewesen, die in Manns politischer Publizistik “einen bedeutenden Beitrag zur politischen Bildung der Deutschen” erblickt hätten, und er nennt Alfred Andersch und Kurt Sontheimer, um dann festzustellen, dass, was “den politischen Thomas Mann” betrifft, das “negative Urteil” von Joachim Fest aus dem Jahre 1985 “lange Zeit als endgültig” gegolten habe (S. 496). Ich habe 1972 als 21jähriger ein Sonderheft der “Sinn und Form” aus dem Jahre 1965 gelesen mit Beiträgen von Erika Mann (Abdruck eines Vortrages im WDR von 1962), Alexander Abusch, Peter Hacks, Günter Kunert, Stanislaw Lem und vielen anderen, dann Eike Midells Biographie bei Reclam ebenfalls aus dem Jahre 1965, 1975 den Reclam-Band “Thomas Mann: Über deutsche Literatur” mit Essays, Reden und Briefen, und nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass ich hier mit einem “unpolitischen” Thomas Mann konfrontiert worden wäre oder mit einem Mann, dessen Mahnungen an Schuld und Verantwortung “unwillkommen” (S. 12) gewesen seien und dem man “jegliche Berechtigung, über Deutschland und die Deutschen zu sprechen, schlankweg absprechen” wollte (S. 12), wie es Vaget für die Bundesrepublik beschreibt.

    Nein, die Thomas-Mann-Pflege in der DDR ist kein “Kapitel für sich”, sondern Bestandteil der – wie sich zeigt: überaus widerspruchsvollen – deutschen Thomas-Mann-Pflege insgesamt, und wer sie ignoriert, antwortet auf das vermeintlich “sehr Selektive” nicht anders als: sehr selektiv.

    Wolfram Adolphi

  41. P.S. zum Posting 170811

    Leiderschade, Herr Dr @Schütrumpf.

    Richard Albrecht/080911

  42. Jürgen Perten sagt:

    Sehr geehrte Redaktion,
    ich habe mehrere Beiträge dieses interessanten Heftes mit großem Gewinn gelesen. Können Sie mir einen Hinweis auf die Quelle des Trotzki-Zitates im Artikel “Ungeprobter Schöpfungsakt” geben?
    Mit freundlichen Grüßen von Ihrem langjährigen Leser
    Jürgen Perten

  43. Helge Jürgs sagt:

    Wenn das Kind erst im Brunnen liegt und zu ersaufen droht …
    “… Alle Gewalt soll von den Regierten ausgehen. Sie sollen ihre Macht delegieren in freien Wahlen. Wo die entscheidende Gewalt von den Finanzmärkten ausgeht, kann es zwar freie Wahlen geben, aber sie werden zur Farce. Und Demokratie wird zum Formelkram…”
    Erhard Eppler im Resümee seines gestrigen Artikels in der “Süddeutschen Zeitung”
    http://www.sueddeutsche.de/politik/maerkte-und-politik-in-der-finanzkrise-durch-versagen-zur-macht-1.1139378

  44. Werner Richter sagt:

    Sehr geehrter Herr Mittig,
    mein Ausflug in die Entwicklung Deutschlands, aber vor allem die Aufforderung zu Vorschlägen, war nicht ganz so ernst gemeint, wie es bei Ihnen ankam, mehr rein rhetorisch! Aber jeder hat andere Ironie.
    Etwas macht mich stutzig, ich sei Rabulistiker, das ist neu. Bisher war ich überheblich, unbelehrbar, seit der Schule, das ist Jahrzehnte her und blieb mir. Habe ich mich so verändert als alter Mann? Natürlich kann man alle Meinungen in Schubladen legen, ist ganz leicht. Denn letztendlich ist alles reine Theorie, die bekanntlich real nichts verändert. Große Veränderungen anzustoßen habe ich auch nicht vor, die bisherigen Versuche gingen regelmäßig in die Hose. Also kann ich das Maul halten und zu verstehen versuchen, manchmal muß man aber „rabulieren“, wenn es das, was ich tue, sein sollte, um die eigene Erkenntnis zu prüfen. Ich kann mich mit Fragen einmischen, um es den Manipulierern etwas schwerer zu machen, das mache ich, mehr nicht.
    Mich irritiert jedoch die Brandmarkung schon etwas, ich kann dem schlecht folgen. Rabulistik ist m. E., wenn ich durch sophistische Tricks meine Meinung, die muß aber schon benannt sein, so abändere, auf daß ich doch recht behalte, dabei den Wort- oder Begriffssinn nach Bedarf verschiebe. Wann und wo habe ich mich dieses Verbrechens schuldig gemacht? Da bin ich überfordert.
    Nun, wenn Sie erholt dies lesen, werde ich mich auf höchster See befinden, dort kann mich Ihr endgültiger Vernichtungsschlag nicht treffen.
    Noch ein Vorschlag: Es reicht unser bisheriger Disput für die Öffentlichkeit, den Blättchenlesern möchte ich nicht noch mehr zumuten. Sollten Sie mir noch was sagen wollen, bitte direkt an mich. Meine Adresse lautet: OberstMeyer@googlemail.com.
    Gruß!
    Werner Richter

  45. Werner Richter sagt:

    Sehr geehrter Herr Mittig,
    Dank Ihrem Beitrag, ich bin immer für einen Streit zu haben.
    Ihren Argumenten habe ich aber eigentlich nichts entgegen zu setzen, meine volle Übereinstimmung sei Ihnen kundgetan. Jedoch beziehe ich sie nicht auf meinen Text, ich habe keine Einordnung Israels in politische Klischees, etwa „faschistische Regimes“ oder „Demokratien“ vorgenommen, als auch nicht eine solche Einordnung zitiert. Ich bin auch der Überzeugung, daß man das nicht tuen dürfe. Ich bin ein Gegner der Schubladeneinteilung, da jedes Klischee die Realität verfälscht, siehe das Spiel mit den Gegensätzen von Diktatur und Demokratie, den Bösen und den Guten. Mein Anliegen war, auf diesen in letzter Zeit sich häufenden Gebrauch des Begriffes „Faschismus“ für israelische Zustände von Menschen aus Israel, die bisher nicht durch leichtfertige Meinungen in Erscheinung traten, aufmerksam zu machen. Wie gesagt, ich halte solche Zuordnungen generell für sehr problematisch, besonders im Falle Israels und ich teile diese Einschätzung auch nicht. Aber aus der Luft gegriffen sind sie bestimmt nicht, es tut sich da was eigentlich bisher Undenkbares. Warum sollte dies nicht benannt werden? Ich stelle lediglich Fragen zu Fakten und deren Zusammenhänge, ich werte nicht. Israel ist nur ein Gebiet unter vielen, zu denen ich der Geschichtsschreibung sowie aktuellen Deutungen , beides ist eng verzahnt, nicht traue, zuviel Widersprüche enthalten die offiziellen Darstellungen zu vielen Fakten. Um eine treffende Einschätzung der Lage in Israel geben zu können, würde mein bruchstückhaftes Wissen, innerhalb der Bruchstücke aber durchaus tiefer als üblich, sowieso nicht ausreichen, an Größenwahn leide ich bisher noch nicht.
    Sie meinen aber doch nicht etwa, man solle Israel auch für alles die Samthandschuhe wegen der deutschen Geschichte gewähren, so wie das politische Nachkriegsdeutschland von uns fordert, um ungestört die zionistischen Pläne in weltimperialistische einordnen zu können? Diese Diskussion verfolge ich zur Zeit in der „LINKEN“, sie ist in meinen Augen absurd. Tabus, hier als taktische Erwägung erkennbar, lasse ich jedenfalls nicht gelten.
    Apropos Deutschland: Berufsmäßige Denker bis in die edelsten Kreise der Finanzoligarchie hinein resümieren hier voller Unbehagen und Angst einen rasanten Abbau des demokratischen Mäntelchens in der menschlichen kapitalistischen Gesellschaft. Die Zeit, in der nur noch Überreste des gepriesenen Rheinischen Kapitalismus im Winde flattern werden, scheint ziemlich nah zu sein. Wie nennen wir denn dann unsere Gesellschaftsform? Postdemokratie, wie durch diese Herren bereits vorgeschlagen, oder „1983“-Gesellschaft oder direkte Diktatur des Monopolkapitals? Ich bitte um Vorschläge!
    Von Fragen durchlöchert, aber kampfbereit
    Ihr Werner Richter

    • Karl-Heinz Mittig sagt:

      Sehr geehrter Werner Richter,
      tut mir leid für den Zeitverzug meiner Antwort, aber ich war ein paar Tage nicht am Rechner. Da wior – Ihrer Aussage zufolge – ja gar nicht wirklich auseinanderliegen, habe ich lediglich zwei Marginalien zu bieten.
      Zum einen jene, dass Sie wohl keinen echten Anlaß zur Fragestellung hatten, ob ich die Politik Israels für sankrosankt halte, das tue ich in eben jenem Maße nicht wie ich aber eben auch hier nach wie vor eine besondere Sensibilität für angeraten halte, besonders, wenn man mit Polit-Verdikten operiert.
      Und was die Definition unserer (nahen) Zukunftsgesellschaft betrifft, so halte ich es derzeit für müßig, darüber Interpretations-Überlegungen anzustellen. Vielmehr interessiert mich, wer außer dem (meinerseits geteilten) Dagegensein etwas anzubieten hat, was einem nicht nur Hoffnung auf ein Ende der Allmacht des Kapitals sondern eben auch auf eine Gesellschaftsgestaltung, die einem – bei aller naturgemäßen Unvorhersehbarkeit des Laufs der Dinge – Mut machen würde.
      Bis dahin – also schon bis zur erkennbaren Option – wird nicht nur noch sehr viel Zeit vergehen. Und bei den bis dahin auszufechtenden Kämpfen sollte man deren Entschlossenheit nicht mit Politrabulistik verwechseln, nicht zuletzt, weil diese – außer bei Rotfuchs-Lesern – abschreckend wirkt.
      Mich in einen Urlaub verabschiedent grüßt freundlich
      Karl-Heinz Mittig

  46. Karl-Heinz Mittig sagt:

    Sehr geehrter Herr Richter,
    Ihr Anliegen in Ehren – aber die Totschlagbezeichnung, ein “faschistisches Regime” zu sein, verbietet sich nicht nur gegenüber Israel; so etwas zitiert man nicht mal ohne eine erkennbare eigene Distanzierung.
    Im Auge ideologischer Fundamentalisten ist ja auch Deutschland ein “faschistischer Staat”, zumindest aber einer, auf dem Wege dahin. Zwischen einer, gern auch harten Kritik und einer Denunzierung sollte man schon noch unterscheiden können.
    Von dem kontraproduktiven Effekt der Entwertung solcher Begriffe durch inflationären Gebrauch rede ich hier gar nicht mal.
    KH Mittig

  47. Werner Richter sagt:

    Aus meinem Medienkrieg- Angriffe auf Merkwürdigkeiten
    Zur Berichterstattung von ARD + ZDF über Libyen
    Seit Wochen verfolge ich mit wachsendem Unmut die Berichte der Herren Ossenberg + Armbruster über die libyschen Ereignisse, wobei letzterer besonders aufstößt. Ich muß gestehen, in letzter Zeit schon Baldrian nehmen zu müssen, um die bohrenden Fragen zu unterdrücken und einschlafen zu können. Mich empört, so offensichtlich primitiv oberflächlich informiert zu werden, daß es einer Beleidigung meiner Intelligenz gleichkommt. Es scheint den Reportern egal zu sein, ob ihr Spiel leicht zu durchschauen ist oder nicht. Es wird wohl nicht nur mir so ergehen.
    Die Linie, die mir offeriert wird ist allzu simpel: Gaddafi ist/war ein Diktator, folglich ist er böse, hinterhältig, verrückt, brutaler, ja brutalster Schlächter seines Volkes, hat die Ölmilliarden nur in eigene und seiner Familie Taschen fließen lassen, jegliche Demokratie, was immer man sich darunter vorstellt und wünscht, brutalst unterdrückt und das korrupteste Land in Nahost/Nordafrika entstehen lassen. Seine Gegner sind „Demokratiebewegung“ mit den lautersten Absichten und siegen dank ihres Enthusiasmus auf der ganzen Linie. Nato-Korrespondenten könnten es nicht besser bringen, genau so würde ich mir als Nato-PR-Abteilung die Berichterstattung wünschen. Gratulation, aber dann müßten diese Herren auch konsequenter weise auf die Begleichung ihrer Lebenshaltungskosten vom Gebührenzahler verzichten und die Rechnungen nach Brüssel schicken. Ich bezahle nicht vierteljährlich € 53,94, auch noch von dem Kakao zu trinken, durch den man mich zieht.
    Die Fragen, die ein klareres Licht auf die libyschen Ereignisse werfen könnten, werden in den Berichten fast ausnahmslos wie Slalomstangen umfahren, ängstlich um Nichtberührung bemüht.
    Da frage ich zunächst nach dem Beginn des Bürgerkrieges. Warum kam es nach anfänglich friedlichen Protesten im Nordosten Libyens zu diesem überraschenden bewaffneten Aufstand, der bisherigen Lage völlig unangemessen, maßlos überzogen? Ach ja die toten Demonstranten, angeblich, mehr wagt selbst Wikipedia nicht, Hunderte. Haben wir hier ein neues Gleiwitz, Tongking-Golf, irakische Massenvernichtungsmittel oder Sarajevo-Massaker? Wer zauberte diese Menge Waffen so einfach aus dem Hut? Welche Rolle spielte dabei der einstige Berater Gaddafis und Mubaraks Mahmoud Jibril, in wessen Auftrag, Interesse und mit wessen Hilfe handelte er? Und er war ganz bestimmt nicht allein in Mission. Welche Rolle spielten die verschiedenen Gruppierungen und Interessengruppen in der Eskalation des Konfliktes, gab und gibt es nicht fundamentalistisch- moslemische Kräfte, die ihr eigenes Süppchen kochen, sich noch im Hintergrund haltend, aber schon die Startpositionen sichernd? Waren nicht die gleichartigen Konnektionen, die schon die Fedaijin gegen die Russen in Afghanistan entstehen ließen, die waren zwar potentiell, aber recht harmlos da, aber nicht wie nach neuester effektiver Bewaffnung, Ausbildung, Versorgung und Führung durch Spezialkräfte der USA und Großbritanniens, auch hier am Werk? Ist doch lange kein Geheimnis mehr, daß verdeckte Einheiten genau dieser Länder, nach neueren Gerüchten auch aus der Bundeswehr, in fast allen Nahostländern operieren, in Abstimmung mit den dortigen Diktatoren gegen deren Feinde, auch demokratisch orientierte. Wie kam es, daß die anfangs dominierende Gruppe der demokratischen Erneuerer Libyens, die gewaltlosen Widerstand wollten, im sogenannten Revolutionsrat ausgebootet wurden, auf daß sie jetzt nur noch am Katzentisch sitzen? Das erinnert doch stark an die Ausschaltung der Bürgerbewegungen der DDR 1990 mit Hilfe der Bundesregierung und der Westparteien sowie die des Prof. Rugova, der gewaltfreien Widerstand gegen Milosevic im Kosovo hatte durchsetzen wollen. Wurde hier ein gleiches Spiel getrieben? Hat nicht eine bislang diffus erscheinende militärische Fraktion, die sich auf radikalisierte Jugendliche unterschiedlichster Herkunft und Zielen stützt, die Maßvolleren, weil Weitsichtigeren, quasi mit der Waffe an die Wand gedrückt? Wer befähigte sie dazu? Kann man, diese Widersprüche ignorierend, all diese Kräfte unter „Demokratiebewegung“ zusammenfassen wie weiland die Mujaheddin unter „Freiheitskämpfer“, aus denen dann auch dieser Unzulässigkeit geschuldet auch die Taliban erwuchsen? Muß denn unbedingt der nächste tödliche Irrtum so vorbereitet werden?
    Woran messen die Reporter, wer der brutalste Diktator dieser Gegend ist und welche Gesellschaft die korrupteste? Nehmen sie offizielle Statistiken zu Hilfe oder zählen sie selbst die Opfer unter qualitativer Berücksichtigung der körperlichen Schäden? Beziehen sie dabei auch den für die islamische Welt einmaligen Volkskonreß ein, der, wenn auch in sehr beschränktem Maße, aber immerhin, eine Mitbestimmung der Bevölkerung an der Gestaltung ihrer Lebensbedingungen ermöglichte? Wo bringen die Herren Reporter die in den Medien kursierende unverschämt hohe Sozialquote der libyschen Erdölgewinne, die kostenlose medizinische Behandlung aller Bürger auf recht hohem Niveau und Schulbildung für alle brachte, jedoch die Gewinne der konzessierten Erdölkonzerne schmälerte, dabei unter? Wo finde ich die regelmäßigen Unterstützungszahlungen für die vielen nach vergeblichem Studium oder Ausbildung anstellungslos gebliebenen Jugendlichen wieder? Das mußte natürlich weg, versteht sich im Interesse der Multis. Geld für human waste, das fehlt uns noch, gab und gibt es ja in den halbwegs guten Diktaturen Marokko, Algerien, Jordanien, Saudi-Arabien, Kuweit, Jordanien, Libanon, Irak, Syrien, Emiraten, Ägypten oder Tunesien auch nicht. Nicht mal das ach so demokratische Israel leistet sich solch überflüssigen Luxus, da reine Verschwendung. Wie erklären diese Herren die Meldungen über die im Ausland geparkten und dann gesperrten Geldvermögen, die sie zunächst als vom Gaddafi-Clan abgezweigtes Volksvermögen deklarierten, sich später aber als Staatsanlagen, auf die die Übeltäter keinen Zugriff hatten, erwiesen? Natürlich war Gaddafi ein Diktator, der seine Gegner grausam verfolgte, welcher Diktator macht das nicht, das sind sie ihrem Anspruch schuldig, sonst gäbe es keine Diktaturen. Aber war er für diese Welt nicht doch eher ein recht aufgeklärter Herrscher, wenn es das geben sollte? Ist denn der Unterschied zwischen direkten individuellen Diktaturen und den kaschierten des Geldes in nicht so im Focus stehenden Ländern wie im übrigen Afrika, Asien oder Lateinamerika so entscheidend, daß man daran die Menschlichkeit messen könnte? Formal gilt Israel als einziges demokratisches Land des Nahen Ostens, aber warum sprechen dann Insider von faschistischer Diktatur? Vielleicht ist das überzogen, aber immerhin wirft das ein bezeichnendes Licht auf die dortigen Zustände, und warum gehen dort die jungen Leute ohne Perspektive auch auf die Straße? Sind unmenschliche erbärmliche Lebensverhältnisse in den sogenannten Diktaturen schlimmer als in den sogenannten demokratischen Gesellschaften? Gilt hier nicht auch Kästners Vergleich aus den „Lehrsätzen des armen Mannes“: „Ob vom Kölner Dom, ob vom Zirkuszelt, ob vom Dach einer Dampfwäscherei – für den Arbeiter, der herunterfällt, ist das völlig einerlei.“?
    Wie in einer Gesellschaft mit Stammesgrundgefüge gar nicht anders machbar hat Gaddafi seine Stammesbrüder natürlich besser mit seinen Segnungen bedacht als andere, auf diese muß er ja seine Macht stützen. Die etwas kürzer gekommenen Stammesführer vor allem des Nordostens wollen das ändern, sie dürften das Gros der militärischen Kräfte stellen. Der Kampf um die Plätze an der Futterkrippe ist erbarmungslos brutal. Iiegt hier der Schlüssel für die Entwicklung des Widerstandes gegen Gaddafi? Liegt hier auch das eigentliche Ziel des Nato-Eingriffs begründet?
    Auch zum militärischen Verlauf der Ereignisse drängen sich einige Fragen auf, deren richtige Antworten ich woanders vermute, als mir die Korrespondenten weismachen wollen.
    Die von Anfang an chaotisch auftretenden Widerständler, schlecht bewaffnet, nicht ausgebildet und organisiert waren keine militärisch bedeutende Kraft und sind es wohl auch bis heute nicht. Eigentlich hatten sie keine Chance, nur ihren Mut, wie auch aus der Berichterstattung ersichtlich. Nur mit Einsatz der Nato-Luftwaffe konnte im letzten Moment das Überrennen durch die Gaddafi-Truppen verhindert werden. Etwas anderes darzustellen wäre mir als altem Kommissknochen lächerlich vorgekommen. Keinem ernstzunehmenden Strategen wäre in den Sinn gekommen, etwa die Kampfgruppen der DDR als ernsthaftes militärisches Potential zu führen und die waren weit besser ausgebildet und geführt als dieser wild um sich schießende Hühnerhaufen in Bengasi. Offiziell und so von der UNO toleriert wurde der Lufteinsatz zum Schutze der Zivilbevölkerung geführt, nicht als Luftunterstützung der Aufständischen. In diesen Rahmen paßt auch so gar nicht die systematische Vernichtung der gaddafischen Infrastruktur. Warum ist das nicht hinterfragt worden? Stattdessen wurde in den Berichten kolportiert, Gaddafis Truppen würden hinterhältig, wie sie sind, sich hinter der schutzlosen Bevölkerung verschanzen, um so effektiven Luftschlägen auszuweichen, also mit menschlichen Schutzschilden. Aber haben die Gegner genau dies nicht ständig auch getan? Warum ist die eine gleiche Handlung schlecht, die andere gut oder ignorierbar? Was soll dann aber diese unsinnige Darstellung? Es müßte sich auch bei Reportern herumgesprochen haben, daß Kriege nicht mehr wie im Mittelalter geführt werden, die Gegner stellen sich geschmückt und wohlgeordnet auf freiem Feld gegenüber auf, die Feldherren oder ihre Knappen führen vor aller Augen einen Zweikampf u. der Sieger hat die Schlacht gewonnen. Übrigens zweifle ich sehr, daß es damals oft so ablief, daran dürfte viel Legende sein. Ihnen dürfte nicht entgangen sein, daß die Bevölkerungsquote seit dieser Zeit stetig steigt, also die ganze Kriegsscheiße nur zu wachsenden Bevölkerungsverlusten führt, ganz im Gegenteil zum Märchen vom Einsatz sogenannter Präzisionswaffen, die das angeblich vermindern würde. Reine Propaganda zur Akzeptanz von Militäreinsätzen, in Jugoslawien sollen nach deren Angaben ganze 5 (fünf!) Panzer durch die gegen die starke Panzertruppen gerichteten Lufteinsätze vernichtet worden sein, aber zigtausende Zivilisten. So sieht die Realität aus, auch in Libyen, wo finde ich diese Betrachtungen bei diesen Herren? Wo ist die Hinterfragung des Lufteinsatzes? Heiligt der Zweck die Mittel? Wo ist die Infragestellung militärischer Mittel?
    Woher kommt der jüngste militärische Erfolg, der überraschend zur Einnahme Tripolis führte? Sie wollen mich doch nicht etwa glauben machen, das hätten die Aufständischen jetzt plötzlich zuwege gebracht? Waren hier Absprachen zwischen dem Revolutionsrat und Gaddafi vorausgegangen, Tripoli quasi geräumt worden? Oder waren ernsthaftere militärische Kräfte am Werk oder beides? Ich vermisse die sich selbst aufdrängenden Fragen von den „Experten“ und in Ihren Sendungen.
    In meiner Gesamtschau entsteht in mir ein Bild, das nach einem lange vorbereitenden Operativplan die ganze Sache inszeniert wurde, alles riecht penetrant danach. Mir fällt sofort John Perkins*, ein gewesener Insider ein, der erzählt, wie er US-Politik selbst mit durchgesetzt hat. Zunächst werden aufmüpfigen Potentaten die „Wirtschaftskiller“ zugeschickt, er selbst war zweimal vergebens bei Hussein. Im Falle Libyens könnte das der amerikanische Privatisierungsberater lybischer Abstammung Jibril gewesen sein, wetten? Alarmiert waren maßgebliche Konzern- und Finanzkreise von der Ernsthaftigkeit der libyschen Großprojekte zur Trinkwassergewinnung für Zentralafrika aus der Sahara bzw. aus deren Untergrund und das Finanzprojekt, das zu hoher Unabhängigkeit gegen die $-Interessen einer großen afrikanischen Region hätte führen können. Gaddafi wird die Vorschläge, die die Abhängigkeit in veränderter Form sichern sollten, Privatisierungsprojekte, durchschaut und abgelehnt haben, damit war er fällig, die nächste Stufe lief an. Nach Perkins sind das die „Schakale“, zu Deutsch: Killer, bei Gaddafi, der noch besser als Saddam ein perfektes Sicherheitssystem errichten ließ, ein von vorn herein hoffnungsloses Unterfangen. Perkins merkt dabei an, derartiges geschehe viel öfter, als die Öffentlichkeit wahrnimmt. Die letzte Stufe der Bearbeitung wurde gestartet, die militärische Intervention, eigentlich nur die Ausnahme. Dieses letzte Mittel war nicht so einfach anzuwenden, der moralische Schaden wäre zu groß gewesen. Der plötzliche Aufruhr in den arabischen Ländern kam zu Hilfe, eine perfekte Tarnungsmöglichkeit war gegeben, die Stammesopposition im Nordosten, schon länger angefüttert, konnte aktiviert werden. Die Stammesjugend wurde losgelassen, für Allah und das Wohl des Stammes, selbst auf die Gefahr hin ähnlich wie die HJ im Volkssturm verheizt zu werden. Nachdem, wie erwartet, der ganze Aufstand zusammenbrechen drohte, wurde die Kampagne für die bedrohte Bevölkerung inszeniert, wie bekannt, die UNO erpreßt und die Luftwaffen in Stellung gebracht, wie zu betonen ist, unter Nato-Führung. Wobei verheimlicht wurde, daß die größte Gefahr für die Bevölkerung gerade von dieser Luftwaffe ausgehen werde. Aber seit Fischer haben wir sogar den militärischen Pazifismus, der rechtfertigt alles. Heil seinem grenzenlosen Zynismus und Herr, erbarme Dich des Volkes, das auf solche gequirlte Kacke von aufgeblasenen geistigen Nullen hereinfällt. Plötzlich griffen englische und französische Kontinente der unter Nato-Kommando stehenden Truppen eigenmächtig Gaddafis Truppen an, quasi gegen den Willen der Nato. Ich verstehe ja Sarkozy, eleganter kann man seine Wahlkampfschulden nicht auf Steuergelder umbuchen. Ich kenne die Nato-Strukturen nicht, aber derartige Eigenmächtigkeiten hätten bei jeder anständigen Armee Kriegsgericht zur Folge oder zumindest Suspendierung, davon war nichts zu vernehmen. War das das alte Spiel: Böser Bulle-schlechter Bulle? Das wiederholte sich nochmals im letzten Kapitel, als die Nato erklärte, sie habe gegen Tripoli keine Angriffe für die Aufständischen geflogen, aber, was die nationalen Kontingente getan haben, entziehe sich ihrer Kenntnis. Liebe Reporter, können Sie sich solche Eskapaden vorstellen? Das wäre ja eigentlich schon die Auflösung der Nato-Streitkräfte, wäre es so gewesen, was ich nicht glaube. Wo bleiben da Ihre Nachforschungen und Fragen?
    Kommen Sie sich in dieser Rolle nicht lächerlich vor, falls Sie noch nicht genügend Zynismus angehäuft haben? Wenn Sie aber schon so weit sein sollten, vergessen Sie nicht die Sprachregelung, klassifizieren Sie das eben Gelesene wie üblich mit dem Totschlagbegriff „Verschwörungstheorie“. Ich halte es da lieber mit Dirk Müller, der diesen Begriff als propagandistische Waffe einschätzt und nenne es so wie er „gesunder Menschenverstand“. Machen Sie so weiter ungeachtet des sich zusammenbrauenden Grolls immer größerer Teile der Bevölkerung u. nennen Sie die Empörer dann auch “„Wutbürger“. Bleiben Sie konsequent, man kann nur einem Herrn dienen. Daß Sie mich und die anderen Gebührenzahler mehr des- als informieren, aber das Lied von Regierung und Nato singen, ist mir seit längerem klar, obwohl es dem Sprichwort widerspricht, was Sie da tun. Sie essen unser Brot und pfeifen das Lied finanzmonopolistischer Interessengruppen, das ist infam aber üblich in dem, was Sie (noch) „Demokratie“ nennen, noch ein Begriff aus der allgemeinen verschleiernden Sprachregelung zur Deutungshoheit. Wissen Sie was? Es wäre mir völlig piepe, wie Sie das bezeichneten, es ist ja Ihr Ausweis der Seitenzugehörigkeit, Ihrer subversiven Rolle.
    Die FS- und Rundfunkgebühren werden in einem Nebenaspekt noch nach demokratischem Prinzip erhoben, alle zahlen gleich viel. Allerdings ist die Kehrseite des Prinzips wohl nie in Kraft gewesen, die Kontrolle über die Inhalte, des Wahrheitsgehalts. Inhalte werden von allen möglichen und unmöglichen Institutionen beeinflußt, die keinen Pfennig dafür bezahlen. Das nennt man Enteignung per Gesetz. Ist ein Rudiment von Mitbestimmung möglichweise vorhanden, die Diskussionsmöglichkeit über die Rolle der Medien im politischen System mit allen feststellbaren Verwerfungen? Ihre Diskussionsseiten jedenfalls sind vorsorglich so eingerichtet, daß darüber nicht öffentlich, höchstens noch in besonderen, nochmals abgeschirmten Webräumen nach dem Modell der Speakers Corner gesprochen werden kann.
    Nun denn, Ihr wackren Streiter für Demokratie, ihr ewig Standhaften. Bügelt Eure Rosinante und gebt der Wahrheit die Sporen. Erinnert Ihr Euch Eurer verächtlichen Kommentare über die so feigen Intellektuellen der DDR, die wegen ihrer Karriereplanung auf kritisches Auftreten verzichtet hatten, und besonders empörend, für so wenig Geld? Jetzt steht Euch die Probe aufs Exempel an, jetzt könnt Ihr zeigen, wie standhaft man das Fähnlein der Aufrechten hoch halten muß.
    Sind Sie so kühn und veröffentlichen mein Schreiben? Ich bin gespannt, aber illusionslos.
    *Erwin Wagenhofer: let`s make Money, edition Filmladen, DVD

    Diesen Text habe ich den Chefredaktionen zugemutet.

  48. hwk sagt:

    Die Sozialpartnerschaft lebt!:
    Die Wirtschaft hat die Deutschen dazu aufgerufen, zur Rettung des Euro auch Opfer in Kauf zu nehmen. “Wir wollen nach vorn gehen und in Europa, in den Euro investieren – auch wenn es uns schmerzt”, sagte Hans-Peter Keitel, Präsident beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Berliner Zeitung.
    Laßt uns also den Gürtel enger schnallen und Opfer bringen. Wenn der Chef des BDI das erbittet, kann es doch nur zu unser aller Wohl sein, oder? Ich übernehme jedenfalls gern die Patenschaft für Keitel, oder von mir aus auch für Hundt, jedenfalls für Leute, die selbst zu wenig haben, um ordentlich mitopfern zu können.
    Helge Jürgs

  49. hwk sagt:

    Zur Preußenhochzeit im RBB:
    „Der Programmauftrag ist zugleich ein Qualitätsauftrag.” (Aus der medienpolitischen Standortbestimmung der Gremienvorsitzenden der ARD)
    Und morgen, liebe Gebührenzahler, erzählen wir euch ein anderes Märchen.
    hwk

  50. Erhard Crome sagt:

    Bei aller Wertschätzung für Prantl, das ist mir zu hurtig. Zunächst einmal ist die Regierungsfähigkeit keine Frage der inneren Substanz einer Partei, sondern der parteipolitischen Konstellationen, was heißt: wie sind die anderen, was wäre die Alternative? Siegmar Gabriel sicher nicht, Frau Nahles auch nicht. Außerdem sind die Grünen keine linke, sondern eine bürgerliche Partei, sozusagen die FDP mit Bioladen und Fahrrad statt Porsche. Herr Kretschmann hatte den Beschluss zum Atomausstieg kommentiert mit der Aussage, nun habe Frau Merkel das wichtigste Hindernis aus dem Wege geräumt. Also Schwarz-Grün steht als politische Variante weiter im Raum, und das wäre immer eine Merkel-Variante, weil sie es war, die die Partei dorthin gebracht hat.
    Bis 2013 hat die derzeitige Bundesregierung eine Mehrheit im Deutschen Bundestag, und die bürgerlichen Parteien haben noch nie ihre eigene Regierung parlamentarisch gestürzt. Und in den zwei Jahren fließt noch viel Wasser die Spree hinunter. Eine Alternative wäre eine SPD mit Steinbrück an der Spitze, was heißt: zweite Schröder-Variante unter der Voraussetzung, dass ein Teil der bürgerlichen Wählerschaft SPD statt CDU oder FDP wählt. Das mag aus Sicht von Heribert Prantl vielleicht eine gute Wahl sein, für die Menschen in diesem Lande sicher nicht.

    • jaku sagt:

      Weitestgehend d´accord, lieber Erhard Crome, nur: dass die Regierungsfähigkeit einer Partei k e i n e (!) Frage ihrer inneren Substanz sein soll, will mir trotz der Anerkennung der von Ihnen genannten Konstellations-Kriterien denn doch nicht eingehen.
      Mit frohen Sommergrüßen,
      jaku

  51. jaku sagt:

    Gut gesagt ….
    (…) “Die Regierungszeit der CDU und die Kanzlerschaft der Angela Merkel neigen sich dem Ende zu: weil die CDU am Ende ist; weil Angela Merkel keinen neuen Anfang mehr schafft; weil sie mit einem Koalitionspartner regieren muss, der seine Wirtschaftskompetenz jämmerlich verspielt hat; die Erneuerung der FDP bestand darin, dass sie sich ausgerechnet während der großen Finanzkrise zu einer Art Schülermitverwaltung degradierte.
    Und die angeblich starken Figuren der CDU (Ole von Beust, Roland Koch, Friedrich Merz, Stefan Mappus, Peter Müller und andere mehr) sind zerbröselt. Der Anden-Pakt der einst jungen Wilden hat sich als Sandburg-Pakt erwiesen.” (…)
    Heribert Prantl in der heutigen Süddeutschen Zeitung

  52. hwk sagt:

    Plurale Blichrichtungen

    “Ich gehe davon aus, dass wir jetzt einen Punkt machen, endlich nach vorne schauen und vor allem politisch handeln.”
    (Dietmar Bartsch, Vize-Fraktionschef der Linken im Bundestag)
    *
    “Wir haben in den vergangenen Jahren große Erfolge gehabt und immer nur nach vorne geschaut. Dabei haben wir uns zu wenig mit den verschiedenen Quellen beschäftigt, die sich in dieser Partei zusammengefunden haben. Wir haben uns zu wenig mit der Geschichte des jeweils anderen in unserer Partei beschäftigt”. (Linken-Co-Chef Klaus Ernst in der “Süddeutschen Zeitung”)

    Wohin man auch schaut….

  53. Helge Jürgs sagt:

    Wer mal ein Interview lesen möchte, in dessen Sprechblasenpotpourri reinewegs gar nichts drinsteht, der “genieße” das Folgende:
    http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/politik/356303/356304.php
    Helge Jürgs

  54. Die Red. sagt:

    Übrigens – wem die deutsche Haltung gegenüber dem gestürzten libyschen Diktator scheinheilig vorkommen sollte, dem empfehlen wir, im Blättchen-Archiv die Nr. 8/2011 und dort die Rubrik XXL aufzurufen …

  55. H. Folder sagt:

    Sage mir, wen Du löhnst…

    Bundesaußenminister Guido Westerwelle, so lese ich grade bei spiegel-online, hat dem Übergangsrat der Rebellen ein Darlehen über 100 Millionen Euro versprochen. Das Geld solle in den nächsten Tagen freigegeben werden, sagte er nach einem Telefonat mit Mahmud Dschibril vom Nationalen Übergangsrat.
    Nun ist gegen humanitäre Hilfe auch in Libyen nichts zu sagen. Zu vergessen ist aber auch nicht, dass Libyen finanziell ein eher reicher Staat ist, ganz und gar, wenn – wie ja wohl zu vermuten ist – jeder Erdölboykott nach Gaddafis Sturz umgehend aufgehoben wird und die neue Regeirung am Schwarzen Gold so proper verdienen kann wie Gaddafi es jahrzehntelang tat (ohne dass ihm vom Westen dabei im übrigen seine Gewaltherrschaft vorgeworfen wurde).
    Bedenkt man, daß Deutschland bisher der Hungerregion am Horn von Afrika maximal 65 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat, weiß wohl auch der Blauäugigste, wofür deutsches Geld viel lockerer Sitzt als für Verhungernde. Im Unterschied zu denen lassen sich mit guten Kontakten zu einem Öllieferanten Geschäfte machen, wirtschaftlich wie politisch.
    Hennig Folder

  56. jaku sagt:

    Als die amerikanischen Panzer 2003 im Bagdader Regierungsviertel quasi schon auf Sichtweite heran waren, wusste Saddams Informationsminister Mohammed Said al-Sahhaf der internationalen Presse noch zu berichten, dass es “keine Ungläubigen” in der Stadt gebe. Selbige würden nämlich vorher abgeschlachtet oder begingen angsterfüllt Selbstmord. Als “Comical Aly” ist der Mann in die Geschichte eingegangen.
    Gestern nun hat Gadaffis Sohn Saif al-Islam – ebenfalls vor der internationalen Presse – mit gleichartiger Überzeugungskraft erklärt: “Wir haben den Rebellen das Rückgrat gebrochen”. Comical Saif – wieder einmal zeigt sich: Es gibt nichts Neues unter der Sonne…

  57. Die Red. sagt:

    Fein beobachtet
    (ein Leserbrief an den Spiegel zu einem XXl-Interview mit Charlotte Roche)
    “Man kann sich kein mächtigeres Marketinginstrument vorstellen als ein kleines Mädchen, das sein Sexualleben ausbreitet. Sprache und Botschaft dürfen (sollen) dabei durchaus infantil, dürftig und armselig sein. Diese verkaufsfördernde Trash-Kultur unterstützt nun auch der SPIEGEL. Wissend und kalkulierend, dass es Voyeure, deren Sinne sich bis hin zur Lächerlichkeit verwirren, wenn ihnen der Duft von Nymphen in die Nase steigt und das Gehirn vernebelt, nicht nur im bildungsfernen Milieu gibt.”
    FRÖNDENBERG (NRW) MICHAEL EICHERT

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Das ist mitnichten neu. Der Autor Felix Salten (“Bambi”) bediente sich ebendieses “Kunstgriffes” in Gestalt seiner Wiener Minderjährigen Josephine Mutzenbacher. Da das Büchelchen in Deutschland aber immer noch indiziert ist, dürften die SPIEGEL-Autoren es nicht kennen. Frau Roche sicher auch nicht. Aber in diesem Falle ist das wohl eher eine Frage von im Laufe der Jahrzehnte nachgelassen habender literarischer Allgemeinbildung in Deutschland. Für heutige Lüstlinge mit entsprechenden Neigungen werden “streng dokumentarische” Schriften über den Niedergang der Werte bei Unterschichtenkindern verfasst. Natürlich mit weltverbessernden Absichten und einem vorher in Weihwasser getauchtem Zeigefinder.

  58. Helge Jürgs sagt:

    Deppendorf Deutschland
    Also erstens: Die Sommerinterviews der ARD (“Das Original”! !!!/Eigenwerbung)) sind so überflüssig wie ein Kropf, keine Frage. Als erführe man dort auch nur ein Quäntchen mehr als das, was die Interviewten sonst in die entsicherten Mikrophone und Kameras erzählen.
    Und also zweitens: Wertvoller wird diese selbstdarstellerische Interviewreihe auch dadurch nicht, dass die mediale linke Allzweckwaffe Gregor Gysi den Karteikarten-Abfragern gegenübersitzt. Nur eben, wer die gestrige Sendung hat ansehen wollen, konnte wieder mal erleben, dass den Herren Deppendorf und Becker – anders als bei allen anderen Gesprächspartnern – an allem gelegen war – nicht aber an Antworten. Ein Gysi – und damit Die Linke – wird im Rahmen unserer großartigen Pressefreiheit, gestaltet von lauter unabhängigen und neutralen Journalisten, lediglich zum Vorführen und Abwatschen gebraucht. Dabei wäre in diesem Jahr immerhin – Interesse vorausgesetzt – wirklich naheliegend gewesen, zu erfragen, wie es zu solch Einsichtigkeiten wie der (nicht nur) eines Schirrmacher hat kommen können, dass die Linke in ihrer Situationsanalyse schon seit langem recht hat.
    Aber ach, was kümmerts einen Deppendorf in einem Fernseh-Deutschland, das selbst immer mehr zum Deppendorf verkommt.
    Helge Jürgs

  59. HWK sagt:

    Tissy Bruhns im heutigen Essay des Berliner Tagesspiegels: (…) “Dieser neue Kapitalismus hat die Ideale und Stärken der Demokratien in einem Maß untergraben, wie kein äußerer Feind es gekonnt hätte. Die „Märkte“ sind zur Parallelgesellschaft des 21. Jahrhunderts geworden. Sie können jenseits der für alle anderen gültigen Maßstäbe von Haftung und Verantwortung handeln. Sie sind im Vorteil, denn sie kennen die Regeln der Vielen und nutzen sie zu ihrem Zweck, während die Vielen die Mechanismen weder durchschauen noch beherrschen können, mit denen Ratingagenturen ganze Staaten abstufen oder Hedgefonds mit Leerverkäufen auf Verlust und Niedergang von Nationen wetten. Sie sind immer im Vorteil, denn sie verdienen nicht nur an konstruktiven Erfolgen, sondern auch an Niederlagen und Pleiten.” (…)
    Wo sie recht hat, hat sie recht …

  60. Kay Bliewand sagt:

    Die Londoner “Times” dieser Tage:
    “Den Euro retten? Schmeißt Deutschland raus!”
    “Deutschland ist davon überzeugt, die wirtschaftliche Supermacht Europas zu sein und somit über das Recht zu verfügen, die Euro-Zone nach seinem Modell zu verwalten…”
    Interessante Alternative, oder?
    Kay

  61. Helge Jürgs sagt:

    Thomas Gottschalks neuer Vertrag mit der ARD bringt ihm per anno sechs Millionen (beim FDZ waren´s nur 1,5 Mio) Euro ein. Nicht schlecht, obwohl Gottschalk dafür arbeiten muss. Sogar mehr als beim ZDF, was eine zusätzliche Härte bedeutet für jemanden, der nun auch nicht mehr der Jüngste ist. Aber wie auch immer: Mit dem Zweiten sieht man zwar besser, dafür verdient man mit dem Ersten aber mehr. Wir Gebührenzahler werden dafür nun mit täglich hochwertigem Gottschalk-Strahlen unter dem ARD-Logo überreichlich belohnt werden. Dafür gibt man sein Geld aber auch wirklich gern hin.
    Helge Jürgs

  62. Richard Albrecht sagt:

    Falls Ihre Frage,

    Herr Dr @Schütrumpf,

    keine rhetorische ist – hier meine Antwort zur Frage, gegen “welchen Faschismus” es in den 1950er und 1960er Jahren ging und für die ich in anderem Zusammenhang etwas Berlin´sches nachrecherchiert habe aus dem Frühjahr 1968. Es ging um die SPD-senatsoffizielle Reaktion auf den Internationaler Vietnam-Kongreß vom 17./18.Februar 1968 in Westberlin, auf dem auch Rudi Dutschke (SDS) im Sinne Che Guevaras (Schaffen wir zwei, drei, viele Vietnam [und] Die Pflicht jeden Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen) sprach (die folgenden Zitate nach: Dorothea Hauser, Bader und Herold. Beschreibung eines Kampfes. Berlin 1997, p. 142):

    Auf der Senatsdemonstration am 21. Februar 1968 vor dem damaligen Schöneberger Rathaus in Berlin (West) auf dem John-F.-Kennedy-Platz gab es diese Plakate:

    „Dutschke – Volksfeind Nr. 1″

    Als das Gerücht umlief, Rudi wär bei den wenigen Gegendemonstranten (es war eine Verwechslung, jemand sah Rudi nur ähnlich und mußte polizeilich vor der rechten Meute geschützt werden) wurde aus der Pogrommenge (Elias Canetti nannte das in seinem „Masse & Macht“-Buch 1960 „Lynchmob“) unter anderem laut skandiert:

    „Schlagt ihn tot! Kastriert das Judenschwein! Dutschke ins KZ!“

    Mit freundlichem Gruß

    Richard Albrecht, 17. 08. 2011

  63. Erhard Crome sagt:

    Manfred Lauermann hat mich gerade auf Folgendes Aufmerksam gemacht:

    Niklas Luhmann zum 13. August 1961
    „Nicht nur gemeinsamer Glaube, sondern auch gemeinsame Indifferenz oder gemeinsame Ausweglosigkeit können dazu führen, daß die Macht eines politischen Systems sich in der Form von legitimen, fraglos akzeptierten Entscheidungen ausmünzen läßt.
    Man braucht diesen erweiterten Legitimitätsbegriff zum Beispiel, um jenen seltenen Fall eines unbeabsichtigten Experimentes analysieren zu können, das die Deutsche Demokrati­sche Republik in dieser Frage unternommen hat. Solange ihre Grenzen nach Westen hin offen waren und jeder, der blieb, freiwillig blieb, konnte sie die Legitimität ihrer Entscheidungen in der Tat nur auf eine persönlich zurechenbare Gesin­nung stützen. Es gab die Möglichkeit auszuweichen in einem Umfange, der das normale ius emigrandi weit überschritt. Der einzelne war dadurch gleichsam vorläufiger Staatsbürger auf Widerruf und nahm das politische Regime, sofern er es nicht in seinen Prinzipien bejahte, doch jedenfalls durch eine persönlich zurechenbare Entscheidung in Kauf. Gerade diese Abhängigkeit von persönlicher Motivation, Gesinnung eingeschlossen, ergab keine ausreichende Basis der Legitimation. Die für große Verwaltungssysteme erforderliche Entscheidungssicherheit kann nicht allein auf Gesinnung oder auf andere persönliche Motive welcher Art immer gestützt werden, weil die sozialen Mechanismen der Habitualisierung und Verselbstverständlichung nicht Platz greifen, wo ein Verhalten als freiwillig, als persönlich bedingt und damit als variabel erlebt wird.
    Der 13. August 1961 hat eine andere Situation geschaffen und in seinen faktischen Folgen das Legitimitätsbewußtsein in Richtung auf ein unpersönlich­fragloses Akzeptieren gewandelt. Seitdem braucht niemand ein »normales« Verhalten zum Staat vor sich oder vor anderen als persönlichen Entschluß zu rechtfertigen. Auch von denen, die den Prinzipien des politischen Regimes innerlich Konsens verweigern, wird die Geltung der Entscheidungen nicht bestritten und als Geltung, also nicht nur freiwillig anerkannt. Es entsteht eine Staatsgesinnung, die kein ideologisches Bekenntnis voraussetzt. Daß solche Bekenntnisse verlangt und veranstaltet werden und daß auch das zum Akzeptieren von Entscheidungen gehören kann, ist eine andere Sache. Die einmalige Chance, einen Staat auf persönliche Gesinnung zu gründen, ist am 13. August 1961 aufgegeben worden“.
    Aus dem Projekt: Soziologische Aufklärung (1968). Quelle: Politische Soziologie. Manuskriptdruck Universität Bielefeld [u.a.]. Buchdruck [Aus dem Nachlaß] BerlinSuhrkamp 2011, S. 104/5.

  64. Lieber (Herr?) Kay! Eigentlich müsste ich Ihre Frage einfach verneinen. Denn ich kenne weder die Verkäufer noch die Käufer. Wahrscheinlich sind sie (allein schon aus Gründen des Datenschutzes) auch gar nicht festzustellen. Zur Auflösung des scheinbaren Widerspruchs hier nur kurz Folgendes, wobei ich klarstellen muss, dass ich kein Finanz- und Börsenfachmann bin, ganz im Gegenteil.
    Kauf und Verkauf von Wertpapieren stellen an sich, ursprünglich, eine besondere Form des Sparens, Aufbewahrens von Reichtum dar bzw. des Ansammelns von Kapital zur Finanzierung großer unternehmerischer Projekte, wobei sich die Wertsumme durch Zinsnahme, Dividende usw. (ich sage durch Ausbeutung) vermehren soll. Da die Marktpreise dieser Papiere, die Kurse, wie die aller Waren je nach Angebot und Nachfrage schwanken, liegt hier ein weites Feld möglicher Spekulation, um auch aus den Kursunterschieden Gewinn zu ziehen – allerdings mit dem Risiko des Verlierens, wie bei allen Spielen.
    Längst nicht alle Käufer oder Verkäufer sind Spekulanten. Aber auch sie haben irgendwelche Gründe für ihr Kaufen und Verkaufen – weil sie Geld anlegen wollen oder Geld für andere Zwecke brauchen. Die Spekulanten dagegen sind Spieler. Und wie beim Roulette gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Kurse fallen, oder sie steigen (gleichbleibende Kurse sind uninteressant weil folgenlos). Und die einen wetten auf steigende, die anderen auf fallende Kurse. Doch im Unterschied zum Roulette stellen sie dabei die unterschiedlichsten Überlegungen an und kommen zu ganz verschiedenen Einschätzungen der Lage und künftiger Entwicklungen, je nach ökonomischer Bildung und Information, auch über Finanzmanipulationen usw. Außerdem treffen heute meist nicht mehr die Akteure unmittelbar die Entscheidungen über Kauf und Verkauf von Wertpapieren, sondern Computer. Die sind mit Befehlen gefüttert, bei Erreichen bestimmter Kurswerte automatisch zu handeln. So werden in Bruchteilen von Sekunden, und mit der Irrationalität eines Schwarmverhaltens ähnlich dem in der Natur, Entscheidungen über Unsummen von Finanzwerten in aller Welt getroffen, die jeder sachlichen Gesamteinschätzung der Lage in der Welt und jeder vernünftigen Zielstellung entbehren. (Bei den Hedgefonds beispielsweise weiß kaum noch jemand, was da eigentlich warum geschieht. Das ist auch ganz unwichtig, wenn nur der Gewinn sprudelt.)
    Die Weltwirtschaft ist zum Aktionsfeld von Computerspielen geworden, die gesteuert werden von der Gier nach finanziellem Reichtum, ausgedrückt in Zahlen, die in ihren Billionen-Beträgen nur noch zerstörerische Sinnlosigkeit darstellen, mit den bekannten Folgen wie Energiekrise, Umweltkrise, Hunger, Armut, daraus resultierender Gewalt usw. Wirtschaften, Haushalten, ist zur extremen Misswirtschaft illusionären Wirtschaftswachstums verkommen, weil alle Akteure bei Strafe ihres Untergangs gezwungen sind, den Befehlen der allgemeinen Gier zu gehorchen, das eigene Gewissen und die ökonomische Vernunft dagegen zu ignorieren.

  65. Kay sagt:

    Sehr geehrter Heerke Hummel,
    können Sie als von mir geschätzter Autor zu volks- und weltwirtschaftlichen Fragen mal erklären, wer eigentlich all die Aktien, Anleihen etc. kauft, die derzeit so massenhaft abgestoßen werden? Ohne Käufer könnte es ja die “panikartigen” Verkäufe nicht geben.
    Für eine knapp Erläuterung wäre ich Ihnen jedenfalls dankbar,
    Kay

  66. Schuldenkrise – A. Fishers „Panzerfaust“
    Adam Fisher, Investment-Chef des Hedge-Fonds Commonwealth Opportunity Capital, prophezeite jetzt laut „Handelsblatt“ Panik an den europäischen Finanzmärkten. Die Märkte, meint er, werden nichts Geringeres mehr akzeptieren als etwas, was er die „Panzerfaust-Lösung“ nennt: Eine „ganzheitliche Lösung“.
    Das klingt nicht schlecht. Doch was der Spekulant (sein Fonds wettete vor gut einem Jahr auf einen fallenden Euro) darunter versteht, dürfte sich über kurz oder lang tatsächlich als Panzerfaust entpuppen, eine Waffe, deren Feuerstrahl nach hinten losgeht. Denn eine „vollständige fiskalische Einheit Europas“ nach dem Geschmack von A. F., hergestellt durch die Ausgabe von Euro-Bonds (Anleihen der EU-Staatengemeinschaft), würde nichts weiter als eine weitere Amerikanisierung des europäischen Finanzsystems bewirken. Man vergrößerte nur die Dimensionen der Finanzspekulation, ganz im Interesse auch von A. Fisher. Das eigentliche Problem aber, dass die Erfüllung staatlicher Aufgaben und deren Finanzierung vom Spiel- und Spekulationstrieb, von der Gier wohlhabender Privatpersonen und Gesellschaften (China dürfte vor allem aus politischem Interesse massenhaft amerikanische Staatsanleihen horten) abhängen, bliebe bestehen. Zweitens: Eine massive Intervention der Europäischen Zentralbank (EZB), was Fisher sich auch vorstellen könnte, wäre nur die Nachahmung der US-amerikanischen Variante staatlicher Schuldenpolitik. Und drittens übrigens: Die EZB ist bereits auf dem besten Wege dahin. Gerade wurde mitgeteilt, dass die europäische Notenbank nun doch wieder Staatsanleihen von EU-Ländern aufkaufen werde. Bereits vor zwei Jahren erreichte der Schuldenstand der Euro-Staaten insgesamt mehr als sieben Billionen Euro (rund 80 % des Bruttoinlandsprodukts in Höhe von knapp neun Billionen Euro). Wenn nun den Amerikanern „nachgeeifert“ wird (auch die amerikanische Fed steht angesichts der sehr mauen Wirtschaftsentwicklung und vor allem der weiter stark angespannten Lage auf dem US-Arbeitsmarkt wieder unter öffentlichem Druck, eine weitere Runde von Staatsanleihenkäufen einzuläuten – bei einem neuesten Höchststand der US-Staatsverschuldung bei 14,58 Billionen Dollar, während das BIP der größten Volkswirtschaft der Welt im vergangenen Jahr bei 14,53 Billionen Dollar lag), scheint eine ganzheitliche Lösung des europäischen staatlichen Schuldenproblems noch in weiter Ferne zu liegen. Wie eine solche im Prinzip aussehen könnte, wurde in Nr. 15 des „Blättchens“ anzudeuten versucht.

  67. Gerd Kaiser sagt:

    Spuren der Geschichte

    Die diesjährige „rote Wallfahrt“ des Südthüringer Verbandes der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten führte nach Berlin. Zum Programm gehörten u.a.: Auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlins Mitte, ein Gedenken für ermordete Männer des Widerstandes, eine Führung auf dem Gelände des Dokumentationszentrums des vormaligen Zwangsarbeiterlagers in der Britzer Straße in Berlin-Schöneweide, der Besuch der Ausstellung Topographie des Terrors und eine kenntnisreiche Führung durch Prof. Dr. Heinrich Fink, vormaliger Abgeordneter des Bundestages und derzeitiger Vorsitzender der VVN/BdA, zu den vielfältigen Geschichtsspuren im Reichstagsgebäude.
    In Augenschein wurden im Hohen Haus dabei auch jene Spuren der Geschichte genommen, die die Befreier der Hauptstadt 1945 im Reichstag hinterließen. Genauer gesagt: Jener Teil der Inschriften an den Mauern des Reichstages, der nicht übertüncht oder anderswie getilgt worden ist.
    Warum eigentlich sollten wichtige Spuren der Geschichte gelöscht, offensichtlich ausgelöscht, werden?
    Da Geschichte jedoch unwiderruflich Geschehenes ist und nicht retuschiert werden sollte, seien hier beispielhaft drei handschriftliche Botschaften aus den ersten Maitagen des Jahres 1945 wiedergegeben, die sowjetische Kriegsberichterstatter seinerzeit festgehalten haben, die jedoch heutzutage nicht mehr an den Mauern des Reichstagsgebäudes zu sehen sind.
    Ihrer unmissverständlichen Aussagen wegen, seien sie hier, in der Übersetzung aus dem russischen Original, wiedergegeben.
    Auf den kampfgeschwärzten Mauern des Reichstagsgebäudes erklärte A. K. Zverjev, zwei Tage nach dem Sieg der Roten Armee am 11.5.45, warum er nach Berlin gekommen war: „Ich begann meinen Feldzug von Kertsch-Stalingrad aus, und kam deshalb bis in die Höhle des Raubtiers, d. h. nach Berlin“. Darunter schrieben (in einem kunstlos gerahmten Text) die Leningrader Major Andrejev, Ochrijenko und Michailin ihr politisches Vermächtnis: „Wir sind deshalb hierher gekommen, damit Deutschland nicht uns heimsucht.“
    Und schließlich folgt: „Die Ruinen mögen die deutschen Räuber für viele Jahre an die Kraft der Helden der Roten Armee erinnern“. Rechts daneben, verweist die Inschrift auf den zurückgelegten Weg; „Wolga – Berlin“.

    Zu finden sind die Originalfassungen der Fotos mit einiger Geduld und Sprachkenntniss u. a. unter http://www.yandex.ru, dem meistgenutzten russischsprachigen Internet-Rechercheprogramm.

  68. Noli sagt:

    Jesus’ Wort aus der Bergpredigt: „Was siehst Du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr?“ (Lukas, 6,41) scheint ein vorweggenommener Blick auf das heute vorherrschende Islam-Bashing in den Medien hierzulande zu sein. Da rückt eine Einlassung von Arno Widmann in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung das Bild zumindest wieder etwas gerade: „Der Islam ist demokratiefeindlich. Der Islam nimmt zur Durchsetzung seiner Ziele die Tötung von Tausenden, ja Hunderttausenden in Kauf. Die Gesetze des Islam sind mit den Menschenrechten nicht vereinbar. Jeder dieser Sätze ist richtig. Freilich nur, wenn wir bereit sind, statt Islam jedes Mal zum Beispiel auch Christen- oder Judentum einzufügen.“

    Widmann ersparte sich zwar die Aufzählung der historischen Belege dafür – von den Kreuzzügen über die Inquisition und die Kolonialisierung Afrikas, Lateinamerikas und Asiens durch christliche Abendländer bis hin zu diversen Feldzügen Israels gegen seine Nachbarstaaten und die Palästinenser, aber mit Blick auf den norwegischen Massenmörder Anders Behring Breivik vermerkt er zumindest einen historischen Fall: „Dass Spanien wohl 300.000 Mauren vertrieb, die nach der Reconquista im Land geblieben waren, interessiert ihn. Nicht als Beispiel einer unmenschlichen Barbarei, sondern als Beleg dafür, dass ‚ethnische Reinigungen’ funktionieren.“

  69. Marie-Luise Grohl sagt:

    Zum Beitrag über taktische Kernwaffen in der aktuellen Ausgabe: Der frühere australische Außenminister Gareth Evans beklagte unlängst in einem Beitrag (siehe: http://www.project-syndicate.org/commentary/evans6/German): „Einer der entmutigendsten Aspekte der heutigen internationalen Diskussion besteht darin, dass die Bedrohung der Menschheit durch die weltweit 23.000 Nuklearwaffen – und diejenigen, die mehr davon bauen oder sie bereitwillig anwenden möchten – politisch nur noch am Rande behandelt wird. […]Die Angst vor einem atomaren Holocaust scheint gemeinsam mit dem Kalten Krieg verschwunden zu sein. […]Von wenigen Ausnahmen abgesehen, zeigt die heutige Generation führender Politiker wenig Interesse an Abrüstung, und die Nichtverbreitung von Atomwaffen ist als Thema kaum weniger populär. Und Druck der Öffentlichkeit, der dies ändern könnte, ist nicht vorhanden.“

    Evans ist sich mit der amerikanischen „Viererbande“ (H. Kissinger, G. Shultz, S. Nunn und W. Perry) einig, „dass die Risiken von Atomwaffen bei der heutigen Sicherheitslage jeden nur denkbaren Nutzen in den Schatten stellen“ und formulierte vier Botschaften. „Die erste Botschaft ist, dass die Bedrohung einer Katastrophe durch Nuklearwaffen weiterhin alarmierend aktuell ist. […] Die zweite Botschaft besteht darin, dass die Abschreckungsdoktrin des Kalten Krieges für die heutige Welt irrelevant ist. […]Die dritte Botschaft ist, dass die bestehenden Atommächte, wenn sie andere Staaten ernsthaft vom Beitritt in ihren Club abhalten wollen, den Besitz nuklearer Waffen zum Zweck der Verteidigung gegen andere konventionelle oder Massenvernichtungswaffen, insbesondere biologischer Art, nicht mehr rechtfertigen können. […] Die letzte Botschaft besteht darin, dass stückchenweise Lösungen oder Sprücheklopferei nicht funktionieren. Nukleare Abrüstung, Nichtverbreitung von Waffen, Terrorabwehr und die Risikoreduzierung bei der zivilen Nutzung von Kernenergie sind untrennbar miteinander verbunden und benötigen zusätzlich zu Detailbetrachtungen dauerhafte, umfassende Lösungsansätze. Die nukleare Rettung kann nicht mit Stückwerk […] erreicht werden.“

    Evans schloss seine Betrachtungen mit der Bemerkung: „Kissinger ist nicht unbedingt ein Symbol für Idealismus. Aber er ist es allemal wert, angehört zu werden. Insbesondere zu der Frage, die er seit Jahren stellt: Die nächste Nuklearwaffenkatastrophe wird mit Sicherheit stattfinden, und dann muss die Welt drastische Antworten finden. Warum können wir damit nicht schon jetzt beginnen?“ Und wer wäre in der Lage, so bleibt hierzulande zu ergänzen, diese Frage der Bundeskanzlerin zu stellen?

  70. Helge Jürgs sagt:

    Sooo dramatisch, wie die voraussichtliche US-Staatspleite zu sein scheint, ist sie gar nicht. Schließlich steht eine finanzielle
    Ersatzquelle je schon bereit. Denn verfügt der US-Haushalt derzeit noch 73,768 Milliarden Dollar, so tummeln sich in der Kasse des Computergiganten Apple über 76,156 Milliarden. Also: Steve Jobs for president und alles ist wieder gut.
    Hierin dürfte auch die Lösung der unseligen Finanzkrisen in diversen Euro-Staaten liegen: Es reicht eben nicht mehr, daß eine Regierung halbherzig die Sache der Konzerne befördert, am besten, die Wirtschaft macht das selbst.
    USA = Vereinigte Staaten von Apple, oder auch Fininvestrepublik Italien, oder hierzulande Deutsche-Bank-Republik,
    empfiehlt Helge Jürgs

  71. andreas.heising sagt:

    Sehr geehrter Herr Möhring,
    vielen Dank für die treffende Beschreibung unserer einmaligen und vielseitigen Region. Es ist jedoch nicht so, dass die Burg Storkow wegen eines Nutzungskonzeptes saniert wurde. Da wurde schon weit vor 1998 von vielen Bürgern, Vereinen, Unternehmen und Behörden eine umfangreiche Vor- und Zuarbeit geleistet. Die einseitige Darstellung der Phase ab 1998 geht weit an der Realität vorbei, denn das war die Zeit, wo wir immer mehr Mitstreiter gewinnen konnten und gerade der Historische Beirat der Stadt Storkow die historische Rolle der Burg eindrucksvoll herausstellen konnte. Wichtige Bürger und Vereine haben sich auch um politische Unterstützung bemüht und vieles erst möglich gemacht. Der alleinige Hinweis auf Herrn Krumbein ist hier für uns also irritierend.

  72. Noli sagt:

    In den ANTWORTEN der aktuellen Ausgabe heißt es, Siegfried Jacobsohn hätte diese Rubrik 1913 bei der Schaubühne eingeführt. Für die Schaubühne trifft das zweifellos zu. Trotzdem hätte es korrekter heißen müssen: „Siegfried Jacobsohn hatte diese Rubrik 1913 für die Schaubühne schöpferisch adaptiert – von Karl Kraus. Bereits die zweite Ausgabe von dessen Fackel vom April Jahre 1899 wies eine solche Rubrik auf.“

  73. Redaktion sagt:

    Erst lud man ihn ein, die Eröffnungsrede auf den heute beginnenden Salzburger Festspielen zu halten, dann lud man ihn wieder aus – den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und heutigen Vizepräsidenten des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrates Jean Ziegler, der mit seiner Weltsicht den von ihm Kritisierten, darunter internationale Konzerne wie Nestlé und Crédit Suisse, die zu den Großsponsoren der Salzburger Festspiele zählen, schon lange ein Dorn im Auge ist. Wir dokumentieren nachfolgend die nicht gehaltene Rede Jean Zieglers, die in Kürze im Ecowin Verlag Salzburg erscheinen wird.

    Die Redaktion

    —–

    Sehr verehrte Damen und Herren, alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37.000 Menschen verhungern jeden Tag und fast eine Milliarde sind permanent schwerstens unterernährt. Und derselbe World-Food-Report der FAO, der alljährlich diese Opferzahlen gibt, sagt, dass die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase ihrer Entwicklung problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung normal ernähren könnte.

    Schlussfolgerung: Es gibt keinen objektiven Mangel, also keine Fatalität für das tägliche Massaker des Hungers, das in eisiger Normalität vor sich geht. Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet. Gestorben wird überall gleich. Ob in den somalischen Flüchtlingslagern, den Elendsvierteln von Karachi oder in den Slums von Dhaka, der Todeskampf erfolgt immer in denselben Etappen. Bei unterernährten Kindern setzt der Zerfall nach wenigen Tagen ein. Der Körper braucht erst die Zucker-, dann die Fettreserven auf. Die Kinder werden lethargisch, dann immer dünner. Das Immunsystem bricht zusammen. Durchfälle beschleunigen die Auszehrung. Mundparasiten und Infektionen der Atemwege verursachen schreckliche Schmerzen. Dann beginnt der Raubbau an den Muskeln. Die Kinder können sich nicht mehr auf den Beinen halten. Ihre Arme baumeln kraftlos am Körper. Ihre Gesichter gleichen Greisen. Dann folgt der Tod.

    Die Umstände jedoch, die zu dieser tausendfachen Agonie führen, sind vielfältig und oft kompliziert. Ein Beispiel: die Tragödie, die sich gegenwärtig (Juli 2011) in Ostafrika abspielt. In den Savannen, Wüsten, Bergen von Äthiopien, Djibouti, Somalia und Tarkana (Nordkenia) sind 12 Millionen Menschen auf der Flucht. Seit fünf Jahren gibt es keine ausreichende Ernte mehr. Der Boden ist hart wie Beton. Neben den trockenen Wasserlöchern liegen die verdursteten Zebu-Rinder, Ziegen, Esel und Kamele. Wer von den Frauen, Kindern, Männern noch Kraft hat, macht sich auf den Weg in eines der vom Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge und vertriebene Personen eingerichteten Lager.

    Zum Beispiel nach Dadaad, auf kenianischem Boden. Dort drängen sich seit drei Monaten über 400.000 Hungerflüchtlinge. Die meisten stammen aus dem benachbarten Südsomalia, wo die mit Al-Kaida verbundenen fürchterlichen Schabab-Milizen wüten. Seit Juni treten täglich rund 1.500 Neuankömmlinge aus dem Morgennebel. Platz im Lager gibt es schon lange nicht mehr. Das Tor im Stacheldrahtzaun ist geschlossen. Vor dem Tor führen die Uno-Beamten die Selektion durch: Nur noch ganz wenige – die, die eine Lebenschance haben – kommen hinein. Das Geld für die intravenöse therapeutische Sondernahrung, die ein Kleinkind, wenn es nicht zu sehr geschädigt ist, in zwölf Tagen ins Leben zurückbringt, fehlt.

    Das Geld fehlt. Das Welternährungsprogramm, das die humanitäre Soforthilfe leisten sollte, verlangte am 1. Juli für diesen Monat einen Sonderbeitrag seiner Mitgliedstaaten von 180 Millionen Euro. Nur 62 Millionen kamen herein. Das normale WFP (World-Food-Programm) –Budget betrug 2008 sechs Milliarden Dollar. 2011 liegt das reguläre Jahresbudget noch bei 2,8 Milliarden. Warum?

    Weil die reichen Geberländer – insbesondere die EU-Staaten, die USA, Kanada und Australien – viele tausend Milliarden Euro und Dollars ihren einheimischen Bank-Halunken bezahlen mussten: zur Wiederbelebung des Interbanken-Kredits, zur Rettung der Spekulations-Banditen. Für die humanitäre Soforthilfe (und die reguläre Entwicklungshilfe) blieb und bleibt praktisch kein Geld.

    Wegen des Zusammenbruchs der Finanzmärkte sind die Hedgefonds und andere Groß-Spekulanten auf die Agrarrohstoffbörsen (Chicago Commodity Stock Exchange, u. a.) umgestiegen. Mit Termingeschäften, Futures, etc. treiben sie die Grundnahrungsmittelpreise in astronomische Höhen. Die Tonne Getreide kostet heute auf dem Weltmarkt 270 Euro. Ihr Preis lag im Jahr zuvor genau bei der Hälfte. Reis ist um 110 Prozent gestiegen. Mais um 63 Prozent.

    Was ist die Folge? Weder Äthiopien, noch Somalia, Dschibuti oder Kenia konnten Nahrungsmittelvorräte anlegen – obschon die Katastrophe seit fünf Jahren voraussehbar war.

    Dazu kommt: Die Länder des Horns von Afrika werden von ihren Auslandsschulden erdrückt. Für Infrastrukturinvestitionen fehlt das Geld. In Afrika südlich der Sahara sind lediglich 3,8 Prozent des bebaubaren Bodens künstlich bewässert. In Wollo, Tigray und Shoa auf dem äthiopischen Hochland, in Nordkenia und Somalia noch weniger. Die Dürre tötet ungestört. Diesmal wird sie viele Zehntausende töten.

    Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und der Konzern-Mogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind die Verursacher und die Herren dieser kannibalischen Weltordnung.

    Was ist mein Traum? Die Musik, das Theater, die Poesie – kurz: die Kunst – transportieren die Menschen jenseits ihrer selbst. Die Kunst hat Waffen, welche der analytische Verstand nicht besitzt: Sie wühlt den Zuhörer, Zuschauer in seinem Innersten auf, durchdringt auch die dickste Betondecke des Egoismus, der Entfremdung und der Entfernung. Sie trifft den Menschen in seinem Innersten, bewegt in ihm ungeahnte Emotionen. Und plötzlich bricht die Defensiv-Mauer seiner Selbstgerechtigkeit zusammen. Der neoliberale Profitwahn zerfällt in Staub und Asche. Ins Bewusstsein dringt die Realität, dringen die sterbenden Kinder.

    Wunder könnten in Salzburg geschehen: Das Erwachen der Herren der Welt. Der Aufstand des Gewissens! Aber keine Angst, dieses Wunder wird in Salzburg nicht geschehen!

    Ich erwache. Mein Traum könnte wirklichkeitsfremder nicht sein! Kapital ist immer und überall und zu allen Zeiten stärker als Kunst. „Unsterbliche gigantische Personen“ nennt Noam Chomsky die Konzerne. Vergangenes Jahr – laut Weltbankstatistik – haben die 500 größten Privatkonzerne, alle Sektoren zusammengenommen, 52,8 Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts, also aller in einem Jahr auf der Welt produzierten Reichtümer, kontrolliert. Die total entfesselte, sozial völlig unkontrollierte Profitmaximierung ist ihre Strategie. Es ist gleichgültig, welcher Mensch an der Spitze des Konzerns steht. Es geht nicht um seine Emotionen, sein Wissen, seine Gefühle. Es geht um die strukturelle Gewalt des Kapitals. Produziert er dieses nicht, wird er aus der Vorstands-Etage verjagt. Gegen das eherne Gesetz der Kapitalakkumulation sind selbst Beethoven und Hofmannsthal machtlos. „L’art pour l’art“ hat Théophile Gautier Mitte des 19. Jahrhunderts geschrieben. Die These von der autonomen, von jeder sozialen Realität losgelösten Kunst, schützt die Mächtigen vor ihren eigenen Emotionen und dem eventuell drohenden Sinneswandel.

    Die Hoffnung liegt im Kampf der Völker der südlichen Hemisphäre, von Ägypten und Syrien bis Bolivien, und im geduldigen, mühsamen Aufbau der Radikal-Opposition in den westlichen Herrschaftsländern.

    Kurz: in der aktiven, unermüdlichen, solidarischen, demokratischen Organisation der revolutionären Gegengewalt. Es gibt ein Leben vor dem Tod. Der Tag wird kommen, wo Menschen in Frieden, Gerechtigkeit, Vernunft und Freiheit, befreit von der Angst vor materieller Not zusammenleben werden.

    Mutter Courage, aus dem gleichnamigen Drama von Bertolt Brecht, erklärt diese Hoffnung ihren Kindern:
    „Es kommt der Tag, da wird sich wenden / Das Blatt für uns, er ist nicht fern. / Da werden wir, das Volk, beenden / Den großen Krieg der großen Herrn./ Die Händler, mit all ihren Bütteln / Und ihrem Kriegs- und Totentanz/ Sie wird auf ewig von sich schütteln / Die neue Welt des g’meinen Manns./ Es wird der Tag, doch wann er wird,/ Hängt ab von mein und deinem Tun./ Drum wer mit uns noch nicht marschiert,/Der mach’ sich auf die Socken nun.“

  74. jaku sagt:

    Friedrich Küppersbusch im allmontägliches Taz-Interview “Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?” auf die Frage:

    “Ist die vielbeschworene Offenheit der skandinavischen Gesellschaften nun in Gefahr?”

    F. K.: Ist Anders B. im Kern seiner Religion von Thilo Sarrazin zu unterscheiden? “Europa wird arabisiert” – “Deutschland schafft sich ab”? Wenn es je “Salonbolschewiken” gegeben hat, haben wir es längst mit Salonnazis zu tun. Für diese todschicken Hassprediger brauchen wir nicht auf Skandinavien zu zeigen. Die Islam-Schmähungen gehen nie ohne den diffusen Begriff “Netzwerk” ab, während die Welt und Innenminister Friedrich den Täter sogleich zum “verrückten Einzeltäter” erklärten, zum “einsamen Sonderling voller hasserfüllter Gedanken”. In Schweden und Dänemark regieren die vereinzelten Sonderlinge bereits mit. Die EU lässt Dänemark seine klar fremdenfeindlich motivierten Grenzkontrollen durchgehen: Da könnten wir schon nein sagen. Die vollständig paranoiafreien Statements des noch sichtlich geschockten Stoltenberg imponieren mir: “Zusammenstehen und aufeinander achtgeben”.

  75. HWK sagt:

    Elmar Theveßen (ZDF) und anderweitige Tele-Weissager – Kaum, dass die Bombe in Oslo explodierte, waren für Sie ausreichende Indizien dafür gegeben, dass dieser Anschlag Islamisten zuzuschreiben sei. Können Sie vielleicht mal erklären, warum Sie von Ihrem Arbeitgeber seit eh und je als “Terrorismusexperte” etikettiert werden? “Terrorismusorakel” täte es doch auch, oder?
    HWK

  76. jaku sagt:

    Spiegel online mit einer wirklichen Lachnummer,
    der Analyse von „Promi-Halbwissen zur Euro-Krise“
    Von Albrecht Müller, Nachdenkseiten
    http://www.nachdenkseiten.de

    Eines muss man der Redaktion von Spiegel online zugestehen: Sie hören manchmal das Gras wachsen. Also haben sie sensibel wahrgenommen, dass im Rest der kritischen Öffentlichkeit immer mehr erkannt wird, wie unaufklärerisch und voll gepumpt mit Vor- und Fehlurteilen Spiegel und Spiegel online die Finanzkrise begleiten. Also hat sich die Redaktion an das Prinzip „Haltet den Dieb erinnert“ und anderen, Politikern und Schauspielern Halbwissen vorgeworfen und deren angebliches Halbwissen analysiert. Wir haben diese Texte von Spiegel online kommentiert. Albrecht Müller.

    Dabei zitieren wir Original die Texte der Opfer von Spiegel online und immer unter der Einleitung „Fakt ist:“ die Bewertung von Spiegel online.

    Übrigens fällt auf, dass Spiegel online dieses Projekt auch nutzt, um ihre Lieblinge auf der Regierungsseite zu schonen und das Milieu Links von Schwarz-gelb zu attackieren. Einer unserer Leser hat ausgerechnet: 25 % regierungsnahe Person stehen 75 % der anderen Seite gegenüber.

    Wenn Sie unsere Kommentierung hilfreich finden, dann verbreiten Sie doch bitte diese Kurzdokumentation unter Spiegel- und Spiegel online-Lesern. In diesem Bereich gibt es einen unendlichen Bedarf an Aufklärung.

    Angela Merkel: “Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen.”

    Fakt ist: Arbeitnehmer in südeuropäischen Ländern machen nicht mehr Urlaub als deutsche. So liegt etwa Griechenland mit durchschnittlich 23 bezahlten Urlaubstagen pro Jahr unter dem europäischen Durchschnitt. Deutschland belegt mit 30 Urlaubstagen dagegen einen Spitzenplatz. Außerdem hat die Anzahl der Urlaubstage herzlich wenig mit dem Auseinanderdriften der wirtschaftlichen Entwicklung in den Euro-Ländern zu tun.

    Kommentar AM: Gegen diese Kritik an Angela Merkel ist nichts einzuwenden. Auch in einem gemeinsamen Währungsraum sind die Menschen in den verschiedenen Teilen nicht gezwungen, ihre Gewohnheiten anzugleichen. Das galt auch schon in DM-Zeiten. Die katholischen Landesteile hatten mehr Feiertage, die Kölner nehmen nicht alles so bierernst wie die Ostwestfalen – im Zweifel verdienen sie ein bisschen weniger, als sie könnten. Auch in einem Euro-Raum Europa kann es verschiedene Sitten und Gebräuche geben. Zum Beispiel auch den Wunsch eines Volkes, mit 60 in Rente zu gehen. Oder den Wunsch einen ausgeprägten öffentlichen Sektor zur Versorgung mit Gütern für die Daseinsvorsorge.
    Sigmar Gabriel: “Diese Bewertungen von europäischen Mitgliedstaaten durch US-Rating-Agenturen sind höchst fragwürdig. Sie spekulieren heute gegen Griechenland, morgen gegen Spanien, jetzt gegen Italien.”

    Fakt ist: Rating-Agenturen geben nur Bewertungen über die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen ab. Sie spekulieren nicht mit Staatspapieren. Das können nur die Anleger – und von denen machen es weniger als allgemein vermutet.

    Kommentar AM: Hier ist Gabriel bewusst missverstanden worden. Ihm kam es ja nicht auf die Behauptung an, dass die Rating-Agenturen spekulieren, sondern darauf, dass auf der Basis ihrer Ratings Spekulationen angeheizt werden. Der letzte Satz der SPON-Bewertung soll eine Beruhigungspille sein. Übrigens ohne Beleg. Dass Spekulation stattfindet, ist ja wohl nicht zu bezweifeln. Und dass es offensichtlich genügend so genannte „Anleger“ gibt – einen Begriff den man in Gänsefüßchen setzen sollte, was Spiegel online selbstverständlich nicht tut -, um die Zinsbelastung kleinerer Länder hoch zu treiben, dadurch dass gegen ihre Staatspapiere spekuliert wird. Fazit: Eine rund um oberflächliche und den Rating-Agenturen zugetane Anmerkung von Spiegel online. Zum Problem der Rating-Agenturen siehe auch den Beitrag von Werner Rügemer.
    Jürgen Trittin: “Wenn Weidmann gemeinsame Euro-Anleihen als zu teuer ablehnt, liegt er völlig falsch. Die höheren Zinsen für Euro-Bonds muss man mit den Kosten für die Rettungsschirme gegenrechnen. Dann sieht jeder, dass Euro-Bonds günstiger sind.”

    Fakt ist: Ob gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten für Deutschland wirklich günstiger sind, ist offen. Bislang haben die Rettungsschirme die Bundesregierung kein Geld gekostet. Dass das nicht so bleiben wird, ist absehbar. Die Höhe der Kosten aber lässt sich derzeit nur schätzen – genauso wie der mögliche Zinssatz von Euro-Bonds.

    Kommentar AM: Das fundamentale Anliegen – die Ausschaltung der Spekulation bei der öffentlichen Finanzierung in einem gemeinsamen Währungsraum – wird ausgeklammert. Es ist nämlich überhaupt nicht einzusehen, dass auf Dauer hoch spekulative „Märkte“ über die Kosten der Finanzierung öffentlicher Ausgaben entscheiden. Dabei ist es wegen des Interessenzusammenhangs ziemlich egal, ob die 15 %, 12 % oder 10 % Zinsen von den griechischen Steuerzahlern oder von den Deutschen gezahlt werden. Wir kommen als deutsche Steuerzahler dann glimpflich davon, wenn wir den Griechen die Chance geben, die Rückzahlung ihrer Schulden zu erarbeiten. Das wird immer schwieriger, wenn die Zinslast immer höher wird. Insofern sind wir aus diesen realen Gründen auch interessiert an einer möglichst preiswerten Finanzierung der öffentlichen Ausgaben und der dafür zur Zeit aufgenommenen Gelder, auch in Griechenland. Mit Euro-Bonds wird es billiger als bisher. Und mit direkter Finanzierung der öffentlichen Ausgaben durch die Europäische Zentralbank sowieso. Siehe dazu den Beitrag von Jens Berger.
    Sahra Wagenknecht: “Diese Staatsschulden entstehen ja nicht dadurch, dass die Ausgaben so hoch sind.”

    Fakt ist: Eine Regierung, die mehr ausgibt als sie einnimmt, muss Schulden machen. Die Lücke kann sie durch höhere Steuern schließen. Wenn das Haushaltsdefizit allerdings zu groß ist, wird kaum eine Regierung um Kürzungen bei den Ausgaben umherkommen.

    Kommentar AM: Hier gibt Spiegel online das übliche Promi-Halbwissen wieder. Ausgabenkürzungen führen zur Reduzierung von Haushaltsdefiziten, das ist der gängige Kinderglaube. Diese halbwissenden Promis in Politik, Medien und Wissenschaft haben aber noch nicht einmal begriffen, dass für einen Staat nicht unbedingt gilt, was für das einzelne Wirtschaftssubjekt gilt. Die Sparabsicht reicht nicht zum Sparerfolg. Das konnten wir bei uns sehen, das konnten wir in den Neunzigern in den USA sehen, das können wir jetzt in Griechenland sehen. Wenn die Konjunktur kaputt gespart wird, dann wird trotz ehrenwertem Sparwillen am Ende weniger gespart als wenn die Konjunktur und damit Steuereinnahmen befördert worden wären.
    Bei uns ist übrigens durch die Regierungen Kohl und Schröder und ihre ständigen Steuersenkungen zu Gunsten der Wirtschaft und der Bessergestellten bewiesen worden, dass Staatsschulden vor allem auch durch Steuersenkungen entstehen. Nicht allein, aber auch damit. Der beste Beleg für die Richtigkeit der Aussage von Sahra Wagenknecht sind die unendlichen Milliarden für den Bankenrettungsschirm. Diese Milliarden, die die Verschuldung des Staates bei uns unglaublich angeheizt hat, sind ja keine normalen Staatsausgaben.
    Andrea Nahles: “Wir sollten überlegen, ob man Vorkehrungen schafft, die es erlauben, Länder, die sich unter einem Rettungsschirm befinden, vorübergehend aus dem Bewertungssystem der Agenturen zu nehmen.”

    Fakt ist: Europäische Politiker werden den US-Rating-Agenturen kaum verbieten können, sich Urteile über Länder zu bilden. Sie könnten höchstens beschließen, die Ratings bei ihren Entscheidungen zu ignorieren. Doch das könnte die Verunsicherung der Anleger eher vergrößeren als verringern.

    Kommentar AM: Bei Spiegel online wieder die übliche Fixierung auf die Märkte und die Anleger, im übrigen teilweise ja auch bei Andrea Nahles. Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates, hat die sachlich richtige Position in der Süddeutschen Zeitung vom vergangenen Wochenende klar formuliert: „In der Hand von neurotischen Investoren.“ Deshalb müsse sich die Politik „dringend aus der Abhängigkeit von den Finanzmärkten lösen.“

    Wörtlich zum Thema Griechenland und Italien:

    „Wenn die Mitgliedsländer des Euroraums weiterhin auf sich allein gestellt ihre Finanzierung über die Finanzmärkte sichern müssen, liegt die Zukunft der Währungsunion und damit zugleich die der europäischen Integration in den Händen kurzsichtiger, hoch neurotischer Investoren. Setzt sich der Teufelskreis im Falle Italiens fort, wäre das Schicksal des Euro besiegelt. Die Abhängigkeit von Märkten und Ratingagenturen ist die entscheidende Erklärung dafür, dass es der Politik so schwer fällt, eine vernünftige Lösung für Griechenland zu finden.“

    Und weiter:

    „Ähnlich wie bei der Finanzkrise im Herbst 2008 ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, bei dem die Politik die Initiative des Handelns gegenüber den Finanzmärkten zurückgewinnen muss. Das ist nur zu erreichen, wenn man die Mitgliedsländer aus der unberechenbareren Abhängigkeit von privaten Investoren und Ratingagenturen befreit.“

    Die Erkenntnisse der „halbwissenden“ Spiegel online-Redaktion sind meilenweit von den Erkenntnissen Bofingers entfernt. Man merkt in jeder Zeile, dass Spiegel und Spiegel online eng mit der Finanzwirtschaft zusammenhängen und deren besonders lukrative Geschäftsfelder – Spekulation und Investmentbanking – hochhalten.
    Frank Schäffler, langjähriger Berater des Finanzdienstleisters MLP (1997-2010) und FDP-Finanzpolitiker, zur Frage, worin eine Altersvorsorge in Zeiten der Euro-Krise bestehen könnte.: “Gold, Grundbesitz und in der Freundschaft zu einem Landwirt.”

    Fakt ist: Europa leidet unter einer Schuldenkrise – so wie die USA und Japan auch. Dass einer der größten Wirtschaftsräume der Welt komplett zusammenbricht, bis auf Gold und Immobilien alle Vermögen ihren Wert verlieren und es in Zukunft weder Brot und Butter noch Eier zu kaufen gibt, ist allerdings extrem unwahrscheinlich.

    Kommentar AM: Die Einlassung des FDP-Finanzpolitiker ist eine Zumutung. Aber die Anmerkung von Spiegel online ist dies nicht minder. Das von Spiegel online hier wie auch sonst und von vielen anderen gebrauchte Wort „Schuldenkrise“ ist der Prototyp von Halbwissen. Wir haben eine Krise, die durch folgendes gekennzeichnet ist: konjunkturelle Schwäche und Arbeitslosigkeit in vielen Volkswirtschaften, völliges Versagen der Makroökonomie, Auseinanderentwickeln der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Staaten in der Eurozone, bedingt durch divergierende Entwicklung der Lohnstückkosten, Deregulierung und Ausdehnung der Kapitalmärkte mit neuen Finanzprodukten und unfassbarer Spekulation, Orientierung der unternehmerischen Politik am Shareholder Value, Rettung der Spekulanten durch die Politik, dadurch und durch das Versagen der makroökonomischen Politik weiter bedingte Verschuldung der Staaten, etc. – Die Staatsverschuldung war jedenfalls nicht der Anfang. Schon deshalb macht es keinen Sinn, von „Schuldenkrise“ zu sprechen.
    Hermes Hodolides, griechischer Wirt aus der “Lindenstraße”, über die Geldflüsse in seiner Heimat: “Das Geld, was wir jetzt kassieren, das geht nicht an griechische Taschen, das geht gleich an die Zinsen, bei uns bleibt nichts haften.”

    Fakt ist: Mit den Krediten der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds werden nicht nur die Zinsen Griechenlands bezahlt. Auch staatliche Leistungen werden damit finanziert.

    Kommentar AM: Nun gut, wenn es so ist. Aber Halbwissen kann man dem Wirt aus der Lindenstraße deshalb nicht vorwerfen. Das ist kleinlich und lächerlich.
    Alexis Passadakis, Attac-Aktivist und Politikwissenschaftler, über die Zukunft der Geldpolitik:
    “Verschuldete Staaten sollten ihre Gelder in Zukunft ohne Umwege über die Banken direkt von der EZB bekommen. Dann werden die Rating-Agenturen außen vor gelassen.”

    Fakt ist: Banken sind im Wirtschaftssystem dazu da, Risiken zu bewerten und unter Umständen auch einzugehen. Würde die Europäische Zentralbank den Staaten direkt Geld leihen, würde sie alle Risiken alleine schultern. Zudem beruft sich die EZB bislang selbst auf Ratings.

    Kommentar AM: Es ist schleierhaft, wie man angesichts eines Bankenrettungsschirmes allein in Deutschland von rund 480 Milliarden € und angesichts der Tatsache, dass alleine an die Münchner HRE mindestens schon 80 Milliarden geflossen sind und der Staat die Commerzbank mit 18,2 Milliarden und die Industrie Kreditbank mit ungefähr 10 Milliarden retten musste, niederschreiben kann, Banken seien im Wirtschaftssystem dazu da, Risiken zu bewerten und auch einzugehen. Im übrigen hat die Öffentlichkeit zur Rettung der Banken schon mehr geschultert, als sie zur Absicherung der Europäischen Zentralbank je schultern müsste. Der letzte Satz – zudem beruft sich die EZB bislang selbst auf Ratings – zeigt die Dümmlichkeit der Analyse von Spiegel online.

    Wahrscheinlich hat Spiegel online den Auftrag für diese Dokumentation von einer PR Agentur bekommen, die im Auftrag der Ratingagenturen und Investmentbanken arbeitet.
    —————————–
    Übernahme mit freundlicher Zustimmung der Nachdenkseiten

  77. Thorsten Koppusch sagt:

    “Dauerhaft als Solitär ein wagenburgähnliches Dasein zu fristen, dürfte dem Land nicht gegeben sein.”, vermutet Heinz W. Konrad bezüglich der Schweizer Perspektiven in Blättchen-Nummer 13, die ich jetzt erst habe lesen können. Das deckt sich mit dem Resümee, das der renommierte Schweizer Ökonom Walter Wittmann gerade erst in seinem neuesten Buch über die “Unabhägige der Schweiz?” zieht.
    Zwölf Hauptprobleme listet er dort auf, z.B. die Landesverteidigung («die Schweiz hat keine mehr»), die Grossbanken («UBS und CS sind ein Klumpenrisiko») und das Gesundheitswesen («ein Fass ohne Boden»). Und auch der im Blättchen-Text skizzierte Alleingang der Schweiz in Europa gehört zu Wittmanns negativer Bestandsaufnahme («ein Holzweg»). Pointiert faßt der Fribourger Emerit zusammen: «Solange die Schweiz exakt auf das stolz ist, was sie eigentlich ändern müsste, kann es nur wie bisher weitergehen.»
    Freundliche Grüße,
    Thorsten Koppusch

  78. Herbert Wilkow sagt:

    Lieber Detlef Kannapin,

    ich mag Ihre Miszellen, vor allem, weil sie zum eigenen Weiterdenken anregen. Sofern ich in den von Ihnen aufgegriffenen Themen selbst einigermaßen zuhause bin, liegen meine eigenen Überlegungen den Ihren meist auch sympathisch nahe.

    In Ihrer ersten Miszelle verstehe ich aber partout nicht, was Sie mit dem “plötzliche(n) Einfall des Proletarischen” meinen, der “dem dann unvorbereiteten Kleingeistertum das Licht ausbläst.”

    Was, bitte, ist dieses wundersam begabte “Proletarische”?

    Wüden Sie es jemandem bitte knapp erläutern, der seit langem keinen Anlass mehr sieht, “das Proletarische” als eine politisch ernsthaft gestaltende Kraft zu betrachten?

    Mit ungeachtet dieses Zweifels sehr freundlichen Grüssen samt Vorfreude auch auf weitere Miszellen,
    Herbert Wilkow

    • Detlef Kannapin sagt:

      Lieber Herbert Wilkow,
      ich möchte mich zunächst dafür entschuldigen, dass ich sehr verspätet bin, zumal Sie ja nun bereits zum zweiten Mal so freundlich auf meine Beiträge reagiert haben. Vielen Dank dafür. Zu Ihrer Frage. Es gibt mehrere Möglichkeiten der Beantwortung:
      1. Die Verwirklichung der historischen Mission der Arbeiterklasse steht unmittelbar bevor.
      2. Die Verwirklichung der historischen Mission der Arbeiterklasse ist in Zukunft zu erwarten.
      3. Das Proletariat rebelliert regressiv, das heißt reaktionär.
      4. Die Kraft des Proletariats ist stärker als der Kleingeist des Bürgertums, unabhängig von einer politischen Gestaltungsfähigkeit.
      Das alles war nicht gemeint. Allerdings sollte man sich davor hüten, dem Proletariat weltweit seinen Klassencharakter abzusprechen. Worauf Sie aber zu Recht hinweisen, ist die praktische Tatsache, dass das Proletariat keine politisch ernsthaft gestaltende Kraft darstellt. Von sich aus kann es das auch gar nicht sein, ökonomisch nicht, da es integriertes Anhängsel des Kapitals ist, politisch nicht, da nicht nach Feierabend oder nach den Ämterschikanen die Revolution durchgeführt werden kann, und auch alltagskulturell nicht, da der Alltag darüber hinaus noch genug zu erledigende Aufgaben bereithält.
      Gemeint war dies: Es gibt bei den sog. einfachen Leuten einen gesunden Instinkt, der Schaumschlägerei und gesellschaftliche Ignoranz von substantiellen Veränderungsüberlegungen sehr wohl unterscheiden kann, wenn man sich Zeit für die Leute nimmt. Ich habe das bei Wahlkämpfen in Berlin-Wedding und am Kottbusser Tor selbst erlebt. Unbestreitbar ist mich für mich indes, dass eine fortschrittliche menschliche Gesellschaft nur über die produktive Verwendung der Staatsapparate und auf keinen Fall gegen sie zu erreichen ist. Wenn Sie in der 10. Miszelle den zweiten Punkt betrachten, dann war der Staatssozialismus, bei allen Defiziten, in der gesellschaftlichen Organisation schon einmal weiter. Dem Proletarischen ist am meisten gedient, wenn es als Klasse aufhört zu existieren.
      Unstrittig ist für mich auch, dass die Zeit des Kapitalismus vorbei ist. Man sollte schon jetzt überlegen, wie die Infrastruktur und Gebäude zu Wohle aller neu genutzt werden können und sich Schritt für Schritt eine neue Lebensweise einführen lässt.
      Alsdann und bis bald, Ihr Detlef Kannapin

  79. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea X

    1. Bürgerdämmerung
    Der Essayist, Filmkritiker und Politiktheoretiker Georg Seeßlen unterhält einen blog mit dem ästhetischen Titel „Das Schönste an Deutschland ist die Autobahn“. Seit dem 4. Februar 2011 findet sich darauf eine Ideenskizze für ein Projekt zur theoretischen Begründung des zivilen Ungehorsams. In dem Text erläutert Seeßlen, warum jegliche Hoffnung auf eine Wiederbelebung des „guten“ Bürgertums, das die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hochzuhalten geneigt wäre, leidlich begraben ist. Er schreibt, durchaus mit den unausgesprochenen Marx und Lenin im Hintergrund: „Es wird eine dringende Aufgabe sein zu zeigen, dass das Weltbild des neuen Bourgeois in Europa im allgemeinen und in Deutschland im besonderen ganz einfach unmenschlich ist, dass seine Herrschaftsmittel sich bereits vom Postdemokratischen zum Antidemokratischen entwickeln, dass die ‚Kultur‘, die Aspekte des Bourgeois und des Citoyen zu moderieren, weitgehend vernichtet wurde, dass die ‚politische Klasse‘ auch dort einen Klassenkampf von oben führt, wo sie nicht im Berlusconi-Stil den Staat als Medium der eigenen Interessen benutzt (und dies als Pseudo-Ideologie der negativen Freiheit in der Gesellschaft versenkt), dass ‚Fortschritt‘ bereits ein Aneignungsinstrument einiger weniger der Besitzenden und nicht allzu viel mehr ihrer Parasiten geworden ist, und es wird zu zeigen sein, dass Citoyen und Citoyenne zu Kritik und Widerstand das Recht und die Pflicht haben (oder, wie man so sagt: für immer schweigen sollen).“
    Das hat nahezu Hegel-Format. Es gibt noch ausführliche Sätze, deren Länge dem Inhalt und der Substanz adäquat ist. Was ohne zu Zögern durchscheint, ist die Modifikation des alten Eisler-Wortes, wonach zwar der Untergang des Bürgertums gewiss sei, aber mit welcher Abendröte. Aus dieser – der Röte – ist irgendwie ein zynischer schwarzer Block geworden, der auf dem echten Fortschritt lastet wie der Alp. Das Bürgertum bemüht in seinem Niedergang ja noch nicht einmal mehr Ausreden. Es lässt die Dinge laufen. Groß wird das Geschrei sein, wenn der plötzliche Einfall des Proletarischen dem dann unvorbereiteten Kleingeistertum das Licht ausbläst.
    (Im Zitat wurden von mir stillschweigend zwei grammatikalische Patzer korrigiert: Der anfängliche einfache Infinitiv mit zu wird nicht durch ein Komma getrennt, auch wenn die Neo-Lexika, die irgendwann wieder aus den Bibliotheken verschwinden, dies hartnäckig behaupten. Das letzte Verb in der eingeklammerten Einfügung im Schlusssatz muss die Mehrzahl abbilden, da Citoyen und Citoyenne durch ein gängiges Bindewort größer als eins sind.)

    2. Hacks und die Klassen
    Es liegt in der Natur der Sache, dass nach der Revolution sich nicht nur die Dinge ändern, sondern auch die Begriffe. Die Klassen im Staatssozialismus waren zum Beispiel andere als im Kapitalismus. Aus Bourgeois und Proletariern wurden Arbeiter und Bauern, und als auch dieser antagonistische Widerspruch beseitigt war, kamen Wissenschaftler und Parteibürokraten als soziale Triebkräfte zur Geltung. Diese lieferten sich einen Kampf um das richtige Maß zwischen Effizienz und gesellschaftlicher Organisation. Peter Hacks nannte das anhand seines Dramenwerkes eine postrevolutionäre Situation, die dem staatlich sanktionierten Gesellschaftswerk ein ruhiges Fahrwasser schenken sollte.
    An einer weltgeschichtlichen Stelle, vielleicht 1971, änderte sich auch diese Konstellation wieder. Im Zusammenspiel derjenigen, denen das Fahrwasser zu ruhig, der Imperialismus zu friedlich, das Leben mit sozialer Absicherung zu langweilig war, und denjenigen, die darauf pochten, aufzupassen, was sonst noch passierte, entwickelte sich eine Schieflage, die kein aufgeklärter Vernunftstaatslenker (einfach, weil keiner mehr da war) ausgleichen konnte. Wir lassen hier beiseite, ob der Kulturstandard im Staatssozialismus schon so weit gediehen war, dass das Projekt des Vernunftstaates um seiner selbst Willen überhaupt hätte wirksam verteidigt werden können, jedoch immerhin. Es war ansatzweise in der Welt, und genau das ist das Unverzeihliche am Staatssozialismus, dass seine Existenz unverrückbare Tatsachen geschaffen hatte, wie verschüttet sie heute und sonst auch immer sein mögen.
    Interessanterweise hätte die Historisierung der marxistischen Klassenbegriffe hier hilfreicher sein können als das dogmatische Festhalten an ihnen. Wenn die historische Mission der Arbeiterklasse sich durch den Dreiklang des ethischen Wissenschaftlers, des verantwortungsvollen Funktionärs und des vernünftigen Staatsmannes umsetzen lässt, dann kann es doch der Arbeiterklasse egal sein, welche Interessen durch andere für sie besser verfochten werden als durch sie selbst. Hauptsache, das Kapital ist aus dem Rennen.

    3. Wir aber denken anders
    Das formulierte eine deutschsprachige sozialdemokratische Zeitung Ende 1932 und meinte damit, dass die Sozialdemokratie keineswegs vor dem Kollaps stünde. Ein paar Monate später dachte sie wahrscheinlich immer noch anders, musste aber schließlich doch einsehen, dass stärkere Kräfte auch wieder anders sind.
    Im deutschen politischen Feuilleton wird natürlich immer noch anders gedacht, großflächig. Einer von denjenigen, die keinen Gedanken haben und ihn dennoch aussprechen, meint zum Beispiel folgendes: „Längst hatte die Linke für das Judentum nämlich das Schicksal vorgesehen, sich am sozialistischen Sanktnimmerleinstag dankbar in der erlösten einen Menschheit aufzulösen. Oder, wie Karl Marx in seiner Abhandlung ‚Zur Judenfrage‘ 1843 schrieb: ‚Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum.‘“ Was sollte an der Aussage von Marx falsch sein? Übersetzt in die Jetztzeit heißt das doch nur: Alle Identitätspolitik muss in Gesellschaftspolitik überführt werden, nur der Mensch kann das Ziel einer menschlichen Gesellschaft sein. 1843 bezog sich das auf die Differenzierungen im Emanzipationsdiskurs der Weltreligionen, denen Marx und Engels keine neue Religionskritik, sondern eine materialistische Gesellschaftskritik entgegenstellten. Die Knechtschaft von Identität und Tradition verhindert das tätige Erfassen der Gattung Mensch in allen seinen Ausprägungen und Fähigkeiten. Gerade vom Sanktnimmerleinstag war eben die Rede nicht. Wir aber, die Feuilletonisten und Kopfsalatexistenzen des glorreichen Zeitalters, denken anders. Karl Kraus hat darauf geantwortet: „Nicht sehr tief, aber anders.“ Herrje, es ist doch immer das Gleiche.

    4. Der Kinnhaken
    Am 13. August 2011 wird sich zum 50. Mal ein Tag jähren, der hierzulande als Tag des Baus der Berliner Mauer in das Gedächtnis eingegangen ist. Als hätte man es an einem einzigen Tag vermocht, mehr als 150 km Grenze handwerklich halbwegs korrekt zu befestigen. Richtig ist allerdings, dass an diesem Tag eine äußere Angelegenheit der DDR in Berlin zu einer inneren wurde. Dadurch, dass der von vielen erwartete Übergangscharakter der Grenzmaßnahmen nicht eintrat und es die eigentlich nicht intendierte Dauerlösung werden sollte, wurde das Grenzregime zu einem Ärgernis und wunden Punkt der Legitimation in der DDR. Es war abzusehen, früher oder später würde sie weg sein. Westonkel Heinz ruft in dem Film „Sonnenallee“ von 1999 auch emphatisch seiner Ostschwester zu: „Doris! Die Mauer muss fallen!“
    Wer den 13. August 1961 nicht nur mit Stacheldraht, Mauertoten und ideologisch befeuchteten Augen assoziieren will, ist mittlerweile geradezu ausschließlich auf zeitgenössische Dokumente angewiesen, was im Übrigen ein höchst prekäres Urteil über den Zustand der heutigen Historiographie darstellt. So wäre sicher von Interesse, warum die halboffiziellen Flüchtlingserfassungsstudien des Westberliner Senats der Jahre 1959 bis 1961 davon ausgingen, dass mindestens 90% der dort eingetroffenen DDR-Flüchtlinge für ihr Fluchtmotiv wirtschaftliche Gründe angaben. Als Berlin dann dicht war und zunächst Ruhe einkehrte, bemühte sich die DDR, für Ignoranten lächerlich genug, um Diskussionen. Zum Beispiel hatte im November 1962 ein DEFA-Spielfilm Premiere, der sich mit einigen Komplikationen des Hüben und Drüben in Berlin beschäftigte – „Der Kinnhaken“. Gedreht nach einem Drehbuch von Horst Bastian und Manfred Krug, mit Krug selbst in der männlichen Titelrolle, Dietlinde Greiff in der weiblichen, in der Regie von Heinz Thiel, versucht sich der Film an einer mentalitätsgeschichtlichen Einordnung des Mauerbaus aus östlicher Sicht. Die dichte Atmosphäre, ein Abwägen des Dafür und Dagegen, politische und menschliche Haltungen – alles in einem Film, der zu seiner Aufführungszeit auf wenig Gegenliebe beim Publikum stieß. Wahrscheinlich aber nicht nur wegen der Annahme, hier werde ein politisch heikles Thema erneut nur plakativ verarbeitet, sondern auch wegen des schlechten Leumunds, den DEFA-Filme generell in diesen Jahren hatten. Von heute aus betrachtet ist „Der Kinnhaken“ ein erstaunlich sachlicher Film, der neben den Vorzügen eines geregelten Lebens im Sozialismus (Arbeit, Teilhabe, Sinn) eben auch dessen Schwächen (Versorgungsengpässe, technologischen Rückstand) thematisiert und die spürbare Ambivalenz der Grenze (Flucht ist illegal, man kann erschossen werden. Arbeiten im Westen und Wohnen im Osten war vor der Mauer subjektiv sehr lukrativ und objektiv die soziale Störung, die von den Medien der DDR dauernd als solche so bezeichnet wurde.). Selten sah man einen vorsichtigeren Manfred Krug, der mit Liebe, Geduld, Sensibilität und Anstand die Hauptheldin davon überzeugt, in der DDR zu bleiben. Ihr zwielichtiger Westverführer, der natürlich klischeehaft nicht fehlen durfte, aber weder für die Ursachenforschung noch für das durch den Film illustrierte Zeitgefühl maßgeblich ist, bekommt am Ende dann doch mehrerlei aufs Maul. Der Kinnhaken gilt ihm und dem Westen. Es entbehrt nicht der Komik, dass ausgerechnet die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen den Film in ihre Reihe „‚Grenzverletzer haben keine Chance.‘ – Aus Ost und West: Bewegte Bilder zum Mauerbau“ aufgenommen hat.

    5. Philosophisch gesehen (Thesen zum Tage angesichts eines Zitats)
    Das Zitat lautet: „Auch wenn sich aus dem Spiel der politischen Differenz keine positiven Schlussfolgerungen mit eindeutiger Sicherheit ableiten lassen (ansonsten verblieben wir ja nach wie vor im Fundamentalismus), so eröffnet sich doch ein argumentatives Feld, auf dem manche plausibler gemacht werden können als andere.“ Manche? Ich nehme an Schlussfolgerungen. Plausibler als andere? Denken auch wir anders? Beredter kann Nullität kaum ausgedrückt werden. Es handelt sich um schlichtes idealistisches Grauen vor der Eindeutigkeit.
    Philosophisch gesehen befinden wir uns etwa um 1800, kurz nach Kant mit ein wenig Restaufklärung und viel Theologie. Hegels „Glauben und Wissen“ von 1802 ist jedenfalls noch nicht geschrieben.
    Ökonomisch gesehen befinden wir uns in der Agonie des Marktes.
    Politisch gesehen befinden wir uns etwa im Jahre 1840, kurz vor der Entdeckung des Kommunismus.
    Ideologisch gesehen befinden wir uns in der Episode der Inquisition der Freiheit.
    Kulturell gesehen befinden wir uns im Rotlicht der spätrömischen Dekadenz.
    Sprachlich gesehen befinden wir uns in der Kreisbewegung regelloser Zernichtung.
    Sozial gesehen, siehe oben Punkt 1.
    Eine schöne Woche weiterhin.

  80. Kay Bliewand sagt:

    Erbauliche Morgenlektüre, Ihr “Doppeltusch”, lieber Reinhard Wengierek. Tusch also auch für Sie,
    Ihr Kay Bliewand (Mann- und Sander-Fan)

  81. HWK sagt:

    Es gibt Erkenntnisprozesse und daraus folgende Handlungen, die sich in einem solch atemberaubenden Tempo vollziehen, daß es unsereins als Normalverbraucher schwer hat, diesen zu folgen. Soeben, ist zu lesen, hat Braunau am Inn Adolf Hitler den Status als Ehrenbürger offiziell aberkannt. Einstimmig, wie Ortsschulze Waidbacher „glücklich“ verlautbarte; offenbar war er sich dieses Ergebnisses zuvor nicht so sicher. Mit panischen Reaktionen wie der Ablehnung des Aberkennungsantrages hätte man ja durchaus auch rechnen können, wenn man die Überstürztheit dieses Verfahrens in Rechnung stellt.
    HWK

  82. Die Redaktion sagt:

    Hans-Werner Sinns unverantwortliche Panikmache
    von Jens Berger

    Für die BILD ist Hans-Werner Sinn „Deutschland klügster Wirtschafts-Professor“. Kritischere Beobachter, wie FTD-Kolumnist Thomas Fricke halten Sinn indes eher für einen „Rumpelökonomen“. Hans-Werner Sinn hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er Griechenland lieber heute als morgen in den Staatsbankrott schicken und die Hellenen am liebsten aus der Eurozone werfen würde. Doch die Sinn´sche Radikallösung fand überraschenderweise abseits von BILD & Co keinen großen Anklang. Für Sinn scheint dies Grund genug zu sein, abermals nachzulegen und via BILD ein Schreckensszenario aufzubauen, das seinen Forderungen Nachdruck verleiht. Bei näherer Betrachtung erscheint Sinns Warnung vor einer „Gefährdung der deutschen Renten“ im Falle einer Fortführung der Rettungsprogramme jedoch reichlich abstrus. Von Jens Berger

    „TOP-ÖKONOM SINN WARNT – Griechen-Rettung gefährdet Renten!“, so titelte in dieser Woche die BILD-Zeitung. Unter der reißerischen Überschrift bleibt der eigentliche Artikel jedoch inhaltlich mau. Sinn lässt sich in BILD lediglich mit dem Satz „Was nach Griechenland und Portugal fließt, um dort den Lebensstandard aufrechtzuerhalten, geht zulasten des Lebensstandards der Deutschen“ zitieren, um dann schließlich ohne Überleitung zur steilen These zu kommen, „[dass] die deutschen Rentner zu den ersten Opfern der Rettungspakete gehören [werden]“. Leider erklären jedoch weder Hans-Werner Sinn noch die BILD oder der verlagsinterne Zweitverwerter WELT den Lesern, wie man denn zu einem solchen Schluss kommen kann. Das ist freilich verständlich, da ein solcher Schluss wahrlich in die Kategorie „Rumpelökonomie“ gehört.

    Die Rente ist sicher

    Die gesetzliche Rentenversicherung ist weder kapitalgedeckt noch steuerfinanziert, sondern ein sogenanntes Umlageverfahren. Die ausgezahlten Renten stammen nahezu komplett aus den von Arbeitnehmern und Arbeitgebern im gleichen Zeitraum eingezahlten Versicherungsbeiträgen. Der Staat zahlt lediglich einen – zu geringen – Bundeszuschuss, der die versicherungsfremden Leistungen der Rentenversicherung ausgleichen soll. Wenn Sinn also davor warnt, dass die Griechenland-Rettung, die bei näherer Betrachtung ohnehin eher eine Rettung der Gläubigerbanken ist, die „Renten gefährdet“, so kann dies ja nur heißen, dass die Beitragszahlungen in die Rentenversicherung durch die Garantien der Bundesregierung gefährdet werden. Da stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, wie sich Hans-Werner Sinn ein solches Szenario konkret vorstellt, schließlich prognostiziert er selbst doch einen phantastischen Aufschwung.

    Es macht wohl wenig Sinn, sich ernsthaft darüber Gedanken zu machen, wie Hans-Werner Sinn eine Gefährdung der Renten begründet – alle möglichen Ansätze sind absurd und selbst wenn Sinn ein „Rumpelökonom“ sein mag, so ist er dennoch nicht dumm. Sinns BILD-Zitat ist wohl vielmehr vor dem Hintergrund zu sehen, dass er dem uninformierten Leser den – falschen – Eindruck vermitteln will, dass die Rente direkt vom Staat ausgezahlt wird. Diese gezielt gestreute Desinformation dient in diesem Falle der Stimmungsmache für weitere neoliberale Sparprogramme zu Lasten der ärmsten der Armen . Wer nämlich tatsächlich glaubt, dass eine äußerst moderat steigende Staatsverschuldung womöglich die Auszahlung der eigenen Rente gefährden könnte, der glaubt vielleicht auch der alltäglichen Meinungsmache aus dem Sinn-Lager.

    Wem gehören die Schrottpapiere?

    Dabei ist die grundsätzliche Frage, wer im Falle einer Umschuldung eigentlich die Zeche zahlen muss, durchaus begründet. Nachdem die Politik alles in ihrer Macht stehende getan hat, um privaten Gläubigern deren „Schrottpapiere“ abzukaufen, hat mittlerweile in der Tat der öffentliche Sektor die Rolle als größter Gläubiger Griechenlands eingenommen. Selbst im Falle einer Umschuldung ist jedoch die Gleichung, nach der die Staathaushalte der Eurozone direkt in Haftung genommen werden können, zu kurz gedacht. Hauptgläubiger Griechenlands sind der IWF und die EZB. Letztere hält zusammen mit den europäischen Notenbanken nach Angaben der Financial Times fast die Hälfte aller auf dem Markt befindlichen Griechenland-Anleihen. Da die Notenbanken der Eurozone diese Papiere größtenteils zu niedrigen Marktpreisen erworben haben, würde eine moderate Umschuldung womöglich sogar von den Zentralbanken durch deren Reserven abzufedern sein.

    Selbst wenn die EZB oder die Bundesbank durch die Rettungspakete langfristig Verluste ausweisen sollten, so müsste dafür nicht zwingend der Steuerzahler haften. Es gibt zwischen der EZB, der Bundesbank und der Bundesrepublik weder eine Anstaltslast noch eine Gewährträgerhaftung, die festlegen würde, dass der Steuerzahler für Verluste der Zentralbank in Rechenschaft zu ziehen ist. Das Finanzministerium müsste sich jedoch darauf einstellen, dass es für einige Jahre auf die Gewinne der Bundesbank, die stets in den aktuellen Haushalt einfließen, verzichten müsste.

    Nicht gestellte Fragen

    Ein reales Ausfallrisiko für den Staat besteht jedoch bei den Garantien für die bilateralen Kredite, die im ersten „Rettungspaket“ über die KfW vergeben wurden. Hierbei geht es immerhin um 22,4 Milliarden Euro, für die Deutschland bürgt. Bei einem Haircut von 40% müsste der Bund somit Ausfälle in Höhe von fast neun Milliarden Euro ausgleichen. Es ist absolut notwendig, die Bundesregierung dafür zu kritisieren, dass sie diese Kosten dem Steuerzahler ohne eine erkennbare Notlage aufbürdet. Es ist auch notwendig, dass wir uns Gedanken darüber machen, ob wir weiterhin mit der Staatsfinanzierung den Finanzsektor subventionieren. All diese Punkte kritisiert Hans-Werner Sinn jedoch wohlweislich nicht. Stattdessen betreibt er unverantwortliche Panikmache, wenn er suggeriert, dass die „Rettungsprogramme“ die Rente gefährden könnten. Verängstigte und verunsicherte Leser der BILD sind dabei für „Deutschlands klügsten Wirtschafts-Professor“ offenbar nicht mehr als die Kollateralschäden seiner
    Meinungsmache.
    (mit freundlicher Genehmigung der Nachdenkseiten: http://www.nachdenkseiten.de)

  83. HWK sagt:

    Jakob Augstein in seinem heutigen Beitrag für spiegel-online:
    “Wenn es Deutschland so gut geht, wird es wohl auch den Deutschen gut gehen. Was für einen Sinn würde diese Aussage sonst machen? Die Wahrheit ist: Der Wirtschaft geht es gut, vielen Menschen nicht. Es ist lange her, dass sich am Stand der Wirtschaft ablesen ließ, wie es den Menschen geht. Heute hat das eine mit dem anderen wenig zu tun. Und wer sagt, dass es Deutschland gut geht, betreibt damit bereits Politik. Denn er verschleiert das größte Problem des Landes: die soziale Ungleichheit.”
    Wo er recht hat, hat er recht.
    HWK

  84. Thorsten Koppusch sagt:

    Geht es um Menschenrechte im (kommunistischen?) China, geben sich unsere politischen Großkopferten gnadenlos. Würde China 200 neue Leopard-Panzer bei uns bestellen, hätte es wohl keine Chance, bevor nicht alle politischen Gefangenen freigelassen würden, die Todesstrafe abgeschafft und Parteienpluralität zugelassen wäre – am besten gleich die KP-Chinas aufzulösen sei.
    Anders in Saudi Arabien, dessen “demokatisches” Grundgesetz ausdrücklich Koran und Sunna sind und der im Artikel 26 besagter – vom König Fahd erlassenen (!) – Verfassung Menschenrechte nur in Schutz nimmt, soweit und wie es das islamische Gesetz verlangt.

    Amnesty International listet in Sachen Menschenrechte für Saudi Arabien auf:
    Inhaftierung gewaltloser politischer Oppositioneller
    Anwendung der Prügelstrafe bei Männern (meistens Auspeitschungen)
    Unterdrückung der Meinungs- und Religionsfreiheit
    Haft ohne Anklage und Gerichtsverfahren
    Ausweisung von Ausländern, denen in ihrer Heimat die Todesstrafe droht
    Ausweisung politisch Verfolgter
    Anwendung der Todesstrafe.

    Dorthin also sollen deutsche Panzer gehen; um – siehe Bahrein – gegebenenfalls auch auf demokratiewillige Araber zu feuern.

    Läßt sich Heuchelei noch plakativer präsentieren?

  85. K.H. Mittig sagt:

    Da liest man nun Beiträge wie den von Harald Schumann und fragt sich, warum Hessels Aufruf, sich zu empören, hierzulande in der Allgemeinheit kaum Resonanz erzeugt, jedenfalls keine solche, wie sie den Gegebenheiten längst angemessen wären. Armes Deutschland.
    KH Mittig

    • Wolfgang Brauer sagt:

      In Deutschland wird sich empört, lieber Herr Mittig, aber anders. Für Morgen hat zum Beispiel die Partei “Pro Deutschland” zu einer Wahlkundgebung in einem Berliner Wohnquartier eingeladen, in dem etwa 40% aller Bewohner von Transferausgaben abhängen. Am Rande des Kundgebungsgeländes befindet sich eine Bistro-Restauration namens “Die Sattmacher”. Deren Inhaber, sagt die Gerüchteküche, haben ob des nationalen Events Freibier für alle Teilnehmer zugesagt.
      Für den morgigen Tag sind fast alle Tische dieser Kneipe vorbestellt. Ach so, in deren unmittelbarem Umfeld befindet sich natürlich die für Berlin typische multikulinarische Konkurrenz … In Deutschland wird sich empört. Nach dem gehabten Muster allerdings.

  86. Noli sagt:

    Passend zum Beitrag von Klaus Hart in der aktuellen Ausgabe des Blättchens: Die brasilianische Umweltbehörde Ibama hat am 1. Juni den Bau des umstrittenen Wasserkraftwerks Bel Monte im Bundesstaat Pará genehmigt. Das Projekt sieht drei riesige Staudämme am Rio Xingu, dem größten Nebenfluss des Amazonas, vor. Dafür müssen riesige Waldgebiete gerodet, große Flächen geflutet und die indigenen Bewohner umgesiedelt werden. Einen ausführlichen Bericht über Bel Monte und andere Infrastrukturvorhaben in Brasilien brachte Le Monde diplomatique im März dieses Jahres: Thomas Fatheuer, „Das brasilianische Modell – Entwicklung ist Umverteilung plus Großprojekte“ (http://www.monde-diplomatique.de/pm/.search?ik=1&mode=erw&tid=2011/03/11/a0061&ListView=0&sort=1&tx=fatheuer&qu=MONDE).

  87. edeltraud sagt:

    Danke für den Artikel über den Turnvater. Vieles davon war mir neu. Übrigens haben wir in Neubrandenburg einen Jahnstein zu dem ca 170 Stufen im Brodaer Wald führen. In dem Stein ist, glaube ich die Jahreszahl 1814 vermerkt und : hier bildete er deutsche Jugend (oder so ähnlich). Wir erklimmen ihn immer auf unserer Walking-Tour. Er hält uns fit.

  88. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea IX

    Karl Kraus
    Vor drei Tagen jährte sich zum 75. Mal der Todestag desjenigen Autors, der wie kein zweiter Gesellschafts- mit Sprachkritik verbunden hat: Karl Kraus. Die deutsche Öffentlichkeit nahm von diesem Gedenktag keine Notiz. Sie schließt messerscharf, dass das, was gerade diesem Land not tut, aus eben dem Grund nicht stattzufinden hat: Die Lehre, dass Sprache mehr ist als Ausdruck, nämlich Haltung.
    Peter Hacks hat einmal geschrieben, dass die Zeit einer Gesellschaftsordnung um ist, wenn sich Weltzeitungen nicht mehr bei Druckfehlern schämen. Kraus hätte darauf mit dem Einwand reagiert, dass es sich nicht um Druckfehler, sondern um Denkfehler handelt.
    Ohne mir des Datums bewusst zu sein, las ich gestern in der Spielstätte der Peter-Hacks-Gesellschaft aus den Werken von Karl Kraus. Das Programm hieß: „Mir fällt nichts ein! Eine demokratische Lehrstunde mit Karl Kraus“. Der Ankündigungstext lautete: „Was Wege zum Kommunismus sind, Literatur und Schwangerschaft miteinander zu tun haben und wie die sozialdemokratische Presse am Aufstieg des Faschismus beteiligt war. Der unbestechliche Gesellschaftskritiker und Satiriker (als beides noch beim Wort zu nehmen war) wird mit drei brisanten Texten aus den zwanziger Jahren präsentiert. Wer Kraus ernst nimmt, muss Parallelen ziehen.“
    Brisanz hin oder her, gelesen wurden „Winke für die Schwangerschaft“ (1926), „‚Verbieten‘ und ‚Verbitten‘“ (1927) und „Hüben und drüben“ (1932). Allesamt Beiträge, mit denen in seltener Klarheit der Grundkonflikt der Epoche zwischen Geist und Korruption argumentativ einer Entscheidung anheimfiel.
    Die Lesung wurde von 14 Zuhörern besucht (schließlich war der 14.6.), davon vier meiner Arbeitskollegen, zwei Angehörigen, vier Mitgliedern der Peter-Hacks-Gesellschaft, zwei Unabhängigen und dem technischen Personal. Sie haben alle etwas gelernt. Ich selbstverständlich auch. Immerhin.

  89. Detlef Kannapin sagt:

    Zum Heine-Text in Nummer 12 vom 13. Juni 2011, genauer gesagt zur Vorbemerkung von Wolfgang Brauer:
    1988/89 wurde die Schrift “Ascher gegen Jahn. Ein Freiheitskrieg” von Peter Hacks veröffentlicht. Darin erscheint Friedrich Ludwig Jahn in dem Licht, das er verdient. Dass er bei der Wartburgfeier von 1817 nicht anwesend war, ist genauso relevant wie die Behauptung, nur wer in der NSDAP war, darf Nazi genannt werden. Wehlers Einschätzung hätte es nicht bedurft, das Wort “wahrscheinlich” kann mit Hegelianischer Gewißheit gestrichen werden.

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Doch, lieber Detlef Kannapin, manchmal ist es nicht falsch, auch Wehler und ähnliche Leute zu zitieren. Das spricht nun gar nicht gegen Hacks und seine verdienstvolle Schrift. Gerechterweise muß man aber bitteschön einräumen, dass nicht Hacks der Ruhm des Primates des Anknipsens der Wahrheitslampe über dem wackeren Freiheitsrecken F.L.J. gebührt, das war auch nicht Heine (den ich allerdings nicht zufällig ausgewählt habe), fairerweise muß man dies E.T.A. Hoffmann zubilligen. Jahn “stand Modell” für dessen Klein Zaches. Das damit ausgesprochene, vernichtende Urteil ist wohl ein eindeutiges. Das hinderte den preußischen Juristen Hoffmann allerdings nicht, sich gegen die willkürliche, Recht und Gesetz beugende Behandlung Jahns durch den preußischen Staat auszusprechen.
      Das Vermerken des Umstandes, dass Jahn “nicht oder wahrscheinlich nicht” bei der Bücherverbrennung am Rande des Wartburgfestes anwesend war, dient mitnichten der Reinwaschung. Dies festzustellen schien mir aber nötig, auch die hehrste Gesinnung macht sich angreifbar, wenn sie mit fehlerbehafteten Fakten auch im nebensächlichen Detail operiert.
      Am Anfang einer kritischen (öffentlichen!) neuen Sicht auf die sogenannten “Befreiungskriege” in der Literatur der DDR stand übrigens auch nicht Hacks, das war Günter de Bruyn im Jahre 1975 mit seinem “Leben des Jean Paul Friedrich Richter”. In einer Zeit, als die “Patrioten”, die Heine so tief verabscheute, in der DDR hoch im Kurs standen, schrieb de Bruyn über Jean Paul: “Von Kleists patriotischem Sadismus oder den frisch-fröhlichen Wort-Unmenschlichkeiten der Lützower (dem Intellektuellen-Freikorps in schwarzen Uniformen mit Totenköpfen – auch eine Tradition!) trennen ihn Welten.” Dann zitiert er Theodor Körner (auch der in der NVA-Tradition – und nicht nur da! – höchst gelobt und hochgejubelt): “Und sauft euch satt in Blut! … Stoßt ohn’ Erbarmen drein!” Das muß nicht kommentiert werden. Ehre wem Ehre gebührt: Nix gegen Hacks, aber er war nicht der Erste und er war nicht der einzige.

  90. Helge Jürgs sagt:

    St.Corleone

    Wenn
    sich über Sizilien eine spannungsvolle Stille ausbreitet,
    die Sizilianer mehrheitlich das geheimnisvolle Raunen bevorzugen,
    das prächtigste Gebäude von Corleone weiträumig abgesperrt wird,
    Patrouillen von sonnenbrillenbewehrten Muskelprotzen in feinen Zwirn und mit einem Knopf im Ohr rund um die Uhr Dienst tun,
    dann
    das weiss jedes sizilianische Kind, hat die Mafia ein Gipfeltreffen, dessen Teilnehmer der Oeffentlichkeit ebenso verborgen bleiben wie das, was diese zu bereden haben.
    Wenn
    sich, wie gerade eben, im noblen Schweizer Wintersportort St. Moritz die Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz (http://de.wikipedia.org/wiki/Bilderberg-Konferenz) zu ihrem jährlichen Gipfel treffen, geht es ganz genauso zu: Keine Teilnehmer- oder Rednerliste, keine Tagesordnung, keine Verlautbarungen, kein Protokoll, alles streng geheim.
    Mit Mafiosität hat das freilich nichts zu tun, nicht einmal, wenn – na was denn sonst – auch Josef Ackermann zu den (denn doch enttarnten) Akteuren aus der Wirtschafts- und Finanz(unter)welt gehört, die denen aus der Politik ja wohl wieder mal erklären, wo es wirtschafts- und sozialpolitisch langzugehen hat.
    Dass man bei soetwa nicht gesehehn werden will, ist schon fast wieder so verständlich wie es das in Sizilien auch ist.
    Helge Jürgs

  91. Helge Jürgs sagt:

    Immerhin nun auch vom Spiegel bemerkt:
    „Das ist das wirklich Verstörende an der Lage im Moment, dass die Politik so hilflos wirkt, so machtlos. Sie hat einen neuen Souverän bekommen, das sind nicht mehr wir, das Volk, das eher auf milde Weise eingreift, das sind jetzt die Finanzmärkte, die gnadenlos herrschen. Sie treiben Politiker noch mehr in die ängstlichkeit, die Handlungsschwäche, die Lüge. Die Regierenden sind nun die Regierten der Banken. Das ist die Lage.“
    Aus dem Essay von Dirk Kurbjuweit: Ackermanns Herrschaft, Spiegel 22/11

  92. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea VIII

    1. Lektüreempfehlung I
    Vor einigen Wochen erschien im Verlag Klaus Bittermann eine Auswahl mit Briefen von Guy Debord aus den Jahren 1957 bis 1994. Debord, Lebenskünstler, Hegel-Exeget, Psychogeograph, anarchistischer Situationist und unbestechlicher Analytiker der spektakulären Selbstüberhöhung der kapitalistischen Gesellschaft, zeigt sich darin als unnachgiebiger Kritiker des modernen Unwesens, aus allem Neues machen zu müssen, was eigentlich sich erst im Zusammenleben hätte bewähren sollen. Er begleitet die Auswürfe seiner Zeit mit dem Gestus hellsichtiger Intellektualität bei gleichzeitigem Hang zur Allüre, die den französischen Bonvivant, nun ja, zum einen auszeichnet, zum anderen befremdlich werden lässt. Was als Kunstprogramm im Dienste der Poesie in den 1950er Jahren begann und im literarischen, politischen wie filmkünstlerischen Werk Debords zum Ausdruck kam, radikalisierte sich im Laufe der 1960er Jahre zusehends, um später schließlich in abgeklärter Resignation zu enden. Immerhin wird Debord mit der 1967 erstmalig veröffentlichten „Gesellschaft des Spektakels“ und den 1988 hinzugefügten „Kommentaren“ wesentliche Elemente der spätimperialistischen Ordnung benennen, die erst heute begrifflich und wirklich zur Geltung kommen: die Verdopplung des Kapitals in Substanz und Bild, die wesenhafte Verkommenheit der Massenmedien, die Erzeugung des Terrorismus durch die symptomatischen Defizite der Demokratie, die Verwandlung aller Ideologie in geglaubte und erfahrene Realität einer immerwährenden Gegenwart sowie die radikalen Bedeutungsverluste herkömmlicher parteipolitischer Artikulation.
    Die Briefedition ergänzt ausschnittsweise die auf Deutsch vorliegenden Werke Debords, die für Eingeweihte einige neue Erkenntnisse zu Tage fördert, so vor allem über dessen Haltung zu den extremen Spaltungsvorgängen in der „Situationistischen Internationale“ und über die Klassenkämpfe in Frankreich, Italien und Portugal. Für Interessierte jedoch, die gänzlich ohne Vorwissen den Band zur Hand nehmen, ist das Meiste reichlich verwirrend. Denn leider unterbleibt in Auswahl und Apparat auch nur der rudimentäre Versuch, die beschriebenen Ereignisse und Lebensstationen zu kontextualisieren, so dass der Leser zwingend auf weiterführende Literatur angewiesen ist. Trotzdem ist die Lektüre sehr zu empfehlen. Begründung: Erstens wird der ungeheure Einzeleinsatz von Klaus Bittermann gewürdigt, ohne den Guy Debord in der BRD eine völlig unbekannte, irrelevante Figur geblieben wäre, Debords stark zu kritisierender Anarchismus hin oder her. Zweitens offenbaren die Briefe eine Konsequenz des Lebensentwurfs, die man sich für die Jetztzeit deutlich öfter wünschen mag – man kann Debord viel vorwerfen, nicht jedoch, dass er seinen Grundsätzen nicht treu geblieben wäre. Drittens schließlich erlauben die Briefe doch einen Einblick in die Komplexität analytischer Fundierung, wobei trotz einiger politischer Fehlurteile Debords im Einzelnen das große Ganze nie verfehlt wird. Dass das Grundübel unserer Epoche die kapitalistische Produktionsweise ist, aus dessen Struktur sich die Verwerfungen der Restbestände einer Gesellschaft herleiten, der ein Ziel abhanden gekommen ist.
    (Guy Debord: Ausgewählte Briefe 1957-1994. Aus dem Französischen von Bernadette Grubner, Roman Kuhn, Birgit Lulay, Christoph Plutte, Berlin 2011, Edition TIAMAT Verlag Klaus Bittermann, 336 Seiten, 28 Euro.)

    2. Lektüreempfehlung II
    Nahezu brandneu ist das Buch von Markus Metz und Georg Seeßlen: Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität. Da es erst seit einer Woche zu haben ist und mit stolzen 780 Seiten aufwartet, die für Leute in beruflicher Mehrfachbelastung eine umfangreiche persönliche Beleidigung darstellen, kann hier keine auch nur annähernd befriedigende Auswertung geliefert werden. Trotzdem sei der Inhalt, als Anregung, kurz wiedergegeben. Die Autoren bereiten in drei Hauptteilen und acht Kapiteln nahezu das ganze Arsenal gesellschaftlicher Dummheit auf, einerseits in Form der Genese des Begriffs und ihrer bevorzugt medialen Selbstreproduktion, andererseits in der politischen Willensbildung. Vorausgeschickt werden kann, dass im Kapitalismus nichts zu blöd ist, um es nicht in die Öffentlichkeit zu zerren. Dabei halten Metz und Seeßlen das System sui generis in einem dialektischen Widerspruch für den Dummenfang schlechthin, wenn sie auf Seite 35 schreiben: „Der weitläufigste Rohstoff des Kapitalismus ist die menschliche Dummheit. Das weitläufigste Produkt der menschlichen Dummheit ist der Kapitalismus. So wird dieser, wie man sich einbildet, zur ‚Natur‘.“ Bleibt anzumerken, dass angesichts der ideologischen Zumutungen der Gegenwart nichts schwieriger ist, als das notwendig gesellschaftlich falsche Bewusstsein immer und immer wieder zu durchschauen. Man wird sicher klüger mit diesem Buch, auch wenn manchem der essayistische Stil nicht unbedingt behagen wird. Dem bemerkenswert kurzen Literaturverzeichnis kann entnommen werden, dass die Beobachtungen nicht den Büchern, sondern dem Leben folgen. Ob der schlussendliche Aufruf zum Selbstdenken das Hegel-Wort suspendiert, wonach das, was nicht mehr auf den Begriff zu bringen ist, auch nicht mehr sei, ist durchaus offen.
    (Markus Metz/Georg Seeßlen: Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität, Berlin 2011, edition suhrkamp 2609, 784 Seiten, 25 Euro.)

    3. Interpretationslehre
    Was deutsche Ideologie sei, hört sich in einem Artikel neueren Datums so an: „Er (der Begriff – D.K.) bezeichnet nicht mehr notwendig die Theorien von Denkern, die in Deutschland leben und wirken, sondern einen bestimmten Ideologietypus, dessen Herkunft zwar in der deutschen Philosophie- und Geistesgeschichte zu verorten ist, der aber als gleichermaßen fetischistisch wie selbstbewusst vollzogene Reproduktion der globalen Selbstverwertung des Werts, die mit permanenter Verelendung, Zerstörung und Vernichtung in eins fällt, gleichwohl verallgemeinerbar ist.“ Nein, ich habe mich nicht verschrieben. Ja, der Satz geht mit Mühe grammatikalisch nahezu korrekt durch, während inhaltlich zu viel geredet wird. Der Satz will sagen: Der deutsche Geist verantwortet alles Niederträchtige der Welt. Selbst als Provokation ist er falsch. Seit wann ist ein Ideologietypus verallgemeinerbar? Was ist das überhaupt? Wenn ich wirklich entschlüsseln möchte, welche ideologischen Konstrukte heute in welcher Intensität wirken, dann bin ich auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, die selber höchst ideologische Kategorie der nationalen Zugehörigkeit wegzulassen. Gleichwohl verallgemeinerbar ist etwas Anderes: Dass der ideologische Angriff auf den Verstandesgebrauch und den Vernunftbegriff schon lange international ist und dass einmal mehr die Lehre Lenins zutrifft, wonach der Sozialismus in nicht geringem Maße durch die „konstruktive kritische“ Kritik der Sozialisten besiegt wird.

    4. Sprachlehre V
    Zur merkwürdigen Verleihung des Alfred-Döblin-Preises schrieb die „Berliner Zeitung“ am 31. Mai 2011 folgendes: „Der Preis für den irrsten Romanauszug gebührte Angela Steidele. Die Wissenschaftlerin hat über lesbische Liebe in der Literatur promoviert und stellte ihre dokumentarische Fiktion über Ludwig II. und Catharina Linck vor, die als Lagrantius Rosenstengel in den Krieg zieht. Steidele hat sich die Sprache ihrer Quellen durchlauchtigst angeeignet. Wie der Lederpimmel Rosenstengels ist ihre historische Fiktion echter als die Wirklichkeit. Steideles Helden erfinden sich selbst als Geschlecht oder Geschichte, und sie erfindet sie neu als Literatur. Und darum, so Grass, geht es: ‚Erfundene Dokumente sind die spannendsten.‘“ Nur leider falsch. Man erfährt ja gerne viel über Grass und hätte es fast vergessen. Allein weil das Textverarbeitungsprogramm falsche Wörter nicht als falsch anzeigt, werden sie noch lange nicht richtig. „Irre“ hat keinen Superlativ, ebenso wenig „echt“, analog zu „tot“. Das schönste Geschenk ist natürlich „durchlauchtigst“, wobei ich mich dabei ertappe, eher an Küchengerüche denn an Majestäten zu denken. Aufschlussreich ist auch die dreimalige Betonung Fiktion – Fiktion – Erfunden. Der Text kriegt das in einem einzigen Absatz locker unter, wohl um den Lesern nachdrücklich einzuimpfen, dass der Unterschied zwischen objektiver Wirklichkeit und subjektivem Eigendünkel keine Rolle spiele. Das dürfte für den konstruktivistischen Normalbürger des Spätimperialismus stimmen, der Tschechow auswendig kennt, abends beim Wein im Hochglanzzivilisationssarg sein ärmliches Dasein beweint (vgl. Fritz J. Raddatz: Tagebücher – der aufgeblasene „Tod in Venedig“ spätbürgerlicher Existenz) und ansonsten froh ist, wenn der proletarische Zorn ihn noch nicht erreicht hat. „Geschlecht oder Geschichte“, das ist hier die Frage. Antwort: Erfundene Literatur. Das Feuilleton weiß einfach alles.

    5. Korrekturen
    In den Miscellanea VI behaupte ich unter Punkt 1a), dass die alliierte Vorbehaltsliste nazistischer deutscher Filmproduktionen 1945 lediglich 60 Filme enthalten hätte. Das ist falsch. Richtig ist: Damals standen mehr als 400 Filme auf dieser Liste, heute sind davon 60 prüfrelevante Filme übrig geblieben.
    In den Miscellanea VII behaupte ich unter Punkt 4, dass die Formulierung „es hackt“ keinen etymologischen Bezug hat. Es kann sein, dass das falsch ist. Angeblich geht sie auf eine verkürzte Verwendung von „es haackt“ zurück und diese auf den Mathematiker Wolfgang Haack, dessen V2-Versuche hakten, also nicht zündeten. „Es hackt“ wird im Englischen mit „You can’t be serious?!“ ausgedrückt.

  93. Herbert Wilkow sagt:

    Grossartige Idee, die gute alte Weltbühne im Original in Erinnerung zu bringen. Glückwunsch!
    Herbert Wilkow

  94. Noli sagt:

    Wer neugierig ist, was Georg Schramm (siehe im aktuellen Blättchen die BEMERKUNG „Direktes Richten“) anlässlich seiner Adelung zum Ehrenpreisträger des Kleinkunstpreises des Landes Baden-Württemberg noch so alles an die Adresse des konservativen, speziell baden-württembergischen Politgesindels gesagt hat, der wird bei Youtube fündig: http://www.youtube.com/watch?v=M5ZlX3U6osw

  95. hwk sagt:

    “Die Rente mit 69 Jahren wird von den Wirtschaftsweisen gefordert. Traum oder Albtraum?” wird Friedrch Küppersbusch in der heutigen Taz gefragt.

    Seine Antwort: “Ach, diese Sektenführer, die uns null vor der Bankenkrise warnen konnten und tags drauf genau wussten, dass der Steuerzahler das bezahlen sollte? Warum fragen wir nicht die Omi in der Fußgängerzone mit dem Pappschild “Der Untergang naht”, wie es finanzpolitisch weitergehen soll? Ein Rudel Lobbyisten möchte den Beitrag der Arbeitgeber zur Sozialversicherung weiter drücken und trifft deshalb schon mal Aussagen über das Jahr 2060. …”

  96. Werner Richter sagt:

    Zu “Pflichtmenschen”
    Lieber Jörn Schüttrumpf, hier hat sich wohl ein Lapsus eingeschlichen, denn die Innenminister haben ganz sicher nicht vor, mit dem Lügen aufzuhören. Das wäre zu schön, bleibt aber ein Märchen. Sie wollen wohl nur einige alte, bereits lästige, da dümmliche Lügen, für neue aus dem Weg haben.

  97. Karl-Heinz Mittig sagt:

    Lieber Erhard Crome,
    sind Sie wirklich sicher, dass es diesen Napoleon, Ghandi, Lenin, Kennedy, Ulbricht, etc. pp (Entschuldigung für diese wilde, aber unendlich fortsetzbare Zufallsauswahl) so wie ihn uns die Medien zu jeweils passender Gelegenheit präsentiert haben, wirklich gegeben hat? Seien Sie ehrlich!
    Spaß beiseite – Natürlich ist Geheimdiensten und deren Auftraggebern wirklich alles zuzutrauen. Es ist nur so: wenn wir davon ausgehen, daß im Politischen längst alles manipuliert ist, brauchen wir uns eigentlich nicht mehr mit ihm zu befassen – oder?
    Ihr K.-H. Mittig

  98. Erhard Crome sagt:

    Lieber Karl-Heinz Mittig,
    sind sie wirklich sicher, dass es diesen Osama bin Laden, so wie ihn uns die Medien zu jeweils passender Gelegenheit präsentiert haben, wirklich gegeben hat? Seien Sie ehrlich!
    Beste Grüße
    Erhard Crome

  99. Karl-Heinz Mittig sagt:

    Lieber Erhard Crome,
    ich schätze Ihre Texte sehr, umso mehr überrascht mich, dass Sie nun wohl auch zu den Verschwörungstheoretikern übergelaufen sind… Mißtrauen gegen Geheimdienste und Politik, na sicher. Aber doch bitte nicht im Trüben fischen …
    Dennoch freundliche Grüße an Sie und das Blättchen,
    Karl-Heinz Mittig

  100. Kay Bliewand sagt:

    Auch dies lohnt , zur Kenntnis genommen zu werden: Jakob Augstein bei Spiegel-Online:
    ” (…) Merkels chauvinistische Parolen (von den zu wenig und zu kurz arbeitenden Griechen, K.B.) sind gefährlich. Sie können den ohnehin erstarkenden Rechtspopulismus im Land befördern. Darüber hinaus sind sie aber auch bigott. Die Exportüberschüsse, auf die sich die Deutschen so viel einbilden, bedingen die Leistungsbilanzdefizite der anderen geradezu. Andersherum: Entweder die Deutschen erzielen Exportüberschüsse – oder die anderen tragen ihre Schulden ab. Beides gleichzeitig geht nicht. Da ist eine große Unaufrichtigkeit am Werk, die das Wesen des Populismus ist. Es wäre die Aufgabe der Kanzlerin, hier für Klarheit zu sorgen. Und nicht das Ressentiment zu befördern. (…)”

  101. Herbert Wilkow sagt:

    Passt irgendwie gut zu dem Petras-Text in dieser Ausgabe, was heute in der Berliner Zeitung zu lesen war:

    “Die Landesverteidigung bleibe zwar die Hauptaufgabe der Bundeswehr, doch eine unmittelbare territoriale Bedrohung der Bundesrepublik sei “unverändert unwahrscheinlich”. Risiken und Bedrohungen entstünden eher aus zerfallenden und zerfallenen Staaten, durch internationalen Terrorismus, diktatorische Regime und durch Naturkatastrophen.
    Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung seien für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung. “Störungen der Transportwege und der Rohstoff- und Warenströme, zum Beispiel durch Piraterie und Sabotage des Luftverkehrs, stellen eine Gefährdung für Sicherheit und Wohlstand dar”, betonte de Maizière.

    Dabei ist es grade mal rund ein Jahr her, dass ein Bundespräsident für solch offene Worte den Hut nehmen musste.
    Herbert Wilkow

  102. Helge Jürgs sagt:

    Volker Schmidt in der heutigen Berliner Zeitung zum Ausgang des Demjanjuk-Prozesses:

    “… Selbst wenn Demjanjuk seine Strafe absitzen müsste: Ein Urteil in Prozessen wie diesem kann der Tat, kann den Opfern, kann auch der Biografie eines John Demjanjuk gar nicht gerecht werden. Zu ungeheuerlich ist das Mordgeschehen, zu vieles ist falsch gelaufen in seiner Aufarbeitung. Ja, es war ein unwürdiger Prozess – weil sein Gegenstand die Verbrechen eines Regimes waren, das seinen Opfern jede Würde nahm. Und weil die Bundesrepublik über Jahrzehnte würdelos mit dieser Vergangenheit umgegangen ist. Das lässt sich nicht wiedergutmachen. Nie wieder.”

    Dem ist nichts hinzuzufügen.

  103. Chinas Macht
    Griechenland stehe mehr denn je kurz vor dem Absturz, und das sorge bei manchem – wie der Drahtseilakt im Zirkus – für Nervenkitzel, hieß es in der jüngsten ARD-Sendung Plusminus (10.5.11). Auf wunderbarem Können auch wie im Zirkus scheint die Tatsache zu beruhen, dass dennoch der Euro sich auf einem Höhenflug befindet. Plusminus: Es sei nicht besonders kluge Politik, die den Euro trotz Griechenland-Krise stark hält, es seien die anderswo schwelenden Krisen, etwa in den USA oder Japan. Dem ist nicht zu widersprechen.
    Doch wenn man bei Plusminus mit Berufung auf den Fondsmanager Prof. Max Otte meint, auch die chinesische Wirtschaft könne, da sie auf Export ausgerichtet sei, nur so lange boomen, wie der Rest der Welt fleißig chinesische Produkte kauft, so dürfte ein Fehlschluss vorliegen, der typisch ist für kurzsichtiges, gewinnorientiertes betriebswirtschaftliches Denken. (Otte ist laut Wikipedia Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftsprobleme an der Fachhochschule Worms und Leiter des von ihm gegründeten Instituts für Vermögensentwicklung GmbH in Köln sowie unabhängiger Fondsmanager.) Die chinesische Führung vermag dank ihrer kommunistischen Ideologie nicht nur, in erster Linie volkswirtschaftlich zu denken, sondern mit ihrer kommunistischen Zentralmacht auch volkswirtschaftliches Denken zielgerichtet umzusetzen, ohne auf die widerstreitenden Ansichten einer Vielzahl privater, von grenzenlosem Profitstreben getriebener Interessengruppen und deren Lobby im Parlament Rücksicht nehmen zu müssen. Sie kann ein Optimum für die Gesamtheit anstreben, braucht sich nicht mit dem Mittelmaß des kleinsten gemeinsamen Nenners für das Interesse aller Einzelnen im Ergebnis von Kompromissen zu begnügen. Mit einem Binnenmarkt von weit über einer Milliarde Menschen sind die Chinesen durchaus nicht auf die übrige Welt angewiesen, um rationell, mit optimalen Losgrößen produzieren zu können. Im Falle von Einbrüchen in der Weltwirtschaft, wie Otte sie befürchtet, könnten die Chinesen besser und schneller als alle anderen ihre Wirtschaft auf die veränderten Bedingen einstellen. Denn das Ziel der Pekinger Wirtschaftspolitik dürfte – ungeachtet aller im Reich der Mitte gegebenen unternehmerischen Freiheiten – immer noch darin bestehen, die chinesische Volkswirtschaft als materielle Lebensgrundlage der Nation optimal zu gestalten. Das ist etwas ganz anderes als das ohnmächtige, kurzsichtige und kurzfristige Regierungsbemühen in Amerika, Europa und sonst wo in der Welt, Konzernen und Banken den Weg für die bestmögliche Verwertung „privaten Kapitals“ im Kampf aller gegen alle im Weltmaßstab zu ebnen, sei dies auch ein noch so illusorisches Unterfangen.

  104. Noli sagt:

    Die Bundesrepublik hat dem Gaddafi-Regime nicht nur Ausbildungshilfe geleistet (siehe den Beitrag von E. Schmidt-Eenboom in der „Blättchen“-Ausgabe 08-2011: „Alles privat? – Die Ausbildung libyscher Sondereinheiten durch deutsche Spezialisten“), sondern den Diktator auch direkt militärisch aufgerüstet. Dazu berichtet „Spiegel online“ heute:

    „Bis Oktober 2004 galt ein EU-Waffenembargo gegen Libyen. Im Jahr darauf lieferten deutsche Firmen für 300.000 Euro Geländewagen, 2006 waren es schon fast zwei Millionen für militärisches Gerät, 2007 bereits knapp 24 Millionen, 2008 nur vier Millionen, aber 2009 dann über 53 Millionen Euro. Unter anderem bekam Gaddafi wohl moderne Abschussanlagen für Panzerabwehrraketen vom Typ Milan 3, Kommunikationstechnik, Radartechnologie fürs Gefechtsfeld und Störsender. Produkte, die dem Diktator jetzt im Kampf gegen die Rebellen nützlich sein könnten.“

  105. HWK sagt:

    Definierte Deklination

    Nun war es den Locations-Scouts der Linken im April also doch noch gelungen, einen bezahlbaren Saal für eine Zusammenkunft der Kreisvorstände zu finden; einfach war das sicher nicht. Bei diesem Treffen soll dem Vernehmen nach eine Zukunftsdebatte geführt werden, was

    a) nie verkehrt ist, da mit einer Zukunft in jedem Falle gerechnet werden kann und
    b) wohl auch notwendig, wenn die Partei Stagnationserscheinungen nicht in besagte Zukunft prolongieren will.

    Gedankliche Vorarbeit wird in Sachen Parteizukunft bereits fleißig geleistet; wie es sich für Linke gehört in diversen Gruppierungen, Zirkeln und „Think-tanks“, auf alle Fälle also pluralistisch. Die Reformer in der Partei – halt, nicht d i e Reformer sondern eine Gruppe von Reformern unter der Reformern – war jüngst besonders fleißig. Und was sie zu Papier gebracht hat, lässt diskursive Erschütterungen erahnen, die es mit manchem Erdbeben aufnehmen können. „Zudem ist sie (die Linkspartei, hwk) gefordert, die gesellschaftlichen Debattenlinien der kommenden Jahre klarer zu definieren und ihre Lösungsangebote nachvollziehbar durchzudeklinieren …“ (ND 11.4.11)

    Wenn das keine klare und erfolgsschwangere Kampfansage an den Klassenfeind ist! Wieder mal bewahrheitet sich aufs schönste, dass die Theorie zur materiellen Gewalt wird, wenn sie die Massen ergreift. Wenn auch noch nicht durchdekliniert, so liegt die Theorie also nun auf jenem Tisch, den linke Sangeslust schon lange von den Bedrängern bereinigen will. Nun müssen sich die Massen nur noch von solcherart Handlungsanleitungen begeistern lassen. Wobei es allerdings auch eine andere Interpretationsmöglichkeit gibt: Begeht, wer solch ein Erfolgsrezept in der Öffentlichkeit preisgibt, an seiner Partei nicht Geheimnisverrat? Man weiß ja so wenig …
    HWK

  106. Marie-Luise Grohl sagt:

    Dass Guido Westerwelle auch als Außenminister keine Starbesetzung ist steht außer Frage. Wenn in dem Bestreben mancher Medien, ihn auch aus diesem Amte wegzuschreiben, aber jedes Mobbingmittel recht ist, dann wird das Kind schon mal mit dem Bade ausgeschüttet, und das lässt eher am Urteilsvermögen des Schreibers zweifeln, als dass es der Sache diente.

    In der „Berliner Zeitung“ nahm dieser Tage der Historiker Götz Aly wieder einmal den Außenminister aufs Korn, weil der „einer von ihm einberufenen Konferenz für die vollständige Beseitigung von Atomwaffen“ präsidiert hatte. Aly weiter: „Interessiert hat sich für das fünft-rangige Treffen niemand. Natürlich wäre es schön, es gäbe keine Atomwaffen mehr. Aber ein Außenminister wird für Realpolitik bezahlt, nicht für den Ringelpiez der Neigungsgruppe Wünsch-dir-was.“

    Getroffen hatte sich die Gruppe der „Freunde des Nichtverbreitungsvertrags“, zu der sich zehn Staaten am Rande der letztjährigen UN-Vollversammlung im September 2010 in New York konstituiert hatten und der es darum geht, den internationalen Bemühungen um atomare Abrüstung neue Dynamik zu verleihen. Beim jüngsten Treffen in Berlin waren neben Westerwelle die Außenminister Japans, Mexikos, Australiens, der Niederlande und der Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Vertreter von Kanada, Chile, Polen und der Türkei zugegen.

    In einer gemeinsamen Erklärung hat die Gruppe konkrete Vorschläge für weitere Schritte auf dem Weg zu Abrüstung und Nichtverbreitung gemacht:
    Erstens – Aufnahme von Verhandlungen über ein Produktionsverbot von spaltbarem Material. Nötig dazu ist eine Wiederbelebung der Genfer Abrüstungskonferenz. Sollte dieser Weg nicht zum Erfolg führen, tritt die Gruppe dann für eine Befassung der UN-Vollversammlung ein.
    Zweitens – Ratifizierung des Nuklearen Teststoppvertrags durch weitere Staaten und ein möglichst baldiges Inkrafttreten des Vertrags.
    Drittens – verbesserte Transparenz der Atommächte über ihre Nukleararsenale und abrüstungspolitischen Anstrengungen.
    Viertens – Ratifizierung des IAEA-Zusatzprotokolls durch weitere Länder. Nur so kann die Wiener Atomenergiebehörde die Einhaltung der Nichtverbreitung wirksam überwachen. Alle Staaten der Gruppe haben das Zusatzprotokoll, das unter anderem unangemeldete Verdachtskontrollen ermöglicht, bereits ratifiziert.

    „Blättchen“-Leser sind über die Notwendigkeit und die Schwierigkeiten der nuklearen Abrüstung ganz gut im Bilde und wissen, dass diese Frage unverändert eine existenzielle Dimension hat. Wenn sich Götz Aly dafür nicht interessiert und auch sonst in den deutschen Medien kaum jemand, dann lässt das – zumindest in dieser Frage – auf einen Horizont schließen, von dem der Volksmund sagt: „Wie fünf Meter Feldweg.“ Und dieser Eindruck verstärkt sich eher noch, wenn Aly zum Abschluss seiner Suada noch einen drauf setzt und einen anderen Zeitgenossen mit dem Verdikt zitiert, Westerwelle sei „der bornierteste Außenminister seit von Ribbentrop“. Denn der war Hitlers Reichsaußenminister von 1938 bis 1945 und wurde in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher gehängt.

  107. Herbert Wilkow sagt:

    Ach, liebe Ilse, das befürchte ich eigentlich weniger. Denn im Unterschied zum Realsozialismus hat unser demokratisches Gemeinwesen längst, längst begriffen, daß es viel, viel zweckmäßiger ist, jedwedes Dampfablassen zu gestatten, als es – bis zur Exploisivität – mit einem verbotlichen Rückstau zu versehen.
    Eben darin sehe ich ja die bis zur Verzweifelung gehenden Aufklärungs-Attacken eines Georg Schramm; er darf (nach 22.00 Uhr natürlich wie alles, was im TV Niveau hat), und er fühlt seine (und unsere) Ohnmacht. Panis et circenses, lautet noch immer das Prinzip der Allgewaltigen. Bis es ihnen auf die Füße fällt. Nur: Haben Sie den Eindruck, dass letzteres bevorsteht?
    Freundliche Grüße,
    Herbert Wilkow

  108. Wolfgang Brauer sagt:

    Bin Laden war sicher von den Unappetitlichsten einer der unappetitlichsten. Aber geradezu ekelhaft ist, wie die Herrschaften des Wortes und der Mikrofone nur noch von “Tötung” sprechen. Tiere werden getötet (einige Tierschützer sprechen in diesem Zusammenhang auch von Mord …). Bislang arbeiteten die Killer-Kommandos der US-Dienste im wenigstens Halbdunklen. Jetzt mit laufender Kamera vor den Augen der Spitzen des Weißen Hauses, die sich noch dabei fotografieren lassen! Ist es “antiamerikanisch”, eine Gruppe von Menschen, die sich zusammengetan hat, andere Menschen umzubringen – auch wenn es sich um Mörder handelt – eine Mörderbande zu nennen? Zumindest dürfte auch dem tumbesten Zeitgenossen klarwerden: Wer diesen Leuten in die Quere kommt, hat ausgelebt.

  109. jaku sagt:

    Heute im ND – treffender kann man sicher nicht sagen, was zu dieser Posse (Posse?) zu sagen ist:

    »Sauerei«

    Georg Schramm erhielt im Europa-Park Rust den Kleinkunstpreis von Baden-Württemberg. Er sagte den Noch-Regierungsmenschen in der ersten Ehrenreihe ins Gesicht, sie würden ja nun bald im »Endlager für abgebrannte Politiker« landen. Klare Worte, die als lautes CDU-Echo zurückbrandeten: »Arschloch«. Schramm betreibe »Klassenkampf«, eine »Sauerei«.
    Eklat – das ist auch ein Ehrenlohn. Ein Barometer dafür, wie dünnhäutig und dummsinnig Politiker sind. Schramm machte quasi seinem legendären kriegsversehrten Rentner Lothar Dombrowski alle Ehre. Ein böser Partisan des verzweifelten Widerstandes, der sich aufstachelnd in Wartezimmer setzt, der Vortragsabende und Kant-Seminare besucht, um die Saat des wallenden Blutes wie einen Virus auch in seine erbärmlich angepassten Mitmenschen zu setzen; immer auf der Suche nach jemandem, »der meine Verachtung verdient«. Weil er sein bisheriges Leben satt hat, führt er es weiter: als Albtraum für andere.
    Der großartige Schramm – 1949 geborener Arbeitersohn aus Bad Homburg, Offiziersschüler, zwölf Jahre Psychologe in einer Reha-Klinik – hat einen rigorosen Mut zur geradezu hämmernden Analyse des Zeitgeschehens. Er baut mit dem fast rührenden Stammtischraunen, der forschen Ideologie-Akrobatik und den tapferen Ohnmachtsreflexen seiner Figuren das stimmige Bild einer Welt, in der gilt: »Den Konzernen ist es egal, wer unter ihnen regiert.«
    Er verließ den »Scheibenwischer« der ARD; inzwischen tritt er auch nicht mehr in der ZDF-»Anstalt« auf: Schramm wirkt konsequent, will nicht mehr herumbalancieren auf der Einladungsschmiere eines Unterhaltungsbetriebes, der Kritik als Kitzel meistbietend weiterverkauft.
    »Thomas Bernhard hätte geschossen«, so hieß ein Programm. Klingt nach einer Sehnsucht, deren Unerfüllbarkeit auf der Bühne charaktervoll ausfallend macht. Also: grandios gut. Eine Emanzipation: vom Kabarettisten zum erbarmungslosen Ankläger. Dem ein Fakt wichtiger ist als eine Pointe. Dessen Komik mehr und mehr einer bitteren Direktheit des Angriffs weicht. Bis ein CDU-Mann »Arschloch« ruft. Wo ihn doch niemand aufforderte, sich zu outen.
    Hans-Dieter Schütt

    Also, lieber Georg Schramm: Verbalinjurien zu Ritterschlägen!; jedenfalls solange sie aus konservativen oder gar liberalen Ecken kommen …

    • Ilse sagt:

      Schade nur, dass man ihn nun kaum noch erleben wird.
      Ilse

  110. Wolfgang Kost sagt:

    Der “finale Rettungsschuss” auf Bin Laden war für die USA in doppelter Hinsicht eine praktische Lösung: Zum einen wurde so vermieden, dass Osama in einem vermutlich jahrelangen Prozess endgültig zum Märtyrer der islamischen Welt hätte aufgebaut werden können. Zum anderen wurde so zudem umgangen, dass bei einem Prozess möglicherweise auch die dubiosen Verbandelungen der USA mit Bin Ladens Heimat Saudi-Arabien ans Tageslicht gekommen wären. “Zwei auf einen Streich” also kann sich Obama nun auf den Gürtel sticken. Und die Angela Merkel die Eintragung in ihr protestantisches Stammbuch schreiben lassen, dass nicht nur “Jesus, meine Freude” ist sondern nun auch die Tötung des dem Gesalbten äußerlich so ähnlichen Osama. Es ist doch schön, womit man einer Chrisdemokratin heuzutage eine Freude machen kann.
    Wolfgang Kost

  111. Kay Bliewand sagt:

    Liebe Blättchen-Macher,
    ich finde einfach, daß Ihr es verdient, gelobt zu werden. Nachdem ich schon die vorherigen Ausgabe mit viel Gewinn “inhaliert ” habe, kann ich das von der aktuellen nur ebenso sagen. Ihr habt etwas, was man Neudeutsch als “Alleinstellungsmerkmal” bezeichnet. Über wen in unserer üppigen Medienlandschaft läßt sich das schon sagen.
    Ach, gäbe es Euch doch irgendwann wieder gedruckt …
    Kay Bliewand

  112. jaku sagt:

    Arno Widmann heute in der Berliner Zeitung:
    “Der Krieg gegen den Terror hat viele Terroristen geschaffen. Er hat, das kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, mehr Terroristen produziert als er ausgeschaltet hat. Das ist der Grund, warum die Tötung Osama bin Ladens heute die Lage überhaupt nicht verändert. Es wird nicht an Aktionen fehlen, die als Taten der Rache auftreten werden. Man wird aber davon ausgehen müssen, dass sie eh geplant waren und, wäre Osama bin Laden nicht endlich erwischt worden, unter einem anderen Motto genau so ausgeführt worden wären.”
    Wo Widmann recht hat, hat er recht….

  113. Helge Jürgs sagt:

    Pikante Wechselstabenverbuchelung

    Der mitteilsame Regierungssprecher Steffen Seibert hat auf Twitter das “s” mit dem “b” verwechselt – und beschuldigte somit versehentlich den US-Präsidenten unfassbarer Taten: “Obama, verantwortlich für Tod tausender Unschuldiger, hat Grundwerte des Islam und aller Religionen verhöhnt.” Osama kann sich darüber nun nicht mehr amüsieren, er dürfte nun bei jenen 72 Jungfrauen angekommen sein, die laut dem Prophetengefährten Abu Musa muslimischen Märtyrern nach deren Ableben versprochen sind.

  114. Helge Jürgs sagt:

    Dialektik, kurzer Abriß

    “Maschmeyer hat Schröders Wahlkämpfe mitfinanziert, hinterher hat seine Regierung Rürup- und Riesterrenten erfunden, die Maschmeyers Firma AWD tüchtig Aufträge brachte. Und Rürup und Riester AWD-Honorare.”
    Friedrich Küppersbusch in der Taz.

  115. jaku sagt:

    Kate ist schwanger!!!

    Kate Middleton, pardon: Her Royal Highness Catherine Elizabeth, Duchess of Cambridge, Countess of Strathearn, Baroness Carrickfergus, ist schwanger!!! Mit Drillingen!!!!! – Der globale Erlösungsorgasmus ist noch nicht völlig abgeflaut, da erreicht uns aus Longdong (Tucholsky) bereits die nächste Aufregung: Die Royals werden in rund sieben Monaten um drei Köpfe reicher: Drei weitere Anwärter auf den Thron der Zukunft! Drei Kandidaten für drei weitere Hochzeiten wie die man grade erst verdaute, drei königlich Gebenedeite, die den bunten Postillen in aller Herren Länder wieder Stoff auf Jahre liefern, und, und und …

    Wieder liegen sich weltfremde Menschen ob dieser Nachricht allüberall weinend in den Armen. Die Intendanten vor allem der öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen verpflichten alle vorrätigen Bedarfsschwätzer als Kommentatoren der zu erwartenden Geburt, wobei durch ein hochrangiges Adelskollegium im Vorfeld zu prüfen sein wird, ob eine Königliche Hoheit eventuell auch durch einen Kaiserschnitt entbinden lassen darf. Über die Live-Kommentierung aus dem Kreißsaal durch Werner Erhard Rolf Seelmann-Eggebert entscheidet ein Bieterverfahren erst, wenn S.-E. als Ich-AG an die Börse gegangen sein wird. Die Berliner Zeitung lässt bereits jenes Büttenpapier schöpfen, aus dem sie ihre sechswöchigen Sonderausgaben um dieses Ereignis herum dann drucken wird…

    Ein Wermutstropfen ist mit dieser Mitteilung leider auch verbunden: sie ist nicht wahr. Jedenfalls bis jetzt nicht. Im Zeitalter des Nachrichtenkrieges um die First-und Top-News ist dies dem Blättchen aber Wurscht. Es hat – zu seiner Schande sei´s gesagt – den Hype um Kätchens und Wilhelmens Hochzeit derart vertrieft, dass ihm nun nur noch eine Topmeldung wie die obige hilft, auch weiter im Konzert der Mediengiganten weiter mitspielen zu dürfen. Und da gilt noch immer: wer´s zuerst weiß, hat gewonnen. Und – Hand aufs Herz – irgendwann wird die obige Nachricht Wirklichkeit werden – ob nun mit Drillingen oder nicht – und dann wird dem Blättchen das Alleinstellungsmerkmal sicher sein, als erste darüber berichtet zu haben.

    Das ist ihm im Falle von einem nahezu gleichwertigen Weltereignis schon einmal gelungen – denn bereits vier Jahre vor dessen Eintreten hat es den Tod von Knut vermeldet! Und. Hat´s gestimmt oder nicht?
    HWK

  116. Silke Brink sagt:

    Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert …
    Die Drogeriekette Schlecker hat der bekannten Überwachung ihrer Mitarbeiter noch ein weiteres hinzugefügt. Unter dem Titel “Maßnahmenpaket Personal-Qualität” sind laut Spiegel-Online auf 20 Seiten die Namen von Dutzenden ebenso langjährigen wie missliebigen Angestellten im gesamten Bundesgebiet gesammelt worden; ganz sicher nur deshalb, um für die Betreffenden zu deren nächstem Firmenjubiläum rechtzeitig einen Blumenstrauss in Auftrag geben zu können. Oder gehts etwa doch um die Planung von Repressalien, um sie zu freiwilligem Jobverlust zu veranlassen? Da wüßte ich ein probates Mittel: All die unerwünschten Personen in ein großes Schlecker-Lager sperren und sie dort sechs Wochen ununterbrochen jenem hauseigenen Werbefernsehen aussetzen, das man in allen Schlecker-Filialen auch als Kunde lieben lernen kann. Wetten, dass sich dann nie wieder ein Mitarbeiter mausig machen wird?
    Silke

  117. H. Wilkow sagt:

    Ein treffender Kommentar zu Frau Merkels Lieblingslösung, der Selbstverpflichtung:
    ” …. Zwang ist also effektiv. Ist er auch wünschenswert? Warum eine Frauenquote, wenn das Ziel auch mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung der Unternehmen zu erreichen ist? Antwort: Weil das Ziel so nicht zu erreichen ist. Schon vor elf Jahren hatte die Wirtschaft sich zur Steigerung des Frauenanteils verpflichtet – mit geringem Erfolg. Nachdem die größten Firmen auch nach mehr als 60 Jahren gesetzlicher Gleichberechtigung nicht wissen, wie sie Frauen Einlass auf ihre Führungsebenen gewähren können, muss es ihnen eben ein Gesetz erklären.”
    Christian Bommarius in der Berliner Zeitung

  118. Helge Jürgs sagt:

    Die Pkw-Maut kommt! Das sicherste Indiz dafür ist das derzeit (wieder mal) zu erlebende mediale Procedere: Wahlweise Hinterbänkler oder anderweitige Adlaten der “Entscheider” preschen informell vor (die Pkw-Maut ist unverzichtbar) und werden von der “Ersten Reihe” empört zurückgewiesen (Niemand hat die Absicht, eine Pkw-Maut “zu errichten”-
    jedenfalls nicht vor 2013.)
    Wo sie dann kommt, und keinen regts nochmal so auf wie beim derzeit ersten, dem Verpuffungsvvorstoss.
    Also: Sparn wir wieder mal, diesmal auf die Maut. Denn so sicher wie diese kommen wird, so sicher ist auch, dass sich keine Regierung daran machen wird, einen erstklassig ausgebauten u n d preiswerten ÖPNV zu entwickeln, der den ganzen Pkw-Irrsinn irgendwann stoppt; da sei schon der ADAC vor, derselbe, der jetzt die Empörungsverpuffung anführt.
    Helge Jürgs

  119. philgeland sagt:

    Betreff: “Brasilien und der Libyenkrieg” von Klaus Hart

    Nicht schlecht, der Artikel!

    Allerdings fällt ein kleines, gemessen an dessen Vielschichtigkeit eher unwesentliches Detail dann aber trotzdem ins Auge. Nun ist ja allgemein bekannt, dass es in Brasilien eine ganze Menge spiritueller Bewegungen gibt, deren Anhänger unter anderem ein Phänomen wie die Reinkarnation für eine erwiesene Tatsache halten. Im Falle des Artikels ist nun aber eher doch davon auszugehen, dass es sich bei dem dort zitierten Herrn Veríssimo nicht um den verstorbenen Érico, sondern dessen Sohn Luís Fernando handelt.

    Wie dem auch sei, das sich auf letzteren beziehende Zitat ist in jedem Fall ein Blog-Post wert!

    Mit freundlichen Grüssen

  120. Kay sagt:

    Als die Berliner Wasserbetriebe 1999 teilprivatisiert wurden, war die SPD Juniorpartner der CDU-geführten Stadtregierung, die dieses verhängnisvolle Projekt über die Bühne gebracht hat. 12 Jahre später stellt sich nun Klaus Wowereit hin (Tagesspiegel-Interview vom 16.4.) und erkärt, auf die Frage “Warum können Sie als Mehrheitsgesellschafter der Wasserbetriebe nicht einfach die Preise senken?” doch tatsächlich: “Die Wasserpreise folgen einer gesetzlich regulierten Preiskalkulation. Und sie wurden von der Umweltsenatorin Katrin Lompscher bisher immer genehmigt. Ihre Behörde ist dafür zuständig, nicht der gesamte Senat.” …
    Wie hatte Joschka Fischer doch mal im Bundestag dessen Präsidenten per Zwischenruf beschieden?: “Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.” Das war und ist ordinär und ganz sicher kein erstrebenswerter Stil politischen Umgangs, gewiß, aber es wäre auch im obengenannten Falle treffend, findet jedenfalls
    Kay

  121. Helge Jürgs sagt:

    Zu Friedrichs Aussage, dass es sich aus der Historie nirgends belegen lasse, dass der Islam zu Deutschland gehört, schreibt Jakob Augstein bei Spiegel Online:
    … “Der Jurist und Ökonom, dessen Dissertation ´Die Testamentsvollstreckung an Kommanditanteilen´ behandelt, hatte das Wort Historie vermutlich benutzt, weil es nach einem uraltem Gesetz klingt. Er wollte sagen: Da liegen nicht unsere Wurzeln. Und das wird auch niemand bestreiten. Das gleiche gilt freilich auch für das Frauenwahlrecht und die Promillegrenze am Steuer. Alles in Wahrheit keine Bestandteile alter deutscher oder gar germanischer Überlieferung. Aber Bestandteile der deutschen Gegenwart – und der sollte das Interesse des Innenministers eher gelten als der Geschichte.
    Und dass der Islam – ob es einem gefällt oder nicht – angesichts von vier Millionen im Land lebenden Muslimen zu Deutschland gehört, lässt sich mit gutem Gewissen kaum bestreiten. Außer von einem Innenminister der CSU.” …

  122. Richard Albrecht sagt:

    TALMIWIRTSCHAFT

    I. Den veralteten Ausdruck TALMI[1] kennen manche noch als Bezeichnung von Mode- oder Glitzerschmuck. Technikgeschichtlich handelte es sich um die zuerst in Paris erprobte Produktion von Falschgold. Über eine Kupfer-Zink-Münze wird eine dünne Goldschicht gezogen, so daß die gesamte Münze als Goldmünze erscheint.

    II. Übertragen und verallgemeinert meint TALMI Unechtes und Gefälschtes, das, was im Medienjargon heuer als „fake“ gilt. TALMI hat wie beim Falschgeld immer schon mit Schein, Täuschung und Betrug zu tun.

    III. Auch in Wirtschaft und Gesellschaft[2]: Wie sich zuletzt am Beispiel der Havarie im japanischen Atomkraftwerk März/April 2011 erwies … ist die – angeblich mögliche – friedliche Nutzung des (meist verniedlichend Kernenergie) genannten Atoms weder technisch noch gesellschaftlich möglich.

    IV. Diese antihumane Technik verkörpert wie ihr sozialökonomischer Träger, der teils national, teils international organisiert tätige ATOM-INDUSTRIE-KOMPLEX mit abfälliger Weiterentwicklung militär-industriellen Atombombenbaus, keinen menschlichen Fortschritt. Sondern Vernichtung und Destruktion.

    V. Genau dies veranschaulicht im Sinne von Dr. Robert Jungk (1913-1994) der Ausdruck TALMIWIRTSCHAFT. Eine Sozialökonomie im entwickelten Kapitalismus, der, „seiner ungebändigten Eigenlogik folgend,“ nicht nur „seine kulturellen Grundlagen zunehmend selbst zerstört“[3]. Sondern auch beschleunigt „in die Unmenschlichkeit“ fortschreitet[4].

    [1] Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Hg. Wolfgang Pfeifer (dtv ³1995: 1409-1410)
    [2] Richard Albrecht, SUCH LINGE. Vom Kommunistenprozeß zu Köln zu google.de. Sozialwissenschaftliche Recherchen zum langen, kurzen und neuen Jahrhundert (Shaker 2008: 5-18)
    [3] Richard Albrecht, Von den Selbstheilungskräften zu den Selbstabschaffungstendenzen des Marktes. Zur Kritik des real-existierenden Kapitalismus; in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 42 (1991) 8: 508-515;
    [4] Robert Jungk, Der Atomstaat. Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit (Kindler 1977)

    Dr. Richard Albrecht
    Dr. Wilma Ruth Albrecht

  123. HWK sagt:

    Vor einem Monat war auch im Blättchen die Rede vom TV-Börsen-Gurus Markus Frick, der wegen der wissentlichen Verleitung von Anlegern zum Kauf werftloser Papiere – zu seinen eigenen Gunsten – immerhin vor Gericht gekommen ist. Letzteres hat nun sein knallhartes Urteil gefällt. Denn wiewohl der Betrug (außer natürlich der Verteidigung) erwiesen ist, gibts für finanzpolitisch kriminelle Energie solcherart allemal den Bonus einer Bewährungsstrafe. Nun muss hinzugefügt werden, dass Frick per Vergleich Geprellten bereits über vier Millionen Euro erstattet hat. Setzt man das aber als Minimum einer Buße an, dann bleibt die gerichtliche Strafe das, was sie in vergleichbaren Fällen merkwürdigerweise fast immer ist – ein Witz.
    Seine DVD „Die todsichere Strategie“, sie ist für schlappe 79 Euro zu haben, kann Frick jedenfalls weiter verhökern, und im TV (“Make money”, N24) werden seinem Antlitz auch bald wieder Ratschläge für Anleger entweichen, wetten dass?
    “Justitia, ich wein´ fürchterlich,
    Du gehst auf einen langen —————————————————-.
    Ach, Tucholsky …
    HWK

  124. Wolfram Adolphi sagt:

    Blättchen und Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus (HKWM) können sich jetzt näher kommen. Unter http://www.inkritpedia.de sind die bisher erschienenen Bände 1 bis 7 einsehbar. Die Artikel dort sind von viel größerer aktueller Bedeutung, als es zunächst scheinen mag. Dass möglichst viele die Probe aufs Exempel machen, wünscht sich
    Wolfram Adolphi (Autor hier wie dort; dort zum Beispiel mit “Kaderpartei” und “Kommunistenverfolgung”, aber auch: “Kinder, Kindheit”.)

  125. jaku sagt:

    Auch sehr hübsch, Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung:
    “Es ist ein Treppenwitz, dass Westerwelle soeben, just zum Finale seiner Zeit als Parteichef auf Staatsbesuch in China, eine große Ausstellung zur ´Kunst der Aufklärung´ eröffnet hat. Diese Kunst hat der Parteivorsitzende Westerwelle nicht beherrscht, das ist der Kern des heutigen Elends der FDP. Die Partei ist unmündig geblieben, sie ist unmündiger geworden als sie es je war. Jetzt sucht sie den Ausgang aus der Unmündigkeit, in dem sie Westerwelle mit der Luftpumpe verprügelt, mit der er sie einst aufgepumpt hat.”

  126. jaku sagt:

    Friedrich Küppersbusch in der Taz über den Klageweg von RWE gegen das AKW-Moratorium:
    “So spektakulär hat es kaum ein AKW-Gegner je vorführen können wie jetzt RWE: ´Eine Million pro Tag Gewinn´ wollen die Herren einklagen. Ihre intellektuellen Brennstäbe scheinen aus eitel Eigenthorium gebraten: für den Fall eines Friedens in Afghanistan oder eines Kriegsverzichtes wie in Libyen erwarte ich hohe Schadensersatzforderungen der Rüstungsindustrie.

  127. HWK sagt:

    Zwei Meldungen des Tages:
    1. Japan:
    Die Hinweise auf eine Kernschmelze im AKW Fukushima verdichten sich. Im Grundwasser an der Anlage wurde jetzt eine 10.000-fach erhöhte Strahlung gemessen. Auch Rindfleisch ist mittlerweile belastet. In der Sperrzone können wegen der Strahlengefahr Hunderte Leichen nicht geborgen werden.
    2. Deutschland:
    Der Energiekonzern RWE macht ernst: Das Unternehmen klagt gegen die Abschaltung seines Atomkraftwerks im hessischen Biblis.
    No comment.

  128. Helge Jürgs sagt:

    In volkseigenen DDR-Betrieben gab es vielfach eine “Straße der Besten”; an einer Werksstrasse waren dann die Porträts eben der jeweilig “Besten” unter den Arbeitern und Angestellten ehrend und nachahmungsheischend aufgestellt; Charts würde man heute vermutlich dazu sagen.
    Gäbe es diese feine Tradition hierzulande, dann gehörte Hans-Peter Friedrich, der neue CSU-Innenminister, trotz der Kürze seiner Amtszeit unbedingt dazu; gar zu beeindruckend doch ist seine Leistunsfähigkeit beim Fettnapftreten. Nun hat er uns Landsleute von Jerusalem aus wissen lassen, das es zwar keine Hinweise auf Selbstmordattentäter in Deutschland gäbe, da man aber “das Gefühl habe, dass der Terror in Deutschland angekommen” sei, sei es auch gut, wenn sich die Bevölkerung der Gefahren bewusst werde.
    Angeregt durch diese dialektische Beispielhaftigkeit eines unserer wohl Allerbesten dürfte eine Anschlußaufforderung von Friedrichs FDP-Kollegen Phlipp Rösler nicht lange auf sich warten lassen. Eine der Varianten dafür, wie sie lauten könnte, wäre, die Deutschen dringend vor der Elefantenkrankheit zu warnen. Die kommt bislang zwar nur bei Bewohnern der Tropen vor, und für ihr Auftreten in Mitteleuropa gäbe es zwar keine Hinweise, aber gewarnt hätte man schon mal davor.
    Es ist zu befürchten, dass stimmt, wenn es heißt: Jedes Volk hat die Politiker, die es verdient.
    Helge Jürgs

  129. hwk sagt:

    Schwimmen ihnen die Felle davon, werden sogar Kanzler (und selbstverständlich auch Kanzlerinnen) geläutert und erinnern sich daran, als bestallte Pilitiker eigentlich Diener ihres Wahlvolkes zu sein. Und da es im Fluß um Angela Merkel nur so von davonschwimmenden Fellen wimmelt, hat sie auf dem heutigen Bankentag zugeschlagen und vor der versammelten Finanz-Elite tatsächlich erklärt: “Die Spielregeln der sozialen Marktwirtschaft gelten auch für die Finanzinstitute: Unternehmen, die scheitern, verlassen den Markt”!
    Und: “In der sozialen Marktwirtschaft haben die Banken eine dienende Funktion.”,Vertrauen sei ein Schlüssel zum Funktionieren der Marktwirtschaft, und dieses Vertrauen sei zutiefst erschüttert worden. Die Krise habe das System “an den Rand des Zusammenbruchs geführt”. Es sei ein Sachverhalt, “der nicht wiederholbar ist, sondern aus dem Lehren gezogen werden müssen”.
    Von einer schweren Erschütterung, die diese und weitere geharnischte Worte bei den Bankern ausgelöst haben, ist bislang nichts verlautet worden. Vielleicht gehts denen ebenso wie unsereinem als Wähler: “Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.” (Goethe, Faust 1)
    HWK

  130. Werner Richter sagt:

    Die alltägliche Manipulation
    Ach, was war ich immer stolz, mich als selbständig Denkenden zu wähnen. Dabei blendete ich, damit das funktioniert, die Hinterkopfschere der ML-Glaubensätze aus. Die arbeitete gleichmäßig u. unspektakulär u. pausenlos u. beherrschte ganz bestimmt 99 % meiner Denkvorgänge ohne zu quietschen. In meiner Wahrnehmung lief mein Denksystem zu 100% der Parteilinie konform. Nur, wenn die restlichen 1 % als Fragen zur fehlenden Logik oder zu Widersprüchen, etwa, wenn These x zur Frage A jetzt plötzlich stimmen soll, kann die bisher geltende These y zur Frage B dies nicht mehr abdecken, kam ein Konflikt auf, da war ich Nörgler, Besserwisser, Krümelkacker. Dieses 1%, anfangs waren es nicht viel mehr, reichten, mich immer mehr mit Argwohn u. scheel anzusehen. Ich hatte meinen Vater in ähnlichen Konflikten resignieren sehen können, aber es fraß in ihm weiter, das merkte ich. Für mich kam diese Lösung nicht in Frage, ich ahnte das dann folgende zwangsweise Ende. Natürlich ließ ich soviel wie notwendig Vorsicht walten, ich war doch kein Selbstmörder, jedoch klein bei gab ich nicht, bestenfalls offen lassen: können wir heute nicht klären. In einigen Fällen aus meiner Umgebung konnte ich beobachten, wie Konflikte ähnlicher Art auswuchsen u. der Abweichler letztendlich sich selbstverleugnend schier zu Kreuze kroch, um die Karriere zu retten. Auch ich war das eine oder andere Mal, wenn auch mit erbärmlichen Gefühlen, daran beteiligt. Herdentrieb .Das erzeugt mir noch heute Lauheit im Bauch, aber: Wer wirft den ersten Stein? Auch ich hatte u. habe Angst, die will erst mal gemeistert sein. Für den, der geistig etwas wacher als die Masse der Parteimitglieder war u. diesen Zusammenstößen ausweichen wollte, gab es den schönen Rat des Zynismus: Lernen, mit der Parteilinie zu schwanken u. man konnte Naumann oder Schabowski werden. Die ganz Schlauen hatten zur Konfliktvermeidung das Zauberwort „Nicht zuständig“ parat. Folgte man dem nicht, sondern blieb bei seinen eigenen Erkenntnissen, die man auch nicht verleugnete, ohne damit hausieren zu gehen, geriet man ins Abseits u. unweigerlich in die Konfrontation, aus der zum Schluß die Entfernung aus dem erlauchten Kreis der Partei mit beruflichen Konsequenzen resultierte, da gab es keine Halbheiten. Aus dem 1 % waren mehr geworden, denn eine ungelöste Frage brachte die nächste u.s.w. Wer die anschließende Verzweiflung erlebt hat, hatte nur einen Halt: Ich habe mir mein selbstständiges Denken bewahrt, das war es wert. Ich war der Manipulation entwichen, dachte ich, denn ich hatte entschieden: Du gehörst ja gar nicht dazu, weil „sie“ deine Partei usurpiert hatten, auf daß sie falsche Wege ging. Es müßten bloß „sie“ weg, die Richtung korrigiert werden u. die neue Gesellschaft könnte sich tatsächlich noch entwickeln. Grandioser Irrtum, den mir ein einfacher Arbeiter in der Umbruchzeit traurig lächelnd urplötzlich hellklar machte: Zu spät, 1953 vielleicht, jetzt nicht mehr möglich! Nicht im Entferntesten für noch existent gehalten purzelten mir die verborgenen Illusionen auf die Füße. Statt vermuteten 99 % Durchblick hatte ich höchstens 50 erreicht, rein quantitativ gerechnet. Qualitativ sah es noch ärger aus, ich hatte die Geburtsfehler des politischen Systems einfach übersehen. Schuld daran war nicht zuletzt, die geläufige Terminologie u. damit deren Inhalte nicht in Frage gestellt zu haben. Die alltägliche Manipulation funktionierte von mir unbemerkt weiter. Die Überwindung dieses Stigma gelang mir weitgehend, völlig wäre wohl wieder illusorisch, mit Marxens Maxime: Alles ständig in Frage stellen!
    In der jetzt mich umgebenden Gesellschaft, ich habe mir aus guten Gründen einen Schubladenaufkleber dafür versagt, trifft mich täglich eine diffizilere Manipulation, die auch mit allgemeinen Begriffen wie Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit, Recht, Volksvertretung u.ä. operiert. Das ist leicht zu durchschauen, da bereits hinreichend geübt. Doch es gibt darüber hinaus eine Vielzahl von an sich harmlosen Sprachregelungen in Politik u. Medien, die hier schon von anderen ausführlich beschrieben wurden, u. die einem Fischschwarm gleich von unbestimmbarer Stelle aus wie durch Zauberhand alle Interpretationen in die gleiche, oft wechselnde Richtung gleiten läßt. Jetzt wurde uns die jahrzehntelange ungeheuerliche Gehirnwäsche pro Kernenergie, am japanischen Volk geübt, demonstriert. Siehe, unsere Medien/Politiker sprechen die Wahrheit u. nichts als diese! Ja, es werden zudem recht unverblümt Fakten der fortwährenden Regierungs- u. Konzernmanipulation während der Katastrophe benannt, bemerkenswert ist das schon. Und es läuft vor aller Augen u. Ohren die Diskussion über die Gefahren der Kernenergie. Es wird über die Ausbreitung der radioaktiven Verseuchung vor Ort berichtet, man übernimmt dabei die Sprache der Lenker vor Ort. Der dominierende Maßstab dabei ist die Dosimetrie, also die Grenzwerte der aufgenommenen Strahlenbelastung, u. die „immaterielle“ Strahlung, die ersteres bewirkt, die Gamma-Strahlung. Kein einziges Wort zur „materiellen“ Strahlung, die Alpha- u. Beta-Strahlung, die von der Aktivierung von Staubteilen durch die Sofort- u. Gamma-Strahlung ausgelöst wird. Es wird so getan, als ob wegen deren geringer Strahlungsintensität, sie liegt ja weit unter den zulässigen Werten u. auch denen der natürlichen Strahlung, keine Gefährdung vorläge. Keine Gefahr? Es ist unverantwortlich, die natürliche „immaterielle“ Strahlung mit der geringen, aber „materiellen“ Alpha- u. Beta-Strahlung zu vergleichen. Es kann Unwissenheit eine Rolle spielen, aber wer in die KC-Abwehr- Problematik auch nur gerochen hat, weiß, hier wird ein fundamentaler Fehler begangen. Die Staubwolken aus dem Katastrophengebiet werden in sehr großen Höhen über sehr große Entfernungen getragen, so wie der Saharastaub ins Amazonasgebiet, so wie der Wind aus Richtung Tschernobyl nach Oberbayern, wo heute noch das Wild nach dem Schuß noch sonderentsorgt werden muß. Denn die jetzt aktiven Elementarteilchen aus dem Bereich der Mikro- u. Nanoabmaße mit „zu vernachlässigender“ Strahlungsintensität, Alpha- u. Beta-Strahler, sind die größte, weil im Einzelfall kaum nachweisbare u. abzuwendende Gefahr. Beim Auftreffen u. Verbleib z. B. auf Schleimhäuten erzeugen sie dort mit hoher Sicherheit Tumore. Ich habe den nicht aus der Luft gegriffenen Verdacht, dieser Zusammenhang wird unter den Teppich gekehrt, da er so gar nicht in das schöne Bild von den Restrisiken paßt, das so schön einlullt. Damit ist die zweite mir aufstoßende Manipulationslinie benannt. Sind es wirklich Restrisiken? Ist es nicht vielmehr ein dem Kernspaltungsprozeß inne wohnendes Grundrisiko, das bei genügend vielen Energiegewinnungsversuchen todsicher außer Kontrolle geraten muß u. immer präsent sein wird, unabhängig von wie vielen zusätzlichen äußeren Kontrollmechanismen, die diese Gefahr zu minimieren vorgeben, tatsächlich jedoch den Überblick nach dem Crash erschweren? Die Umdeutung nach der Formel: Grundrisiko + Sicherheitsmaßnahmen = Sicherheit + Restrisiko ist nichts als ein Taschenspielertrick , der die Gefahren, von den Abfallproblemen, die allein schon dem Wahnsinn nahe kommen, mal abgesehen, ins Unwahrscheinlichen verschwinden lassen soll. Im Bewußtsein, nicht in der Realität. In der Realität gieren die Stromkonzerne nach dem für sie billigsten Strom, der für die Gesellschaft nach vollständiger volkswirtschaftlicher Kalkulation schon immer der teuerste war. Die Spitzenlobbyisten der Konzerne in Regierungsverantwortung hier bei uns ließen der Gesellschaft heimlich die größten Kostenposten unterschieben, was dann die Kernenergie lukrativ macht. In Japan redete man den Leuten ein, daß leider keine anderen Energiequellen wegen der geographischen Besonderheiten zur Verfügung ständen. Das war noch unverschämter gelogen. Ich bin kein Experte, nur interessierter Laie, aber mir ist noch aus den 60-er Jahren die weltweit betriebene Prognose zu Gezeiten- u. Vulkankraftwerken in Erinnerung. Japan hätte nach meiner Schätzung gerade für diese Technologien ideale Voraussetzungen gehabt. Von konzentrierter Forschung u. Entwicklung in diese Richtungen habe ich jedoch bis heute nichts gehört, von Kernforschung schon. Letztere boten den Konzernen die höchsten Profite mit für sie geringstem Aufwand.
    Und so empfangen wir Millionen schon tagelang staunend die neuesten Schweinereien zur Katastrophe u. werden am Ende mit schonend frisch gewaschenem Gehirn viel klüger sein. So profan wird unsere so schöne Welt manipuliert.

  131. Messenger sagt:

    Zu Schnappauf wäre noch anzumerken, daß er vor Antritt seines Jobs auf dem Olymp der Industrie bis 2007 Politiker war, nämlich Bayerischer Staatsminisminister für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz.
    Unsere Politmanager… allzeit verfügbar und austauschbar. Mal sehen, auf welchem Posten Schnappauf demnächst wieder auftauchen wird. Vielleicht als Generalsekretär des “Verbandes unabhängiger deutscher Protokollanten” oder für den “Dachverband Deutscher Forschungsinstitute zur Weiterentwicklung der Geheimschrifttinte”.
    Man weeß ja sowenich…

  132. HWK sagt:

    Nach dem peinlichen Bekanntwerden von Brüderles – immerhin ehrlichem! – Geplapper bei seinen Vorgesetzten im BDI ist nun dessen Hauptgeschäftsführer Werner Schnappauf zurückgetreten.
    Es ist halt, wie mans kennt: Der Bote ist immer der Dumme, war Schnappauf doch irgendwie auch für die Protokollführung im BDI zuständig. Der Quelle der polituntypischen Offenheit gehts dem Vernehmen nach gut.
    HWK

  133. HWK sagt:

    “Der Opportunismus geht zum Regieren, bis er bricht.” –
    So Heribert Prantl in der heutigen “Süddeutschen”.
    Ein gar trefflicher Satz, findet
    HWK

  134. Hundert Fragen, auf die wir jetzt eine Antwort haben wollen. Schluss mit den Lügen!
    Auch auf die Gefahr hin, dass man meine Worte für pietätlos hält. Bestimmte Fragen lassen mich nicht mehr los: Ist irgendwer darauf vorbereitet, dass die Meiler in Fukushima doch noch hoch gehen – jetzt, da das mit dem Meerwasser offenbar nicht funktioniert? (Salzkrustenbildung sperrt Kühlwirkung!)
    Tagt irgendwo in Europa/in Deutschland die Ethik-Kommission? Oder wartet man hübsch brav, bis alles explodiert? Sicher: Wir müssen jede Panik vermeiden. Doch was machen die Japaner mit ihren Strahlenopfern, was die Auslandsflughäfen mit verstrahlten Einreisenden. Wird im Ernstfall eher würdelos der Geigerzähler in Stellung gebracht – vielleicht im Gegenverkehr zu den Körperscannern, und wie verfährt man mit denen, die kontaminiert sind? Verhängen wir Einreisesperren, werden japanische Waren boykottiert, und wenn ja: welche? Welches sind überhaupt die zulässigen Strahlungs-Höchstwerte für Importprodukte unterschiedlicher Art, und wie kontaminiert ein Mensch einen Menschen?
    Wo bitte begraben die Japaner ihre Strahlenopfer? Im nuklearen Zwischenlager, oder einfach in verstrahltem Gelände, dort, wo sie von den Angehörigen gar nicht oder nur in Schutzanzügen besucht werden dürfen. Was trinken Menschen in einer Stadt wie Tokio, wenn das Trinkwasser stärker als bisher verseucht wird? Was essen sie, wenn Lebensmittel beargwöhnt und knapp werden? Wie lange noch werden die zerstörten Anlagen von Fukushima kontaminierte Stoffe ausstoßen − für den Fall, dass es gelingt, den Gau zu verhindern, aber auch für den Fall, dass der Gau stattfindet. Auf welche Strahlenwerte muss man dann gefasst sein – in unmittelbarer Nähe der Anlagen, im Umkreis von 30 …. 80 km, in Tokio, in Osaka, in Fukuoka?
    Welcher der verantwortlichen TEPCO-Manager, welcher Verantwortliche der Regierung haben sich in den vergangenen Tagen in die Nähe der zerstörten Reaktoren begeben? Wer ist dafür verantwortlich, dass einige der Liquidatoren stundenlang mit ihren Füßen in Abklingbecken eines der Reaktorblöcke stehen? Wie kann es sein, dass man die für Menschen zulässige Strahlendosis einfach nach oben korrigiert, nur, um die Liquidatoren länger in die Verstrahlung schicken zu können? Werden die Verantwortlichen von TEPCO wie Verbrecher behandelt und lebenslang in einem der Reaktoren angekettet? Kommt der, der den Löschkommandos bei Verweigerung ihres Dienstes mit Strafe gedroht hat, lebenslang ins Zuchthaus. Muss die gesamte japanische Regierung zurücktreten und der Ministerpräsident in Haft. Müssen sämtliche zuständigen Verantwortlichen der japanischen Atomkontrollbehörde wegen Bestechlichkeit und Verletzung der Sorgfaltspflicht einsitzen?
    Wie ist es möglich, dass Frau Merkel uns Deutschen kaltschnäuzig ein Moratorium unterjubelt, das sich jetzt als reiner Wahlkampfkatalysator für die CDU entpuppt? („Fauxpas“ Brüderle!) Kann man dieser Kanzlerin, die pausenlos als Sprachrohr der deutschen Finanzoligarchie und deutscher Wirtschaftsbosse unterwegs ist und uns jetzt noch billig hinters Licht zu führen versucht, auch nur einen weiteren Tag Regierungszeit zubilligen? Wie ist es möglich, dass EU-Kommissar Günther Oettinger in seinem Wahlkreis vollmundig verkündet, dass es in Deutschland nie ernsthafte KKW-Vorfälle gegeben habe? Wo es doch Mitte der 1980er Jahre in Biblis beinahe zur Kernschmelze gekommen wäre.
    (http://www.spd-beerfelden.de/index.php?nr=11681&menu=1.; http://www.daserste.de/doku/beitrag_dyn~uid,nkg87dmzb2yaxwho~cm.asp ) Die deutschen AKWs sollen die sichersten sein. Das beten inzwischen auch die Betriebsrats- und Gewerkschaftsvertreter der in Kernkraftwerken Beschäftigten nach. Weil es nicht genügend Aufklärung, Bereitschaft zur Abwägung und alternative Arbeitsangebote gibt.
    Wo bitte gibt es federnd und in Etagen gelagerte Notstrom- und Kühlsysteme mit jeweils zwei bis drei Bypässen? Wo eine (endlos lieferbereite) Diesel-Standleitung für Notstrom- Aggregate? Wo gegen Terrorakte geschützte Zwischenlager für ausgediente Brennelemente? Wo regelmäßige Schweißnahtkontrollen für Schutzbehälter und prophylaktischen Austausch von kontaminierten Ausrüstungen?

  135. Herbert Wilkow sagt:

    Warum sind Sie sich so sicher? Weil wir wieder mal eine Schicksalswahl haben?
    “Das Schicksal des Menschen ist der Mensch” sagte Brecht. Besagter Mensch kann auch mal ein Schwabe sein, unter einem Schicksal verstehe ich aber denn doch etwas noch viel Schlimmeres.
    Ansonst dürfte gelten: Die Planer planen, und das Schicksal lacht dazu! (leider nicht zu autorisieren, wahrscheinlich vom Leben persönlich geschrieben).
    H. Wilkow

    • Kay Bliewand sagt:

      Lieber Herr Wilkow, danke für den Nachtrag. Was “die Planer” betrifft, wurde im Kabarett jüngst ein schönes Sprichwort zitiert, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte: “Planung ist nur der Ersatz des Zufalls durch den Irrtum.” Pfui, wie gemein …

  136. Kay Bliewand sagt:

    Das Blättchen hat ja sein schönes Horrorskop. Ich würde gern nachgetragen haben, dass in diesem Jahr mit dem Fall von Schwarz/Geld (ha: schöner Tippfehler!), mindestens aber von Merkel gerechnet werden darf. Das würde zwar für Deutschland nicht wirklich viel bedeuten, eine kleine Genugtuung wärs mir aber schon.
    Kay

  137. Helge Jürgs sagt:

    Oh shit – da ist dem Brüderle (bei einem Auftritt vor dem BDI, der einen Wirtschaftsminister im Unterschied zur Öffentlichkeit freilich zu wahren Aussagen veranlasst) unterlaufen, seiner Herrin in die Suppe zu spucken. Denn entgegen deren Versicherungen, dass das AKW-Moratorium niemals nichts mit dem Wahlkampf zu tun habe, hat nun Brüderle (siehe Süeddeutsche Zeitung) auf Nachfrage des BDI-Präsidenten verlautbart ,dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien”.
    Null Überraschung, aber dennoch schön, wenn als Lüge offenbart wird, was als solche bereits mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu vermuten gewesen war.
    Helge Jürgs

  138. Lieber Thorsten Koppusch!
    Zuerst möchte ich Ihnen für die freundlichen Worte danken und mich für die Verzögerung dieser Antwort entschuldigen, die mir ein wenig Nachdenken abverlangte! Mit Ihrer Frage haben Sie mich auf ein „weites Feld“ geführt, wie Theodor Fontane in seinem Roman den Gutsbesitzer von Briest hat sagen lassen.
    Ich habe nämlich mit den „Gesellschaftsformen“, hier und heute insbesondere „Demokratie“ so meine Schwierigkeiten, die mir in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind und sich entwickelt haben. Ich weiß heute nicht mehr so recht, was das ist: „Demokratie“, „Kommunismus“, „Sozialismus“ (auch „demokratischer“), „Kapitalismus“. Was ist, wo beginnt und endet und wo existiert(e) das eine und das andere? Ich bin mir nicht einmal mehr sicher, was da gut, besser oder weniger gut ist. (Hitler ist „demokratisch“ an die Macht gewählt worden, Gaddafi begann, wenn ich mich recht erinnere, seine Machtkarriere als putschender Offizier und Hoffnungsträger des Volkes, andere Politiker machten eine Metamorphose vom befreiten Häftling zum Diktator durch (Beispiel E.H.), und die regierenden „Demokraten“ Westeuropas sind selbst Opfer einer Diktatur der Wirtschaft und ihrer Lobby, also der Märkte, aber auch des Wahlvolkes, das nicht solide, langfristige, oft mühevolle Strategien honoriert, sondern „Spitzenerfolge“ bei der Jagd nach Wohlstand auf weniger als Fünfjahressicht. Verweisen möchte ich auch auf die Rolle einer (käuflichen?) Wirtschafts- und Gesellschaftswissenschaft, die seit anderthalb Jahrhunderten ein fest gefügtes System von Dogmen errichtet hat, von dem das gesellschaftliche Bewusstsein so tief geprägt wurde, dass ein freies, vorurteilsfreies Denken der Wissenschaftler selbst kaum noch möglich zu sein scheint und bei Politikern und Wirtschaftspraktikern schon gar nicht. Sie alle denken nur noch an und in Geld und sonstigen Finanzgrößen. Das Wirtschaften hat sich für sie auf den Umgang mit und die Vermehrung von Geld reduziert. Es bedurfte der Klima- und Reaktorkatastrophen, um CO2 und Strahlungsrisiken ins Bewusstsein der politischen Entscheidungsträger zu bringen.
    Inzwischen bezweifle ich auch den Sinn von Definitionen und verzichte nach Möglichkeit auf den Gebrauch unklarer (Totschlag-)Begriffe wie die oben genannten. Ich habe mir angewöhnt, nach den Ursachen bestimmter gesellschaftlicher Erscheinungen zu fragen. Denn mir scheint es in der Natur der Sache zu liegen, dass gesellschaftliches Handeln immer einer Koordinierung, also auch des Wirksamwerdens von Koordinierenden („Führern“) und „Geführten“, sich Unterordnenden bedarf. Und von den vielfältigsten Bedingungen, äußeren und inneren Umständen (z.B. vierzigjähriger Kalter Krieg zwischen West und Ost) sowie historischen Traditionen usw. hängt es wohl ab, wie viel Herrschaft einerseits und individuelle Freiheit bzw. Eigenverantwortung andererseits ein gesellschaftliches System (Staat/Staatengemeinschaft) braucht, um stabil zu sein, sich zu erhalten, zu funktionieren. Das alles sind dynamische Prozesse, die eine fortlaufende Anpassung der gesellschaftlichen Strukturen und Organisationsformen bzw. der Funktionsweisen des gesellschaftlichen Lebens erfordern – sei es durch (friedliche, freiwillige) Reformen oder durch Gewalt im Gefolge von Revolutionen.
    Ich vermag also keine alternative Gesellschaftsform (zur heutigen) zu sehen bzw. zu denken, Herr Koppusch. Ich erwarte, halte für wahrscheinlich eine Reform der heutigen Gesellschaft, der Art und Weise ihres Denkens und ökonomischen Handelns, sicherlich auch ihrer Strukturen, ihres Rechtssystems usw. Das wird sicherlich ein ziemlich qualvoller Prozess von Reaktionen auf Krisen aller Art werden, denn erstens wird ein Umdenken nur schrittweise vor sich gehen und sich nicht in einem neuen „Modell“ – welcher Gesellschaft auch immer – manifestieren, und zweitens wird es ein globaler Prozess sein müssen, der das Handeln der Weltgesellschaft betreffen wird und in der praktischen Umsetzung funktionieren muss. Das halte ich nur in einzelnen Schritten für möglich. Entscheidend wird dabei wohl ein ökonomisches Umdenken sein müssen. Wir brauchen eine neue, realistische Vorstellung davon, was den Reichtum der menschlichen Gesellschaft ausmacht, wie er entsteht (nämlich durch Arbeit – das entdeckte schon Adam Smith im 18. Jahrhundert), wie er verteilt werden muss, damit die Weltgesellschaft harmonisiert wir und welche Rolle das Geld dabei spielt, was es seinem Wesen nach heute ist, wie es demzufolge zu funktionieren hat.
    Ich kann das alles hier natürlich nicht weiter ausführen. Nur so viel: Aufklärung ist notwendig, Befreiung von der Illusion, die heutige Gesellschaft ließe sich noch mit Begriffen erfassen oder leiten, die vor anderthalb Jahrhunderten und mehr geprägt wurden. Die ökonomische Basis der Gesellschaft hat sich grundlegend gewandelt, und es ist allerhöchste Zeit, den politischen und geistig-kulturellen Überbau der veränderten materiellen Basis (sicherlich schrittweise) anzupassen, beispielsweise durch ein Rechtssystem, das den gesellschaftlichen Charakter des Produktions- und Finanzsystems anerkennt, ebenso das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft, und das die Kompetenzen der ökonomischen Akteure im notwendigen Maße definiert/beschränkt (beispielsweise Mindestlöhne und Höchsteinkommen, Grenzen für die Verfügung über Geld- und Finanzvermögen und überhaupt Grenzen für solche Bestände, so dass der Anreiz zur sinnlosen Vermehrung von Geld- und Finanzbeständen, zum sinnlosen Raubbau an der Natur und zur Zerstörung unserer Umwelt verlorengeht, u.v.a.m.).
    Gewiss ließe sich noch viel mehr sagen, aber für heute soll dies genügen. Ich grüße Sie!
    Ihr Heerke Hummel

    • Thorsten Koppusch sagt:

      Lieber Heerke Hummel,
      danke für Ihre ausführliche Antwort. Und für die Ehrlichkeit, eine verbindliche Voraussage dafür, wie und wohin genau sich unsere derzeitige Gesellschaft entwickeln wird – oder gar “gesetzmäßig entwickeln muß” nicht leisten zu können. Sicherlich haben diejenigen, die da – auf der Basis fester Überzeugungen alle möglichen Couleur – Bescheid zu wissen meinen, es mit sich leichter, ersparen Zweifel doch z.T. qualvolles Nachdenken; nur eben ist auch mir das meistens nur noch suspekt.
      Ich teile Ihre Position weitestgehend und bin Ihnen dankbar, dass Sie diese Ihrem Beitrag im Blättchen auf diese Weise erweiternd nachgetragen haben. Wem Bescheidwisser wichtiger sind, der lese den “Rotfuchs”, deren Autoren schon seit Jahrzehnten Bescheid wussten und sich dieses glückliche Selbstbefinden bewahrt haben.
      Mit freundlichen Grüßen,
      Th. Koppusch

  139. Der großmannssüchtige, zu kurz geratene Sarkozy ist kampfhaft bemüht, sein katastrophales innenpolitisches Image zu liften und lässt dafür ein paar Libyer bluten; Obama schickt eher lustlos (weil: „es ist nicht eigentlich seine Option“) ein paar Tomahawks auf Menschen, die er aus der Ferne nicht ausmachen kann; die Briten halten ebenfalls rein und schnauzen, weil die Deutschen wieder mal nicht mitmachen; die Nato kämpft mit Auflösungserscheinungen, weil einige Länder (von denen spricht man eher nicht) die militärische Beteiligung gegen Libyen ablehnen; die PopulistInnen Wieczorek-Zeul und Nahles befürworten den Waffengang gegen Libyen, obwohl sie die politischen Konsequenzen aus den verbrecherischen Bombardements nicht abschätzen können, oder sie reden wider besseres Wissen, weil sie rein wahltechnisch den Kontrast, die farbliche Absetzung ihrer EX-Arbeiter-Untergangs-Partei zu schwarz-gelb brauchen; Grünen-Krieger Fischer (in Jugoslawien ohne UN-Mandat beim Reinballern erwischt, im Nachhinein schon immer für den Irakkrieg – leider war Schröder stärker, heute für eine Beteiligung der Bundeswehr in Libyen) soll mit anderen Pudeln (Tony Blair lässt grüßen!) gegen Merkel und Westerwelle hetzen, weil die aus Landtagswahl-Kalkül das Moratorium und die Enthaltung bei Libyen erfunden hätten (das hat bei ähnlicher Sachlage – Irak – schon mal den Wahlsieg für Schröder beschert); die Türken schmollen, weil sich Sarkotzi auf Kosten der muslimischen Brüder profilieren möchte, die Russen sind sauer, weil sie um ihre Milliarden-Geschäfte mit Gaddafi fürchten und nostalgisch dem Grünen Buch nachtrauern (niemand schreibt übrigens darüber, weil da ein paar nette PRO-Gaddafi-Dinge drin stehen), die Chinesen sagen so gut wie nichts, weil sie lieber Geschäfte machen als sich politisch zu verzetteln, die Katarer nehmen Flugstunden usw. usw. etc. etc. etc

  140. Noli sagt:

    Zum Beitrag „Die japanische Lektion“ von Gabriele Muthesius im Blättchen 06-2011

    Schon ziemlich zu Beginn der aktuellen Debatte über die Zukunft der Kernenergie hat sich der Soziologe und Risikoexperte Ulrich Beck zu Wort gemeldet und unter anderem geschrieben: „In Japan haben wir gelernt, dass die Vorbereitung auf jeden bislang denkbaren Unglücksfall zu wenig ist. Auch das Undenkbare … muss berücksichtigt werden. Wie man das Unkalkulierbare, das Undenkbare mit hinein nehmen kann in die Genehmigungsverfahren, wird einer der wesentlichen Punkte der nun einsetzenden Debatte sein … Bei Risiken, wie denen der Kernindustrie, … darf es auf keinen Fall zur Katastrophe kommen. Wir müssen also auf jeden Fall vorbereitet sein. Das ist aber nicht möglich. Und das wissen wir.“ (Berliner Zeitung, 14.03.2011)

    Man könnte versucht sein, Beck zuzustimmen, hätte es – Gabriele Muthesius weist in ihrem Blättchen-Beitrag darauf hin – vor Japan nicht Harrisburg, Tschernobyl und bisher etwa 4.000 sicherheitsrelevante Zwischenfälle weniger dramatischer Art in kerntechnischen Anlagen allein hierzulande gegeben. So gesehen haben wir in Japan wenn, dann allenfalls dies gelernt – dass wir nämlich bisher praktisch nichts dazugelernt haben!

    Dabei sind die grundsätzlichen Erkenntnisse, um die es geht, eher von vorgestern denn neu. Bereits von 1984 stammt zum Beispiel das Buch Normal Accidents. Living with High-Risk Technologies des Amerikaner Charles Perrow (deutsch 1987 bei Campus unter dem Titel Normale Katstrophen. Die unvermeidlichen Risiken der Großtechnik). Perrow richtete den Fokus auf „„jene Eigenschaften von hochriskanten Technologien, die darauf hindeuten, daß es trotz noch so effizienter herkömmlicher Sicherheitsvorkehrungen zu einfach unvermeidlichen Unfällen kommt“ und konstatierte: „Das ist keine gute Nachricht über Systeme, die ein hohes Katastrophenpotential aufweisen, wie z. B. Kernkraftwerke …“

    Konkret führte Perrow unter anderem aus: „Die meisten Hochrisiko-Systeme weisen einige spezielle Eigenschaften auf, die unabhängig von ihren manifesten Gefahren (Giftigkeit, Explosivität etc.) Systemunfälle zu etwas Unausweichlichem, zu nachgerade ‚normalen’ Unfällen machen. Das hängt mit der Art und Weise zusammen, wie Störungen miteinander interagieren können und wie das System innerlich verknüpft ist … Im Grunde genommen ist das hier vorgetragene Argument recht einfach. Nehmen wir irgendeine Produktionsanlage, ein Flugzeug, ein Schiff, ein biologisches Laboratorium oder ein anderes System, das sich aus einer Vielfalt von Komponenten (Bauteilen, Verfahren, Operateuren) zusammensetzt. Nehmen wir zwei oder mehr Betriebsstörungen bei Komponenten, die auf eine Weise miteinander in Interaktion treten, die niemand vorher erwartet hatte. Keinem wäre es vorher in den Sinn gekommen, daß ausgerechnet dann, wenn X ausfällt, auch Y ausfallen kann und nun beide Defekte so miteinander interagieren, daß sowohl ein Feuer ausbricht als auch der Feueralarm ausfällt. Weil zunächst niemand dieser Interaktion auf die Spur kommt, kann auch niemand wissen, was zu tun ist. Das Problem ist eben so beschaffen, daß kein Konstrukteur vorher daran gedacht hat. Beim nächsten Mal wird die Konstruktionsabteilung ein zusätzliches Alarmsystem und eine zusätzliche Löschvorrichtung vorsehen, die dann jedoch möglicherweise ihrerseits drei zusätzliche unerwartete Interaktionen zwischen zwangsläufig auftretenden Störungen zulassen. Diese Tendenz zu Interaktionen zwischen Betriebsstörungen oder -ausfällen ist eine Eigenschaft des Systems und nicht die eines Bauteils oder eines Operateurs.“ Perrows Fazit: „Es wird uns nie gelingen, jedes Risiko aus risikoreichen Systemen zu eliminieren …“

    Wer, wie Angela Merkel, angesichts des Geschehens in Japan eine Ethikkommission zur Zukunft der Kernenergie einberuft, der unternimmt im besten Fall den überflüssigen Versuch, das Rad wieder einmal neu zu erfinden. Dies der promovierten Physikerin Merkel zu unterstellen wäre naiv. Also gehen wir besser vom schlimmsten Fall aus – auf Zeit spielen, beschwichtigen, Rhetorik statt Kurswechsel, um möglichst viele Meiler noch auf Jahre am Netz zu lassen. Solche Verhaltensmuster hatten in der Vergangenheit immer dann Erfolg, wenn die Öffentlichkeit sich einlullen ließ …

  141. Helge Jürgs sagt:

    “Erneut haben die alliierten Truppen zur Durchsetzung der Uno-Resolution gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi Ziele angegriffen. Der arabische Sender al-Dschasira berichtete von Attacken auf Einrichtungen der Marine in Tripolis” – so haben uns die Nachrichtenagenturen heute wissen lassen. Schön zu wissen, daß in die Sicherung eines Flugverbots neben den hoch-fliegenden Herrschafts-Ambitionen des Diktators auch Luft-Schiffe einbezogen werden.

  142. Thorsten Koppusch sagt:

    Lieber Heerke Hummel,

    Für die Nüchternheit, mit der Sie die aktuellen Prozesse in Ägypten bzw. Nahost überhaupt beleuchten, meinen Respekt. Ein wirklich sehr guter Beitrag (unter weiteren in dieser Ausgabe, Glückwunsch!).

    Nur in einem belassen Sie es leider nur bei einer mehr oder weniger beklagenden Zustandsbeschreibung, deuten bedauerlicherweise nicht einmal an, worin eine sinnvolle Alternative bestehen könnte:
    “Wahnsinnige brachten die Völker der Erde seit einem Jahrhundert immer wieder an die Macht, von Wahnsinnigen ließen sie sich verführen, um sich dann von ihnen zu befreien oder befreien zu lassen. Und sie nennen es noch immer Demokratie, an die sie glauben wie an einen paradiesischen Zustand – bis die Realität des Elends sie aus dem eigenen Wahn reißt. Dann folgt der nächste demokratische Akt, der nächste Umsturz, um in die nächste Malaise zu münden, die sich von der vorigen nur durch die handelnden Personen und vielleicht noch durch ihren inneren Mechanismus unterscheidet.”………….
    Gewiß, das ist so. Wenn es aber trotz des Selbstverständnisses demokratischer Gesellschaftszustände so ist und also eben schlecht, fruchtlos, ja furchtbar – welche Gesellschaftsformen wären denn die Alternative? Diktaturen (zu denen die “sozialistischen Demokratien” ja doch wohl auch gehörten) ? Anarchien? Demokratischer Sozialismus; je, vielleicht – der wäre aber erstens noch genauer zu definieren und zweitens – wenn er denn die Möglichkeit hätte, sich irgendwo zu etablieren – hätte er sich zu realisieren. Und das dann mit Sicherheit erneut gegen objektive und subjektive Widerstände, die ihrerseits wiederum Gewalt in irgendeiner Form vonnöten machen müßte, und so weiter, und so fort…
    Ist es denn – wenngleich tief ernüchternd – nicht eben doch so, wie Churchill zugeschrieben wird, daß die Demokratie die schlechteste aller Regierungsformen sei – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.

    Ihr Thorsten Koppusch

  143. HWK sagt:

    „Kein Kriegseinsatz in Libyen“ nur gegen „Mehr Krieg in Afghanistan“. Erinnert an Junkies, die als Entzug Methadon nehmen und irgendwann Heroin und Methadon gleichzeitig.” – Friedrich Küppersbusch in der heutigen Taz.

  144. Die Redaktion sagt:

    In memoriam Wolfgang Sabath

    Vertrackt
    Marina Achenbach und ich gaben im längst gestorbenen Verlag »Elefanten Press« eine Buchreihe heraus, »Querköpfe«. Wolfgang Sabath schrieb über Gregor Gysi und Stefan Heym. Er nervte, pusselte, nuschelte. Er fürchtete, beim Porträtieren zu gefügig, zu zahm zu sein. Er wollte kühl sein, aber die großen Augen – sie konnten sagenhaft glühen. Der Volkswirtschaftler, Jahrgang 1937, war Redakteur bei der FDJ (»Forum«), dann beim »Sonntag«, mit dem er zum »Freitag« wurde. Ein linker Kulturkritiker, parteifern, uninteressiert an Hierarchien. Er schrieb Bücher und satirisch angetupfte Kolumnen in »Utopie kreativ«. Als »Blättchen«-Herausgeber war er einer der sehr energischen »Weltbühnen«-Retter, das Rot als Grundfarbe. Viel ist über einen gesagt, der regelmäßig für eine Straßenzeitung schrieb. Er glich den bärtig Vertrackten, die durch Stücke des fast vergessenen (also nach wie vor brauchbaren) Iren O’Casey geistern: gewollt bärbeißig, listig, immer schelmisch Lust auf einen Zorn. Nun ist Wolfgang Sabath, 73, in Berlin gestorben.
    H.-D. Schütt

    Aus: ND, 14.März 2011

  145. Gaddafi muss weg, aber nicht so!
    Gaddafi mit der Ankündigung einer Flugverbotszone unter Druck zu setzen, schien angebracht. Gleichwohl hätte ich es für richtiger gehalten, alle Möglichkeiten des wirtschaftlichen Embargos auszuschöpfen, auch solche, die westliche Öl-KÄUFER getroffen hätten. Die Tatsache, das China, Russland und Deutschland ein militärisches Vorgehen gegen Libyen abgelehnt haben, dass die Arabische Liga sehr widersprüchlich auf das Vorgehen des UNO-Sicherheitsrates und der Nato reagierte und Vertreter der afrikanischen Union an den derzeit in Paris laufenden Sondierungsgesprächen nicht teilnehmen, müsste den „militanten Eiferern“ – vor allem denen aus Paris – zu denken geben. In Mauretanien unternehmen o. a. Afrikaner jetzt den letzten Versuch, eine Verhandlungslösung zu erreichen, während Gaddafis Truppen allen Waffenstillstandsbekundungen zum Trotz Bengasi bombardieren. Niemand kann glauben, dass militärische Schläge aus der Luft in dieser Gemengelage Sinn machen. Zumal noch immer keine Einigkeit darüber herrscht, wer wann … was. Jetzt, da die Panzer und Geschütze Gaddafis in den Städten Deckung finden, ist deren Ausschaltung kaum mehr möglich – ohne die Zivilbevölkerung ernsthaft zu gefährden. Was bleibt, ist die Liquidierung von Luftwaffe und Luftabwehrstellungen.
    Wir wissen nicht, was die nächsten Tage bringen werden. Ob es zu schweren Bombardierungen durch die Luftstreitkräfte einzelner Staaten oder aber der Nato kommt und wie diese von den unterschiedlichen Volksgruppen und Gefolgschaften in Libyen aufgenommen werden. Selbst wenn die Aktion vom Sicherheitsrat gedeckt ist (man bedenke, wer ihn dominiert. Hier gibt es kein wirkliches Votum der Völkergemeinschaft, wie das permanent zitiert wird!), dürfte sich die Stimmung, sobald erste zivile Opfer zu beklagen sind, schnell drehen. Dabei wird es unwichtig sein, ob die Getöteten dem Gaddafi-Lager oder dem seiner Gegner zuzurechnen sind. Schuld ist dann – wie immer (und zu Recht) – der Westen. Unabhängig davon wird der Bürgerkrieg weiter laufen, denn in die Bodenkämpfe wird der Westen nicht eingreifen können. Vermutlich werden Gaddafis Truppen das verbleibende Terrain schnell besetzt haben und lediglich die Abrechnung mit den Unterlegenen aussetzen. Bombardements bringen dann gar nichts mehr. Der Krieg wird auf dem Boden entschieden, und westlichen Landetruppen sind bisher nicht vorgesehen. Dies wäre meines Erachtens der Zeitpunkt, die wirtschaftlichen Daumenschrauben entschlossen und wirkungsvoll einzusetzen. Indem man Ölkäufe blockiert, Gaddafi politisch isoliert und jegliche Waffenexporte nach Libyen unterbindet. Ob das allerdings die Lösung ist, die der Westen will, ist stark zu bezweifeln. Auch wenn Angela Merkel bestimmte Positionen daraus soeben als Teil eines friedlichen deutschen Beitrages genannt hat.
    Für die, die Gadaffi jetzt angreifen, sind die Würfel – trotz aller Unübersichtlichkeit – vermutlich anders gefallen. Einer, der ausgedient hat, einer, den man angesichts massiver Gewalt gegen seine Landsleute nun doch beschimpfte, muss weg. Denn bliebe er, würde er denen, die gegen ihn zu Felde zogen, später die lange Nase zeigen. Gaddafi vom Thron zu stoßen, ist folglich höchstes Gebot. Obwohl niemand sicher sein kann, in der Folgezeit auf bessere, sprich: „demokratisch“ gesinnte Verhandlungspartner zu stoßen. Denn vieles ist in Libyen Stammessache und kann schnell in eine ebenso ungerechte andere Richtung kippen.
    Die Massenmedien haben schon zu Beginn des Aufstandes viel Unsinn über Libyen berichtet. Damals saßen einzelne Korrespondenten auf dem ersten „freigekämpften“ Zipfel der Kyrenaika, sprachen mit vier Einheimischen, um sich anschließend mal schnell über die libysch-ägyptische Grenze zu verdrücken. Sie erinnern sich sicher: Damals hieß es noch, Gaddafi säße umzingelt auf einem Hinterhof und harre der Festnahme. Heute, da Gaddafis Truppen nahezu das gesamte Land beherrschen, ist die Sache seitenverkehrt, aber ebenso undurchschaubar. Die Medien stört das nicht. Sie spekulieren und mutmaßen erneut, was das Zeug hält. Immerfort ist von bedrohten/bebombten Freiheitskämpfern die Rede, nie von Stämmen, die schon immer, vom Kyrenaika-Öl abgeschnitten, ihre Teilhabe einfordern wollten. Unaufhörlich wird der Eindruck erweckt, als ginge es in Libyen ausschließlich um Freiheit und Demokratie, um bessere Lebensverhältnisse – und nicht um ignorierte Machtansprüche derer, die Gadaffi vom Tisch jagte. Was ebenso unterschlagen wird, sind die Verdienste des Potentaten. Er hatte es nämlich drauf, Libyen zum höchst entwickelten Staat auf dem afrikanischen Kontinent zu machen – dank des Öls ( Human Development Index: 0,755). Unter Gaddafi entwickelte sich ein vergleichsweise gutes Bildungssystem, mit dem die Analphabetenrate signifikant gesenkt wurde. Ähnlich gut funktionierte das Gesundheitssystem. So gesehen, lebte es sich in Libyen weit besser als z.B. in großen Teilen Ägyptens.
    Damit mich niemand falsch versteht: Auch ich bin dafür, Gaddafi sofort abzulösen – vor allem wegen der bei der Rückeroberung des Landes verübten Untaten. Gleichwohl fände ich es dumm und destruktiv, quasi in nahtlosem Übergang auf eine um 180 Grad verschobene Rebellenregierung zu setzen. Was da falsch gemacht werden kann, hat Sarkozy zur Genüge vorexerziert – als er einige Leute aus der Kyrenaika als rechtmäßige Nachfolge-Regierung anerkannte. Eine komplette Repräsentation des ganzen Landes schien ihm offenbar mit Blick auf schnelle Achtungserfolge nicht wichtig.
    In der Tat: Was da im Einzelnen ablaufen müsste, sollten wir weder durch massive Luftschläge, noch durch übereilte Nettigkeitsbekundungen befördern, sondern schnell den Libyern selbst überlassen. Voraussetzung aber ist ein Waffenstillstand, den zu erzwingen nicht einfach wird.
    Die „UN-gedeckte“ Medaille hat zweifellos eine zweite, noch schwärzere Seite. Nicht nur „Die Linke“ (die eine Beteiligung Deutschlands an der Errichtung der Flugverbotszone abgelehnt hat) dürfte vermuten, dass sich Rüstungslieferanten, Bau- und Ausrüstungsfirmen kräftig die Hände reiben. Die Vernichtung veralteter Militärtechnik, von Infrastrukturen und Gebäude etc. steht in Aussicht – und damit das Verballern von Munition, die lange auf Halde lag. Mit dem voraussichtlichen Ergebnis, dass sehr bald neue Flugzeuge, Kanonen, Infrastrukturobjekte geliefert/gebaut werden müssten und auch … bezahlt werden könnten. Denn das libysche Öl wäre ja nach wie vor da. Nur eben in den Händen neuer Machthaber – wie auch immer die gestrickt sein werden.
    HALT: Soeben höre ich, dass nicht nur die Franzosen, sondern auch Amerikaner und Briten auf Libyen einschießen. Die Rede ist von Kampfflugzeug-Attacken (Frankreich, Großbritannien) und 110 von den USA abgeschossenen Tomahawk-Marschflug-Körpern. Betroffen seien neben der Hauptstadt Tripolis auch die Städte Misrata, Suara und Bengasi. Offenbar wird einmal mehr versucht, ein Regime mittels Bomben gefügig zu machen. Jeder, der die Geschehnisse in Vietnam, im Iran und in Afghanistan verfolgt hat, weiß, dass eine solche Taktik sinnlos ist, nie den durchschlagenden Erfolg gebracht, sondern den Gegner stets fester zusammengeschweißt hat. Ohne den Einsatz von alliierten Bodentruppen ist jetzt ein Sieg über Gaddafi wenig wahrscheinlich. Eine solche Entscheidung aber würde den offenen Krieg bedeuten – Krieg des Westens gegen ein arabisches Land. Spätestens diese Eskalation dürfte dem Westen neuen, massiven Hass bescheren. Einiges davon ist bereits im Entstehen. Die ersten zivilen Ziele liegen in Trümmern (http://www.tagesschau.de/ausland/libyen656.html).

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Es stimmt: Gaddafi ist ein recht unappetitlicher Despot. Das hat die westliche Wertegemeinschaft bislang nicht daran gehindert (nach seiner Zusage, keine Passagier-Jets und Diskotheken mehr in die Luft sprengen zu lassen), ihre durchaus unappetitlichen Geschäfte mit ihm zu betreiben. Warum bombardiert die “Völkergemeinschaft” (wie mein zunehmend unerträglicher werdender öffentlich-rechtlicher Haussender gerade tönt) eigentlich nicht die saudische Hauptstadt Riad?

  146. Herbert Wilkow sagt:

    Sichtweisen

    So verschieden/gegensätzlich kann man einen Sachverhalt beurteilen:

    “Die Libyen-Resolution des Sicherheitsrats kommt sehr spät, vielleicht zu spät – aber sie ist richtig. Beschämend und politisch desaströs ist dagegen die Haltung der Bundesregierung: Sie hat dem Despoten Gaddafi einen Triumph beschert. Und womöglich verhindert, dass sich die Kräfteverhältnisse noch zugunsten der Opposition wenden können.” Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung vom19.3.

    und

    “Die Bundesregierung, Außenminister Guido Westerwelle voran, verweigert dem westlichen Bündnis die Solidarität. Politisch ist das eine heikle Entscheidung. Aber sie ist mutig. Und vor allem völlig richtig.”
    Uwe Vorkötter in der berliner Zeitung vom 19.3.

    Ungesunden Menschenverstand läßt sich beiden Autoren, so man deren Veröffentlichungen kennt, nicht unterstellen.
    Wohl dem, der verbindlich weiß, was richtig ist.

    H. Wilkow

  147. Werner Richter sagt:

    Entschuldigung, es war das Erste.

  148. Werner Richter sagt:

    Unerwartete Reaktion des ZDF
    Zu meiner unten zu lesenden Kritik vom 16. dieses Monats, die ich selbstverständlich auch Maischberger nicht vorenthielt, kam eine windschlüpfrige Antwort mit geringen Luftwiderstandswert, die alles, oder besser nichts besagt. Man wahrt die Form u. macht weiter wie bisher. Übliche Mediendemokratie, andere erläutern umständlich, warum sie aus formalen Gründen nicht reagieren bzw. den Beitrag nicht veröffentlichen dürfen. Wenigstens muß ich so nicht zu Hause bleiben u. auf ein Anwaltsschreiben warten. Die Antwort des ZDF kann ins Lehrbuch:
    Sehr geehrter Herr Richter,

    im Namen von Sandra Maischberger bedanken wir uns für Ihre kritischen Zeilen und sehr ausführlichen Anmerkungen zu unserer letzten Sendung. Ihre Meinung ist uns wichtig. Erst dadurch sind wir in der Lage unsere Sendung auf die Wünsche unserer Zuschauer abzustimmen.
    Wir können Ihnen versichern, dass wir Ihre Nachricht aufmerksam gelesen haben und über Kritik und Reaktionen unserer Zuschauer in unseren Redaktionssitzungen lange diskutieren. Wir bemühen uns stetig um Verbesserungen.

    Aufgrund der zahlreichen Zuschriften, die wir täglich erhalten, können wir in diesem Antwortschreiben leider nicht detaillierter auf die von Ihnen angesprochenen Aspekte eingehen. Bitte haben Sie hierfür Verständnis.

    Wir würden uns freuen Sie auch weiterhin zu unseren Zuschauern zählen zu dürfen.

    Mit freundlichen Grüßen aus Köln,

    i. A. Redaktion “Menschen bei Maischberger”

  149. Feodor Basov sagt:

    Ihr Lieben, Ich bin sehr traurig über Wolfgangs Tod. Er war ein Mensch von sehr großer Güte. Ich erinnere mich immer mit großer Dankbarkeit an ihn. Seid stark. Ich versichere Euch meines aufrichtigen Beileides. Mein Beileid gilt auch der Familie Wolfgangs, gilt Paul und Juliane, die ich kennengelernt habe.
    Feodor Basov

  150. Werner Richter sagt:

    4. Gewalt
    Viel berichten sie ja, wenn der Tag lang ist u. kein Thema gibt so viel her, wie derzeit diese schöne Katastrophe. Es wird erzählt u. erzählt u. berichtet u. befragt am laufenden Band, da bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Jeder Pubs muß sofort unter die Leute, schon der eigenen Bedeutung wegen. Daß diese ausgeschütteten Informationshaufen himmelschreiende Widersprüche gleich mit abladen u. abdecken, merkt der jetzt Informierte gar nicht, da der Informant sie nicht kennzeichnet. Weil er nicht soll oder kann? Nur ganz vage stellt man der Informationspolitik der regierenden Demokraten Japans ein kleines Fragezeichen bei, die gucken ja auch schon immer so komisch. Wie die Japaner generell, die gucken auch so. Kein Wunder, daß die so ruhig bleiben, sie sind ja allesamt für die Kernenergie, schon wegen der Klimaanlagen im Sommer. Irgendwie selber schuld. Nur nicht zu stark auf die laufende Gehirnwäsche abstellen, keine schlafenden Hunde wecken. Die sind eben anders als wir, oder hat schon jemand Politiker oder Industriebosse hierzulande beobachtet, die sich mit unterwürfiger Verbeugung der Presse stellen u. um Verzeihung bitten? Raffiniert sind die schon.
    Bei uns ist das viel offener u. direkter, eben demokratischer, die Politiker offenbaren in fester Entschlossenheit ihre Absichten u. Handlungen mit wohl gewählten Statements, von denen nicht abgewichen wird, egal, welche Frage gestellt wurde. Fragen sind überhaupt unanständig. Gut, in der Hektik kann man ja auch die Fragen nach soeben abgesonderten hanebüchenen Widersprüchen nicht so schnell finden, dazu gehören schon journalistische Fähigkeiten, die ein stinknormaler Reporter nicht haben kann. Die üben sich noch zu diversen Sendungen in schöner Regelmäßigkeit mit überfallartig vorgetragenen, vorbereiteten krassen Fragen, von denen sie vorab schon wissen, diese bleiben unbeantwortet. Sollen sie auch nicht. Das reicht, damit ist die grundgesetzliche Pflicht erfüllt, der gute Wille belegt. Der eigentliche kritische Journalismus aber findet in den Talkshows statt, da sind die Besten der Guten durch ihre Stäbe gestützt gut vorbereitet am Zuge, da kann niemand ausweichen.
    Also wird das fundamentale Thema „Die Geister, die wir riefen: Atomkraft außer Kontrolle?“ aufgelegt. Genau die richtige Fragestellung für unsere Maischberger, die letzte der Aufrechten. Will, Illner, Plasberg hat man durch Dauerbeschuß oder einen fetten Knochen schon abgemildert u. mit beigestellten Weichspülern, erst Kerner, jetzt Lanz u. Beckmann, letztendlich entschärft.
    Aber die Maischberger, die geht das Thema an u. lädt Talkgäste, ganz ausgewogen, Pro u. Contra sind da. Pro, das sind Güldner, der Erfinder aller dämlichen Werbesprüche für die KKW, u. Huber, dem die Wahrheit schon immer wurscht war, aber auch schon zur Pleite der Bayern LB, in deren Aufsichtsrat er unverantwortlich nicht kontrollierte, aber vermutlich den Deal zur Alpe-Adria mit einfädelte u. jede Schuld so schön entrüstet von sich wies, mit Erfolg, bis heute jedenfalls. Als Contra outet sich Eppler, der zwar so aus dem Bauch heraus irgendwie gegen Atomkraft ist, aber lieber den Schnabel hält, es könnte ja auch seine Partei treffen. Auch Renneberg, der den Kritischen gibt, schließlich wurde er als Oberkontrolleur gefeuert, nicht skrupellos genug, aber auch er vermeidet es instinktiv, in seinen Brotkorb zu scheißen, ist quasi dagegen, zumindest in einigen zweitrangigen Details. Zur Stärkung der schwachen Contra-Seite gibt sich noch ein Fachjournalist ganz schweren Kalibers vom „Spiegel“ die Ehre, leider ist der schon wie wohl seine ganze Mannschaft in die weit geöffneten Löcher gekrochen. Mit stolz geschwellter Hühnerbrust u. zufriedenem Grinsen läßt er sich als KKW-Befürworter ankündigen, damit ja kein Irrtum aufkommt. Ja, aber der Precht hält das Fähnlein trotzig aufrecht, wie eben ein echter Philosoph das nun mal so tut. Kann er ruhig, denn seine Fragen hätte er gar nicht zu stellen brauchen, hat eh keiner für voll genommen, geschweige aufgegriffen. Philosophen sind nun mal Quatschsäcke, sollte man nicht so ernst nehmen, weiß ja jeder. Tat man auch.
    Wie ein jeder Dirigent, er hat ja nur seinen Stock, der keine Töne macht, läßt sie den Konzertmeister, den Güldner, den Ton vorgeben. Sein Kammerton heißt „Restrisiko“, klingt so ähnlich wie „USA and the rest of the world“, hat hier die gleiche Bedeutung, der Rest ist nebensächlich. Und anstatt über das Thema, wird über das Restrisiko geplaudert. Das Thema hieße „Grundrisiko“, aber das steht nicht zur Debatte. Ist ja nur eine Frage des Blickwinkels, man kann eine Sache sehr verschieden betrachten, wie schon Herr Herricht selig demonstrierte: „Herr Preil, Sie sind ja schon tot – Ach nee, meine Uhr steht!“
    So schwafelt man entlang der Markierung: Strom braucht der Mensch, ist nur mit Atomstrom zu haben u. der hat Risiken, die hat man minimiert. Ist ja auch einsehbar, bei einer Wahrscheinlichkeit eines Crashs in 180.000 Jahren muß man sich heute keine Gedanken machen, ist noch sehr lang bis dahin. Daß uns Japan zeigt, auch heute, morgen oder ein Tag in einer Woche liegen in diesem Zeitraum, fällt niemandem auf. Keine Frage nach der tatsächlichen Gefahr aus dem Atommüll, die informell ausgeblendet wird, denn den „AKEnd“ hat es nie gegeben, nicht die nach den tatsächlichen Betriebskosten des teuersten Stromes aller Zeiten für die Gesellschaft, nicht für die Konzerne, die tragen nur einen Bruchteil, oder nach den latenten Belastungen für die Bevölkerung, die absichtlich nicht gemessen werden. Man misst da, wo keine Belastungen vermutet werden, alles paletti. Keine Frage nach den verheimlichten dauernden Störfällen, die das gesamte Konzept schwer in Bedrängnis bringen würden. Also, keine Antworten auf die Fragen von Precht, dem Letzten u. Einzigen in der Runde.
    Auch der Maischberg kreiste, siehe das Mäuschen! Die Öffentlich-Rechtlichen erfüllen schon ihren Auftrag. Fragt sich nur, welchen. Grundgesetzauftrag würde ich anders definieren.

  151. Wolfgang Kost sagt:

    Auch wenn dies unser aller Problem nicht beseitigen hilft: Eine Regierung (mit einer Physikerin an der Spitze!), deren einzige wirkliche Reformleistung die der Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und damit die Abwendung vom fortschrittlichen Entschluß zum Ausstieg aus der Atomenergie ist, gehört zum Teufel gejagt. Wenn sie schon nicht die Courage besitzt, von allein den Hut zu nehmen. Küppersbusch bringt es in der Taz auf den Punkt: “Zur Grundausstattung des Naturwissenschaftlers gehört der Satz ´Ich habe mich geirrt´ – der eine Satz, den Merkel nicht kann”.
    Und wieweit die binnenländischen Irrtünmer gehen, läßt sich heute in der Berliner Zeitung nachlesen: “Unbekannte Störfälle in Phillippsburg”. Dort waren erst im Juni 2010 Liter Reaktorwasser in die offene Entwässeungsleitungen aus dem Sicherheitsbehälter geflossen. “Bei einem weiteren Füllstandabfall um sechs Zenzimeter wäre die komplette Kühlung für das Brennelementebecken nicht mehr verfügbar gewesen”, informiert ein Kraftwerkmitarbeiter in einem anonymen Schreiben.
    Das baden-würtembergische Umweltministerium hat diesen Vorfall (und weitere) bestätigt; eine Meldepflicht habe aber nicht bestanden. Nun ja – jedes Volk hat die Regierung, die es verdient.

  152. Hans Jahn sagt:

    “Die Deutschen haben uns gegenüber eine sehr gute Position eingenommen, ganz anders als viele wichtige Länder im Westen”, hat Gaddafi in einem RTL-Interview erklärt. Da dürfte zumindest für unseren in Sachen Menschenrechte zu allem entschlossenen Außenminister der libysche “Orden für Mut” fällig sein. Und mit dem wird es dann so wie mit bei Ratzinger sein: Wenn Bild damals in Plakatgröße titelte “Wir sind Pabst!” kann es diemal nur heißen “Wir sind mutig!” Schön, dass das mal jemand öffentlich anerkannt hat.
    Hans Jahn

  153. Es ist kaum zu verstehen, warum ein Land wie Japan nach den verbrecherischen Atombomben-Abwürfen in den Folgejahrzehnten gerade auf die „so genannte friedliche“ Anwendung der Kernenergie gesetzt hat. Und dass, obwohl im asiatischen Teil des Feuergürtels die Gefahr von starken Erdbeben und Tsunamis latent lauert. Gewiss: heute – inmitten der Katastrophe – lässt sich schlau reden. Dennoch ist eines offensichtlich: Es bedarf immer wieder des katastrophengesteuerten Beweises, um traditionelles Denken umzustoßen. Das dürfte für die Klima-Problematik und das desolate Weltfinanzsystem ebenso gelten wie für die heutigen Ereignisse. Die Risiken werden ausgereizt bis nichts mehr geht.
    Jetzt hofft jeder inständig, dass der verheerende Gau in Fukushima ausbleibt, und ich wüsste keinen, der mit seinen Gedanken nicht bei den unzähligen Opfern der dreifachen Verwüstung ist. Gleichwohl muss man den in den letzten Jahrzehnten regierenden Parteien in Japan der Vorwurf machen, dass sie zwar der Bevölkerung ein striktes „Training gegen Erdbeben und Tsunamis“ verordnet haben, Vorkehrungen gegen die insgesamt schwerste Bedrohung aber privaten AKW-Eignern (und vermutlich korrumpierten Kontrolleuren) überließ. Niemand kann verstehen, dass Kernkraftwerke in Meer- und damit Tsunami-Nähe und dann auch noch ohne mehrfache, mehretagige und flexible Bypässe in der Notstrom-Versorgung errichtet wurden. Es sei denn, man macht – wie das nahe liegt – die Renditesüchte und die Raffgier der Kraftwerksbetreiber für die Missstände verantwortlich.
    In Deutschland haben diese Vorgänge ein politisches Erdbeben ausgelöst, obwohl sich die Sicherheitslage deutscher AKWs – wie das auch die Kanzlerin in den zurückliegenden Tagen immer wieder flötete – nicht verändert hat. Was Überschwemmungen und Erdbeben in Atom-Mailern anrichten können, ist jetzt bekannt. Jetzt fehlt – und das soll bewusst zynisch klingen – nur noch ein Flugzeugangriff/-absturz, um alle Risiko-Potentiale einer Technologie offenzulegen, die bereits von ihren Ansätzen her unverantwortbar ist. Ich habe dazu mehrfach referiert.
    Es ist mehr als grotesk. Aber irgendwie ähnelt die jetzt aufkommende politische Debatte dem Guttenberg-Debakel. AKWs und zu Guttenberg wurden von schwarz-gelb bis zum jeweiligen Störfall sicher geredet, und die Medien beifallten dieser Deutung – zumindest mehrheitlich. Als der Putz bröckelte, wurde zunächst soweit umgeschaltet, wie es das Tagesgeschehen (aus schwarz-gelber Sicht) erforderte. Scheibchenweise trat zu Tage, was gelogen, kopiert und verbaut wurde. Heute nun brechen die AKW-Wunden auf. Es bedurfte eines Dramas, dass sich tausende von Kilometern jenseits unserer Sphäre abspielte, um die Frage nach der Wahrheit erneut so anzufachen. Jetzt gibt es kein Zurück. Die Angst vor möglichen Wahlniederlagen hat den lobbyistisch verformten Schnauzen von gestern eine Spur von populistischem Grunzen verabreicht. Neben den Beschwichtigungsversuchen laufen Ansagen, die wir ernst nehmen, aber auch in eine Reihe mit den nicht abgearbeiteten Störfallmaßnahmen in Baden-Württemberg stellen können(verantwortlich: Umweltministerin Tanja Gönner). Schon viele haben versprochen, die AKWs – strenger als bisher – auf ihre Sicherheit zu prüfen. Getan hat sich dazu wenig. Im Gegenteil. Man griff auf das große Bagatellisieren, Lügen und Verschweigen zurück, wie es z.B. auch in Frankreich zur Schandtat wurde und noch immer wird. Dass wir in Biblis A und im schwedischen Forsmark dicht an einem Gau vorbei geschrammt sind, ist in unserer ereignisreichen Gesellschaft schnell aus dem Blickfeld. Doch offenbar bedarf es aber weder eines kräftigen Erdbebens, noch eines Tsunamis, um die Hölle auch in Europa loszutreten.
    Wir sollten den Konservativen, die jetzt zurück rudern, keinen Glauben schenken. Sie setzen – wie stets – aufs Vergessen und betrügen uns spätestens morgen. Leider ist immer auch der Staat mit dabei, der von länger laufenden AKWs über die Steuer profitiert. Das sollte uns alle mit Blick auf zu erwartende politische Winkelzüge sensibel machen. Wirklich trauen kann man nur denen, die konsequent und über Jahre ihre Anti-Atom–Haltung bekundet haben. Auch die, die beim Verzicht auf Kernenergie wegfallende Arbeitsplätze befürchten und deshalb in der Debatte einknicken, sind wenig vertrauenswürdig. Ihnen sollte man zurufen, dass sie sich weniger opportunistisch als vielmehr kreativ (in Sachen alternativer Energien) betätigen sollten.
    Für heute Abend (14. März, 18 Uhr) hat das im vorigen Jahr gegründete „Anti-Castor-Bündnis Düsseldorf“ zu einer Mahnwache vor dem Carschhaus aufgerufen. Ich würde mich freuen, wenn wir uns dort treffen würden.

  154. Helge Jürgs sagt:

    Zwei Meldungen von heute (Montag) Vormittag:
    1. Die Lage im AKW Fukushima wird immer dramatischer: Im Reaktorkomplex 3 gab es eine mächtige Wasserstoffexplosion, angeblich wurde aber nur das Dach des Gebäudes zerstört. Im Komplex 2 versagt die Kühlung. Techniker kämpfen verzweifelt, um eine noch größere Katastrophe zu verhindern.

    2. Ungeachtet der Atomkatastrophe in Japan hat Chinas Volkskongress am Montag mit dem neuen Fünf-Jahres-Plan einen massiven Ausbau der Kernenergie beschlossen. Bis 2015 soll mit dem Bau von weiteren 40 Gigawatt an Kapazitäten begonnen werden. Im Moment hat China 13 Atomreaktoren mit einer installierten Kapazität von 10,8 Gigawatt in Betrieb. Bis 2020 sollen die gegenwärtigen Atomkraft-Kapazitäten sogar verachtfacht werden, berichten chinesische Staatsmedien.
    2778 Delegierte haben diese Beschlüsse mit sozialistisch gehabter Geschlossenheit akklamiert. Ganze 56 waren dagegen, 38 enthielten sich.

    Alles für das Wohl des Volkes! (kein Zitat von heute)

    Helge Jürgs

  155. Werner Richter sagt:

    An das
    Juristische Dekanat der Universität zu Bayreuth
    Sehr geehrte Herren,
    kann wohl so stehen bleiben, denn mußte in Medien erfreulicher weise keine Damen erblicken. Wäre ja auch nicht sinnvoll in wichtigen Gremien, gut so.
    Kann Sie nur beglückwünschen, in heutiger Zeit leuchtendes Beispiel deutscher Treue gegeben zu haben. Ist ja nicht üblich unter den heutigen Bedingungen, alte Grundsätze hoch zu halten. Wenngleich ein leichter Geruch von pekuniären Verbindungen in die Sache gebracht wurde, lassen Sie sich nicht beirren! Was zählen diese Verleumdungen, wenn eherne Rechtgrundsätze auf dem Spiel stehen. Ist ja leider so gekommen, daß Krethi u. Plethi gleiches Recht für sich beanspruchen u. verantwortungslose Gesellen im letzten Jahrhundert dieses auch zumindest teilweise gewährten. Guttenbergs Ahnen sprachen einst Recht u. waren diesem nicht unterworfen, so konnte die Menschheit wachsen u. gedeihen, oben u. unten wohl getrennt. Sie hielten ihren Herren alle Zeit die Treue. Damals war es undenkbar, sie des gemeinen Diebstahls zu bezichtigen, auf eine Stufe mit Eierdieben zu stellen. Die Eierdiebe ihres Sprengels überantworteten sie der Gerechtigkeit wegen dem Galgen, solang es ging. Niemand kam auf die Idee, sie gleicher Delikte zu bezichtigen, etwa des Diebstahls des Galgenberges auf ehemaliger Allmende. Sie nahmen sich, was ihnen zustand. Das war damals rechtens, denn die Guttenbergs waren selbstverständlich das Recht. Da muß doch auch heute ein Unterschied sein zwischen dem Diebstahl einer alten Boulette u. der Verwendung von Zitaten in einer Dissertation. Schon die geistigen Standesunterschiede verbieten einen solchen Vergleich. Das ganze Geplapper von „Diebstahl geistigen Eigentums“ ist nichts als Neiddiskussion von vermeintlich zu kurz Gekommenen. An unsere Eliten sind ganz einfach andere Maßstäbe, nicht die für den Pöbel, zu legen. Was Recht war muß Recht bleiben.
    Zu meiner Zufriedenheit sind in den letzten Jahren schon einige richtige Schritte in die richtige Richtung, wie die Obersten in der Politik das ganz richtig zu nennen pflegen, denn Begründungen wären Perlen vor die Säue, das muß reichen, erfolgt, die Eliten aus Wirtschaft, Adel u. Politik aus dem Zugriffsbereich des ordinären Rechts zu bringen. Wozu Gesetze als Hürde unternehmerischen Handelns? Jawohl, moralische Selbstverpflichtungen reichen vollkommen aus u. beruhigen die Gemüter. Straffreiheit für Steuerbetrüger, wie diese Menschen verhetzend bezeichnet werden, sie zeigen sich ja auch selbst an, das ist Strafe genug. Na gut, nicht alle machen das. Aber einige geben so leuchtende Beispiele hoher moralischer Ansprüche an sich selbst, genug fürs Volk.
    Schon beachtlich sehe ich die Fortschritte auf dem Gebiet der sog. Korruption. Geldübergaben nach gefälligem Handeln anstatt vorher als Ausschließungsgrund, die Begrenzung der zu veröffentlichenden Geldmengen bei Spenden sowie die Unbedingtheit des Schuldeingeständnisses sind schon gute Eckpunkte eines elitär dualen Rechtssystems. Nur, letzteres, ich meine das Schuldeingeständnis, ist noch nicht rundum nur für die Eliten geltende Rechtspraxis geworden, da liegt noch viel Arbeit vor Ihnen. Auch das komplizierte Steuerrecht, es muß unbedingt erhalten blieben wie das Schulsystem, das der Konzentration auf den Elitenachwuchs natürlich zum Wohle aller dienen muß, wobei klar ist wer dafür zu zahlen hat, sind mir hervorragende Bausteine eines gerechteren Systems für die Leistungsträger. Jawohl, auf diese müssen alle Anstrengungen des Staates gerichtet werden, denn wohin kämen wir ohne die ererbten Millionen u. Milliarden. Diese sind fundamentale Leistungen, die es zu würdigen gilt. Wie soll eine Wirtschaft denn funktionieren ohne den ständigen Erfahrungsaustausch zwischen hoher Verwaltung u. Wirtschaftsunternehmen, vollzogen durch Personalrochaden? Wie soll eine vernünftige Politik gefunden werden, wenn nicht die kompetente Wirtschaft die Vorgaben bringt u. die Ministerien sich dort das nötige Rüstzeug holen? Zu Recht lassen Sie, ich meine Gesetzgeber u. Juristen, dies nicht dem Makel der Korruption aussetzen.
    Ein Aspekt scheint mir sträflich aus dem Blickfeld geraten zu sein, die Medien. Richtig ist, daß das Gros der Medien seiner Verantwortung, geht es ums große Ganze, zufriedenstellend nachkommt u. die zugeworfenen Argumente aus Politik u. Wirtschaft hübsch ausmalend treu unter die Massen bringt. Die wirklichen Fragestellungen wären ja auch viel zu langweilig u. fürs Volk völlig ungeeignet. Dieser Status ist den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Werfen Sie mal einen Blick in die USA. Dort ist schon die geschlossene Verteidigung auch der Medien gegen die unerhörten Anwürfe dieses leidigen Assange aufgebaut. Der Nachrichtenfritze von Fox geht sogar schon dazu über, dieses Lümmels Journalistenstatus zu kanzeln u. kann ungestraft die Vernichtung dieses Feindes zu fordern. Das ist Journalismus, den wir brauchen, parteilich, wenn es um die Verteidigung des Vaterlandes geht. Leider sind bei uns da noch einige Medien u. Journalisten, die sich noch altertümlich einem sog. Verfassungsauftrag verpflichtet dünken u. wie in diesem Falle subversiv im Dreck wühlen müssen. Nun gab es in unserer glorreichen Vergangenheit einige, leider nur stümperhafte Versuche, z.B. von Kirch & Kohl oder Lafontaine, die Mediengesetze in die richtige Richtung zu biegen, aber seit dem ruht still der See. Eigentlich sollte ja die Welt am deutschen Wesen genesen, gegenwärtig sieht es diesbezüglich gar nicht gut aus. Andere Länder sind inzwischen weiter. Es muß ja niemand wie Berlusconi alle Medien gleich aufkaufen, klappt hier, siehe Kirch, sowieso nicht. Auch das System Sarkozy, dem Inlandsgeheimdienst die Medienkontrolle zuzuordnen, taugt hierzulande nicht, man denke nur an die Schnarchsäcke vom Verfassungsschutz. Aber die Ungarn haben es uns vorgemacht, wie es gehen kann, u. die EU ist nach Verschiebung einiger Kommata im Mediengesetz mit von der Partie. Die wissen einfach, wo es lang geht. Unter uns Klosterschwestern, Sie können natürlich kein Gesetz machen, aber Ihnen obläge die Schaffung der theoretischen Basis. Legen Sie etwaige Skrupel bezüglich Grundgesetz beiseite, das ist so u. so änderungsbedürftig, wie unsere Politiker ebenso fast monatlich durch Änderungsversuche zu erkennen geben. Haben Sie jemals den sog. Verfasssungsschutz deswegen auch nur einmal aktiv werden sehen? Sehen Sie, keine Gefahr , die Schlapphüte schützen bestenfalls die Grundgesetzbegradiger. Es ist Zeit, den lästigen Bedenkenträgern des BVG einen Riegel vorzuschieben. Ihnen ist die Basis zu entziehen, die theoretischen Grundlagen dafür zu schaffen, obliegt Ihnen. In der Geschichte kam es im Hintergrund immer den Juristen zu, Umwandlungen in der politischen Landschaft entscheidend vorzubereiten u. zu vollziehen, nicht, wie es der Öffentlichkeit heute noch weisgemacht wird, dem Terror von der Straße. Schicken Sie das BVG in die Bedeutungslosigkeit oder besser: auf die Golfplätze, auf daß ihnen dort die Leistungsträger beibringen, wohin der Hase läuft u. wer das Sagen hat.
    Noch ein Wort zum armen Guttenberg. Es ehrt Sie, auf sein Stichwort “jämmerliche Arbeit“ trotz summa cum laude eingegangen zu sein, aber das reicht nicht, u. derartige handwerkliche Fehler, die Sie dabei verbockt haben, sind unverzeihlich. Der Mann ist ein Glücksfall für die deutsche Politik, sein Schneid, nicht Intelligenz, die wäre in dieser Position eher hinderlich, ist genau das, was gebraucht wird, u. unbezahlbar. Sie können ihn aber dabei nicht so desavouieren, erst zum Genie hochtrommeln, egal, aus welchem Grund, der geht nur Sie an, aber dann als letzten Trottel erscheinen lassen. Da wird doch selbst der dümmste Bauer mißtrauisch, können wir überhaupt nicht gebrauchen. Jetzt, da der Kerl bei der dumpen Masse so einen Schlag hat, genau die seltene Chance, denen die Vorsehung wieder glaubhaft verkaufen zu können. Der Baron hält sich ja nach außen ausgesprochen tapfer, aber sehen Sie nicht, wie ihm der Allerwerteste auf Grundeis geht, u. den Angstschweiß, der ihm schon in die Hosen läuft? Helfen Sie dem Ärmsten, liefern Sie gängigen u. simplen Flankenschutz, wie „Der Mann kann gar nicht hochstapeln, da er schon hoch genug steht. Der Vorwurf ist somit ein Widerspruch in sich u. damit nicht justiziabel.“ u.ä., die die Medien dann aufgreifen können. Die ganze Chose ist noch nicht im Sack, denken Sie rechtzeitig daran, das Grundgesetz ist noch der gebührenden Rolle Deutschlands anzupassen u. das bedarf des theoretischen Vorlaufes, Ihr Part. Nicht Intelligenz, sondern Schneid ist auch hier gefragt. Das müßten Sie doch hinkriegen, oder?
    Zu spät, inzwischen ist die Kacke am Dampfen, der Kerl ist desertiert, reicht eigentlich fürs Standgericht. Aus höherem Interesse hat das im Stillen stattzufinden. Die Aufgabe aber bleibt. Hochstapelei hin oder her, das Ziel ja nicht aus dem Auge verlieren, es ist immer 5 Minuten nach 12! Holen Sie meinetwegen die Dolchstoßlegende aus der Versenkung, die Merkel hat des Barons letzten Hinweis bereits aufgegriffen. Ja, Dolchstoß geht immer, hat ja KT genial, ohne den Begriff zu verwenden, ins Spiel gebracht u. der Eunuch, da bin ich etwas durcheinander, kann doch nicht sein Vater sein, oder hab ich da etwas nicht mitgekriegt, schießt aus vollem Rohr genau in diese Richtung. Müssen unbedingt Flankenschutz bekommen, sonst droht unserer Ordnung gewaltiges Unheil. Die Fama berichtet schon, daß Angriffe in ganzer Front auf die Titel unserer Leistungsträger angelaufen sind. Sperren Sie den Zugriff auf Promotionen etc. ohne Erlaubnis der Verfassers. Wo kommen wir denn hin, wenn jeder darin wühlen kann. Und nehmen Sie den Staatsanwalt an die Leine, nicht, daß der etwa ernst macht. Jetzt mit Hurra zum Angriff!
    Wie gesagt, Eckpunkte sind da, aber ein vollständiges separates Recht für die Eliten bedarf noch des harmonischen Ausbaus u. der Festschreibung.
    Hier liegt Ihre historische Verantwortung, leisten Sie weiter Ihren Beitrag. Bleiben Sie fest, wehren Sie der Versuche, eines Tages den Ladendieb oder Schwarzfahrer mit Hinweis auf Vergeßlichkeit der gerechten Strafe entziehen zu können. Schrecken sie nicht vorm Geplapper über Bananenrepublik, das wird eines Tages überholt sein. Nehmen Sie tapfer zeitweise Opfer auf sich, es wird Ihnen vergolten werden. Um Ihr Renommee ist nicht zu fürchten.
    Halten Sie die Stellung nach dem ehernen Prinzip von Klarheit, auf welcher Seite Sie stehen, u. Wahrheit, die schon immer die Einsicht in die Notwendigkeit war. Lassen Sie uns gemeinsam den Güttli-Schwur* leisten.
    In froher Hoffnung u. hochachtungsvoll!
    OberstMeyer
    P.S. Ich bin schon in etwas fortgeschrittenem Alter u. habe einen heimlichen Wunsch. Gern hätte ich zu Lebzeiten einen akademischen Titel fürs Ego. Meinen Sold habe ich über die Jahre eisern, kommt von Bismarck u. nicht von „Eisern Union“, gespart, die Zulagen reichten fürs Leben, bin genügsam. So kam ein erkleckliches Sümmchen zusammen, das ich gern sinnvoll angelegt hätte. Ein „Doktor“ vor meinem Namen würde sich da gut ausnehmen. Machen Sie so etwas auch oder ist das noch suspekt?
    * Wir wollen sein ein einig Volk von Heuchlern,
    in keiner Not uns trennen u. Gefahr,
    wir wollen frei sein, wie die Väter waren.
    Lieber der Tod als in der Gleichheit leben…..

    P.S. > Hallo! Das hier ist Satire!<

  156. Jochen Gutte sagt:

    Auf diesem Wege übermittle ich Ihnen meine Anteilnahme am Tod von Wolfgang Sabath.
    Er wird eine Lücke hinterlassen. Ihnen wünsche ich, daß Sie das Blättchen, so wie es ist, erfolgreich weiterführen können.
    In alter Verbundenheit
    Jochen Gutte, Jerichow

  157. Stefan Kalhorn sagt:

    Auch ich möchte auf diesem Wege der Familie von Wolfgang Sabath und allen, die einen Freund verloren haben (vor allem Heinz Jakubowski), mein Mitgefühl ausdrücken. Ich hatte leider nur eine kurze persönliche Begegnung mit Wolfgang Sabath (aber habe sehr viele E-Mails mit ihm getauscht). Trotzdem bin ich froh und dankbar, dass ich diesen so freundlichen und besonderen Menschen kennenlernen durfte und mit ihm ein paar Wochen zusammenarbeiten konnte. Er wird nicht nur dem Blättchen fehlen.

    Stefan Kalhorn

    http://klagefall.antville.org/stories/2049709/

  158. Herbert Wilkow sagt:

    Persönlich kennengelernt habe auch ich Wolfgang Sabath leider nie. Aber seine Feder habe ich immer sehr gemocht – seit den Zeiten seiner Arbeit im “Sonntag” und “Freitag”, und danach im “Blättchen”.
    Vor allem seine Ironie – und dort, wo angebracht, konnte sie ätzend sein – habe ich geliebt.
    Schon deshalb stehen auch Wolfgang Sabaths Bücher in meinem Regal.

    Danke, Wolfgang Sabath,
    Ihr treuer Leser Herbert Wilkow

  159. Steffen Sabath sagt:

    Die Angehörigen danken!

    Steffen Sabath

  160. Auch mich, der ich Herrn Sabath persönlich nicht gekannt habe, macht sein plötzlicher Tod betroffen. Er war es, der mir den Zugang zum Blättchen bereitete und die Rezension meines Buches “Störfall Zukunft” anschob. Seinen Angehörigen gilt mein herzliches Beileid!
    Ulrich Scharfenorth, Ratingen

  161. Ines Fritz sagt:

    Ich bin eine Hinterbliebene. Der Tod von Herrn Sabath betrifft mich. Ich habe seine Kritik sehr geschätzt und dabei vorallem, dass er sie so formuliert hat, wie er es stets tat: Höflich und hilfreich. Herr Sabath ist für mich der Prototyp eines freundlichen Intellektuellen und ich bin stolz drauf, ihn in bester Erinnerung zu haben.

  162. Jörn Schütrumpf sagt:

    Jede zusätzliche Einengung seiner Unabhängigkeit war ihm stets verhaßt. In der DDR wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, einer Partei beizutreten. Doch am 17. März 1990, einen Tag vor den ersten und letzten freien Volkskammerwahlen, trat er der PDS bei.

    Es dauerte allerdings nur einige Jahre, bis er wieder anfing, Mühsams Lampenputzer zu zitieren:

    Der Revoluzzer
    Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

    War einmal ein Revoluzzer,
    Im Zivilstand Lampenputzer;
    Ging im Revoluzzerschritt
    Mit den Revoluzzern mit.

    Und er schrie: ‘Ich revolüzze!’
    Und die Revoluzzermütze
    Schob er auf das linke Ohr,
    Kam sich höchst gefährlich vor.

    Doch die Revoluzzer schritten
    Mitten in der Straßen Mitten,
    Wo er sonst unverdrutzt
    Alle Gaslaternen putzt.

    Sie vom Boden zu entfernen,
    Rupft man die Gaslaternen
    Aus dem Straßenpflaster aus,
    Zwecks des Barrikadenbaus.

    Aber unser Revoluzzer Schrie:
    ‘Ich bin der Lampenputzer
    Diesen guten Leuchtelichts.
    Bitte, bitte, tut ihm nichts!

    Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
    Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
    Laßt die Lampen stehen, ich bitt!
    Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!’

    Doch die Revoluzzer lachten,
    Und die Gaslaternen krachten,
    Und der Lampenputzer schlich
    Fort und weinte bitterlich.

    Dann ist er zu Haus geblieben
    Und hat dort ein Buch geschrieben:
    Nämlich wie man revoluzzt
    Und dabei noch Lampen putzt.

    Irgendwann hatte es sich für ihn mit der PDS ausgeputzt; er nahm’s ohne Trauer.

    Vor einen Jahr hat ihn eine heimtückische Krankheit auf seinen letzten Weg geschickt… Wie immer verharren wir Zurückbleibenden in Trauer und Ohnmacht.

    Er hat immer nach seinen Prinzipien gelebt, ohne je prinzipiell zu werden. Laßt uns auf ihn anstoßen. Salut Wolfgang

  163. Steffen Sabath sagt:

    Nach langer schwerer Krankheit, ist heute unser lieber Vater und Macher
    dieses Organs, Wolfgang Sabath, kurz vor Vollendung seines 74. Lebensjahres,
    gestorben. Möge das Blättchen in seinem Sinne fortgeführt werden.

    Lange hat er dem Tod frech in’s Gesicht gegrinst, aber irgendwann kriegt er
    uns alle. Mach’s gut, Vati.

    Steffen Sabath

    • Detlef Kannapin sagt:

      Da ist einer der Besten und Unbestechlichsten gegangen! Sein: “Und wo bleibt dein Text, Jugendfreund?” wird mir sehr fehlen.

  164. Helge Jürgs sagt:

    “Dieser Geifer und dieser Jagdrausch der politischen Gegner macht Angst um das Verbleiben der Mitmenschlichkeit in unserem Land.” So etwas habe er seit 1945 so nicht mehr erlebt. – Das hat Baron Enoch zu Guttenberg, KT´s Vater, vor Getreuen aus Guttenbergs gleichnamigen Heimatort verlauten lassen. Hätte er sich ein wenig für das Geschehen im Osten seines schönen Heimatlandes seit 1989 interessiert, wäre ihm dieser Vergleich möglicherweise im Halse stecken geblieben…

  165. Helge Jürgs sagt:

    An diesem Wochenende, ist zu lesen, wollen deutschlandweit Aktivisten zu pro-Guttenberg-Demonstrationen auf die Straße gehen. Das einnert mich doch sehr an Erich Kästners Worte:
    Was auch immer geschieht:
    Nie dürft ihr so tief sinken,
    von dem Kakao, durch den man euch zieht,
    auch noch zu trinken!
    Nur eben, dass Kästner die Sinkfäghigkeit von Menschen leider verkannt hat.
    Helge Jürgs

  166. Noli sagt:

    Wer die Guttenberg-Story – so wie ich – bisher nur als formidablen Skandal betrachtet hat, dem verhilft Harald Martenstein vom TAGESSPIEGEL zu einer noch zutreffenderen Sicht auf die Dinge: „Ein Konservativer ohne Ehre und Anstand – das ist so paradox wie ein Linker ohne Mitgefühl und Gewissen. Bei einem rechtzeitigen Rücktritt wäre Guttenberg in die Liga der Bischöfin Käßmann aufgestiegen, … in spätestens zehn Jahren wäre er Bundeskanzler gewesen. Jetzt aber spielt er in der Liga von Franz Josef Strauß …
    Strauß war NS-Führungsoffizier und verhängte noch im April 1945 ein Schreibverbot gegen den Autor Hans Hellmut Kirst. Seine Dissertation ist angeblich im Krieg verbrannt, ersatzweise ließ er sich von der Uni in Santiago de Chile zum Ehrendoktor ernennen. Damals regierte in Chile der Diktator Pinochet … Strauß wurde Verteidigungsminister, offenbar, weil ihm immer wieder Bestechlichkeit und Vorteilsnahme vorgeworfen wurden. Kritische Journalisten ließ er verhaften. Daraufhin stieg er sogar zum Kanzlerkandidaten auf.
    Friedrich Zimmermann, Dr. jur., beide Staatsexamen, zunächst NSDAP, nach deren Auflösung CSU, wurde wegen Meineids verurteilt. In der zweiten Instanz erreichte er einen Freispruch mit der Begründung, er sei unterzuckert und geistig unzurechnungsfähig gewesen … Die Partei belohnte diese Qualifikationen mit dem für unterzuckerte Vorbestrafte wie geschaffenen Amt des Bundesinnenministers.
    Otto Wiesheu, Volljurist, Dr. jur., hat volltrunken einen Rentner totgefahren und wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Deshalb war er in den Augen der CSU genau der richtige Mann für das Amt des bayrischen Verkehrsministers.
    Max Streibl, Volljurist, konnte auch ohne kriminelle Vorgeschichte bis zum bayrischen Ministerpräsidenten aufsteigen, machte dies aber in der sogenannten ‘Amigo-Affäre’ mehr als wett …
    Die Guttenberg-Affäre ist also gar keine Affäre, sondern ein Initiationsritual, das jeder CSU-Politiker absolvieren muss, um der Partei seine Befähigung für höchste Ämter zu beweisen … Der parteiinterne Codename für dieses Ritual lautet ‚Ehre und Anstand’.“

  167. Detlef Kannapin sagt:

    Miscellanea VII

    1. Die Inflationierung des Revolutionsbegriffes
    Es ist im Bürgertum Mode geworden, jede kleinste politische Rochade zur Revolution hochzusprechen. Die jüngsten Beispiele setzen nur fort, was 1989/90 begann. In Ermangelung einer wirklichen Fortschrittsperspektive und mit handfesten ideologischen Vorsätzen will die Klasse der Besitzenden terminologisch erledigen, was auf sie selbst zukommen kann. Ihre Überlegung: Je öfter wir von Revolution reden, wenn wir sehen, dass wir als Formation, Produktionsweise und Denken nicht gemeint sind, umso verwirrter werden diejenigen sein, die an einer wirklichen Veränderung der bestehenden Zustände interessiert sind. Das scheint ja irgendwie zu klappen, denn der Bazillus befällt auch Leute, die zumindest fahnenschwenkend an die Emanzipation glauben.
    Der PR-Berater, der den Euphemismus „friedliche Revolution“ erfunden hat, dürfte heute reich und trocken an irgendeinem Starnberger See sitzen und sich eins feixen. Ihn geschichtswissenschaftlich auszugraben, wenn es soweit ist und ihn dafür zu richten, dass die Welt Jahrzehnte vertrödelt hat, um tatsächlich weiterzukommen, wird kulturelle Aufklärungsaufgabe der neuen Zeit sein. Da werden nun ellenlang die Attribute aufgestockt und ausgetauscht, man erfindet Blüten und Sonnen, lässt Machthaber fallen und das System ganz, und einer schreibt sogar den Lenin-Satz von der Revolution als dem Moment, an dem die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen, Foucault zu. In Erinnerung zu rufen wäre, dass eine Revolution mit Fortschritt verbunden ist, mit Geist und mit Perspektive. Die Antizipation der menschlichen Gesellschaft ist ihr Programm, alles andere darunter heißt Wende, Wandel, Verschiebung politischer Koordinaten, Wechsel der Herrschaft innerhalb der Klassenstruktur kapitalistischer Gesellschaften u.a. „Friedlich“ ist an einer Revolution, die den Namen verdient, nur ihr Ende, nämlich der Tag, an dem die große Mehrheit der Bevölkerung erst so frei ist, um darüber nachzudenken, was sie als Nächstes tut. Bis dahin sollte man Engels noch einmal gehört haben, bevor man wieder Revolution sagt: „Eine Revolution ist gewiss das autoritärste Ding, das es gibt; sie ist der Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung dem anderen Teil seinen Willen vermittelst Gewehren, Bajonetten und Kanonen, also mit denkbar autoritärsten Mitteln aufzwingt; und die siegreiche Partei muss, wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen.“

    2. Der Kommunismus in Deutschland
    Apropos Schrecken: Ich habe an anderer Stelle formuliert, dass der Kapitalismus alles vereinnahmen kann, außer – den Kommunismus. Das funktioniert immer noch hervorragend, wie man in den letzten Monaten gesehen hat. Die geistige Situation der Zeit offenbart doch viel vom Zustand ihrer materiellen Grundlagen. Sonst hätte sofort auffallen müssen, dass in Deutschland über den Kommunismus gar nicht diskutiert wird.
    Dreimal besaß der Kommunismus als Idee in Deutschland einen gewissen Masseneinfluss. 1918, 1932 und 1945. Parlamentarische Mehrheiten im Sinne bürgerlicher Politikvorstellungen hatte er nie. Der Witz der Veranstaltung war ja dann auch eigentlich der, nach der Abwirtschaftung des Imperialismus im Zweiten Weltkrieg ein Vorläufersystem zu installieren, um die Menschen schrittweise an andere Lebensformen heranzuführen. Kommunismus ist somit Umsturz und daraufhin eine kulturelle Leistung. Die Mehrheiten stellen sich später ein. Das haben bislang nur wenige begriffen.
    1944, in den letzten Zügen des Faschismus, debattierte John Heartfield im englischen Exil über Dadaismus und Surrealismus. Im Protokoll dieser Unterhaltung ist unter Punkt 21 vermerkt: „Auf die Behauptung der Surrealisten, dass ihre Kunst revolutionär sei, weil sie den Bourgeois schockiere (‚Kunst des Bürgerschrecks’) gaben Grosz und seine Freunde folgende Antwort: ‚Der Bourgeois der Ära des Imperialismus ist durch nichts mehr schockiert, außer durch den Kommunismus.’ Erotik, sexuelle Perversionen, Jagd nach Sensationen und sogar das ‚Staubaufwirbeln’ in der Art der guten alten Antitrust-Kampagne aus der Zeit vor 1914 stören die Krupps und Rockefellers und Montagu Normans nicht im geringsten. Sie begrüßten sie im Gegenteil als Ablenkung vom Hauptproblem. Damen mit Sinn für Ästhetik und junge Herren sind von solch ‚interessanten’ Dingen schockiert und schwelgen in ihnen so, wie sie in ihren eigenen Neurosen schwelgen und ihre Psychiater anhimmeln. Auf der Bühne, auf der Leinwand, in der Literatur, der Malerei usw. lässt die Zensur alles durchgehen – solange es nicht nach ‚Bolschewismus’ stinkt.“ Abgesehen von der Zensur, die heute eher dadurch wirkt, dass einen das nebensächliche Material erschlägt, hat sich an der bürgerlichen Angst vorm Kommunismus nichts geändert. Dafür scheint ein Grund vorzuliegen.

    3. Lenin
    Eine neue Biographie des 2006 verstorbenen Historikers Wolfgang Ruge gegen Lenin versucht gar nicht erst, sich über die welthistorische Dimension dieses revolutionären Politikers Klarheit zu verschaffen. Im Untertitel heißt es: Vorgänger Stalins. Ja, was denn sonst? Als historischer Fakt ist das Diktum banal, als ideologische Tendenz für den Verfasser späte Katharsis, als Signal für den Leser wiederum Schrecken. Stalin, der Lenin von später? Oder Lenin, der Stalin von früher? Man weiß es nicht und soll es nicht wissen. Lenin hatte angeblich, so Ruge, keine Ahnung vom praktischen Leben. Er regierte aus Papieren und ließ den Terror des Bürgerkrieges laufen. Nichts, aber auch gar nichts bleibt hängen vom großen Revolutionär, Theoretiker und Polemiker. Stattdessen wird ihm die Faszination des deutschen Spießertums und kein jüdischer Einfluss zugeschrieben. Da sollte man dankbar sein.
    Bezeichnend ist folgende Passage aus dem Vorwort Eugen Ruges, dem Sohn, für die der Vater nichts kann, auch wenn er für den Rest kann: „Möglicherweise gibt es in der Geschichte Lenins und des Oktoberumsturzes einen Aspekt, der über das Zeitgeschichtliche weit hinausgeht; schließlich geht es hier auch um die Logik der Macht, es geht um die Inhärenz von Zweck und Mittel – eine Frage, über die die Heutigen, wenn sie in die Geschichte zurückblicken, sich keineswegs im Klaren sind. (Das gilt nicht etwa bloß für lernunwillige Altlinke; wenn ich hier als Beispiel Quentin Tarantinos intelligenten und dabei haarsträubend dummen Film Inglorious Basterds nenne, dann in der – wohl vergeblichen – Hoffnung, dass künftige Leser nicht mehr wissen werden, wovon ich rede.)“ Das fällt auch so ziemlich schwer. Hier hat einer die Dialektik mit logischer Antinomie verwechselt und hält etwas Falsches für gleichzeitig intelligent und dumm. Über Zeitgeschichtliches kann nur etwas anderes Geschichtliches hinausgehen, nämlich das Geschichtliche früherer Epochen. Alles andere sind Abstraktionen, die für sich genommen keinen Wert haben. Und weit vernehmlich soll sein, dass eine der wirklichen Revolutionen der Neuzeit ein bloßer Umsturz war (vgl. 1.).

    4. Sprachlehre IV
    Im aussichtslosen Kampf gegen die deutschen Preßreptilien rutscht so manche sprachliche Eigenheit durch, die trotz des guten Anliegens aus Gründen der Haltung nicht unwidersprochen bleiben kann. „Ich glaub, es hackt.“ Was soll das heißen? Da glaubt jemand, ja, was eigentlich? „Es hackt.“ Gut, man kann sich vorstellen, dass in Passivform Unkraut gejätet wird. Dann hackt es. Auch auf einem Holzklotz. Beides geht gerade noch durch. Möglich ist auch ein Satzfehler. Dann könnte es heißen: „Ich glaub, es hakt.“ Dann fehlt, im übertragenen Sinne, eine Gehirnwindung (was aus dem Rest des Textes plausibel hervorgehen würde), und im sachlichen Sinne strömt, fließt oder bewegt sich generell nichts, weil es mechanisch am Fortkommen gehindert wird. Aber „es hackt“. Dass es sich dabei nicht um einen signifikanten Übertragungsfehler handelt, beweist die Wiederholung in der Schlusswendung: „In der Gefahr, dass ich mich wiederhole: ich glaub es hackt.“ Erneut findet sich kein Apostroph hinter der ersten Person von „glauben“, so dass angenommen werden muss, eine Erkennbarkeit der grammatikalischen Form ist verzichtbar. Ebenso beim Satzbau, die beiden Hauptsätze sind jetzt nicht mehr durch ein Komma getrennt. Sodann „hackt es“ wieder, woraufhin zu vermuten wäre, dass der Gartenweg weiter zu pflegen und das Holz immer noch zu zerteilen ist. Die Floskel „in der Gefahr“ ist hier falsch. Es gibt sie bei Friedrich von Logau und Alexander Kluge: „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg der Tod.“ (Der bestimmte Artikel musste aus Gründen der Reimgesetzgebung entfallen.) Hier hätte richtig stehen müssen: „Auf die Gefahr hin, dass…“
    Auf die Gefahr hin, dass durch solche Korrektur die Intelligenz und Integrität des Widerstandes geschmälert erscheint, wird für wahr erkannt: Ein klarer Gedanke äußert sich in einer klaren Sprache. Das Gleiche gilt für den richtigen Gedanken. Eine Welt, die völlig vergessen hat, sich bei falscher Ausdrucksweise zu schämen, schämt sich auch nicht mehr bei irreführender Inhaltsangabe. Dass das System gleich geblieben ist, zeigt eine Formulierung aus dem Jahre 1925: „Denn nichts wäre verderblicher als die Fortfristung durch die Zuversicht, dass die Laus im Gürtelpelz der kapitalistischen Gesellschaft deren Verfall beschleunige. Solcher Hilfe, die gefährlicher ist als die Gefahr, bedarf`s nicht, wohl aber (…) bedarf es der Entschlossenheit gegen ein kulturelles Greuel, das außerhalb der Norm kapitalistischer Verderbnis die Luft, in der das Volk lebt, verpestet und das heute schon die sieghafte journalistische Grundgestalt bedeutet, der sich allmählich die bürgerliche Presse, mag sie sich mit all ihrer Feigheit noch so sehr dagegen wehren, zu assimilieren droht.“

    • Thorsten Koppusch sagt:

      Lieber Detlef Kannapin,
      danke für Ihre anregenden Miszellen. Bei der ersten zitieren Sie Friedrich Engels; hätten aber vielleicht doch auch anfügen sollen, dass “die siegreiche Partei “, “wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen “ muss, dies im Realsoziaslismus eben nicht die sinnbildliche Partei der vorher Entrechteten war sondern eine reale Kaderpartei mit von den Sowjets belehnter Macht über ein Volk, gegen dessen Gros sie dann ihre Waffen – an den Grenzen ihres territorialen Machtbereichs nämlich – richtete und zu Reaktionären erklärte, wer sich ihrem ideologischen und praktischen Diktat nicht beugte.
      Diese und weitere Diktate abgeschafft zu haben, war m.E. sehr wohl ein revolutionärer Akt, selbst wenn diese Revolution keine war, wie man sie sich in der vormaligen Gesellschaftstheorie vorstellte.
      Meint der Sie gern lesende und freundlich grüßende
      Thorsten Kappusch

  168. Die Restauration läuft oder … komm zurück GUTTI !
    In welcher Verfassung sich zu Guttenberg derzeit befindet und wie er seine Verfassung verträgt (vgl. seine Doktorarbeit „Verfassung und Verfassungsvertrag“) ist derzeit nicht bekannt. Es liegt mir auch fern auf einen am Boden Liegenden weiter herumzutrampeln. Wenngleich die Feststellung „am Boden“ nicht unbedingt zutreffen muss. Denn ganze Heerscharen von K.T.-Anhängern scheinen bereits jetzt sein Comebeck vorzubereiten. Glaubt man der „Rheinischen Post“ dann formiert sich gerade das Volk, um in Demos des Freiherrn Rückkehr zu fordern. Möglich, dass diese Leute, die die Infragestellung promotorischen Brauchtums offenbar noch immer nicht richtig bewerten können, die Einführung des Dr. plag. beabsichtigen. Wäre dieser Trend erfolgreich, dann stünde der sofortigen Rückkehr des Freiherrn in die Politik nichts mehr entgegen. Vorläufig aber scheint noch alles in die alte Richtung zu laufen. Frau Merkel berief einen neuen Minister und schob einen anderen in die Kasernenecke.
    Parallel dazu bemühen sich immer mehr Leute mit Doktortitel diese zu rechtfertigen bzw. auf die Lauterkeit bei deren Erwerb hinzuweisen. Völlig verständlich. Denn im Netz soll sich eine kleine Gruppe von Doktorjägern rekrutiert haben, die je nach Mittelaustattung, politischer Großwetterlage und Landtagswahl die Scanner anwirft, um missliebige oder zum Abschuss befohlene Protagonisten als Epigonen/Plagiatoren zu entlarven. Der Run auf Doktorarbeiten bringt die Universitäten bereits in Erklärungsdruck. Denn viele der Texte sollen derzeit mit dem Vermerk „anonyme Dauerausleihe“ verschwunden oder von Amts wegen für die Ausleihe gesperrt sein. Dem treten die Investigativen mit harschen Mittel entgegen. Sie wollen eine Liste der nicht verfügbaren Werke mit Titel und Namen ins Netz stellen. Apropos: Gestern Abend hieß es bei ZDF.log in (ZDF info), dass Gesundheitsminister Dr. Rösler seinen Titel von der Website genommen habe. Keine Ahnung, ob das stimmt oder nur heiße Luft war. Sie können ja mal nachschauen.

  169. Helge Jürgs sagt:

    “Ich weiß, dass wir eine gesellschaftliche Diskussion brauchen, die deutlich macht, Raubkopien sind kein Kavaliersdelikt. Dieses muss immer wieder deutlich gemacht werden.”
    Angela Merkel 2008
    Der Berliner Zeitung von heute sei Dank für diese hübsche Erinnerung.

  170. Hans Jahn sagt:

    Aus einem Beitrag der Jungen Welt vom heutigen Montag:
    … Da müssen erst Demonstrationen in Libyen aus der Luft beschossen werden, bevor Deutschland und die EU einen einstweiligen Stopp der Rüstungsexporte erwägen und schließlich einleiten. Wozu all die Waffen dienen, die in den vergangenen Jahren nach Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten und auf die Arabische Halbinsel geliefert wurden, war stets klar: zur Kontrolle und Unterdrückung der Bevölkerung. Überdeutlich wird das jetzt an den aufgeregten Debatten über den vermeintlichen »Exodus biblischen Ausmaßes« aus Nordafrika. Stichwortgeber für die gesamte EU ist der extrem rechte italienische Innenminister Roberto Maroni von der neofaschistischen Lega Nord…

    • Hans Jahn sagt:

      Und noch ein Schmeckerchen aus der heutigen Zeitungsschau:

      “Heute sind wir nicht mehr nur Leitmedium
      in Sachen Sport und Unterhaltung, sondern
      auch im Bereich Politik und Wirtschaft.”

      Bild-Chef Kai Dieckmann im Spiegel-Interview

      Weit haben wir´s gebracht!

  171. Herbert Wilkow sagt:

    Genauso ist es: Viel Übles geschieht eigentlich nur deshalb, weil kaum einer, meist sogar keiner schlicht und einfach NEIN sagt zu den Vereinnahmungsversuchen durch die Verdummungsindustrie. Und fast ein jeder, der dafür infrage käme, verweist darauf, daß andere es ja “leider, leider” auch nicht tun und man auf diese breite Öffentlichkeit ja nicht einseitig verzichten könne. So vermögen es die Manipulateure also, fast ungehindert ihr Werk zu tun. Als wenn wir Deutschen vor 20 Jahren nicht hätten erleben könnem, was die Zivilcourage zuerst Weniger in Gang zu setzen vermag. Auch der arabische Aufruhr hat diesen Weg genommen.

    Vor zwei oder drei Jahren ging mal die kleine Meldung durch die Presse, daß die Nachrichtensprecherin einer bekannten US-TV-Station sich geweigert hat, ihre Sendung mit einer Meldung über das “Thema” Paris Hilton zu beginnen. Statt dieser redaktionellen Aufforderung zu folgen, zerriß sie die Textvorlage vor laufender Kamera.
    Daß man über die Konsequenzen für die Dame nichts lesen konnte, dürfte kein Zufall sein. Sich mit solcher Zivilcourage näher zu befassen oder gar Sympathien zu ihr zu bekunden, hielten die Medienjpurnalisten seinerzeit offenbar für läßlich. Wer schaut schon gern in den Spiegel, den man ihm vorhält?

    Danke also an Judith Holofernes – vielleicht macht die Haltung der Band sogar ja doch noch Schule. Leute wie Lafontaine oder Gysi könnten mit einer Verweigerung gegenüber diesem Blatt ja schon mal beispielgebend anfangen.

    meint Herbert Wilkow,
    der sich über die neuen Ausgaben des Blättchens freut

  172. Die Redaktion sagt:

    Wenn es soviel Intelligenz und Integrität doch öfter gäbe….
    Das Folgende entstammt der Webseite der Band “Wir sind Helden”. Ist der Bandname wohl eher ironisch gemeint – die hier dokumentierte Haltung hat denn doch etwas von diesem Anspruch – schon, weil sie so solitär ist.

    Die Anfrage

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    wir sind als Werbeagentur mit der aktuellen BILD-​Kampagne betraut, in der wir hochkarätigen Prominenten eine Bühne bieten, ihre offene, ehrliche und ungeschönte Meinung zur BILD mitzuteilen.

    Derzeit planen wir die nächste Produktionsphase für Frühjahr 2011. Die neu zu produzierenden TV- und Kinospots sowie Plakat-​ und Anzeigenmotive sollen die bestehenden Motive von Veronica Ferres, Thomas Gottschalk, Philipp Lahm, Richard von Weizsäcker, Mario Barth u.v.m. ergänzen.

    Für diese Fortführung der Kampagne möchten wir sehr gern “Wir sind Helden” gewinnen.

    Das schöne an der Kampagne ist, dass sie einem guten Zweck zu Gute kommt. BILD spendet in Namen jedes Prominenten 10.​000,- Euro an einen von Ihnen zu bestimmenden Zweck.

    Lassen Sie uns gern telefonieren und die Details besprechen. Zur Detailinformation senden wir Ihnen bereits heute anbei einige weiterführende Informationen.

    Ich freue mich dazu von Ihnen zu hören.
    Herzliche Grüße aus Hamburg,
    Jung von Matt/Alster Werbeagentur GmbH

    Unsere Antwort

    Liebe Werbeagentur Jung von Matt,

    bzgl. Eurer Anfrage, ob wir bei der aktuellen Bild -​Kampagne mitmachen wollen:

    Ich glaub, es hackt.

    Die laufende Plakat-​Aktion der Bild-​Zeitung mit sogenannten Testimonials, also irgendwelchem kommentierendem Geseiere (Auch kritischem! Hört, hört!) von sogenannten Prominenten (auch Kritischen! Oho!) ist das Perfideste, was mir seit langer Zeit untergekommen ist. Will heißen: nach Euren Maßstäben sicher eine gelungene Aktion.

    Selten hat eine Werbekampagne so geschickt mit der Dummheit auf allen Seiten gespielt. Da sind auf der einen Seite die Promis, die sich denken: Hmm, die Bildzeitung, mal ehrlich, das lesen schon wahnsinnig viele Leute, das wär schon schick… Aber irgendwie geht das eigentlich nicht, ne, weil ist ja irgendwie unter meinem Niveau/evil/zu sichtbar berechnend… Und dann kommt ihr, liebe Agentur, und baut diesen armen gespaltenen Prominenten eine Brücke, eine wackelige, glitschige, aber hey, was soll’s, auf der anderen Seite liegt, sagen wir mal, eine Tüte Gummibärchen. Ihr sagt jenen Promis: wisst ihr was, ihr kriegt einfach kein Geld! Wir spenden einfach ein bisschen Kohle in eurem Namen, dann passt das schon, weil, wer spendet, der kann kein Ego haben, verstehste? Und außerdem, pass auf, jetzt kommt’s: ihr könnt sagen, WAS IHR WOLLT!

    Und dann denken sich diese Promis, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, irgendeine pseudo -​distanziertes Gewäsch aus, irgendwas “total Spitzfindiges”, oder Clever-​ Unverbindliches, oder Überhebliches, oder… Und glauben, so kämen sie aus der Nummer raus, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Und haben trotzdem unheimlich viele saudumme Menschen erreicht! Hurra.

    Auf der anderen Seite, das erklärt sich von selbst, der Rezipient, der saudumme, der sich denkt: Mensch, diese Bild -​Zeitung, die traut sich was.

    Und, die dritte Seite: Ihr, liebe jungdynamische Menschen, die ihr, zumindest in einem sehr spezialisierten Teil eures Gehirns, genau wisst, was ihr tut. Außer vielleicht, wenn ihr auf die Idee kommt, “Wir sind Helden” für die Kampagne anzufragen, weil, mal ehrlich, das wäre doch total lustig, wenn ausgerechnet die…

    Das Problem dabei: ich hab wahrscheinlich mit der Hälfte von euch studiert, und ich weiß, dass ihr im ersten Semester lernt, dass das Medium die Botschaft ist. Oder, noch mal anders gesagt, dass es kein “Gutes im Schlechten” gibt. Das heißt: ich weiß, dass ihr wisst, und ich weiß, dass ihr drauf scheißt.

    Die BILD -​Zeitung ist kein augenzwinkernd zu betrachtendes Trash-​Kulturgut und kein harmloses “Guilty Pleasure” für wohlfrisierte Aufstreber, keine witzige soziale Referenz und kein Lifestyle-​Zitat. Und schon gar nicht ist die Bild -​Zeitung das, als was ihr sie verkaufen wollt: Hassgeliebtes, aber weitestgehend harmloses Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands.

    Die Bildzeitung ist ein gefährliches politisches Instrument — nicht nur ein stark vergrößerndes Fernrohr in den Abgrund, sondern ein bösartiges Wesen, das Deutschland nicht beschreibt, sondern macht. Mit einer Agenda.

    In der Gefahr, dass ich mich wiederhole: ich glaub es hackt.

    Mit höflichen Grüßen,
    Judith Holofernes

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Bravo, Judith Holofernes!

  173. Thorsten Koppusch sagt:

    Anmerkung zu einer Bemerkung
    Zur Bemerkung “Alte Welt in Junger Welt” im aktuellen “Blättchen” fällt mir, der ich das ganze Interwiew gelesen habe, um das es da geht, ein Aphorismus von Horst Drescher ein:
    “Menschen, die man auf dem Gewissen hat, bleiben einem irgendwie unsympathisch; unsympathisch auch dann, wenn man ihnen sozusagen schon lange verziehen hat, dass man sie auf dem Gewissen hat.”
    Th. Koppusch

  174. Helge Jürgs sagt:

    Standing ovations
    Als Guttenberg kürzlich auf einer Wahlveranstaltung im hessischen Kehlheim noch den Lauteren gab (“Hier oben steht das Original und kein Plagiat”), erntete er „tosenden Beifall“. Das war auch im TV zu sehen. Unter denen, die standing ovations spendeten, befand sich unübersehbar auch Roland Koch, gewesener MP des Landes – und berühmt-berüchtigt geworden als „brutalsmöglicher Aufklärer“ der CDU-Spendenaffaire, die in „seiner“ Heimat-CDU ihren für die Demokratie tieftraurigen Anfang genommen hatte. Wurden – neben dem eigentlichen kriminellen Betrug – doch erlogene Spenden ausgerechnet inzwischen verstorbenen Juden angedichtet, und krönte der deutsche Kanzler Kohl diese Widerlichkeit doch damit, daß er mit Bezug auf sein gegebenes „Ehrenwort“ die Aufklärung des Falles durch die Verweigerung von Namensnennungen verhinderte.
    Wie hat Kurt Tucholsky einst geschrieben:
    „ Oh Justitia, Du dauerst mich, Du gehst auf einen langen —————————————„
    Statt Justitia kann man spätestens seitdem auch gern die Demokratie anrufen, oder?
    Helge Jürgs

    Justitia schwoft
    (….)
    Der Staatsanwalt: Und wenn sie Republik spielen – was tun wir?
    Die Justitia: Wir bleiben unserm Kaiser treu!
    Der Staatsanwalt: Denn was haben wir?
    Die Justitia: Wir haben die Unabhängigkeit der Justiz!
    (Achtunddreißig Hühner treten auf, lachen und trippeln wieder ab.)
    Der Staatsanwalt: Und die Waage?
    Die Justitia: Hängt schief.
    Der Staatsanwalt: Und die Binde?
    Die Justitia: Hat Gucklöcher.
    Der Staatsanwalt: Und das Schwert?
    Die Justitia: Ist zweischneidig. Komm, Luis, gehn wir tanzen!
    Der Staatsanwalt (mit Überzeugung): Du süße Sau –! (er pfeift auf zwei Fingern)
    Beide: Justitia geht schwofen! – Haste so was schon gesehn! – Sie biegt sich und schmiegt sich – man läßt es geschehn! – So tief duckt kein Knecht sich – wie diese Nation – Justitia, die rächt sich – für die Revolution! – Die Deutschen, die doofen – die geben schon Ruh – Justitia geht schwofen – sie hats ja dazu –!
    (Beide keß tanzend ab)
    Aus: Kaspar Hauser, Freie Welt, 1920, wieder in: Mona Lisa.

  175. Es ist zum Kotzen: Noch beim Frühstück wird mir klar, wie zu Guttenberg auch die Hürden der bösen Presse nimmt, wie diese öffentlich grinsend auf den cleveren Betrüger einschwenkt und süffisant die permanete Rücktritts-Renitenz nebst Do-it-youeself-Reinigung (Karikatur: Nik Ebert) mitlebt. Dass die RP einen der übelsten Trickser insgeheim hofiert und zeit-bzw. raumgleich, sprich: auf ihrer Seite A2 den Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse wegen einer Polizistenbeschimpfung inmitten eines Nazigerangels zum Gesetzesbrecher stilisiert („Rheinische Post“, 24. Februar 2011), spricht für die typische Entgleisung der verantwortlichen Zeitungsmacher. Guttenberg hat betrogen und ist allein deswegen ein Glaubwürdigkeitsproblem. Thierse hingegen ist schon immer ein Beleg für Glaubwürdigkeit. Er hat einen Polizisten beschimpft, weil er meinte, der tue anlässlich einer Nazi-Demo mehr für die Braunen als für deren Widersacher. Allein die Tatsache, dass sich ein Demokrat über eine seines Erachtens üble Verhaltensweisen der Polizei aufregt, ist hier, 600 km weg vom Geschehen, ein Beschimpfungsgrund. Thierse war schon immer unkonventionell – und hatte verschiedentlich alles andere als die Steifperücke des Bundestags im Nacken. Das gefällt vielen nicht. Doch dieser Mann sprich Klartext, sagt also, was er meint und ist aufrichtig. Dagegen ist die Einhaltung der bürokratischen Kleider- und Standesordnug im Bundestag – das übliche, oft einzige Ritual vieler Volksvertreter – ein Scheißdreck. Das allerdings dürfte die von BILDzeitungs-Ambitionen triefende RP anders sehen. Wer gegen die Macht des Bestehenden anpinkelt, bekommt auf ihrem Papier die Knute.

  176. Wolfgang Kost sagt:

    “Darf man mit einer relativ großen Förderung so am großen Publikum vorbeiinszenieren?”, fragen Sie, lieber F.B. Habel mit Bezug auf den Film “Schlafkrankheit”. Ich will die generelle Berechtigung einer solchen Frage ja nicht anzweifeln – aber was heißt denn “am großen Publikum” vorbei? Wenn wir das Verhältnis des Einsatzes von Fördermitteln allein an den Zuschauerzahlen messen, dann ab mit diesen Mitteln in Till Schweigers Hände. Wie würden denn qualitativ hochwertige Filme (ob “Schlafkrankheit” diesem Urteil gerecht wird, ist eine andere Frage) noch zustandekommen, wenn finanzielle Unterstützung vom Voraburteil der Auguren abhingen, ob ein Film ein Kassenknüller wird. Genau nach diesem Aspekt gestalten jetzt schon die öffentlich-rechtlichen TV-Stationen ihre Programme. Da wird Anspruchsvolles zwar noch geboten, in der Regel aber kaum vor 23.00 oder 24.00 Uhr, denn zu solchen Zeiten können eh nur noch Rentner und Arbeitslose fernsehen – reines Alibi also.
    Vorsicht also, finde ich, mit Urteilen wie dem Ihren.
    Mit dennoch freundlichen Grüßen an Sie als sonst geschätzten Filmfachmann und an das Blättchen überhaupt,
    Wolfgang Kost

    • F.-B. Habel sagt:

      Genau diese Überlegungen, lieber Wolfgang Kost, wollte ich provozieren. Ich habe zwar über den Film geurteilt, ihn aber nicht abgeurteilt. Ich meine schon, daß die Möglichkeit zu künstlerischer Freiheit gewahrt werden sollte. Immerhin hat der Film einen “Silbernen Bären” erhalten – für mich eher eine Enttäuschung. Ich würde “Schlafkrankheit” meinen Freunden nicht unbedingt empfehlen, aber der Film ist doch besser als der viele kommerzielle Schrott, der auf Leinwände und Monitore kommt!

  177. Noli sagt:

    Im Zusammenhang mit den Aufregungen über die Abschreibarbeiten des Herrn von und zu Guttenberg und den dabei vorgekommenen laxen Umgang mit der wissenschaftlichen Institution der Fußnote macht Götz Aly in der Berliner Zeitung folgende Anmerkung: „Die Fußnote als solche entstammt der mittelalterlichen Marginalistik, doch gehört sie in ihrer neuzeitlichen Form zum nationalen Kulturgut der schon immer etwas zwanghaften Deutschen. Für die Geschichtswissenschaft hat sie Leopold von Ranke vor fast 200 Jahren mit der Absicht durchgesetzt, diese, den Naturwissenschaften gleich, zu objektivieren. Es bedurfte eines amerikanischen Fachkollegen, um das Fußnotentheater zu entzaubern. Anthony Grafton veröffentlichte 1995 das köstliche Buch ‚Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote’. Darin lesen wir: ‚Wie die Toilette macht es die Fußnote möglich, sich unansehnlicher Aufgaben quasi im stillen Kämmerlein zu entledigen. Wie die Toilette ist sie vornehm versteckt.’ Doktor von und zu Guttenberg hat die Bedeutung dieses geheimnisvollen Ortes unterschätzt, die Türe einen Spalt zu weit offen gelassen und nicht richtig gespült.“ Wenn dies allerdings den Blender von und zu Guttenberg zu einer Fußnote der zeitgenössischen deutschen Politikgeschichte machte, dann hätte die Affäre noch etwas für sich gehabt …

    • HWK sagt:

      Dazu gestern (sinngemäß) Erwin Pelzig in “Neues aus der Anstalt”: “Schlampiges Zitieren”? Dann ist Ladendiebstahl “schlampiges Einkaufen”?

  178. Bernhard Kegel sagt:

    Konzertierte Aktionen
    Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich in der pressefreien Bundesrepublik Konzertierungen vollziehen. Gewiß, eine „Abteilung Agitation und Propaganda“ in irgendeiner einer politischen Republikszentrale gibt es nicht, die – DDR-ähnlich – verpflichtend „durchstellen“ würde, was in den Zeitungen gleichlautend zu stehen hätte. Und gleichlautend wie früher ist es ja auch nicht, bewahre. Aber gleichklingend in vielen Fällen interessanterweise eben doch.
    Wer sich an den Betroffenheitsaufwand erinnert, mit dem die ersten Todesfälle unter den in Afghanistan operierenden Bundeswehrsoldaten medial begleitet wurden, den muß es doch wundern, mit welcher schon routinierten Normalität z.B. jene drei Toten und weitere Schwerverletzte behandelt worden sind, die jüngst nahe Kunduz offenbar von einem Taliban-„Schläfer“ in den Reihen der afghanischen Streitkräfte erschossen wurden. Ganz und gar interessant dann aber die Üppigkeit der zeitgleichen patriotischen Durchwegpropaganda um die Freilassung zweier Bildzeitungs-Journalisten aus dem Iran. Nun kann, darf und muß man die Pressegesetzgebung des Iran ebenso kritisieren wie deren Prezedenzurteile und den Versuche der politischen Instrumentalisierung eines Falles wie dem der beiden Journalisten – daß diese indes gegen die iranischen Gesetze bewußt verstoßen hatten, bleibt dennoch ein Faktum, auch wenn dies nur gelegentliche und widerwillige Anmerkung findet.
    Die deutsche Außenpolitik hat Erfolge offenbar bitter nötig. Um sich dafür feiern zu lassen, macht sich schon mal der Ressortminister persönlich auf den Weg, den Befreier zu geben. Vielleicht sollte Guttenberg (so er dann noch Verteidigungsminister ist) ein ähnliches tun: nach Afghanistan fliegen und mit den dortigen Bundeswehrsoldaten lebend zurückkehren. Im Gegensatz zu Westerwelles stillem Heldentum könnte er sich dann zumindest geschichtlich unsterblich machen. Und seine Promotion wäre auch vergessen …
    Bernhard Kegel

  179. Hans Jahn sagt:

    Wahlergebnisse von heute sind "Schnee von gestern". Ich biete hingegen die Hamburger Wahlergebnisse des Jahres 2019 (sofern keine vorzeitigen Stimmeinholungen notwendig werden):
    CDU: triumphaler Sieg mit 48,3 Prozent.
    SPD: erdrutschartige Niederlage mit 21,9 Prozent
    etc. pp.
    Einziger wirklicher Unterschied zu diesem fast schon anthropologischen Wählerverhalten dürfte sein, daß die Wahlbeteiligung dann nur noch bei 40 Prozent liegt.

  180. Herbert Wilkow sagt:

    Lesens- und Bedenkenswertes aus einem heutigen Interview der berliner Zeitung mit dem in Deutschland lebenden Islamwissenschaftler Navid Kerman:


    Die Wirklichkeit und die deutsche Talkshow-Realität sind so weit voneinander entfernt wie der Mars vom Jupiter.

    Zum Beispiel?

    Ich sehe CNN und werde einigermaßen umfassend und gegenwartsnah informiert, von Reportern, die in der Menge stehen, und in Debatten, die mit der aktuellen Situation jedenfalls zu tun haben, an denen immer auch die Akteure selbst zu Wort kommen – in denen Araber auftreten, ganz banal! Das Gleiche gilt, wenn ich BBC oder Al Dschasira schaue. Nur wenn ich im deutschen Fernsehen zappe, höre ich lauter Figuren aus dem 19. Jahrhundert darüber schwadronieren, dass im Islam Staat und Politik eins seien. Oder sie diskutieren, ob "der Islam keine Freiheit kann". Alles Fragestellungen aus einem hundert Jahre alten kolonialistischen Diskurs. Was in Ägypten passiert, wird bei uns durch eine religiös gefärbte koloniale Brille betrachtet. Es ging aber in Ägypten nicht um Religion. Die realen Probleme haben nichts mit einem "Aufmarsch der Gotteskrieger" zu tun. Die realen Probleme Ägyptens sind Geburtenexplosion, Niedergang des Bildungswesens, Verarmung der Mittelklasse, radikaler Marktliberalismus, katastrophale Versorgungslage, patriarchale Strukturen, Unterdrückung der Frauen und ein Fehlen von Selbstbestimmung, von Freiheit. Die Religion ist einer von vielen Faktoren; sie ist weder die alleinige Ursache, noch ist sie die Lösung. Wir ignorieren vollständig alle Zusammenhänge und stellen die Ereignisse ahistorisch in einen religiösen Sinnzusammenhang: Die sind so, weil der Islam so ist. Das ist nichts anderes als Gegen-Fundamentalismus.

  181. Wie weiter in der Gesellschaft?
    Das ist die Frage gleich von zwei Beiträgen in der Nummer 3/11. Dabei ist der von Rolf Reißig skizzierten Notwendigkeit eines Übergangs „zu einem sozialökologischen (energie- und ressourceneffizienten sowie umweltkonsistenten) und solidarischen Entwicklungspfad“ als Säulen einer „Gesellschafts-Transformation im 21. Jahrhundert“ nicht zu widersprechen. Der aufgezeigte demokratische Konsens breiter gesellschaftlicher und politischer Akteurskoalitionen scheint aus heutiger und europäischer Sicht der wahrscheinliche Weg zu einer solchen „Solidarischen Teilhabegesellschaft“ zu sein. Aber bedeutete das am Schluss des Beitrags für unverzichtbar gehaltene „Transformationskonzept“ nicht doch den zuvor von Reißig zu Recht ausgeschlossenen fertigen Masterplan „für diese Große Transformation“?
    Mir scheint es wichtiger zu sein, festzustellen, welcher Wandel in der gesellschaftlichen Ökonomik, im System, der von Reißig beschriebenen „Zäsur … Anfang/Mitte der 70er Jahre“ zu Grunde lag. Das war m. E. die 1971 von US-Präsident Nixon unter Bruch des Abkommens von Bretton Woods verordnete Abschaffung des Goldstandards des US-Dollars. Sie war die notwendige Folge der politischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung seit dem Ende des zweiten Weltkriegs und stellte den Versuch dar, die grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Systems mit einem währungspolitischen Trick „innerhalb des Systems“ zu lösen, wenigstens zu entschärfen. Und sie bewirkte, dass mit der Abkopplung des Geldes von der begrenzten und begrenzenden Sache „Edelmetall“ alle Bremsen und Grenzen realer und vor allem fiktiver Kapitalverwertung beseitigt wurden und noch so wahnsinnigen Ideen von Bankern und Spekulanten freier Lauf gelassen wurde. Eben darum wurde ja ein solcher Akt bis zu seiner Verkündung von der gesamten wissenschaftlichen Ökonomenzunft für unmöglich gehalten.
    Was aber bis heute wohl nur von wenigen begriffen wurde, ist, dass die von Präsident Nixon mit seiner auf Anraten von Paul Volcker (Banker und späterer Vorsitzender der US-Notenbank) getroffenen Entscheidung eine Revolutionierung des weltweiten Geld- und Finanzsystems und – politökonomisch (!) gesehen – auch der Produktionsverhältnisse, ja sogar der Eigentumsverhältnisse bedeutete. Denn das Geld vertritt nun nicht mehr eine bestimmte Ware (Gold), auf die es Anspruch gewährte. Bis 1971 tauschte man, wenn man mit seinem Geld eine Ware kaufte, indirekt das bei der amerikanischen Notenbank liegende Gold, welches von dieser Geldsumme vertreten wurde, gegen die andere, erworbene Ware ein. Die amerikanische Notenbank war Schuldner (von Gold) all derer, die US-Dollars (oder deren Gegenwert in anderen Währungen gemäß dem Abkommen von Bretton Woods) besaßen, wie umgekehrt jeder Besitzer von Geld (Dollar) mit seinem durch sein Geld verbrieften Anspruch Miteigentümer – ökonomisch (!) gesehen – des amerikanischen Goldes war. Seit 1971 aber hat jeder Besitzer mit seinem Geld (das zu einer ganz allgemeinen Quittung für geleistete Arbeit geworden ist) einen ganz allgemeinen Anspruch auf einen entsprechenden Teil der ganzen Vielfalt von Waren und Leistungen der Gesellschaft. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Geld, Finanzen, die gesamte Warenwelt, ja die Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums überhaupt sind nicht mehr Privatsache, sondern öffentliche Angelegenheit, öffentliches, gesellschaftliches Gut (auch wieder im ökonomischen, noch nicht im juristischen Sinne). Ganz augenscheinlich wurde dies, als auf dem Höhepunkt der jüngsten Finanzkrise Staaten weltweit mit Billionen Euros und Dollars öffentlicher Mittel Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums am Laufen halten mussten.
    Ein solches Verstehen des Wandels in der gesellschaftlichen Ökonomik seit den 70er Jahren scheint mir wichtig zu sein, um „heute konkrete Alternativen“, wie Reißig sie für notwendig hält, zu erkennen und wissenschaftlich zu begründen; auch um das von Ulrich Scharfenorth vorgestellte „Wirtschaftsmodell der Zukunft“ Christian Felbers politökonomisch zu untermauern. Auch ließen sich daraus Antworten auf die vom Rezensenten an Felber gerichteten „entscheidenden Fragen“ („Wie bricht Felber den Widerstand seiner Gegner? Wie trennt er die derzeitigen ‚Weltwagenlenker‘ von ihren Zügeln, sprich: von Macht und Vermögen? Kann es sein, dass er allein auf deren physische Vergänglichkeit und die strikte Durchsetzung seiner Erbrechtsreform setzt? “) ableiten. Ich würde sie zusammenfassen mit dem Hinweis darauf, dass es Aufgabe jeder Revolution ist, den politischen, juristischen und geistig-kulturellen Überbau einer Gesellschaft ihrer ökonomischen Basis anzupassen.

  182. Thorsten Koppusch sagt:

    Gestern in der Süddeutschen Zeitung und – wie ich finde – eines Hinweises wert:

    Der geile Moment

    Ein Kommentar von Alexander Gorkow

    Bei der Verleihung der "Goldenen Kamera" sah man in Monica Lierhaus und Rolf Hellgardt ein Paar, das durch die Hölle gegangen ist und seinen Triumph verkünden wollte. Warum ließ man diesen Auftritt zu?

    Der Privatsender RTL hat den gebührenfinanzierten Anstalten ARD und ZDF gerade erst gezeigt, dass vor allem Geschmacklosigkeiten perfekt zubereitet werden müssen. Die im "Dschungelcamp" versammelten Ex- und Viertelprominenten blamierten sich nach Kräften, die Moderatoren verließen sich dabei auf etwas, was man sonst eher im amerikanischen Fernsehen findet, nämlich pointensichere Autoren. Lachte man unter Niveau? Naja, wie sagte Robert Gernhardt in seiner berühmten Negativgleichung? Niveauvolles Lachen gebe es so wenig wie einen niveauvollen Orgasmus. Die Frage des Volksmunds, ob die Teilnehmer des RTL-Ausflugs noch alle Tassen im Schrank hätten, konnte man ja klar beantworten. Diese Leute fand man schlimmstenfalls etwas bescheuert, aber sie wussten, was sie taten, denn sie wussten, in was für einem Zirkus sie gelandet waren: in einem Circus Maximus ohne Löwen, nur mit Kakerlaken. Es gibt anspruchsvolleres Fernsehen, aber in Deutschland, seit der Erlahmung Harald Schmidts, leider selten komischeres.

    Am Wochenende trat bei der Verleihung der "Goldenen Kamera" im ZDF eine Frau auf, die sehr schwer krank war. Die ARD-Sportmoderatorin Monica Lierhaus erlitt vor zwei Jahren eine Hirnblutung. Sie fiel ins Koma. Wer je Bilder aus einem Computertomographen gesehen hat von beschädigten Hirnregionen eines lieben Menschen, der ahnt, was die Angehörigen von Monica Lierhaus – zuerst ihr Lebensgefährte, der Fernsehproduzent Rolf Hellgardt – durchgemacht haben. Man weiß in solchen Wochen oft nicht, auf was man hoffen soll, starrt in leere Augen, fleht in die Stille, und wenn es einen Rest Hoffnung gibt, dass dieser Mensch halbwegs gesund wird, so klammert man sich eben an diese Hoffnung. Woran denn sonst?
    Monica Lierhaus, das kann man heute sagen, hatte gute Ärzte, gute Betreuer, gute Freunde; sie hatte sicher in der Katastrophe auch Glück – vor allem hat sie offenbar einen grandiosen Willen. Sie macht nun den Eindruck, als sei sie wieder halbwegs gesund. Dass sie halbwegs und nicht vollständig gesund ist, das sahen mehr als vier Millionen Menschen im ZDF, und seither sehen es viele Menschen auf Youtube. Man sieht eine Frau, die mühsam zum Pult kommt, mühsam spricht, deren Augen tiefe Anstrengung verraten. Man sieht eine Frau, die in dieser Verfassung ihrem Lebensgefährten einen Heiratsantrag macht, der daraufhin "Ja, ja!" ruft und auf die Knie sinkt.
    Man sieht zwei Fernsehmenschen, die durch die Hölle gegangen sind, und die sich nun ihr Medium, das Fernsehen, ausgesucht haben, um ihren Triumph zu verkünden. Man sieht ein Paar, dem man keinen Vorwurf machen darf. Wer will sich das anmaßen? Perfide ist, dass der Veranstalter der "Goldenen Kamera", der Springer-Verlag, und dass der Sender, das ZDF, auf diese Unantastbarkeit des Paares Lierhaus/Hellgardt spekulieren. Warum lässt man einen solchen Auftritt zu? Falsche Frage. Man lässt ihn nicht zu, man sehnt ihn herbei.
    Hinter den Kulissen von deutschen TV-Unterhaltungsformaten finden rituelle Gebete statt. Es geht in diesen Gebeten selten um die Hoffnung auf den großen Erkenntnisgewinn während einer bevorstehenden Sendung. Es geht selten auch um jene Subversion, die Engländer und Amerikaner beherrschen: in Talksendungen, in denen Politiker so lange gebraten werden, bis sie eine Frage tatsächlich beantworten; bei Preisverleihungen, in denen die Prominenz von Komikern wie Ricky Gervais oder Steve Martin auf Bodenhöhe abgestellt werden. Es sind dies Abende, in denen etwas Tolles zelebriert wird: die Sprache. Das steinreiche ZDF bringt seit Jahren und seit der hochnotbeleidigten Absetzung Elke Heidenreichs nicht mal ein sinnfälliges Konzept für eine Literatursendung zustande.
    Es geht in unserem Gebührenfernsehen – dem mit jährlich rund acht Milliarden Euro teuersten der Welt – in Ermangelung an Stil, Humor und Vertrauen in die Zuschauer wenig um Sprache. Es geht stattdessen um eine Art Gott, und es ist dies der Gott des emotionalen Augenblicks.
    Es ist eine inzwischen quasi pornographische Anbetung des einen, großen und bitte absolut geilen Moments, der ins Bild muss – und heute können wir sagen: koste es, was es wolle, zum Beispiel die Würde einer Frau wie Monica Lierhaus. Es wird wegen der Fixierung der Sender auf diesen Moment kein Mensch mehr sagen können, wer zum Beispiel bei welchem "Bambi" oder "Fernsehpreis" mit einer Trophäe nach Hause ging. Es wird sich hingegen jeder an den Auftritt des todkranken Rudi Carrell erinnern, oder daran, wie Marcel Reich-Ranicki plötzlich herumbrüllte, weil ihm das Niveau einer Preisverleihung mit einem Mal zu niedrig vorgekommen war.
    Monica Lierhaus wurde jetzt im ZDF ausgestellt. Zwei Tage später säftelte "Tagesschau"-Chefredakteur Kai Gniffke in einem Blog: "In ihrem Blick war die unprätentiöse Freundlichkeit, die ich schon seit Jahren an dieser Frau schätze." Von ARD und ZDF ist wenig zu erwarten. Unser öffentlich-rechtliches Fernsehen ist so mittelmäßig, wie es ist, weil die Politik es exakt so will. Nur eins könnten die Anstalten ausnahmsweise tun, und sei es für einen kurzen und nicht ganz so geilen Moment: sich schämen.

  183. Helge Jürgs sagt:

    Ginge es nicht um toternste Dinge, könnte man sich köstlich amüsieren: Wer Mubarak die "Abreise" empfehle, "beleidigt nicht nur den Präsidenten, sondern auch das ägyptische Volk", hat Mubaraks Vize Suleiman gestern erklärt. Also: Das ägyptische Volk, das die Demonstranten ja doch offensichtlich repräsentieren, beleidigen mit ihrer Forderung nach Mubaraks Abgang das ägyptische Volk. Darauf muß man man erstmal kommen, und man kann es wohl nur dann und dort, wenn und wo man als Machthaber über Jahrzehnte verinnerlicht hat, selbst das Volk zu sein; aus der jüngeren Geschichte eines Abendlandes wie dem unseren komt einem das gleichsam vertraut vor.
    Die Suleimannsche Groteske erinnert mich sehr an Saddams Informationsminister Mohammad Said al Sahhaf, der den unvermeidlichen Sieg des irakischen Volkes noch voraussagte, als ihm die amerikanischen Granaten bereits um die Ohren flogen. "Wen Gott irregehen läßt, für den findest du keinen Pfad", heißt es im Koran, und das gilt ganz sicher nicht nur für islamische Geschöpfe. Warum Gott so viele Produkte seines Werkes irre-gehen läßt, ist darin leider nicht erklärt.

  184. Arn Strohmeyer sagt:

    Zur Äußerung von Klaus Hammer über Erhart Kästner:

    Ich weiß nicht, welchen Erhart Kästner Klaus Hammer gelesen hat – vermutlich nur den zensierten oder den nach dem Krieg vom Autor selbst von den braunen Stellen „gesäuberten“ und umgeschriebenen. Gerade das Kreta-Buch ist zweimal durch die Zensur gegangen: erst durch seine Schwester, als er im Gefangenenlager Tumilat einsaß, und dann durch die amerikanische Militärzensur. Diese zensierte Fassung ist heute noch auf dem Markt. Kästner war auch keineswegs so unpolitisch, wie Hammer ihn darstellt. Er war NSDAP-Mitglied und hatte sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet. Hitlers Überfall auf Griechenland und seine Besetzung durch die Wehrmacht hat er in seinem Buch „Griechenland“ (später als „gereinigte“ Fassung als „Ölberge Weinberge“ erschienen) stets wegen der „Blutsverwandtschaft zwischen Germanen und Hellenen“ gerechtfertigt. Besonders an der berühmten Stelle, an der er den Zug mit den deutschen Soldaten unterhalb des Olymps beschreibt, die aus Kreta kamen. Er setzt diese Kreta-Eroberer mit den „blonden Achaiern“, also Homers Helden vor Troja gleich. Was nichts weiter ist als eine mythische Verklärung von Hitlers Krieg. Kästner war im Übrigen ein gelehriger Schüler des österreichischen Orientalisten Jakob Philipp Fallmerayer (1790 1861), der die These aufgestellt hatte, dass die Hellenen der Antike rassisch von Albanern und Slawen überlagert worden seien und deshalb ihre Kulturhöhe verloren hätten. Bei Kästner lautet das so: „Natürlich ist blutsmäßig von den alten Griechen wenig oder nichts übrig geblieben im heutigen Hellas. Es ist eine Sentimentalität, wenn man das nicht wahrhaben will.“ Daraus folgt konsequent Kästners tiefe Verachtung der heutigen Griechen, die er als „Levantiner“, Antigriechen, „die mit Wasser und Seife nichts zu tun haben“, „schwarzen Pöbel“, „Lemuren“ und „Affengesichter“ bezeichnet hat. Kästner hat gesagt, seine Liebe zu Griechenland stamme aus dem Krieg, aber wohlgemerkt zu dem Land, nicht zu den Griechen. Die Kreter hat er in der Tat verehrt, weil er meinte, sie stammten von den „blonden Dorern“ ab, wie noch in seinem zensierten Kreta-Buch nachzulesen ist.

    Ausführlicher Stellung genommen habe ich in meinem Buch „Dichter im Waffenrock. Erhart Kästner in Griechenland 1941 – 1945“.

  185. Ulrich Scharfenorth sagt:

    Ein Flächenbrand ist kaum zu erwarten.
    Viele Uneingeweihte glauben heute, dass die sozio-ökonomischen Revolten, die Tunesien, den Jemen und vor allem Ägypten erschüttern, auf weitere islamische Länder übergreifen könnten. Wobei schnell an den Iran, an Syrien, Saudi-Arabien, Kuwait und Vereinten Arabischen Emirate, zuweilen auch an Algerien, Marokko, Libyen oder Jordanien gedacht wird. Aber wird es zu einem mittelmeerweiten Flächenbrand tatsächlich kommen? In fast allen der hier aufgeführten Länder – vielleicht mit Ausnahme von Jordanien – herrschen autoritäre Regime. Doch keines von ihnen scheint wirklich labil. Im Iran wird keiner der Regierenden verdächtigt, ein Handlanger der USA zu sein. Die Bevölkerung besteht zu fast 100% aus Schiiten, die mit den Sunniten – und so auch mit deren Befindlichkeit und Wollen – nichts am Hut haben. Ja im Gegenteil: Oft liegen sich die Radikalen unter ihnen mit den jeweiligen Extremisten der anderen Glaubensrichtung in den Haaren (sunnitisch geprägt sind 90 % der Ägypter, die meisten Bewohner der Vereinigten Emirate, Jordaniens, Marokkos, Tunesiens, Libyens, aber auch 70-80 % der Türken. Schließlich gehören auch die Palästinenser in diesen Verbund). Den Leuten geht es relativ gut, die Arbeitslosigkeit hält sich in Grenzen. In Syrien herrscht eine amerikafeindliche, schiitisch-alewitisch Minderheit über eine sunnitische Mehrheit. Ihre Sammlungsbewegung: der syrische Zweig der alten Baath-Partei. Die Ableger des Regimes reichen bis zur libanesischen, vorwiegend schiitisch geprägten Hisbollah. Glaube und staatliche Reglementierung sind quasi in Symbiose erstarrt. In Saudi-Arabien herrscht eine Diktatur anderer Färbung. Hier knechten mehreren tausend Prinzen den Rest der Bevölkerung. Die Bürgerrechte sind (für Frauen, vor allem aber für Ausländer mit Migrationshintergrund) extrem eingeschränkt. Zahlreichen Aufmüpfigen, die die Stationierung von US-Truppen im Lande als Sakrileg empfinden, setzt die korrupte Elite – im Verbund mit Teilen der Geistlichkeit – einen extrem sunnitischen Glaubensansatz, den Wahabitismus, entgegen. Aufgrund der immensen Öleinnahmen sind Lebensstandard und Bildungsniveau der Bevölkerung vergleichsweise hoch, während die Arbeitslosigkeit – zumindest in den Städten – gering ist. Eben deshalb dürfte sich das Land in einer Art Spagat befinden. Ähnlich sieht es in Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten aus. Vor allem Kuwait ist für seine Repressionen berüchtigt. In sämtlichen Ölförderländern konnten sich die von den USA ausgehaltenen Potentaten bisher gegenüber den aufkommenden Islamisten behaupten. In Algerien, Marokko, Jordanien, aber auch im Jemen, haben die jeweiligen Herrscher vorauseilend Luft abgelassen. Sie versprachen bessere Lebensbedingungen oder die eigene Abdankung (Jemen). Lediglich al-Gaddafi und König Abdulla II. von Jordanien scheinen relativ unangefochten.
    Folglich ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Iran, in Syrien, Saudi-Arabien, in Kuwait, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und den anderen arabischen Ländern ein jeweils ähnlicher Volksaufstand losbricht wie in Ägypten eher gering – trotz unterschiedlichster Strukturen und Gegebenheiten. Mittelfristig aber dürfte sich das ändern – weil die „umstürzlerischen“, nationalistischen Kräfte, die arabisches Öl in Volkseigentum überführen wollen, stetigen Zulauf gewinnen.

  186. F.-B. Habel sagt:

    Die "Weber"-Inszenierung im Deutschen Theater hat Wolfgang Brauer, wie ich finde, viel zu positiv gesehen. In einer Rezension dieser und einer anderen Inszenierung bin ich noch einmal darauf eingegangen. Die Redaktion empfahl mir, den Text ins Forum zu stellen, was hiermit geschehen soll:

    Dialekt und Dialektik

    von F.-B. Habel

    Jeder Dichter ist Realist und Idealist, Impressionist und Expressionist, Naturalist und Symbolist zugleich, oder er ist überhaupt keiner.
    Arthur Schnitzler

    Kürzlich waren in der Hauptstadt zwei Stücke zu sehen, die beide im Jahre 1893 uraufgeführt wurden, beide in Einzelszenen gesellschaftliche Probleme aufgriffen, beide im Lokalen verwurzelt sind, und deren Umsetzung doch unterschiedlicher kaum sein konnten. Das lag schon daran, dass das eine von einer mehr oder minder mittellosen freien Theatergruppe aufgeführt wurde, die zur äußersten Präzision verpflichtet ist, um sich im Berliner Kulturleben Gehör zu verschaffen, während das andere im hochsubventionierten Deutschen Theater aufgeführt wurde, das sich seiner Zuschauer sicher sein kann.
    Die ursprünglich Ostberliner Theatergruppe „Reißverschluss“ zeigt ihre Produktionen mittlerweile im Theaterforum Kreuzberg. Diesmal bot „Reißverschluss“ den Abend „Anatol“ mit dem Untertitel „Short Cuts nach Arthur Schnitzler“. Das schnitzlersche Schauspiel besteht eigentlich aus einer Reihe von Einaktern um die gleichen Hauptfiguren, eben jenen charmanten, selbstverliebten, aber innerlich leeren Nichtstuer Anatol und seinen Freund Max, der ihn aus diversen Amouren retten muss. Profilneurose, Gewinnsucht und Skrupellosigkeit bestimmen eine überlebte k.u.k.-Gesellschaft ohne soziale Orientierung.
    Joachim Stargard, der künstlerische Leiter der Truppe, hat für seine 90minütige Aufführung auch zwei kurze Szenen aus Schnitzlers „Reigen“ verwendet. Die Schauspieler schaffen es, mit einem Minimum an Ausstattung, aber mit stimmigen Kostümen (Ausstatter wurden im Programmheft leider nicht genannt) die Atmosphäre des Wiener fin du siècle herzustellen. Schon dem komödiantisch starken Portugiesen Jefferson Preto gelingt es im Vorspiel trotz Sprachbarriere, die Zuschauer in das Geschehen zu ziehen. Zur multikulturellen Besetzung des Abends zählt auch Sabam Silalahi, der als Max ebenso den Wiener Dialekt herstellen kann, wie Hauptdarsteller Maximilian Claus, der offenbar Michael Heltau genau studiert hat, während man bei Katja Höppner in der Szene „Weihnachtseinkäufe“ zuweilen Anklänge an Senta Berger findet. Das wirkt nicht epigonal bemüht, sondern hilft ebenso, die Feinheiten der Sprache Schnitzlers herauszuhören, wie die von ihm porträtierten Menschen zu verstehen. Der Dialekt charakterisiert hier die Oberflächlichkeit der Satten, wobei die sozialen Unterschiede in dieser Aufführung sprachlich kaum transportiert wurden.
    Gerade die Sprache ist ein großes Manko in Michael Thalheimers Inszenierung von Gerhart Hauptmanns „Die Weber“ im Deutschen Theater, die im Feuilleton ein geteiltes Echo fand. Während in den bürgerlichen Medien Zweifel an der Ästhetik und damit auch an der Wirkung der Aussage aufkamen, hat die linke Presse die Inszenierung einhellig gelobt, wie auch Das Blättchen in Nr. 2. Ist der Linke schon zufrieden, wenn auf den führenden Bühnen überhaupt noch gesellschaftskritische Themen aufgegriffen werden, auch wenn die Inszenierung nur noch Spuren des ursprünglichen Gedankens aufweist? Anders als Wolfgang Brauer habe ich von der „Wirkungsmacht der Hauptmannschen Sätze“ und der „holzschnittartigen Kraft des Schlesischen“ nichts gespürt. Im Gegenteil. Sicherlich ist es schwer, einen Dialekt auf die Bühne zu bringen, der fast ausgestorben ist. Und doch sind Schauspieler in der Lage, sich einen solchen einzuverleiben (siehe oben). Auch das Deutsche Theater hatte große schlesische Schauspieler, die man in Filmen und Tonaufnahmen noch studieren kann (ich denke nur an Paul Wegener). In dieser Inszenierung war nichts davon zu spüren. Freilich wurde der Dialekt vom Blatt gespielt, so, wie Hauptmann die Sätze geschrieben hatte. Doch kaum jemand ließ etwas von der schlesischen Sprachmelodie erkennen, die natürlich dazugehört, Vokale die kurz gesprochen werden müssen, wurden gedehnt und umgekehrt. Die älteren Schauspieler, denen die Sprachbehandlung einer Aufführung noch am Herzen liegt, schienen von der Regie in ihrem Bemühen gebremst. Dazu kommt, dass Thalheimer die Weber (offenbar soll das den revolutionären Gestus andeuten) überwiegend brüllen ließ, über die Köpfe der Zuschauer hinwegbrüllen. Hingegen sprachen Fabrikant Dreißiger und seine Leute recht gesittet. Ihren Argumenten lauschte das Auditorium verständnisvoll. Wäre es nicht möglich gewesen, die Dialektik des Stückes an der Behandlung des Dialekts festzumachen? Ging es Thalheimer überhaupt um Dialektik? Manches erinnerte an Brecht, wie das permanente frontale Reden ins Publikum, und auch das Bühnenbild, das nur aus einer Treppe besteht, hat man in den achtziger Jahren schon in einer „Dreigroschenopern“-Aufführung des Theaters des Westens gesehen. Wäre es Hauptmann gemäß, aus ihm einen Brecht zu machen? Ist er nicht zeitgebundener Naturalist? Oder ist er modern? Über eine Jessner-Aufführung der „Weber“ von 1928 schrieb Alfred Kerr: „Ja, die ‚Weber’ sind heute kein überholtes Zeitstück: indem sie schon damals nicht ein Zeitstück waren. Es ließe sich auch so ausdrücken: sie sind noch modern, weil sie schon damals nicht modern gewesen sind.“
    Thalheimer wollte das Stück denn doch modernisieren und hat dabei den Kern weggelassen, das revolutionäre Element, das auf Menschen beruht. Bei ihm gibt es nur die Masse Mensch. Über die genannte Berliner Aufführung schrieb Harry Kahn in der Weltbühne Nr. 7/1928: „Gewiß: das Weberdrama, das ja eigentlich kein Drama, sondern etwas wie eine dialogisierte Massen-Epopoe ist, (…) enthält noch zu viele Einzelszenen, deren Vitalitätsgehalt und Realitätsgewalt so stark ist, daß sie jeder stilisierenden Verkürzung oder Verzerrung spotten.“
    Eben diese stilisierende Verzerrung hat Thalheimer versucht und damit eine gefällige Inszenierung geschaffen, die niemanden beunruhigt. In der Premiere versagte ihr der SPD-Vorsitzende Gabriel seinen Beifall nicht. Vielleicht hat er die Kanzlerin der Bosse informiert, daß sie das ehemals revolutionäre Stück getrost besuchen könne – jedenfalls war sie drei Tage später da. Oder hat Frau Merkel ein DT-Abonnement? Wegen dieser „Weber“ wird sie es kaum kündigen. – Die brüllenden „Weber“ werden noch lange auf dem Spielplan stehen. Der höchst anregende „Anatol“ wurde abgesetzt, weil Selbstausbeutung dem Wirken der „Reißverschluß“-Leute Grenzen setzt.

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Ach, lieber Herr Habel, wenn 100 Menschen ein Gedicht lesen, dann kommen 100 verschiedene Gedichte raus. Beim Theater ist das doch nicht anders. Es gibt keine schlussendlich ewig gültige Bühnen-Interpretation. Auch bei Hauptmann nicht. Ich habe ja auch nicht behauptet, dass Thalheimers Arbeit (dessen Regiestil ich durchaus kritisch sehe, aber das sprengte jetzt den Rahmen) eine solche wäre. Es gäbe so manches auch daran auszusetzen. Aber ich habe Menschen erlebt (in einer anderen Vorstellung, zugegeben), die das Gesehene und Gehörte durchaus beunruhigte und auch nach dem Verlassen des Theaters beschäftigte. Und das waren keine Angehörigen der obersten Kaste. Was ist daran falsch? Die Sache mit dem Schlesischen: Schon die Fassung der öffentlichen Erstaufführung war ein vom Autoren selbst "bereinigtes" Schlesisch, das im Eulengebirge so nicht gesprochen wurde. Die Bühnensprache (Paul Wegener und andere) längst vergangener Zeiten kann heute sicher ein Maßstab aber doch wohl kein Richtstab mehr sein. Ich kenne einige Stücke, deren Neuinszenierungen es bei mir äußerst schwer haben, weil ich vor vielen Jahren theatralische Grunderlebnisse mit ihnen hatte. Manchmal muß man sich da selbst zur Fairness zwingen. Dennoch bleibt da – berechtigterweise – der zumindest empfundene Widerspruch. So geht es uns beiden wohl mit den "Webern". Wir haben wirklich zwei verschiedene Stücke gesehen. Wie gesagt, ein Gedicht und 100 Leser.
      Was nun überhaupt nicht geht, das ist Ihr versuchter "Anti-Autoritätsbeweis" mit Herrn Gabriel und Frau Merkel. Dann müsste man einen Großteil der Berliner (und nicht nur der Berliner!) Theaterarbeiten in die Tonne drücken. Ich hatte vor einiger Zeit das Vergnügen, in derselben Vorstellung eines recht revolutionären Stückes des Dichters Brecht wie Frau Merkel im Berliner Ensemble zu sitzen. Die Kanzlerin saß in meiner Blickachse, dadurch konnte ich ihren Beifall registrieren. Es war eine gute Inszenierung und eine gute Besetzung. Spricht Angela Merkels Beifall nun gegen Herrn Peymann, gegen die Schauspieler oder gar gegen Brecht?
      Ob die "Weber" jemals ein revolutionäres Stück waren oder nicht, darüber kann man streiten. Hauptmann war jedenfalls nie ein revolutionärer Autor im politischen Sinne. Da gab es in der DDR einige Überinterpretationen, vorsichtig gesagt. Er hatte wohl eher ein Menetekel im Sinne. Und das wars. Mehr auch nicht. Aber das ist schon eine Menge. Ernst sei das Leben und heiter die Kunst, meinte Schiller. Und heiter verstand er nicht als lustig. "Gefällig" im Sinne von lustig sind diese "Weber" nicht, heiter im Sinne von erhellend schon. Über den "Rest" kann man streiten.

  187. Zitator sagt:

    No comment

    "Finanzwerte haben an den Börsen wieder Rückenwind, obwohl sich die Manager der Unternehmen auf Kosten der (dummen?) Aktionäre riesige Boni ausschütten. Dazu sind sie in der Lage, weil sie durch implizite Staatsgarantien, extrem tiefe Zinsen und gelockerte Bilanzierungsregeln massiv subventioniert werden.

    Wen will es verwundern, dass sie auf dieser Basis wieder extreme Risiken eingehen und zumindest auf dem Papier große Gewinne auf dem Rücken der Allgemeinheit ausweisen. Bis zur nächsten, von weiteren Fehlspekulationen ausgelösten, Krise eben."

    Aus FAZ 08. Februar 2011

  188. Klaus Hammer sagt:

    Zur Äußerung von Horst Möller:

    Ich danke für die Zuschrift, sehe aber keine Veranlassung, meinen Satz, dass Erhart Kästner „als deutscher Besatzer auf einem Esel die Insel durchquerte und seine Eindrücke in einem Kreta-Buch (1946) festhielt“, irgendwie verteidigen zu müssen. Er entspricht den Tatsachen. Und Kästner hat nicht in rüder Besatzer-Manier geschrieben, sondern in tiefer Sympathie zur Bevölkerung, die ihm auch keineswegs feindselig begegnet ist. Wie hätte er sonst auch auf einem Esel durch das Land reiten können … – Ja natürlich, wie schon Jahrzehnte zuvor für Gerhart Hauptmann war Griechenland auch für Erhart Kästner nicht primär der Ort klassischer Kunst, sondern ein vollkommen sinnlicher bukolischer Bereich, in welchen alle Kunst nur eingebettet ist. Aber das war ja auch nicht mein Thema, mir ging es allein um die „Solidarität“, die er den Menschen in Kreta bezeugte. Kästner, der ja dann in eine mehrjährige Gefangenschaft in Nordafrika geriet, hat auch dort mit dem „Zeltbuch von Tumilad“ (1949) vor Augen geführt, wie der Mensch, völlig auf sich selbst zurückgeworfen, in eine extreme Leere (die Wüste) gestellt, die heile, unzerstörte Friedenswelt nur noch als Erinnerung beschwören kann. Erst viel später konnte er seinen griechischen Impressionen eine seiner Auffassung nach eindeutigere Gestalt geben, indem er die Welt der Athos-Mönche der des deutschen Bundesbürgers gegenüberstellte.

  189. Horst Möller sagt:

    Zum Beitrag von Kaus Hammer (Rudo Schwarz’ – kretische Impressionen), Blättchen 2-2011:

    Erhart Kästner als Beispiel für Solidarität???

    „Meine Generation ist groß geworden im Schatten des großen Krieges, seiner Ruinen und mit konkreter Kriegsangst… Wir haben von den Älteren immer nur gehört, was für tolle Hechte sie waren, was für tolle Kämpfer, wie toll der Wiederaufbau war. Wir haben nie gehört, wie beschissen es ihnen ging, wirklich nie. Und auch nicht die Wahrheit über das Ausmaß der Verbrechen Deutschlands.“ (Joschka Fischer in DIE ZEIT vom 14.08.2008). Nun gut, als tollen Hecht, tollen Kämpfer hat sich Erhart Kästner (1904-1974), der Dichter im Waffenrock, wie er von Arn Strohmeyer* ins Visier genommen wird, zu keiner Zeit gesehen. Und seine Verdienste als Direktor der Bibliothek Wolfenbüttel, vielfältig gewürdigt, bleiben unbestritten. Zum Widerspruch reizt indessen das Moto pax in bello, das er seinem auf das Jahr 1944 gestellten griechischen Inselbuch vorgibt, gleichsam eine Lebensmaxime, die indessen wohl eher eine Lebenslüge, das Kürzel für seine „Flucht aus der schrecklichen Realität des Tages in eine zeitlose ideale Gegenwelt“ gewesen ist. Wobei zum einen klarzustellen war, dass die im Auftrag der Wehrmacht geschriebenen Griechenlandbücher Kästners nicht das Ergebnis einer Flucht ins Unpolitische gewesen sind, erwachsen aus der Tradition deutscher Hellasverklärung, und zum anderen, dass er sich danach einer Wahrheitsfindung schlichtweg entzogen hat. Denn „Kästner erwähnt die Leiden der Griechen mit keinem Wort, er schweigt zu den Verbrechen. Auch ein aufrichtiges Wort der Mitverantwortung und der Mitschuld an dem, was in Griechenland in deutschem Namen von 1941 an geschehen ist, gibt es nicht.“ Seine spätere Aussage „Mir blieb es erspart, unter Mordenden mitmorden zu müssen“ kann schlechterdings nicht als Schuldabweisung gelten, wenn man ernst nimmt, wessen er sich rühmte, nämlich: „Was hier verboten und was erlaubt ist, bestimmen wir!“ (Brief vom 22. Juli 1941 aus Athen an Gerhart und Margarete Hauptmann). Ein Erstarren des Reiters auf seinem Pferd nach dem Ritt überm Bodensee hat bei Kästner offenbar niemals stattgefunden. Im Gegenteil, im Nachhinein hat seine Formel vom Frieden im Krieg überaus verführerisch gewirkt. „Schweigehilfe“ nennt das der »Weser Kurier«. Kästners Bücher fanden im Frieden nach dem Krieg weite Verbreitung. Wie weit? Dieser Frage geht Strohmeyer nicht auf den Grund. Es liegt ihm fern, postum Kästner zu denunzieren. Vielmehr war an ihm zu exemplifizieren, was in »Die Unfähigkeit zu trauern« zu denken gegeben wird, nämlich: „Solange wir jedoch die direkte oder indirekte Beteiligung an den Massenverbrechen nicht wirklich zur Kenntnis nehmen wollen, wirkt sich das nicht nur auf unser Geistesleben aus, sondern verhindert auch eine emotional getragene Aussöhnung mit unseren ehemaligen Gegnern.“ In dem Sinne argumentiert Strohmeyer: „Wenn die Verschwörer des 20. Juli 1944, die Hitler und sein Regime liquidieren wollten, das ‚bessere Deutschland‘ vertraten, dann müssen auch die Widerstandskämpfer gegen den braunen Terror in Griechenland und anderswo gewürdigt werden, denn sie haben unter Einsatz ihres Lebens einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, Europa von Hitler zu befreien.“ Wobei in diesem Zusammenhang nicht zu vergessen ist, dass es erst eines Gerichtsverfahrens vor der Dritten Großen Strafkammer in Braunschweig im Jahre 1952 bedurfte, um die als Hoch- und Landesverräter verleumdeten Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 postum zu rehabilitieren (und der Stauffenberg Witwe die bis dahin verweigerte Offizierswitwenrente zuzuerkennen). Strohmeyer, auf den aktuellen Diskurs über die afroasiatischen Wurzeln der griechischen Antike verweisend, diagnostiziert bei Kästner eine mythisch-fatalistische Geschichtsauffassung, nach der Griechenland zur Wiege abendländischen Denkens wurde dank der Einwanderer aus dem Norden (der Arier). Die »Badische Zeitung« sieht im Rückzug auf ebendiese „wohlfeile Kategorie ‚Schicksal‘“ den Grund dafür, dass jedes Nachdenken über politische Ursachen des Vernichtungskrieges und konkrete Schuld zum Schweigen gebracht wurde. Das Gedenken blieb bisher den Opfern weitgehend selber überlassen. Verse wie die folgenden blieben von Kästner ungeschrieben.

    Jannis Ritsos: Epigramm für Distomo

    Hier ist die Erde bitter, es ist die bittere Erde von Distomo,
    Vorsicht, Besucher, gib Acht, wohin dein Fuß tritt –
    Es schmerzt das Schweigen hier,
    es schmerzt jeder Stein am Weg,
    es schmerzt vom Opfer und auch vom harten Menschenherz.
    Hier eine schlichte Tafel bloß, eine Stele aus Marmor mit allen
    Namen, ganz bescheiden – und die Ehre steigt empor, Seufzer
    um Seufzer, Sprosse um Sprosse einer langen Leiter.

    Zum Schluss über diese wichtige Publikation sei noch einmal Alexander Mitscherlich zitiert: „Die Schuld des ‚Dritten Reiches‘ endet nicht… bei würdevollen Nachrufen auf die Opfer.“

    ———-
    * – Arn Strohmeyer, Dichter im Waffenrock. Erhart Kästner in Griechenland und auf Kreta 1941 bis 1945.
    Mähringen 2006, 134 Seiten, 14,80 €.

  190. Heerke Hummel sagt:

    Ja, Frau Kanzlerin, aber …!

    Es liege noch ein gewaltiges Stück Arbeit vor uns, denn eine Krise kann sich durchaus wiederholen, sagte Frau Merkel einer bedeutenden deutschen Wirtschaftszeitung zufolge kürzlich beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Wir bräuchten noch mehr Regulierung und hätten noch keine international abgestimmte Antwort auf die Frage, was wir tun, wenn wieder ein großes Bankhaus zusammenbricht. Der Steuerzahler dürfe die Rechnung nicht wieder alleine zahlen.
    Ja, Frau Kanzlerin, aber wie auch; und welche Antwort, wenn doch Ihr Finanzminister, Herr Schäuble, – ebenfalls in Davos – zu kritisieren hatte, dass „die Wirkungsmechanismen einer komplexen Gemeinschaftswährung nicht immer verstanden werden“, wo er selber aber offenbar nicht einmal begriffen hat, was diese Währung ihrem Wesen nach eigentlich ist: Ein Papier, welches Herstellung und Verbrauch der arbeitsteilig erzeugten Güter- und Leistungsmengen zu vermitteln hat! Und das bedeutet: Die immense Anhäufung von Finanzwerten steht dieser Funktion entgegen. Sie setzt, damit das Geld seine Funktion erfüllt und die Wirtschaft „funktioniert“, ihr Gegenteil, nämlich Schuldenmachen voraus – privates oder staatliches oder beides. Diesen Prozess erleben wir seit Jahrzehnten mit dem (sogar immer rascheren) Wachstum von „papiernen“ Vermögensbergen einerseits und Schuldensummen andererseits.
    Der Staat bzw. die Staatengemeinschaft müsste also, um seine/ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik zu finanzieren, nicht Schulden machen und dafür noch horrende Zinsen zahlen, sondern das auf den Finanzmärkten spekulierende, „überflüssige“ Geld entschädigungslos heranziehen. Dies wäre ein tatsächlich wirksamer Beitrag zu der von Ihnen angestrebten Regulierung.

  191. Ulrich Scharfenorth sagt:

    Wohin steuert die Bundeswehr?
    Dass zu Guttenberg die Wehrpflicht abschaffen will, wird vor allem mit der notwendigen Kostensenkung für die Bundeswehr begründet. K.T. – so heißt es – will Struktur, Personalstärke und Strategien künftigen Erfordernissen besser anpassen. Bliebe es bei der Kostensenkung, wäre dagegen nichts einzuwenden. Die Armee verschlingt ohnehin Riesensummen, die niemand verantworten kann. Hier aber geht es auch um etwas Anderes. Offenbar darum, die Bundeswehr für noch mehr Auslandseinsätze fit und flexibel zu machen. Dabei dürften vor allem Bündnisleistungen im Fokus stehen, die interessengesteuerte Befriedungsaktionen oder Kommandos zur Sicherung von Rohstoffen und Transporten zum Ziel haben. Eine Berufs- oder Freiwilligenarmee läuft allerdings Gefahr, Staat im Staate zu werden und der demokratischen Kontrolle zu entgleiten. Auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt zeigt sich mehr als besorgt darüber, dass junge Leute von der Pflicht für ihr Land und damit auch von einer wichtigen kostenfreien Leistung entbunden werden. Gleichzeitig falle auch der alternative Zivildienst weg, mit dem bisher allerorts gerechnet wurde. Und Schmidt fragt auch: Welches sind die Aufträge der Bundeswehr? Und welcher Auftrag ist der wichtigste? Nicht von ungefähr verweist der Altkanzler auf die im Grundgesetz verankerte Festlegung, dass die Bundeswehr zur Verteidigung Deutschlands da sei, und nur in Ausnahmefällen – nach Zustimmung des Parlaments – in Auslandseinsätzen antreten dürfe. Und er warnt davor, die neue Militär-Struktur vorrangig an den Erfordernissen dieser Ausnahmesituationen, so vielleicht an denen des Afghanistan-Kommandos, auszurichten. Eine große Gefahr bestehe außerdem darin, dass sich mit der zunehmenden Professionalisierung der Armee ein Kastendenken breit mache – ähnlich wie das bereits in der Weimarer Republik der Fall war (Reichswehr). Schmidt plädiert dann auch für eine zeitlich begrenzte Dienstpflicht – sowohl für Männer als auch für Frauen. Und wörtlich fügt er hinzu: „Lasst sie auch in Zukunft wählen zwischen Wehrdienst und Zivildienst – aber lasst sie einmal in ihrem Leben … dem öffentlichen Wohl dienen („DIE ZEIT“, 27. Januar 2011).
    Soweit Helmut Schmidt, dem ich in dieser Frage grundsätzlich zustimme. Was zu Guttenberg, was die schwarz-gelbe Regierung will, steht zweifellos auf einem anderen Blatt. Ihnen scheint es weniger darum zu gehen, die Bundeswehr auf irgendwelche Verteidigungsaufgaben zu trimmen (obwohl diese unter Nato-Kommando mit der Errichtung des Schutzschildes gegen iranische Raketen beginnt), sie dürften eher profanen wirtschaftlichen Interessen folgen. Die – so liest man ja vielfach zwischen den Zeilen – für ein rohstoffarmes, aber stark exportorientiertes Land mehr als relevant sind. Keine Frage, wenn unsere Wirtschaftspolitik diese – selbst für die Nachbarn – aggressive Färbung behält, könnten wir die Bundeswehr künftig als „Mit-Besetzer“, Claim-Verteidiger und Transport-Security an den Rohstoffquellen dieser Welt wieder finden. Mit dem Ziel, die für Hightech-Produkte erforderlichen fossilen und mineralischen Wertstoffe anderen Ländern abzunötigen bzw. Konkurrenten streitig zu machen. Die bei Konflikten anfallenden Opfer – junge, materiell stimulierte Berufssoldaten ohne Lebens- und vielfach auch ohne Kriegserfahrung – werden ja gewusst haben, worauf sie sich einlassen.

  192. Wolfgang Kost sagt:

    Hallo Noli,
    Ich schätze Kurt Maetzig. Und auch die Weisheit, die sich in einem nun 100jährigen Leben gesammelt hat, ist es wert, bedacht zu werden. Mein Problem ist nur eben : Was würde Kurt Maetzig denn unter einer wirklichen Volksherrschaft verstehen? Wer ist wann und unter welchen Umständen "das Volk" und wie müßte dessen – dann ja wohl wirkliche – Herrschaft aussehen? Waren nicht all jene Millionen, die per demokratischem Stimmzettel einst den Nazis zur Macht verholfen hatten, auch "das Volk"? Oder waren es jene Kommunisten, die – wiewohl eine verschwindende Minderheit in Rußland – aber von sich wußten, im Sinne des Volkes zu handeln (um dann jene massenweise auszumerzen, die sich auf solche Weise nicht beglücken ließen)?
    Wer bestimmt denn verläßlich, wer und was "das Volk" ist, das da herrschen solle und was dessen Wille sei?
    Tut mir leid, ich halte das alles ein wenig für müßig. Man wird – so schwer es fällt – die Menschen – und damit "das Volk" – so nehmen müssen, wie sie sind. Oder man sucht sich, der Brechtschen Empfehlung folgend, ein anderes Volk. Am besten für "Volksherrschaftsrepräsentanten" wäre aber wohl: Man ist selbst das Volk.
    Wolfgang Kost

  193. Noli sagt:

    Am 25. Januar publizierte die "Berliner Zeitung" aus Anlass von dessen 100. Geburtstag ein Interview mit DEFA-Mitbegründer und Filmregisseur Kurt Maetzig. Die folgenden Passagen daraus lesen sich wie Ergänzungen zum Schwerpunktthema "Demokratie" in der Blättchen-Ausgabe 1/2011 sowie zum Beitrag über die Kommunismus-Debatte in der aktuellen Ausgabe:

    Frage: Was bedeutet Ihnen Freiheit?
    Kurt Maetzig: Freiheit ist für mich ein leeres Wort, wenn man nicht hinzufügt: Frei wovon und frei wozu. Denn Freiheit ist eine gerichtete Kraft. Heute sehe ich die Gefahr, dass sich die Kraft der Freiheit verliert, weil es ihr an Ziel fehlt. Mit dem Begriff Freiheit ist es ähnlich wie mit dem Begriff Demokratie. Man sagt Demokratie und meint Kapitalismus. Es geht gar nicht um Demokratie in des Wortes ursprünglicher Bedeutung, also um Volksherrschaft. Im Gegenteil: Die Demokratie als Staatsform ist so kunstvoll konstruiert, dass das Volk möglichst von den Entscheidungen fern gehalten wird. In der Wirtschaft, im Militär, in der Justiz herrschen Autokratie statt Demokratie. Es sind in Wirklichkeit nur begrenzte Gebiete, in der Demokratie wirksam wird, und selbst da nur partiell. Das Wort Parlament beispielsweise bedeutet doch, dass man miteinander spricht, aber findet das wirklich statt? Im Parlament geht es längst nicht mehr darum, sich gegenseitig über den besten Weg zur Lösung eines Problems einig zu werden. Stattdessen weiß jede Seite von vornherein, wie sie in den Saal hinein- und wieder aus ihm hinausgeht. Ich habe das Gefühl, dass die edle Funktion dieser Institution, in der man auf die Argumente des Anderen hört, stark geschwächt ist. Auch da scheint mir die Demokratie nicht auf ihrem besten Wege zu sein …

    Frage: Nun ist die Vision des Kommunismus, an die Sie viele Jahre geglaubt haben, diskreditiert.
    Kurt Maetzig: Der erste Versuch, Kommunismus zu realisieren, wurde im zaristischen Russland gestartet, technisch und wirtschaftlich rückständig. Auf dieser Basis den Kommunismus verwirklichen zu wollen, hat zu den schrecklichsten Entstellungen geführt. In dieser entstellten Form lernten wir den Kommunismus kennen. Aber selbst in dieser Form hatte er etwas Attraktives für mich. Die Russen hatten wesentlich dazu beigetragen, Hitler zu besiegen. Jetzt sollte eine neue Ordnung sein. Dass dazu Gewalt nötig war, erachtete ich zunächst als notwendig. Aber immer mit dem Gefühl: Das ist nur zu Beginn so. Wenn die Sache erstmal eingeführt ist, dann kommt etwas Neues: eine Übergabe der Freiheit an alle, nämlich das, was Marx gemeint hat – ein demokratischer Sozialismus.

    Frage: War das nicht ein tragischer Irrtum?
    Kurt Maetzig: Gregor Gysi hat mich mal gefragt: Meinst Du, ob es in Zukunft Kommunismus geben wird? Ich antwortete ihm: Das, was man sich darunter vorgestellt hat, wird es nie geben. Die Zukunft ist nicht aus der Vergangenheit zu erklären, und die Vergangenheit ist auch nicht würdig, die Zukunft zu gestalten. Ein neues Denken ist gefragt. So wie für viele das Wort Freiheit eine zentrale Kategorie ist, ist es für mich das Wort Solidarität. Ein Heilmittel sowohl für die kleinen Probleme des Alltags als auch für die großen Weltprobleme. Eines Tages wird dafür gar nicht mehr geworben werden müssen. Die Macht der Fakten wird eine Solidarität herausfordern, als letzte Möglichkeit. Solidarität ist im Bereich des Gesellschaftlichen das, was im Menschlichen die Freundschaft ist. Solidarität ist der Lebensquell für die Menschheit.

  194. jaku sagt:

    Zu den Biermösl Blosn fällt mir ein herrlicher Sketch ein, in dem Freund Polt als Arbeitsamtschef einem Langzeitarbeitslosen in gehobenerem Alter (Biermösl Hans Well) einen Arbeitsplatz zum Betteln in allerdings bester Stadtlage vermitteln will. Auf dessen Protest, er sei kein Bettler, dementiert Polt dies auch umgehend und ernennt ihn zu "A l m o s i er ". – Seltsam, daß all die Wortneuschöpfer in den Verwaltungen der Erwerbslosen darauf noch nicht selbst gekommen sind.

  195. Fiskus sagt:

    Gesine Lötzsch habe sich außerhalb der Verfassung gestellt, hat CSU Generalsekretär Alexander Dobrindt den Bundestag im Zusammenhang mit den Kommunismus-Aussagen der Linken-Chefin wissen lassen. Und wer dies tue, müsse vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
    Darüber ließe sich ja reden, wenn er desgleichen auch für alle jene verlangen würde, die sich außerhalb des Artikels 14, Absatz 2 besagten Grundgesetzes stellen, der da sagt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Zugegeben sei allerdings: Über so viel Personal, um eine solche Beobachtung bewerkstelligen zu können, verfügt nicht mal der BND.
    Fiskus
    P.S. dazu eine Schlagzeile von heute:
    "Zinsen, Dividenden, Wertpapiergeschäfte: Die Steuereinnahmen aus Kapitalerträgen sinken dramatisch. Laut einem Zeitungsbericht bekam der Fiskus 2010 rund 3,7 Milliarden Euro weniger als im Vorjahr. Erwartet hatten Finanzpolitiker eigentlich ein dickes Plus." …

  196. Helge Jürgs sagt:

    Um ultimatiefsinnig klarzustellen, wer statt der Linkspartei allein befugt ist, über die gesellschaftliche Zukunft (nicht nur) Deutschlands nachzudenken, empfehle ich, die führende Rolle von CDU/CSU und SPD im Grundgesetz zu verankern. Ein mitführendes Röllchen auf Probezeit könnte dabei von mir aus auch der FDP und den Grünen zugestanden werden.
    Das Erfolgsmodell der führenden Rolle hat im DDR-Sozialismus immerhin prima funktioniert. Was die FDP betrifft, sollte man mit einer solchen Standeserhebung allerdings nicht mehr lange warten, zwei Prozent sollte eine führende Partei schon auf die Waage bringen …
    Helge Jürgs

  197. Herbert Wilkow sagt:

    Mit der Demokratie ist es wohl wahrhaft so wie mit einem Teufelskreis: Um zu funktionieren (wenigstens prinzipiell) braucht sie ein wirklich mündiges, weil gebildetes Volk. Um dieses aber überhaupt erst zu entwickeln, braucht es die Demokratie. Ein Dilemma, das sich, wie man an Geschichte und Gegenwart sieht, dessen sich das politische Übel aufs feinste zu bemächtigen weiß. Das muß nicht einmal eine finstere und blutrünstige Super-Diktatur sein. Ein zumindest mehrheitlich verblödetes Volk machen sich ja durchaus auch "Demokraten" gern zunutze – bitte Fenster auf, um dies zu genießen!
    H. Wilkow,
    der sich ebenfalls freut, daß das Blättchen wieder da ist

  198. Thorsten Koppusch sagt:

    Na endlich gibts das Blättchen wieder!!!
    Und das gleich mit einem ziemlichen Hammer, wenn die Schwergewichtigkeit und Aktualität des Hauptthemas betrachtet.
    Nun ist das Blättchen ja nicht als Gute-Laune-Zeitschrift gedacht – aber so richtig optimistisch kann ich nach der Inhalierung der Demokratie-Texte nicht sein. Mir wäre es eigentlich lieber, das mit dem Hinweis auf Tendenziosität beiseite zu wischen, davon kann, wenn man die Realitäten betrachtet aber keine Rede sein – leider.
    Macht weiter so mit Anregungen für den eigenen Grips, egal, obs erfreulich ist oder nicht.
    Zum Amüsieren habt Ihr ja schließlich auch einiges angeboten, das Nullsummenspiel und vor allem das Horrorskop sind köstlich.
    Thorsten Koppusch

  199. Vill Freed sagt:

    Der Beitrag von Delef Kannapin hat mir geholfen, endlich einen vernünftigen Schluss über ein Grundübel der gegenwärtigen Medienwelt zu ziehen. Oh ja, den Anti-Dühring sollte man ebenso wieder einmal lesen, wie Lenins Empiriokritizismus. Das Wissen ist da, die Meinungen werden im Mainstream immer apologetischer. Hurra, die bürgerliche Gesellschaft hat sich zum perpedium mobile entwickelt – Fortschritt durch sozialen Stillstand – könnte man meinen. Es bleibt die Frage, wie kann diese Mediengewalt durch Wissen und (Gesellschafts-)Wissenschaft durchbrochen werden?

  200. Wolfgang Kost sagt:

    Na immerhin hat man jetzt wieder eine Anmutung dessen, was das Blättchen war und (hoffentlich) wieder wird. Freut mich sehr.
    Beste Wünsche schonmal den Machern für die Feiertage und dann natürlich den Tag der Wiedergeburt.
    Euer treuer Leser
    Wolfgang Kost