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3.243 Beiträge im Forum

  1. Den Beitrag von Erhard Crome in Ausgabe 25 finde ich sehr gelungen und informativ. Ich hatte schon einmal versucht, die Bücher von Hardt/Negri zu lesen, wurde aber aus dem Jargon nicht schlau. Hier bekam ich eine Vorstellung, worum es dabei eigentlich geht.

    Die Thesen zum Sozialismus sind in der Tat bedenkenswert. Ich finde darin aber den rückwärts gewandten Geist wieder, den ich in meinem eigenen Beitrag zu dieser Ausgabe kritisiert habe. Immerhin nähert sich Negri dem Problem, daß die “Souveranität” ursprünglich dem Proletariat als Gesamtheit versprochen war – und nicht ausschließlich beim Sekretariat des Zentralkomitees einer bestimmten Partei liegen sollte.

  2. Ulf Herzberg sagt:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    ich kann sagen, dass ich ökonomisch gebildet bin (habe ja schließlich mal Wirtschaftswissenschaften studiert) und für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens bin. (Gerade weil ich in großen Zusammenhängen denke, wobei mehrere Bereiche mit eingeschlossen sind.) Die von Ihnen angeführten namhaften Ökonomen, die das BGE als Irrweg ansehen, werden bestimmt nicht einer prekären und schlecht bezahlten Arbeit nachgehen/nachgegangen sein oder die Sanktionsmechanismen des sogenannten Job-Centers am eigenen Leibe gespürt haben. Gegen das BGE sind anscheinend vorwiegend Leute, die gar nicht auf ein BGE angewiesen wären. Ich möchte die namhaften Ökonomen und auch Sie (als Verleger vom Blättchen) fragen, was denn Ihre konkreten Visionen zur Verminderung von Ungerechtigkeit und Ungleichheit sind? Sie reden von einem ungelösten Verteilungsproblem. Doch ein BGE wäre ja konkret ein Schritt hin zu mehr Verteilungsgerechtigkeit, da vor allen Dingen “schlechte” Erwerbstätigkeiten für einen Hungerlohn nicht mehr ausgeführt werden würden.

    Es kann durchaus Einwände beim Thema BGE geben. Doch ich halte es für sehr kontraproduktiv, es absolut in Frage zu stellen, zu allem immer “Nein” zu sagen und dann im Gegenzug noch nicht einmal eigene Lösungsansätze und Visionen darzubieten.

    Und im Übrigen: Keiner redet davon, dass die Einführung eines BGE die Lösung aller Probleme darstellen würde. Aber es würde ein Stückweit mehr Selbstbestimmmung bedeuten (Keiner müsste mehr widerliche Erwerbstätigkeit annehmen) und größeres Gleichheitsempfinden erzeugen (Alle würden in erster Linie als Bürger angesehen und nicht mehr (stets) in Leiharbeiter, Langzeitsarbeitslose, Mittelschichtler, Niedriglohnsektorianer, Leistungsträger und weiß der Geier noch alles eingeteilt.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ulf Herzberg

  3. Werner Richter sagt:

    Weitere Fragen zu Burows „Vitasozialer Marktwirtschaft“ Blättchen 2012_20
    Herr Dr. Burow sieht eine ganz einfache Lösung des gesellschaftlichen Widerspruches zwischen gesellschaftlicher Produktion und privatkapitalistischer Aneignung, der immer stärker in finanzwirtschaftlichen Exzessen mit Folge zunehmender Dysfunktionalität des kapitalistischen Warenproduktionssystems kulminiert, in der Eliminierung des Kapitals. Dies ist sein gordischer Knoten, aber in der Fabel erweist sich die simple Lösung letztlich als illusionär. Abgesehen davon: wie soll denn das Kapital abgeschafft werden? Ein gesetzliches Verbot findet national und international weder Subjekt noch Objekt, ist unvorstellbar. Es fehlen ganz einfach die subjektiven und objektiven Voraussetzungen für diese Lösung. Das gilt ebenso für Herrn Burows „Änderung der Zielfunktion der Volkswirtschaft“ von „Gewinnmaximierung zu privaten Aneignungszwecken“ zu „Einkommenssicherung nach dem Gemeinwohlprinzip“. Ja, natürlich muß eine nachkapitalistische Gesellschaft so geprägt sein, aber als Resultat einer langen Entwicklung, nicht als Ansatzpunkt für den Weg dahin. Dekrete können das nicht herbeizaubern. Dieser Weg, eigentlicher Gegenstand unserer Überlegungen, bedarf der Entwicklung technischer Voraussetzungen. Diese sind in Ansätzen in Entstehung, wie z.B. „Production on Demand“ in einzelnen Wirtschaftsbereichen. Ob aber dieses Organisationsprinzip oder andere direkte Wirtschaftsbeziehungen, die den Kern der Ablösung des Marktes in sich bergen, in der Tendenz dominieren werden, vermag heute noch niemand vorherzusagen. Jedenfalls bilden diese technischen Trends auf Grundlage höher entwickelter Informations- und Kommunikationstechnologien z.B. über die Verkürzung der Time-to-Market gegen Null, vielleicht als wichtigstes Produktionsverhältnis, eine Basis auch der allmählichen Veränderung der Eigentumsverhältnisse, die natürlich über vielfältige Wege und Formen demokratischer Selbstbestimmung der Gesellschaft herbei geführt werden müssen. Allein dieser Zusammenhang zeigt die Absurdität einer Gordischen-Knoten-Lösung. War denn nicht die „proletarische Revolution“ in Rußland und die Nachäffung im „Sozialistischen Weltsystem“ Warnung genug, daß derartige Wege im Grunde keine Ablösung des Kapitalismus, nur dessen Sonderformen (staatsmonopolistische) erzeugen?
    „Die Deckung des realwirtschaftlich begründeten Bedarfes der Bevölkerung ist dabei das Marktkriterium. Das Grundprinzip der Marktwirtschaft ändert sich folglich nicht.“
    Diese Konstruktion ist kaum verständlich, denn die Entwicklung der Produktionsverhältnisse läuft objektiv auf das Verschwinden des Marktes und der Ware infolge des Wachsens direkter Produktionsbeziehungen, zunehmend auf Bedarf gerichtet, nicht auf Gewinn, hinaus. Wie gesagt, es entstehen die technischen Möglichkeiten für eine darauf basierende Wandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Produktion. Vielleicht ist die zunehmende Überdimensionierung der „Finanzmärkte“, ihre Verselbständigung und Loslösung von der sogenannten Realwarenwirtschaft, ein Indiz dieser Entwicklung, ein Versuch des Kapitals, zum Überleben einen anderen Planeten zu besiedeln. Einiges spricht dafür, daß diese Vermutung nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Die Verwendung des tradierten Begriffes „Marktwirtschaft“ für ganz neue Beziehungen von Produzenten verwischt die grundlegenden Unterschiede und schafft Konfusion.
    Die „Vitasoziale Marktwirtschaft“ ist vielleicht ein interessantes Gedankenspiel mit realistischen Elementen, jedoch als Gesamtmodell kaum zukunftsfähig. Gesellschaftlich entscheidende Zusammenhänge werden ausgeblendet und nicht direkt zusammenhängende Verhältnisse direkt gegenüber gestellt. Man kann nicht das Kapitalverhältnis G-W aus seinen Zusammenhang W-G-W‘ reißen und darauf eine Theorie entwickeln. Aber zu einem verkaufsträchtigen Computerspiel, das immer realitätsfremde, simplifizierte Zusammenhänge darstellen muß, ist diese Theorie durchaus geeignet.

    • Ernst Oskar sagt:

      Es ist doch schön, so weise Menschen unter uns zu wissen, die uns die dritten, vierten und fünften Wege weisen. Bisher hatten wir nur Vita-Cola. Nun also vita-soziale Erlösung! Ist das nicht schön?

  4. Die Redaktion sagt:

    Liebe Nutzer des Blättchen-Forum,

    aus gegebenem Anlass weisen wir nochmals auf unser Limit von 4.000 Zeichen für Forum-Beiträge hin. Ausgangspunkt waren etliche Leser-Mails an die Redaktion, das Forum nicht zu einer Parallel-Ausgabe des Blättchen zu machen. Dieses Ziel wird allerdings konterkariert, wenn die besonders langen Wortmeldungen nun als Mehrteiler daherkommen. Wir werden solche daher künftig mit der Bitte an die Absender retouren, die Regeln zu achten.

    Wir bitten um Verständnis.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Ihre Redaktion

  5. Zitator sagt:

    Kleine Bankenkunde
    „Es sind Vorgänge, die unglaublich klingen: Die britische Großbank HSBC soll für Länder wie das mit internationalen Sanktionen belegte Iran Milliarden von Dollar transferiert haben. Der US-Senat warf dem Geldinstitut zudem in einem Bericht vor, in großem Stil Geldwäsche für Drogenkartelle betrieben zu haben. Demnach sollen zwischen 2007 und 2008 Gelder in Höhe von rund sieben Milliarden Dollar (knapp 5,7 Milliarden Euro) aus Mexiko in die USA geflossen sein.
    Überdies soll die US-Abteilung von HSBC Dienstleistungen für einige Banken in Saudi Arabien und Bangladesch erbracht haben, die vermutlich al-Qaida und andere Terrorgruppen finanziell unterstützen.
    Nun hat HSBC mit Zahlung einer Rekordstrafe von 1,9 Milliarden Dollar (etwa 1,5 Milliarden Euro) offenbar einen Geldwäscheskandal in den USA verhindert. Wie ein Behördenvertreter mitteilte, einigte sich das größte Geldinstitut Europas mit US-Behörden nun auf eine Aussetzung der Strafverfolgung.“
    Dieser Meldung (der Süddeutschen Zeitung entnommen) ist wahrhaftig nur Brechts Drei-Groschen-Oper-Klassiker hinzuzufügen: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“

  6. Clüver sagt:

    Lieber Herr Busch, die Unwissenheit ist doch gewollt und wie es scheint auch in der politischen Klasse, wie z.B. in der Regierung weit verbreitet. Ansonsten würden doch nicht so unsinnige und schädliche Entscheidungen wie z.B. die Sparorgien gefällt. Sich umfassend zu orientieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen ist meiner Meinung nach auch für “gebildete” und interessierte Menschen fast unmöglich, weil die Vielfalt der Probleme unüberschaubar geworden ist und man dann letztendlich entscheiden muß, wofür man seine Zeit verwendet, für Familie, Musik oder Geldanlage und Versicherung. Und ob es dann überhaupt eine gute Entscheidung gibt, weiß man nicht.
    Überforderung und Desinformation gehört zur Machtpolitik.
    Mit freundlichen Grüßen

  7. Werner Richter sagt:

    [korrigierter 1. Teil (in Moderation)]
    Zu Heerke Hummels Antwort vom 28.11.12(Goldstandardargument)

    Lieber Heerke, danke für Deine Ausführungen. Aber sie überzeugen mich leider nicht in Bezug auf die Umwandlung der Äquivalentform des Wertes vom Passiven in Aktives. Der neuerdings gesetzten Zeichengrenzmenge wegen bringe ich meine Gedanken stichpunktartig zu Papier:
    Hummel: „Gern erbringe ich Dir nun den gewünschten ‘Nachweis, was den Wert abgelöst haben und welche Gesetzmäßigkeiten an Stelle des Wertgesetzes getreten sein sollten. Das würde … das gesellschaftliche Verhältnis von relativer Wertform (Aktivum) und Äquivalentform (Passivum) … umgekehrt hat und die Äquivalentform … die Wertformen dominiert. ‘

    Ein gedachtes Beispiel …, da das Abkommen von Bretton Woods noch galt…:

    1 Paar Schuhe = 35 US-Dollar = 1 Feinunze Gold

    [Hierbei] standen die Schuhe nach Marx in der relativen Wertform, weil ihr Wert nur relativ, also im Gebrauchswert von 1 Feinunze Gold ausgedrückt wurde (während ihre Wertsubstanz in einer bestimmten Menge in ihnen vergegenständlichter, gesellschaftlich notwendiger Durchschnittsarbeit bestand; und zwar in der gleichen Menge wie in dem Gold vergegenständlicht…). Die Feinunze Gold stand in der Äquivalentform, denn sie bildete das Wertäquivalent für die Schuhe. Die 35 US-Dollar waren nur die Banknote, das gesetzliche Zahlungsmittel, das den gesetzlich verbrieften Anspruch auf das bei der Notenbank deponierte, wirkliche Gold ausdrückte.“

    1. Diese Gleichung galt schon zu Marx‘ Zeiten, lange vor ‚Bretton Woods‘[BW], es gab Schuhe, Gold und Dollar mit Goldgegenwert. BW war lediglich die Ausdehnung der Relation auf die Welt. Wird das Ende von BW als Kulminationspunkt angenommen, gilt die Formel auch in der Laufzeit des Vertrages. Damit kann die Auflösung des BW-Vertrages kein historischer Wendepunkt in den Wertbeziehungen sein, wenn Marxens Werttheorie zumindest zu Lebzeiten gelten soll. Es sei denn, die Schaffung des Vertrages wäre ein solcher oder das Wertgesetz selbst wird generell in Frage gestellt.
    2. BW ist vielleicht ein willkürlich gesetzter Ausgangspunkt, der z.B. in Statistik Schlußfolgerungen in gewünschte Richtung ermöglicht und verzerrte Widerspiegelung der Realität erzeugt.
    3. Die Formel als unauflösbares Verhältnis starr zu setzen ist zumindest mathematisch fragwürdig. Es gelten auch:
    1 Paar Schuhe = 35 US-Dollar
    35 US-Dollar = 1 Feinunze Gold
    1 Paar Schuhe = 1 Feinunze Gold
    Möge man mich, wahrlich kein Mathe-Ass, eines Besseren belehren.

    Hummel: „Nach der Kündigung des Abkommens von Bretton Woods, also sagen wir im Dezember 1971 hatte sich unsere Formel verwandelt in die Gleichung
    1 Paar Schuhe = 35 US-Dollar – und basta!
    Was bedeuteten, repräsentierten von nun an die 35 Dollar? Möglicherweise
    35 US-Dollar = 35 Brote oder 5 Hühner oder ein Damenhut, aber auch 1 Paar Schuhe usw.“

    1. Mit dem Ende von BW entstand folgende Situation:
    1 Paar Schuhe = 35 US-Dollar
    (35 US-Dollar = 1 Feinunze Gold) entfällt!
    1 Paar Schuhe = 1 Feinunze Gold
    D.h., die Veränderungen im Währungssystem haben zunächst keinen Einfluß auf die übrigen Relationen, ich kann mit US-Dollar und Gold Schuhe kaufen oder diese gegen Dollar oder Gold verkaufen.
    a. Nur weil die Banknote (gesetzliche Verbriefung) keinen Goldanspruch mehr darstellt, sind die anderen Relationen nicht aufgehoben.
    b. Die Schuhe bleiben eine relative Wertform und Gold Äquivalentform des Wertes.
    c. Dollar bleibt gesetzliches Zahlungsmittel, da auch allgemein in der Gesellschaft als Geldersatz anerkannt.
    d. Diese Relationen (b. + c.) galten auch schon zu Marx‘ Zeiten.
    2. Der „Zaubertrick“ in der Beweisführung besteht darin, klammheimlich Dollar und Gold denselben Äquivalentstatus zuzuordnen. Aber tatsächlich war der Dollar, unberührt von seiner Eintauschbarkeit in Gold, schon immer nur Geldersatz wie Banknoten allgemein.

  8. Werner Richter sagt:

    (Schluß des Beitrages zu Hummels Goldstandardargument vom 28.11.12)
    3. Die Formel 35 US-Dollar = 1 Feinunze Gold ist ein „Marketingereignis“ zum Gottwerdenlassen des Dollars. Der Wegfall der Formel innerhalb der Verselbständigung der Finanzbeziehung in den W-G-Beziehungen findet zunächst nur an der Peripherie statt. Das Verhältnis relativen Wertform und Wertsubstanz bleibt unverändert.

    Alle weiteren Betrachtungen, zwar in sich logisch schlüssig, erübrigen sich, da sie auf einer falschen Voraussetzung gebaut sind.
    Eine andere Seite der aktuellen Vorgänge in der Finanzwelt ist die zunehmend vordergründige Dominanz von G-G-Beziehungen in der Weltwirtschaft, die in der exponential steigenden Geldersatzmenge gegenüber der linear steigenden“ Weltwertmenge“ und damit der“ Weltäquivalentenmenge“ Ausdruck findet. Diese Widersprüche aufzuschlüsseln steht jedoch noch aus und bergen bestimmt einige Überraschungen.

  9. Zitator sagt:

    Brauner Fusel

    Die deutsche Demokratie ist mittlerweile stark genug, um auch mit Neonazis zu leben. Aber der türkische Gemüsehändler ist es nicht. Für den Abzug sämtlicher V-Leute aus der Führungsebene der NPD hatten die Behörden fast zehn Jahre Zeit. Eigentlich gibt es wenig Grund, am Erfolg eines Verbotsantrags zu zweifeln. Eigentlich.

    Ein Kommentar von Heribert Prantl

    Es gibt auch anderswo in Europa rechtsextreme Parteien, die gegen Ausländer und andere Minderheiten hetzen. Es gibt auch anderswo in Europa neonazistische Parteien mit rassistischen Programmen und Parolen. Es gibt auch anderswo in Europa braune Parteien, die eine Hau-drauf-Politik gegen Menschen propagieren, die sie als “artfremd” definieren. Die NPD ist also nicht die einzige widerliche Partei in Europa.

    Aber der als Partei organisierte Neonazismus in einem Land, in dem der Nazismus einst monströse Verbrechen begangen hat, ist anders zu bewerten als anderswo. Es ist wie bei einem trockenen Alkoholiker: Wenn der wieder zum Fusel greift, erschrecken die Nachbarn. Für die Opfer der NSU-Mordserie war der neu aufgekochte braune Fusel tödlich. Es darf nicht sein, dass der Fusel – via Parteifinanzierung – auch noch vom Staat bezahlt wird. Das ist der Grund, warum die NPD verboten werden muss. Gewiss: Die deutsche Demokratie ist mittlerweile stark genug, um mit dem Neonazismus zu leben. Aber der türkische Gemüsehändler ist es nicht.

    Je näher der Verbotsantrag rückt, umso größer werden die juristischen Bedenken von Kritikern und Skeptikern – unter ihnen der Bundesinnenminister und die Bundesjustizministerin. Das ist befremdlich, ja es ist erbarmungswürdig: Wollen die Behörden mit dem größten juristischen Apparat der Republik allen Ernstes behaupten, sie seien nicht in der Lage, eine zulässige Klage zu formulieren?

    An der Begründetheit der Klage besteht ja auch kein vernünftiger Zweifel; es muss nicht nachgewiesen werden, dass die NPD terroristisch oder gewalttätig, sondern nur, dass sie verfassungsfeindlich ist. Die Verfassungsfeindlichkeit ist offenkundig – sie ergibt sich auch aus gut zugänglichen Quellen, Reden, Programmen und deren Aggressivität.

    Wenig Grund, am Erfolg eines Verbotsantrags zu zweifeln

    Kritisch ist allein die Zulässigkeit der Klage; daran ist der erste Verbotsantrag im Jahr 2003 gescheitert. Das Verfassungsgericht sah, der staatlichen V-Leute in der NPD wegen, ein faires Verfahren nicht gewährleistet; der Staat dürfe sich nicht durch seine V-Leute über die Prozessstrategien der NPD informieren. Er müsse aber andererseits auch nicht auf die Beobachtung der Partei verzichten.

    Das Urteil von 2003 ist, wie der damalige Berichterstatter, Ex-Verfassungsrichter Hans-Joachim Jentsch, heute sagt, “überzogen ausgelegt” worden. Ähnlich äußert sich der seinerzeitige Senatsvorsitzende, Ex-Vizepräsident Winfried Hassemer. Karlsruhe hat nichts Unmögliches verlangt. Nicht den Abzug sämtlicher V-Leute aus der NPD, sondern nur aus der Führungsebene. Dafür hatten die Behörden nun seit fast zehn Jahren Zeit. Wenn dies, wie allgemein behauptet, geschehen ist, gibt es wenig Grund, am Erfolg eines Verbotsantrags zu zweifeln.

    Es mag sein, dass Karlsruhe nicht sehr begeistert ist über den Verbotsantrag. Es handelt sich um ein Großverfahren, das sehr viel Arbeit machen wird. Aber Begeisterung des Verfassungsgerichts ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung.

    /Mit freundlicher Genehmigung des Autors)

  10. Literat sagt:

    Stellt die rhetorische Frage zu Nummer 24, ob es strategische Weitsicht der Redakteurin und/oder die Macht des Faktischen im derzeitigen Geschehen war/ist, mit dem Beitrag von Karsten Voigt samt tiefstapelnder Überschrift und dem Gespräch mit Alexander Rahr auf die für unsere Breiten bewegenden Aspekte der Lage, die bekanntlich stets „noch nie so ernst war“, wie gegenwärtig, den Teppich von Fakten und Analyse so auszubreiten, dass deutsche Politiker nur demgemäß zu handeln bräuchten, um sie zu „entschärfen“, also für die Deutschen nützlich zu machen.

    Aber sie werden nicht. Weder werden sie der neuen Situation in den USA noch der in Russland entsprechen – und damit eben auch nicht den gegenwärtigen strategischen Interessen Deutschlands. Diese Vorwahlzeit mit den taktischen Hackenschlägen (kein Tippfehler!) und ständigen Berechnungen, welche möglichen Wähler durch welche möglichen Äußerungen zwecks Stimmabgabe auch zum persönlichen Vorteil der Aspiranten gewonnen werden können, wird zum Anlaß genommen, nicht so zu reagieren, wie es staatsmännische Pflicht gebietet und eidgetreu zu sein hätte.

    Nehmen wir noch den chinesischen Parteitag zu den Analysen zu USA und Rußland hinzu, dann wird klar: das ist objektiv die Stunde für Deutschland, um sich strategisch neu oder überhaupt zu orientieren.

    Polarisieren (wohin?) oder vermittels umfassender Kompromisse Positionen halbieren – das ist z.B. eine Teilaufgabe der notwendigen strategischen Orientierung; exakter, eine Voraussetzung dazu. Verbleibt Deutschland in den ideologischen Niederungen historisch überholter Epochen mit hauptsächlichem Verweis auf die Unzulänglichkeiten der „erlösten Provinzen“ vor zwanzig Jahren, um mit diesem Kunstgriff weiter vor notwendigen Reformen auch in deutschen „Kernlanden“ auszuweichen – in der Liga der Weltmächte ist dann der Abstieg noch vor dem herbeigesehnten eigentlichen Aufstieg schon programmiert.

    So was steht also auch in diesem „Blättchen“. Und dabei haben Voigt und Rahr im eigentlichen Wortsinn gar nicht oder nur „uneigentlich“ über Deutschland geschrieben …

  11. Literat sagt:

    Dem „Neuen Deutschland“ vom 30. November ist zu entnehmen, dass die RLS „nun auch eine Kontaktbörse in den USA und zur UNO“ hat, wofür es „höchste Zeit“ war. Zu den wichtigsten Faktoren, die dies ermöglichten, zählt, im Bericht von Jürgen Reents zu dem Ereignis, der bislang Stiftungsvorsitzende Heinz Vietze diese günstigen Umstände: So „ könne die Rosa-Luxemburg-Stiftung, was ihre Behandlung durch die finanzierenden Ministerien betrifft, sich nicht beklagen“, und „zur Eröffnung des Büros in New York wurde er sogar vom Auswärtigen Amt ausdrücklich ermuntert“.

    An dieser Stelle erinnert Literat sich und andere an jene hübsche Anekdote, ohne die Quelle benennen zu können; sie könnte aus der inoffiziellen Abteilung „politische Witze“ beim ZK der SED stammen, aber auch von „Radio Liberty“ im Verbund des Senders „Free Europe“: Ein amerikanischer Aufklärer vor dem Kreml belehrt seinen Moskauer Fremdenführer über Freiheit, der zufolge man vor dem Weißen Haus ungehindert den jeweiligen Präsidenten, selbst unflätig, öffentlich beschimpfen kann. Da sieht sein Cicerone keinen Unterschied: Das könne man vor dem Kreml auch. Alles eine Frage des Standpunkts.

    Sind evtl. Reptilienfonds erinnerlich, und deren Zweckbestimmung? Vietze nach Reents wörtlich: „In der SED wäre niemand auf die Idee gekommen, die Opposition mit zu finanzieren.“ Vielleicht sind solche Informationen über die DDR in den USA die begrüßte „Ermunterung“ durch das AA wert, vielleicht ist die Duldung einer so agierenden „Opposition“ überhaupt ganz nützlich ?

    Was nun die mangelnde „Mitfinanzierung von Opposition“ durch die DDR anlangt – auch in Veröffentlichungen der RLS, vor allem aber solchen des „Forschungsverbundes“ -, wird das rückwirkend nicht so eng gesehen, weder was die Opposition in der BRD noch in der DDR betrifft. Auf diese Idee müssen demnach doch schon welche in der SED gekommen sein, und manche Neugründungen in der BRD sollen auch nachgefragt haben, ob man dort nicht eine solche Idee haben könnte.

    Und warum soll die Bundesrepublik in allen gesellschaftlichen Verzweigungen ein so erfolgreiches Modell nicht verwenden? Und warum dann nicht auch zur Selbstdarstellung in den USA? Soll man da mitmachen – soll man nicht? Wenn schon dafür, dann aber beherzigen, was Chrustschow als russische Volksweisheit zugeschrieben wird: Wer mit dem Teufel zu Tische sitzt, muß einen langen Löffel haben.

    Im übrigen wünscht sich Literat in Übereinstimmung mit Vietze: „Die politische Stiftung ist kein Wettbewerbsfeld von Strömungen, uns liegt am gemeinsamen Erfolg der Linken.“

  12. Die Redaktion sagt:

    Liebe Nutzer des Blättchen-Forum,

    per Mail erreichten uns etliche Klagen wegen überlanger Beiträge im Forum. Ab sofort gilt daher ein Limit von 4.000 Zeichen. Links unter dem Eingabefenster ist ersichtlich, wann die Obergrenze erreicht ist.

    Wir bitten um Verständnis.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Ihre Redaktion

  13. Weiterzudenkender Marx

    Lieber Werner Richter, Dein Beitrag „Alter – veralteter – Marx“ im Forum (23. 12. 12) macht auf ein wichtiges theoretisches Problem aufmerksam, das meines Erachtens von marxistischen Ökonomen als solches nicht angesehen wird, weil Zweifel daran, dass die zentralen Erkenntnisse von Karl Marx über die Gesetzmäßigkeiten bürgerlich-kapitalistischer Produktionsweise die ökonomische Realität des beginnenden 21. Jahrhunderts noch ausreichend zu erklären vermögen, verbreitet als unmarxistisch gelten, für „Revisionismus“ gehalten werden, für Verrat an Marx und Dienst am Kapital. Und vor allem scheint ja der Irrsinn in der heutigen Finanzwelt die volle Noch-Gültigkeit der Marxschen Analyse des kapitalistischen Reproduktionsprozesses in einem Maße zu bestätigen wie schon lange nicht mehr.
    Gewiss, ohne Marx ist auch die heutige Realität nicht zu erklären, jedenfalls nach meinem Dafürhalten nicht richtig. Aber nur mit Marx eben auch nicht, und es kommt darauf an, auf Marx aufbauend weiterzudenken und in der heutigen Gesellschaft, in ihren ökonomischen Grundverhältnissen die grundsätzlichen Bedingungen einer neuen Gesellschaft zu erkennen, die Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms als eine Gesellschaft charakterisierte, „wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht; die also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt. Demgemäß erhält der einzelne Produzent … von der Gesellschaft einen Schein, dass er soundso viel Arbeit geliefert …, und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat an Konsumtionsmittel soviel heraus, als gleichviel Arbeit kostet.“
    Mir ist durchaus bewusst, dass Marx in diesem Zusammenhang von entsprechenden rechtlichen Regelungen bezüglich des Eigentums ausging. Deshalb habe ich mit meiner oben gemachten Aussage über die heutige Gesellschaft diese auch nur hinsichtlich ihrer ökonomischen (nicht ihrer juristisch fixierten) Grundverhältnisse im Auge, ohne Berücksichtigung deren juristischer Fixierung eben. Zwischen beidem klafft heute ein eklatanter Widerspruch, den es zu beseitigen gilt.

    Doch zurück zur ökonomischen Basis! Ja, Du hast Recht, die Selbstverwertung des Wertes ist auch heute noch alleiniger Zweck der Produktion, die Bedürfnisbefriedigung nur ein zweitrangiges Abfallprodukt dieser. Doch auch dies nur auf der Ebene subjektiver Wahrnehmung von Interessen! Objektiv, real, hat das, was heute in den vermeintlichen Wertbildungs- und Verwertungsprozessen vor sich geht, so gut wie nichts mehr zu tun mit wirklicher Vermehrung von Reichtum. Es sind Illusionen, gestützt durch Illusionisten einer fehlorientierenden, meinungsbildenden Wissenschaft.

    Auch sehe ich – wie Du -, „daß ein prinzipieller Endkampf um die absolute und unangreifbare Allmacht der Finanzmächte in vollem Gange ist.“ Gleichzeitig ist aber wohl nicht zu übersehen, dass ein starkes internationales Bemühen auf allen Ebenen und in verschiedensten Bereichen im Gange ist, globale Probleme durch Absprachen organisatorisch zu lösen bzw. in geordnete Bahnen zu lenken.

    Gern erbringe ich Dir nun den gewünschten „Nachweis, was den Wert abgelöst haben und welche Gesetzmäßigkeiten an Stelle des Wertgesetzes getreten sein sollten. Das würde zwangsmäßig auch den Nachweis erfordern, daß und wie sich das gesellschaftliche Verhältnis von relativer Wertform (Aktivum) und Äquivalentform (Passivum) der Ware in der gesellschaftlichen Vermittlung (Selbstvermittlung des Wertes) umgekehrt hat und die Äquivalentform der Ware, bisher passiv, nur durch Anforderung als Vermittler in diese Beziehung getreten, also ohne eigenes Zutun, die Wertformen dominiert.“
    Ein gedachtes Beispiel aus der Zeit, da das Abkommen von Bretton Woods noch galt, also sagen wir Januar 1971, als die USA gemäß genanntem Abkommen noch je 35 US-Dollar gegen 1 Feinunze Gold rücktauschten:

    1 Paar Schuhe = 35 US-Dollar = 1 Feinunze Gold

    In dieser Formel bzw. Gleichung standen die Schuhe nach Marx in der relativen Wertform, weil ihr Wert nur relativ, also im Gebrauchswert von 1 Feinunze Gold ausgedrückt wurde (während ihre Wertsubstanz in einer bestimmten Menge in ihnen vergegenständlichter, gesellschaftlich notwendiger Durchschnittsarbeit bestand; und zwar in der gleichen Menge wie in dem Gold vergegenständlicht, denn sonst wären die beiden verschiedenen Waren nicht gleich). Die Feinunze Gold stand in der Äquivalentform, denn sie bildete das Wertäquivalent für die Schuhe. Die 35 US-Dollar waren nur die Banknote, das gesetzliche Zahlungsmittel, das den gesetzlich verbrieften Anspruch auf das bei der Notenbank deponierte, wirkliche Gold ausdrückte.

    Nach der Kündigung des Abkommens von Bretton Woods, also sagen wir im Dezember 1971 hatte sich unsere Formel verwandelt in die Gleichung

    1 Paar Schuhe = 35 US-Dollar – und basta!

    Was bedeuteten, repräsentierten von nun an die 35 Dollar? Möglicherweise

    35 US-Dollar = 35 Brote oder 5 Hühner oder ein Damenhut, aber auch 1 Paar Schuhe usw.

    In dieser Gleichung gibt es weder eine relative Wertform noch eine Äquivalentform des Wertes. Es kann sie nicht geben, weil der Dollar keinen Wert und Gebrauchswert hat, also gar keine Ware ist, sondern nur Wert (ganz allgemein) und Waren (in ihrer Gesamtheit) repräsentiert. Er repräsentiert nicht mehr das Wertäquivalent einer bestimmten Ware (Gold), sondern aller Waren. Er misst alle auf dem Markt dieses Währungsgebiets befindlichen Waren und setzt sie in Relation zueinander. Das kann er, indem er das ihnen Gemeinsame ausdrückt, darstellt, also die in ihnen vergegenständlichte, gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeit. Im Januar 1971 wurde letztere noch im Gebrauchswert des Goldes ausgedrückt (vertreten durch auf das Gold bezogene Dollarnoten) und nun – schlicht und einfach in dem Begriff „Dollar“. Wie aber kann er diese Funktion wahrnehmen, die Arbeitsmenge messen, die er ausdrückt und wie viel Arbeit drückt er aus? Die von ihm repräsentierte Goldmenge hat er seinerzeit nicht gemessen, die wurde ihm vielmehr durch die internationale Vereinbarung von Bretton Woods zugeschrieben. Die von ihm repräsentierte Menge an gesellschaftlich notwendiger Durchschnittsarbeit dagegen ergibt sich aus dem realen Prozess der Bestätigung bzw. durchschnittlichen Bezahlung von Arbeitsleistungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Es handelt sich dabei um die gesellschaftliche Bewertung und Erfassung von Arbeit in dem heutigen, besonderen System gesellschaftlicher Arbeits- und Leistungsentlohnung sowie gesellschaftlicher Buch- und Rechnungsführung, wie sie sich in dem bestehenden System der Wirtschaftsführung von in hohem Maße eigenverantwortlichen Unternehmern, Managern und sonstigen Leitern, die bestimmte Rechte und Pflichten im Umgang mit den natürlichen und gesellschaftlichen Ressourcen haben. In meinem Buch „Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum“ (Projekte-Verlag, Halle 2005) habe ich diesen Prozess der Verausgabung und Vergegenständlichung der gesellschaftlichen Arbeit sowie ihrer Bewegung durch den gesellschaftlichen Reproduktionsprozess ganz allgemein dargestellt.

    Als im Gebrauchswert des Goldes ausgedrückter Wert wurde die gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeit in ihrer vergegenständlichten Form gemessen, als in Währungseinheiten ausgedrückter gesellschaftlicher Aufwand wird sie heute dagegen in ihrer lebendigen Existenzweise bewertet, gemessen und erfasst. (Eine wichtige Grundlage ist dabei das Tarifsystem.) Aus diesem Unterschied resultiert auch der in der Realität festzustellende Zusammenhang von Löhnen und Preisen. Dass dieser schon lange vor der Kündigung des Abkommens von Bretton Woods zu beobachten war, zeigt wie manch anderer Hinweis, dass diese Kündigung nur der letzte Akt eines jahrzehntelangen, schleichenden Prozesses war, in dessen Verlauf das Gold seine messende und über das Wertgesetz regulierende Funktion im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess mehr und mehr verlor (weil die Probe aufs Exempel, der Eintausch der Noten gegen das wirkliche Gold dank des allgemeinen Vertrauens in die Noten immer seltener stattfand), um am Ende aber gerade die offizielle gesellschaftliche Absage von ihm selbst zu veranlassen, weil es den USA darum ging, sich diesen, allen Dollarbesitzern gehörenden Schatz rechtswidrig anzueignen, da das allgemeine Vertrauen infolge desaströser amerikanischer Rüstungs- und Wirtschaftspolitik ziemlich plötzlich verloren gegangen war. Es war das letzte Todeszucken des Wertgesetzes. Dessen regulierendes Wirken ist einer weitgehenden Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion durch eigenverantwortliche Unternehmer und Gesellschaften in vorausschauender Koordinierung (wenn auch in mörderischem „Wettbewerb“) der lebendigen Arbeit mit einem besonderen System gesellschaftlicher Kostenerfassung (von Produktionsstufe zu Produktionsstufe, von Unternehmen zu Unternehmen) gewichen. Staatliche Einflussnahmen spielen dabei auch eine erhebliche Rolle.

    Die allgemein bekannten, katastrophalen Mängel bzw. Wirkungen dieses heutigen Gesamtsystems gesellschaftlicher Reproduktion resultieren daraus, dass der sogenannte gesellschaftliche Überbau überhaupt nicht mehr der ökonomischen Basis entspricht. Die wissenschaftliche Durchdringung der Gesellschaft und ihrer Ökonomik befindet sich, soweit sie allgemein meinungsbildend und politikbestimmend ist, auf einem Stand wie vor über hundert Jahren. Die völlig einseitige Orientierung des Bewusstseins der Gesellschaft als ganze wie auch der einzelnen Menschen auf das Individuum und seine Privatheit hat vor allem in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass der Blick auf das Ganze (heute nicht mehr nur der Nation, sondern der Welt) so gut wie verloren ging und, wenn überhaupt, dann aus dem Blickwinkel des (kurzsichtigen) Einzelinteresses gerichtet ist. Hinzu kommt, was die Sache dramatisch verschlimmert und eine Folge wirtschaftswissenschaftlicher Fehlleistungen ist, dass die Veränderungen in der ökonomischen Basis der Gesellschaft nicht begriffen wurden und Geld und Finanzen für Reichtum gehalten werden, dass geglaubt wird, wachsende Finanzberge seien identisch mit zunehmendem Reichtum und Wohlstand, obwohl sie Raubbau an den Ressourcen der menschlichen Gesellschaft und der Natur, deren Verarmung und Vernichtung bedeuten.

    Eine Revolution ist daher erforderlich – in der Wissenschaft, im Denken und Handeln der Menschen, in der Politik und in der Gesetzgebung.

    • Lieber Herr Hummel,

      mit der Abschaffung des Goldstandards ändert sich auch das Wesen der Zahlungsmittel – soweit stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Ihren Folgerungen aber kann ich mich nicht anschließen.

      Ihre Gleichung:
      1 Paar Schuhe = 35 US-Dollar = 1 Feinunze Gold
      stimmt in diesen Proportionen natürlich nicht mehr. Aber für die 35 Dollar können Sie auch heute – neben anderen Waren – noch Gold bekommen. Nur ist es je nach Tageskurs nicht mehr 1 Unze, sondern etwa der 50te Teil dieser Menge (Spesen und die in Deutschland auf solche Transaktionen erhobene Steuer nicht mitgerechnet). Wenn Gold also auch nicht mehr als Zahlungsmittel dient – einen Wert verkörpert es mehr denn je.

      Diese enorme Verschiebung der Proportionen zeigt einerseits, in welchem Umfang unsere Zahlungsmittel in der Zwischenzeit entwertet wurden. Andererseits deutet sie darauf hin, daß Gold eben nicht in weitgehend automatisierten Fabriken hergestellt werden kann, sondern mit sehr großem Arbeitsaufwand aus immer tieferen Gesteinsschichten herausgekratzt werden muß.

      Demgemäß wurde der Eintausch gegen Gold nicht deshalb abgeschafft, weil ohnehin niemand mehr danach verlangte – sondern umgekehrt gerade deshalb, weil zu viele statt Papier reellere Werte sehen wollten. Ich erinnere mich, daß Frankreich unter de Gaulle zeitweilig eine regelrechte Kampagne in diesem Sinne führte.

      Die Frage nach dem Wesen des “Geldersatzes”, wie Herr Richter die umlaufenden Zahlungsmittel nennt, ist damit natürlich noch nicht beantwortet. Gerade die “Marx-Fans” sollten sich aber darauf besinnen, welche Bedeutung Marx dem Kreditsystem im Zusammenhang mit der Zirkulation beimaß.

      Auf jeden Fall habe ich von Ihren Überlegungen ungleich mehr als von denen des Herrn Burow. Dessen Konzept läuft für meinen Begriff darauf hinaus, auf den Crash zu warten und zu hoffen, daß die Regierungen zur Abwechslung einmal vernünftig werden. Ihre Ideen dagegen geben mir eine Ahnung, in welchem Maße die Produktions- und Zirkulationsverhältnisse bereits dabei sind, die Hülle des bürgerlichen Eigentums zu sprengen.

  14. Werner Richter sagt:

    Entgegnung zu Herrn Burows Antwort auf meine Kritik zur „vitasozialen Marktwirtschaft“ im Forum am 26.11.2012
    Man kann es nur wiederholen: Herr Burow sagt „Geld“, obwohl er Erscheinungen des Geldersatzes, nicht das Geld in seinen virtuell sich vollziehenden Funktionen, behandelt. Von diesem Geldersatz auf die Wertschaffung direkt zu schlußfolgern, halte ich für gewagt und abgehoben. Weil Geld(ersatz) im selbstschaffenden Kreislaufprozeß in ca. 10-facher Dimension gegenüber der realen (Welt-) Wertsumme existiert mit Tendenz nach oben und damit (im Vordergrund) die gesamte Gesellschaft dominiert, kann die Realwertproduktion nur noch zweitrangig sein? Auf die Frage der dann anzunehmenden Rückläufigkeit des Wertprozesses geht er gar nicht ein, auch, da die sich selbst erledigt, aber seine Thesen in Frage stellen würde. Nochmals, geht es der „Finanzindustrie“ nicht letztendlich mittels Einsatz von Geldsurrogaten, nicht Geld, um den 10-fach und mehr abgesicherten und immer mächtiger artikulierten Zugriff auf alle realen Weltwerte, die im stinknormalen Wertschaffungsprozeß entstehen? Dazu wieder die Fragen: Gäbe es ohne Werte überhaupt den Finanzzirkus? Findet denn die Wirtschaft plötzlich an der Börse statt? Diese widerspiegelt keine Sekunde des Wirtschaftslebens, sondern zeigt nur, welche Erwartungen von Geldersatzjongleuren an Geldsurrogate an deren eigene Bewegungen gestellt sind. * Habe ich Robert Stieglitz mit seiner Kennzeichnung der „Finanzindustrie“ als „Finanzterroristen“ richtig verstanden, wenn ich die Operationen mit Geldersatzmassen ähnlich wie die Geldwäsche der herkömmlichen Gangsterkreise sehe? Es wird eine scheinbare Finanzmacht geschaffen, die aber noch in den Finanzkreislauf der Realwirtschaft einzubringen ist. Ein Instrument dazu ist die Börse. Es ist müßig, eine wertschaffende Rolle des Ersatzgeldes zu suchen, Differenzierung nach dem Platz des Eindringens in die Realwirtschaft helfen da auch nicht weiter. Man kann sich wünschen, daß Geld bzw. hier Geldersatzformen aus ihren objektiv ausschließlich passiven Funktionen zum aktiven Wirtschaftsgestalter mutieren, aber real wird das nicht. Stroh läßt sich nun mal nicht zu Gold spinnen.
    Die „Einwertung von Tätigkeiten im so genannten “unproduktiven Bereich”, wie Sozialwesen, Medizin, Kunst und Kultur, Sport usw.“ [Burow] ist nur ein finanztechnischer Vorgang außerhalb der Wertschaffung, es gibt dort nur indirekten Einfluß auf die Wertschaffung, soweit sie dieser zugeordnet werden kann.
    Öfter wurde bereits angemahnt, sorgfältiger mit weiteren ökonomischen Begriffen und Definitionen umzugehen und zuerst zu hinterfragen, ob denn tatsächlich in der Ökonomie der verwischende Gebrauch von z.B. „Kapital“ auf den Einsatz von Geldersatz oder die Aktivierung außerökonomischer Elemente ohne Abgrenzung angebracht ist. Ich habe da meine Zweifel, es ist fraglich, ob es sich dann um Kapital im ökonomischen Sinne handelt und man kann dann auch nicht von „Kapitalisierung“ sprechen. Auch hier wird ein Surrogat geschaffen, das kapitalähnliche Eigenschaften besitzt, diese imitierend, aber nicht in gleicher Weise wirkend. Mit anderen Kategorien könnte es ähnlich sein. Ich sage nicht, das ist so, ich stelle nur Fragen, da ich die allgemeine Manipulation auch auf diesem Feld für nahezu perfekt halte. Jeder Begriff und jede Idee ist notwendigerweise immer wieder zu prüfen, will man das Verhältnis von Wert-, Verwertungs- und Finanzprozesse, auch in ihrer surrogaten Form, klären, folgen wir da ruhig Marx.
    „Die Finanzkraft einer Notenbank ist dabei prinzipiell unbegrenzt, da sich eine Notenbank das Geld, das sie vergibt oder mit dem sie bezahlt, vorher nicht etwa beschaffen muss, sondern es quasi aus dem Nichts erschaffen kann.[Gerhard Burow, „Vitasoziale Marktwirtschaft – kommentiert von Werner Richter“ im Forum 26.11.2012]

    Das besagt eigentlich schon alles, dieses Zitat von Jens Weidmann gehört auch zur Manipulation der Öffentlichkeit. Keine Notenbank kann unbegrenzt Geld kreieren, die obere Grenze ist immer von der Höhe der Aktiva bestimmt. ** Insofern taugt ein neoklassischer monetaristischer Wirtschaftspolitiker kaum als Kronzeuge. Logischerweise geht dieser von der Richtigkeit der falschen Ausrichtung der EU auf die Haushaltsstabilität aus und sieht alles mit einer scheuklappenbesetzten Brille. Gerichtet ist diese Manipulationslinie auf die Verstärkung des Gefühls der Hilflosigkeit.

    Die „Einwertung von Tätigkeiten im so genannten “unproduktiven Bereich”, wie Sozialwesen, Medizin, Kunst und Kultur, Sport usw.“… und…
    „Hier entstehen “Akzeptanzpreise”, bar jeder Arbeitswertgrundlage. Ökonomische Effizienz, die sich im Wert ausdrückt, dient der Maximierung persönlichen Einkommens. In der Vitasozialen Marktwirtschaft ist die Einkommensbildung aus dem Wirtschaftskreislauf ausgelagert. Menschen erhalten Einkommen, weil sie arbeiten, nicht jedoch aus der Effizienz ihrer Tätigkeit heraus! Gearbeitet wird, weil Bedarf danach vorliegt. Derartige Arbeit wird wegen ihres Gebrauchswertes nachgefragt. Realwirtschaftliches Aufkommen leitet sich unmittelbar aus Bedarf ab, der über Arbeit gedeckt wird. Ökonomische Effizienz (gemessen im Wert) ist praktisch uninteressant.“ [Gerhard Burow, „Vitasoziale Marktwirtschaft – kommentiert von Werner Richter“ im Forum 26.11.2012]

    Vorsicht! Die “Akzeptanzpreise” müssen scharf von den Produktionspreisen getrennt bleiben, über die sprechen wir im Zusammenhang mit dem Wert. Sie entstanden bereits vor langer Zeit außerhalb des Wertprozesses und werden von außerökonomischen Faktoren (Arbeitsmarkt, Konkurrenz usw.) bestimmt. Der Gebrauchswert spielt natürlich auch eine Rolle, aber ob sie in dieser Form auf den Produktionssektor übergreifen können, steht dahin. Sie bieten eine „technische“ Möglichkeit, aber verdrängen die kapitalistischen Produktionsverhältnisse wohl eher nicht, zumindest nicht im Selbstlauf. Ich stelle mir eher eine Entwicklung ähnlich der verschiedenen historischen Menschenrassen vor. Wie das oder durch Aufkommen anderer Beziehungen zwischen den Produzenten geschehen kann, wird wohl nur über die Definition der Transformationsbedingungen für ein neues System der gesellschaftlichen Arbeit zu ergründen sein. Hierzu hat Heinrich Harbach einen analytisch theoretischen Weg auf Basis der Marxschen Werttheorie vorgegeben. *** Von diesen Erkenntnissen aus und erst danach kann man sich auf den Weg machen, die ‚Vision einer postkapitalistischen Lösung‘ **** zu entwickeln.
    Sonst stolpert man über eine „Marktwirtschaft“ oder „Implosionstendenzen“, die den Zusammenbruch mit neuen Lösungsoptionen erzeugen. Nach einer Implosion befürchte ich ganz andere Probleme im täglichen Leben als „eine gemeinwohlbasierte Folgegesellschaft, die die Verwandlung von Geld in Kapital verhindern muss“ ***** bzw. überhaupt kann, eher ein Chaos, wie old Hobsbawm im seinem wohl letzten Interview ****** orakelte. Die Vorstellung, daß dann Regierungen entstünden, die gemeinsam die Verwandlung von Geld in Kapital verhindern, ist weltfremd. Auf solchem Wege entsteht eher ein monopolyähnliches Computerspiel als ein fundiertes zukünftig wahrscheinliches Gesellschaftsmodell.
    Das Aufspüren von Transformationsbedingungen und –punkten in der heutigen, kapitalistischen Warenproduktionsgesellschaft vor jeglicher Implosion ist der einzige Weg in eine nachkapitalistische Gesellschaft, nach dieser geht überhaupt nichts mehr.
    Letzte Fragen: Warum muß denn diese Nachgesellschaft marktwirtschaftlich sein? Ist hier nicht ein Widerspruch in sich selbst? Gebrauchswertorientierte Produktion ist gerade nicht Produktion für einen Markt. Welchen Sinn soll der Markt, nur in nachgelagerter Verwertung denkbar, in den direkten Beziehungen zwischen den Menschen haben?

    * Albrecht Müller, Meinungsmache, Knaur Taschenbuch Dez. 2010, Seite 79 ff
    ** Heiner Flassbeck, Die Marktwirtschaft des 21. JH, Westend Verlag, 2010, Seiten 78 ff
    *** Heinrich Harbach, Wirtschaft ohne Markt, Dietz Verlag, 2011
    **** Gerhard Burow, Vision einer postkapitalistischen Lösung, Blättchen 19-2012
    ***** ebenda
    ****** Hobsbawm, http://www.stern.de/ „Es wird Blut fließen, viel Blut“, 13.05.2009

  15. Gerhard Burow sagt:

    Vitasoziale Marktwirtschaft – kommentiert von Werner Richter
    Zur Wirkung des Wertgesetzes gibt es meiner Ansicht nach im jetzigen System finanzkapitalistischer Marktwirtschaft ernsthafte Bedenken. Mit der Existenz elektronischen Geldes hat sich dieses als blose Information manifestiert, ohne werthinterlegt zu sein. Banken buchen beliebige Summen aus dem “Nichts”. (Notenbanken schaffen Geld, indem sie Geschäftsbanken gegen Sicherheiten Kredite gewähren oder ihnen Aktiva wie zum Beispiel Anleihen abkaufen. Die Finanzkraft einer Notenbank ist dabei prinzipiell unbegrenzt, da sich eine Notenbank das Geld, das sie vergibt oder mit dem sie bezahlt, vorher nicht etwa beschaffen muss, sondern es quasi aus dem Nichts erschaffen kann. – Begrüßungsrede anlässlich des 18. Kolloquiums des Instituts für bankhistorische Forschung (IBF) Papiergeld – Staatsfinanzierung – Inflation. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann)
    Wo oder in welcher Form wurde dafür wertschöpfende Arbeit geleistet? Eventuell entsteht sie im Nachtrab, sofern realwirtschaftliche Prozesse kreditiert wurden. Geht das Darlehen jedoch in die spekulativen Produkte der Zirkulationssphäre ein, entstehen keine werthaltigen Waren oder Dienstleistungen. Wenn Geld weiterhin werthaltige Sonderwarenform sein soll, würden die Zirkulationsprozesse wertschöpfend sein?! Das Wertgesetz wird stets mit menschlicher Arbeit, geronnen in Erzeugnissen und Leistungen, verbunden. Die Produktivkraft “Information” hat diesen Charakter erst, wenn kreative menschliche Intelligenz Informationsinhalte materialisiert. Das muss aber nicht sein. Informationen, die einfach nur die Rendite des eingesetzten Geldkapitals erhöhen, erfüllen diesen Anspruch nicht, wirken aber auf die Einkommensbildung. Was ist außerdem mit der Einwertung von Tätigkeiten im so genannten “unproduktiven Bereich”, wie Sozialwesen, Medizin, Kunst und Kultur, Sport usw.? Hier entstehen “Akzeptanzpreise”, bar jeder Arbeitswertgrundlage. Ökonomische Effizienz, die sich im Wert ausdrückt, dient der Maximierung persönlichen Einkommens. In der Vitasozialen Marktwirtschaft ist die Einkommensbildung aus dem Wirtschaftskreislauf ausgelagert. Menschen erhalten Einkommen, weil sie arbeiten, nicht jedoch aus der Effizienz ihrer Tätigkeit heraus! Gearbeitet wird, weil Bedarf danach vorliegt. Derartige Arbeit wird wegen ihres Gebrauchswertes nachgefragt. Realwirtschaftliches Aufkommen leitet sich unmittelbar aus Bedarf ab, der über Arbeit gedeckt wird. Ökonomische Effizienz (gemessen im Wert) ist praktisch uninteressant. Diese betriebswirtschaftliche Komponente wird ersetzt durch “ökologische Effizienz”, eine volkswirtschaftliche Komponente. Kostenbestandteile im Preis sind um die Anteile aus Einkommen, Finanzierung und Gewinn reduziert. Nur in den Restbestandteilen (Material, Energie, Transport, Logistik usw.) kann der Preis mit Zeitkomponenten bestimmt werden. Der Preis ist jedoch kein ökonomischer Effizienzausdruck, sondern ein volkswirtschaftlich – ökologisches Steuerungselement. Seine Realisation ist keine Einkommensbedingung. Preise drücken aber die Existenzberechtigung in der arbeitsteiligen Gesellschaft aus, indem sie mit ökologischem Hintergrund akzeptiert werden müssen. Einkommen generell und Investitionen nach ökologischen Effizienzkriterien werden über gesellschaftliche Kontokorrentverhältnisse zwischen staatlich legitimierten Banken und den Bürgern als Privatpersonen oder als Unternehmer bzw. in staatlichen Einrichtungen realisiert. Gesellschaftlich notwendige Arbeit begründet Einkommensbildung, realwirtschaftlicher Bedarf Investitionsfinanzierung bei ökologischer Effizienz. Einnahmen aus Absatz gehen in die einfache Reproduktion ein. Die Wirkung des Wertgesetzes ist ausgehebelt, da ökonomische Effizienz durch ökologische ersetzt ist. Im Mittelpunkt steht die nachhaltige Bedarfsbefriedigung, nicht der Profit.

  16. Werner Richter sagt:

    Alter – veralteter – Marx?
    Im Nebensatz hat Heerke Hummel eine Hypothese wiederholt, bei der mir regelmäßig unwohl wird.
    „Egal wie – beide Sichtweisen deuten auf einen wesentlichen Zusammenhang von Löhnen und Preisen hin, weshalb, das sei hier nur am Rande bemerkt, eigentlich zu fragen wäre, ob diesem Sachverhalt noch die Werttheorie von Karl Marx gerecht wird. Diese entsprach zwar bei ihrer Formulierung den damaligen Verhältnissen, aber letztere haben sich ganz offensichtlich wesentlich verändert. Der über Jahrzehnte festzustellende Zusammenhang von Lohn- und Preisentwicklung sollte uns zeigen, dass nach rund zwei Jahrhunderten wir es heute nicht mehr mit dem klassischen Austausch von Waren nach dem Wertgesetz, sondern mit einer besonderen Art gesellschaftlicher Buchführung in der Wirtschaft zu tun haben, die erstens ein Produkt ebenfalls eines gewissen Praktizismus‘ während des Kalten Krieges beziehungsweise des ökonomischen Wettbewerbs zwischen Ost und West gewesen sein dürfte, zweitens die positiven Effekte der „sozialen Marktwirtschaft“ im Zuge eines ziemlich krisenfreien Wirtschaftsaufschwungs ermöglichte und drittens alle – Arbeitsvolk und Unternehmer – ständig reicher werdend erscheinen ließ, obwohl die Kluft zwischen besser Verdienenden und schlechter Gestellten immer größer wurde.“ *

    Ich kann mir nicht helfen, wie ich es drehe und wende, immer verstehe ich: Das Wertgesetz ist überholt, Lohn-Preis-Verhältnis, jetzige Formen des Geld(ersatz)es und sogar das Konstrukt „Soziale Marktwirtschaft“ haben das Wertgesetz nivelliert, es ist letztendlich unbedeutend. Gut, auch das „Wertgesetz“ ist nur eine subjektive Widerspiegelung der objektiven Realität wie alle derartigen „Gesetze“, kein Heiligtum. Man muß es immer wieder hinterfragen, da irren menschlich sein soll. Habe ich aber etwas verpaßt, ist die Selbstverwertung des Wertes nicht mehr alleiniger Zweck der aktuellen Stufe der Warenproduktion, die Bedürfnisbefriedigung nicht mehr nur ein zweitrangiges Abfallprodukt dieser? Dreht sich der Finanzzirkus nicht um den vorrangig zu stellenden Anspruch des Finanzkapitals auf letztlich alle gesamtgesellschaftlich geschaffenen Werte, nebenbei die Ansprüche, mit Geld, Spareinlagen und Kleinbesitz scheinbar gesichert, des restlichen Grobzeuges, also unsereins, perspektivlos zu stellen, denn alle Ansprüche sind ja nun mal nicht durch die Weltwertsumme gedeckt? Würde es ohne die Wertschaffung überhaupt ein Finanzcasino geben?
    Die eigentlich logischen Antworten suggerieren mir eine wachsende Rolle dieses unsichtbaren Verwertungsprozesses und des Wertes, er kann nicht sekundär geworden sein, im Gegenteil. Nur spielt sich der Kampf um die Verfügungsgewalt über die Werte immer mehr im Finanzbereich ab, wird die konzentrierte Finanzgewalt drohend aufgebläht. Wir dürfen uns nicht von den schier unglaublichen Vorgängen der grotesken Geldvermehrung hypnotisieren lassen, die sagen nicht viel, weisen nur auf die falsche Fährte. Gierige Finanzmanager sind nicht das Krisen gebärende Übel unserer so marktwirtschaftlich sozialen Welt, genau diese werden „gehiret“, um der Zwickmühle der gefährlich gewachsenen Dysfunktionalität des kapitalistischen Zyklus zu entgehen, und um anschließend, es gelingt nie, die Watschenmannrolle zu übernehmen. Ich entsinne mich eines länger zurückliegenden Interviews eines 3-D-Journalisten [(D)Treu-Deutsch-Doof] mit Allan Greenspan, der nach kurzem Nachdenken zur Frage: Wie wird die Wirtschaftswelt in 50 Jahren aussehen? nur zu sagen wußte: Ach, ich wundere mich jeden Morgen, daß der Laden immer noch läuft! Er gab dann auch brav nach dem Crash den reuig Gierigen. Zur zweiten unerläßlichen Manipulationsrichtung werden die Thesen: die Wirtschaft findet an der Börse statt wie der Krieg wegen Regens im Saal, Werte werden heutzutage mit dem „shareholder value“ geschaffen und nicht wie zu Marx´Zeiten durch menschliche Arbeit zur Herstellung materieller Güter für die Warenmärkte, perfider weise indirekt und damit sehr wirkungsvoll wie Landregen in unsere Köpfe getröpfelt. Es soll im Dunklen bleiben, daß ein prinzipieller Endkampf um die absolute und unangreifbare Allmacht der Finanzmächte in vollem Gange ist. Wenn man sich die im Vordergrund ablaufenden Konflikte unter Hinzuziehung anderer, still, aber mit riesigem Aufwand betriebenen Vorstöße, wie z.B. dem M.A.I. **, durchdenkt, werden ganz andere Zusammenhänge sichtbar. Das wäre ein lohnendes Feld für weitere Artikel, Albrecht Müller und Heiner Flassbeck haben schon vor einiger Zeit auf diese Vorgänge aufmerksam gemacht. ***
    Alle ernst zu nehmenden Ökonomen, die sich nicht auf die lukrative machtdiktierte neoklassische Linie des Seriositätsverzichts eingelassen haben und dem objektiv gesetzmäßigen Wandel der Gesellschaft weiter auf der Spur sind, treffen sich in der Annahme, daß eine innere Veränderung der Produktivkräfte stetig abläuft, die ein allmähliches Aufkeimen neuer technischer Elemente in den Warenproduktionsbeziehungen hin zu deren Aufhebung erbringt, ohne Selbstauflösung der Produktionsverhältnisse zu bewirken. Sie suchen nach den Transmissionspunkten in den jetzigen ökonomischen Strukturen, an denen dieser Prozeß abläuft. Nach aller Erkenntnis werden diese „in der Veränderung der Funktion und Stellung des Geldes als gesellschaftlich Allgemeines (d. h. als allgemeines Äquivalent und allgemeine Ware) und in der Auflösung der abstrakten und virtuellen Formen des gesellschaftlichen Reichtums besteh(en)t.“ **** Damit beschäftigt sich Heerke Hummel schon viele Jahre, womit er auf der richtigen Spur sein wird. Er hat aber hier entweder die Werttheorie etwas voreilig fallen gelassen oder fragt genau nach diesen Transmissionspunkten. Wir können wohl, wie in jeder anständigen Gesellschaft, das Wirken gegenläufiger Tendenzen konstatieren und es wird sich zeigen, welche zum Schluß die Oberhand gewinnt, wie auch Hobsbawm meinte. Jedoch zum Trend der Auflösung der Wertverhältnisse sind bisher nur technische Vorgänge, keine gesellschaftlichen festzustellen. Der Trend zur wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung der Wertverhältnisse wird dadurch noch nicht gestört.
    So einfach, die Werttheorie unbegründet nur für Marxens Zeiten gelten zu lassen, da mit heute nicht vergleichbar, ist es wohl nicht getan. Das hieße, Marx zum anfangskapitalistischen Wirtschaftstheoretiker abzustufen. Noch zu Marxens Lebzeit gingen seine „Töter“ so vor und sie tun es noch heute auf die suggestive Wirkung dieser Parole bauend, denn diese geschluckt, kräht kein Hahn mehr nach einer halbwegs tiefer gehenden Begründung. Um Marxens Willen unterstelle ich Heerke eine solche Intention nicht, aber ein bißchen in diese Richtung zu schielen ist er schon leicht gefährdet. Zumindest ein Hinweis auf diese Gefahr ist wohl angebracht. Also, um mich vom Nichtmehrgelten des Wertgesetzes zu überzeugen, bedarf es schon weit stärkerer Geschütze mit Tiefenwirkungsmunition. Dann aber bitte mit dem Nachweis, was den Wert abgelöst haben und welche Gesetzmäßigkeiten an Stelle des Wertgesetzes getreten sein sollten. Das würde zwangsmäßig auch den Nachweis erfordern, daß und wie sich das gesellschaftliche Verhältnis von relativer Wertform (Aktivum) und Äquivalentform (Passivum) der Ware in der gesellschaftlichen Vermittlung (Selbstvermittlung des Wertes) umgekehrt hat und die Äqivalentform der Ware, bisher passiv, nur durch Anforderung als Vermittler in diese Beziehung getreten, also ohne eigenes Zutun, die Wertformen dominiert. Aus einer Entwicklung der die Warenproduktion zunächst nicht widerspiegelnden Finanzbranche, ungeachtet der inzwischen komplexen Verbindungen zwischen Finanz- und Produktionswelt, auf eine fundamentale Veränderung des Basisverhältnisses der Warenproduktion zu schlußfolgern, ist schon etwas gewagt. Es sind hiermit auch prinzipielle gesellschaftlich philosophische Fragen berührt, die Verhältnisse von Ursache und Wirkung, Basis und Überbau, Sein und Bewußtsein, Idealismus und Materialismus.
    Wir sprechen hier „nur“ über Wertformen, nicht über die Wertsubstanz. Deren „Verschwundensein“, darauf läuft die obige Hypothese letztendlich hinaus, nachzuweisen, würde noch gewaltigere Anstrengungen erfordern, deren Aussicht auf Erfolg ich stark bezweifle. Marx hat eben nicht einen historisch begrenzten Zeitraum mit begrenzter Gültigkeit interpretiert. Er hat eine hohe, oder tiefe (je nach Blickwinkel) Abstraktionsstufe in der Gesellschaftsanalyse der Warenproduktion angestrebt und tatsächlich auch zuwege gebracht, daß jede Reduzierung seiner Darstellung auf frühkapitalistische Produktionsverhältnisse geradezu lächerlich ist. Marx hat ganz bewußt die konkreten Formen der damaligen Produktionsverhältnisse ignoriert und so das Allgemeine, Wesentliche der gesamten Gesellschaftsformation, vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte absehend, herausgekitzelt. Er hat das Wesen aller Warenproduktionsformen, nicht nur der kapitalistischen, aufgedeckt und zusätzlich die Grundstrukturen der Vor- und Nachwarenproduktion. Vieles, was er im „Kapital“ stark komprimiert uns zur Verdauung übergab, hatte er vorher in den Grundrissen und Manuskripten umfassender dargestellt. Diese Arbeiten kann man in der ökonomischen Diskussion nicht beiseite lassen. Ich bin dafür, erstmal Marxens Theorie in ihrer Komplexität zu erfassen, was bis heute nur ungenügend geschehen ist, trotz der Versuche von Generationen marxistischer Wirtschaftswissenschaftler, bevor man sie zu begraben beginnt. Heinrich Harbach stellt angesichts der Tonnen beschriebenen Papieres in der Wirtschaftstheorie betrübt fest: Als ob „Das Kapital“ nie geschrieben worden sei! Dem kann ich mich nur anschließen. Man kann moderne Erscheinungen in der Wirtschaftswelt getrost von der Marxschen Theorie her angehen, ohne sich der Gefahr einer falschen Richtung auszusetzen, mit anderem Ansatz schon.
    Es ist zu hoffen, daß in dem bald, schätzungsweise in 2 bis 3 Monaten, beginnenden Diskussionsforum „Wirtschaftstheorie“, das an das Blättchen angedockt sein könnte, diese Diskussion fortgesetzt und auch andere Themen angegangen werden.
    * Heerke Hummel, Gesunder Praktizismus, in „Das Blättchen“ Heft 23 Jahrgang 2012
    ** Multilateral Agreement on Investments
    ** *Albrecht Müller, Meinungsmache, Knaur Taschenbuchverlag,Dezember 2010
    Heiner Flassbeck, Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts, Westend Verlag GmbH, 2010
    **** Heinrich Harbach, Brief zu: Wirtschaft ohne Markt – Transformationsbedingungen für ein neues System der gesellschaftlichen Arbeit, Karl Dietz Verlag Berlin, 2011

  17. Werner Richter sagt:

    Zur „vitasozialen Marktwirtschaft“ des Herrn Dr. Gerhard Burow
    Es ist schon ein imposantes Konstrukt der Wirtschaftstheorie, das uns Herr Burow vorgestellt hat. *
    Seine eingängliche Begriffsabgrenzung ** von „Marktwirtschaft“, „kapitalistische“, „soziale“ und „freie“ unter den Systembegriffen „Kapitalismus“, „Sozialismus“ sowie „Kommunismus“ ist notwendig, weil damit andere Begriffsinhalte ausgeschlossen werden, was zu oft so nicht passiert. Um dann leider sofort einen fraglichen Begriff „Geldkapital“ und dessen Dominanz im gegenwärtigen Kapitalismus einzubringen und sich dem alles erklärenden ‚Giersyndrom‘, einem außerökonomischen Faktor, zu zuwenden. Hier wären kritische Fragen, ob denn diese riesigen, sich ständig wandelnden Geldkonglomerate in ihrer Gesamtheit überhaupt zum „Kapital“ gerechnet werden können, sprechen wir eigentlich über „Geld“, sind denn deren Anlagen denn auch „Investitionen“, konsequent angebracht gewesen. Herr Burow springt gleich zur Existenz des anglikanisch verseuchten „Finanzindustrie“ und deren verheerende Wirkung in der Gesellschaft, mir geht das zu schnell. Das ist verständlich, viele bedeutende Ökonomen gehen so vor, weil diese „Finanzindustrie“ tatsächlich alles überschattet und auf dem Finanzsektor aller Wahrscheinlichkeit nach die grundlegenden Weichstellungen für die Zukunft der menschlichen Gesellschaft erfolgen. Das ist notwendig für die Wirtschaftspolitik, jedoch bezweifle ich, ob das auch für die Theorie ausreicht. Will man zu einem (theoretisch) begründeten Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell kommen, muß man für die Schlußfolgerungen, die dem zugrunde liegen, schon etwas tiefer bohren. Der unkritische und undifferenzierte Gebrauch des Geldbegriffes läßt ihn dann auch zu für mich fragwürdigen Schlüssen kommen, daß eine Wertbindung des Geldes nicht mehr notwendig sei, belegt dies jedoch nicht mit der Geldfunktion, sondern bezieht sich auf Bewegungsformen nur des Striches von G‘ („PC-Geld“). Diese Erscheinung ist nicht Geld, sondern das, was er richtig beschreibt, aber dem Geld zuordnet. Logisch ist dann auch seine Argumentationslinie:

    „Dieser Wandel des Geldcharakters im Zeitalter der Mikrochip-basierten industriellen Revolution beschleunigt die Agonie des Kapitalismus, indem seine Antagonismen ausbrechen.“

    Abgesehen davon, aus der technischen Entwicklung der Produktivkräfte die Agonie der Produktionsverhältnisse zu lesen, die uns ja zur beruhigenden Gewißheit führt, nur warten zu müssen, da wirkt ein Selbstlauf, und meiner darauf fußenden Skepsis, bezweifle ich, daß hier der Wandel des Geldcharakters erfaßt wurde. Burow täuscht sich schon komplett im klassischen Geld, denn Banknoten sind eben auch nicht das Geld, über das in diesem Zusammenhang zu sprechen ist, auch wenn mir persönlich der Besitz einiger Kilo Banknoten genügen würde. Zum Geld im eigentlichen Sinne, nicht zu seiner nützlichen Funktion (Zahlungsmittel), kommen wir wohl nur über das Wertgesetz, auch wenn dies manchem überflüssig zu sein scheint. Wir müssen den gesellschaftlichen Gebrauchswert des allgemeinen gesellschaftlichen Äqivalents und anerkannt gesellschaftlich allgemeiner Ware (Geld) erfassen, der dem Wert dieser „besonderen Ware“ entspringt. Diese rein gesellschaftliche Funktion realisiert sich auf Grundlage einer Beziehung von Arbeitsprodukten, die die stoffliche Basis dieses gesellschaftlichen Prozesses bilden. Der Gebrauchswert der Ware in Äquivalentform bildet lediglich die Bezugsbasis, materielle Grundlage in Naturalform für die Darstellungsbeziehungen der Gesellschaftsform ohne Vermischung von Wert und Gebrauchswert. Letzteres führte in der PÖS zu unmarxistischen Theoriekonstruktionen wie “Nutzeffekt der gesellschaftlichen Arbeit”. Ich kann nicht erkennen, daß sich diese fundamentale Beziehung aufgelöst haben sollte, sie ist mitnichten gewandelt oder durch irgendeine finanztechnische Entwicklung ungültig gemacht worden. Wenn dem so wäre, müßte auch ein Rückgang des Warenaustausches zu verzeichnen sein, denn Geld als allgemeinen gesellschaftlichen Äqivalents und anerkannte gesellschaftlich allgemeine Ware hat in Austausch eine rein passive Rolle als Spiegel aller anderen Waren. Ohne diese gäbe es kein Geld, es kann auch keine aktive Rolle übernehmen. Hinzu kommt, daß Geld nur virtuell existiert und alle Dinge, die heute als Geld bezeichnet werden und auch hier mit dem Geld in einen Topf kommen, sind nur Zeichen für das Geld. Aber darüber ließe sich in Zukunft trefflich streiten, denn der Wandel des Geldcharakters ist in der vorliegenden Arbeit nicht beschrieben. Wollen wir die Prozesse im Finanzkasino richtig einordnen, ist eine scharfe Abgrenzung des Geldes, bei aller Vermischung, von den Erscheinungen, die sich verfälschend „Geld“, „Kapital“ oder „Investment“ nennen, vom Geld unverzichtbar. An dieser Stelle hat Herr Burow für mein Verständnis akzeptabel die Gefahren gut beschrieben. Diese Erscheinungen sind nur ein Surrogat des Geldes, das sich Eigenschaften zugelegt hat, die sie erst zum Spekulationsinstrument gegen alles befähigte. Die Wirkungen auf die Geldfunktion sind wohl erst noch zu erfassen.

    „Durch Renditediktate des eingesetzten Geldkapitals sowie als Ergebnis des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wird menschliche Arbeit zum Teil endgültig aus den Wertschöpfungsketten verdrängt.“

    Diese Erkenntnis verblüfft mich sehr, denn damit würde dem „Geldkapital“, das zudem kein Geld ist, und dem Fortschritt die Wertschöpfung zukommen. Vollends verblüfft mich dann der Exkurs in den Wandel der menschlichen Arbeit, bei dem durch menschliche Intelligenz gewandelten Produktivkräften durch sich selbst die Wertschaffungsfähigkeit abhanden kommen soll. Hier wird für nur einen Moment der Wertschöpfung nur noch der „alten“ handwerklich- maschinellen Arbeit diese Fähigkeit zugesprochen, dann nicht mehr. Warum ist nur die „alte“ Arbeit kapitalisierbar, die intelligente „entmaterialisierte“ moderner Bauart nicht? Schafft diese keine Waren?

    „Die modernen Produktivkräfte entziehen sich außerdem in ihrer entmaterialisierten Form der privaten Aneignung als Kapital. Wenn die Hauptproduktivkräfte in der kapitalistischen Marktwirtschaft aber als Kapital nicht mehr privat aneignungsfähig sind, wird der Kapitalismus als solcher in Frage gestellt.“

    Damit haben wir den selbstlaufenden Prozeß, nach dem die Produktivkraftentwicklung in eine neue Gesellschaftsform läuft und die Kapitalisierung der Arbeitsprodukte unmöglich macht. Warum nur lassen sich moderne Produktivkräfte nicht mehr privat aneignen, sind sie da stur?
    Ich denke, daß die wissenschaftlich-technische Entwicklung der Produktivkräfte nur die Möglichkeit schafft, die als Basis einer sukzessiven Transformation in eine zunächst Mischform antagonistischen Gesellschaftsformen und Produktionsverhältnisse hin zu einer Nachwarenformation dienen kann. Das aber erzwingt nur eine aktive gesellschaftliche Gestaltung.
    Wir werden sehen, welche Schlußfolgerungen Herr Burow aus dieser anzweifelbaren Analyse für sein Modell künftiger Gesellschaftsformen zieht.

    (Fortsetzung folgt)

    * Gerhard Burow, Die Systemfrage heute, Blättchen 2012 – 16
    Vision einer postkapitalistische Lösung, Blättchen 2012 – 19
    Der dritte Weg – Vitasoziale Marktwirtschaft, Blättchen 2012 – 20
    ** Gerhard Burow, Die Systemfrage heute, Blättchen 2012 – 16, Seite 1 ff

  18. Zitator sagt:

    “Diese Bundesregierung ist die beste Bundesregierung seit der Wiedervereinigung”, hat Angela Merkel in Ihrer heutigen Bundestagsrede ultimativ festgestellt. Man darf für den greisen Helmut Kohl nur hoffen, dass ihm das keiner weitererzählt…

  19. Erhard Crome sagt:

    Richtig ist, dass es keine unmittelbare Kausalkette „Versailler Vertrag – Hitler“ gibt, wie der Autor Helmut Donat im Blättchen No. 23 geltend macht, der Vertrag ist nicht schuld daran gewesen, „dass Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernannte.“ Gewiss. Allerdings hatte der französische Marschall Ferdinand Foch, der am Ende des ersten Weltkrieges Oberbefehlshaber der Truppen den Entente war, den Vertrag von Versailles mit dem Satz charakterisiert: „Das ist kein Friede. Das ist ein Waffenstillstand für zwanzig Jahre.“ Damit hatte er zwar nicht Hitler, aber den Revanche-Krieg und ziemlich exakt auch dessen Beginn vorausgesagt. Insofern gibt es einen Zusammenhang, auch wenn er nicht linear ist.
    Da Helmut Donat bei seinem Benörgeln von Gysi und Cohn-Bendit auf die ökonomische Augumentationslinie verweist, sei noch auf den Ökonomen John Maynard Keynes verwiesen. Der hatte als Mitglied der britischen Delegation an den Verhandlungen in Paris teilgenommen, am 7. November 1919 seine Ämter niedergelegt und Ende 1919 seine Analyse dieses Vertragswerkes unter dem Titel: „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages“ veröffentlicht. Darin führte er aus: „Die Politik der Versklavung Deutschlands für ein Menschenalter, der Erniedrigung von Millionen lebendiger Menschen und der Beraubung eines ganzen Volkes sollte abschreckend und verwerflich sein, selbst wenn sie möglich wäre… Der Friedensvertrag enthält keine Bestimmungen zur wirtschaftlichen Wiederherstellung Europas, nichts, um die geschlagenen Mittelmächte wieder zu guten Nachbarn zu machen, nichts, um die neutralen Staaten Europas zu festigen, nichts um Russland zu retten. Auch fördert er in keiner Weise die wirtschaftliche Interessengemeinschaft unter den Verbündeten selbst.“
    Insbesondere in Bezug auf das Verhältnis der im ersten Weltkrieg Verbündeten begründete er, dass der Schuldendienst zu politischen Spannungen führt: „Es mag übertrieben scheinen, zu behaupten, es sei den europäischen Verbündeten unmöglich, Kapital und Zinsen ihrer Schulden zu bezahlen. Aber sie dazu zu zwingen wäre zweifellos eine erdrückende Belastung für sie. Man kann daher erwarten, dass sie beständig Versuche machen werden, um die Bezahlung herumzukommen. Und diese Versuche werden eine beständige Quelle internationaler Reibungen und Übelwollens auf viele Jahre hinaus bilden. Eine Schuldnernation liebt ihre Gläubiger nicht, und man wird umsonst freundliche Gefühle von Frankreich, Italien und Russland gegen England oder Amerika erwarten, wenn ihre künftige Entwicklung viele Jahre hindurch durch den Jahrestribut an uns gehemmt ist.“
    Wenn man nun Frankreich, Italien und Russland durch Griechenland, Portugal und Spanien sowie England durch Deutschland ersetzt, hat man eine aktuelle Problematik in der EU, wie sie analog Keynes für die Lage nach „Versailles“ beschrieben hat.

  20. Zitator sagt:

    Mark Twains Definition des monetären Evangeliums: „Seine Botschaft lautet: ,Beschaff dir Geld. Beschaff’s dir schnell. Beschaff’s dir im Überfluss. Beschaff’s dir in riesigem Überfluss. Beschaff’s dir auf unehrliche Weise, wenn du kannst; auf ehrliche, wenn du musst.‘“

  21. Zitator sagt:

    “Im Netz regiert der Schwarm, und mit ihm nicht nur Schwarmintelligenz, sondern auch “Schwarmdummheit und Schwarmfeigheit”, wie es der Politologe Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen auf der Tagung formulierte. Die Folgen ausbaden müssen andere. Das Netz stellt damit das Rechtssystem infrage, das auf dem Konzept des bewusst handelnden Individuums basiert.” (Aus: Süddeutsche Zeitung/Digital)

  22. Lieber Bernhard Mankwald, ich stimme Ihnen vollkommen zu. Es war aber durchaus nicht meine Absicht, Marx für den Oktober 1917 und alles, was dem folgte, verantwortlich zu machen. Und ich glaube, das auch nicht wirklich getan zu haben. Marx war gewiss ein Denkriese seiner Zeit. Aber ein Hellseher war er nicht und konnte und wollte er wohl auch nicht sein. Auch das macht den Unterschied zwischen ihm und seinen Gralshütern aus, die die entscheidenden, für Marx nicht vorhersehbaren Veränderungen in der Welt, insbesondere in den Produktivkräften mit ihren Folgen für die Produktions- und Austauschweise der Gesellschaft nur sehr bedingt zu verstehen vermochten. Sogar die über Jahrzehnte so viel zitierte 11. Feuerbachthese wurde dogmatisch verabsolutiert und offiziell in ihrer Ambivalenz nie kritisch hinterfragt. Sie war aus der Sicht von Karl Marx völlig verständlich. Doch aus heutiger Sicht, in Kenntnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts, halte ich sie nur sehr bedingt für noch angebracht. Auch das sollen keine Schuldzuweisungen sein, sondern nüchterne Feststellung.
    Mit besten Grüßen
    H. H.

    • Lieber Heerke Hummel,
      da sind wir uns über die Verantwortung von Marx einig. Aber Sie betonen eher die Veränderungen der Zwischenzeit, ich die Verfälschungen seiner Thesen, die gerade den “Gralshütern” unterliefen. Und ohne diese Verfälschungen ist Marx für meine Begriffe aktueller, als Sie es ihm zubilligen.
      Nehmen wir nur die “Diktatur des Proletariats” (oder die “Klassendiktatur”, für die ich allerdings nur einen einzigen Beleg gefunden habe). Die vielfältigen Implikationen dieser hochgradig abstrakten Formel sind sicher nicht leicht zu verstehen. Aber wenn man die Machtverhältnisse, die 1917 geschaffen wurden, nüchtern betrachtet, kann man m. E. nur sagen: das war sie nicht! Lenin selbst schrieb ja bei einer Gelegenheit, er habe eine “regelrechte Oligarchie” errichtet.
      Auch bei den Feuerbachthesen gibt es ja nicht nur die 11., sondern auch die 3.. Die haben die Dogmatischen Verabsolutierer wohl nicht so gern erwähnt; hatten sie doch selbst “die Gesellschaft in zwei Teile – von denen der eine über ihr erhaben ist” geteilt.
      Ansonsten denke ich, daß Marx auch auf ökonomischem Gebiet noch eine Menge hergibt. Aber d i e Diskussion würde wohl den Rahmen des Forums sprengen.
      Mit besten Grüßen
      B.M.

  23. Heerke Hummel schreibt in seinem aktuellen Beitrag zum Jahrestag der “Oktoberrevolution”, Lenin habe damals versucht, die Diktatur des Proletariats zu verwirklichen. Aber war das auf diese Weise überhaupt möglich?

    Marx dachte, das Bewußtsein der Notwendigkeit einer Revolution gehe von der Arbeiterklasse aus – Lenin meinte, es müsse ihr von Intellektuellen gebracht werden. Marx betonte die Wichtigkeit demokratischer Stukturen für die Pariser Commune – Lenin mokierte sich über “spielerischen Demokratismus”. Marx bekämpfte Bakunin, weil er ihn nicht ohne Grund verdächtigte, mit Hilfe einer hierarchisch strukturierten Organisation die Diktatur ü b e r das Proletariat anzustreben – Lenin gründete eine solche Organisation und errichtete eine solche Herrschaft. Soweit in Kürze die Argumentation, die ich in einem Buch (“Das Rezept des Dr. Marx”) ausführlicher vorgetragen habe. Daß schließlich Lenin vor seinem Erfahrungshintergrund wichtige Unterscheidungen wie etwa diejenige zwischen Diktatur und Despotismus außer Acht ließ, habe ich bereits in meinem Beitrag zu Blättchen Nr. 13 nachzuweisen versucht.

    Ich halte es daher für ungerecht, Marx für den Oktober und dessen Folgen verantwortlich zu machen. Ich halte es auch für sehr unklug: man halst sich damit ohne Not eine drückende Hypothek auf – an einem Gebäude, das längst in fremden Händen ist.

  24. Detlef Bittner sagt:

    Kleiner Leserbrief zur “Kurzen Notiz zu Wörlitz”:

    Lieber Herr Zimmermann,
    beim Lesen Ihrer kurzen Notiz in der Weltbühne über Wörlitz fühlte ich richtig Ihr Unbehagen, als Sie, von wem auch immer, zu diesem Besuch des Wörlitzer Parkes gegen Ihren Willen überredet worden zu sein.
    Es ist schade, dass Sie die Grundintensionen des Park-Schöpfers (“Wenn man den Park besucht, kommt man klüger heraus, als man hineingegangen ist” und “Das Nützliche soll mit dem Schönen verbunden sein” – beides sinngemäß) bei Ihnen nicht angekommen sind. Sei es drum, aber es sollte nicht unwidersprochen bleiben. Gerade der öfters in Unkenntnis (oder aus fehlendem Interesse) geäußerte Vergleich eines “freuneuzeitlichen Disneylandes” geht völlig am Kern des Schaffungsgedankens des Parkes vorbei (wobei eine rückwärtige Projektion einer jetzigen Vergügungsparkgestaltung auf das 18.Jahrhundert sowieso sprachlich falsch ist). Als Ursprungsort des Klassizismus auf dem europäischen Festland findet sich nicht mal eine Andeutung in Ihrer Notiz, wichtiger erscheint Ihnen die falsche Behauptung, der “plüschige” Park koste Eintritt (tut er nicht), Fähren kosten Geld (stimmt, aber man kann den Park auch ohne Benutzung von Fähren erleben), die Schlösser kosten Eintritt (stimmt, denn Erhaltung und Sicherheit kosten auch etwas – jeder Landesrechnungshof hätte “keinen Eintritt” moniert), der Vesuv speit kein Feuer (tut er doch, erst jüngst im August ist er so richtig “ausgebrochen”).
    Also, Herr Zimmermann, lassen Sie Ihren Frust durch einen erneuten Besuch des Wörlitzer Parkes (erst ab Mai 2013, denn bis dahin sind die zu bezahlenden Schlösser geschlossen, weil diese Häuser traditionell nicht geheizt werden) abbauen und lassen Sie sich besser informieren. Vielleicht bekommen Sie dann auch die Frage beantwortet, wie lange die Seerosen blühen. Die es neben ca. 500 anderen botanischen Besonderheiten im Park gibt. Und im Übrigen ist der Wörlitzer See nicht künstlich, sondern ein alter Elbarm.
    Mit freundlichen Grüßen aus dem Dessau-Wörlitzer Gartenreich (seit dem Jahr 2000 UNESCO-Welterbe)
    Detlef Bittner

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Ich liebe diesen Park!

  25. ANMERKER sagt:

    Der “Integrare” – Beitrag zum Buschkowskybuch ist mir denn doch zu beschönigend.
    Deshalb hier ein “Offener Brief” von “telegehirn”, entdeckt auf den “nachdenkseiten”:
    Offener Brief an den Bezirksbürgermeister von Neukölln Heinz Buschkowsky
    Hey, Heinz Buschkowsky!
    Es geht mir an dieser Stelle nicht um deine schlechtsitzenden Anzüge, farblich schrecklichen Hemden und Krawatten, bei deren Anblick regelmäßig Menschen ins Koma fallen, denn dafür ist die Modepolizei zuständig. Als Kreuzberger im Neuköllner Exil, der tiefe Wurzeln in Neukölln besitzt, wollte ich dir sagen, dass ich dich einfach nicht mehr ertragen kann. Du hast ein Buch geschrieben und lässt jetzt Vorabdrucke in der Fachzeitschrift für kleinbürgerlichen Rassismus erscheinen, was bei näherer Betrachtung recht konsequent erscheint, denn sowohl von der Mitte der Gesellschaft bis an den äussersten rechten Rand applaudiert dir der ausländerfeindliche und deutschtümelnde Pöbel begeistert zu. Deine heutige Episode nennt sich “die bittere Wahrheit über Multi-Kulti” und beim Lesen habe ich mich ernsthaft gefragt, über welches Neukölln auf welchem Planeten du da eigentlich schreibst.
    Du schilderst da Horrorgeschichten und erweckst durchaus den Eindruck, dass du das alles selbst erlebt hättest. Wie du dazu neben dem Regieren und dem Schreiben deines Buches kommst, bleibt mir ein zeitliches Rätsel. Es ist also alltäglich, dass Menschen in Supermärkte gehen, sich dort die Taschen vollstopfen und drohend an der Kassiererin und dem Kassierer vorbei den Laden verlassen? Alle 5 Meter musst du vom Trottoir springen, weil sie dir zu fünft entgegen kommen und partout keinen Platz machen wollen? An der Ampel zum Rathaus Neukölln stehst du ängstlich, den Blick demütig gesenkt, “um nicht von den Streetfightern aus dem Wagen nebenan angepöbelt” zu werden? Ich verstehe dich ja, denn ich fahre auch nur noch im Panzerwagen die Schrippen holen und ein Bummel über die Karl-Marx-Str. ist blutiger als die Landung in der Normandie. Wenn du in deinem Amtszimmer sitzt, gelangweilt aus dem Fenster starrst und du das Neukölln erkennen willst, “wo kleineren Kindern von größeren Jugendlichen ein Wegezoll oder eine Benutzungsgebühr für das Klettergerüst abverlangt wird”, dann rollt dir eine Träne über die Pausbacke und du ballst wütend die Fäuste und fragst dich, warum die antständigen Deutschen da nicht einmal ordentlich durchgreifen.
    Aus deinem Dienstwagen willst du einmal das Neukölln erkannt haben, indem “man dem Busfahrer die Cola über den Kopf schüttet, wenn er nach dem Fahrschein fragt” und du fragst dich verwundert, was ein Fahrschein ist. Ja, “das alles macht einfach nur schlechte Laune. Schon beim Lesen.” Wie du schon richtig anmerkst, wird dem Rassismus und den deutschnationalen Possen, die bisher fast 200 Menschen seit 1990 das Leben gekostet haben, keinerlei Einhalt geboten, “solange wir eine Politik des Alles-Verstehens und des Alles-Verzeihens betreiben und den Menschen signalisieren, dass wir gar nicht daran denken, die Verhältnisse zu ändern.” Du willst eine “Verwahrlosung der Sitten” erkannt haben, die deiner Meinung nach heutzutage einfach “zur kulturellen Identität und zur Weltoffenheit gehören”, also die dir von irgendwo aufgezwungen wurden und eine “wirklich erfolgreiche Integrationspolitik” verhindern. Ach, Heinz: Rede doch bitte nicht von Integrationspolitik, wenn du eigentlich Assimilation meinst. Was mich aber dennoch freut ist, die Tatsache, dass selbst dir aufgefallen ist, dass “dieses ständige demonstrative Nichtbeachten von Umgangsformen wie Höflichkeit oder Rücksichtnahme” durch Radfahrer_innen auf dem Gehweg oder Studenten, die auf der linken Seite der Rolltreppe lässig im Weg stehen so nicht weitergehen kann. Du fragst dich nicht als Einziger: “Wo bin ich denn hier eigentlich?” Ich gebe dir einen kleinen Tipp: In Neukölln.
    Dort wo die Gentrifizierung fröhlich Urstand feiert, aber das ist ein Thema für das du als Bezirksbürgermeister natürlich kein Interesse an den Tag legst, obwohl deine Frage, ob “das noch meine Stadt, meine Heimat” ist, sich im Moment viele stellen, die nicht wissen, wie lange sie sich die Mieten noch leisten können, aber ich schweife ab. Dir geht es ja um “diese Menschen”, die du und andere einfach mehr nicht mögen, wobei ich bezweifeln möchte, dass du “diese Menschen” überhaupt jemals gemocht hast. Du bist also zu der Ansicht gekommen, dass “diese Menschen” nicht mit dir leben wollen und dann willst du es mit ihnen auch nicht mehr. Eine solche Ansicht hatten schon andere vor dir in Deutschland und sie waren zu der Ansicht gekommen, dass die anständigen Deutschen “diese Menschen” loswerden müssen. Hättest du in Geschichte nicht immer aus dem Fenster gestarrt, dann wäre dir dieser historische Umstand aufgefallen.
    Für dich sind all diese Missstände, die du entdeckt haben willst “auch keine Exzesse des Augenblicks, sondern es geht für die Platzhirsche immer wieder darum, wohlüberlegt zu demonstrieren, dass die Deutschen ihnen gar nichts zu sagen haben und dass die Regeln ihnen scheißegal sind.” Woher du aus deinem Amtszimmer erkennen kannst, welcher Platzhirsch welche Staatsangehörigkeit hat, verwundert mich jetzt etwas. Stets willst du dazu noch entdeckt haben, dass Deutsche immer die Opfer und Nicht-Deutsche immer die Täter_innen sind. Das liest sich fast so, als ob sich “diese Menschen”, also alle, die in deinen Augen keine Deutschen sind, gegen die armen, schutzlosen Deutschen verschworen hätten, um ungestraft “in der Neuköllner Sonnenallee […] zum Beispiel […] in drei Spuren” parken zu können. Der erste Schritt zur Weltherrschaft “dieser Menschen.” Vielleicht solltest du, lieber Heinz, mal einen Brief an den Verantwortlichen schreiben, damit das Ordnungsamt mal öfter in der Sonnenallee vorbeischaut. Bringt ja auch Einnahmen in die klammen Kassen.
    Irgendwie macht mir deine Beschreibung der Parksituation Angst und das ist ja fast schon Anarchie, denn “der erste Wagen steht auf dem Bürgersteig, der zweite in der normalen Parkspur, der dritte in der zweiten Reihe, also der ersten Fahrspur.” Was erlauben sich diese Menschen nur und “wenn Sie als Autofahrer Pech haben, dann hält vor Ihnen in der zweiten Fahrspur jemand an und unterhält sich lautstark mit denjenigen, die dort vor dem Café sitzen und Tee oder Kaffee trinken.” Ja, “diese Menschen” unterhalten sich immer so lautstark, was ja ein weiteres Zeichen für die Verwahrlosung der Sitten ist, denn der anständige Deutsche unterhält sich stets in gedämpfter Zimmerlautstärke und “wenn Sie als Deutscher glauben, hier den Chef markieren zu können, würde man Ihnen zeigen, dass Sie gleich die Stiefel Ihres Gegenübers lecken.” Unerhört, was “diese Menschen” sich erlauben, wenn sie Deutsche nicht per se als Chef anerkennen. Dann muss selbst jemand wie Heinz Buschkowsky die Stiefel “dieser Menschen” lecken. Da bekommt selbst der größte Herrenmensch einen Minderwertigkeitskomplex wie er nur nach der Niederlage von Stalingrad in Deutschland anzutreffen war.
    “Anders ergeht es der Polizeistreife auch nicht” und diese müssen dann auch die Stiefel “dieser Leute” lecken. Schlimmer als im wilden Westen. Ich fasse es kurz zusammen: Wer auf der Sonnenalle vor einem Cafe sitzt und Tee oder Kaffee trinkt, der hat stets leckbare Stiefel an und ist kein Deutscher. Vielleicht ist die Parksituation auf der Sonnenallee auch so schlecht, weil ständig die armen Deutschen Opfer aussteigen müssen und vor jedem Cafe “diesen Menschen” die Stiefel lecken müssen. Selbst die armen deutschen “Polizeibeamten achten darauf, möglichst nicht unter Armeslänge an die Person heranzugehen.” An die Nichtdeutsche Person, eh? Beim einem Deutschen, den Polizeibeamte daran erkennen, dass er weder leckbare Stiefel trägt, noch vor einem Kaffee in der Sonnenallee sitzt, gibt es sofort ein volkssolidarisches Gruppenkuscheln, weil die Lage in Neukölln so schrecklich ist. Wegen “dieser Menschen”, bei denen man als Deutscher und als Polizeibeamter höllisch aufpassen muss, sonst sind “die Mütze oder noch andere Dinge weg.” Das geht so schnell und die Mütze, der Geldbeutel und sonstwas ist weg. Wer nicht aufpasst steht nackt da und darf dann noch eine Runde Stiefel lecken.
    So sind halt “diese Leute.” Da “diese Menschen” ja “meist in aggressiver Haltung und aggressivem Ton”auftreten, was ein Deutscher ja nie tun würde, “eskaliert die Situation, müssen die Streifenbeamten Verstärkung herbeirufen. Und es kommt zu einem richtigen Einsatz. Unter Umständen auch mit körperlicher Gewalt. Da kann es dann hinterher schon einmal passieren, dass die Streifenbeamten von ihrem Dienstgruppenleiter gefragt werden, ob sie schon mal was vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört haben. […] Ob sie nicht wissen, wie solche Einsätze vom Gericht beurteilt werden?” Lieber Heinz, den Cops ist schon bewusst, wie freundlich Gerichte auf den Einsatz sinnloser und überzogender Gewalt reagieren. Der Cop, der Dennis J. aus Neukölln mit 9 Schüssen niederstreckte, manche sagen ermordete, kam mit einer Bewährungsstrafe davon, aber lieber Heinz, du nimmst die Realität wohl ganz leicht anders wahr, denn “diese Verhandlungen endeten meist mit einem Freispruch zugunsten der Verkehrsrüpel, wobei im Gegenzug der Polizist froh sein konnte, nicht selbst verurteilt zu werden. Eine Vielzahl von Richtern ist eben nicht bereit, den Polizisten bei deren staatlichem Auftrag, die Verkehrsüberwachung durchzuführen, zu unterstützen bzw. geltendes Recht anzuwenden.” Frage doch einmal bei Amnesty International an, wie die aktuelle Anklage- bzw. Verurteilungsqoute bei Straftaten ist, die von Polizisten begangen wurden. Du würdest dich wundern, aber dann wäre dein Buch ja nicht gebräuchlich für die kleinbürgerliche Empörung, der sich minderwertig fühlenden Deutschen. Wahrscheinlich bin ich nur einer von diesen “praxisfremden Gutmenschen-Urteiler”, die dir die Laune so vermiesen.
    Das Feindbild der leckstiefeltragenden Cafesitzer Nichtdeutscher Art sind, ein Trommelwirbel bitte, “die verhassten Deutschen, denn “sie sind das Ziel ihrer Aggressionen, und sie haben dem Flashmob nichts entgegenzusetzen:Per SMS-Rundruf finden sich in wenigen Minuten zahlreiche Menschen ein, die sofort eine drohende Haltung einnehmen. Deutsche gelten als leichte Opfer.” Flashmob per SMS? Heinz, du hast es drauf und dafür musstest du noch nicht mal das Internet ausdrucken. Ich lese da heraus, dass dir möglicherweise ein per SMS herbeigerufender Flashmob der deutschen Volksgemeinschaft gar nicht mal so ungelegen kommen würde, aber das hier ist Neukölln und nicht die Gegend in Oberschöneweide, wo sich diese nette deutsche Kneipe mit dem unverfänglichen deutschen Namen “Zum Henker” befindet. Dort würden “diese Menschen” den Deutschen die Stiefel lecken. Im günstigsten Falle. Deine willige Leserschaft warnst du eindrücklich: “Es kann Ihnen passieren, dass Sie bei einem lapidaren Auffahrunfall eine Überraschung erleben. Nämlich dann, wenn Ihr Unfallpartner äußerlich eindeutig als Einwanderer zu erkennen ist.” Hey, Heinz: Mir geht gleich die Hutschnur hoch und der Mond platzt, wenn ich deinen verdammten Mist so lese. Wie erkenne ich denn eindeutig, dass jemand ein Einwanderer ist? Wenn er nicht so schlank wie Göring, flink wie Goebbels und blond wie Hitler ist? Ein Mensch mit dunkler Haut kann ja gar kein Deutscher sein und kann es in deinen Augen wohl auch nie werden und du wunderst dich, warum so massive Probleme in der Integrationspolitik existieren? Integration ist keine Einbahnstraße, aber das wirst du nicht mehr in deinem restlichen Leben verstehen. Deine diskriminierende Sicht auf die Menschen und die Welt steht stellvertretend für diese Gesellschaft, aus deren Mitte der Rassismus immer wieder und wieder neu geboren wird und so den Hass auf alles Nichtdeutsche am Leben erhält und dann stellst du dich hin und machst einen auf deutsches Opfer. Da muss ich kotzen! Wozu sich den Nazis auf der Straße in den Weg stellen, wenn aus dem Rathaus Neukölln der Rassismus Neukölln vergiftet, ja diese Gesellschaft mit dem Gift der völkischen und rassischen Einteilung von Menschen überzieht? Dein Weltbild ruht in der Einteilung von Deutsch und Nichtdeutsch, während Erstere stets die sittsamen, ehrlichen und anständigen Menschen sind und Letztere die unkultivierten, unehrlichen, diebischen, frechen und durchweg gewalttätigen Menschen sind, denn “wir erziehen unsere Kinder zur Gewaltlosigkeit. Wir ächten Gewalt in der Begegnung und bringen das unserem Nachwuchs bei. Andere bringen ihren Jungs bei, stark, tapfer und kampfesmutig zu sein.”
    Selten war die Bezeichnung geistiger Brandstifter so treffend wie bei dir, Heinz Buschkowsky, der in meinen Augen eine Schande für den schönen Bezirk Neukölln darstellt. Entweder wir schütten die Gräben zu, die “uns” trennen oder wir lassen Panzer über die Gräben rollen, sagte einmal ein bekannter Politiker. Leider hast du dich dazu entschieden die Panzer rollen zulassen, aber eines schreibe dir in dein Stammbuch: Ohne Widerstand gegen diese Politik des Hasses wird es nicht ablaufen. Sicherlich gibt es in Neukölln Probleme, aber auf deine primitive Art und Weise werden sie sich nicht lösen lassen. Wenn du nicht fähig bist ein Teil der Lösung zu sein, dann hast du in Neukölln keinen Platz mehr.
    http://telegehirn.wordpress.com/2012/09/17/offener-brief-an-den-bezirksburgermeister-von-neukolln-heinz-buschkowsky/

    Nach der Vorabveröffentlichung von Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“, bietet die Bild-Zeitung nun den Resonanzboden für Buschkowsky Hetzschrift „Neukölln ist überall“. Buschkowsky macht hier alle (hässlichen) Vorfälle (die alle einmal vorgekommen sein mögen) zum Alltagsbild seines Stadtbezirks. Buschkowsky müsste eigentlich als Bezirksbürgermeister zurücktreten, denn er hat alle schlimmen Dinge, die er in endloser Reihung aufzählt, offenbar weder verhindert noch zurückgedrängt. Buschkowsky ist der lebende Beweis einer versagenden Politik, die von ihrem Versagen dadurch ablenkt, dass sie Hass auf Emigranten schürt und vom eigenen politischen Scheitern durch das Entfachen des „Volkszorns“ ablenken will.(NDS)

  26. Zitator sagt:

    Arno Widman in der heutigen Berliner Zeitung:
    “In Syrien spielen die Befürworter des zivilen Widerstands keine Rolle mehr. Hier kämpft keine twitternde Jugend mehr gegen ein autoritäres Regime. Hier kämpft ein autoritäres Regime, gegen solche, die es werden wollen. Der Bürgerkrieg in Syrien bezeichnet das Ende des Arabischen Frühlings.”

  27. Marion Zeller sagt:

    Bin ich eine Verschwörungstheoretikerin, wenn ich denke, dass Angriffe von syrischem Territorium auf die Türkei nie im Leben Assad nützen, der viel zu sehr zu kämpfen hat, seine Macht irgendwie und um jeden Preis zu erhalten, als er sich noch die Türkei samt NATO-Hintergrund auf den Pelz holen wollte? Woran hingegen jene Aufständischen interessiert sein könnten, um die Schlacht zu ihren Gunsten zu entscheiden?
    M. Z.

    • Rudolph Caracciola sagt:

      Man muss keineswegs Verschwörungstheoretiker sein, um auf so einen Gedanken zu kommen. Spätestens seit der “Affäre Gleiwitz” und dem “Tongkiing-Zwischenfall” weriß man überdies, dass Konfliktparteien, die zum offenen Krieg übergehen wollen, den Anlass dafür gern auch schon mal selbst schaffen. In einer Bürgerkriegssituation wie in Syrien hat allerdings auch die Zentralmacht mit ihren Streitkräften kaum mehr alles so unter Kontrolle, dass unbeabsichtigte Übergriffe vollständig auszuschließen wären. Nur gegen ein vorsätzliches Vorgehen von Damaskus spricht zumindest die rasche Entschuldigung hernach. Wie die Zusammenhänge wirklich waren, wird aber womöglich wieder erst später ans Licht kommen – siehe Gleiwitz und Tongking.

  28. Zitator sagt:

    Diese Erinnerung an einen Goethe-Vers, der neulich in einem Leserbrief an die Berliner Zeitung zum Thema NSU-“Aufklärung” zu lesen war, gehört weitergegeben:

    Schwer, in Waldes Busch und Wuchse
    Füchsen auf die Spur gelangen;
    Hält´s der Jäger mit dem Fuchse,
    Ist´s unmöglich ihn zu fangen.

  29. Jürgen Perten sagt:

    Lieber Bernhard Mankwald – wieder mal eine treffliche Einlassung Ihrerseits, wie ich finde.
    Nur ein Problem habe ich, und wie ich meine, habe ich es erfahrungsbedingt: “Auf der politischen Ebene”, schreiben Sie, “ist es der Kampf um die Demokratie – verstanden als Herrschaft des “gewöhnlichen” Volkes im Gegensatz zu der der “Eliten”.

    Aber das ist es eben: Wann immer hat das “gewöhnliche Volk” eine solche Rolle auch nur angestrebt, geschweige denn gespielt. Waren es icht immer Eliten (oder, wie es im Realsozialismus hieß: die Avantgarde ), die Programme entwarf oder/und soziale Bewegungen oder gar Revolutionen anführte?

    Wie verbreitet, meinen Sie, lieber Bernhard Mankwald, sind im “gewöhnlichen Volk” von heute die Bereitschaft u n d die Fähigkeit, die ungemein komplexen Zusammenhänge gesellschaftlicher und vor allem ökonomischer Umstände zu ergründen, um aus deren fundierten Kenntnis Programmatiken zu entwickeln? Bei jedem Fußballspiel zumindest eines Bundesligavereins sind mehr Besucher zugegen als auf zeitgleich Demonstrationen für mehr soziale Gerechtigkeit!

    Ich habe erst im Blättchen irgendwann ein Zitat von Karl Jaspers gelesen, das ich nicht vergesen habe, weil es m. E. die Crux in kürzestmöglicher Form beschreibt: Die Demokratie setzt etwas voraus, was sie erst erschaffen muss … Also massenhaften Willen u n d massenhafte Fähigkeit, siehe oben … Und das wird dauern, dauern, dauern…

    Mit betrübten Grüßen (weil außerstande, optimistischere Überlegungen beisteuern zu können, wiewohl ichs gern täte),
    Jürgen Perten

    • Lieber Jürgen Perten,

      das Problem darf natürlich keinesfalls unterschätzt werden. Tatsächlich aber hat das “gewöhnliche Volk” gerade bei wichtigen Gelegenheiten auch die Initiative ergriffen. 1789 in Frankreich waren es Aufstände der ländlichen und städtischen Bevölkerung, die Klerus und Adel “ermutigten”, ihre Privilegien aufzugeben und sich dem Dritten Stand anzuschließen. Und 1917 in Rußland löste ein Streik der Textilarbeiterinnen die Kettenreaktion aus, die in wenigen Tagen zum Ende des Zarismus führte. In beiden Fällen nahmen dann allerdings bald neue “Eliten” die Sache in die Hand, die eine neue Klassenherrschaft errichteten.

      Unsere materiellen und kulturellen Voraussetzungen sind aber heute ungleich besser. Auch im “gewöhnlichen Volk” gibt es heute viele, die etwas gelernt haben und etwas können – und es trotzdem nicht zu dem bringen, was das Bürgertum eine “Existenz” nennt.

      Das verbreitete Desinteresse an politischen Dingen ist sicher nicht zu leugnen. Es wird aber auch gefördert durch die gewollt oberflächliche und unverständliche Art, in der diese meist dargeboten werden. Es fragt sich, ob man wirklich mit Kant von “selbstverschuldeter Unmündigkeit” reden kann – oder ob es sich vielmehr um “erlernte Hilflosigkeit” handelt, die durch eine ungebrochene Tradition der Bevormundung in West und Ost aufrecht erhalten wird.

      Marx wollte die Demokratie so weit treiben, daß sie zum Ende der Herrschaft überhaupt führt. Ich gebe zu, daß dies auch heute noch utopisch erscheint; Ihr Jaspers-Zitat beschreibt die Schwierigkeit sehr gut. Sein Mittel dazu, die “Organisation zur Klasse”, halte ich jedoch auch aktuell für sehr empfehlenswert. Genau das tun wir ja im Grunde in diesem Forum: wir versuchen, uns in einer recht unübersichtlichen Umwelt zu orientieren, und wir suchen nach gemeinsamen Interessen. Wichtig sind dabei auch die Sonderinteressen, wie sie etwa Hans-Dieter Schütt in seinem Beitrag schildert – denn die “Konkurrenz” hat ja schon Marx als Haupthindernis für gemeinsames Handeln genannt. Folgen wir also diesem Weg mit der gebotenen Umsicht, und seien wir gespannt, wohin er uns führt.

      Mit realistisch-optimistischen Grüßen,
      Bernhard Mankwald

  30. Es geht um die Hegemonie – ein XXL-Kommentar

    Die Redaktion fragt mit Oskar Lafontaine und Hans-Dieter Schütt im aktuellen “Blättchen”, warum die Linke trotz der aktuellen Krise so wenig Aufmerksamkeit für ihre – in vielen Punkten durchaus sehr treffenden – Analysen findet. Ein Grund dafür liegt sicher in anderen wichtigen Fragen, über die man bei der Gelegenheit nichts erfährt – nämlich: was mit dem vorgeblich realen Sozialismus eigentlich schief gelaufen ist, und wie man es beim nächsten Mal besser machen kann. Und solange dies so bleibt, setzt die Linke sich dem Verdacht aus, die Rückkehr zu früheren Zuständen anzustreben – was ja ein reaktionäres Unterfangen wäre, das bei der Mehrheit offensichtlich etwa so beliebt ist wie ein Furunkel am Gesäß.

    Beide Bestandsaufnahmen versäumen aber auch, die aktuellen Zustände auf einen Begriff zu bringen. Der italienische Philosoph Antonio Gramsci war da um 1935 schon weiter: er bezeichnete die “normale” Form der bürgerlichen Herrschaft als “Hegemonie”: eine Kombination aus Zwang und Konsens, die gerne auch auf die Zwischenform Korruption-Betrug zurückgreift. Zwang wird zur Zeit offen vor allem im Ausland angewandt und auch dann stets mit heuchlerischen Motiven bemäntelt. Konsens schaffen die Medien, die die Kapitalinteressen vertreten, durch permanente Gehirnwäsche. Und die Zwischenform erklärt viele Phänomene in den Parteien links der Mitte, die sonst schwer verständlich wären. So gesehen beschreibt Lafontaine lediglich, welche Hindernisse die Hegemonie einer rationalen Analyse der Verhältnisse in den Weg stellt – und Schütt zeigt, welche Auswirkungen sie in seiner Partei hat und wie weit diese von einer eigenen Hegemonie entfernt ist.

    Linke Politik muß also zunächst die bürgerliche Hegemonie bekämpfen, und die vorhergehenden Betrachtungen zeigen, daß sie damit sehr gut in den eigenen Köpfen anfangen kann. “Durch wen” der gesellschaftliche Wandel vollzogen wird, muß sich im Verlauf dieses Prozesses klären. Seine möglichen Triebkräfte sieht Oskar Lafontaine jedenfalls sehr richtig. Auf der politischen Ebene ist es der Kampf um die Demokratie – verstanden als Herrschaft des “gewöhnlichen” Volkes im Gegensatz zu der der “Eliten”. Und auf der ökonomischen Ebene ist es der Kampf der arbeitenden Bevölkerung gegen diejenigen, die sich unter dem Vorwand des Eigentums die Ergebnisse der Arbeit aneignen.

    Diese Thesen dürften der Redaktion im übrigen bereits bekannt sein. In meinem Beitrag zu “Blättchen” Nr. 13 verwies eine Fußnote auf ein Buch, in dem ich sie ausführlicher darlege; sie wurde von selbiger Redaktion mit meiner Einwilligung gestrichen. In Nr. 14 fand ich dann einen Text von Rousseau, der offensichtlich nach der gleichen Quelle zitiert war, die ich im Buch benutzt hatte – zu erkennen an einem charakteristischen Fehler: eine Regierung durch “Ausschlüsse” gehört keinesfalls zum Gedankengut Rousseaus, sondern eher in den Kontext, den ich zu Beginn dieses Kommentars angesprochen habe. Aber manche Dinge kann man ja getrost auch mehrmals sagen.

  31. jaku sagt:

    Post von Attac zu interessierter Kenntnis:

    Lieber Heinz Jakubowski,

    gigantische Privatvermögen auf der einen, leere öffentliche Kassen auf der anderen Seite – auch in Krisenzeiten werden die Reichen reicher, die Armen ärmer. Weltweit nimmt Ungleichheit dramatische Formen an; Armut und in der Folge Hunger und Krankheit bestimmen längst den Alltag von Milliarden Menschen im globalen Süden, und selbst in etlichen europäischen Ländern haben sich die Lebensbedingungen dramatisch verschlechtert. Das ist die Folge einer Krisenpolitik, die die Lasten weltweit nach unten umverteilt, um die am oberen Einkommensende zu schonen.

    Doch es tut sich was! Für den 29. September ruft Attac gemeinsam mit vielen anderen Organisationen des Bündnisses Umfairteilen zu einem bundesweiten Aktionstag auf. In fast vierzig Städten werden Menschen auf die Straße gehen, um eine Umverteilung des Reichtums zu fordern – sicher auch in einer Stadt in Deiner und Ihrer Nähe!

    Als erste Maßnahme fordern wir gemeinsam die Einführung einer einmaligen Vermögensabgabe und einer dauerhaften Vermögensteuer. Um unseren Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen, brauchen wir Deine und Ihre Unterstützung:

    – Spenden!
    Der Aktionstag und alle Aktivitäten zu seiner Vorbereitung kosten Geld. Plakate und Faltblätter müssen gedruckt, mobilisierende Veranstaltungen im Vorfeld organisiert, die Infrastruktur der zentralen Veranstaltungen bereitgestellt werden. Dafür sind wir auf finanzielle Hilfe angewiesen. Unter http://www.attac.de/jetzt-spenden kannst Du, können Sie uns mit wenigen Klicks unterstützen.

    – Raus zum Aktionstag!
    Je mehr Menschen sich an dem Aktionstag beteiligen, umso deutlicher werden unsere Forderungen. In Berlin, Bochum, Frankfurt, Köln und Hamburg wird es zentrale Aktionen geben, und auch in vielen anderen Städten sind Proteste geplant für alle, die sich in der Nähe ihres Wohnorts engagieren wollen. Unter http://www.attac.de/umfairteilen-aktionstag sind die Informationen zu den einzelnen Städten zusammengefasst; dort findet sich auch eine Mitfahrbörse für die zentralen Veranstaltungen.

    Vielen Dank für Deine und Ihre Unterstützung!

    Mit herzlichen Grüßen

    Jutta Sundermann / Attac-Projektgruppe Umverteilen

    P.S. Es ist höchste Zeit, konkrete Wege der Umverteilung zu beschreiten. Dabei hilft uns jeder Betrag und jedeR, der/die sich mit uns engagiert!

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  32. Zitator sagt:

    Anspruchsvoll verblöden mit Spiegel-online:
    “SPIEGEL ONLINE widmet diesem groß orchestrierten Literatur- und Medienereignis (der neue Roman der Harry-Potter-Autorin Rowling, d. Red.) einen speziellen Liveticker: Ab 9 Uhr morgens, dem Moment der Veröffentlichung in Deutschland, rezensieren die SPIEGEL-ONLINE-Mitarbeiter Nora Gantenbrink und Sebastian Hammelehle während ihrer Lektüre “Ein plötzlicher Todesfall”, kommentieren Ereignisse rund um das Buch, vermelden zudem jede Art von nützlichem und unnützem Rowling-Wissen – und beantworten selbstverständlich auch die Frage: Welche Kraftausdrücke sind es denn nun, verdammt noch mal?”

  33. Werner Richter sagt:

    Korrektur: Entschuldigung, eine Speicherung des vorherigen Textes hat einen Satz unvollständig erfaßt, er muß heißen:
    “Diese Theorie ist nicht neu, wir finden sie von einschlägigen „linken“ Kreisen favorisiert, den naturwüchsigen selbstregulierenden gesellschaftlichen Prozeß, der sich außerhalb des menschlichen Willens vollzieht, nicht beachtend.”
    Ich bitte alle Leser, mein Puzzle selbst zusammen zu setzen.
    Danke!

  34. Werner Richter sagt:

    Zu Gerhard Burow, Vision einer postkapitalistischen Gesellschaft, Blättchen Heft 19, 2012
    Es ehrt Dr. Burow, dieses noch unsicher und unscharf in der meisten Hirne schlummernde Thema, wie könnte/sollte/müßte der Übergang in eine nachkapitalistische Gesellschaft, objektiv immer wahrscheinlicher, gestaltet werden, wie kann eine solche Gesellschaft aussehen. Er ist dabei zügig und zielorientiert, setzt die Hauptpfeiler, ohne sich zunächst um die Details zu scheren. Das ist mutig, weckt aber meine Skepsis, die ich schon einmal zu seiner „Systemfrage heute“ in Heft 16 ins Forum gestellt hatte.
    Diese Methode weckt meine militärisch geprägte Erinnerungsseite: Kräfte und Mittel – Beurteilung der Lage- Entschlußfassung- Befehlsausgabe. So werden von alters her militärische Operationen auf dem Papier vorbereitet, es entstehen taktische Konzepte, strategische Pläne und Militärdoktrinen. Diese Vorgehensweise ist dem Zeitdruck, dem Militär permanent unterliegt, geschuldet, es ist immer rasches Handeln gefordert und es gilt daher zwangsläufig die Devise: Handeln, auch falsches, ist besser als Zaudern, Überraschungseffekte gleichen aus. Deshalb werden die beiden ersten Punkte, Kräfte und Mittel bzw. Lagebeurteilung, oft formal und wenig tiefgründig behandelt, obwohl von entscheidender Bedeutung. Ich empfinde, Herr Burow hat sich hauptsächlich auf die Entschlußfassung konzentriert, seine Ausführungen kommen mir wie eine Handlungsanleitung daher. Hier muß ich leider schon wieder Bedenken anmelden, schon rein praktischer Art. Wie soll das denn gehen, nach seinen Vorstellungen sollen die Regierungen, ob planmäßig gewählte oder neue, freiwillig (?) alle Abhängigkeiten und Lobbys ignorieren, ebenso die Zustände und objektiven Zwänge der nationalen Volkswirtschaften, zusammenkommen und die notwendigen Beschlüsse zur Einführung eines Weltgeldes, eines auf die Anfänge des Kapitalismus zurück führenden Bankensystems, das ist das, was er im Auge hat, und eine umfassende Kontrolle der Finanzaktivitäten beschließen? Bisher brachten dagegen harmlose Versuche z.B. Obamas, mit den G8 wenigstens eine konzertierte Trennung von Geschäftsbanken und „Investmentbanken“ gesetzlich zu verankern nur die münchiadische „Siegesmeldung“ a la Daladier und Chamberlain: Merkel hat erfolgreich die US-Angriffe abgewehrt! Ich kann mir ein derartiges Regierungshandeln nicht vorstellen, selbst, wenn bei einigen Politikern, nicht alle sind blöd, zynisch oder korrupt, eine so gerichtete Einsicht gewonnen hätten, hat er denn nicht die Tragik des Ritter von der traurigen Gestalt namens Obama erkannt, nicht Bob Reichs, Clintons Arbeitsministers, Analyse der wahren Macht in Washington vernommen? Es müßte schon hinter jedem Politiker ein Mensch mit drohend schwingendem Knüppel stehen, wenn etwas auf diese Art geschehen sollte. Wer soll dies aber sein? Etwa Freiwillige aus dem weiten Feld der Ehrenamtlichen oder Hartzis, alle so qualifiziert wie als Hilfslehrer in unseren Schulen oder für Pflegeeinrichtungen? Wer soll dies organisieren, natürlich gegen den Widerstand der Staatsmacht, diese ausschalten, wer soll diese Kräfte schulen, instruieren und führen? Wie Herr Burow meint, ohne „Revolution“ – hier setzt mir meine Phantasie Grenzen. Nein, ich fürchte, ohne die politische Revolution, die Entmachtung der Regierenden mit allen Erscheinungsformen, randalierendem Pöbel, Standrecht, Terror, Richtungskämpfe und Diktatur der Sieger ginge das gar nicht. Wer stellt die dafür notwendige Führung, organisiert die Vorbereitung und Durchführung? Wieder ein Versuch der brachialen Geburt eines vielleicht später demokratischen Entwicklungsweges, dem Urirrtum aller bisherigen Revolutionen? Und: dieser beabsichtigte Wandel des Systems, von der politischen Seite einmal abgesehen, soll nicht revolutionär dem Inhalt nach sein? Ich kann mir in derzeitiger Situation keine gewaltigere Revolution vorstellen.
    Hinzu kommen mir theoretische Bedenken. Herr Burow offeriert eine Variante der Theorie des gesellschaftlichen Systemwandels über die Veränderung der Verteilungsverhältnisse mit besonderer Rolle des Geldes. Diese Theorie ist nicht neu, wir finden sie von einschlägigen „linken“ Kreisen naturwüchsigen selbstregulierenden gesellschaftlichen Prozeß sich außerhalb des menschlichen Willens vollzieht. Nur über die sich verändernde Substanz des Wertes und seiner Formen, die eine objektiv wachsende Dysfunktion des kapitalistischen Warenproduktionssystems hervorruft, nicht über die Formen der Verteilung von Arbeit und Ergebnisse der Produktion, können wir die Transformationspunkte zur Veränderung der Produktionsweise und damit der Gesellschaftsformen finden, natürlich auch im Wechselverhältnis zu Distribution und Konsumtion. Insgesamt erkenne ich in der Burowschen Theorie die der „sozialistischen Marktwirtschaft“ wieder, die auf Marktgläubigkeit beruht. Das ist alles Mögliche, aber nicht Marx. Und ich muß Heinrich Harbach recht geben, wenn er fassungslos angesichts dieser Grundtheorie konstatiert: Als habe Marx „Das Kapital“ nie geschrieben! Was, zum Teufel, bewegt wissenschaftlich Denkende dazu, die Unendlichkeit der Marktwirtschaft zu akzeptieren? Brauchen „Marxisten-Leninisten“ immer einen Gott, der sich anbeten läßt? Wenn es schon vormarktwirtschaftliche Gesellschaften gab, warum soll es keine nachmarktwirtschaftlichen geben können? Dazu empfehle ich dringend Heinrich Harbach: „Wirtschaft ohne Markt“.
    Die Vorstellung eines „Kontokorrentguthabens“ als neue Geldform, die die gesamte Gesellschaft umwandeln soll, greift, wie Heinrich Harbach an anderer Stelle bereits bemerkte, auf die berühmte „Proudhon`sche Fata Morgana“ zurück. Das ist dann schon sehr nostalgisch, paßt aber wohl nicht mehr in die modernen Verhältnisse (Hinweis für „Marx-Studenten“: „Elend der Philosophie“). Nein, nein, am Wertgesetz führt kein Weg vorbei.
    Herrn Burow danke ich, sich so weit aus dem Fenster gelehnt zu haben, aber ohne solchen Mut kommt kein anständiger Streit zustande und den wollen wir doch. Ich bin weit davon entfernt, nach dem alten Muster der Grundsatzdiskussionen des „Marxismus/Leninismus“ ihn erst in der Luft zu zerreißen und dann in den Staub zu treten. Inhaltlich hartes Contra ist jedoch normal. Seine Ideen sind mir so ganz falsch nicht, nicht zuletzt wegen der erstaunlichen Lebensfähigkeit und Stabilität „anarchistischer“ Gesellschaftsformen wie etwa im Baskenland, über deren Bestand und Funktionsweise in unserer Gesellschaft wohl nicht ohne Grund seit Jahrzehnten der Mantel des Schweigens gelegt wurde, von allen Seiten. Gibt es nicht unter uns jemand, der uns darüber mehr beibringen kann? Das wäre bestimmt eine Bereicherung.
    Ich möchte nur zwischen den Ideen z. B. des Herrn Burow und von Marx die „Hierarchie“, nicht die von Personen, sondern im Verhältnis vom Allgemeinen zum Besonderen, gewahrt sehen, sonst kommen wir in die reinste Anarchie und landen insgesamt bei Proudhon. Marx hat nicht schlechthin den Mechanismus des Kapitalismus beschrieben, sondern viel abstrakter die Funktionsweisen aller Marktwirtschaften aufgedeckt, die alle durch das Wertgesetz determiniert sind. Im „Kapital“ hat er viele Erkenntnisse nur zusammengefaßt, in den „Grundrissen“ und Manuskripten erläutert er diese ausführlich. Man kann die Bedeutung des Wertes nicht ohne diese Schriften erfassen. Dies außer Acht und Marx als nicht mehr ganz zutreffend hinter sich zu lassen, führt weg von der Hauptphase der jetzigen Warenproduktion, der Produktion und dem Wertgesetz; niemand käme auf die Idee, den Satz des Thales ebenso zu behandeln, gut, vielleicht in Zukunft an den gestylten Unis bolognaises. Dann beginnt man eben die Analyse der Gesellschaft in der Distribution, liegt damit näher an der aktuellen Wirtschaftspolitik und kann die Theorie Theorie sein lassen, braucht eh keiner. An irgendeinem Punkt sieht man sich gezwungen, auf die Verwerfungen aus Nichtbeachtung des Wertgesetzes, die zur wachsenden Dysfunktion des ökonomischen Systems führen, zu reagieren, setzt anstelle des Wertes Surrogate und vollendet die Dysfunktionalität der Wirtschaft und letztlich der Gesellschaftsform. Hatten wir das nicht schon, Plan, Planpreis etc.?

    • Eine berechtigte Kritik! Burows Pläne erinnern an jene “Utopisten”, die schon nach der Beschreibung des “Manifests” die mangelnde gesellschaftliche Tätigkeit durch ihre “persönlich erfinderische Tätigkeit” zu ersetzen versuchten.

      Man kann viele Dinge anders sehen als Marx, man muß seine Konzepte gewiß in vieler Hinsicht weiterentwickeln, wenn man der heutigen Situation gerecht werden will – aber wenn man ihn ignoriert, riskiert man, hinter ihn zurückzufallen.

  35. Horst Kerber sagt:

    Langsam macht mich das irre: Ist es denn so schwer zu begreifen, dass man Israel weder das Existenzrecht bestreitet noch den Israelis ihre Liebenswürdigkeit, die keine andere und mindere ist als die anderer Völker, wenn man die Politik der israelischen Regenten kritisiert, wo dieses das herausfordert ?
    Was absolut desgleichen zutrifft auf das, was – z.B. Palästinenser – dann an Verhalten offenbaren, wenn es um Richtlinien ihrer Obrigkeit geht!
    Im übrigen sollte man nie vergessen: Wer um den Begriff der Semiten in seiner eigentlichen Bedeutung weiss, der weiss , dass auch die Araber Semiten sind. Also Vorsicht bei aller – subjektiv noch so lauteren – Erregung.
    H. Kerber

  36. Rudolph Caracciola sagt:

    Vor ein paar Wochen war im BLÄTTCHEN ein Offener Brief zu lesen, in dem der BLÄTTCHEN-Autor L. Quinkenstein sich bemüßigt sah, heftig für Israel Partei zu ergreifen und einen anderen BLÄTTCHEN-Autor, der zuvor Kritisches zur Atommacht Israel geäußert hatte (W. Schwarz), in die Nähe von Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, der 1976 in Entebbe erschossenen deutschen Terroristen zu rücken. So harter Tobak lässt sich natürlich am Besten auffahren, wenn man, wie Quinkenstein, bei der Parteinahme für Israel die über 100-jährige Leidensgeschichte der Araber in Palästina im Zusammenhang mit der in Wellen – insbesondere seit Anfang des 20. Jahrhunderts sowie nach der Gründung des israelischen Staates – erfolgten jüdischen Rückbesiedelung dieser Gebiete vollständig ausblendet. Schwarz hat die maßlose, sich letztlich selbst disqualifizierende Philippika Quinkensteins nicht ignoriert, sondern repliziert – mit Focus auf dem Schicksal der Palästinenser.

    Dabei wurde auch das Massaker von Sabra und Schatila von 1982 erwähnt, als die israelischen Streitkräfte, die dieses Flüchtlingslager seinerzeit umstellt hatten, Verbündeten in Gestalt libanesischer Milizen ermöglichten, dort ein mehrtägiges Blutbad mit mutmaßlich Tausenden von Toten – vor allem Frauen, Kinder und Greise – anzurichten. Der damalige israelische Verteidigungsminister Ariel Sharon musste wegen seiner Mitverantwortung zwar zurücktreten, wurde ungeachtet dessen später aber doch Ministerpräsident des Landes. Das sagt über die politische Kultur Israels und das, was zu jener Zeit dort demokratisch mehrheitsfähig war, einiges aus, ist hier aber gar nicht mein Punkt. Bisher war ich davon ausgegangen, dass die israelische Politik und Armee in Sabra und Schatila ihre libanesischen Verbündeten „nur“ nicht daran gehindert hatten, das Massaker anzurichten. Seit vorgestern weiß ich – aus der BERLINER ZEITUNG und bezeugt in einem Dokumentarfilm durch Aussagen ehemaliger libanesischer Täter –, dass es sich damals um keine spontane Bluttat gehandelt hat, sondern dass die Täter zuvor dafür richtiggehend abgerichtet worden waren und dass ein Teil dieser „Spezialausbildung“ in Israel stattgefunden hat, wobei es letztlich egal ist, ob dieser Part von der dortigen Armee oder vom Geheimdienst übernommen worden war. Das wirft die Frage nach der Verantwortung, ja der Beteiligung der israelischen Regierung an diesem Verbrechen neu auf. Und wer’s nicht glaubt, der lese selbst ausführlich nach: http://www.berliner-zeitung.de/politik/libanon-die-antrainierte–routine–des-toetens,10808018,17265726.html.

    L. Quinkenstein wird auch das sicher nicht anfechten, denn er hat die von Schwarz vorgetragenen Fakten und Zusammenhänge die Palästinenser betreffend schon seinerzeit keines Wortes gewürdigt. Vielleicht gehört er ja zu jenen Parteigängern israelischer Politik, für die 2000 Jahre Juden-Progrome in Europa und insbesondere der Holocaust die Pauschalabsolution für alle durch den jüdischen Staat, seine Organe und seine Vorgängerorganisationen an den Palästinensern begangenen Verbrechen darstellen. Dass sich allerdings der Nahost-Konflikt auf einer derartigen Grundlage irgendwann lösen lassen sollte – dies zu glauben, will ich nicht einmal L. Quinkenstein unterstellen.

  37. Detlef Kannapin sagt:

    Eine Bemerkung zu Anke Westphal
    Die Filmkritikerin der Berliner Zeitung schrieb am 12. September 2012 zu einem neuerlichen Produkt des Mißverständnisses gegenüber der neueren deutschen Geschichte: “Längst ist der Kampf um die Deutungshoheit entschieden. Inzwischen ist die DDR eine Art Wundertüte für junge Regisseure: ein Reservoir von Geschichten, eine Folie für Genre-Kino. Die DDR ist Material. So ist es nun einmal. Alle müssen wir damit leben.”
    Nein, damit muss niemand leben. Es gibt immer Alternativen, und wenn filmische nicht genutzt werden, dann hat das ökonomische, politische, ideologische und kulturelle Ursachen. Es ist an der Zeit, das, was einmal Filmkritik war und heute zur Filmbesprechung herabgewürdigt wird, wiederherzustellen. In der spätbürgerlichen Presse ist das unmöglich, so ist es nun einmal. Die freiwillige Unterwerfung unter den Zeitgeist ist immer dann besonders bedauerlich, wenn man weiß, dass es einmal anders gegangen ist und noch anders geht.

  38. Die Red. sagt:

    Heerke Hummel, Bernhard Mankwald, Werner Richter …

    – liebwerte Diskutanten dessen, was Marktwirtschaft ist, sein sollte, sein könnte oder auch nicht mehr sein sollte: Die Blättchen-Redaktion erfreut es, wenn sich über solch überaus relevante Fragen in seinem Forum ein Austausch organisiert, der über einschlägige Beiträge in den eigentlichen Ausgaben hinausgeht.

    Eine Bitte hätten wir lediglich: Es wäre sinnvoll, wenn Texte besagten Austausches immer als Antwort auf vorausgegangene eingegeben würden. Das würde zum einen helfen, die Diskussion in ihrer Gesamtheit überschauen zu können, ohne alle Forum-Beiträöge durchscrollen zu müssen. Und es würde auch verhindern, dass andere Forum-Beiträge ungewollt “zugedeckt” werden.

    In diesem Sinne: Wohlan beim kulturvollen und anregenden Dialog miteinander. Zu “Ihrem/Eurem” Thema wie zu anderen, die uns alle berühren.

    Die Redaktion

  39. Zitator sagt:

    „Die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses müssen sich ( … ) fragen lassen, ob sie wirklich zur Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen oder sich als Zahnrädchen einer Empörungsmaschine missbrauchen lassen wollen.“
    Aus einem FAZ-Kommentar von Jasper von Altenbockum;
    „Honi soit qui mal y pense.

  40. Werner Richter sagt:

    Lieber Herr Mankwald, Entschuldigung für meine dumme Bemerkung, ab jetzt sei die Diskussion um die Wirtschaftstheorie eröffnet. Ich hatte da nur unser Projekt einer hoffentlich noch kommenden Website zu den Büchern von Heinrich Harbach: Wirtschaft ohne Markt, Heiner Flassbeck: Wirtschaft des 21. Jahrhunderts und Heerke Hummels: Gesellschaft im Irrgarten im Blick und übersah, daß bereits eine thematische Diskussion im Blättchen läuft. Ich bin eben nicht Jesus und mir wächst auch kein Gras aus der Nase, sorry.

    • Lieber Herr Richter,
      Anlaß zu einer großen Entschuldigung sehe ich nicht, zumal mir meine eigene Reaktion im Rückblick etwas schroff vorkommt. Jetzt haben Sie mich endgültig überzeugt, daß Sie mit Ihrem Kommentar nichts Böses im Sinn hatten. Also zurück zur inhaltlichen Diskussion über dieses wichtige Thema!

  41. Erhard Crome sagt:

    Redaktionsschere
    Am Freitag hatte ich an die ND-Redaktion einen Leserbrief geschickt. Er lautete: „ND präsentiert am Freitag zwei Titelseiten, eine in hellblau, die Wowereit indirekt den berühmten Ausspruch von Walter Ulbricht: ‘Niemand hat die Absicht…’ zuschreibt, und eine gewöhnlichere hinten. Ist das die Folge, dass es jetzt zwei Chefredakteure gibt? Oder ist die Wowereit-Seite die Realisation des ‘Erfahrungsvorsprungs Ost’?“
    Nun ist ein Leserbrief nicht durch das grundgesetzliche Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, und jede Redaktion behält sich Kürzungen vor. In der Wochenendausgabe nun wurde meine Zuschrift publiziert. Allerdings ohne die zweite Frage: „Oder ist die Wowereit-Seite die Realisation des ‘Erfahrungsvorsprungs Ost’?“ Wahrscheinlich meinte jemand in der Redaktion, das könne man den Großkopferten der ostdeutschen Landesverbände der LINKEN, die unter dieser Losung gerade eine Kampagne vom Zaune zu brechen versuchen, nicht zumuten.

  42. Zu Heiner Flassbecks Aufruf „Trennt euch!“ („Blättchen, Nr. 18/12)

    Viele mögen H. Flassbecks Skepsis gegenüber dem Euro teilen, ich teile sie nicht. Gewiss, Wirtschaftspolitik muss den Ausgleich von Handels- und Leistungsbilanzen zwischen den Staaten im Auge haben. Aber sie muss gleichzeitig zur Herausbildung einer komplexen Proportionalität – in finanzieller und in sachlich-struktureller Hinsicht – eines Wirtschaftsraumes beitragen. Und sie muss dazu ein System selbstregulierender Marktbeziehungen gestalten, das eingebettet ist in sinnvolle gesetzliche Vorgaben entsprechend ökonomisch-ökologischen, sozialen und politischen sowie kulturellen Erfordernissen. (Das alles existiert bereits, wenn auch in unbefriedigender Art und Weise.)
    Europäische Kleinstaaterei steht dem meines Erachtens im Wege. Europa braucht, denke ich, eine politische Zentralmacht und eine zentrale wirtschaftslenkende Behörde, um einen relativ selbständigen und harmonisch gestalteten ökonomischen Großraum schaffen zu können, der sich im Konzert internationaler Giganten Gehör zu verschaffen und seine sowie die Interessen seiner Bürger – auch gegenüber Finanzmächten – zu wahren vermag, beispielsweise durch Schutz vor Billig-Importen und Regulierung von Finanztransaktionen.
    Noch sind wir von einem solchen Europa weit entfernt. Die jüngsten Beschlüsse der Europäischen Zentralbank zur Bekämpfung der europäischen Staatsschuldenkrise durch Ankauf von Staatsanleihen einerseits und Einflussnahme auf die nationale Haushaltspolitik begünstigter Staaten andererseits dürften allerdings im Prinzip einen – wenn auch nur sehr kleinen – Schritt in die richtige Richtung bedeuten. Der Prozess der europäischen Einigung unterliegt doch wohl, wie alle Politik, den Fesseln der Zeit; was bedeuten soll, dass das Machbare und sich Vollziehende immer abhängig ist von einer Unzahl objektiver und subjektiver Faktoren zum gegebenen Zeitpunkt. Und was derzeit zur Krisenbewältigung getan wird geschieht leider nicht aus Einsicht in objektive Zusammenhänge, sondern nur der äußersten Not gehorchend.

    • Erich H. sagt:

      “Der Prozess der europäischen Einigung unterliegt doch wohl, wie alle Politik, den Fesseln der Zeit….”

      Lieber Herr Hummel, weder die objektiven Umstände noch die subjektiven Einschätzungen oder Befindlichkeiten irgendeiner Machtelite können durch die Staatsbürger in einer demokratischen Entscheidung beeinflusst werden.

  43. Zitator sagt:

    Da in den Bemerkungen die Rede vom merkwürdigen Gottesverständnis auch außerhalb moslemischer Berufungen auf Allah bei Kriegen und Anschlägen die Rede war, so wird der Hinweis auf sehr europäische Gotteslästerung soeben durch eine aktuelle Meldung bei Spiegel-Online belegt: “Schon die zweite Nacht in Folge hat es im nordirischen Belfast Ausschreitungen zwischen Katholiken und Protestanten gegeben. Neun Polizisten wurden dabei verletzt. Seit Wochen bricht der jahrzehntealte Konflikt immer wieder auf…”

  44. Marion Zeller sagt:

    Köstlich, Herr Brauer. Nur diesen Vorschlag hätten Sie bei dieser Gelegenheit noch machen sollen: Eine Lange Nacht der Nächte!

    • Wolfgang Brauer sagt:

      Liebe Frau Zeller, ich danke Ihnen! Dabei war ich doch so vergesslich: Es gab in Berlin schon die LANGE NACHT DER FRIEDHÖFE und demnächst gibt es in Lichtenberg die LANGE NACHT DER BILDER… Ihren Vorschlag zur LANGEN NACHT DER NÄCHTE sollte unbedingt jemand aufnehmen. Aber bitte dann bis 5.00 Uhr in der Früh. Da fahren die Bahnen wieder.

  45. Erhard Crome sagt:

    Bevor diese Debatte zum eher früheren denn späteren Dahinscheiden des Realkapitalismus sich fortzeugt, schlage ich vor, den Artikel von Ulrich Busch in No. 17 zu lesen.

  46. Gerhard Burow sagt:

    Die bisherigen Kommentare zur “Systemfrage” mahnen zur Vorsicht mit der Annahme einer “Agonie” des Kapitalismus. Das sehe ich auch nicht als Zustand, sondern eher als Prozess, der sich aus den von mir angerissenen Antagonismen ableitet. Sicher wird es temporäre Kompenstionsansätze geben, die die Transformation des Kapitalismus verzögern. Die Frage nach einer Alternative ist tatsächlich nicht offensichtlich, da das aus dem System heraus auch nicht möglich ist. In einem weiteren Beitrag möchte ich einen “dritten Weg” demnächst vorstellen. Er kann nur nach einem globalen Crash greifen. Bernhard Mankwald geht auf meine These des immateriellen Charakters der modernen Produktivkraft “Information” ein. Richtig ist die materielle Basis mit den PC’s. Allerdings ist Information heute eigentlich mehr. Kreative intelligente Arbeit beruht weitgehend auf Vernetzungseffekte über Software und immaterielle Welten des Internets. Das sehe ich als eine neue Qualität einer Produktivkraft, die nicht mehr ohne Weiteres durch Kapital angeeignet werden kann. Mikrochip – basierte Technologien sind tatsächlich in der Lage, Mehrwert zu erzeugen, gerade weil sie menschliche Arbeit freisetzen, Gewiinn bzw. Profit aber weiterhin im Preis enthalten bleiben. Das Problem sehe ich allerdings mehr in der Bewertung von immaterieller Information und intelligenter Arbeit über Geld, wenn es denn Warencharakter wie bisher behält. Welcher Aufwand liegt einem Preis immaterieller Leistungen zugrunde? Das sehe ich als eine Grenze der Distributionsverhältnisse und dem Charakter des heute bekannten Geldes!

  47. Maik Kühn sagt:

    Zu diesem Zitator passt sehr gut die Meldung vom teuersten Transfer, der in der Bundesliga je aufgeboten worden ist: Für 40 Millionen Euro wechselt der Spanier Javier Martinez jetzt zu Bayern München. Was das alles noch mit Sport zu tun hat, weiss der Geier.

  48. Zitator sagt:

    Philipp Selldorf in der “Süddeutschen Zeitung” über Fußballer als Spekulationsobjekte: „…Die Kölner etwa haben ihren vormaligen Kapitän Geromel für drei Jahre an RC Mallorca verpachtet, mit Fristen und Klauseln für den Verkauf, Rückkauf und Weiterverkauf und der Beteiligung von Investoren. Der Verteidiger Geromel hat sich in ein Finanzprodukt verwandelt. Sein Vertragskonstrukt ist geeignet, eine komplette Anwaltskanzlei zu beschäftigen. …“

  49. Zitator sagt:

    Friedrich Küppersbusch in der Taz zur Entscheidung des Ethikrates in Sachen Beschneidung: ” … Ethik ist nicht, wenn man das politisch und gesellschaftlich Gewollte mit eitel Moraltapete zukleistert, sondern etwa offen sagte: ´Wir akzeptieren hier Unrecht aus religiöser Toleranz und Respekt gerade vor dem Judentum. Dafür übernehmen wir die Verantwortung.´ Der Ethikrat liefert Gefälligkeitsexpertise mit Unfallflucht.”

  50. Thorsten Koppusch sagt:

    In der Welt der Ölonomie nicht “zu Hause” genug, um in einer fundierten Debatte zu Gehard Burows Artikel mitwirken zu können, bin für Werner Richters Einlassung doch sehr dankbar. Rät er doch für meine Begriffe sehr zu Recht zur Vorsicht, was die Agonie des Kapitalismus betrifft. Dass deren bisherige Gestalt permanenten Wandlungen unterliegt, versteht sich; diese Wirtschafts- und Gesellschaftsform sorgt durch ihre Entwicklung schon selbst dafür, einschließlich, wie W.R. schreibt, der Integrierung “asystemischer Wirtschaftselemente. Dass der Kapitalismus sich auch auf diese Weise selbst überholen muss, halte auch ich langfristig (!!!) für unvermeidlich (Das Zutun von systembekämpfenden politischen Elementen sei hier mal unbeachtet). Aber die Langzeitparole von Linken, nach denen es mit Blick auf die Marktwirtschaft schon seit langem “fünf vor Zwölf” ist, ist nun fast schon so lat wie der Kapitalismus. Und noch hat niemand sagen können, wann High Noon ist. Damit, richtig, W.Richter, sollte man besser auch heute vorsichtig sein. Es ließe sich eine weitere Enttäuschung ersparen.
    Th. Koppusch

    • Lieber Herr Koppusch,

      Ihre Skepsis – und natürlich auch die von Herrn Richter – gegenüber der “Agonie des Kapitalismus” scheint auch mir sehr angebracht. Denken Sie nur an Lenin, der den Imperialismus seiner Zeit als höchstes Stadium des Kapitalismus auffaßte und als “faulend”, “parasitär” und “sterbend” bezeichnete. Und nun ist Lenin schon fast 90 Jahre tot, und der Kapitalismus “fault” sehr vital weiter vor sich hin.

      Zu einer realistischeren Sichtweise kommt man meines Erachtens, wenn man den II. Band des Kapital richtig interpretiert. Ich verstehe die Rechnungen von Marx so, daß er damit die theoretische Möglichkeit einer krisenfreien Entwicklung des Kapitalismus demonstriert. Allerdings sind die Bedingungen dafür unrealistisch – das Kapital müßte z.B. darauf verzichten, durch Investitionen in Maschinen menschliche Arbeit einzusparen – und es stellt sich die Frage nach den Grenzen des Wachstums. Krisen sind also unvermeidlich, aber bisher ist das Kapital immer noch mit ihnen fertig geworden. Außerdem ist ja nirgends eine Alternative zum Kapitalismus sichtbar; falls es die irgendwo geben sollte, hat es sich noch nicht herumgesprochen.

      Genauer stand dies in einem Beitrag, den ich der “Blättchen”-Redaktion am 7. August angeboten habe; nach einigen Tagen Bedenkzeit hat diese mit der sehr nachvollziehbaren Begründung abgelehnt, mein Text sei zu lang und eher für eine Fachzeitschrift geeignet. Der Text ist aber auch längst als Kapitel 4 meines Buchs über die “Diktatur der Sekretäre” veröffentlicht; nähere Informationen finden Sie, wenn Sie dem Link im Kopf dieses Kommentars folgen. Und wenn es Sie interessiert, schicke ich Ihnen gerne den betreffenden Textauszug.

  51. Werner Richter sagt:

    Anmerkungen zu „Systemfrage heute“ Blättchen Heft 16.2012
    Lieber Herr Burow, ich habe einige Tage gebraucht bis sich Ihr Beitrag etwas gesetzt hatte, geht mir oft so bei schwerer Kost und die liegt hier wohl vor. Ich nehme an, daß Sie Ihre Gedanken veröffentlichen, um sie zur Diskussion zu stellen – genau das vermisse ich zu diesem Thema bisher zu sehr – lobenswert. Es hat mich tief beeindruckt mit welcher sicheren Absolutheit und wohlüberlegten Formulierungen Sie die qualitative und quantitative Entwicklung der Finanzen und der Geldformen, kurz und prägnant, charakterisieren. Es liegt damit eine brauchbare Beschreibung wesentlicher Tendenzen vor, ob aller oder in jeder Beziehung zutreffend wird wohl noch diskutiert werden, hoffe ich.
    Besonders ist für meine Begriffe hervorzuheben, daß Sie dem allgemeinen Trend trotzend, der gern an vorgeschobener Gier gewisser „Lumpen“ die Krise erklärt, objektive Ursachen der kapitalistischen Produktionsweise benennen. Allerdings bin ich vorsichtiger, die Perspektiven so vereinfacht in „Agonie des Kapitalismus“ festzulegen. So einfach wird das nicht sein, hier neige ich eher Heinrich Harbach zu, der von „wachsender Dysfunktionalität des Systems“ spricht, wohl wissend, und zwar in Übereinstimmung mit Fachleuten wie Heiner Flassbeck, Albrecht Müller, Eric Hobsbawm, Jaques Attali, Robert Stieglitz, Paul Krugman u.a., daß das System noch viele Überraschungen bereit hält, bis es „verschwindet“. Las ich nicht erst vor kurzem eine nicht uninteressante Vorhersage zum Finanzsystem, nach der eine Einführung eines „Weltgoldgeldes“ zwingend logisch wäre (ich weiß jetzt nur nicht, bei wem)? Dieser Experte gab über diesen Weg dem Kapitalismus eine ernsthafte Reset-Chance und weitere ca. 100 Jahre. Ob es genauso wird, steht in den Sternen, aber die Tendenz wird stimmen, die Funktionalität des Systems wird sich temporär erholen, auch durch Übernahme asystemischer Wirtschaftselemente (Gesamtplanung und Steuerung), auch wenn die jetzigen politischen Laienprediger sich verzweifelt gegen diese Alternativen wehren, wie eine Katze auf dem Baum, die sich perdu nicht helfen lassen will. Ich rate: Vorsicht mit der Agonie!
    Richtig nachdenklich machte mich Ihr Satz: “Durch Renditediktate des eingesetzten Geldkapitals sowie als Ergebnis des wissenschaftlich-technischen Fortschritts wird menschliche Arbeit zum Teil endgültig aus den Wertschöpfungsketten verdrängt.” und weiter: “Der Mensch wird als Humankapital definiert und ist somit als Ware in den Markt integriert.” Ich kann mir nicht helfen, das klingt für mich wie „Verschwinden des Wertes“. Schafft demnach menschliche Arbeit keinen Wert mehr? Wer schafft dann die Werte, etwa das abgekoppelte Geld, in welcher Form auch immer auftretend? Ist dann der Mensch nicht Wert schaffendes Humankapital? Nach Ihrer forschen These ist der Mensch dann Sklave, also Produzent in einer vorkapitalistischen und vormarktwirtschaftlichen Produktionsweise. Das wäre tatsächlich das Ende des Kapitalismus, denn ohne Wertschöpfung keine Warenproduktion und kein Kapitalismus. Allerdings bezweifle ich heftig die Möglichkeit einer historischen Rückentwicklung. Für mein Verständnis begehen Sie den üblichen Fehler, Wertsubstanz und Wertformen zu verwechseln, wenn ich mit der Brille Harbachs Ihre Thesen lese und dem stimme ich zu. Dessen Blickwinkel frontal zum „Wert“ scheint günstiger zu sein als ein Blick aus dem Dachfenster der Börse.
    Ich hoffe, der Ofen hat jetzt die richtige Temperatur und die Diskussion ist eröffnet.

    • Lieber Herr Richter,

      wenn Sie den Beitrag von Herrn Burow derart begrüßen, hätte ich mir wenigstens ein Wort zu meinem Kommentar vom 7. August zum gleichen Thema gewünscht. Aber wenn Sie jetzt die Diskussion e r ö f f n e n, ist der wohl indiskutabel.

  52. Zitator sagt:

    “Heute wüsste ich, wofür ich Honecker danken kann. Er hat uns beigebracht, Autoritäten zu misstrauen. Zwar nicht freiwillig, aber nachhaltig. Also weit über sein Ende hinaus”, resümiert ND-Redakteur Martin Hatzius (zur Wendezeit 13jährig) seine Erfahrung mit dem nun 100jährigen Erich Honecker.

  53. Zitator sagt:

    “Natürlich erhalten alle, die eine Ausbildung im Bereich Finanzdienstleistungenn, anfangen, auch in diesem Jahr eine Zockertüte”, hat Blättchen-Autor Ove Lieh alle einschlägig Betroffenen via “Eulenspiegel” beruhigt. Danke.

  54. Marion Zeller sagt:

    Lieber Herr Romeike,
    ich habe Ihrem Text mit weitestgehender Übereinstimmung folgen können. Ich habe aber zugleich den Eindruck, dass Sie mit Ihrer sehr nachvolzierhbaren Blanco-Verteidigung der Putin-Regierung als Opfer der Westpropaganda (siehe Ihre letzten Sätze) etwas wiederholen, was der DDR-Bürger schonmal erlebt hatte: ideologische Gefolgstreue.
    Irgendwie passt zumindest mir das nicht ins Blättchen.
    Mit dennoch herzlichen Grüßen,
    Marion Zeller

  55. Zitator sagt:

    Bundeswehreinsätze im Inland Karlsruhe fällt Katastrophen-Entscheidung
    Ein Kommentar von Heribert Prantl

    Zum ersten Mal haben sämtliche Richter des höchsten deutschen Gerichts in einer fundamentalen Verfassungsfrage entschieden. Es ist jedoch keine gute Entscheidung: Die Richter haben mit ihrem Beschluss, Bundeswehreinsätze im Inneren zu erlauben, das Grundgesetz nicht interpretiert. Sie haben es verändert. Das war und ist nicht ihre Sache.
    Karlsruhe bricht mit einer republikanischen Tradition. Diese Tradition besagt: Kein Bundeswehreinsatz im Inneren! Karlsruhe erlaubt nach den Out-of-area-Einsätzen auch die Einsätze der Armee im Inland.
    Gewiss: nur in Ausnahmefällen. Gewiss: nur als letztes Mittel, nur als Ultima Ratio – wie es so schön heißt, wenn Juristen erlauben, was sie eigentlich nicht erlauben dürften. Gewiss: nicht zum Einsatz bei Großdemonstrationen. Man kennt solche Gewissheiten. Das Gewisse ist einige Zeit später schon nicht mehr gewiss. Es mag sein, dass das Bundesverfassungsgericht einer Politik, die Bundeswehreinsätze im Inneren seit zwanzig Jahren vergeblich gefordert hat, nur den kleinen Finger reichen wollte. Man weiß, wie so etwas weitergeht.
    Beim Bundeswehreinsatz im Inneren seien strikte Voraussetzungen zu beachten. Ein Einsatz zur Gefahrenabwehr sei nur zulässig, sagt das höchste Gericht, bei “Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes”. Es könnte sich bald herausstellen, dass dieses Wort eine pointierte Beschreibung der höchstrichterlichen Entscheidung ist.

    Eine außergewöhnliche Konstellation

    Der Große Senat des Bundesverfassungsgerichts, also der Erste und Zweite Senat zusammen, hat – das geht nur in dieser außergewöhnlichen, in dieser seltenen Besetzung und Konstellation – die Entscheidung des Ersten Senats zum Luftsicherheitsgesetz vom 15. Februar 2006 teilweise aufgehoben: Der Erste Senat hatte das Gesetz, das den Abschuss mutmaßlich entführter Passagierflugzeuge erlaubt, damals auch deswegen aufgehoben, weil es den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren als verfassungswidrig ansah. Die Plenumsentscheidung kommt nun zu einem anderen Schluss. Es wird nicht richtiger, weil nun 16 Richter so entschieden haben.
    Es handelt sich erst um die fünfte Plenumsentscheidung in der Geschichte des Gerichts – und um die weitaus wichtigste. Die bisherigen vier Plenumsentscheidungen betrafen verfahrensrechtliche Probleme. Zum ersten Mal entschieden sämtliche Richter des höchsten Gerichts gemeinsam in einer fundamentalen Verfassungsfrage – es ist keine gute Entscheidung.

    Die Verfassung nicht interpretiert, sondern verändert

    Der Spruch, dass viele Köche den Brei verderben, ist einer fundamentalen Verfassungsfrage eigentlich nicht angemessen, aber er stimmt. Die Köche hätten sagen sollen, ja sagen müssen, dass man in das Grundgesetz auch mit 16 Richtern nicht hineininterpretieren kann, was einfach nicht drinnen steht. Solch fundamentale Entscheidungen, wie sie jetzt das Verfassungsgericht getroffen hat, sind Sache des Verfassungsgesetzgebers. Die Richter haben das Grundgesetz fundamental geändert. Das war und ist nicht ihre Sache.
    “The Philosophers have only interpreted the world in various ways, the point however is to change it”: So steht das in goldenen Versalien auf dem Grab von Karl Marx in London. Die Verfassungsrichter haben mit ihrer Bundeswehrentscheidung die Marx’sche Devise im Verfassungsrecht praktiziert. Sie haben die Verfassung nicht interpretiert, sie haben sie geändert. Es ist dies ein juristischer Handstreich.
    Gewiss: Das ist Politik. Wer darüber entscheidet und entscheiden darf, was Politik machen darf und was nicht, macht Politik. Das Verfassungsgericht macht immer Politik, das gehört zu seinem Wesen. Aber in diesem Fall macht es falsche, abgrundtief falsche Politik.
    Der schwelende Konflikt zweier Senate am Bundesverfassungsgericht ist zu Ende. Der erbittere Streit in der deutschen Politik über die Auslegung des Urteils beginnt.

    (Mit freundlicher Genehmigung des Autors)

  56. Bernhard Romeike sagt:

    Das ist, mit Verlaub, eine eigenartige Argumentation. Erstens sind die Damen ja wohl volljährig, zweitens gibt es eine ganze Reihe junger Leute auch in Deutschland, die zwei Jahre und länger im Gefängnis sitzen. Die Frage ist, was war die Straftat, die solcherart geahndet wurde? War das Verfahren gemäß geltendem Recht? Gab es das Recht auf Verteidigung? Wieso die russische Justiz “Putins Justiz” sein soll, ist auch in der jetzigen Kampagne von niemandem ernsthaft belegt worden. Ist das gestrige Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Inlands-Einsatz der Bundeswehr “Merkels Justiz”?

  57. Marion sagt:

    Die Voraussage von Helge Jürgs haben sich ja prompt erfüllt. Nun ist für mich keine Frage, dass Putins Justiz eine antidemokratische und einschüchternde Rache betreibt, wenn man junge Menschen für zwei Jahre in ein Lager steckt. Und dass man auch international darauf mit Protest reagiert, ist gewiss richtig und notwendig. Es ist nur eben seltsam, dass massive menschrechtliche Solidarität im Westen fast nur immer losgetreten wird, wenn es um Rußland oder China geht. Ein Schelm, der arges dabei denkt.

  58. Helge Jürgs sagt:

    Man mag von der Aktion der drei russischen Punkerinnen mit dem lieblichen Bandnamen “Pussy Riot”, die nunmehr des “Rowdytums aus religiösem Hass” für schuldig befunden worden sind, halten, was man will – viel interessanter ist die Reaktion der deutschen Meinungsbildner darauf: Tägliche Meldungen über Prozessverlauf und Proteste, geschliffene Anklagen gegen Putin und seine Justiz. Die mediale Empörungswelle, die nach der Verkündung des Strafmasses über uns hereinbrechen wird, ist bereits im Anrollen. Dass soeben ein Gericht in Bahrein den Menschenrechtler Nabil Radschab wegen dessen Teilnahme an unerlaubten Protesten zu drei Jahren Haft verurteilt hat, war der heutigen “Berliner Zeitung” hingegen sechseinhalb Druckzeilen wert.
    Helge Jürgs

  59. Detlef Kannapin sagt:

    Denken wie im freien Fall

    Ja, richtig, Sloterdijk. Eine Hauptstadtzeitung, die für nichts mehr steht und also auch keine Bestimmung und damit sicher keinen Sinn mehr hat, besprach gestern eine der wohl überflüssigsten Veröffentlichungen unserer Zeit, die Tagebuchnotizen eben jener Modekarikatur namens Sloterdijk, die sich die Bezeichnung Philosophie aufpappt.
    Der Rezensent fragte: „Muss man das lesen?“ Und er antwortete sich selbst: „Unbedingt.“
    Es gibt eine Linie der Philosophie vom objektiven Idealismus zum dialektischen Materialismus, die gelesen werden müsste. Und zwar unbedingt.
    Stattdessen wurde der Kommentar der Zeitung so eröffnet: „Am 11. November 2009 hält sich Peter Sloterdijk in Wien auf. Er arbeitet an einem Vortrag über ‚Arabosphären‘ (?? – DK) in Abu Dhabi, in sein Tagebuch notiert er: ‚Der Blick in den Spiegel sagt dem Betrachter, unabhängig von Aufmachung und Tageszeit: Es musste wohl jemand geben, der so aussieht.‘“
    Ein wirklicher Kommentator hätte über einen wirklichen Philosophen geschrieben: „Am 11. November 2009 hält sich der Volkskommissar für die geistige Erneuerung Mitteleuropas, Genosse Foma Kinijajew, in Budapest auf. Er arbeitet an einem Vortrag über das neue Verfahren der verbesserten Aneignung hochkomplexer Anwendungen für die Gewährleistung des Vierstundentages, in sein Arbeitsheft notiert er: ‚Das Getute um das eigene Ich ist vollkommen belanglos.‘“
    Der Verfall des Geistes im Zustand seiner totalen Agonie äußert sich zuerst in der Sprache. Es heißt doch eigentlich korrekt: Es musste wohl jemanden geben…
    Schriftführer der Rezension: Dirk Pilz, Titel: Philosophie als Lagesbesprechung der Gegenwart. Der erste Band der Tagebücher von Peter Sloterdijk ist ein großartiges Porträt seines Denkens, Ort: Berliner Zeitung, Nummer 188, Montag, 13. August 2012, Seite 26.
    Der Pilz wird in Äonen als Marktschreiber untergehen, der Gebenedeite mit dem Stellenwert eines Gottlieb Hiller enden.

  60. Zitator sagt:

    “Ich bin froh, daß die deutsche Literatur in der zweiten Hälfte dieses ziemlich schrecklichen zwanzigsten Jahrhunderts einen solchen Dichter wie Strittmatter hatte, der von seinem Charakter her nicht besser und nicht schlechter war als neunundneunzig Prozent seiner Zeitgenossen. Nur, daß er eben auch noch ein großer Aufschreiber des Lebens der kleinen Leute gewesen ist”, schreibt Strittmatter-Biograf Günther Drommer in der “Jungen Welt”. Abgesehen von allen berechtigten kritischen Nachforschungen über das Sein und Lassen Strittmatters ist dieser einfache Hinweis darauf, dass sich so viele im Verhalten dieses Schriftstellers spiegeln könnten, wenn sie denn wollten, mehr als nur eine Marginalie.

  61. Zitator sagt:

    “Warum Hartz IV gelungen ist” überschreibt Autor Guido Bohsem in der “Süddeutschen Zeitung” einen Kommentar zum 10. Jahrestag der Schröderschen “Reform des Arbeitsmarktes”.
    “Hierzulande”, so Bohsem, “verbindet sich mit den Hartz-Reformen das Bild eines staatlich organisierten Sozialkahlschlags. Zu Unrecht, denn trotz vieler Fehler, Irrtümer und Mistigkeiten haben die Reformen den deutschen Arbeitsmarkt nachhaltig zu seinen Gunsten verändert.”
    Zwar sei auch richtig,dass mehr Arbeitnehmer als früher sehr wenig Geldverdienen, und viele Zeitarbeiter sich dringend einen festen Job und gleiches Gehalt für gleiche Arbeit wünschten und Langzeitarbeitslose vielfach nicht die Förderung erhalten, die ihnen einen Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verschaffen könnte. “Doch hat Hartz IV den Grundsatz verankert, dass es allemal besser sei, für weniger Geld zu arbeiten, als sein Leben in dauerhafter Abhängigkeit vom Staat zu fristen. Das ist ein Erfolg, den selbst die betroffenen Arbeitnehmer bescheinigen werden.”
    Eingeholt hat der Schreibtischtäter Bohsem diese Bescheinigung offenbar nicht.
    Inwieweit die SZ Guido Bohsem wenigstens ein kleines Honorar gezahlt hat, ist nicht überliefert; bereit dafür, auch für wenig Geld zu arbeiten, dürfte er ja sein.

  62. Alfons Markuske sagt:

    Ein Leser hat per Mail und vermittels Stilanalyse keck die Möglichkeit angedeutet, dass es sich bei der Zuordnung des “wichtigsten Beitrags” in Heft 16, dem “Gebet der Theresa von Ávila”, um eine Verwechslung oder etwa in der Art handeln könnte. Insbesondere provoziere die Fürbitte, von dem Drang befreit zu sein oder zu werden, “zu jedem Thema” etwas anmerken zu müssen, zu einer solchen Mutmaßung, denn sie wirke so, als habe die lange verschiedene Verfasserin gleichwohl profunde Kenntnis von der aktuellen literarischen wie auch journalistischen Szene in Deutschland.
    Der zuständige Redakteur der aktuellen Blättchen-Ausgabe konnte dem Einsender, der seinerseits mit der Szene nicht ganz unvertraut scheint, zwar dem Grunde nach zustimmen, verwies jedoch darauf, dass seitens der tatsächlichen oder vermuteten Verfasserin mit keinerlei urheberrechtlichen Einwenden zu rechnen sei, weswegen man den Fall auf sich beruhen lassen werde …

  63. Werner Richter sagt:

    Medienleuchten
    Albrecht Müller mutmaßte aus eigener Erfahrung in „Die Reformlüge“, selbst wenn ein Politiker den Irrsinn jetziger Austeritätspolitik, die den europäischen Volkswirtschaften in Konnexion von Großfondsmanagern Merkel, Juncker, Barroso u.a. , ihren institutionellen Lakaien Sinn, Miegel, Raffelhüschen und wie sie alle heißen, großindustriellen Lobbyverbänden, Banken, vorrangig deren „Chefvolkswirte“, und den öffentlichen wie privaten Medien mit permanentem Druck aufgezwungen und stur daran festhalten wurde (A. Müller: Berlin – eingemauert), plötzlich erkennen würde, könnte er nur unter Gefahr, vor allem von den Medien öffentlich hingerichtet zu werden, zur Vernunft umschwenken. Er wäre, auch nach Bestätigung der neuen Erkenntnisse durch die Realität, für immer erledigt. Man schert nicht ungestraft aus der Bande aus, auch Medienleute sind so eingebunden. Meine Neugier ist dem entsprechend darauf gerichtet: Wer aus den meinungsbestimmenden Kreisen hält als Erster dem Druck zwischen Doktrin und Realität nicht mehr stand und stellt die Frage nach der Richtigkeit der bundesrepublikanischen Wirtschaftspolitik.
    Es passierte, am 02.08.2012 rieb ich mir die Augen, Jörg Schönenborn, seines Zeichens Kommentator der ARD, bekannte überraschend seine inzwischen gewandelte Überzeugung, daß Festhalten an jetziger Wirtschaftsstrategie und diese selbst ein Irrtum seien. Nicht das übrige Europa und Übersee lägen falsch, sondern die Bundesregierung. Er fürchte die Katastrophe, würde am Neoliberalismus festgehalten werden, die Spareinlagen seien in Gefahr. Gerade die ARD bot bisher mit einem bunten Strauß von Meinungsklischees, Börsenberichten zur Vergöttlichung derselben, Expertenauftritte von Finanzlobbyisten, Kommentare zur Zementierung der neoliberalen Glaubensgrundsätze und Flankierung der dem entsprechenden Vorstöße der Bundesregierung. War dies jetzt ein Putsch oder ein Signal zum Schwenk um 18o °? Wir werden sehen. Skepsis ist angebracht, denn Schönenborn kommentierte in den „Tagesthemen“, also nach 23 Uhr. Es kann hier durchaus eine Alibimaßnahme nach bewährtem Muster lanciert worden sein: Wir haben doch (einmal) das Richtige gesagt.
    Die Berliner Zeitung vom gleichen Tag brachte einen Artikel zum Tode Gore Vidals. Gleiches Muster der „Würdigung“ ging auch in ARD und ZDF über die Bühne. Vidal sei einer der größten US-Schriftstellern gewesen, bei uns bekannt durch seine Exzesse, Homosexualität und ein paar Bücher, so die Reihenfolge. Die ernsthaften, unskandalösen Bücher, etwa „Das ist nicht Amerika!“, fanden keine Erwähnung. Seine Haltung zur US-Politik in den Kontext seines Lebensstils gebracht, diskriminiert seine Kritik, so entsorgt man elegant und üblich widersprechende Standpunkte in den Orkus und „würdigt“ zugleich einen Großen.
    Nein, die Medien werden nicht den Umfaller geben. Nur ab und zu werden wir überrascht werden, mehr als ein Wetterleuchten ist nicht zu erwarten, eben Medienleuchten.
    Bleibt nur noch die Hoffnung auf den Merkel’schen Fukoshima-Trick, aber der käme erst nach dem Euro-Crash, von Günter Reimann, dem Kenner der Weltfinanzen, schon 2004 befürchtet, also zu spät. Ob dann Merkel noch dabei sein würde, ist zu bezweifeln. Vielleicht macht es dann Steinbrück, die Skrupellosigkeit hat er auch.

  64. Es ist verdienstvoll, daß Gerhard Burow die “Systemfrage” stellt; es mag aber auch erlaubt sein, einige Punkte aufzugreifen, in denen er keine Klarheit schafft.

    Sehen wir einmal davon ab, daß die “Anglikaner” eine Religionsgemeinschaft sind, die von anderen Konfessionen an Geldgier vermutlich noch übertroffen wird. Aber droht uns nun die Hyperinflation, von der im selben Absatz die Rede ist, oder der “deflationäre Strudel”, der sich zwei Zeilen später auftut? Oder gleichen sich beide Effekte zur Zeit noch aus, so daß Banken und Regierungen weiterwursteln können wie gewohnt?

    Der Autor spricht vom “Bargeldbestand”, der im Umlauf ist. Für Marx war Geld eine werthaltige Ware; nicht mehr ganz junge Westdeutsche erinnern sich vielleicht an das silberne Fünfmarkstück, das bis etwa 1974 noch dieser Beschreibung entsprach. Was wir heute im Portemonnaie und erst recht auf dem Konto haben, sind also im Grunde nur Zahlungsmittel oder “Geldzeichen” – eine Unterscheidung, die zum Verständnis nützlich sein dürfte.

    Heute wird die Geschwindigkeit, mit der sich Transaktionen abwickeln lassen, als Ursache vieler Übel beschrieben. Aber schon Marx kannte den “Kreditschwindel” und beschrieb umgekehrt, wie man sich dabei die Langsamkeit der Nachrichtenübermittlung zwischen Indien und England zunutze gemacht hat. Vorbildlich ist auf jeden Fall immer noch sein Streben, das Wesen der Erscheinungen zu erkennen, statt an der Oberfläche zu verharren.

    Schließlich noch ein Wort zur “immateriellen” Produktivkraft Information: ist die denn ohne materielles Substrat denkbar? Es ist also die Informations t e c h n i k, mit der man heute menschliche Arbeit wegrationalisiert und damit einen Extramehrwert erzielt. Und diese grundlegende Antriebskraft des menschlichen Fortschritts hat ja ebenfalls schon Marx beschrieben.

  65. Wolfgang Brauer sagt:

    Die “Affäre Drygalla” ist mehr als nur ein Problem der Ruderin Nadja Drygalla aus Rostock. Ich denke, was dazu zu sagen ist, hat Petra Pau gesagt:

    Gehen Medaillen über alles?
    von Petra Pau (6. August 2012)

    1.
    Am 4. November 2011 wurde bekannt: Ein Nazi-Trio namens „NSU“ war jahrelang mordend und raubend durch die Bundesrepublik Deutschland gezogen. Sie richteten acht Bürger türkischer Herkunft und einen mit griechischen Wurzeln regelrecht hin. Zudem erschossen sie kaltblütig eine Polizistin. Ihr Motiv: rechtsextrem, germanisch-rassistisch.
    2.
    Ein Opfer wurde in Rostock umgebracht, Mehmet Turgut. Er wurde von der NSU-Bande am 25. 02. 2004 liquidiert. Inwiefern sie im Vorfeld Helfer vor Ort hatte, gehört zu den offenen Fragen. Dass es in der Hansestadt eine militante Neo-Nazi-Szene gibt, ist indes kein Geheimnis. Dazu gehört die Kameradschaft „Nationale Sozialisten Rostock“.
    3.
    Einer ihrer Aktivisten heißt Michael Fischer, ehemals Leistungssportler, Ruderer. Seit 2007 gilt er als bekennender Nazi. 2011 kandidierte er als NPD-Direktkandidat in Rostock. Legal und deswegen nicht zentral. Bemerkenswerter ist eine andere Geschichte. Sie datiert auf dem 25. 02. 2012. In Rostock wurde an die Ermordung von Mehmet Turgut erinnert.
    4.
    Nazis störten gewalttätig das Gedenken und legten sich zudem mit der Polizei an. Die Provokation ist dokumentiert. Aktiv dabei war Michael Fischer. Die Botschaft war klar ausländerfeindlich und nur schwerlich als Sympathie-Aktion für die NSU-Nazi-Mord-Bande zu verkennen. Es war ein menschenfeindlicher Skandal, der spät „berühmt“ wurde.
    5.
    Michael Fischer war ehemals ein geförderter Ruder-Kamerad der aktuellen Olympionikin Nadja Drygalla. Sie gilt seit längerem als seine Lebenspartnerin. Nadja Drygalla verließ am 2. August 2012 das Olympische Dorf in London. Vorausgegangen war ein Gespräch mit dem Chef der Deutschen Olympia-Mission, Michael Vesper.
    6.
    „Von nun an wird es oberfaul“, erklärte ich am Tag darauf. Denn die Verbindung Drygalla-Fischer war mitnichten neu. Nur jetzt, vor olympischer Weltpresse, wurde sie offenbar heikel, vordem nicht. Denn trotz alledem wurde die Ruderin „sportlich zur Olympia-Reife gefördert und in das deutsche Vorzeige-Team berufen“.
    7.
    Seitdem liefern sich Kommentatoren in den Medien zwei Debatten-Stränge: Wie konnte das passieren? Handelt es sich um Sippenhaft? Das Zweite wäre Unrecht, Punkt um! Das Erste bleibt offen, warum? Stattdessen werden Irrlichter gestreut. Fischer sei längst ein bekehrter Aussteiger, wird plötzlich nachgeschoben, höchst zweifelhaft.
    8.
    IOC-Vize-Präsident Thomas Bach kritisiert die Kritiker, wieso sie nicht vordem Alarm geschlagen hätten. Der Bund wollte nie gehört haben, was im Land Mecklenburg-Vorpommern unüberhörbar war. Der Sport schimpft auf die Politik und umgekehrt. Und die Bundeswehr wollte eine Sportförderung übernehmen, die von der Polizei abgebrochen wurde.
    9.
    Jeder sucht plötzlich sein Heil in der Flucht. So, als hätte es das NSU-Desaster nie gegeben. Das Grundgesetz wird bemüht, Artikel 5 oder Artikel 8. Sie gelten! Aber wie wäre es auch mal wieder mit Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar, aller. Der aktuelle Konflikt schwelte lange. Doch offenbar wollte ihn niemand wahrhaben.
    10.
    Meine Kontroverse heißt nicht Pau kontra Drygalla. Manche Medien hätten das gern. Ich nicht. Sie hat sich in der laufenden Debatte klar von rechtsextremen Haltungen distanziert. Das zählt. Mein Angelpunkt sind auch nicht die Schande-mails, in denen mich nun Demokratie-Wächter als totalitäre Faschistin beschimpfen.
    11.
    Mich nervt die immer noch zur Schau gestellte Naivität von Spitzenfunktionären, wonach Rechtsextremismus im Sport „selbstverständlich“ keinen Platz habe. Wie realitätsfremd darf man eigentlich sein. Oder gehen Medaillen über alles? Gerade der Sport ist ein gefragter Tummel- und Werbeplatz für rechtsextreme Kameraden.
    12.
    FFF, Fußball, Feuerwehr, Freizeit sind seit langem Begierden faschistischer Cliquen. Das ist kein Novum, das ist Strategie, nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Übrigens: Die kurzzeitige NSU-Spur ins Rechtsextreme galt politisch auch deshalb als lästig, weil 2006 die Fußball-WM in Deutschland froh lockte. Braune Schatten waren dabei unerwünscht.

    (http://www.petrapau.de/17_bundestag/dok/120806_an_dzygalla.htm)

  66. Stefan Herbig sagt:

    Zu den “griechischen Läuften”. Erhard Crome verweist auf Syriza und meint, dass “nun klar (ist), es gibt eine Alternative zur neoliberalen Kürzungspolitik. Sie kann jedoch nur zum Zuge kommen, wenn sie sich politisch artikuliert.”
    K l a r ist zunächst nur eines: dass es mit Syriza eine Kraft gibt, die sich gegen die neoliberale Lösung des neoliberalen Problems stemmt. Das ist ehren- und unterstützenswert. Inwieweit es damit aber eine realisierbare Alternative geht, ist dahingestellt. Ein Land allein kann sich den nach wie vor gegebenen Rahmenbedingungen neoliberaler Marktwirtschaft nicht wirklich entziehen. Und ein breiter Wille, diese Rahmenbedingungen radikal zu verändern ist meiner Wahrnehmung nach noch immer weit und breit nicht in Sicht.

  67. Literat sagt:

    Manche Leserbriefschreiber haben in rund zwanzig Jahren zu ergründen versucht, warum in „Neues Deutschland – Sozialistische Tageszeitung“ so häufig „Schütt“-Gut geboten wird. Wie bei großen Volumina verständlich, nicht immer in solcher Qualität, dass sie von allen und stets gleich günstig beurteilt wird. Zudem, bei aller Anerkennung, eine potente Allzweckwaffe hat eben auch viel Streuung – also unbenommen.
    Einige Beharrliche haben es wohl bis zur Leserbrief-Rubrik geschafft, sind dann aber von anderen Nutzern ob solcher ungehöriger Nachfrage des Platzes verwiesen worden. (Diese Sportassoziation habe ich doch glatt auch schon übernommen!)
    Bei der Suche nach Ergründung stieß ich auf eine Beobachtung von Joseph Eötvös (ungarischer Politiker und Schriftsteller, auch erster Kulturminister in Verbindung mit 1848): „Auf große Popularität kann nur derjenige rechnen, der seinen Zeitgenossen Gemeinplätze in volltönenden Worten zum besten gibt. Das Publikum liebt jene Schriftsteller am meisten, in deren Werken es seine eigene Weisheit anstaunen kann.“

    Um aber auf das ND und seine Allzweckwaffe zurückzukommen: In der jüngsten Wochenend-Ausgabe (04./05. August) fand ich in einer Kolumne aus deren Arsenal, „Brief aus London“ betitelt, eine treffliche Beschreibung gemäß der Erkenntnis, dass der Stil den Menschen charakterisiert: „Schleimen als gesellschaftliche Tätigkeit“.
    Allerdings nicht selbstkritisch bezogen; vielmehr wird dieser Art ein mutiger Angriff auf Russlands Präsidenten Putin so vorgetragen: „Der lederne, meist listig und lauernd verschlossene Russland-Chef zeigt in Abständen gern seine Wesenslust an der irdisch-politischen Heiligsprechung …“ Bekommen wir damit „nur mal so“ ein politisches Feindbild hingeschüttet, oder klingt da unterschwellig etwas von einer Typifikation durch, die in der deutschen Russland-Berichterstattung Konsens zu werden beginnt: Jeder deutsche Wolf darf, ja soll, vor allem bei großer Kunstfertigkeit, mit den Wölfen heulen.
    Es gibt, möglicherweise ungewollt, dennoch die positive Wirkung negativer Faktoren. Der „Brief aus London“ – Warum der Umweg ? Für diesen harschen Klartext doch unnötig! – endet folgendermaßen: „Nicht jede Weltmacht hat königliches Format.“ Wohl wahr. Immerhin bekommt Russland hier aber „Weltmacht-Status“ zuerkannt. Das könnte „Russlands Monarchen Putin“ dann wohl dem ND gegenüber versöhnlicher stimmen als manche Leser der Kolumne.

  68. Zitator sagt:

    “Kandidat peinlich” , überschreibt Spiegel-Online eine Resümee des ersten Auslandseinsatzes von Mitt Romney in Europa und Israel”.Das und Romneys bisheriger Wahlkampf wird in drei Urteilen zusammengefasst:
    Erstes Problem: Bei Multimillionär Romney ist alles Wirtschaft und sonst nichts.
    Zweites Problem: Mitt Romney ist ein übervorsichtiger Mensch.
    Drittes Problem: Romney ist nicht authentisch.
    Zitator hätte noch ein Problem hinzuzufügen, das leider von allen das größte ist: Romneys Kandidatur wird das ales nicht schaden. Denn das erste “Problem” ist ja zugleich sein Bonus: Die Wirtschaft steht hinter ihm. Und der sind Petitessen wie Übervorsicht oder Authentizitätsmangel ziemlich wurscht.

  69. Redaktion sagt:

    “Selbst Georg Schramm ist Opfer der Legende, wonach Johannes Rau Hildegard Hamm-Brücher als Bundespräsidentin verhindert habe”, stellt Wolfgang Lieb, Mitherausgeber der verdienstvollen Nachdenkseiten (www.nachdenkseiten.de), zum aktuellen Blättchen-Interview mit Georg Schramm fest und klärt aus Kennnissen erster Hand über die seinerzeitigen Vorgänge auf. Empfohlener Weise nachzulesen unter: http://www.nachdenkseiten.de/?p=13978
    Die Redaktion

  70. Jürgen Perten sagt:

    Das Interview mit Georg Schramm ist Spitze!
    J.Perten

  71. Zitator sagt:

    Unmittelbar nach einer einer Nazi-Kundgebung in Landsberg haben Ludwig Hartmann, bayrischer Landtagsabgenordneter der Grünen, und einige Mitstreiter des Landsberger “Bündnisses gegen Rechts” ein Transparent mit der Aufschrift: “Landsberg-Stadt hat Nazis satt” entrollt und sind daraufhin von Neonazis tätlich angegriffen worden.
    Seine Antwort auf die Frage, ob ihnen jemand geholfen habe: “Das ist es ja. Ein Zivilpolizist hat eingegriffen. Aber nicht gegen die Neonazis. Der hat uns das Transparent weggenommen. Seine Begründung: Er wollte die Lage entschärfen. Das muss man sich vorstellen: Da nehmen wir unser Recht auf eine Gegendemonstration gegen Neonazis wahr. Und dann nimmt uns ein Zivilpolizist, der sich nicht einmal ausweist, das Transparent weg. Statt dass er uns vor den Neonazis schützt, das war ein rechtswidriger Angriff gegen unsere Versammlungsfreiheit. Ein inakzeptables Vorgehen. Wir Gegendemonstranten waren lauter stadtbekannte Leute, Stadträte, Kreisräte, von der evangelischen Gemeinde.”

  72. Zitator sagt:

    Peter Scholl-Latour, ausgewiesener Nahost-Experte, hat dem Münchener Merkur ein interessantes Interview zu Syrien gegeben. Seine Antwort auf die Frage, wieviel Zeit er dem Assad-Regime noch gebe: “Viele Hunde sind des Hasen Tod. Der Umsturz und der Fall des Regimes erfolgen nicht von innen her. Er wird systematisch von außen betrieben. Assad hat natürlich im Land sehr viele Feinde. Aber so, wie der »Arabische Frühling« bisher verlaufen ist, würde sogar der sunnitische Mittelstand, der in Syrien sehr bedeutend ist, auf diesen Bürgerkrieg gerne verzichten. (…) “

  73. Die Bearbeitung Gerd Haffmans’ der Übersetzung Antonie Zimmermanns ist kein neues Gewand für Alice, sondern nur ein gewendeter alter Fummel, den man niemandem zumuten sollte. Näheres dazu habe ich in einem Nachtrag zu den “Bemerkungen zur Alice-Übersetzung” auf meiner Website (joergkarau-texte.de) dargelegt. Ob Christian Enzensbergers Übersetzung für Deutschland “gängig” ist, weiß ich nicht; sie sollte es jedenfalls nicht sein, weil sie – wenn überhaupt – nur wenig besser als die Zimmermannsche ist und seit eh und je völlig zu Unrecht gelobt wird. Wenn eine Übersetzung für Deutschalnd gängig sein soll, dann müßte es schon meine sein (zu finden auf meiner Website). Und ich hoffe inständig, daß sich Haffmans nicht auch noch an “Through the Looking-Glass” vergeht

  74. Zitator sagt:

    Aus einerm Text von Spiegel-Online zum Massaker in einem Kino bei Denver:
    “… Auch Aurora dürfte nichts ändern. Im Gegenteil: Vertreter der Waffenlobby traten im Fernsehen auf und behaupteten, es hätte wohl weniger Tote gegeben, wenn mehr Kinogänger bewaffnet gewesen wären. …”
    Und niemand jagt dieses Pack zum Teufel …

  75. Helge Jürgs sagt:

    Glaubenssache
    Kurienerzbischof Gerhard Ludwig Müller, einer der mächtigsten Männer der katholischen Kirche, hat in der „Süddeutschen Zeitung“ eine Gruppe von reformorientierten Priestern ermahnt, die sich beim Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene nicht mehr ans Kirchenrecht halten wollen. Laut Müller förderten diese “ein Kirchenbild, das davon ausgeht, dass die Menschen sich selbst ihre Kirche schaffen, nach eigenem Geschmack und jeweiligem Zeitgeist”. “Dies ist aber mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar”, so der neue Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan. Merkwürdig – das erinnert doch sehr an eine mittlerweile verflossene Glaubensgemeinschaft deren Präfekten einst mit Blick auf parteiinterne Kritiker des Realsozialismus von „Nörglern und Knieweichen“ sprachen, denen es gelte, in den Arm zu fallen. In diesem Falle mussten die Präfekten dran glauben, der Katholizismus ist da wohl beharrungs- und widerstandsfähiger.
    Helge Jürgs

  76. Zitator sagt:

    Heribert Prantl heute in der “Süddeutschen Zeitung”: ” … Es herrscht ein unglaubliches Durcheinander in den Behörden, die für die innere Sicherheit zuständig sind, das Bundesinnenministerium inbegriffen. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Schreien muss man. Es passieren so viele Pannen, dass es immer schwerer fällt, an bloße Schlamperei zu glauben – zumal bei der Erklärung der angeblichen Pannen fortlaufend neue Pannen passieren.
    Das Amt, das für Aufklärung im Inland zuständig ist, ist dazu offensichtlich nicht in der Lage. Der Verfassungsschutz und das Ministerium schneidern sich eine Burka aus Ausflüchten.”

  77. Zitator sagt:

    “… In der Debatte um die Beschneidung muslimischer und jüdischer Jungen geht es (…) nicht um Körperverletzung, nicht um das Erziehungsrecht der Eltern, nicht einmal um die Beschneidung selbst” folgert Christian Bommarius in der Berliner Zeitung schlüssig aus der Debatte von Gesagtem und Nichtgesagtem über die Beschneidung von Minderjährigen. “Unter dem Deckmantel einer juristischen Frage werden antiislamische und antisemitische Affekte erkennbar, die für das gesellschaftliche Zusammenleben bedrohlicher sind als jede religiös motivierte Zirkumzision. …”

  78. Zitator sagt:

    “Der Verfassungsschutz muss eine neue Schredderaktion einräumen”, vermeldet Spiegel-Online. “Auf Geheiß des Innenministeriums wurden weitere Akten über das rechte Milieu vernichtet – wieder nur Tage nach dem Auffliegen der NSU-Terror-Zelle. Hinweise auf das Killer-Trio sollen aber nicht gelöscht worden sein.”
    Ganz und gar liebreizend ist die Begrüpndung des Innenministeriums für das Schreddern: Es habe sich um eine “fristgerechte Sammelanordnung für Löschungsfälle nach Ablauf der Speicherfrist” gehandelt – geheimdienstlicher kann Herrschaftssprech nicht ausfallen. Nun müssen wir alle nur ganz fest daran glauben.

  79. Zitator sagt:

    “Die Bundesrepublik verdient beim Schuldenmachen Geld. Was bislang nur für kurzfristige Kredite galt, ist nun auch zum ersten Mal bei einer zweijährigen Anleihe geglückt. Statt den Anlegern eine Rendite zahlen zu müssen, kassiert der Bund eine Prämie.” (Spiegel-Online heute)
    Die finanzökonomischen Gesetze gehören umgehend neugeschrieben: Zu diesen Konditionen verleihe ich mein Geld ab sofort auch. Mal sehen, welcher Staat, zumindest aber welche Bank die Chance nutzt und sich als erste/r bei mir meldet.
    Ich lasse das “Blättchen”-Leser dann uneigennützig auf diesem Wege wissen.

    • Stefan Herbig sagt:

      Womit man erneut sehen kann, dass Deutschland wie kein zweites Land in Europa von der Schuldenkrise profitiert.

  80. HWK sagt:

    Die Staatssicherheit hat bekanntlich angefangen, Akten zu schreddern, als Ihr Ende in naher Aussicht stand. Es wäre eine sehr angenehme Umkehrung der Abläufe, wenn das Aktenschreddern ohne Existenznot nun das Ende des Verfassungsschutzes einläuten würde. Soviel zu meinen naiven Träumen …
    HWK

  81. Erhard Weinholz sagt:

    Theodor Heuß wurde 1954 von CDU, CSU, DP, FDP und SPD vorgeschlagen; Richard v. Weizsäcker 1984 tatsächlich nur von CDU und CSU, 1989 aber war er der Kandidat von CDU, CSU, FDP und SPD (Quelle: http://www.bundestag.de).
    Zu „ …standen die Gründer langsam gerührt auf…“: Das Problem ist doch nicht die Bedeutung, sondern die Verknüpfung der Wörter „langsam“ und „gerührt“. Das „langsam“ bezieht sich hier nämlich nicht auf das Aufstehen, sondern auf „gerührt“. Langsam gerührte Gründer standen also auf, und deshalb meine Frage, ob es sich vielleicht um Teigfiguren handele.
    Zu „ …. mehr Einheit produzierte, als jemals mit einer Regierungskoalition seit Beginn der Bundesrepublik erreicht worden ist, mag sie auch noch so groß gewesen sein…“: Einmal abgesehen davon, dass Staaten nicht zu „beginnen“ pflegen, auch hier ein Verknüpfungsproblem – der Nebensatz bezieht sich, grammatikalisch betrachtet, auf das letzte weibliche Substantiv des Hauptsatzes, das im Singular steht, und das ist „Bundesrepublik“. Weshalb ich auch gefragt habe, ob sie früher mal größer gewesen sei .
    Noch etwas dieser Art findet sich übrigens gleich im ersten Satz Ihres Textes: „ … aus dem zu ersehen, was die Junge Freiheit nicht nur vom neuen Bundespräsidenten erwartet…“. Von wem erwartet sie denn sonst noch etwas in dem Zusammenhang? Das „nicht nur“ soll sich auf „erwartet“ beziehen, tut’s aber nicht, bezieht sich vielmehr auf „Bundespräsident“, weil es an der falschen Stelle steht.
    Zuletzt noch: Was die langsam gerührten Gründer betrifft, da habe ich mich sicherheitshalber bei der Duden-Sprachberatung erkundigt, zu erreichen Di. bis Fr. 9 bis 17 Uhr, 09001870098, Ergebnis s.o.

    MIt freundlichen Grüßen: Erhard Weinholz.

    • Sehr geehrter Herr Weinholz,

      haben Sie eigentlich keine Bedenken, daß die Leser Ihrer Kommentare langsam erbost reagieren könnten? Was Sie bemängeln und gewollt mißverstehen, setzt “Korff” nach meiner Auffassung bewußt als Stilmittel ein: Ambivalenz.

      Sie verfügen, das Wort langsam beziehe sich nicht auf das Aufstehen, sondern auf “gerührt”. Kann es das überhaupt? Sie nehmen die ursprüngliche Bedeutung wörtlich – aber auch mit der rührendsten Geschichte werden Sie keine Sahne schlagen können. Hier wird das Wort nicht nur im übertragenen Sinne, sondern auch in adjektivischer Bedeutung verwendet. Und darauf wollen Sie ein Adverb beziehen?

      Die Formulierung von “Korff” hat den Vorzug, daß sie einen logischen Zusammenhang suggeriert: die Gründer standen langsam auf, wobei klar wurde, wie sehr sie gerührt waren. Sollten Sie das allerdings schöner finden als das – für mich sehr gelungene – Original, dann haben wir nicht das gleiche Stilempfinden.

      Zum nächsten Beispiel: warum soll sich der Nebensatz auf eine adverbiale Bestimmung beziehen und nicht auf das Subjekt des Hauptsatzes – das allerdings, da dieser im Passiv steht, durch einen präpositionalen Ausdruck angegeben ist. Das ist gewiss kein einfacher Satz – aber einfache Sätze werden Sie von “Korff” auch nicht verlangen.

      Letzten Endes zeigt die Debatte nur, daß zum Sprachverständnis auch Kontextwissen gehört; wenn man das verleugnet, wird die Kommunikation schwierig.

      Mit freundlichen Grüßen
      Bernhard Mankwald

  82. Sven Bradtke sagt:

    Ich lese Euch schon lange und gern, muss aber mal sagen, dass Ihr immer noch besser werdet.
    Sven

  83. Zitator sagt:

    Friedrich Küppersbusch in der Taz auf die Frage, ob die Attacke der “Experten” um Hans-Werner Sinn auf Angela Merkel das Pozenzial zu einem Big Bang habe: 170 deutsche Wissenschaftler und Ökonomen attackieren die Europolitik von Kanzlerin Merkel. Hat dieser Aufruf das Potenzial zum Big Bang?

    “Es handelt sich um eine Selbstbezichtigung jener Sekte, die bis zum Vorabend der Bankenkrise höhere Bankergehälter und weniger Regeln für Zocker gefordert hatte. Vorneweg Premiumschlumpf Sinn: Sein Ifo-Institut wird von Bund, Ländern und Leibniz-Gesellschaft finanziert, den Rest bringen Drittmittel – in der Regel vom Staat. Sinn hat das Konzept des mittelalterlichen Weltuntergangspredigers in die Talkshows übertragen und erklärt dort jederzeit ungefragt, wie man aus Gold Stroh machen kann.” (…)

  84. Zitator sagt:

    Heribert Prantl in der heutigen “Süddeutschen Zeitung”: “Gegen die Meldepflicht ist nichts einzuwenden, gegen das Meldegesetz sehr wohl: Die vom Staat erhobenen Daten sollen Adresshändlern, Inkassounternehmen und der Werbewirtschaft zur Verfügung stehen, der Bürger allerdings soll dagegen kein klares Recht auf Widerspruch haben. Doch damit veruntreut der Staat die Daten seiner Bürger – und offenbart ein grundgefährliches politisches Bewusstsein.”

  85. HWK sagt:

    “Dort, wo es absichtliche Verfehlungen gegeben hat, werden knallharte Konsequenzen gezogen”, hat Innenminister Friedrich in Sachen Geheimdiensteskandal bei der “Aufklärung” der NSU-Verbrechen angekündigt. Mal sehen, ob “knallhart” ernster zu nehmen als “brutalstmöglich”.
    HWK

  86. Erhard Weinholz sagt:

    Betr.: Korff-Beitrag in Nr. 12/2012
    Daß es bei der Gauck-Wahl 2012 erstmals in der Geschichte zu einem “Einheitskandidaten” der großen Mehrheit der Parteien kam, stimmt m.E. nicht. Theodor Heuss wurde 1954 von CDU/CSU, FDP und SPD im 1. Wahlgang mit 85,6% der Stimmen gewählt, Richard v. Weizsäcker 1984 und 1989 von den Vertretern der gleichen Parteien ebenfalls im 1. Wahlgang mit 80 bzw. 85,9%.
    Interessieren würde mich zudem, was die Wendung “unter des Grundgesetz-Himmels” bedeutet, was eine überbordende Demokratie ist, wie man eine Stimme an die kurze Leine legen kann, wie Leute langsam gerührt aufstehen können (handelt es sich vielleicht um Teigfiguren?), was es bedeuten soll, daß in Politik und Gesellschaft “Ewigkeiten gelten”, ob die Bundesrepublik früher vielleicht mal größer war (“…als jemals mit einer Regierungskoalition seit Beginn der Bundesrepublik erreicht worden ist, mag sie auch noch so groß gewesen sein”), seit wann der Ausdruck “mit etwas bei jemandem sicher sein” in unserer Sprache üblich ist….?
    Hinweisen möchte ich darauf, daß der Halbsatz “Am 17. 8. 56 wurde die KP verboten und mit ihr nicht nur zahlreiche Einheits- und Friedensorganisationen;…” grammatikalisch falsch ist, daß es “Quantité negligeablé” heißen muß, daß der Satz “Neben einem seit langem anwachsenden Nichtwählerpotenzial sind ist der Zulauf zu den Piraten das jüngste Achtungssignal in dieser Richtung” nicht nur ein Hilfsverb zu viel enthält, sondern auch unlogisch ist… na gut, genug davon.

    • Korff sagt:

      Zunächst Dank, Herr Weinholz, dass Sie sich auch noch nach drei Wochen mit meinem Beitrag beschäftigen. Ich bin jedoch betrübt, wenn auch gerührt ob Ihrer Nachfragen zu Aspekten, die sich Ihrer wohlwollenden Vorstellungsbereitschaft entziehen – etwa das literarische Bild, „wie Leute langsam gerührt aufstehen können“.
      Also – „langsam“ ist der Begriff für ein Bewegungstempo und nach meinem Sprachempfinden allgemein verständlich; „gerührt“ sein gehört entgegen Ihrer Vermutung nicht vorzüglich zur Teigwarenproduktion – wenngleich auch, aber da muss man bei einem politischen Text erst mal draufkommen(!),– sondern zu den wissenschaftlich so genannten Grundemotionen. Näheres beim Wortprofil „Rührung“ im digitalen Wörterbuch zur deutschen Sprache. Oder in dieser Definition: „Rührung – als innere Ergriffenheit – stellt […] eine tendenziell freudige positive Emotion des Mitfühlens und der Wertschätzung von anderen Menschen dar“ und setzt „soziale Kompetenz und ein durch Zuneigung geprägtes Verhältnis“ voraus. (Birgit Kinateder, in Television, 24/2011/1, S. 11) Diese Wirkung tritt offenbar nicht bei allen kritischen Kritikern ein; deren abweichende Empfindung also besondere Aufmerksamkeit und Wertschätzung erheischt.
      Was das historische Ereignis anlangt – ich denke, es ist technisch vorstellbar, angefüllt mit positiven Emotionen langsam aufzustehen; dann wäre es auch zulässig, solche Wörter dafür zu gebrauchen, ohne der deutschen Sprache einen Tort anzutun. (An dieser Stelle zusätzlich Dank für Ihre Aufmerksamkeit hinsichtlich des „e“, das die Redaktion beim Gebrauch des Französischen eingespart hat, was m. E. für das inhaltliche Verständnis keinen schwerwiegenden Nachteil bedeutet und bei Wohlwollen als Schreibfehler durchgehen könnte.)
      Nun zu Ihren bedenkenswerten inhaltlichen Hinweisen, die eine ernstliche Reaktion überhaupt bedingen. Sie geben korrekt das Wahlergebnis für Prof. Dr. Theodor Heuss (der am 23. März 1933 als Reichstagsabgeordneter dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt hatte) an. Bei mir ging es allerdings um das Procedere der Kandidatenauswahl im Falle unseres derzeitigen Bundespräsidenten, nicht um Wahlergebnisse.
      Bei Heuss waren die Gegebenheiten anders: „In der Bundesversammlung verfügten CDU/CSU […] über eine deutliche absolute Mehrheit. Angesichts dessen verzichtete die SPD […] auf einen eigenen Wahlvorschlag […].“ (Wikipedia, „Wahl des deutschen Bundespräsidenten 1954“) Also ein taktisches Verhalten der SPD, nicht Zustimmung, dies sei auch ihr Kandidat. Ähnlich mit Bundespräsident Richard v. Weizsäcker bei beiden Wahlakten, als die CDU/CSU Wahlmänner und -frauen ebenfalls über die absolute Mehrheit verfügten und zusätzliche Stimmen (weil ohne die „Fraktionsleine“ wie bei sonstigen Stimmabgaben) zutreffend vermutet wurden. Aber auch hier: v. Weizsäcker war der CDU/CSU Kandidat, nicht zugleich der anderer Parteien.
      Was von mir behandelt wurde, ist also ein anderes Thema – nämlich die im Falle Gauck bereits im Vorfeld gerade auch durch die Massenmedien erfolgte „Kür eines gemeinsamen Kandidaten der Herzen“, womit eine „Auswahl“ im Sinne des Begriffs obsolet und die Bestallung des von diesem Konglomerat (in der Wirtschaft steht das auch für„Mischkonzern“!) Erwählten gesichert war. Und auf diesen Sachverhalt bezieht sich auch der von mir gewählte Begriff einer „großen Regierungskoalition“, nicht auf die Größe bzw. das Volumen der Bundesrepublik. Muss man das als kritischer Leser missverstehen? Manche konnten meinem Anliegen folgen, wohl auch, weil sie diesen Aspekt interessant fanden. …
      Leicht zerknirscht lerne ich dennoch aus Ihrer erneuten Einlassung zu meinen Texten: Als Autor – Sie sind ja selbst ein erfahrener, wenngleich mehr im emotionalen Genre mit Rührungseffekten tätiger Beschreiber persönlicher Episoden – muss man mit allen rechnen.
      Und so verbleibe ich gern mit kollegialer Empfehlung!

  87. Pistepirkko sagt:

    Diese Zeiten die wir haben sind doch gewollt von allen Menschen, denn ansonsten wären doch eine andere Politik an der Macht.
    Ich bin erst in der Mitte des Lebens und habe nur reaktionäre Bundeskanzler kennengelernt.
    Alle sind den Neokons seit den 1970igern hinterhergelaufen.
    Also bitte löffelt eure Suppe aus, und zwar hurtig!

  88. Zitator sagt:

    Heiner Geißler, “Die Siegessäule ist das dümmste Denkmal, das in Deutschland herumsteht”, haben Sie mit Bezug auf die wilhelmischische Hinterlassenschaft im Berliner Stadtzentrum geäußert. Wir lassen es dahin gestellt, ob das frischvergoldete Bauwerk diesen Absolutheitsanspruch erfüllt; falsch würde aber Ihr Urteil auch dann nicht, wenn sich noch Dümmeres fände, wofür es bei deutscher Denkmalskultur gute Hoffnungen gibt.

  89. HWK sagt:

    Gesundheit!

    Wenn das nicht prächtig korreliert: Die dicken Deutschen werden noch dicker. Es gibt immer mehr erwachsene Diabetiker. Junge Menschen sind depressiv, ältere leiden unter Burnout. – Das jedenfalls hat soeben das Berliner Robert-Koch-Institut in der größten einschlägigen Studie seit 1989 resümiert. „Das was wir heute vorstellen, ist nur die Spitze des Eisbergs“, hat Bärbel-Maria Kurth, Leiterin der Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung am RKI, diese Ergebnisse kommentiert und für Mai 2013 angekündigt, repräsentative Untersuchungsdaten auch andere Gesundheitsfelder wie Bluthochdruck, Allergien usw. vorzulegen. Dazu passt großartig die am gleichen Tag verbreitete Meldung, dass sich die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland bald drastisch verringern wird, denn fast jeder sechsten der mehr als 2000 Kliniken unseres schönen Gemeinwesens droht die Pleite.

  90. Bernhard Kästner sagt:

    Hayns klare Kante ist leider verdient, auch wenn der Beitrag nicht alle Nuancen des peinlichen Polittheaters abdecken kann. Mir ist dazu übrigens Büchner eingefallen, der einst aufforderte: „Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden.“ Wie zeit- und ortlos wahr!

  91. Marion Zeller sagt:

    Liebes Blättchen, ich habe Dich leider erst Anfang dieses Jahres entdeckt, möchte aber hier mal sagen, wie froh ich darüber bin: super Artikel: intelligent, bildend, anregend, unterhaltsam. Schade, dass es das nicht gedruckt gibt.
    Zur neuen Ausgabe (Spitze!) möchte ich aber mäkelnd anmerkend, dass der Beitrag über die Rolling Stones ja gut gemeint sein mag – aber dass er sich weitgehend in der Wiedergabe des längst bekannten Werdegangs der Band erschöpft, ist für Blättchen-Verhältnisse eher dürftig.
    Dennoch: Ihr seid ein Beispiel dafür, dass wirklich gute Publizistik möglich ist. Macht bitte weiter so.
    Marion Z.

  92. Werner Richter sagt:

    Liebe Blättchenfreunde, ich konnte nicht an mich halten und mußte meinen Frust gegenüber den Zumutungen der öffentlich-rechtlichen Talkshows ablassen. Nachfolgendes habe ich an die Illner übere facebook geschleudert, Euch zur gefälligen Kentnis:
    Verehrte Frau Illner, den Mitstreitern zur freundlichen Kenntnis,
    von Beginn an sah ich Ihre Sendung und in ihr ein großes Potential zur Grundgesetzauftragserfüllung. Jetzt treibt mich Sorge, nicht um Sie, sondern um mich. Als alter Knabe muß ich das Problem lösen, die restlich mir verbleibende Zeit nicht mit Banalitäten zu vertrödeln. Die Information über das Fernsehen ist ein wesentlicher Teil meines Navigationssystems. Leider wird die Anzahl der Sendungen im Öffentlich-Rechtlichen, die dazu taugen, immer weniger, die Talk-Runden sind inzwischen zu Propadandablasenablaßveranstaltungen für alle Schattierungen von oft fragwürdigen Personen geworden. Echte Fragen, die die Stellungnahmen zu Sachfragen erzwingen, wurden rar, die Absicht der Politiker u.a., ihre Manipulationsstatements und sonst nichts zum x-ten Mal in die Luft zu blasen, wird weitgehend toleriert. Ich verstehe Sie schon, Sie sind auch mächtig abgedriftet, es gibt immer einen Kampf zwischen journalistischem Auftrag und Darstellung der Selbstbedeutung und leider wurde im Laufe der Zeit über das gegenseitige Promotion, du in meiner, ich in deiner Sendung, zum Hauptentwicklungselement der Talk-Sendungen und damit die Selbstbedeutung zum dominierenden Teil. Klar, nicht jeder ist zum Märtyrer geboren und das Schicksal von „Zack“ ist Warnung genug. Es bleibt Ihre Entscheidung, welchen Weg Sie gehen.
    Ich aber habe das Problem, so zeitig wie möglich den Sinn oder Unsinn der kommenden Sendung zu erkennen, um ohne Verlust wegschalten zu können. Hier könnten Sie mir entgegen kommen. Es vergeht stets erheblich Zeit, bis ich die Übersicht über die teilnehmende Personen und deren Hintergründe gewinnen kann, die Untertitel mit der angeblichen Meinung des Delinquenten sind da zu kurz zu sehen, zu nebulös formuliert und damit nicht ausreichend. Können Sie nicht den Köpfen der Runde eine kurze prägnante Charakteristik in Form eines immer eingeblendeten Schildchens auf den Tisch stellen? Ich denke da z. B. an Oswald Metzger: „INSM-Botschafter, Mietmaul („INSM-watch“), bar jeder Sachkenntnis, vielseitig verwendbar“, Olaf Henkel: „Laiendarsteller, spielt den unabhängigen Experten sehr überzeugend, versteht es brillant, die Meinung seiner Auftraggeber aus der Finanzwelt mit hohlen Phrasen als wissenschaftlich belegte Thesen ohne Theoriekenntnisse zu verkaufen, INSM-Botschafter“, Arnulf Baring: „Professor aus Versehen, bringt seine hinterwäldlerischen Ansichten als intellektueller Tiefflieger unbeirrt unter die Leute, von sich unerschütterlich überzeugt, INSM-Botschafter“, Werner Sinn: „INSM-Botschafter, belegt gegen besseres Wissen institutionell jede politisch vorgegebene Theorie, auch die neoliberalen nicht beweisbaren Glaubensgrundsätze gekonnt als wissenschaftliche, unberührt vom Scheitern seiner vorangegangenen Prognosen, nimmt dann einfach die nächste, auch wenn sie bisherigen widerspricht und ohne selbstkritische Attitüde“.
    Der Aufwand wäre sehr gering, da diese Personen sowieso zu jeder Talk-Show eingeladen werden und die Schilder mehrfach benutzt werden könnten. Sie müssen nur noch zur Kontrolle der Aktualität vorher die INSM-watch-Seite kontaktieren, wer der aktuelle Auftraggeber der jeweiligen Person ist.
    Sie könnten mir damit enorm helfen.
    P.S. Sind Sie Zyniker? Müssen Sie sich selbst so erniedrigen? Haben Sie eine leise Vorstellung von der Gefühlswelt eines zufällig in der DDR aufgewachsenen, nie angepaßten Intellektuellen, dem dieser Schwachsinn von dilettantischen Meinungsführern zugemutet wird?
    P.P.S. Wären Sie so lieb, Ihren Quasi-Kollegen Plaßberg, Jauch, Will, das Obige mal zur Kenntnis zu geben? Meine Zeit, wissen Sie, ist für Banalitäten zu schade. Ich weiß, dahinter steckt Sinn, Ablenkung vom Wesentlichen zu schaffen, das machen auch Sie richtig gut. Aber helfen Sie mir bitte ausnahmsweise.

  93. Lars Stegmann sagt:

    Ein sehr informatives und aufschlussreiches Interview mit Egon Bahr! Eine kleine Korrektur dazu ist allerdings erforderlich: Dass west-alliierte Truppen nicht dauerhaft auf dem Gebiet der ehemaligen DDR stationiert werden können, ist – ebenso wie die Nicht-Stationierung von Atomwaffen auf diesem Territorium – Teil der 2plus4-Vereinbarungen.
    L. Stegmann

  94. Zitator sagt:

    Winner of points,
    oder
    Lange nicht so gelacht:

    “Dieser Plan gefällt der Autolobby: Die EU-Kommission will den europäischen Herstellern bei der Berechnung des CO2-Ausstoßes entgegenkommen. Ein mögliches Szenario: Wenn die Konzerne Kurse für spritsparendes Fahren anbieten, können sie die Grenzwerte drücken.” (Quelle: Spiegel-online)

  95. Detlef Kannapin sagt:

    Zwar sind Blättchen-Leserinnen und -Leser im Allgemeinen der Gattung homo politicus zugehörig, aber das schließt – nach einschlägiger Auffassung der Experten – eine parallele Verhaftung in der Spezies homo ludens keineswegs aus. So steht zu befürchten, dass diese oder jener aus der Blättchen-Gemeinde auch dem König Fußball zugetan ist. Diesen empfehlen wir, spätestens hier die Lektüre zu beenden, um sich der Überraschung und des Vergnügens an der sogleich beginnenden Fußball-EM nicht zu entheben. Deren Ergebnis nämlich lüften wir hier – und zwar nicht aus dem Kaffeesatz, sondern mit wissenschaftlicher Akribie. Und wir tun dass schon heute, weil die nächste reguläre Ausgabe erst am kommenden Montag erscheinen wird. Dann jedoch ist jede konkrete EM-Prognose vielleicht schon Realität – oder Makulatur …

    Die Redaktion

    Das war die Fußball-EM 2012

    von Detlef Kannapin

    Angesichts des nahenden philosophischen Großereignisses anbei die wissenschaftliche Vorabeinschätzung zu Verlauf und Ausgang der Fußball-EM 2012. Es ist festzuhalten, dass diese Beurteilung auf den objektiven Prämissen des dialektischen Materialismus basiert und daher bereits von sich aus Validität beansprucht.
    Allgemeines:
    Das Teilnehmerfeld ist potentiell sehr ausgeglichen. Unklar ist nur, auf welchem Niveau. Gruppe B ist sogar auf allen vier Ebenen als absolut gleichstark einzuschätzen. Von den Teams, die aufgrund destruktiver Grund- und Spielhaltung garantiert kein Weiterkommen erreichen werden, dürfte Griechenland wie schon 2010 die Spitze stellen, wie immer vor Kroatien.
    Die Transformationsländer haben auch 23 Jahre nach der selbst organisierten Wende den spielerischen Aderlass des Zerfalls nicht verkraftet (siehe UdSSR, CSSR, Jugoslawien).
    Wenn Spanien nicht Europameister wird, ist das Gerechtigkeitskontinuum außer Kraft gesetzt worden. Die Rangeleien dahinter gelten als universell unerheblich.
    Die Gruppen im Einzelnen:
    A:
    – Polen hat als Gastgeber gute Chancen auf das Viertelfinale. Ein Supertorwart und die Dortmund-Connection müssten dafür reichen. Allerdings fehlt eine solide zweite Reihe, um Ausfälle zu kompensieren.
    – Griechenland hat bei diesem Turnier nichts zu suchen.
    – Russland dürfte ohne Probleme weiterkommen. Allerdings sollte die Mannschaft schnell führen, da sie bei Rückständen zu lange braucht, um umzuschalten.
    – Tschechien ist leider nicht konstant genug, um die gute EM-Tradition der letzten Jahrzehnte fortzusetzen. Außerdem droht im Viertelfinale gegen die Niederlande ein italienischer Schiedsrichter, der den Tschechen noch nie wohlgesonnen war.
    B:
    – Die Niederlande spielen mit einer unansehnlichen und gleichzeitig falschen Taktik, nämlich defensiv. Gerade die Abwehr ist aber anfällig, während sich Mittelfeld und Angriff gelangweilt auf den eigenen Füßen stehen. Da der Ball aber doch ab und zu nach vorn kommt, übersteht man die Vorrunde.
    – Dänemark muss Spaßfußball spielen, um durchzuhalten. Das könnte aber funktionieren.
    – Portugal darf gegen Deutschland zum Auftakt nicht verlieren, dann ist die Perspektive gut bis sehr gut.
    – Deutschlands Hauptproblem ist seine attraktive Spielweise. Seit der Gurkenfußball passé ist, bleibt auch der Erfolg aus. Immer dann stark, wenn mit Überfalltaktik in den jeweils ersten 20 Minuten operierend, hilflos dann, wenn das defensive Mittelfeld des Gegners funktioniert (siehe Testspiel gegen Frankreich).
    C:
    – Spanien kann sich nur selber schlagen, sollte jedoch vorsichtshalber mit zwei Stürmern spielen, um Villa zu kompensieren.
    – Italien (= Italien 1) hat sich immer noch nicht ganz entschieden, zum Catenaccio zurückzukehren, und wird deshalb nichts reißen.
    – Irland (= Italien 2) ist durch den italienischen Trainer dazu verdammt, nach jedem selbst geschossenen Tor sich in den eigenen Strafraum zurückzuziehen. Außerdem überaltert und analog zur Eishockeynationalmannschaft von Lettland zu betrachten.
    – Kroatien (= Italien 3) hat vom jugoslawischen Fußball die Härte und Unbeherrschtheit übernommen und dafür komplett den Esprit vergessen. Spaltertruppe mit reaktionärem Parteiprogramm.
    D:
    – Frankreich ist auf dem Weg zurück zu alter Stärke. Was aber nicht heißt, dass daraus Ansprüche erwachsen. Im Notfall darf es auch ein Vorrundenaus sein (allein schon wegen Ribery als agent provocateur).
    – Die Ukraine ist im Normalfall ohne Chance, es sei denn Oleg Blochin kann mitspielen und mit sich selbst alle seine früheren Kumpel verjüngen. Der Heimbonus ist durch den Nationalismus entwertet.
    – Schweden kann mithalten und vielleicht bei guter Führung das Halbfinale bereichern.
    – In dieser Gruppe darf nichts auf Kosten Englands geschehen.
    Den Titelträger habe ich benannt. Alles Weitere ist rein spekulativ und durch keine wissenschaftliche Methode gedeckt.

  96. Korff sagt:

    Wie war doch vor kurzem die Journaille über Grass’ Israel-Gedicht hergefallen, in dem er u. a. geschrieben hatte: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, und in dem er den Beitrag der Bundesrepublik dazu dahingehend benannte, dass „aus meinem Land […] ein weiteres U-Boot nach Israel geliefert werden soll, dessen Spezialität darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe dorthin lenken zu können, wo die Existenz einer einzigen Atombombe unbewiesen ist“.
    Und nun dieses – der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak sagt gegenüber dem Spiegel: „Die Deutschen können stolz darauf sein, die Existenz des Staates Israel für viele Jahre gesichert zu haben“, und meint dem Nachrichtenmagazin zufolge damit die Armierung der von Deutschland gelieferten U-Boote mit nuklearen Cruise Missiles. Erst kürzlich wurde die Übergabe eines sechsten Schiffes vereinbart, bei dem der deutsche Steuerzahler auch noch ein Drittel des Kaufpreises tragen wird, 135 Millionen Euro.
    Und was den gerade beendeten Staatsbesuch des Bundespräsidenten in Israel anbetrifft: Da hat sich ein Deutscher wohl seine Portion Stolz gleich mitgebracht? Oder hat ihn die israelische Regierung wegen mangelnder Vertrauenswürdigkeit etwa gar nicht informiert? Das müsste er dann rasch ändern – am Besten durch weitere antiiranische Äußerungen.

  97. Zitator sagt:

    Kurt Kister in der “Süddeutschen Zeitung”:

    Zurzeit ist die Linkspartei nichts weiter als eine instabile Fusion aus der ostdeutschen Identitätspartei PDS und dem westdeutschen Protestverein WASG – und sie ist dabei, in ihre Einzelteile zu zerfallen. Die Ironie der Geschichte: Die SPD kann das vielleicht verhindern. Denn echte Linke laufen dann zur größten Form auf, wenn sie sich gegen ihrer Meinung nach falsche Linke wenden können.

  98. Waldemar Landsberger sagt:

    Wie Bartsch lügt
    In der „jungen Welt“ vom 1. Juni 2012 ist ein Interview mit Dietmar Bartsch nachzulesen. Zu der Feststellung – wie in meinem Blättchen-Artikel vom 28. Mai –, dass er für das miese Wahlergebnis der PDS von 2002 verantwortlich ist („Mister Vier Prozent“), während die fast zwölf Prozent der Linken von 2009 mit Oskar Lafontaine verbunden sind, meint er: „Das ist einer der dümmsten Vorwürfe, die ich kenne – ich war nämlich sowohl 2002 als auch 2009 Bundesgeschäftsführer und Wahlkampfleiter. Insofern sind die 11,9 Prozent auch mit meinem Namen verknüpft.” Dass er in beiden Fällen Bundesgeschäftsführer war, hatte niemand bestritten. Der Unterschied ist nur, 2002 hatte er gegen die Vorsitzende Gabi Zimmer intrigiert, weil er auf den Vorsitzenden-Platz wollte, und damit die Partei geschwächt – das Wahlergebnis war die Folge dieser herbeigeführten Schwächung, nicht die Ursache. 2009 dagegen war er der von Lothar Bisky geholte Bundesgeschäftsführer, der bis 2010 neben Oskar Lafontaine Vorsitzender der Linken war, und Lothar Bisky hatte er auch treu gedient, bevor der den PDS-Vorsitz an Gabi Zimmer übergeben hatte. Bartsch hatte also 2002 und 2009 bei formal gleicher Funktion völlig unterschiedliche Rollen gespielt. Vor diesem Hintergrund ist es Anmaßung, wenn er das Wahlergebnis von 2009 für sich in Anspruch nimmt. Die Bartsch-Intrigen begannen beide Male mit dem Abgang von Lothar Bisky.
    Auch in der „Frankfurter Rundschau“ (1. Juni) findet sich ein Interview mit Dietmar Bartsch. Zu seiner Person heißt es dort, er sei von dem „Posten“ des Bundesgeschäftsführers 2002 zurück getreten, „als die Parteilinke die Macht übernommen hatte“. Von der Verantwortung für die Wahlniederlage keine Rede. Und jene „Parteilinke“ damals war Gabi Zimmer, die auf dem Geraer Parteitag wieder zur Vorsitzenden gewählt worden war. Die aber ist im Europäischen Parlament bisher nicht durch besonderes Linkssektierertum aufgefallen. Der „Links“-Vorwurf ist also völlig willkürlich an den Haaren herbeigezogen – die bösen „Linken“ in der Linken sind immer die, die Bartsch als Parteivorsitzenden für ungeeignet halten.

    • Günter Hayn sagt:

      Lieber Waldemar Landsberger, in Ihrer Darstellung ist ein kleiner, aber nicht unwesentlicher Fehler: Dietmar Bartsch trat 2002 in Gera nicht zurück. Er trat nicht wieder an. Der Geraer Parteitag im Oktober 2002 stand vor der turnusmäßigen Aufgabe einen neuen Vorstand zu wählen. Nachdem Gabi Zimmer seinerzeit – nicht ganz ohne Zutun von Hans Modrow übrigens – kandidierte, wollte oder sollte Bartsch für das sogenannte Reformerlager (dem sich die ehemalige thüringische Landesvorsitzende Zimmer durchaus zugehörig fühlte – der war übrigens im April 2000 zu danken, dass die PDS in Münster nicht kopf- und führungslos aus der Westfalenhalle heraustorkelte, weil der “reformorientierte” Parteivorstand nicht mit einer Abstimmungsniederlage umgehen konnte) gegen Frau Zimmer antreten. Er verzichtete, da wer auch immer, den als aussichtsreicher geltenden Roland Claus zur Kandidatur überredete. Claus scheiterte dramatisch – daraufhin erklärten alle “Reformer” für den Vorstand nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Das ging soweit, dass in einer Beratungspause von diesen Leuten ernstaft diskutiert wurde, die Partei zu verlassen und eine “eigene” zu gründen. Es war wohl auch Dietmar Bartsch zu verdanken, dass dieses selbstzerstörerische Abenteuer seinerzeit unterlassen wurde. Stattdessen schritt man zum wirksameren Mittel des Boykottes – rabiate Menschen des Zimmerschen Vorstandes reagierten mit polizeistaatlichen Mitteln (Taschenkontrollen beim Verlassen der Karl-Liebkecht-Hauses, Arbeitsverweigerung der Mitarbeiterschaft u.ä.); in der Folge warf die denervierte Gabriele Zimmer im Folgejahr das Handtuch. Wie gesagt, Dietmar Bartsch trat nicht zurück. Das war viel komplizierter und der jetzt offenbare Riß hat sicher etwas mit den unterschiedlichen Herkunftskulturen von PDS und WASG, den Quellparteien der Linken, zu tun. Er ist aber auch Folge eines uralt-PDS-Konfliktes, der seinerzeit mit derselben Unversöhnlichkeit ausgefochten wurde.

    • Waldemar Landsberger sagt:

      Lieber Günter Hayn, vielen Dank für die Ergänzung. Der “Fehler” ist der Vorstellung Bartsch’ in der Frankfurter Rundschau zu verdanken, und ich wollte das jetzt nicht auch noch präzisieren. Ihre Darstellung macht aber vor allem deutlich, dass diese unsägliche “Reformer”-“Linke”-Frontstellung schon damals eine vor allem machtpolitisch begründete und konstruierte war, was sich vor allem in Bezug auf Gabi Zimmer zeigte. Der Unterschied nur ist, die “Reformer” hatten sich in der PDS eine in den Strukturen und den Gremien verankerte strukturelle Mehrheit (nicht numerische der Mitglieder) geschaffen. Die war bei der Vereinigung zur DIE LINKE verloren gegangen und soll jetzt zurückerobert werden. Das ist m.E. der Kern der in Göttingen zu führenden Auseinandersetzung.

  99. Kay Bliewand sagt:

    Lieber Lothar Bisky – eine “Super-Horros-Show” haben Sie jenes Gebaren genannt, das die linke Führungsebene derzeit in Sachen Parteiführung abzieht. Keine Frage, dass Sie recht haben, man kann mittlerweile nur noch Mitleid empfinden – mit einer Partei, die sich die (bessere!) Zukunft auf die Fahnen geschrieben hat. “Einige”, so haben Sie der “Sächsischen zeitung” gesagt,” betreiben die Politik vielleicht auch nicht ganz so ernsthaft und meinen, mit der Vernichtung des Parteifreundes oder mit seiner Diskreditierung Erhebliches zum Wohle der Menschheit zu leisten. Das ist natürlich ein idiotischer Irrtum.”
    Idiotie – in der Tat. Das alles erinnert mich sehr an die gnadenlos zutreffende Satire von Monty Python, als in “Das Leben des Brian” u.a. dargestellt wurde, wie sich die “Judäische Volksfront” und die “Volksfront von Judäa” um das Recht der alleinseeligmachenden Wahrheit und Alleinvertretung die Köpfe einschlagen.
    Vorwärts Genossen, es geht zurück!
    Kay

  100. Karl-Heinz Mittig sagt:

    Waldemar Landsbergers Beitrag hat mich an einen Blättchen-Artikel aus dem Vorjahr erinnert. Mit Hilfe der Suchfunktion habe ich ihn gefunden und empfehle ihn für ein nochmaliges lesen.
    http://das-blaettchen.de/2011/05/parteichef-sisyphos-4766.html
    KH Mittig

  101. Peter Enders sagt:

    Zu “Es war einmal ein Sport …”.
    Als diese Zeilen geschrieben wurden, konnte der Autor wohl nicht wissen, dass alles noch getoppt wird, indem nunmehr schon zwei Sportgerichte dieses Spiel als r e g u l ä r anerkannt haben.
    Was für eine Hure ist die Fußballerei doch geworden.
    Peter Enders

  102. Anmerker sagt:

    Bezugnehmend auf den “Offenen Brief” in Blättchen10/12 und die leidige GRASS-Israel-Debatte möchte ich folgende “Gegenrede” des Bremer Pädagogen Freerk Huisken zur Kenntnis geben – m.E. sehr erhellend, vor allem das Beziehungsgeflecht USA-Israel aus geopolitischer Sicht:

    Deutscher Großdichter als Weltgewissen – national abgewatscht

    1. Die Sache
    Grass hat in dem Gedicht, das für so heftigen Wirbel gesorgt hat, darauf verwiesen,
    dass die Atommacht Israel den „ohnehin brüchigen Weltfrieden“ mit der Androhung eines atomaren Erstschlags gegen den Iran gefährdet. Zugleich greift er die deutsche Regierung an, die sich mit der Billigung von U-Boot-Verkäufen an Israel zum „Zulieferer eines Verbrechens“ machen könnte. „Internationale Instanzen“ fordert er abschließend auf, die Atomanlagen bzw. atomaren Potentiale beider Staaten einer permanenten Kontrolle zu unterziehen.
    Natürlich hat Grass mit dem politischen Gedicht etwas getroffen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich Israel auf einen Militärschlag gegen den Iran vorbereitet und deutsche U-Boote Instrumente der militaristischen Außenpolitik dieses Staates sind. Die allgemeine Verurteilung, die sein Standpunkt erfährt, bezieht sich denn auch auf die Behauptung, dass es der Staat Israel ist, der als Kriegstreiber eine Gefahr für den Weltfrieden darstellt.
    Damit ist die Lage im Nahen Osten nicht richtig gekennzeichnet: Denn das mächtige und die Lage in Middle-East damit bestimmende Subjekt der Feindschaftserklärung an den Iran ist nicht der Staat Israel, sondern sind die USA. Denen passen weder die eigenständigen, von Russland und China gedeckten außenpolitischen Ambitionen des Mullahstaates in ihre Pläne für den Nahen Osten noch die Verwendung von Einnahmen aus Ölverkäufen für die dafür nötige militärische Ausstattung und schon gar nicht eine Etablierung als Atommacht, mit der sich der Iran als Souverän eine gewisse Unangreifbarkeit in der Region schaffen könnte. Erst daraus ergibt sich die Rolle Israels im aktuellen „Konflikt“: Dieser Staat entdeckt in den von ihm geteilten US-amerikanischen Absichten, den geostrategisch und wegen der Rohstoffvorkommen bedeutsamen Nahen Osten vollständig unter Kontrolle zu bekommen, zugleich die Gelegenheit, sich damit seiner eigenen regionalen Feinde zu entledigen und seine Position im Nahen Osten zu stärken. Nur zu gern würde der Staat Israel deswegen unter dem Schutz der USA die Vorhut einer militärischen Operation bilden, mit der dem iranischen Staat unter Inkaufnahme von massenhaftem Tod und Zerstörung „westliche Lebensart“ verpasst werden soll. Doch noch bremst Obama die israelische Führung, weil er darauf setzt, mit eskalierten Sanktionen und Embargos, den „friedlichen“ Mitteln – als da sind: der Ausschluss der iranischen Wirtschaft vom Weltmarkt, inklusive der Verpflichtung der Verbündeten, sich diesen Maßnahmen anzuschließen, das Einfrieren aller auswärtig deponierten Finanzmittel, die Liquidierung von iranischen Atomphysikern, die Anstachelung einer inneren Opposition, die Einreiseverbote von Diplomaten in westliche Staaten, Drohungen an die Adresse von Verbündeten des Iran usw. – dasselbe Ziel erreichen zu können. Und gegenwärtig scheint der Friedensnobelpreisträger aus dem Weißen Haus eine gute Chance zu sehen, mit dieser Sorte Angriff auf die Lebensgrundlagen des iranischen Staates das Mullahregime kippen zu können; natürlich ohne dabei auf die militärische Option mit ihren weltweit unkalkulierbaren Auswirkungen zu verzichten. Umgekehrt: Deren ständige Erneuerung nebst der nur verhaltenen Kritik an den israelischen Plänen – Obama untersagt seinem treuesten Verbündeten nichts, sondern bremst ihn nur – untermauern die Wirkkraft jener diplomatischen, ökonomischen, terroristischen und geheimdienstlichen Angriffe, die weltöffentlich nur deshalb unter „Friedensmaßnahmen“ laufen können, weil sie immer an der für westlich gepolte Hirne geradezu apokalyptischen Vorstellung gemessen werden, die Mullahs im Iran könnten dereinst über Atombomben verfügen und damit glatt dem Westen den Zugriff auf die gesamte Region erschweren.
    Das ist die Lage. Und in der gibt der – nicht unbegründete – Verdacht, der Iran könnte Atombomben bauen, einen Grund und den zentralen Anlass für ein imperialistisches Interesse der USA nebst seiner Nato-Verbündeten ab. Deswegen passt auch eine Atommacht Israel den USA ins Konzept und deswegen würde dieselbe militärische Ausstattung des Iran für sie einen nicht zu duldender Kontrollverlust über eine Weltgegend darstellen, auf die der „freie Westen“ sich ein Zugriffsrecht zurechnet.
    Grass kennt – wenigstens in seinem Gedicht – erstens keine, die Lage im Nahen Osten bestimmenden politischen Zwecke, sondern sieht nur „Wahn“ von Führern am Werk. Alle ideologischen Rechtfertigungen von Außenpolitik nimmt er für bare Münze und verfehlt damit den sachlichen Blick auf das, was Israel, der Iran und die USA zusammen mit dem Westen dort wollen. Weder will der Iran eine Atombombe gegen Israel einsetzen – es wäre ja sein Untergang. Noch hat die Führung des Staates Israel vor, im Alleingang den Iran zu entwaffnen. Grass unterschätzt nämlich zweitens die Abhängigkeit der Außenpolitik des Staates Israel von den USA. So ernst es der israelischen Führung auch ist, diesen Feind militärisch kleinkriegen zu wollen – ohne Unterstützung durch das militärische Arsenal der USA wird dieser Staat nicht losschlagen. Drittens reduziert Grass die Gefahrenlage in der Region auf einen möglichen Atomschlag Israels, verharmlost damit jenes Arsenal an Drohungs-, Erpressungs- und Eingriffsinstrumentarien, über das die führenden Imperialisten nun einmal verfügen und mit dem sie unterhalb des militärischen Zuschlagens, aber mit dem gleichen Zweck identische Ergebnisse zu erreichen versuchen und offensichtlich auch erreichen. Weswegen es viertens auch von einer Blauäugigkeit zeugt, ausgerechnet „internationale Instanzen“, die ohne eine in ihnen festgezurrte Führungsrolle der USA nur Papiertiger sind, mit der Domestizierung jenes doch gerade von der Weltmacht Nr.1 eingeplanten und aufgerüsteten israelischen Militarismus beauftragen zu wollen. Schließlich – fünftens – erweckt Grass den Anschein, als ginge es Deutschland bei der Lieferung von U-Booten an Israel nur ums Geschäft. Dem ist nicht so. An keinen Staat der Welt liefert der Rüstungsexporteur Deutschland militärisches Gerät von diesem Kaliber, wenn er nicht die Zwecke teilt, für die sie eingekauft werden. Deutschland betätigt sich vielmehr an führender Stelle als ein Verbündeter der Nah-Ost-imperialistischen Absichten der USA.

    2. Das Gedicht
    Grass, den Dichter, treibt aber leider noch mehr um. Er ist ganz deutscher Dichter und als solcher von einer ihn recht widersprüchlich umtreibenden Gewissensnot gepeinigt. Auf der einen Seite antizipiert er, dass er sich mit der Kritik am Staate Israel und seiner Führung den Antisemitismusvorwurf von Seiten jener Deutschen zuzieht, die zwischen rassistischem Antisemitismus und einer theoretischen Befassung mit der Außenpolitik dieses Staates nicht unterscheiden können bzw. dies gar nicht wollen.
    Grass weiß also um die polit-moralische Funktion dieser Gleichsetzung, weiß um die Heuchelei, die damit betrieben wird. Auf der anderen Seite jedoch entblödet sich der Dichter nicht, seine Israel-Schelte als Zugeständnis in diese national-moralische Heuchelei einzuwickeln. So heißt das Gedicht nicht etwa: „Israel gefährdet den Weltfrieden“, sondern: „Was gesagt werden muss“. Ein ums andere Mal ist ihm das demonstrative Vorführen seines schlechten Gewissens bei der Israel-Schelte fast wichtiger als diese selbst. Immer wieder – insgesamt fünfmal – hebt er mit der Vorführung seiner Seelenqual neu an: „Warum schweige ich…“, „warum untersage ich es mir, dieses Land beim Namen zu nennen…“, „das allgemeine Verschweigen…, dem sich mein Schweigen untergeordnet hat…“, „sage ich, was gesagt werden muss…“, „warum sage ich jetzt erst…“ Der Mann ist also zugleich selbst durch und durch infiziert von jener deutschen Nachkriegsmoral, der zufolge sich Kritik von Deutschen an der Politik Israels nicht gehört; natürlich „wegen unserer Vergangenheit!“ Grass bekennt sich also zu dieser Direktive, die bei der Beurteilung von Krieg und Frieden im Nahen Osten immer nur ein Opfer kennt, den Staat Israel, und diesen ausschließlich von Täterstaaten umzingelt weiß, die ihm das „Existenzrecht“ rauben wollen – wenngleich ein Blick auf die jüngere Geschichte und die aktuelle Landkarte der Region das Gegenteil zeigt.
    Man könnte sich da schon fragen, was den Dichter eigentlich im Letzten umtreibt. Die Sorge um den Weltfrieden – was er im SZ-Interview vom 7.4. unterstreicht – oder die literarisch aufgemotzte Demonstration, dass er als Deutscher natürlich den Staat Israel nie ohne schlechtes Gewissen kritisiert. Aber letztlich passt beides gut doch zusammen: Wo sich dieser deutsche Großdichter schon so quält, seine Schelte zu Papier zu bringen, und diese Seelenqual immer wieder kalkuliert ins Gedicht selbst einbringt, da muss doch jedem Leser deutlich werden, von welchem Gewicht seine Anklage ist. Hätte sie für ihn leichter gewogen, wäre sie doch weder zu Papier gebracht noch zeitgleich in vier der größten Zeitungen der Welt untergebracht worden. Ärgerlich ist diese Tour schon: Als ob mit der Schmerzhaftigkeit von Geburtswehen bereits die Güte des hervorgebrachten Produkts feststehen würde!
    Da äußert sich ein Dichter von Rang als Weltgewissen kritisch gegen die Politik des Staates Israel, und legt als deutscher Literat zugleich Wert auf die Feststellung, dass er sich dem hierzulande gebotenen Philosemitismus verpflichtet weiß: „..dem Land Israel, dem ich verbunden bin und bleiben will“. Was denn nun, Herr Grass?

    3. Die Folgen
    Doch hat dieses kalkulierte Wirrwarr von heftiger politischer Kritik und Offenbarung innerster Seelenpein dem Grass gar nichts genützt. Wer als Deutscher Israel kritisiert ist Antisemit. Punkt. So der Aufschrei nach der Publikation aus Politik, Kultur- und Geistesleben. Und wenn die Kanzlerin vermelden lässt, dass sie zu Grass nichts weiter zu vermelden hat, dann weiß man, was sie damit vermelden möchte. Dasselbe nämlich, was von der Jüdischen Gemeinde, vom offiziellen Botschafter des Staates Israels und von all seinen inoffiziellen Botschaftshelfern sofort vermeldet wird: Grass ist ein Nestbeschmutzer und noch vieles mehr. Das Gedicht sei ein „Anschlag auf Israels Existenz“ verkündet R.Giordano, der nicht zwischen etwas Druckerschwärze und einem Militärschlag unterscheiden will; ähnlich H.M.Broder, der dem Gedicht allen Ernstes Absicht und Wirkkraft unterstellt, den „Verursacher der
    erkennbaren Gefahr zu entwaffnen“. Welch abenteuerliches Verhältnis von Geist und Macht spukt in diesen Köpfen herum! Nur weil sie als schreibende Knechte der Macht so geschätzt sind und hofiert werden, fingieren sie sich und die Zunft der Schreiberlingegleich selbst als Teil der Macht.
    Festzuhalten ist jedoch, dass diese inzwischen auch von Literaturpapst Reich-Ranicki – „ekelhaftes Gedicht“ – abgesegnete Philippika nicht das zwangsläufige Resultat des literarischen Erzeugnisses des Nobelpreisträgers ist. Da muss man den Grass in Schutz nehmen. Es ist vielmehr das zwangsläufige Ergebnis der gekonnten politischen Instrumentalisierung der Nachkriegsattitüde von Schuld und Scham im Dienste neuer, „raumgreifender“ deutscher Außenpolitik. Das begann mit Ex-Außenminister J.Fischer, der die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Serbien mit der „Verantwortung“ begründete, die „wir Deutschen gegenüber den Diktatoren der Welt“ hätten. Und das setzt sich jetzt fort, wenn die imperialistische Sicherung des gesamten Nahen Ostens als geostrategischer Raum gen Osten, als strategische Rohstoffreserve und als Absicherung der „Freiheit der Meere“ für das weltweite Geschäft des Großkapitals nur als Schutz des Existenzrechts Israels vor dem Vernichtungswahn der iranischen Führung vorgestellt wird, dem „wir Deutsche“ verpflichtet zu sein haben.
    So kommt es denn wie es kommen musste: Alle wichtigen Fragen, die neue politische Ausrichtung der USA unter Obama den Nahen Osten betreffend, geraten zur Nebensache oder werden gleich erledigt mit dem Schwall der Empörung über den vermeintlichen antisemitischen Skandal. Es werden mit der Berufung auf deutsche Schuld folglich ganz modern gleich zwei Fliegen mit einer Klappe erledigt: Erstens ist die deutsche Beteiligung an der imperialistischen Offensive – zunächst unterhalb eines militärischen Eingreifens – gegen den Iran eine moralische Pflicht Deutschlands und nicht etwa der Beleg für das nationale Interesse, auch im Nahen Osten hegemoniale Ansprüche zu etablieren; und zweitens ist jeder, der das zu kritisieren wagt, nicht etwa Feind imperialistischer Friedens- und Kriegspolitik, sondern ein Antisemit.

    PS: Grass hat seinem ersten moralischen Verbrechen in Interviews ein zweites hinzugefügt. Von „Gleichschaltung“ der öffentlichen Kritik hat er im Land der Meinungsfreiheit zu sprechen gewagt. Das konnten deren Hüter nicht auf sich sitzen lassen. Heftigste Zurückweisung erfolgte gleichgeschaltet; und zwar ohne Anweisung durch ein Propagandaministerium, sondern ganz aus freien Stücken – so geht eben Demokratie.
    Über den Autor: Freerk Huisken, Dr., *1941, studierte in Oldenburg Pädagogik und arbeitete bis 1967 als Lehrer. Anschließend Studium der Pädagogik, Politik und Psychologie in Erlangen-Nürnberg. Von 1971 an Professur an der Universität Bremen: Politische Ökonomie des Ausbildungssektors. Seit März 2006 im Ruhestand.

  103. Lieber Hajo Jasper,

    die stalinistischen Gewaltexzesse sollen sich also entweder aus der kommunistischen Ideologie erklären lassen, oder aus Stalins psychopathischer Verfasstheit? N. I. hätte da wohl eine tiefere Erklärung gewußt: er beschäftigte sich intensiv mit der ursprünglichen Akkumulation. Und die wurde auch im westlichen Kapitalismus mit Gewalttaten aller Art durchgesetzt – denken Sie nur mal an den Sklavenhandel.

    Auch der “Stalinismus vor dem Stalinismus” scheint mir begrifflich nicht sehr prägnant; gemeint ist doch offensichtlich, daß Lenins Herrschaft von Anfang an nicht die “Diktatur des Proletariats” war, als die er sie anpries – sondern die Diktatur einer hierarchisch verfaßten Elite von Intellektuellen über Arbeiter, Bauern und den Rest der Bevölkerung.

    Ich kann mich auf diese Andeutungen beschränken, da ich mich an anderer Stelle ausführlicher zu diesen Fragen geäußert habe. Sachdienliche Hinweise finden Sie, wenn Sie dem Link im Kopf dieses Kommentars folgen.

    Ansonsten weise ich noch auf meinen Kommentar vom 25.4. in diesem Forum zu einer sehr ähnlichen Frage hin.

    • Hajo Jasper sagt:

      Lieber Herr Mankwald,

      unabhängig davon, dass ich meinerseits lediglich auf den dualen (oder alternativen?) Erklärungsansatz Baberowskis verwiesen und ihn nicht übernommen habe, ist mir nicht ganz zugänglich, inwieweit die urspründliche Akkumulaton ein Erklärungsmuster für das Phänomen Stalinismus herhalten kann; ich werde mich via Ihrer Hinweise kundig zu machen versuchen.

      Was mir wenig behagt ist der Verweis auf den verbrecherischen Kapitalismus. Nicht, weil mir dessen Mord- und weitere Schandtatentaten kein Begriff wären und ich diese marginalisieren würde; es ist nur so, dass sich Sozialisten/Kommunisten auf die Fahne geschrieben hatten, anders, ganz anders, endlich menschlicher sein zu wollen. Daran waren und sind sie m. E. noch immer zu allererst zu messen. Und zumindest, was den stalinistischen Terror betrifft, komme mir keiner mit dem Hinweis, dass der Klassenfeind doch nichts anderes zugelassen habe.

      Ich danke Ihnen jedenfalls für Ihre Wortmeldung und werde mich – wie gesagt – mit Ihren Erörterungen beschäftigen.

      Freundliche Grüße,
      Hajo Jasper

    • Lieber Herr Jasper,

      vielen Dank für Ihre Antwort. Zunächst einmal war es in der Tat recht polemisch, Ihnen die Auffassung des rezensierten Autors zu unterstellen. Die Formulierung, die Sie an der Stelle gebrauchen, ließ es mir gerade noch legitim erscheinen. Aber mittlerweile kommen mir da Zweifel.
      Was der Stalinismus mit der ursprünglichen Akkumulation zu tun hat? Da habe ich mich in meinem ersten Kommentar wohl zu knapp geäußert, um verständlich zu sein. Also:

      Eine der treffendsten Beschreibungen der Vorgänge nach der Revolution in Rußland stammt verblüffenderweise von Friedrich Engels; er schrieb 1853 an seinen Verleger in den USA: “Mir ahnt so was, als ob unsre Partei, dank der Ratlosigkeit und Schlaffheit aller andern, eines schönen Morgens an die Regierung forciert werde, um schließlich doch die Sachen durchzuführen, die nicht direkt in unsrem, sondern im allgemein revolutionären und spezifisch kleinbürgerlichen Interesse sind; bei welcher Gelegenheit man dann, durch den proletarischen Populus getrieben, durch seine eignen, mehr oder weniger falsch gedeuteten, mehr oder weniger leidenschaftlich im Parteikampf vorangedrängten, gedruckten Aussprüche und Pläne gebunden, genötigt wird, kommunistische Experimente und Sprünge zu machen, von denen man selbst am besten weiß, wie unzeitig sie sind. […] Dabei verliert man dann den Kopf – hoffentlich nur physiquement parlant”. (MEW, Bd. 28, S. 580)
      Engels räumte also ein, daß eine fortschrittliche Partei sich unter gewissen Umständen an die Macht drängen lassen müsse; daß Lenin und Trotzki selbst massiv gedrängt haben, erscheint vor diesem Hintergrund mindestens als Wagnis.
      Die “allgemein revolutionäre” Aufgabe nun, die die Bolschewiki sich damit aufhalsten, hat N.I. Bucharin als “ursprüngliche sozialistische Akkumulation” charakterisiert. (Hierzu ausführlicher: A. G. Löwy, Die Weltgeschichte ist das Weltgericht, Wien 1990, S. 219-245). Bucharin spielte dabei auf die von Marx beschriebene ursprüngliche Akkumulation des industriellen Kapitals in den wirtschaftlich fortgeschrittensten Ländern an, als deren Hauptmerkmale dieser die Ausbeutung außereuropäischer Gebiete und die Verdrängung freier Bauern von ihrem Eigentum ansah. Eine solche Ansammlung von Kapital auf “sozialistischem” Wege zu erreichen, mußte natürlich eine Utopie bleiben, da die Reife einer entwickelten und wohlhabenden Gesellschaft dazu gehört hätte, freiwillig den Konsumverzicht und die gewaltigen Anstrengungen zu leisten, mit denen eine solche Umwälzung überhaupt erst erreicht werden konnte. Für den Erfolg des Unternehmens aber war es entscheidend, daß eine solche Fassade der Freiwilligkeit errichtet wurde. Und damit war die Aufgabe formuliert, und ausgerechnet Stalin war für die Lösung prädestiniert, die nicht in unverhüllter, sondern in möglichst gut getarnter Ausbeutung bestand. Stalin errichtete einen vollendeten Despotismus und pries ihn als hochentwickelte Demokratie; er verschärfte die Ausbeutung und verkaufte das als Sozialismus.

      Eine Entschuldigung ist das nicht, immerhin aber eine Erklärung. Aus menschlicher Sicht war es natürlich eine Katastrophe: gerade die Aufrichtigen wurden zu Opfern; der Sieg gehörte den Zynikern. Mir scheint, die Linke hat sich davon bis heute nicht erholt.

      Ich hoffe, diese Überlegungen helfen Ihnen weiter; es ist natürlich ein schmerzliches Thema.

      Freundliche Grüße
      Bernhard Mankwald

  104. Werner Richter sagt:

    Endlich wieder mal Herzog!
    Da hat es ihn wieder geruckt, unseren alten Bundesherzog. Schon immer hatte er ein Faible für einfache Lösungen. Obwohl ich denke, daß es zu Führers Zeiten, als er die Schule besuchte, die klassischen Fächer der höheren Bildung, Altgriechisch, Neugriechisch und Latein, als damals wohl überflüssig abgeschafft wurden, vielleicht nicht überall, mag sein, imponierte ihn ganz bestimmt von jung an die Story vom Gordischen Knoten. Gut, Latein war wegen der Medizin unabschaffbar. Denn wie einfach können komplizierte Probleme gelöst werden, fasziniert diese Methode bis heute alle schlichten Gemüter, wenn er stört, einfach den Nagel rausziehen, auch wenn er die letzte Sicherung vor dem Einsturz der Konstruktion ist, aber der Nagel stört nicht mehr. So hatte er einst den Ruck empfohlen, inspiriert von den Leichtrezepten der INSM-Lobby, denen er so gern lauscht, jetzt, nach der verlorenen Wahl in NRW, schafft er gordisch die 5%-Klausel, nein, nicht ab, sondern verschärft sie, sie sei nicht mehr zeitgemäß. Vielleicht schweben ihm 10% vor, da stört Volkes Meinung nicht mehr lästig den Politikbetrieb. Somit ist er tatsächlich dabei, die schon seit längerem satirisch vorgeschlagene Suche nach einem neuen Volk, wenn es die angebotenen Politiker nicht mehr will, ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Mir verschlägt es die Sprache bei soviel Dummheit, die er wohl als Weisheit letzter Schluß unbekümmert, er ahnt nicht im Entferntesten die damit vollbrachte Selbstentlarvung, unter die Massen jubelt. Ihm ist es selbstverständlich, wenn das Volk durch Wahlen stört, stellt man es zum Wohle der Politikerkaste wirkungslos, Scheißdemokratie, weg damit. Solche Leute regieren uns! Sind wir noch zu retten?

  105. Monika Schmidt sagt:

    Zu dem sehr guten Beitrag über “Klassenfragen” und die Entwicklung des Einkommens der 10 verschiedenen Einkommensgruppen in unserer Gesellschaft möchte ich ergänzend noch auf folgendes hinweisen:
    Zusätzlich zu der Tatsache, daß dem Großteil unserer Bürger seit vielen Jahren Verluste beim Einkommen, einem kleineren Teil zumindest Stagnation zugemutet wird, kommt ja noch hinzu, daß wir gleichzeitig immer höhere Kosten selbst tragen müssen, sei es in Sachen Gesundheit/Medikamente, inkl Zahnarzt, auch für Schulbücher, Ausbildung der Kinder etc.
    D.h. von dem im Vergleich zu früher und nach Abzug der Preissteigerungen faktisch geringeren Einkommen muß der Großteil unserer BürgerInnen auch noch höhere Kosten tragen.

  106. Zitator sagt:

    „Die Herabstufung von 16 spanischen Banken zeigt: Die Finanzinstitute sind zurück im Zentrum der Krise. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien wird die Lage bedrohlich. Anleger und Sparer ziehen Milliarden ab – und befeuern damit die Angst vor einem Bankenbeben“, weiß Spiegel-Online zu berichten. Vielleicht findet Hessels Aufruf „Empört Euch!“ ja doch noch eine adäquate Resonanz – und sei es nur aus dem Grund, dass es mehr und mehr ans Eingemachte des kleinen Sparers geht.

  107. Zitator sagt:

    Bald wird auf dem Vulkan gerockt:
    “Die italienische Regierung berät in dieser Woche über den Einsatz der Armee, um das Rüstungsunternehmen Finmeccanica und die Steuerbehörde Equitalia zu schützen. Beide sind in der jüngsten Zeit Ziele von Anschlägen geworden, was Sorgen über eine Eskalation der politischen Gewalt weckte.” (Quelle: Spiegel Online)

  108. Ralf Ziegler sagt:

    Der Hinweis auf die Entscheidung der Nannen-Jury (zu der auch Ex-Focus-Chef Helmut Markwort gehört) gehört noch ergänzt durch die Mitteilung, dass Jörn Quoos – 20 Jahre lang bei Bild und immerhin einer deren stellvertretenden Chefredakteure – ab Januar 2013 Chefredakteur des Focus wird. Honi soit qui mal y pense.

  109. jaku sagt:

    Die Jury des renommierten Henri-Nannen-Preises konnte sich in der Kategorie “Beste investigative Leistung” nicht auf einen Gewinner einigen. Deshalb wollte sie zwei Autorenteams auszeichnen. Eines von der “Bild”-Zeitung und eines von der “Süddeutschen Zeitung” – SZ-Rechercheur Leyendecker lehnte die Auszeichnung aus Protest stellvertretend ab. (…)
    “Wir möchten nicht gemeinsam mit der Bild ausgezeichnet werden”, sagte Hans Leyendecker und sprach von einem “Kulturbruch”. (Aus Süddtsch. Zeitung)
    Endlich mal jemand, der ein Scheißspiel ein Scheißspiel nennt und sein Mittun verweigert. Gäbe es mehr solch praktizierter (und nicht nur verlautbarter) Haltungen – dem Ansehen des Berufsstandes der Journalisten würde dies vielleicht aus dem Verachtungskeller und damit aus der Nähe zu Politikern verhelfen. Und wenn letztere es aufgeben würden, dem Revolverblatt eitel zur Verfügung zu stehen, hätten auch besagte Politiker eine Chance.

  110. Rudolph Caracciola sagt:

    Das kommt davon, wenn man die MÄRKISCHE ALLGEMEINE ZEITUNG nicht regelmäßig liest. Dann stößt man nur zufällig und erst jetzt auf ein Interview von Uri Avnery, das die MAZ bereits am 10. April gebracht hat. Avnery, langjähriger Knesseth-Abgeordneter, muss Blättchen-Lesern ja nicht vorgestellt werden.

    Unter der Überschrift „Uri Avnery hält die ganze Aufregung im Fall Grass für idiotisch, der habe übertrieben, dürfe aber seine Meinung sagen“ hieß es da u.a.:

    „MAZ: Ist das Grass-Gedicht antisemitisch?
    Uri Avnery: Unsinn. Antisemitisch und prosemitisch sind für mich dasselbe. Es bedeutet, dass Juden etwas Besonderes sind […] brauchen. Wir wollen ein Staat wie andere Staaten sein und mit denselben Maßstäben gemessen werden. Jede Einstellung, die besagt, dass Israel eine Art Sonderbehandlung haben muss, ist antisemitisch. Es würde bedeuten, dass wir nicht wie andere sind, dass wir – zum Guten oder Schlechten – anders behandelt werden müssen.

    MAZ: Hätte Grass besser die israelische Regierung statt der ganzen Nation kritisieren sollen?
    Avnery: Die Politik eines Staates wird durch die Regierung bestimmt. Wenn wir Deutschland kritisieren, kritisieren wir die deutsche Regierung. Wenn Israel Atombomben produziert oder Iran angreift, dann ist das eine Entscheidung der Regierung. […]

    MAZ: Und welche Gefahr geht vom Iran für Israel aus?
    Avnery: Mahmut Ahmadinedschad ist ein politischer Präsident, der im Iran sehr wenig zu sagen hat. Die Politik dort wird von den Ayatollahs bestimmt. Das sind sehr vorsichtige und oft vernünftige Menschen. […]
    MAZ: Im Grunde geht es um ein schwerwiegendes politisches Problem im Nahen Osten …
    Avnery: Israel wird auf Dauer seine nukleare Monopolstellung im Nahen Osten nicht halten können. Dann werden entweder auch andere Länder nuklear aufrüsten oder man entscheidet sich für den Frieden, für die Abrüstung. Das ist ein politisches Problem, das von Politikern gelöst werden muss. Aber natürlich kann jeder eine Meinung dazu haben. Und selbstverständlich auch ein Deutscher.

    MAZ: Spielt der Holocaust bei dem Streit eine Rolle?
    Avnery: Der Holocaust darf nicht vergessen werden, aber er ist 60 Jahre her und er sagt nicht aus, dass ein Deutscher 60 Jahre später nicht seine Meinung äußern darf. Es ist antisemitisch, darauf zu bestehen, dass Israel in Deutschland nicht kritisiert werden darf.“

  111. Zitator sagt:

    “Ob Schlagzeile oder Liebesbrief: Je größer die Buchstaben einer emotionalen Botschaft, umso stärker fällt die Wirkung aus. Forscher der Humboldt-Universität Berlin und der Uni Göttingen berichten im Fachmagazin “Plos one”, dass gedruckte Wörter mit steigender Schriftgröße eine höhere Aufmerksamkeit erzielen. Dabei machte es keinen Unterschied, ob die emotionalen Begriffe positiv oder negativ waren.” – Dass die Forschung nach 60 Jahren BILD-Zeitung jetzt zu diesem überraschenden Ergebnis gekommen ist, verdient Respekt.

  112. Zitator sagt:

    Wahlkampfdebatte um Homo-Ehe: Schwule drängen Obama zum Jawort
    (Titelzeile bei Spiegel-Online).
    Was mag wohl die First Lady dazu sagen?
    Und erst die Töchter?

  113. Hinnerk Schönmann sagt:

    “Wirtschaftliches Wachstum, Stabilität – und Unterstützung für Familien verspricht die britische Regierung. Queen Elizabeth II. kündigte in der von der Downing Street geschriebenen Thronrede eine Vielzahl von geplanten Reformen an. Sie versprach zudem mehr Geld für die Entwicklungsarbeit.”(Spiegel-Online) – Isse nich süß? Genauso gut hätte ihr Downing Street aufschreiben können, dass die Erde eine Scheibe ist und Englads Vorherrschaft auf See ungebrochen sei: Lizzy hätte es unter dem Plüsch ihrer Krone verkündet. Wenn man das so sieht, wird man das Gefühl nicht los, dass trotz aller Desastrien mit unseren letzten Bundespräsidenten die Monarchie für Deutschland halt auch nicht d i e Lösung ist.
    Hinnerk Schönmann

  114. Zitator sagt:

    “Ursprünglich sollte der Airport Berlin Brandenburg Anfang Juni in Betrieb gehen. Doch davon ist nun keine Rede mehr, die Eröffnung verschiebt sich um mehrere Wochen. Grund sind Probleme mit dem Brandschutz. Politiker reagieren überrascht – und empört.” (Spiegel-online) – Wer sich an die Nachteile der dilletierenden Planwirtschaft erinnert, fühlt sich fast wie zu Hause. Schaun wir mal, was aus dem Berliner Schloss wird. Die derzeit als erwachsen geltenden Hauptstädter haben ja – je nach Geburtsalter – noch bis zu 80 Jahren Zeit, des Schlosses Vollendung gewärtig zu werden.

  115. Literat sagt:

    Soeben kam die Meldung über den Äther, dass nunmehr und damit erneut einem / einer – diesmal dem Fraktionsvorsitzenden der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus, Florian Graf, – der Dr.-Titel von der Uni Potsdam aberkannt wurde. Damit steigert sich diese Bilanz der erst am 15. Juli 1991 neu gegründeten Alma Mater Potsdamensis überproportional – im Verhältnis zu altehrwürdigen Institutionen mit historischen Erfahrungen in diesem Geschäft.

    Das veranlasst mich, für mein möglicherweise nächstes Buch – mit dem hiermit angemeldeten Arbeitstitel: „Einmarsch der Plagiatoren“ – aus der geneigten Leserschaft zwar keinerlei Texte vorab zu erbitten, da Quellen zur freien Bedienung überreichlich vorliegen. Hingegen wäre ich für Hinweise dankbar, ob es für die Potsdamer Hochschulgründung eigentlich auch noch andere Veranlassungen gegeben hat denn die, als Bedienungstheke für wissenschaftlich minder qualifizierte Doktor-Titel- Interessenten zu dienen? (Nicht mit ORDENTLICHER PROMOTION zu verwechseln!)

    Bitte aber Verzicht auf mögliche Hinterfragen wie:
    – was denn der neue Geist von Potsdam sonst wohl sein könnte
    oder
    – ob denn nicht der komplette Anschluss der Ostprovinzen gerade auch wegen solcher Geschäftsideen stattgefunden hat?

    Ich bitte um wohlwollende Nachsicht für mein Anliegen, das ich überdies auch noch um die Nachfrage zu erweitern wage, ob dabei entstandene und künftig entstehende auch mittelbare Kosten eigentlich unter „Aufbau Ost“ abgerechnet, also quasi auch aus dem Soli finanziert werden? Oder kam wenigstens in der aktuellen causa die edlere bayerische Kauflösung zur Anwendung, was der Name des Delinquenten (pardon, ich wußte, mit Namen darf man keine Wortspiele machen, aber dennoch! ) nahe legt? Das fiele dann unter mildernde Umstände, meint Literat. Aber die bekommt die Uni Potsdam ob ihrer Unfertigkeit hinsichtlich der Tücken des modernen Wissenschaftsbetriebes von ihm eh eingeräumt. Gilt auch vorausschauend.

    • Rudolph Caracciola sagt:

      Lieber Literat, Ihrer Frage, ob es noch weitere Gründe für Neu- oder Um-“gründungen” im universitären Bereich der “Ostprovinzen” gab, als den von Ihnen behandelten, kann und muss abgeholfen werden. Es gab viele Gründe! Manche lassen sich aus Fragen wie diesen ableiten:
      Woher und warum kamen die diversen “Lehrkörper”?
      Welche denkwürdigen wissenschaftlichen Gegenstände, “Lehrstühle” (Bitte Rechtschreibung beachten!) und Themen wurden eingeführt?

      Erste Heerscharen derer, die in der rechtmäßigen Bundesrepublik mangels verfügbarer Stellen oder / und mangels verfügbarer hinreichender Qualifikation keine Berufungen erhielten und sich deswegen nach Neu-Fünf-Land expedierten, sind hier im Osten schon in Ehren emeritiert. Jetzt gilt bereits Erbfolge!

      Meinerseits eine Hinweisfrage: Wie kämen wir – nun ernsthafter gesprochen – ohne all dieses z. B. zur gegebenen Inflation an Medizinern mit Professorentiteln?

      Sie haben da, werter Literat, den Schritt auf ein “weites Feld” gewagt und damit Risiken & Nebenwirkungen des Beitritts tangiert, die tatsächlich nicht ständig gewärtig sind – auch was die Kosten für meine Landsleute und mich anlangt.

      Allerdings verlangt die Redlichkeit den Hinweis: Potsdam ist Potsdam ist Potsdam, nicht Düsseldorf, was bekanntlich nicht in Ostdeutschland liegt, und das schon seit langem. Doch auch westlich der Elbe gibt es Dissertationen, die Fragen aufwerfen, wie aktuell zu hören ist. Mir schavant: Da ist noch längst kein Licht am Ende des Tunnels.

  116. Kommentar zur Blättchen-Sonderausgabe

    Jörn Schütrumpf hat das Problem erkannt: die Tradition der toten Geschlechter lastet derart auf den Gehirnen der Linken, daß sie selbst kaum leben kann. Wie schon am 16.3. in diesem Forum stand:
    “‘Tote Geschlechter’ in einem ungeahnt wörtlichen Sinne haben sowohl Stalin als auch Mao hinterlassen. Beide beriefen sich in der Theorie auf Marx, orientierten sich in der Praxis aber vor allem an Lenin, den sie als dessen legitimen Nachfolger betrachteten. Ganze Generationen wurden dezimiert, viele der Überlebenden durch Hungersnöte und Repression geprägt. Die proklamierte klassenlose Gesellschaft haben beide Staatsmänner nicht hinterlassen, im Gegenteil haben sich ihre Nachfolger dem einst verpönten kapitalistischen System zugewandt.” (B. Mankwald, Das Rezept des Dr. Marx, Norderstedt 2010, S.16)
    Aber gehen Schütrumpfs Schlussfolgerungen aus der eigenen Geschichte weit genug? War der Stalinismus wirklich nur “der ins Perverse getriebene Ausdruck der Herrschaft einer Fraktion über alle anderen, Ausdruck der innerlinken Todfeindschaften und damit eine Niederlage aller Linken”? Würde es nicht besser zu einer materialistischen Analyse der Geschichte passen, die “Feindschaften” als Ausdruck eines Klassenkampfs zu interpretieren? Dies habe ich bereits vor einigen Jahren versucht; ich gestatte mir ein etwas längeres Zitat:

    “Die Logik des Terrors

    Das scheinbar völlig irrationale Wesen des stalinistischen Terrors wirkt auf den ersten Blick wie eins der großen Rätsel der Geschichte. Generationen von Kommunisten haben an die ‘Enthüllungen’ der Schauprozesse geglaubt, mit ihnen nicht wenige vermeintlich kritische Intellektuelle. Die ungeheuerlichen Geständnisse fielen in eine Zeit, in der einerseits die Sowjetunion als verwirklichte Utopie gepriesen wurde, was von außen sehr wenige nachprüfen und von innen niemand ohne Lebensgefahr bezweifeln konnte, in der ihr andererseits mit dem faschistischen Deutschland ein Gegner gegenüberstand, der dem Begriff des ‘Bösen an sich’ so nahe kommt wie kaum eine andere historische Formation. Vor einem derartigen Kontrast wirkt nach der Logik der Inquisitoren gerade das Unglaubwürdige glaubwürdig.
    Bei aller scheinbaren Irrationalität erfüllte der Terror also einen durchaus rationalen Zweck. Der Terror innerhalb der kommunistischen Partei ist nicht zu trennen vom Massenterror, mit dem die wirtschaftliche Umgestaltung durchgesetzt wurde; diesen wiederum kann man als Klassenkampf der sich formierenden Parteibürokratie gegen die breite Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung interpretieren. Das Ziel war dabei deren Proletarisierung als nachträgliche Legitimierung der eigenen Herrschaft und als Vorbedingung für die angestrebte Industrialisierung des Landes. Während dies für den wohlhabenden und gebildeten Teil der Bauernschaft unbestritten einen sozialen Abstieg darstellte, war es für den ärmsten und unwissendsten Teil eher ein Aufstieg. Die neu entstehende Industrie und die bürokratische Hierarchie boten weitere Aufstiegsmöglichkeiten. Entsprechend groß waren die Energien, die dadurch freigesetzt wurden. Viele Gegner der Umgestaltung wurden getötet; die meisten wurden als Zwangsarbeiter unter sehr schlechten Bedingungen für Arbeiten eingesetzt, für die man keine Freiwilligen fand, und fanden dabei oft ebenfalls den Tod. Die Zahl der Verhaftungen richtete sich dabei weniger nach dem tatsächlichen Ausmaß des Widerstands als nach dem Arbeitskräftebedarf der entsprechenden Projekte; oft genügte ein vager Verdacht für die Verhaftung und Verurteilung. Die Auswirkungen auf die Arbeitsmoral des – relativ – freien Teils der Bevölkerung waren aus Sicht der Bürokratie positiv; Arbeit wurde für alle Bürger der Sowjetunion zu einer Angelegenheit auf Leben und Tod.
    Auf der Führungsebene äußerte sich dieser Klassenkampf in einem Kampf der Bürokraten, deren Führer und Exponent Stalin war, gegen die Theoretiker, die mit ihren Bedenken die Kreise der Bürokraten störten. Unter den Auspizien, unter denen die Klasse der Bürokraten die Macht übernommen hatte, mußte mindestens ihr Führer sich auch als Träger einer höheren theoretischen Einsicht ausgeben. Gerade die prominenten Politiker der Partei, die sich einen Rest marxistischen Anspruchs bewahrt hatten, mußten deshalb Opfer einer derartigen Politik werden. Sie waren hilflos, weil sie den Widerspruch nicht auflösen konnten, daß eine angeblich proletarische Partei in einem Agrarstaat die Macht übernommen hatte. Sie waren gefährlich, weil sich in ihrem theoretischen Fundus Erklärungen für all die Rückschläge fanden, die bei einer überstürzten Modernisierung nicht ausbleiben konnten. Sie waren deshalb die idealen Sündenböcke – die Boten, die für schlechte Nachrichten bestraft wurden.
    Die immensen Verluste der alten Führungsschicht schufen entsprechende Aufstiegsmöglichkeiten für nachrückende Funktionäre. Die Elite der Überlebenden bildete eine immer geschlossenere Organisation, darauf ausgerichtet, Weisungen der Zentrale widerspruchslos und effizient auszuführen.
    Ein solches Machtkalkül ist zu zynisch, um es unverhüllt auszuführen – vor allem dann, wenn man mit dem Anspruch angetreten ist, eine klassenlose Gesellschaft zu errichten. Man mußte es daher unbedingt vor den Massen verhüllen, die man wie Figuren auf dem Schachbrett hin und her schob. Und auch für das eigene innere Gleichgewicht des Führungskreises war es besser, wenn er sein Machtstreben mit weniger verfänglichen Motiven bemäntelte.
    Eine solche Politik der gewaltsamen Revolutionierung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse mußte unweigerlich auf breiten Widerstand der Betroffenen, aber auch auf große praktische Probleme bei der Realisierung stoßen. Diese Widerstände durfte man nicht als das nehmen, was sie waren, wenn man die eigene Legitimation nicht zerstören wollte. Widerstände, Probleme, Pannen aller Art mußten daher als Einwirkung feindlicher Mächte dargestellt werden; als Teil dieser Mächte boten sich die innerparteilichen Gegner geradezu an, die ja allesamt zu ihrer Zeit genug Macht besessen hatten, um erheblichen Schaden anzurichten. Auch die sadistischsten Foltern, mit denen die abstrusesten Geständnisse erzwungen wurden, waren nach dieser Logik Teil der Staatsraison; zudem wurden nur auf diese Weise die Unterlegenen auch als Theoretiker ihrer Glaubwürdigkeit beraubt. Der unwissenden Masse aber lieferte man eine Erklärung für alle Schwierigkeiten und Hemmungen; man vermittelte ihr zugleich das Gefühl der eigenen Bedrohung und die Genugtuung über den Sturz von Mächtigen, die kurz zuvor noch rücksichtslos über sie verfügt hatten. Das ganze Gemeinwesen geriet auf diese Weise in einen Geisteszustand, den man bei Einzelpersonen als Paranoia bezeichnen würde – alle Aggressionen und Unzulänglichkeiten, die man bei sich wahrnimmt, werden auf heimtückische äußere Gegner projiziert. Bei Einzelpersonen gilt ein solcher Zustand als krankhaft; für ein despotisches Regierungssystem ist er die Norm.” (B. Mankwald, Die Diktatur der Sekretäre, Norderstedt 2006, S. 145-147)

    Daß es bei diesem Prozeß keine Sieger gegeben hätte, kann man also nicht sagen. Man mag es allerdings als Irrtum ansehen, dieselben weiterhin als Linke zu betrachten.

    Sich auf diese Argumentation einzulassen, mag weh tun; das wäre immerhin eine Erklärung dafür, daß es in den vergangenen fünf Jahren so sehr wenige getan haben. Es verspricht dafür aber auch Antworten auf andere Fragen, die sich aus dem Diskussionsbeitrag von Jörn Schütrumpf ergeben: betrieb Lenin wirklich erst seit 1921 eine bonapartistische Politik “über den Klassen” – oder war das ganze Konzept seiner Partei darauf ausgerichtet? War der Streit zwischen Bakunin und Marx wirklich dümmlich? Ist die Linke wirklich noch nicht über das Niveau hinausgelangt, das Rosa Luxemburg erreicht hat?

    Und, und, und.

  117. Thorsten Koppusch sagt:

    Lieber Jörn Schütrumpf, “Zuhörenkönnen ist überhaupt die halbe Lebensweisheit” hat Tucholsky mal gesagt. Vielleicht besitzt die Linke ja wenigstens die andere Hälfte.

  118. Zitator sagt:

    “Wenig oder gar kein Geld, kaum Karrierechancen – aber zufrieden: Zu diesem Ergebnis kommt der Praktikantenreport 2012, für den die Betreiber des Portals “mein Praktikum.de” die Einträge ihrer User aus dem Jahr 2011 ausgewertet haben”, berichtet Spiegel-Online. Da kann man nur gratulieren, denn so werden sich soziale Problemkonstellationen der Zukunft locker lösen lassen. Der Anfang ist schon mal gemacht.

  119. Zitator sagt:

    Zitiertes:
    Links-Sein
    “Ich bin ein Linker in meinen kulturellen Reflexen, möchte jedoch diese Haltung nicht ohne Reflexion über mich ergehen lassen. Dementsprechend muss ich für den GAU gerüstet sein, wenn etwa ein Konservativer plötzlich Recht hat oder ein Vertreter des Fortschritts eine enorme Dummheit präsentiert. Jenseits dieser traditionellen Sicht fühle ich mich jenen Paradiesvögeln verpflichtet, die in einer Frage so, in einer anderen wiederum anders denken. Andersdenken ist für mich nicht nur eine Form der ideologischen Devianz, sondern auch das Recht, über etwas anderes als die Themen des gängigen Diskurses nachzudenken.”
    György Dalos

  120. Literat sagt:

    Zwar bin ich nach wie vor nicht an dem Hauptthema (Auflösung von Geheimdiensten) bei dem Disput zwischen den Herren Weinholz und “Korff” (Ende März) interessiert; aber einmal mit der Nase darauf gestoßen, hat mich eine Nachricht vom Wochenende aufmerken lassen.

    Zuvor aber bitte noch eine Anmerkung zu meiner Einlassung über die Nutzung von Pseudonymen, in Sonderheit seit der Reformation. Auch und im Volumen größer als die Anzahl kritischer Stimmen war dies die Methode der “Herrschenden”, vor allem des Klerus geworden.

    Irgendwie hat dieser Zusatz im weiteren Sinn auch mit meiner erneuten Wortmeldung zu tun.
    Dazu Zitat aus “Märkischer Sonntag” v. 15. April 2012: “Der neue Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, will die Schlagkraft der deutschen Auslandsspionage deutlich verstärken. ‘Wir müssen die guten operativen Fähigkeiten noch verbessern und ausbauen.’ Dabei müssten ‘gut kalkulierte Risiken häufiger’ eingegangen werden, betonte der BND-Chef und ergänzte: ‘Auch hier gilt – no risk, no fun'”. (Schönes Motto für verantwortungsvolles Handeln! – Einschub: Literat) Schindler stellt hohe Ansprüche an den BND-Nachwuchs: ‘ Wir suchen natürlich die Besten. Jeder Bewerber müsse allerdings auch in Kauf nehmen, dass er beim BND weniger verdiene als in der freien Wirtschaft’.” Nach den Erfahrungen der “Ost-Stasi” kämen auch noch gegebenenfalls Rentenkürzungen hinzu.

    Etwas überrascht bin ich aber schon, dass Herr “Korff” von solchen Ausbau-Konzeptionen des BND wusste oder sie voraus sah, jedenfalls in seiner Antwort dazu schrieb.
    Noch besorgter als im März bin ich aber um Herrn Weinholz’s Position als “Moralist” (ich nehme mal an, Herr Mittig hat ihm diese zugeordnet und “Korff” die des “Pragmatikers”), weil: Die Verhältnisse, die sind offenbar nicht so; auch jenseits “aufgewärmter Stasi-Legenden”. Aber ich fände es anerkenneswert, wenn Herr Weinholz bei der Forderung nach Auflösung – wenigstens – der deutschen Geheimdienste bleibt und sich offen weiter dafür einsetzt.

    Daher diesmal Dank an die beiden Herren dafür, dass sie mich für solche Aspekte sensibilisiert haben. Hätte allerdings nicht gedacht, dass sie so schnell aktuell werden!

  121. Zitator sagt:

    “Gesine Lötzsch zieht sich als Linken-Chefin zurück – Verlust oder Gewinn für die Partei?”, wird Friedrich Küppersbusch in der Taz gefragt. Seine Antwort:
    Irgendwie erinnert die Linke immer mehr an Raumschiff Enterprise, das sich mit jeder neuen Bordcrew schlimmer in Paralleluniversen verfliegt, bis endlich Spock und Captain Kirk wieder ranmüssen. Gysi und Lafontaine muss nun ein Generationswechsel gelingen, oder das Schiff dreht über Westdeutschland ab: „Da unten ist kein Leben möglich, Leute.“

  122. Helge Jürgs sagt:

    “Mit neuen Regeln für den Bundestag wollen Union, SPD und FDP das Rederecht der Parlamentarier einschränken. Informationen der “Süddeutschen Zeitung” zufolge sollen in Zukunft nur noch von der Fraktion aufgestellte Redner zu Wort kommen …”
    Hingegen besagt das Grundgesetz in Artikel 38, Absatz 1:
    “Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.”
    Womit klar ist, wo im Bundestag das Gewissen Platz hat: In den Fraktionsvorständen. Dort kann es zum Beispiel Volker Kauder heißen oder Rainer Brüderle. Bei denen kann, wer über eines verfügt, jedes Fraktionsmitglied sein Gewissen abgeben. Inwieweit er es für den Hausgebrauch zeitweise benutzen darf, geht aus der Vorlage von CDU/CSU, SPD und FDP nicht hervor.
    “Demokratie ist in der Praxis eine lustige Sache”, hat Kurt Tucholsky mal satirisch angemerkt. Nur, dass einem der dafür erforderliche Humor immer mehr vergeht.
    H.J.

  123. Werner Richter sagt:

    Zum Grass-Schießen
    Mit Verlaub, Herr Professor Gumbrecht, habe selten so viel professoral gequirlten hanebüchenen Unsinn wie in Ihrem Welt-Artikel „Deutsche haben das Trauma von 1945 nicht überwunden“ auf einem Fleck zu Gesicht bekommen. Alle flachen Klischees, hier zum Thema Antisemitismus, auf einer Stelle sind selten, darauf einzeln einzugehen, lohnt eigentlich den Aufwand nicht. Zum anderen wundert mich Ihr Unterkommensort nicht so richtig, da sich in Stanford schon immer die Antiwissenschaft (Rice, Friedman u.a.) mit abstrusen Theorien unter ausgesprochener Leugnung wissenschaftlicher Denkweisen breit machte. Ihr „radikaler Pazifismus“ ist von gleichem Niveau wie Taxi-Fischers „militärischer Pazifismus“. Ihre Schlaumeiertaktik: Sprecht nicht über Grass` “Gedicht“, sonst wird in Deutschland der Antisemitismus belebt sowie der radikale Pazifismus! entspricht dem Niveau geistig Zurückgebliebener, die sich die Augen zuhalten und so unsichtbar wähnen. Niedlich! Es ist meines Erachtens noch nie versucht worden, die Authentizität von „Antisemitismus“ und „radikalen Pazifismus“ herzustellen. Ihnen gebührt unbestritten das Copyright, darauf muß man erst mal kommen. Sie halten es sowieso für überflüssig einen Antisemitismus bei Grass zu begründen, er ist einfach vorhanden, Punktum. Sie beweisen es damit, daß Sie anderer Auffassungen sind und mit Angela Merkel übereinstimmen. Das ist Tautologie und Gottesglauben bezüglich der Kanzlerin. Weidet Joschka nicht auch ganz in Ihrer Nähe? Ganz bestimmt aber geistig. Also, Sie gehören tatsächlich dort hin. Aber bleiben Sie alle auch dort, ersparen Sie uns weitere Gruselauftritte als Zombies der Pseudowissenschaft. Und bitte, sprechen Sie nicht mehr von „intellektuell schmuddeliger Plausibilität“ und „banalem Text von Grass“, Ihr Text disqualifiziert Sie. Und zählen Sie sich nicht mehr zu den Intellektuellen, das beleidigt viele. Zu Dank bin ich Ihnen allerdings auch verpflichtet für Ihre sonst nie so offen dargestellte Menschenverachtung als imperialer Anusschmarotzer. Nett von Ihnen, in Ihrer Toleranz Grass kein Rede- und Schreibverbot vorzusehen, vorerst bestimmt. Weil der nach Ihrer Meinung mehrheitliche „Totalpazifismus“, Ablehnung von Kriegen in der Politik, von keiner Regierung angewandt wird, ist er illusorisch und damit gefährlich, weil alle Regierungen mit Waffen die Interessen der Mächtigen durchzusetzen gedenken, ist das akzeptabel. Ihre hohe Moral soll auch nicht ungewürdigt bleiben. Ziemlich unverblümt wünschen Sie ihm den baldigen Tod aus Ihnen selbstverständlichen egoistischen Gründen. Er ist vielleicht so nett, Ihnen keine weiteren Texte zu zumuten.
    Insgesamt geben Sie ein wahres Lehrbeispiel neoliberaler Machtpolitik. Leuten wie Ihnen ist es natürlich ein Ärgernis, daß die Mehrheit der Deutschen nicht die politik- und medienoffizielle Manipulationslinie: Egal was passiert, ohne Murren und immer für Israel, mitmacht. Dabei geben Sie sich so viel Mühe im Einklang mit der Mehrheit der Soldschreiber und –politiker in Minderheit. Ihr Pech, aber einfältig trotzdem.
    Der Zeitung jedoch muß ich die Frage stellen, ob sie es wirklich so bitter nötig hat, alle Flachzangen der Welt zu Experten hoch zu stilisieren oder entspricht dies ihrem Niveau? Kann denn niemand mehr den geistigen Zustand eines Beitrages einschätzen?
    Mir graut vor Euch.
    P.S. Warum beschäftigt mich ein solcher Artikel? Nun, normalerweise nicht, aber der Herr übt hier seinen Einstand auf dem deutschen Markt. Darum diese Warnung an alle Arglosen:
    Hans Ulrich Gumbrecht, 1948 in Würzburg geboren, lehrt Komparatistik in Stanford. Im Sommer erscheint bei Suhrkamp “Nach 1945: Latenz als Ursprung der Gegenwart”.

  124. Zitator sagt:


    Achsenverschiebung

    In Folge der Krise würde sich aber die Macht in der Weltwirtschaft von Europa und den USA in Richtung China und Indien verschieben. Und das sei gut so. Denn die Tatsache, dass die westlichen Industrienationen für beinahe 200 Jahre die Weltwirtschaft beherrscht haben, hält Stiglitz für eine Anomalie der Geschichte, die nun korrigiert werde. Im Jahr 1820 habe Asien noch für die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung gestanden, bevor die Region an Einfluss verlor. Geräuschlos werde der Machtwechsel aber nicht laufen. Handelskriege und Gerangel um internationale Spitzenposten seien unausweichlich.

    Joseph Stiglitz, US-amerikanischer Wirtschaftsnobelpreisträger, zitiert nach “Süddeutscher Zeitung”

  125. Werner Richter sagt:

    Endlich…
    Hat er seine bisher erdachten, aber disziplinierenden Vergangenheitsfesseln, ob jeder Vernunft widersprechende Nibelungentreue zur SPD, der alten Hure, oder düstere Drohung seines Endsiegbeitrages, etwas gelockert. Sehr zaghaft immer noch, aber er hat. Da mußte er erst Moos ansetzen, das nahe Rauschen seiner Sintflut mit trüben Augen erblicken, um die Mahnungen seiner eigenen Bücher auch in die politische Wortmeldung einfließen zu lassen. Und welchem Sturm der entrüsteten Heuchelei oder heuchlerischen Entrüstung hat er sich da entgegen zu stemmen. Auch mit diebischer Freude nach innen? Glaub ich schon, macht er ja nicht zum ersten Mal, der Schlawiner. Ach wie herrlich, kurz vorm Abnippeln nochmals die frische Luft, den kräftigen Wind die Tropfen von der Nase wehen zu spüren.
    Die Entrüster waren fix, waren zuerst da, die Nachdenklichen kommen erst jetzt so langsam in die Gänge. Nun ja, der Alte ist wohl nicht mehr ganz dicht, sondert kein lyrisches Sekret aus, das ja nach Tucholsky denen ausläuft, die hinten nicht mehr hoch kommen, selbst das läuft bei ihm schief. Nein, er verkennt in Alterswirrnis einfach die Lage, die die Entrüster vorgegeben. Sie, die den Pseudoantifaschismus ihrer Altvorderen schöpferisch weiter entwickelt haben. Und da kommen diese selbsternannten (paßt immer!) Mahner und Experten, keiner, jedenfalls nicht wir, hat sie gefragt. Von wegen Weltkriegsgefahr von Israel ausgehend, unsere Experten sagen „Quatsch!“, so, wie wir es wollen. Wir sind selbst Experten genug, wissen seit langem, die Hauptstadt von Iran ist Teheran oder so ähnlich. Wir haben lange gebraucht, um das Intelligenzniveau der US-Politiker zu erreichen, fast haben wir es. Dann läuft noch unsere Hochschulreform, die den Expertenstand zu uns nivelliert, und schon stimmt`s wieder. Wir haben aus der Geschichte gelernt, den 1. Weltkrieg verloren, den 2. auch und den 3. werden wir auch gewinnen. Mit den USA zusammen kann nichts schiefgehen, die gewinnen jeden Krieg, zumindest in Hollywood. Diese sogenannten Experten, Polenz duckt sich von selbst, wenn er scharf angesehen wird, darin hat er Übung. Scholl-Latour oder Lautrec, der so verdächtig fassungslos den Kopf schüttelt, stellen wir senil. Und Grass: der hat nur Moral, damit will der uns kommen, nicht zu fassen. Als ob es um Moral ginge, es geht um viel Höheres, die Freiheit. Nicht irgendjemandes, sondern der Unternehmen und Leistungsträger. Der hat keine Ahnung und ist senil, basta.
    Da hatten die nach neuen Absatz- und Einflußgebieten lechzenden USA endlich eigennützig geholfen, Hitler & Co., diesen Versagern, die Hälse umzudrehen, machten sie flugs aus dem Nazirest Demokraten: – So, jetzt ist Schluß, nun ist die Demokratie dran. – Wie geht die denn?- Ihr macht das, was wir haben, naja, ein bißchen noch aus der Weimarer Zeit dazu und dann habt Ihr Demokratie. – Seit wann haben wir denn in unseren USA Demokratie ?, stänkerten verwundert einige nicht verblödete Amis dazwischen. – Basta, sagten die Mächtigen, für die Krauts reicht das allemal, wir brauchen sie für unsere Pseydodemokratiestategie gegen die bösen Russen. Also, Krauts, das, was wir zuhause haben, ist ab sofort Demokratie, das gilt jetzt überall im Rest der Welt. Daß wir es ernst meinen, seht Ihr daran, daß unsere Einlaßkontrolle, die mit der Fackel, nicht mehr nur für „Freiheit“ da ist, sondern ab heute für „Freiheit & Demokratie“! – Nun, Väterchen, sagten die frisch gebackenen Demokraten, unter ihnen die vielen Strauße, Globkes und Oberländers, dann machen wir das. – Aber nicht zu stürmisch, alles will gut überlegt sein! Bei Euch zu Hause reicht ein bißchen Tünche, Grundsanierung ist zu kostspielig und gefährdet unsere Kriegsgewinne, Eure nebenbei bemerkt auch. Ihr leistet an den Juden Wiedergutmachung. Wir haben mit denen noch viel vor, sie sollen uns den Nahen Osten einbringen, die Arabs wollen das aber nicht. Begreifen nicht, daß sie auserkoren sind, unsere Schuld am Tod der Millionen zu bezahlen und dafür ihr Land herzugeben, diese Undankbaren. Also, ein bißchen Rente den Überlebenden, sollen ja nicht auch noch verhungern, den großen Rest zur Aufrüstung Israels. Von Euch das Geld, von uns die Waffen. Investitionen kommen auch von uns, Ihr finanziert. Bei Euch zu Hause sprecht Ihr von der Schuld des Volkes, die nie getilgt werden kann, ja nicht von Schuld der großen Konzerne und der übrigen Vernichtungsgewinnler, die sind absolut tabu, sollen ja im Win-Win-Spiel der israelischen Rüstung ihren Part übernehmen, abgesehen von ewigen USA-Anteilen, die tabu sind. Um den Pöbel unter Druck zu halten, überlegt Ihr Euch selbst was. – Naja, da hätten wir die historische Verpflichtung, uneingeschränkt alles abzusichern, was Israel, also Ihr, macht. Wird nicht so schwer, die Leute waren schon verblödet und sind es immer noch, die fressen das auch mit Knochen. Es wird dann immer arabischer Angriff oder Terrorismus heißen, den die armen Isis abwehren müssen. Die Medien machen da auch mit, paßt schon. –
    Ist schon eine feine Sache, dieser Philosemitismus. Man kann eine semitische Gruppe zu alleinigen Semiten erklären, die andere zu Antisemiten, die jüdischen Gegner gleich mit. Wenn die auch die jetzige Regierung als Faschisten bezeichnen, für uns und gefälligst auch für den großen Lümmel sind es die einzigen Demokraten in Nahost. „Unsere“ Juden werden sich eines Tages sowieso taufen lassen müssen, sonst kommen sie wieder auf die Schurkenliste. Wird bestimmt klappen, wo uns schon die Umwidmung von Moslems und Stammesscheichs in solche gelungen ist. Ist schon fast genial, dieser Trick. Genauso gut wie die jüdischen Erben Kochs. Aber lieber Vorsicht, „genial“ hat gerade Inflation, wird zu oft auf Fußballer angewandt. Genial hat mit Intelligenz zu tun, diese mit Zweifel. Ein zweifelnder Fußballer schießt aber keine Tore. Und Politiker, naja, siehe Koch.
    So gingen sie auseinander, jeder machte seine Kriege für vitale Interessen oder ließ sie machen und die Rüstung blühte auf. Die Bundesrepublik wurde so Exportweltmeister und Israel schlug wild um sich, denn es geriet dadurch in ernste Gefahr. Die Kiste verfuhr sich derart, daß den ganz Scharfen nur noch ein großer Krieg die Lösung zu sein scheint. Ob wir diesmal wieder den Kommunisten die Schuld zuschieben könnten?
    Und der alte Butt hat es gemerkt, trotz vielen Mooses auf dem Rücken! Und jetzt hetzt ihn die Meute.
    Na: staunt Ihr noch oder kotzt Ihr schon?

  126. Horst Kerber sagt:

    Lieber Herr Donat,
    gut, dass Sie darauf hinweisen, dass der Versailler Vertrag nicht, wie immer öfter kolportiert, ungerecht war. Dass es allerdings von den Siegermächten kurzsichtig war, das deutsche Volk durch die auferlegten (und noch so verdienten) Härten zu nicht geringen Teilen in die Hände der Nazis zu treiben, bleibt wiederum unbenommen, scheint mir. Im Übrigen: Dass mehr Alkohol konsumiert worden ist, als die Reparationen ausmachten, ist kein ernst zu nehmendes Argument gegen die Schwere der Balstungen. Gesoffen wird überall in jenem Masse mehr, je schlechter es den Massen geht, Armutsverhältnisse werden dabei teils völlig auf den Kopf gestellt.
    H. Kerber

  127. Sarcasticus sagt:

    Arno Widmann (BERLINER ZEITUNG, 24.03.2012) hatte einige bemerkenswerte Bemerkungen zur Antrittsrede des neuen Bundespräsidenten nach dessen Vereidigung: „Am Schluss bat der neue Bundespräsident uns alle um Vertrauen. Wir, die Bürger sollten Vertrauen zu denen haben, die in unserem Lande Verantwortung tragen’. Die Bitte erscheint angebracht, denn hätten Bürger und Medien Vertrauen in die Politiker, dann wäre Christian Wulff noch Bundespräsident, und Joachim Gauck hätte diese Rede nicht zu halten brauchen. Er wurde Bundespräsident, weil das Misstrauen gegen seinen Vorgänger von Tag zu Tag so sehr anstieg, dass es ihn aus dem Amt trieb. Wir wissen, dass ohne ein gewisses Vertrauen kein Zusammenleben möglich ist. Wir wissen aber auch, dass dasselbe für das Misstrauen gilt.“

    Widmann machte zugleich darauf aufmerksam, dass Gauck in seiner Rede die „Freunde eines gesunden Misstrauens in eine jede Institution hat er leer ausgehen lassen“. Widmann verwundert das nicht, denn: Gauck „ist ein Prediger. Er ist zuständig fürs Erbauliche. Bis zu welchen Absurditäten er das treiben kann, war schon vor ein paar Tagen zu beobachten. ‚Was für ein schöner Sonntag!’, rief er nach seiner Wahl aus. Er zitierte damit den Titel eines der großen Bücher des zwanzigsten Jahrhunderts. Bei Jorge Semprun ist das der sarkastische Satz eines KZ-Insassen, der an einem Dezembersonntag vor die Baracke tritt und sieht, wie der Schnee im Licht der Scheinwerfer herabwirbelt. Bei Gauck wird dieser bitterböse Satz, von dem der Autor schreibt, der Mann hätte eben so gut ‚Scheiße’ sagen können, ins nur Affirmative gewendet. Es ist ein Satz, in dessen scheinbar strahlendem Licht, der Wahlsieger glaubt, sich sonnen zu können.“

  128. Lars Stegmann sagt:

    Lieber Erhard Weinholz,
    Ihr Wunsch, dass ein jeder medialer Disputant mit seinem Realnamen operiere, ist mir schon verständlich. Dass die Verwendung von Pseudonymen bei Rezensionen oder andersartigen Texten seit dem 18. Jh. “in Verruf” sind, wage allerdings auch ich zu bezweifeln. Schauen Sie mal – z.B.! – in jenes Buch, das die Namen aller Autoren der Vorkriegs- “Weltbühne” auflistet, und dort denn auch jene Pseudonyme erwähnt, derer sich nicht wenige und vor allem hochseriöse Autoren bedient haben. Dass dies der Glaubwürdigkeit dieser Publikation Abbruch getan hätte, darf gewiss bezweifelt werden.

  129. Karl-Heinz Mittig sagt:

    Das ist schon eine interessante und keineswegs überflüssige Debatte, die sich da zwischen Weinholz und Korff entwickelt hat. Nur: hier disputiert ein Moralist mit einem Pragmatiker, das macht Übereinkünfte besonders schwierig.
    Karl-Heinz Mittig

  130. Literat sagt:

    Zu den inhaltlichen Auseinandersetzungen von den – offenbar – Herren Weinholz und „Korff“ habe ich keine Kompetenz, nur zu der P.S.-Bemerkung von Herrn Weinholz: Unter Pseudonym aufzutreten, war im 18. Jh. weniger in Verruf geraten als häufig verboten oder damit bedroht. Insbesondere Studenten nutzten Pseudonyme, um sich mit ihren Professoren anzulegen. Da die Obrigkeit darin auch eine Aufforderung sah, gegen sie zu opponieren, erfolgten auch rechtliche Sanktionen, und es wurde der Ruch verbreitet, die Verwendung von Pseudonymen sei unehrenhaft.
    Aktuell würde ein moralisches oder juristisches Verbot verheerende Folgen haben: Das gesamte Kommunikationsnetz würde aus den Fugen geraten und zusammenbrechen. Die sozialen Netzwerke leben davon.
    Bundesinnenminister Friedrich hatte im August 2011 zum Ende der Anonymität im Netz aufgefordert, weil seine Sicherheitsdienste dies als größtes Hemmnis ihrer Arbeit erklärten. Er musste ganz schnell zurückrudern. Er revidierte die ganze Aktion als Missverständnis und erklärte, er habe nur für mehr „demokratische Streitkultur im Netz“ plädiert.
    Wenn auch nicht als Autor, so doch als Leser hoffe ich doch darauf, dass in dieser Zeitschrift dazu Konsens besteht. Und was wäre eigentlich gewonnen, wenn Herr Weinholz sich nicht mehr mit „Korff“ per „Forum“ unterhielte, sondern – als Beispiel! – mit „Hugo Schulze“. Es geht doch wohl um inhaltliche Auseinandersetzungen, soweit ich das verstehe, und nicht darum, ob der eine schon senil und der andere erst bei aufsteigenden Säften wäre.
    Ich danke aber beiden dafür, mich veranlasst zu haben, hierzu etwas aufzuschreiben.

  131. Erhard Weinholz sagt:

    Zu Korffs und Rudolph Caracciolas Antworten auf meine Erwiderung zu Korffs Beitrag im Blättchen 5 / 2012::

    Wie K. zu der Vorstellung gekommen ist, ich sei der Meinung, der kalte Krieg sei von deutschem Boden ausgegangen, ist mir ein Rätsel. In meinem Text steht nichts dergleichen.

    Die MfS-Westagenten hätten, so R. C., eine „verdienstvolle Arbeit“ geleistet, die es in Momenten internationaler Spannungen ermöglicht habe, gelassener zu reagieren. Das ist lediglich eine Behauptung. Entschieden wurde über solche Reaktionen bekanntlich an höchster Stelle in Moskau. Mir ist aber kein Fall bekannt, in dem die einschlägigen Berichte Einfluß auf das Verhalten des Politbüros des ZK der KPdSU gehabt hätten. Auch während der krisenhaften Zuspitzung der Lage im Zusammenhang mit der NATO-Übung Able Archer im Jahre 1983, die von der KGB-Spitze als unmittelbare Vorbereitung eines Angriffs gewertet wurde, kam Rupp alias Topas mit seiner realistischeren Einschätzung nicht zum Zuge; KGB-Vize Krjutschkow beharrte auf seiner Sicht. Die Politbüro-Ebene hat der Vorgang aller Wahrscheinlichkeit nach gar nicht erreicht.

    Fazit: Der Nutzen von Geheimdiensten ist nicht im mindesten erwiesen, der Schaden, den sie angerichtet haben, ist hingegen erwiesenermaßen beträchtlich. Geheimdienste gehören daher aufgelöst. Eine solche Forderung ist meines Erachtens auch eher im Sinne Ossietzkys als das Aufwärmen von Stasi-Legenden.

    P.S.: Ich halte es für eine Unsitte, in Diskussionen quasi Ferien vom Ich zu machen und unter Decknamen aufzutreten; nicht ohne Grund ist die Praxis anonymen Rezensierens, die im 18. Jahrhundert üblich war, in Verruf geraten.

    • Korff sagt:

      Sehr geehrter Herr Weinholz,
      Ihre nochmals so eindeutige Positionsbeschreibung hat mich insofern überrascht, als ich annahm, mein Angebot, wenn auch in verschiedenen Wohnungen, „in meines Vaters Haus“ gut nachbarschaftlich zu leben und dazu auch noch gemeinsam intellektuelles Vergnügen am „Blättchen“ zu haben, das könnte auch Ihre Intention sein.
      Wenn dem nicht so ist, bedauere ich dies auch, weil Sie sich offenbar veranlasst sehen, ein größeres, aktuelles Thema aufzumachen. Nun denn ohne Floskeln gern meine Meinung zu Ihrem Grundanliegen: Ich teile Ihre Forderung nach Auflösung von Geheimdiensten, sehe allerdings für die politische Praxis allerlei Komplikationen voraus, nicht zuletzt durch unsere gemeinsamen Erfahrungen belehrt.

      Was erwiesenermaßen von Geheimdiensten angerichteten Schaden anbetrifft, so will ich Ihnen mit Blick auf die V-Leute (was ja nichts anderes meint als: IM) des Verfassungsschutzes bei der NPD und das daran gescheiterte NPD-Verbot nicht widersprechen.
      Allerdings – da die DDR-Stasi ja bereits seit 20 Jahren „aufgelöst“ ist –, kann Ihre Forderung nur an gegenwärtige deutsche Dienste gerichtet sein. Und da möchte ich vor Eifer warnen. Selbst wenn unser beider Anliegen bei Regierung und Parlament, auch beim Bundespräsidenten als Endunterzeichner der einschlägigen Gesetze, Gehör fände – eine vergleichbare „Stasi-Auflösung“ mit deren Auswirkungen sollte es m. E. nicht geben. Und – hier unterscheiden wir uns – das wäre eine Lösung mit dem Versuch, auf einen Fehler einen weiteren zu setzen. Selbst wenn sich die Fürsprache von Ossietzky dafür einstellen ließe; denn „hart im Raume stoßen sich die Sachen“.

      Die Ausgangslage:
      Da hat der Verfassungsschutz als eine Behörde (es gibt mehrere mit verdeckten Zuträgern, also IM) solche bei der NPD.
      Nur dort? Als in der DDR spioniert und Widerstand unterstützt wurde, gab es doch auch V-Personen, bisher unerkannt und daher in den neuen Provinzen weiter beschäftigt bei neuem Aufklärungsbedarf. Als dann neue Parteien entstanden und neue „Ostteile“ an etablierte Parteien angeschlossen wurden, als neue Verwaltungen entstanden: Haben da die Dienste nicht zugegriffen? Sie waren dazu verpflichtet, auch mit dem Argument, sie müssten „alte Strukturen“ zerschlagen. Und dieses Personalgeflecht sollte nun aufgedeckt werden, einschließlich überworbener ehemaliger MfS-Leute bei neuen Dienstherren? Also nun Stasi-Jagd anders herum – wollen Sie das wirklich? Nochmals Spaltung der deutschen Gesellschaft ohne hinreichende Absicherung durch eine neue Innenpolitik? Das ist doch der Knackpunkt; Dienste sind Instrumente. Freilich, in der DDR ließen sich daran medienwirksam „Exekutionen“ inszenieren; hält aber unsere Gesellschaft dies noch mal aus, wenn ihr nicht das Schicksal der DDR beschieden sein soll?
      Und die internationalen Aktivitäten unserer Dienste, z.B. im arabischen Raum, von denen ja schon Erfolgs-Stories kursieren? Oder die Destabilisierungs-Beiträge, als Jugoslawien zerschlagen wurde – soll das nun auch Straßengut werden, zum Ausschlachten durch „Enthüller“? Wäre da nicht auch der „Menschliche Faktor“ zu beachten, vom Beamtenrecht ganz abgesehen?

      Zu Ihren Sacherkenntnissen:
      Ihnen sei kein Fall vom Nutzen geheimer Informationen bekannt. Sind sie sicher, dass es nicht vielleicht doch einen geben könnte, von dem Sie nichts wissen? Dieser Tage wurde Egon Bahr 90 Jahre, und in Verbindung damit wurde wieder daran erinnert, dass er – seinerzeit auf Initiative des KGB (das war eine Institution, worin auch Auslandsgeheimdienste der Sowjetunion erfasst waren, mehrheitlich, um korrekt zu sein) – einen dauerhaften geheimdienstlichen Kanal über KGB-General Keworkow direkt zur Führung in Moskau hatte, der auf dem Wege zu den Bonner Ostverträgen regelmäßig genutzt wurde. Ich finde das für Deutschland und den Frieden in Europa sowohl statthaft als auch vor allem ergebnisreich.
      Mir ist auch schwer vorstellbar, wie die gemeinsame „deutsche Verantwortungsgemeinschaft“ der Herren Honecker/Schmidt/Kohl (von allen dreien so benannt und praktiziert) funktioniert haben könnte, ohne geheime Vorbereitungen und Begleitservice. Und was die Leistung von Herrn Rupp anlangt, da neigen inzwischen die umtriebigen Wissenschaftler des Zweiges „Spionageforschung“ mehrheitlich nicht so sehr zu Ihrer Lesart. Deren Frage ist vielmehr, wie man sichern kann, dass man sich gegenseitig „versichert“, also Abhängigkeiten bewusst herstellt.

      Eigentlich wollte ich nur erinnern: „Von der Parteien Haß und Gunst verwirrt…“ Mitunter glaubt man zu wissen – und über den Zweifel hinaus wächst ja auch manchmal neue Erkenntnis zu, vielleicht auch uns.
      Ich grüße Sie in gleicher Weise, wie ich das bei meiner ersten Antwort getan – und gemeint habe!

      Zu Ihrem P.S.: Ihr Begriff „Deckname“ stammt wohl mehr aus der Kriminaltätigkeit und von Geheimdiensten. In der Literatur (ich habe nachgeschlagen) wird üblicherweise von Pseudonym gesprochen – von den Begründern und Vorläufern auch dieser Zeitschrift (vgl. insbesondere unser „Forum“) gern genutzt.

  132. Kay Bliewand sagt:

    Um ein NPD-Verbot zuwege zu bringen will der Verfassungsschutz seine V-Leute aus Führungspositionen der NPD abziehen, ist zu lesen. Wie muss ich mir das vorstellen: Gehen diese Leute dann nicht mehr hin und geben sich so als V-Leute zu erkennen (mit persönlich ganz sicher unersprießlichen Folgen)? Oder bleiben sie an Ort und Stelle und liefern nur keine Informationen mehr – womit sie aber noch immer V-Leute wären?
    Kay

  133. Zitator sagt:

    Volker Pispers im WDR zu Gauck:
    Endlich hat das Volk seinen Präsidenten der Herzen. Ich hätte ja gern was fürs Hirn gehabt, aber Mehrheit ist Mehrheit, und das ist auch gut so in der Demokratie. Gauck hat gesagt, dass er nicht alle Erwartunten erfüllen können wird. Vielleicht erfüllt er ja auch nicht alle Befürchtungen …
    Komplett unter http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2012/03/20/wdr2-kabarett-pispers.xml

  134. Zitator sagt:

    Die “Junge Freiheit” über Joachim Gauck:

    »Sein Plädoyer für Vaterlandsliebe und Freiheitswillen, ein beispielgebender Patriotismus könnten die Normalisierung unserer Nation befördern. Von ihm sind intellektuelle Impulse, geschichtspolitische Akzente zu erwarten, kurz: eine geistig-moralische Führung, zu der das versammelte Bundeskabinett nicht mehr in der Lage ist.«

    Sage mir, wer Dich lobt, und ich sage Dir, wer Du bist ….

  135. Bernhard Romeike sagt:

    Der Hinweis von Bernhard Mankwald auf die Entscheidung der SPD für Hindenburg 1932 ist historisch richtig und für das Verständnis dessen, womit wir es jetzt zu tun haben, wichtig. Gauck passt zur heutigen SPD, wie Hindenburg zur damaligen: gar nicht. Analogien haben jedoch auch ihre Grenzen: Der Satz, “Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler”, hat sich dann leider als zutreffend erwiesen. Vor einer solche Aufgabe wird Gauck nicht stehen. Aber die politischen Grundmuster beider, Gauck und Hindenburg, dürften viele Schnittmengen haben. Wir bekommen jetzt die sonntagsrednerischen deutsch-nationalen Girlanden, die um die Weltgeltung, die dieses Deutschland inzwischen wieder hat, gewunden werden. Das Freiheitsreden ist nur das Sahnehäubchen auf dem dunklen Trank; in Norddeutschland ist das ein “Pharisäer” – man tut so, als trinke man Kaffee, und drinnen ist Schnaps.

  136. Zitator sagt:

    Mit einer Erklärung haben sich DDR-Bürgerrechtler am 8. März zur angezeigten Wahl Joachim Gaucks zum Bundespräsidenten an die Öffentlichkeit gewandt. Das Blättchen dokumentiert im folgenden diesen Text:

    Erklärung zur Wahl des Bundespräsidenten

    Freiheit, die wir meinen

    Joachim Gauck wird der nächste Bundespräsident sein. Die Kompetenz, seine Glaubwürdigkeit und persönliche Integrität, die ihm dafür zugesprochen werden, beziehen sich auf sein Leben in der DDR. Dass Joachim Gauck anscheinend nicht zur politischen Klasse gehört, erhöht zusätzlich die Erwartungen an ihn. Wer kritische Einwände gegen den Präsi­dentschafts-Kandidaten vorbringt, muss mit empörten Reaktionen rechnen.

    Der Glanz des Unpolitischen, der den Kandidaten umgibt, seine Rolle als moralische Anstalt, die mit seinem Amt als Pfarrer in der DDR begründet wird, verdecken, dass Gauck seit 1990 eminent politische Positionen übernommen hat.

    Wenn die Kritik an seinem Wirken als Politiker und öffentliche Person regelmäßig mit dem Argument seiner Diktaturerfahrung abgewehrt wird, entlässt man ihn aus der Verantwortung, die er trägt.

    Wir sind wie Joachim Gauck durch diese Diktaturerfahrung gegangen. Uns hat, anders als ihn, nicht der Mangel an Freiheit am stärksten geprägt, sondern unser Kampf, unser Bemühen um ihre Durchsetzung in der DDR. Unser Freiheitsbegriff ist mehr als eine persönliche Selbstbehauptung, die am Ende nur zu einer Freiheit für Privilegierte führt. Wenn wir in der DDR in unseren Freiheits-Texten von Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung sprachen, haben wir damit auch eine grundsätzliche Kritik an der modernen Industriegesellschaft verbunden.

    Gaucks Denken über Freiheit ist von dem Begriff individueller „Selbstermächtigung“ bestimmt. Uns geht es um die aktive gesellschaftliche Öffnung und um die Freiheit aller. Es kommt nicht nur auf eine Haltung der Freiheit an, sondern auf eine Verfassung der Freiheit. Anpassung war für uns in der DDR keine Option. Wir haben Bevormundungen widersprochen, Freiräume mit anderen und für andere geschaffen und gesellschaftliche Veränderungen eingefordert. Diese Erfahrungen aus der DDR ermutigen uns, kritische Bürger im vereinten, demokratischen Deutschland zu bleiben.

    Joachim Gauck hat die Erwartungen derjenigen beflügelt, die durch die Beschwörung des Antikommunismus die Freiheit verteidigen wollen. Die dringend erforderliche Kompetenz des künftigen Bundespräsidenten kommt aber nicht aus der Beschwörung der Vergangenheit, sondern aus der Fähigkeit, drängende Fragen der Zukunft zu thematisieren:

    Wie schaffen wir es, den Angriff der Finanzmärkte auf die Demokratie, unsere Lebensform der Freiheit, abzuwehren, den Skandal wachsender Verarmung vieler bei explodierendem Reichtum we­niger nicht länger hinzunehmen, den Raubbau an den natürlichen Lebensgrundlagen zu beenden, das Zusammenleben der Menschen in kultureller und religiöser Vielfalt zu ermöglichen und neue Konflikte friedlich zu lösen?

    Diesen Bundespräsidenten werden wir daran messen, ob und wie er sich die Freiheit nimmt, die Politik angesichts dieser fundamentalen Herausforderungen in die Verantwortung zu nehmen.

    Berlin, am 8. März 2010

    Unterzeichner:

    D. Dr. Heino Falcke, Erfurt; Almuth Berger, Berlin; Joachim Garstecki, Magdeburg; Wolfram Hülsemann, Berlin; Heiko Lietz, Schwerin; Ruth Misselwitz, Berlin, Dr. Sebastian Pflugbeil, Berlin, Dr. Edelbert Richter, Weimar; Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer, Wittenberg; Hans-Jochen Tschiche, Satuelle; Dr. h.c. Christof Ziemer, Berlin

  137. Erhard Weinholz sagt:

    Krieg und Frieden. Zu von Korffs Eröffnungen (Das Blättchen Nr. 5/2012)

    Korffs Hirn gebiert eine Idee: / Wie wär’s, in Mielkes Séparée / mit Dokumenten zu belegen, / der Friedensretterrolle wegen, / die es gespielt im kalten Kriege / (geplant auf Mielkes Ruheliege?) / das MfS – als Schild und Schwert – / sei eines Friedenskusses wert?
    Ich gebe zu: Der richtige Morgenstern war besser. Aber sein Korff hatte auch, so scheint mir, erheblich bessere Ideen als der hier im Blättchen auftretende. Der kalte Krieg, das kann wohl als gesicherte Erkenntnis gelten, zielte – im Osten wie im Westen – in erster Linie darauf ab, die eigenen Bürger im Sinne des herrschenden Systems zu disziplinieren. Ganz besondere Aufmerksamkeit galt dabei in der DDR den Mitgliedern der SED und der KPD, über die die SED-Spitze die Oberaufsicht führte. Erledigt wurde die betreffende Dreckarbeit von den zuständigen Parteigremien, der Justiz, den Medien und natürlich vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS). So wurde der KPD-Vorsitzende Kurt Müller im März 1950 nach Berlin (Ost) gelockt, verhaftet und von Mielke verhört, um ihm das Geständnis abzupressen, er sei Agent einer fremden Macht und habe Mordanschläge auf Stalin geplant. Daß MfS-Agenten als “Kundschafter des Friedens” gewirkt haben, ist dagegen meines Erachtens eine (vom MfS selbst gestrickte) Legende. Selbst wenn es dem Ministerium nicht gelungen wäre, an wichtigen Stellen seine Westagenten zu platzieren, wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zum 3. Weltkrieg gekommen. Das Beispiel der Kubakrise, der wohl gefährlichsten Situation im Verlauf des kalten Krieges, zeigt, dass die Spitzenpolitiker der beiden Weltmächte doch recht vorsichtig agierten, wenn es einmal richtig brenzlig wurde. In den achtziger Jahren gab es zudem – blockübergreifend – eine durchaus nicht einflußlose Friedensbewegung. Auch die in der DDR sich formierenden staatsunabhängigen Friedensgruppen wurden zum Ziel der Bespitzelungs- und Zersetzungversuche des MfS. Korffs Umgestaltungspläne sollten also in der Schublade bleiben.

    • Korff sagt:

      Korff’s Dank

      Sehr geehrter Herr Weinholz,
      Ihre unmissverständliche (An)teilnahme an meinen „Eröffnungen“, zudem noch gereimt, lässt mich in meinen Zettelkasten greifen, wo ich dies von Einstein herauspicke:
      „Welch triste Epoche,
      in der es leichter ist,
      ein Atom zu zertrümmern
      als ein Vorurteil“.
      Um Ihre Befürchtung und die daraus resultierende Schlussempfehlung gleich zu bescheiden: Meine Nebenbemerkung, von manchen Lesern nicht ganz falsch als Ironie empfunden, in einem kleinen Nebenraum etwas vom Selbstverständnis der früheren Büronutzer zu zeigen und nur auf 98 % der Ausstellungsfläche über sie, hat keinerlei Aussicht auf irgendwelche Erwägungen. Sie dürfen diesbezügliche also ganz unbesorgt sein. Die eine, von Ihnen zu „Umgestaltungsplänen“ avanciert, Blitzidee ist obsolet – „Entwarnung“!
      Etwas ähnlich überhöht verhält es sich mit Ihrer gewählten Dachzeile „Krieg und Frieden“, wohl um die Ebene des Ereignisses angemessen einzuordnen. Also so hoch stilisiert hat das selbst bei der Stockeröffnung niemand der Akteure, obwohl sie mit der Zuordnung von Definitionen nicht gerade zurückhaltend operierten.
      Ihre ernsthaft klingende Vermutung, der kalte Krieg sei von Deutschland, in Sonderheit von der DDR (zudem einseitig?) ausgegangen, ist wohl nicht herrschende Meinung in den/über die internationalen Beziehungen, sofern wir über den Tellerrand hinausschauen.
      So bedeutend waren nach 1945 weder „die Deutschen“ noch die reale oder konstruierte „deutsche Frage“. Und: Ungeachtet dessen, wen oder was Sie für „das Böse“ halten – als „Zentrum des Bösen“ wurde von den Herren Bush und Reagan doch nicht die Normannenstraße in Berlin charakterisiert/denunziert! Wozu also das Schattenboxen? Nur, um Einstein zu bestätigen oder ernstlich der Versuch, die Widersprüche in der Welt aus Geschichte und Fall der DDR, einschließlich einer Langzeitwirkung zu „erklären“? Stecken hinter solchen Bemühungen nicht tatsächlich Klientel-Interessen statt des Mühens um Wahrhaftigkeit? Provinzialismus in der Geschichtsbetrachtung wird zu Recht als eine schlimme Sünde gebrandmarkt!

      Ich stimme Ihnen bei der Bewertung zu, dass es auch ohne „Kundschafter des Friedens“ nicht zwangsläufig zu einem 3. Weltkrieg hätte kommen müssen (was ja auch nicht passierte); nur ist die von Ihnen bemühte Kuba-Krise das denkbar schlechteste Indiz für Ihre Behauptung, „die Spitzenpolitiker der beiden Weltmächte“ hätten „doch recht vorsichtig“ agiert, „wenn es einmal richtig brenzlich wurde“. Also deren Berater und sie selbst haben im Lauf der Zeit, manche auch einsichtsvoll, offenbart, dass die Menschheit es lediglich mehreren Zufällen zu danken hat, damals dem worst case entgangen zu sein.
      Zutreffend ist vielmehr, dass beiden Seiten der Schrecken darüber so in die Knochen gefahren ist, dass hernach – eingehaltene! – Vereinbarungen, auch das berühmt gewordene „rote Telefon“ installiert wurden; nach diesem Vorbild – aber das wissen Sie ja – gab es auch die Sonderleitungen von Herrn Honecker nacheinander zu den Herren Schmidt und Kohl, über die glücklicherweise keine vergleichbaren Sachverhalte zu transportieren waren, die aber gern genutzt wurden, morgens auch persönliches Befinden zu vermelden.
      Die bibelfesten Herren – Herr Honecker ließ sich gern diesbezüglich aufklären und fand den Spruch gut – handelten damit so, wie wir, verehrter Herr Kollege des geschriebenen Wortes, es auch hier zum gegenseitigen Nutzen und Wohlbefinden halten könnten: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“* (Joh. 14, 2), was keine Anspielung auf die konkrete Eröffnung sein soll. (Dafür ist das ganze Gewese ja nun wirklich zu unbedeutend, auch wenn von uns beiden erörtert.)

      * – Wie man bei Schachnasarow lernen kann, hat die mit Gorbatschow dann aufgekommene Idee des „europäischen Hauses“ übrigens auch hierin eine ihrer Wurzeln – aber das wird schon ein anderes Thema.
      Ich grüße Sie!

    • Rudolph Caracciola sagt:

      Sehr geehrter Herr Weinholz,
      Ihre Einlassung bezüglich Korffs Auslassungen, respektive ERÖFFNUNGEN im aktuellen Blättchen – er selbst hat ja bereits repliziert – lässt mich meinen Senf auch noch dazu geben.
      Ihre Einlassung scheint mir zu implizieren, dass Mielkes Mannen ausschließlich Bösewichter waren bzw. dass deren gesamtes Treiben jede differenzierte, geschweige denn vielleicht sogar teilweise positive Bewertung verbietet. Da bin ich – weit davon entfernt, verharmlosen zu wollen, was Sie zu Recht „Drecksarbeit“ nennen – denn doch anderer Auffassung, vor allem was die Hauptverwaltung Aufklärung und die „Kundschafter des Friedens“ anbetrifft. Ursel Lorenzen, Rainer Rupp und manche andere haben meines Erachtens eine sehr verdienstvolle Arbeit geleistet – und sei es nur im Hinblick darauf, dass in Kenntnis dieses und jenes militärischen Geheimnisses in Momenten internationaler Spannungen – und derer waren ja bis Mitte der 80er Jahre nicht wenige – gelassener reagiert werden konnte, als es in Unkenntnis dessen, was die andere Seite für den Fall des Falle in petto hatte, sonst vielleicht der Fall gewesen wäre. Auch die genannten „Kundschafter des Friedens“ waren ein Teil im Bemühen, nicht nochmals in einen Eskalationsautomatismus wie während der Kuba-Krise zu geraten, die ja nicht fünf Minuten, sondern eine Minute vor zwölf gerade noch gestoppt worden war.

      P.S.: Der Morgensternsche Korf übrigens schreibt sich mit nur einem „f“. Der Unterschied, so gebe ich zu bedenken, könnte bedeutsam sein im Hinblick darauf, dass der Blättchen-Korff nicht so anmaßend ist, sich direkt in die Linie des Morgensternschen zu stellen. Vielleicht ist er, der Blättchen-Korff, ja ein Nachkomme des Publizisten Karl Korff (1876 – 1938), bis 1932 Chefredakteur des Ullstein-Blattes „Berliner Illustrirte Zeitung“ …

  138. Steffen Sabath sagt:

    Heute ist der erste Todestag unseres lieben Vaters!

    • Heinz Jakubowski sagt:

      Lieber Steffen Sabath,
      Ihr Vater ist, wenn wir “sein” Blättchen weiterführen, allemal noch immer unter uns. Und wir hoffen, dass das Ergebnis unseres Tuns vor seinem allweil und nunmehr himmlisch-kritischen Auge Bestand haben möge. Jedenfalls ist dies unser Trachten und, wenns gelingt, wohl auch die beste Art, Wolfgangs auch weiterhin sehr, sehr warm zu gedenken.
      Herzliche Grüße an Sie und Ihre Geschwister,
      Das Redaktionsteam

  139. ANMERKER sagt:

    In Ergänzung zu Heerke Hummels Beitrag in Blaettchen 5 möchte ich auf Gaucks zutiefst gelebten Antikommunismus und dessen mögliche Bedeutung für seine künftige Präsidentschaft hinweisen:
    Armes Deutschland

    Die von Kohl geforderte geistig-moralische Wende scheint kurz vor der Vollendung zu stehen Seine Erfüllungsgehilfen kommen, für manchen paradoxerweise, aus dem Osten unserer Republik und heißen Angela Merkel und Joachim Gauck.
    Was macht sie zu Erfüllungsgehilfen und geistesverwandten Kohls, diese Pfarrers- und Seemannskinder aus der ehemaligen DDR?
    Der Antikommunismus: in der BRD als offizielle Staatdoktrin jahrzehntelang gehegt und gepflegt und in der DDR im Umgang mit dem so genannten realen Sozialismus innerlich widerständig entwickelt.
    Auf diesem gemeinsamen Nenner haben sie sich nach der Wende getroffen: Kohl und sein Mädchen, Kohl und der Stasi-Verfolger Gauck. Zwar hat das Mädchen gegen den Ziehvater aufbegehrt und gar dessen Stelle eingenommen, aber die ideologische Grundverbundenheit wurde dadurch nie in Frage gestellt. Und Gauck hat das mit großem Erfolg betrieben, was Kohls Wunsch schon immer gewesen: den bösen Kommunisten permanent eins auf die Mütze geben. Zuerst zehn Jahre lang mithilfe der nach ihm benannten Behörde und dann, und das schon seit Jahren, mit dem von ihm gegründeten Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“.
    Also kann Kohl mit Befriedigung auf sein Werk blicken: Deutschland ist wieder wer in der Welt. Ein Staat der bestimmt, wo es lang geht in Europa, ein Staat, der mit imperialem Machtgebaren an Brennpunkten des Weltgeschehens militärisch dabei ist, ein Staat, auf den seine Bürger stolz sein sollten. Genau hier liegt aber die Crux: Es sind noch zu wenige stolz und dann auch noch oft die falschen. Also muss etwas geschehen. Die auf den Weg gebrachte Bewusstseinswende muss endlich zum Allgemeingut werden, bedarf der ideologischen Unterfütterung. Nichts scheint für die Seelenmassage der Deutschen besser geeignet als der Gesang vom Hohelied der Freiheit – zumindest sieht das die regierende Klasse so. Also weg mit dem glücklosen Multikulti-Wulff und her mit einem Messias der Freiheit, einem in langen Jahren realsozialistischen Martyriums innerlich gereiften Freiheitsprediger, der seit Jahren mit der marktkonformen Freiheit unserer Republik quasi auf Du und Du steht, einem „Präsidenten der Herzen“. Wie entlarvend diese Begrifflichkeit doch ist: um die Herzen soll´s gehen, nicht um den Verstand! Eben dies soll und wird er tun, dieser begnadete Schönredner: Er wird der ehedem verkündeten geistig-moralischen Wende die Krone aufsetzen, indem er die Deutschen mit Freiheitsreden so ins Herz treffen soll, dass ihnen vor lauter Rührung der Verstand flöten geht. Dann kann die herrschende Klasse sagen: Mission erfüllt.
    Armes Deutschland!

    • Heerke Hummels Beitrag in Blaettchen 5 trifft den Kern der Sache: da hat sich ein Politiker “nicht abhängig” gefühlt, dem die wirklichen herrschenden Kräfte unserer Gesellschaft recht leicht das Gegenteil demonstrieren konnten.
      Auch der Kommentar von Anmerker verdient Zustimmung. Besonders deprimierend fand ich bei dem Vorgang, daß Gauck ursprünglich von SPD und Grünen vorgeschlagen wurde – für mich ist es die verheerendste Personalentscheidung der SPD, seit sie 1932 die Wiederwahl Hindenburgs unterstützt hat.
      Etwas zu schwarz sieht Anmerker aber doch. Sicher ist der von ihm beschriebene Effekt in dieser Form erwünscht; es könnte aber eines der letzten Male sein, bei denen der antikommunistische Reflex noch in dieser Weise funktioniert.
      Sogar das Öl geht allmählich zur Neige – und ausgerechnet Antikommunismus soll eine Ressource sein, die in beliebiger Menge zur Verfügung steht? Nachdem der Vorrat jetzt schon seit 20 Jahren intensiv ausgebeutet wird?
      Man erinnere sich, wie es der FDP seit ihrem großen Sieg bei der Bundestagswahl ergangen ist; vielleicht ist ja auch der bevorstehende Triumph des Antikommunismus ein solcher Pyrrhussieg?
      Etwas kann auch die Linke zu einer solchen Entwicklung tun: sich endlich einmal gründlich mit ihren Erblasten auseinandersetzen. Oder genauer gesagt: prüfen, ob es überhaupt ihr Erbe ist, mit dem der Antikommunismus sie ständig konfrontiert – oder ob man gewisse historische Entwicklungen nicht vielleicht mit Hilfe von Marx am besten verstehen und auch kritisieren kann.
      Wie eine solche Kritik aussehen könnte, habe ich schon 2010 zu zeigen versucht:

      “Linke Erblasten

      ‘Tote Geschlechter’ in einem ungeahnt wörtlichen Sinne haben sowohl Stalin als auch Mao hinterlassen. Beide beriefen sich in der Theorie auf Marx, orientierten sich in der Praxis aber vor allem an Lenin, den sie als dessen legitimen Nachfolger betrachteten. Ganze Generationen wurden dezimiert, viele der Überlebenden durch Hungersnöte und Repression geprägt. Die proklamierte klassenlose Gesellschaft haben beide Staatsmänner nicht hinterlassen, im Gegenteil haben sich ihre Nachfolger dem einst verpönten kapitalistischen System zugewandt.
      Immensen Opfern stehen aber auch große Leistungen gegenüber. Beide Länder wurden in wenigen Generationen von einem niedrigen Ausgangsniveau aus zu modernen Industriestaaten ausgebaut. Dadurch gewannen sie auch die Kraft, sich gegen Angriffe von außen zur Wehr zu setzen. Im Kampf gegen Hitler trug die neuformierte Sowjetunion die Hauptlast der Kämpfe und gehörte zu den Siegern. Ebenso machte sich China unter Mao von direkter wie indirekter Einmischung aus dem Ausland frei und schuf damit eine Grundvoraussetzung für seinen Wiederaufstieg.
      Lange Zeit konnte man hoffen, daß der wirtschaftliche Fortschritt auch einen politischen Fortschritt zu einem echten demokratischen Sozialismus mit sich bringen würde. Unter diesen Umständen war es verständlich, daß Versuche, zu Marx zurückzukehren, oft bei Lenin endeten, wie etwa Dutschkes ‘Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen’ oder Bahros Suche nach einer politischen ‘Alternative’. Daß Lenin auch nach dem Ende der Sowjetunion und der Wende Chinas zum Kapitalismus noch viele Anhänger hat, ist auf den ersten Blick erstaunlich; der Versuch, dies zu erklären, würde den Rahmen des vorliegenden Buches sprengen und muß einer künftigen Veröffentlichung vorbehalten bleiben.
      Ohne Schwierigkeiten dagegen läßt sich die Entwicklung unter Stalin und Mao in der Ausdrucksweise der marxistischen Ökonomie beschreiben. Sie stellt sich dann als eine Periode der ursprünglichen Akkumulation dar, ähnlich dem Frühstadium der westlichen Industrialisierung, in dem den Bauern die Verfügung über ihr Land genommen wurde und eine enorme Ausbeutung der vorhandenen Arbeitskräfte die Ansammlung großer Kapitalien ermöglichte. Auch für Schauprozesse, Arbeitslager und Hungersnöte gilt daher, was Marx sarkastisch über die Kolonialkriege und Sklavenjagden der westeuropäischen Industrienationen sagte: ‘Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation.'” (Das Rezept des Dr. Marx, S. 16-17)

      Man muß diese Einschätzung nicht teilen. Aber nur wenn die Linke sich weiterhin kollektiv weigert, die Diskussion überhaupt zu führen, wird der Antikommunismus weiterhin leichtes Spiel haben.

  140. Zitator sagt:

    Wie man Stimung macht …

    Aus einem Interview der Süddeutschen Zeitung mit Prof. Wolfgang Frindte von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, einem der Autoren der Studie ‘”Lebenswelten junger Muslime in Deutschland”:

    Wolfgang Frindte: Manche Journalisten suchen sich bei komplexen Dingen das heraus, was spannend ist und in die Philosophie des Mediums passt. In unserem Team hat es nach der Veröffentlichung in einer Boulevardzeitung große Entrüstung gegeben, sogar Verzweiflung. Da wurde ein Detail der Studie auf eine Weise in die Öffentlichkeit getragen, dass sich die von uns befragten Muslime missbraucht fühlen könnten – das ist traurig. Und wir haben uns in den vergangenen drei Tagen ziemlich alleingelassen gefühlt …

  141. Zitator sagt:

    Roland Preuß in der Süddeutschen Zeitung: “Hans-Peter Friedrich tut seit Amtsantritt alles dafür, den Dialog mit den islamischen Verbänden zu erschweren. Dabei ist die jüngste Integrationsstudie selbst nicht einmal das Problem. Es ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung, der verdächtig wirkt. Und wenn ein Boulevardblatt über eine solch brisante Studie exklusiv berichten darf, ist eine nüchterne Debatte nicht möglich.”

  142. hwk sagt:

    Ehrensöldner Ch. W.

    In der ZDF-Interviewrunde „Was nun?“ ist Christian Wulff im Juni 2010 gefragt worden, ob die 200000 Euro plus Büro und Dienstwagen, die er mit 56 oder 61 Jahren als Pensionär in Anspruch nehmen könnte, in die Zeit passten. Wulff darauf: „Ich denke, da muss ein Zeichen gesetzt werden. Das wird man verändern müssen.“ Frey: „Verändern in welche Richtung?“ Wulff: „Dass man dort Abstriche vornimmt.“ Frey: „Auch finanziell?“ Wulff: „Ja, sicher.“

    Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? (Konrad Adenauer)
    oder/und:
    Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert (Wilhelm Busch)

  143. Zitator sagt:

    ” … Deutschland hat seit dem Beginn der Krise einen Gewinn von 45 Milliarden Euro erwirtschaftet. Aus Zinsen im Rahmen der sogenannten „Rettungspakete“ und durch extrem günstige Refinanzierungsbedingungen auf den verunsicherten Kapitalmärkten. Deutschland gilt als der letzte sichere Hafen für Anleger. Wir profitieren vom Elend. Das wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass man auf die Gefahren einer Transferunion für den deutschen Steuerzahler hinweist. Transfers, die übrigens im Finanzsystem landen und nicht in der griechischen Volkswirtschaft …”
    FAZ von heute

  144. Karsten D. Voigt sagt:

    Vielen Dank für den Hinweis, den ich für durchaus legitim halte. Er spielt ja schon in der Kritik von Luxemburg an Lenin eine Rolle. Aber auch Luxemburg hat sich nicht ausreichend mit der Frage beschäftigt, inwieweit der Schutz von politischen und gesellschaftlichen Minderheiten unabdingbar ist. Die Herrschaft einer Mehrheit allein ist noch kein ausreichender Schutz einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung im Allgemeinen und eines freiheitlichen Sozialismus im Besonderen. Insofern stehe ich auch gewissen jakobinischen Traditionen skeptisch gegenüber.

    Viele Grüße

    Karsten D. Voigt

  145. Kommentar zum Beitrag vom 20. Februar 2012 “Freiheit und Sicherheit – Rückblick eines Sozialdemokraten”

    Aus dem durchweg interessanten Beitrag möchte ich einen einzelnen Punkt herausgreifen. Karsten D. Voigt schreibt: “Eine kritische Auseinandersetzung mit der Theorie des Marxismus-Leninismus und der daraus abgeleiteten Praxis der Diktatur des Proletariats war – und soweit es noch Anhänger dieser Theorie gibt – ist im Interesse der Freiheit erforderlich.”

    Was die Bedeutung des Themas angeht, ist dem Autor zuzustimmen – der Schlüssel zum Verständnis des vorgeblich “realen Sozialismus” liegt aber meines Erachtens darin, daß es sich nicht um die “Diktatur des Proletariats” handelte, sondern um die Diktatur einer bürokratisch organisierten herrschenden Klasse über das Proletariat.

    Marx beschrieb die inneren Auseinandersetzungen in Frankreich nach der Revolution von 1848 und brachte die siegreichen Kräfte auf den Begriff einer “Diktatur der Bourgeoisie”. Als einzig denkbarer Gegenentwurf erschien ihm in dieser Situation die “Diktatur des Proletariats” – eine in sich widersprüchliche Formulierung, die das äußerst schwierige Problem der einheitlichen Willensbildung einer zahlenmäßig sehr umfangreichen Gruppe ansprach. Marx ersetzte die abstrakte Formel später durch die konkrete Beschreibung der demokratischen Verfahrensweisen der pariser Commune. Bestrebungen, eine Diktatur über das Proletariat zu errichten, bekämpfte er vehement.

    Lenins organisatorische Vorstellungen dagegen liefen genau auf eine derart undemokratische und selbstherrliche Form der Herrschaft hinaus. Die “kritische Auseinandersetzung mit der Theorie des Marxismus-Leninismus” führt daher letzten Endes zu dem Ergebnis, daß durch den Bindestrich in diesem Begriff Denkweisen zusammengezwungen werden, die schlicht und einfach unvereinbar sind.

    Soweit eine sehr knappe Zusammenfassung meiner Kritik. An anderer Stelle habe ich das Thema ausführlicher behandelt und dabei auch die aktuellen Implikationen berücksichtigt: B. Mankwald, Das Rezept des Dr. Marx. Norderstedt 2010.

  146. hwk sagt:

    Neues aus Absurdistan:
    “Man gönnt sich ja sonst nichts: Ein britischer Reiseveranstalter lockt seine wohlhabende Kreuzfahrtklientel mit Hubschrauber, Rolls Royce und königlichen Suiten. Die Schiffsreise kostet knapp 10.000 Euro pro Tag – bei einer Dauer von vier Monaten kein billiges Vergnügen.
    Der Begrüßungs-Kaviar zum Kilopreis von knapp 4700 Euro soll in London auf den Trip einstimmen, danach wird noch dicker aufgetischt: 124 Tage Dekadenz stehen auf dem Programm. Solange dauert die Reise, für die der britische Veranstalter Six Star Cruises jetzt nach solventer Kundschaft sucht. Der Kostenpunkt für die viermonatige Kreuzfahrt rund um die Welt: eine Million britische Pfund – umgerechnet knapp 1,2 Millionen Euro.”
    (Spiegel-Online)
    Nix wie zugreifen, liebe Blättchen-Leser, bevor dieser Schnupper-Preis eventuell erhöht wird …

  147. Lars Stegmann sagt:

    Interessanter Artikel von Korff zu Kiesinger und Co.
    Grade eben ist im Bundestag die Große Anfrage der Linkspartei zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in einem langen Dokument beantwortet worden. Es lohnt sich, hineinzuschauen:
    http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/081/1708134.pdf

  148. Curd sagt:

    @ Werner Richter
    20. Februar 2012 um 16:33
    Gauck for President!

    Personenkult (EK)

    Der Personenkult
    stört die Geduld,
    die ich in mir trage,
    und trägt sie schnell zu Grabe!

  149. Werner Richter sagt:

    Gauck for President!
    Endlich, es ist vollbracht! Das wohl heuchlerischste Amt Bundesgermaniens , dem des Nicht-mehr-Kaisers, das zur stillen Andacht heimlicher Wehmutspflege obrigkeitshöriger Bürger und Herrschender erdachte Surrogat vergangener goldener Zeiten, als noch tiefe Verbeugung oberste Bürgerpflicht war, ist seiner Vollendung nah. Kein farbloser Politbuchhalter mehr, kein großer Freund Afrikas, der im IWF ganze Landstriche mit grausamer Wirtschaftshilfe wieder in die gebührende Verödung trat und dann gelegentlichen Besuchs hungernde Kinder mit Bonbons tröstete, kein Ruck-Heini, der wie die Axt im Walde staatsoberhäuptlich dem sozialen Kahlschlag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, des Netzwerkes der neoliberalen Kreuzzügler, Flankenschutz gab. Es ist dieses Amt völlig richtig einem der prägnantesten und gerissensten ego-shooter der Gegenwart angemessen worden. Dieses Amt, bar jeder gesellschaftlichen Bedeutung, außer seiner selbst, kann nur ein qualifizierter Selbstdarsteller mit pathologischem Egozentrismus ausfüllen.
    Dabei geht es mir nicht um die Frage, ob Gauck ein sogenannter Widerständler in der DDR war, nicht darum, ob sein Widerstand etwa bei den wiederholten Gesprächen mit MfS-Mitarbeitern in der Wahrung seines Status lag, wenn er sich gegen die Gesprächspartnerschaft Subalterner verwahrte. Seine sehr eigentümliche Darstellung und die diverser Medien seiner Bürgerrechtlerschaft in DDR-Zeiten, die überall in bestimmten Kreisen, die den Braten riechend eine Widerstandsvita konstruierten, wobei der Widerstand bei Lichte besehen mehr im Inneren, also geheim, vonstatten gegangen sein soll. In meiner Erinnerung ist ein Gespräch aus der Wendezeit, als der Name Gaucks nur Eingeweihten im Zusammenhang mit dem „Abschiedsbesuch“ Honeckers in Rostock und dem Kohlbesuch geläufig war, mit einem Sprecher des Neuen Forums Rostock. Dieser kannte Gauck auch nicht näher, hielt jedoch eine Mitgliedschaft Gaucks im Neuen Forum für möglich, jeder konnte beitreten. Jedenfalls spielte er im Neuen Forum bis zu den Wahlen keine Rolle, danach im eigentlichen Sinne auch nicht. Erst später, gleichzeitig mit der systematischen Demontage Werner Fischers, auch mit Hilfe der Medien, von wem auch immer initiiert und gesteuert, ging sein Stern als Stasi-Akten-Herr auf. In der Aufbauzeit der Behörde war er wochenlang verschwunden, kaum, daß er im Gespräch war, nach Bonn ausgereist, um Direktiven zu empfangen. Sein Adlatus gab mir auf meine dringliche Intervention hin, in das Amt gestandene Bürgerrechtler zu holen, schließlich verlegen zu verstehen, daß Gauck überhaupt keinen Einfluß auf Inhalt und Personal der zukünftigen Behörde habe, das bestimme eine spezielle Arbeitsgruppe des Bundesinnenministeriums. Wohlgemerkt, da gab es die DDR noch.
    Sein Glorienschein als Bürgerrechtler leuchtet seit dem, unbeschadet, ob er es war oder ist. Auf jedes Journalisten oder Politikers Dossier über ihn steht bestimmt an erster Stelle das Adjektiv: „Bürgerrechtler“, so wie zu DDR „Unrechtsstaat“ und „zweite deutsche Diktatur“. Er pflegte gekonnt diesen Nimbus, ohne ihn selbst zu beanspruchen. Sein Ziel war die Bundespräsidentschaft oder so was ähnliches, als sich die Chance ergab. Er ließ gewähren nach den Regeln der 8 goldenen „A“s, alte Leiterschule. Inzwischen gab er dreist den unchristlich Undemokratischen, ohne Mitleid und Erbarmen, in der Tradition Luthers. Die Verbände aus dieser Ecke haben seine Verdienste auf dieser Strecke dokumentiert, sind ganz leicht nach zu lesen. Seine Chancen stiegen damit.
    So ergab sich sein einmaliger stets steigender Marktwert als Bürgerrechtler aus dem Osten, wo doch nach Baring sowieso nur deutsch sprechende Polen leben, der aber zur Sache der oberen Zehntausend steht. Wer stört sich an diesem Widerspruch?
    Uns Volk bleibt nur die Erkenntnis des älteren, aber leicht besoffenen Herrn Tucholskys: „Es ist ein schönes Gefühl, man tut was für die Revolution und weiß, mit diese Partei kommt sie ganz bestimmt nicht. Und das ist wichtig für einen selbstständigen Gemüseladen!“ Mit Gauck und den Bürgerrechten wird es genauso. Gute Nacht!, um noch mal den obigen Herrn zu Wort kommen zu lassen.

  150. Die Publikationen zur EuroKrise häufen sich. Einige finde ich besonders wichtig. Wer an die Zukunft denkt, sollte die dazugehörige Lektüre nicht verpassen. Es geht um viele Fragen. Einige davon: Wer hat die Krise zu verantworten, wie entwickelt sie sich und wie kann man ihr erfolgreich entgegentreten?
    Meine Leseempfehlung:
    Steffen Stierle: EuroKrise
    Heiner Flassbeck: Zehn Mythen der Krise und
    Christian Felber: Retten wir den Euro!
    Die beiden zuerst genannten Bücher habe ich inhaltlich dargestellt und kommentiert. Einfach mal hineinschauen! stoerfall-zukunft.de

  151. Werner Richter sagt:

    Zur Spekulation mit Nahrungsmitteln der Banken und Fonds, speziell auch der Deutschen Bank mit unserem lieben Herrn Ackermann an der Spitze, wurde eine besonders häßlich stinkende Leiche ausgegraben. Die Empörung ist gewaltig, aber das sollte Herrn A. zur Würdigung seines Abfluges auch gewaltig erscheinen. Damit die ihm dargebotene Ehrung nicht abflaut, bitte ich alle, sich an der Protestbewegung zu beteiligen, alle denkbaren Mitprotestierer aus Familien- oder Bekanntenkreis dabei mitzubringen. Es ist nur der unten stehende Link zu kopieren, in einen Internetbrowser einzufügen und die Mail an die Herrschaften auf den nötigen Weg zu bringen. Und schon hat Acki wieder viele Mails zu bestaunen. Der Link lautet:
    http://www.haende-weg-vom-Acker-Mann.de

  152. Hella Jülich sagt:

    Also: Dass der uns repräsentierende Herr Wulff nur noch eine Bundespräsidenten-Karikatur ist und ihn dies nicht mal aus Gründen der Selbstachtung dazu verleitet, das Handtuch zu werden, ist mehr (sehr viel mehr als mehr!) betrüblich für unsere Demokratie.
    Mindestens ebenso widerlich sind aber all die wohlbestallten und durch diverse Spinnennetzfäden mit Politik und Wirtschaft Verwobenen aus den gängigen Medien, und dies keineswegs nur die aus dem Boulevard, zu dem Ekligkeit halt gehört. “Christian Wulff”, so die “Welt”,” hat in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident mehrere Monate lang ein Firmen-Handy des befreundeten Filmfonds-Managers David Groenewold genutzt. Die Telefonkosten von mehr als 900 Euro soll er bezahlt haben.”
    “Soll er” … Ob er hat, bleibt offen. Das geht Journalisten ja nicht unbedingt mehr etwas an.
    Es sei denn, er hat nicht.
    Aber dann!
    Nunmehr wird also jeder Popelfinger Wulffs ins Visier genommen, mit dessen nachgewiesener Versenkung in eines seiner Nasenlöcher er als Staatsoberhaupt auf der Treppe nach unten weiter versenkt wird…
    Nochmals: Wulff ist eine einzige Peinlichkeit für Deutschland und gehört aus dem Bellevue schleunigst in sein Häuschen in Hannover, mag der da den Rasen sprengen oder seine inneren Fesseln. die ihn bisher in den Rahmen eines blassen, aber immerhin vorteilsbedachten Bundesbürgers gefangen hielten – ihm seis gegönnt. Was aber die entsicherte Medienmeute als Moral-Ersatzveranstaltung an Wulff ausreizt, erinnert – wie leider so oft – an Max Liebermann: Man kann gar nicht soviel fressen, wie man kotzen möchte.”

  153. hwk sagt:

    Der 9. Februar 1948 war der Todestag Karl Valentins, des auch solcher Sätze wegen Unvergessenen:
    “Heute ist die gute, alte Zeit von morgen.”
    “Der Mensch is guad, de Leit’ san schlecht!“
    “Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.”
    „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.“
    “Die Zukunft war früher auch besser!”
    „Mögen hätt ich schon wollen,
    aber dürfen habe ich mich nicht getraut.“

  154. Kay Bliewand sagt:

    Frau Merkel, so entnehme ich den heutigen Abendnachrichten, hat gegenüber dem kasachischen Präsidenten Nasarbajew die dortig leidige Menschenrechtsfrage “angesprochen”, oha! Ansonsten sei es um milliardenschwere Rohstoffverhandlungen gegangen, nanu! Ein Glück, und ich dachte schon, Merkel würde Nasarbajew behandeln wie einen Gangster oder gar Erich Honecker seelig, was ja wohl eine weitere Steigerung gewesen wäre.

  155. Zitator sagt:

    Mal ehrlich: Hätte Sie das gedacht?: ” Niedrigverdiener gönnen sich weniger Urlaubsreisen”, weiss Spiegel-online zu vermelden und beruft sich dabei auf eine Studie der “Stiftung für Zukunftsfragen”. Besonders Niedrigverdiener könnten sich immer seltener Urlaub leisten, wow! Nur noch 32 Prozent der Deutschen mit einem Monatsnetto unter 1500 Euro seien im vergangenen Jahr mindestens fünf Tage verreist, wowwow! 2001 leisteten sich noch 34 Prozent dieser Einkommensgruppe Ferien, 1991 waren es sogar noch 45 Prozent, wowwowwow!
    Das für die Hamburger Stiftung verausgabte Geld, um diese Studie zu erstellen, sollte man nicht hämisch als mühelose Bereicherung der Gestifteten qualifizieren, nur weil man auch ohne jedwede solche Aufwendung mühelos zu diesem Ergebnis hätte kommen können. Auch eine Studie schafft oder doch zumindest sichert Arbeitsplätze, was den Werbeaffen von Trigema eigentlich zur Adaption seines Spruches verleiten sollte: “Auch künftig bestelle ich meine Studien bei der Stiftung für Zukunftsfragen und sichere damit Arbeitsplätze.” Hummel, Hummel, mors, mors!
    (Laut Wikipedia entspricht dieser aus dem plattdeutschen stammende Ruf der Kurzform für “Klei mi an Mors”, was auf gut Deutsch demselben entspricht, was das berühmte Zitat des Götz von Berliching besagt …)

  156. Zitator sagt:

    “Das Land (NRW, Zitator) hat ein massives Schuldenproblem, die Bevölkerung protestierte. Trotz allem haben die Landtagsabgeordneten in Düsseldorf mit den Stimmen von SPD, Grünen und CDU die eigenen Bezüge erhöht.
    Trotz aller Proteste erhalten die Abgeordneten in Nordrhein-Westfalen ab März eine Diätenerhöhung von 500 Euro pro Monat. Die Bezüge steigen damit auf 10.726 Euro. Das beschloss der Düsseldorfer Landtag am Mittwoch mit klarer Mehrheit der rot-grünen Regierungsfraktionen und der oppositionellen CDU.” – so Spiegel-Online.
    Nenne man mir ein Sachgebiet, bei dem die Parteien (zu mindestdie hier genannten) d´ acord sind; sie bestreiten , wenns drauf ankommt sogar, dasß die Sonne scheint, wenn dies a) der Fall ist und b) aber von der anderen politischen Seite (andere?) erklärt wird. Anders beimTthema Diäten. Da gilt in schönster Herrlichkeit: “Einigkeit und Recht und Freiheiheit, sind der (d.h.solcher) Parlamentarier Unterpfand” … Zur Ehre der Linkspartei und – ja! – hier sogar der FDP sei angemerkt, dass beide Parteien die Anhebung als “unangemessen”, “willkürlich” und “nicht vermittelbar” abgelehnt haben. Dilletanten!

  157. Horst Kerber sagt:

    Lieber Korff,( Ich darf Sie doch so nennen?)

    das macht ja nun wirklich Freude, mit Ihnen zu debattieren; soviel Streitkultur wünschte ich mir sehr viel mehr als das leider vielgebrauchte Frustablassen mit dem Ziel, den Widerpart mundtot zu machen, mindestens aber ihn zu verletzen. Nicht so bei Ihnen und das allein ist schon mal meinen Dank wert.

    Nun machen Sie es mir gar nicht leicht, Ihnen neuerlich zu antworten; sind Ihre Worte doch nicht nur in der Form geschliffen sondern vielmehr sehr stringente Überlegungen. Und „schlimmer“ noch: So schrecklich weit sind wir gar nicht auseinander, denn das jeder Mensch zumindest zu den relevanten Dingen des Lebens einen Standpunkt einnehmen, weil er sich ja in irgendeiner Weise zu ihnen verhalten muss, ist völlig richtig, wobei unbenommen bleibt, auf welche Weise man sich einen solchen Standpunkt zuzieht oder, wo es dazu reicht, ihn sich erarbeitet.
    Wie auch immer – antithetisches Denken scheint mir für diesen Prozess unerlässlich, dürften viele Geistesgrößen doch wohl kaum falsch mit ihrer Feststellung gelegen haben, dass „ an allem zu zweifeln“ ist und von allem nahezu immer auch das Gegenteil wahr ist***.

    Denken dieser Art – und so habe jedenfalls ich auch Hannah Arendt verstanden – ist jenes, was ich als „Denken ohne Geländer“ verstehe. Das bedeutet freilich nicht, dass man keine Orientierungen braucht, ganz und gar an gedanklichen Positionen, an denen man die eigenen abgleichen und schulen kann. Aber das meint etwas so gänzlich anderes, als das Bedürfnis, aus Druckwerken – seien es Zeitungen und/oder wissenschaftliche Arbeiten (was im übrigen ja nun nicht immer deckungsgleich ist, nicht wahr?) – nur Bestätigungen eigenen Denkens abzuholen, um das Printwerk dann als „meine Zeitung“ adeln, bei Abweichungen aber sogleich mit dem inquisatorischen Instrument der Abbestellung zu drohen. Soweit ich weiß, ist dies keine konstruierte Vision sondern, merkwürdigerweise gerade beim ND, eine gängige Praxis.

    Nein, ich möchte in der Tat nicht nur lesen, was ich selber meine, denn zumindest, wer einst eine geschlossene Ideologie als in ihrer Geschlossenheit höchsterstrebenswerte Plattform zu betrachten hatte (und dies eine junge Zeitlang auch tat) sollte den Hochmut verloren haben, sich (oder „Uns“) als die Inhaber der einzig verbindlichen Wahrheit zu betrachten, die gegenüber anderslautenden Befunden abschätzig den Daumen senkt. Und ich verzichte auch darauf, besagt anderslautendes Denken als Versatzstücke zu qualifizieren, selbst dann, wenn auch ich mich gegen diese und jene Denkofferte sträube. Und ganz und gar lehne ich jenen Hang zum Denunziatorischen ab, mit dem Standpunktreue mangels eigenen, halt durch Treue ersetzten Intellekts oft genug eine wirkliche intellektuelle Auseinandersetzung ersetzen. Dies, lieber Korff, unterstelle ich Ihnen ausdrücklich nicht, denn – siehe ganz oben!
    Aber das ist nur der eine Punkt, um den es mir geht; ich gebe zu, er ist nicht vielmehr als eine ausgebreitetere Fassung meiner ersten Kurzreplik. Wo ich ebenfalls nicht mit Ihnen konform gehen kann, ist die ziemliche Pauschalisierung dessen, wie im Feuilleton des ND Meinungsbildung praktiziert wird. Denn dass hier die „Realisierung von irgendetwas ohne Absichtm ohne eigene Position, ohne Zielvorstellung und entsprechende Handlungen“ praktiziert wird, mag sicher au einzelne Texte zutreffen – aber blanko? Gewiss, angeboten wird nicht, was sich leichtverdaulich und frohgemut übernehmen lässt wie so viele großartige Klassiker-Zitate, mit deren Nutzung unsereins lange meinte, einen „Klassenstandpunkt“ begründet zu haben. Hier wird Denken verlangt. Und wenn die entsprechenden Ogfferten immer wieder auch mal an der Grenze der Allgemeinverständlichkeit abgeboten werden – an der Stelle teile ich Kritik am in Rede stehenden Ressort – es findet sich in keinem Teil nicht nur dieser Zeitung so viel Geist, und dafür mag ich ihn.

    Ich gebe gerne zu, dass auf mich als einen Menschen etwas fortgeschrittener Jugend und unerfreulicher Erfahrungen mit dem quasireligiösen Glauben an eine „Sache“ gedruckte Meinung anders wirkt als zum Beispiel bei (z.T. sehr viel) Jüngeren. Mag sein, dass es die vereinfachenden aber dafür klaren Positionen einer Jungen Welt auch braucht, wenn man jugendliche Rigorosität meinungsbildend bedienen möchte. Und es mag sein, dass Periodika wie der Rotfuchs diese Simplifizierung ganz gegenteilig braucht, auf dass sich die die Bewahrer der Wahrheiten wie in einer Wärmestube aneinander kuscheln; es sei ihnen gegönnt …

    Lieber Korff, ich fürchte, wir könnten uns zu diesem Thema nun lange weiterhin austauschen, und dem sähe ich auch durchaus gern entgegen, denn nochmals: siehe oben.

    Inwieweit wir das Forum des von uns ja offenbar gleichermaßen geschätzten Blättchens dafür weiter in Anspruch nehmen können, bin ich mir nicht sicher.

    Sie können über die Redaktion ja meine Mailadresse erbitten, dann ließe sich weiter disputieren – so denn Bedarf besteht.

    Nochmals mit Dank für Ihre anregenden Zeilen, beste Grüße samt der Hoffnung, von Ihnen auch weiterhin im Blättchen lesen zu können,
    Jürgen Perten

    *** Nicht, dass ich unbedingt !“Autoritätsbeweise“ bräuchte – aber es ist nicht schlecht zu wissen, dass man nicht so ganz allein ist ein seinem Denken …
    „Die Wahrheit wird nicht von uns entdeckt, sondern erschaffen.“ ( Saint – Exupéry )
    „Der Mensch ist immer das Opfer seiner Wahrheiten.“ (Albert Camus )
    “Wer sich im Besitz der Wahrheit dünkt, hat immer unrecht.” (Arno Schmidt an Heinrich Böll)
    “Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint.” (Heinrich von Kleist)
    „Es gibt triviale Wahrheiten und große Wahrheiten. Das Gegenteil einer trivialen Wahrheit ist schlichtweg falsch. Das Gegenteil einer großen Wahrheit ist ebenfalls wahr.“ (Niels Bohr)
    „Es ist alles wahr, auch das Gegenteil.“ (Dostojewski)
    „Von zwei denkbaren Auffassungen, die man zu jeglichem Problem haben kann, ist jede in gleicher Weise er wahr.“ (Protagoras)
    „Im Großen gesehen, ist alles paradox“ (Immanuel Kant)
    „Der Weg zur Wahrheit ist mit Paradoxien gezeichnet.“ (Oscar Wilde)
    „Alles widerspricht sich.“ (Novalis)
    „Der ganze Prozess des Lebens verdankt sich einer Verletzung unserer logischen Grundsätze.“ (William James)

  158. Martin Franke sagt:

    Erika Steinbach, MdBdV: Sie haben provozierend gezwitschert, und alle, alle sind, entrüstet vorwärtsstürmend, darauf hereingefallen. Gibt es ihnen nicht zu denken, daß offensichtlich die meisten Menschen Ihnen zutrauen, Sie wüßten links und rechts wirklich nicht besser zu unterscheiden?
    *
    Frau Seibert, Ihres Zeichens Südi und Schulleiterin in Passau, will auf ihrem Territorium die von Ihr als unhöflich empfundenen Grußworte “Hallo” und Tschüß” durch “Grüß Gott ersetzen. Der Feinheiten der bayrischen Grammatik nicht mächtig, empfinde ich, als Nordi, das nun meinerseits als unhöflich; Mich aufzufordern, ein mythologisches Wesen zu grüßen, und das dazu noch in einer aufdringlinglichen Duzform vorgetragen, anstatt von dem anderem gegrüßt zu werden – geht`s noch unhöflicher und unpersönlicher?

  159. Jürgen Perten sagt:

    Eine sehr gelungene Ausgabe. Glückwunsch!
    Tucholskys “Merkt ihr nischt?” hatte das Blättchen aber schon mal veröffentlicht.
    Euer treuer Leser Jürgen Perten

    • Die Redaktion sagt:

      Lieber Herr Perten,
      danke für´s Kompliment. Was die Wiederholung von Tucholskys Text angeht, so geschah diese durchaus absichtlich und, was Tucho-Texte anbetrifft, auch keineswegs erstmalig. Wir halten es da mir Goethe, der seinem Eckermann 1828 mittteilte:
      „Und denn, man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.“

  160. Helge Jürgs sagt:

    Griechenland soll nicht mehr Griechenland heißen, sondern „Hellas“ – das zumindest fordert FDP-Europapolitiker Georgios Chatzimarkakis: Der neue Name und eine umgeschriebene Verfassung sollen einem „ehrlichen Neuanfang“ den Weg ebnen. Das jetzige System müsse „komplett zerfallen“.
    Diese fulminante Idee entspringt ernsthaft dem Hirn eines gutbezahlten Profipolitikers. Leider hat Chatzimarkakis die Gelegenheit ungenutzt gelassen, um einen weiteren Vorschlag zu unterbreiten – einen neuen Namen nämlich für die FDP, die, will sie ähnlich Hellas nicht in Kürze Insolvenz anmelden, einen “ehrlichen Neuanfang” mindestens ebenso nötig hat wie Griechenland.

  161. HWK sagt:

    Beatrice Weder di Mauro war bislang die erste Frau im Sachverständigenrat, der die Bundesregierung ökonomisch berät – den “Wirtschaftsweisen”. Dem Vernehmen nach hört sie nun auf. Als Grund nennt die 46-Jährige einen möglichen Interessenkonflikt, denn sie tritt einen Job bei der Schweizer Großbank UBS an.
    – Dies alles ist einer aktuellen Nachricht zu entnehmen. Ich würde gern mal erleben, dass ein Wirtschafts”weiser” sein Amt aufgibt, um einen Arbeitsplatz z.B. in einem Sozialverband einzunehmen; auch bei einem führenden Politiker wäre das übrigens eine romantische Vorstellung.
    Nun bin ich zwar noch ganz herrlich jung – meine weisheitsfreie Hoffnung hält sich aber in merkwürdig engen Grenzen – Scheißpessimismus!
    HWK

  162. Zitator sagt:

    Die immer wieder köstlich zu lesende Mely Kiyak in der Berliner Zeitung:

    … Moment…! Entschuldigung. Habe ich gerade die Religionen mit den Parteien in einen Topf geworfen? Obwohl – gibt’s Unterschiede? Für die FDP schwer zu sagen; das Internet wurde erfunden, Strom aus Maiskolben gewonnen – der marktdevote Katechismus der Liberalen bleibt. Die FDP sollte sich als Religionsgemeinschaft anerkennen lassen, um wenigstens ihren Glauben zu retten. So lange bis ein neuer Messias kommt und die Gemeinde erneut aufbaut …

  163. Zitator sagt:

    Soso, die linken Umstürzler wollen gegebenenfalls sogar Privateigentum verstaatlichen. Das ist freilich ein Fall für den Verfassungsschutz, wobei dieser auch mal die vielzitierten “VäterInnen des Grundgesetzes” unter die Lupe nehmen sollte. Dürfte es sich doch um Wölfe im scheindemokratischen Verfassungspelz gehandelt haben, die seinerzeit zu (bis heute gültigem!) Papier gebracht haben:”Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden … ” (Die Grundrechte, Artikel 15)

  164. Horst Kerber sagt:

    Lieber (Herr?) Korff, Ihre Texte sind mir durchaus sympathisch und ich halte sie für eine weitere Bereicherung des Blättchens.
    Nur Ihrem mokanten Nachsatz über das ND-Feuilleton mit seinem “einerseits und andererseits” vermag ich nicht zu folgen.
    Wer eine ostdeutsche und zumal ideologiegeprägte Biografie hat, sollte eigentlich wissen, dass es mit den “klaren Standpunkten” (Originaltion: Klassenstandpunkten) mehr als nur so eine Sache ist. Wenn realsozialistisches Denken etwas nötig hatte, dann jenes abwägende Analysieren von These und eben auch Antithese, das zwar in jedweder Philosophieausbildung als Kern dialektischen Denkens offeriert, in der politischen Praxis hingegen weitgehend ungebräuchlich ward.
    Natürlich mögen Sie Ihre Freude am knallhart-klaren Klassenstandopunkt bürgerlicher Medien wie der “Zeit” haben – unbenommen. Mir sind Anregungen, für den Rest meines Lebens “Ohne Geländer” zu denken (H. Ahrendt) viel lieber und wichtiger – und ND-Feuilleton danke ich selbst dann dafür, wenn ich keineswegs mit allem, was dort gedanklich angeboten wird, übereinstimme.
    Mit dennoch freundlichen Grüßen, Horst Kerber

    • Korff sagt:

      Sehr geehrter Herr Kerber,

      Korff bedankt sich, durch kein „dennoch“ eingeschränkt, für Ihre Anteilnahme an dem Bericht über die Zahlenakrobatik mancher Journalisten-Kollegen, die auf diese Weise ihre Meinung – auch Position, Stand- oder Geh-Punkt – zu Ereignissen „knallhart“ oder verklausuliert verkünden. Als ein Beispiel für solcherart Parteinahme wurde im Rahmen dessen auf einen Bericht des ND verwiesen, der u. a. mit der Erfindung der Spezies „Einheitsrussen“ im Chor der Kritiker dortiger gesellschaftlichen Verhältnisse politisch wie literarisch einen Solopart ersang.
      Insofern dürfte die am Schluss des Beitrags zitierte Mahnung von Helmut Schmidt auch Leser und Abonnenten des ND betreffen und möglicherweise betroffen machen, wenn ihnen so angezeigt wird, was unbedachte Worte bewirken können – selbst als Bonmot gedacht und als Verfahren mitunter auch von Korff geübt. Wie war das doch mit dieser Versuchung bei Heine? „Lieber einen Freund verlieren, als ein Bonmot ungesagt sein lassen“.

      Solcherart durch das ND auf das ND hingelenkt, hat Korff – in einer PS-Bemerkung – sachlich festgestellt, dass hier dessen Feuilleton als für die Meinungsbildung zuständig wirkt. Offenbar durch frühere Erfahrungen belehrt, bemühen sich dessen Hauptgestalter dabei, wie Sie anerkennend hervorheben, in ihren Beiträgen „Breite und Vielfalt“ ohne ersichtliche Präferenzen anzubieten, was – nun aber wieder nach Korff – häufig dazu führt, es beim Ausschütten von Zettelkästen zu belassen, um so dem Ruch einer einseitigen Agitation zu entgehen. So entsteht Beliebigkeit auf hohem Niveau. Kann man praktizieren, wie getan – funktioniert aber nicht dauerhaft, weil: Menschen haben Meinung, Standpunkte, manche davon aus ihrer sozialen Stellung in der Gesellschaft abgeleitet, die sie als Individuen oder auch als relativ stabile Gruppe mitunter selbst artikulieren oder artikuliert in „ihrer Zeitung“ erfahren wollen.
      Wie und mit welcher „ideellen Wirkung“, hängt ziemlich häufig mit Eigentumsverhältnissen an den Instrumenten der Meinungsbildung zusammen. So kann es vorkommen, dass wertvolle Beiträge und deren Kommentierung nur in sehr bescheiden daher kommenden „Organen“ erscheinen, während andere auch mit geringerer Qualität, aber den Anforderungen der herrschenden Meinung entsprechend, meinungsbildend wirken.

      Mitunter auch vermittels aus Zusammenhängen gerissener Kompetenz-Zitate. Ein Beispiel für die intellektuelle Gefahr dessen ist der Umgang mit Hannah Arendt, wie zu erfahren ist: „Ihr weitverzweigtes Werk bietet die Möglichkeit, passende Versatzstücke für die Begründung der eigenen Position herauszugreifen.“

      Diese Warnung steht im Wikepedia – Artikel zu H.A., direkt neben dem von Ihnen zitierten Halbsatz, wonach Sie wie sie „ohne Geländer“ denken wollen. Nebenher hätten Sie damit den Korff als nicht quellenfest erwischt; war er doch bisher der Meinung, das allen Sicherheitshinweisen in der realen Welt entgegengesetzte Bild stammt gar nicht von Arendt, sondern ist Beschreibung ihrer Denkungsart durch deren FU-Berliner Biographen Thomas Wild (in dessen Dissertation zu ihrer Wirkung auf das literarisch-intellektuelle Feld der Bundesrepublik seit den sechziger Jahren), und wenn nicht schon dort, dann jedenfalls in dessen Buchveröffentlichung zu „Leben, Werk, Wirkung“, Frankfurt 2006, Seite 128. In jedem Fall aber wohl ein lässlicher Irrtum, da in der Sache zutreffend.
      Der von Ihnen eingeführte Bezug auf Hannah Arendt kommt Korff gelegen bei seiner These, dass eine wissenschaftliche Ansicht gerade aus der Abgrenzung zu anderen ihre Existenzberechtigung bezieht. Doch These hin – Antithese her, irgendwann und -wie muss eine erkennbare parteiische Aussage her, es sei denn, man begnügt sich als Handwerker mit dem Sammeln, woraus jemand anders dann Schlussfolgerungen zieht, damit sie praktisch werden können. Natürlich ist auch das eine legitime Betätigung – wie jedes Hobby, so lange es keinen erkennbaren Schaden verursacht. Bleibt aber Vorstufe von Wissenschaft.

      Gerade Hannah Arendt dürfte ein ernstliches Beispiel gegen „einerseits und andererseits“ sein, sowohl in ihrem Werk als auch im persönlichen, ja intimen Leben. Sie hat Tatsachen erforscht (auch wenn diese ihr wehtaten), analysiert und beurteilt, danach eine Position bezogen, auch gegen Fachkollegen im engsten Umfeld und gegen herrschende Auffassungen. An ihr lässt sich sehr gut das Prinzip von wissenschaftlicher Erkenntnis erkennen, die erst auch durch Handeln (bei ihrem Gegenstand der politischen Theorien also in Politik im weitesten, aber auch ganz engen Sinne) ihre Krönung findet. Dazu eine, unstrittig von ihr stammende Überlegung, von Korff hier gern zitiert: „Manchmal frage ich mich, was wohl schwieriger ist: den Deutschen einen Sinn für Politik oder den Amerikanern einen auch nur leichten Dunst von Philosophie beizubringen.“ Eindeutig eine Aufklärungsabsicht!

      Die Realisierung von irgendetwas ohne Absicht, ohne eigene Position, ohne Zielvorstellung und entsprechende Handlungen ist schwer vorstellbar. Und deshalb auch in dem gesellschaftlichen Bereich nicht praktikabel, der verkürzt „Medien“ genannt wird, DIE ZEIT und ND eingeschlossen, und unabhängig davon, ob deren Personal sich mit falschem (Ideologie) oder richtigem Bewusstsein versteht oder ganz „ohne“; gilt auch für „gebrannte Kader“.
      Jedenfalls beurteilen wir beide das Feuilleton des ND offenbar nicht gleich günstig, haben also hier Übereinstimmung nur darin, nicht überein zu stimmen (we agree to disagree). So ist das Leben, gleichwohl mit diesem Mangel doch noch erträglich!
      Aber in Hinblick auf Hannah Arendt sind wir hoffentlich der einen Meinung, dass für sie das Philosophieren und dessen Vollendung durch ihre standpunktbedingte Tat zusammengehören.

      Manchmal, so schließt Korff messerscharf an unserem Beispiel, ist der Rückgriff auf Autoritäten also unnötig, obwohl gern geübt. Eigene Meinung (Standpunkt) reicht häufig, vorausgesetzt freilich, man hat.

      Mit Dank für Ihre sanft formulierten Überlegungen, die diesen Text verursacht haben, und achtungsvollen Grüßen!
      Korff

      PS: Korff fällt doch noch eine Frage bei. Was sind – von Ihnen so benannt – „bürgerliche Medien wie DIE ZEIT“? Gibt es dafür Kriterien und wenn ja, von welchen Autoritäten gestützt? Ist DAS BLÄTTCHEN etwa auch … ? Und wenn nein, was würde daraus folgen?

  165. Helge Jürgs sagt:

    Ach, Volker Kauder:
    Bei alledem, was Sie so herzerfrischend und in beachtlicher Zeitdichte so von sich geben, dürfte langsam die Einrichtung einer personengebundenen Antwortenrubrik im Blättchen lohnen.
    Also – diesmal haben Sie zwecks Rechtfertigung der geheimdienstlichen Beobachtung (nun ja …) der Linkspartei festgestellt: “Sie ist die Nachfolgepartei der SED. Sie ist immer noch ein Schutzraum für die alten Kader.”
    Nicht, dass dies völlig abwegig ist. Es wirft nur eben die Frage auf, für wen – nicht nur, aber zuvorderst – Ihre Partei seit deren Nachkriegsgründung Schutzraum war, und mittlerweile halt nur deshalb nicht mehr ist, weil die Biologie das Ihre getan hat. Schau´n Sie mal im Internet nach, oder besser in den Archiven der CDU-Mitgliederkartei, und Sie werden – wenn Sie´s denn schon nicht gewusst haben sollten – staunen, wieviele Nazis (und nicht nur die ganz kleinen Ex-Mitläufer) sich dort getummelt haben – aufs feinste geschützt vom christdemokratischen Deckmäntelchen der Adenauer-Ära. Von den braunen Großkopferten wie Kiesinger (nichts weniger als Bundeskanzler) Globke, Filbinger etc. pp. wollen wir gar nicht reden.
    “Wollte Gott, ihr schwieget, so wäret ihr weise” (Hiob 13, 5). Was Kauder betrift, so will Gott offenbar nicht …

  166. jaku sagt:

    Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung:

    “Man müsse, so sagt Friedrich, die Linken auch deswegen beobachten, weil man sonst nicht begründen könne, Landtagsabgeordnete der NPD zu überwachen. Schließlich gelte der Gleichbehandlungsgrundsatz. Heilige Einfalt. Wenn man glaubt, Extremisten beobachten zu müssen, dann doch wegen ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen und nicht aus Proporzgründen.
    Jenseits von Friedrichs Unvernunft und der rituellen Kabbeleien zwischen CSU und FDP bleibt festzuhalten: Im Bundestag sitzt gegenwärtig niemand, den ein Staatsschützer geheim oder offen bespitzeln müsste oder sollte. Der immer wiederkehrende Versuch, gerade aus den Reihen der CSU, die Linkspartei und deren angebliches Extremismuspotential in die Nähe der NPD zu rücken, ist ein durchschaubares politisches Manöver. Der Einsatz eines Geheimdienstes im Meinungskampf aber verstößt eindeutig gegen den Geist der Verfassung …”
    Nihil addendum est.

  167. Rudolf Caracciola sagt:

    Christian Bommarius von der Berliner Zeitung hat die Affären um den Bundespräsidenten auf den Punkt gebracht. Er schrieb dieser Tage mit Verweis auf die polizeiliche Hausdurchsuchung bei Wulffs Ex-Sprecher Glaeseker, dies sei „eine hocherfreuliche Nachricht für die Debatte über Vergangenheit und Zukunft Christian Wulffs. […] Der Korruptionsverdacht gegen seinen früheren Pressesprecher […] haucht ihr wieder Leben ein – nicht nur, weil die Vorwürfe gegen Olaf Glaeseker direkt in den Verantwortungsbereich des früheren niedersächsischen Ministerpräsidenten zielen, sondern weil der Straftatbestand den Hintergrund dieser Affäre schlagartig in Erinnerung ruft: Korruption.“

    Korruption – das ist der Straftatbestand, der möglicherweise hinter all dem steht, was selbst in den Medien, die die Kampagne Wulff immer wieder befeuern, mit Begriffen wie „Vorteilsnahme im Amt“ eher verschleiert denn benannt wird.

    Bommarius fährt fort: „Von Anfang an war weniger von Interesse, ob Wulff als Ministerpräsident ein günstiges Darlehen bekommen hat, ob ihn vermögende Freunde zu luxuriösen Urlauben eingeladen haben und das eine oder andere Upgrade springen ließen, oder ob – wie jetzt bekannt geworden ist – ein Marmeladenhersteller Wulff und seiner Frau einen teuren Hotelaufenthalt spendierte. Die Annahme dieser Vergünstigungen […] rief unvermeidlich hervor, was ein Ministerpräsident unter allen Umständen vermeiden muss – den bösen Schein. Der schimmert grell in allen Fragen, die Wulff seit Wochen begleiten: Hat Wulff Gegenleistungen für das günstige Darlehen geliefert; war der Gratisurlaub im italienischen Domizil des Aufsichtsratsvorsitzenden des Talanx-Versicherungskonzerns im Jahr 2008 der Dank für Wulffs einschlägiges Engagement im Jahr 2005 ( Wulff: ‚Sofern es im Einflussbereich der Niedersächsischen Landesregierung lag, ist sie für die Beibehaltung des Privilegs der Steuerfreiheit der Erträge eingetreten.’); war die Bezahlung eines Upgrades in einem Fünf-Sterne-Hotel durch einen Berliner Film-Unternehmer dessen Honorierung einer Bürgschaftszusage der niedersächsischen Landesregierung; hat der Marmeladenhersteller Zentis im Jahr 2010 Wulff zu einer Spritztour zu den Münchner Filmtagen eingeladen, weil der damalige Ministerpräsident einige Wochen zuvor als Redner bei der Jahresabschlusskonferenz des Unternehmens aufgetreten war?“

    Nicht genug damit, dass all dies schon „die Integrität Christian Wulffs“ berühre, sie sei „auch unmittelbar durch den Korruptionsverdacht gegen seinen ehemals engsten, langjährigen Mitarbeiter Olaf Glaeseker betroffen. […] Eine Frage ist, was Wulff von den möglicherweise kriminellen Aktionen Glaesekers wusste, eine andere, inwieweit sich Glaeseker an seinem Chef nur ein Beispiel nahm. ‚Wie der Herr, so ’s G’scherr.’“

    Sollte sich der Korruptionsverdacht gegen Glaeseker bestätigen, so Bommarius’ Fazit, „wäre das nicht nur für den ehemaligen Sprecher des Bundespräsidenten ein Fiasko, mindestens ebenso auch für den Präsidenten selbst. Denn dann wäre klar, dass sich in seinem Wirkungsbereich – früher in der Hannoveraner Staatskanzlei, heute in Schloss Bellevue – ein korruptives Milieu gebildet hat, in dem Figuren wie Glaeseker reüssieren konnten. Die Verantwortung dafür läge bei Wulff.“

  168. Thomas M. Wandel sagt:

    Herr Ramsauer, der offensichtlich keine anderen Sorgen hat, schlägt nun vor, das Denkmal von Marx und Engels weg vom gerade untertunnelten Marx-Engels-Forum auf den Friedhof Berlin-Friedrichsfelde umzusetzen.
    Der Tagesspiegel stellt bereits originelle Ersatzvorschläge vor, da ja der Standort nicht denkmalfrei bleiben könne.
    Ich würde mich einem Leser des Tagesspiegel anschließen wollen, der ein Denkmal für Konrad Adenauer vorschlägt. Die Denkmalinschrift könnte lauten:

    Konrad Adenauers Grundsatz “Lieber das halbe Deutschland ganz als das ganze Deutschland halb” war es zu danken, dass an dieser Stelle von 1986 bis 2012 ein Denkmal von Marx und Engels stehen konnte.

  169. Zitator sagt:

    Manchmal sind Dementis – und seien diese auch kleingedruckt und verhuscht an den unteren Rand gestellt – sehr aufschlussreich. Hatte der Spiegel in seiner Nummer 1/2012 ausführlich über eine Beratungsdelegation deutscher Ex-Politiker berichtet, deren Namen eng mit dem Vollzug deutschen Einheit verbunden sind, und dabei doch u.a. geschrieben:
    De Maizière pfeift eine Melodie aus „Fidelio“, einer Oper, sagt er, die in der DDR verboten war, wegen der Zeile: „Oh, welche Lust, in freier Luft den Atem leicht zu heben!“
    In Nummer 3 nun dementiert, gehen wir mitleidig davon aus, dass ausgerechnet der Auch-Musiker de Maiziere dies nicht so gesagt hat (an eine andere Variante wollen wir nicht mal denken…). Dass aber der von Dutzenden wachsamen Redaktionsaugen Spiegel solchen Schwachsinn unkontrolliert überhaupt druckt, sollte den Preisverleihern der “Goldenen Himbeere” doch für die nächste Auszeichnung mal eine Überlegung wert sein; die muss ja nicht immer nur Filmen gelten …

  170. hwk sagt:

    Christian Wulff, Schwätzer von gestern: Als NRW-Premier Johannes Rau 2000 Vorteilsnahme im Amt vorgeworfen wurde und er sich vor seinem Rücktritt in ähnliche Halbwahrheiten flüchtete wie derzeit Sie, haben Sie nach Raus späteren Wahl zum Bundespräsidenten via Focus verachtungsvoll wissen lassen: „Ich leide physisch darunter, dass wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben.“ Sollten Sie sich schon deshalb nicht eigentlich vorstellen können, wie es uns heute mit Ihnen geht?

  171. Zitator sagt:

    Friedrich Küppersbusch im montäglichen Taz-Interview auf die Frage, ob es nur eine Frage der Zeit sei, bis die Privatwirtschaft sich durchsetzt und Griechenland bankrott geht:
    “Frankreich will eine Zockersteuer – Frankreich wird herabgestuft. Wenn Griechenland sich für ein Recht der Banken, direkt Steuern zu erheben, einsetzte – da sehe ich noch Chancen.”

  172. Zitator sagt:

    Aus der Reihe: Gut gesagt:
    “Wer Freunde wie Peter Hintze hat, der braucht keine weiteren Feinde mehr.”
    (Spiegel-online-Autor Arno Frank über Hintzes Verteidigung des Bundespräsidenten bei Maybrit Illner.)

  173. Waldemar Landsberger sagt:

    Nach dem eindeutigen Votum des Erfurter Parteitages für das Programm der Linkspartei hatte man denken können, dass die Partei nun endlich Zeit hat, sich wieder mit Politik zu befassen. Statt dessen beschäftigt sie sich seit Wochen mit einer Vorsitzendenfrage, die sich aus dem Anspruch des Dietmar Bartsch ergibt, unbedingt diese Rolle spielen zu wollen. Jetzt soll das eine Urwahl der Mitglieder richten. Welche Hinterzimmerpolitiker sind eigentlich auf die mondsüchtige Idee gekommen, dass Dietmar Bartsch, der die sympathische Ausstrahlung einer Büroklammer hat, von den Mitgliedern freiwillig gewählt werden würde?
    WL

  174. Zitator sagt:

    Friedrich Küppersbusch in der Taz:
    Taz: Am Freitag startet das RTL-Dschungelcamp. Wer muss unbedingt rein?
    F. K.: RTL muss peinliche Politiker holen, sonst kommen die gegen die “Tagesschau” nicht mehr an.

  175. Helge Jürgs sagt:

    Ach, Philipp Rösler – Es komme nun darauf an, “deutlich zu machen, dass die FDP für unser Land unverzichtbar ist”, haben Sie soeben beim Dreikönigstrefen Ihrer Splitterpartei erklärt. Und kaum, dass Sie dies sagten, hat die saarländische CDU die dortige Jamaika-Koalition aufgekündigt, weil die bislang daran beteiligte FDP nicht mehr regierungsfähig sei. Manchmal möchte man sie richtig mal in den Arm nehmen und trösten. Auf den Arm nehmen Sie und die Ihren sich ja seit langem selber …

  176. HWK sagt:

    Alexander Dobrindt, Generalsekretär der CSU – Leute Ihres Amtes haben für ihre jeweiligen Parteien bekanntlich vor allem eine Funktion auszuüben – die des wadenbeißenden Kampfhundes. Das ist nicht neu, und wirft also die Frage gar nicht erst auf, warum das bei Ihnen anders sein sollte. Nur dass Sie diesmal verbal weniger in die Waden sondern in die Gurgel beißen, wenn Sie im Zuge des in Rede stehenden Versuchs, die NPD zu verbieten, fordern, die Linkspartei gleich mit zu verbieten. Es dürfe keine Staatsgelder für „Gegner unserer Demokratie geben, egal ob Braun oder Dunkelrot“, haben Sie forsch verkündet. Ein Verbotsverfahren gegen die Linkspartei sei genauso zu prüfen, wie das Einfrieren der staatlichen Mittel für sie. Nun erwartet von einem CSU-Generalsekretär seit langem niemand ein Imponiergehabe, das intellektuell untersetzt ist. Dass die Christsozialen aber nun so viel Dummheit frei herumlaufen lassen, assoziiert, dass ihr der Weg der FDP ins politische Nirvana sogar reizvoll zu sein scheint.

  177. Ulrike Steglich sagt:

    Lieber Bundespräsident, unser aller,

    das mit Ihren Gratis-Urlauben bei Millionärsfreunden – geschenkt: Dass die Freunde Geschäftsleute sind, liegt ja in der Natur der Sache, Millionen und millionenschwere Villen kommen schließlich nicht von nichts.
    Dass Sie mal ein bisschen Druck bei der Presse machen, wenn die was Böses berichten wollen: Gott ja, man will ja kein zweites England hier haben. Sie heißen nicht Cameron, und BILD gehört noch immer nicht Murdoch.
    Dass Sie Kai Diekmann und Friede Springer und noch ein paar andere Medienmenschen ein bisschen ermahnen, ok, auch so ein bisschen drohen (kraft Ihrer Amtssuppe, die ja sonst nicht viel Aufregenderes zu bieten hat als Weihnachtsansprachen oder Schiffseinweihungen) – sei verziehen. Liebe Güte, bevor Sie sich endgültig zu Tode langweilen!

    Dass Sie hier und da ein bisschen herummogeln und nur schnittchenweise mit der Wahrheit herausrücken (immer dann, wenn es nicht mehr zu vermeiden ist, weil andere sie schon erzählt und bewiesen haben), das ist sehr menschlich – Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Menschen im Durchschnitt ca. 200 Mal am Tag lügen. Und Sie sind ja ein sehr durchschnittlicher Mensch.
    Dass Sie Anwälte für sich sprechen lassen: wir haben Verständnis dafür. Als verarmter Ex-Ministerpräsident kann man eben nur einen Kredit für einen Häuslebau aufnehmen. Scheidungen sind oft so teuer wie neue, luxusorientierte Ehefrauen. Ein Anwalt muss da schon noch drin sein. Oder mehrere. Und wenn man die schon bezahlt, können die gleich noch alles andere erklären. Dazu sind Anwälte ja da. Besonders für gebeutelte Staatsoberhäupter, die keine andere Qualifikation haben als die eines CDU-Parteisoldaten. Dass jetzt die Bank leisen Widerspruch leistet, ebenso wie die inkriminierten Medien – es wird Ihnen kaum schaden.

    Aber dass Sie uns einen gemütlichen Fernsehabend versauen mit einem erbärmlichen Interview, in dem Sie auf die Tränendrüsen drücken, Ihre Familie ins Feld führen (die nun wirklich nicht interessiert) und sich zum Opfer erklären – das geht ein bisschen zu weit.

    Ach, und schon wieder gehen Ihnen die Medien auf den Sack! Seien sie getröstet: Die knappe Mehrheit der Bundesbürger ist inzwischen so mitleidig mit Ihnen, dass sie sagen: Lass ihn doch. Ein peinlicher Bundespräsi mehr oder weniger macht den Kohl nicht mehr fett. Wir kommen auch so ohne ihn klar. Wozu ist der überhaupt gut?

    Lassen Sie sich davon nicht beirren! Aussitzen hilft immer, das lehrte Sie schon Ihr großer Vorsitzender Helmut Kohl. Das große Mädchen Angie hat gut gelernt – deshalb besteht die Kanzlerin darauf, dass der Ziehsohn Wulff im Amt bleibt. Eine zweite Präsidenten-Pleite kann sie sich nicht leisten.

    us

  178. Thorsten Koppusch sagt:

    Eine Mehrheit der Deutschen will laut Spiegel-Online Christian Wulff eine zweite Chance geben. Mittlerweile reden wir über den Bundespräsidenten wie über einen Torwart, der einen haltbaren Schuß ins Netz gehen ließ und nun wegen eines neuen Einsatzes in Frage steht.

  179. Kay sagt:

    Mein ultimativer Vorschlag: Kai Dieckmann for president und Dieter Hundt for chancelor! Und schon haben wir eine ewigwährend stabile Staatsführung.

  180. Zitator sagt:

    Leitartikelmotto in Pjongjang:
    „Preist 2012 als Jahr des stolzen Sieges, ein Jahr, in dem sich eine Ära des Wohlstands entfaltet.“
    Was für ein fulminanter Start von Kim-Jong-Un. Da lohnt es für die Nordkoreaner allemal, sich als „lebende Gewehre und Bomben“ zu beweisen, um auch Kim III “bis auf den Tod zu verteidigen”.

  181. Werner Richter sagt:

    Zur Abtrittsrede Wulffs
    Mag ja alles stimmen, aber um Himmels willen nicht diese Offenheit, die wäre Gift fürs Volk. Ab damit in den Panzerschrank und durchhalten!
    Gott, Jahova, Allah, oder wer sonst so zuständig ist, schütze uns vor “Romeo”!

  182. Helge Jürgs sagt:

    Deutsche Rücktrittsgründe

    Es ist doch interessant, aus welch gegensätzlichen Gründen deutsche Bundespräsidenten zum Rücktritt gedrängt werden:
    Horst Köhler, weil er die Wahrheit gesagt hatte (dass in Afghanistan deutsche Wirtschaftsinteressen “verteidigt” werden) und Christian Wulff, weil der die Unwahrheit gesagt hat (die Rolle von Herrn Geerken als Kreditgeber z.B.).
    Bis jetzt ist lediglich Ersterer zurückgetreten. Das allerdings war ja auch der schlimmere Fall …

  183. Zitator sagt:

    Der Bock als Gärtner ….

    “Brüssel – Die Deutsche Bank berät den Euro-Rettungsfonds EFSF bei der Ausgabe einer neuen Milliardenanleihe. Das teilte der EFSF am Dienstag mit. Außerdem seien die Schweizer Credit Suisse Chart zeigen und die französische Société Générale Chart zeigen dabei. Die Banken beraten den Fonds, wie sich die Anleihe am besten bei Anlegern platzieren lässt und erhalten für ihre Dienste im Gegenzug Gebühren.” (Quelle: Spiegel-Online)

  184. Zitator sagt:

    Heute im ND:

    Leidkultur
    Nordkorea nahm Abschied von Staats- und Parteichef Kim Jong Il. Die Bilder aus Pjöngjang bleiben ein beeindruckendes wie fassungslos machendes Zeugnis politischer Theatralisierung. Als hätten sich antikische Chöre, Eisensteins Statistenheere, Fritz Langs Massenszenarien, Erwin Piscators Volksbühnenballungen ins Unermessliche vervielfacht. Fotos dieser nationalen Zeremonie im Schneefeld genügen und schon stehen sie wieder vor Augen: jene Züge und Formationen der Weltgeschichte aller Zeiten, in denen der Mensch euphorisch darin aufging, in Masse unterzugehen. Hingabe wie eine Opfergabe. Verehrung als originärer Ausdruck von Ehre. Selbstgefühl nur im Gewühl, das jedes Selbst erstickt. Und die Massivität der Masse lässt an beides zugleich denken: an die Ohnmacht des in eine Ordnung eingefügten Menschen ebenso wie an sein Empfinden von Mächtigkeit, das sich aus der Energie des Kollektivs speist.

    Es gibt eine Verzückung der Trauer, Walter Benjamin sprach vom Staatsbegräbnis als einem »Orgasmus der rituell organisierten Verzweiflung«. Dieser Rausch der Vielen ist nicht gering zu schätzen für die moderne Kriegführung, so der Dichter G. W. Sebald und wer will anzweifeln, dass es sich hier um Bilder eines Krieges handelt, eines heilig gesprochenen Krieges gegen das Individuum, gegen den kritischen Eigensinn, gegen die Abrüstung einer allgegenwärtigen Hörigkeit.

    Mit jeder Beerdigung beginnt auch eine »Vererdigung«, eine Verwandlung des Fleisches, eine endgültige Überstellung eines Wesens in die Verwitterung. Auf Bildern wie diesen aus Pjöngjang ist diese Überstellung begleitet von einer Schamlosigkeit der Gefühlsausbrüche, die eigentlich Einsamkeit und Ungestörtsein voraussetzt, nicht aber Menge. Hier geben Gesichter das Intimste bedenkenlos frei, weil es offenbar ohnehin nicht benötigt wird. Benötigt wird choreografische Verwendbarkeit. Der nächste Parteitag kommt bestimmt. hds

  185. Zitator sagt:

    Heilige Nacht

    Geboren war zu Betlehem
    ein Kindlein aus dem Stamme Sem.
    Und ist es auch schon lange her
    seit´s in der Krippe lag,
    so freu´n sich doch die Menschen sehr
    bis auf den heut´gen Tag.
    Minister und Agrarier,
    Bourgeois und Proletarier –
    Es feiert jeder Arier
    zu gleicher Zeit und überall.
    (Das Volk allein, dem das geschah,
    Das feiert lieber Chanukka).

    Erich Mühsam, 1925

  186. Zitator sagt:

    Thomas de Maizière in einem Spiegel-Interview zu Afghanistan:
    “Vor der Isaf-Mission hat kaum einer unserer Partner geglaubt, dass deutsche Soldaten wirklich kämpfen können oder dass ihre Führung sich traut, ihnen den Befehl dafür zu geben. Wir haben bewiesen, dass wir das können und auch bereit sind, Opfer zu erbringen.”
    Wer, bitte sehr, ist “WIR”?
    Jedenfalls nicht jene, die sinnlos geopfert worden sind.

  187. Zitator sagt:

    Aus einer FAZ-Prognose für 2012:
    “Dass das einer Aktie innewohnende Risiko des Kursverlusts seit geraumer Zeit nicht mit einer höheren Rendite honoriert wird, sollte allerdings nicht zu dem Schluss verleiten, das sei nun immer so. Im Gegenteil, es deutet viel darauf hin, dass zumindest das nächste Aktienjahr ein gutes wird.”
    Da diese Mitteilung Blättchen-Lesern gewiss das Herze wärmen wird, wollten wir sie ihnen nicht vorenthalten…

  188. Werner Richter sagt:

    Zu Spiegel-Online-10 Jahre Afghanistan
    Ja, wenn es doch nur ein Irrtum gewesen wäre. Bei einigen Bundestagsabgeordneten, die eh wie Vieh stumpfsinnig ihrem Leithammel hinterher trotte(l)n, kann es so sein, aber nicht bei den bejahenden Parteivertretern in ihrer Gesamtheit. Diese These vom Irrtum ist Bestandteil der Manipulation, dazu gibt es Haufen von Parallelen am laufenden Band. Verdeckt soll das werden, was Eric Hobsbawm in letzten Interview (das ich las) schon 2009 umschrieb:“…Es wird Blut fließen,…, viel Blut, das Leid der Menschen wird zunehmen, auch die Zahl der Flüchtlinge. Und noch etwas möchte ich nicht ausschließen: einen Krieg, der dann zum Weltkrieg werden würde – zwischen den USA und China.“ Diese strategische Situation ist es, in der die Vorgefechte für günstige Ausgangspositionen jetzt stattfinden und die Bundesrepublik nimmt sehr bewußt die ihr zugewiesenen Stellungen ein. Wer da noch andere Bewertungen bevorzugt, möge die Rede von Generalinspekteur Naumann (1992 oder 1993) in Dresden nachlesen, er skizzierte die Strategiepläne der Westmächte.
    Die Irrtumsthese ist nur eine Nebelwand. Wäre es anders, hingen in den Aufgängen und Korridoren des Bundestages zumindest die Namen aller Kollateralopfer unserer Irrtümer, vor allem auch der afghanischen. Stattdessen will man ein Denkmal für unsere gefallenen Krieger a la 1. und 2.Weltkriegsgedenken. Das sagt eigentlich alles.
    Auch die Mär vom sagenhaften Reichtum an Bodenschätzen, real durchaus vorhanden, ist eine Nebelwand, wenn die erste die Wirkung verliert. Kein ernster Unternehmer würde in absehbarer Zeit große Investitionen in einer Gegend angehen, in der unberechenbare Brachialgewalt herrscht, von politischen Strukturen nicht gesprochen werden kann und die angeblich jüngst entdeckten, tatsächlich seit langem bekannten Vorkommen mit extrem ungünstigen geologischen Bedingungen gefördert werden müßten, dazu noch in permanenten Erdbebenregionen. Klänge ganz gut in unbedarften Ohren, Kapitalismus und Profit, das reicht uns oft. Aber hier geht es nicht um Risikokapitaleinsatz im Opiumhandel, sondern um den alltäglichen klassischen Kapitalismus, der seine Anlagen durchaus sorgfältig überlegt.
    Das analoge Argument fand in jüngster Vergangenheit schon einmal seine Verwendung als Nebelwand: im Irakkrieg, besser: beim Überfall auf den Irak. Damals widersprach kaum jemand der scheinbar USA-kritischen These vom Kriegsziel Öl und selten wurde das infrage gestellt. Selbst die US-Regierung verwahrte sich nicht wie üblich gegen derartige Anschuldigungen. Bei näherem Hinsehen wäre jedoch bemerkt worden, daß die USA auch unter Saddam die Kontrolle über das Öl der gesamten Region hatten und erst mit dem Krieg diese Position ernsthaft gefährdeten. Warum nur? Doch nicht aus Blödheit oder Irrtum. In Börsenkreisen kursiert seit dem das Gerücht, höhere Interessen hätten zugunsten des Krieges entschieden. Zusammengefaßt bringt es die Frage: Was haben Irak, Libyen, Iran und Nordkorea gemein? Sie sind die Achse des Bösen, weil sie ernsthafte Ansätze zeigten, die Dominanz der USA in ihren Wirtschaftsbeziehungen einzuschränken. Damals mußte das vernebelt werden, heute ist es ähnlich.

  189. Zitator sagt:

    Afghanistan – Aus Spiegel-Onlines 10-Jahres-Bilanz:

    Versprochen – gebrochen: Vor zehn Jahren beschloss der Bundestag, Soldaten nach Afghanistan zu entsenden. Deutschland sicherte dem Land Frieden, Frauenrechte und Demokratie zu. Erreicht wurde nichts. Die Geschichte eines großen Irrtums. …

    Die Bundestagsdebatte über den Afghanistan-Einsatz von jenem 22. Dezember mutet merkwürdig fern an. “Maximal 1200” Soldaten sollen entsendet werden. Das “robuste Mandat” umfasst nur Kabul und den etwas außerhalb gelegenen Flughafen der Stadt. Bundeskanzler Gerhard Schröder betont, er gehe davon aus, “dass wir nicht unbedingt alle brauchen”. Sein Verteidigungsminister Rudolf Scharping ergänzt, man habe “auch hinsichtlich der Dauer des Einsatzes nicht den Ehrgeiz, die Obergrenze auszuschöpfen”. Sechs Monate. Höchstens.
    538 Abgeordnete stimmen dafür, nur 35 dagegen. Anschließend flüchten sie in die Weihnachtsferien. Deutschland ist Kriegspartei – auch wenn die Politiker das damals noch nicht so nennen wollen. Am 1. Januar 2002, knapp drei Monate nach Beginn des Bombardements Afghanistans durch die USA, betreten 100 deutsche Soldaten erstmals afghanischen Boden. …

    Es ist alles anders gekommen: Zehn Jahre sind vergangen, rund 100.000 deutsche Soldaten waren inzwischen in Afghanistan, 53 haben dort ihr Leben lassen müssen, nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums wurden rund 200 verletzt und weit mehr als 1800 schwer traumatisiert. Den Steuerzahler hat der Einsatz mindestens 5,5 Milliarden Euro gekostet.

  190. Zitator sagt:

    Christian Bommarius in der Berliner Zeitung:
    … Als Westerwelle nach zehn Jahren den Vorsitz der Partei verlor, war er ausgebrannt. Das wird Rösler gewiss nicht passieren, selbst wenn er ein halbes Jahrhundert Vorsitzender bliebe. Denn Rösler brennt nicht. Stets wirkt er wie ein frisch geduschter Konfirmand, der noch nicht weiß, ob er später einmal Astronaut werden oder zeit seines Lebens der kleine Philipp bleiben möchte. So will er einstweilen beides, allerdings nichts zu sehr. „Ne quid nimis“ (Nichts zu sehr) taugt als philosophische Erkenntnis, für die politische Praxis taugt es nicht. …

  191. Zitator sagt:

    “Der Medienwirbel um ein relativ kleinförmiges Fehlverhalten ist eher ein Ablenkungsmanöver vom Versagen der Medien vor den viel komplexeren Problemen der derzeitigen dramatischen politischen Herausforderungen. Die Medienkampagne um Wulff ist ein Beispiel für die Personalisierung von Politik. Sie fördert die passive Zuschauerrolle der Bürgerinnen und Bürger, die sich auf das Herumnörgeln an Politikern beschränkt. Statt Teilhabe an der politischen Willensbildung sollen Köpfe rollen. Interessant ist auch die Frage, warum gerade die Bild-Zeitung und der Spiegel das Feuer auf Wulff eröffneten.” Wolfgang Lieb in den Nachdenkseiten (www.nachdenkseiten.de)

  192. Zitator sagt:

    “Eine Partei in Abwicklung” überschreibt Heribert Prantl einen heutigen Kommentar in der “Süddeutschen Zeitung” und faßt zusammen:
    “Christian Lindners Rücktrittserklärung war so blutarm wie die Partei, für die er Generalsekretär war. Sie wurde nur noch unterboten von der blutleeren Erklärung des FDP-Chefs Rösler, die deutlich machte: Die Zeit dieser FDP ist vorbei. Das letzte Kapital der Liberalen war die Jugend ihrer Führung. Sie haben auch dieses Kapital noch verspielt.”

  193. Erhard Crome sagt:

    P.S.
    Das Guttenberg / di Lorenzo-Buch belegt in der Spiegel-Bestsellerliste bereits in dieser Woche (Nr. 50 vom 12. 12. 2011) Platz 2. Es funktioniert also, zumindest dies.

  194. KH Mittig sagt:

    Unter “Was wir tun” ist auf der Homepage der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin auch der Punkt “Gewährleistung” aufgeführt. Darin wiederum heißt es:
    Schwarzen Schafen auf der Spur
    Jede Abrechnung, die die Ärzte und Psychotherapeuten in Berlin zur Vergütung einreichen, wird von der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin überprüft. Wem eine Falschabrechnung nachgewiesen wird, der muss das Geld zurückzahlen und/oder erhält eine Disziplinarstrafe. Falsch abrechnende Ärzte und Psychotherapeuten schaden ihren Kollegen. Aufgrund der Budgetierung des ärztlichen Honorars verursachen mehr abgerechnete Leistungen keinen Cent zusätzliche Kosten für die Solidargemeinschaft. Die Leidtragenden sind die große Mehrheit der Ärzte und Psychotherapeuten, die korrekt abrechnet.

    Nun ist eine solche Aufgabenstellung ganz sicher rechtens. Inwiefern Ärzte dabei dann rechtens und vor allem branchenethisch mit Regressforderungen für überzogene Budgets zur Arzneimittel-Verordnung belegt werden, soll hier nicht untersucht werden. Wohl aber hingewiesen auf das widerliche Gebaren der Berliner KV-Oberen, siehe die derzeitigen Berichte in den Medien. Ein Spricgwort sagt, dass der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt. Ein Jahresgehalt von rund 200.000 Euro für einen KV-Vorstand darf man sicher auch als solchen bezeichnen, wenn es noch sehr viel höhere solcher Haufen gibt. Beglückend für vertrauensvolle Kassenmitglieder und Arztbesucher hingegen ist es, nun auch zu wissen, wie man den Teufel dazubringen kann, noch ein wenig mehr draufzulegen. Vermutlich haben die drei
    ihm ein besonders wirksames Abführmittel verabreicht. Unserereinem kommt das adäquate Erbrechen ganz ohne Medikament ..
    KH Mittig

  195. Zitator sagt:

    Auf den Punkt gebracht:
    Cogito, ergo sum? Ich denke, also bin ich? Das war einmal. Cogito, ergo konsum.
    Hans-Dieter Schütt im ND

  196. Die Redaktion sagt:

    Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.
    (Christa Wolf: Kindheitsmuster)
    ***

    Es ist das Los einer Vierzehntagesschrift, auf manche Ereignisse leider erst sehr spät reagieren zu können. Das betrifft nun auch den Tod von Christa Wolf. Bevor Blättchen-Autoren sich zu diesem großen Verlust deutscher Literaturlandschaft äußern können, greifen wir an dieser Stelle zunächst auf einen Beitrag aus dem “Neuen Deutschland” zurück:

    ***

    Eine Erinnerung: Friedrich Schorlemmer

    Vom Träumen, vom Kämpfen

    Prosa baut tödliche Vereinfachungen ab … Sie hält die Erinnerung an eine Zukunft in uns wach, von der wir uns bei Strafe unseres Untergangs nicht lossagen dürfen. Sie unterstützt das Subjektwerden des Menschen. Sie ist revolutionär und realistisch: sie verführt und ermutigt zu Unmöglichem.«

    Dies schrieb Christa Wolf im Schicksalsjahr für die demokratische sozialistische Hoffnung im Jahre 1968. Wo las man solches in diesem Jahr anderswo in diesem Lande?

    Was haben Sie sich zugemutet, geblieben in einer Partei, die genau solches Subjektwerden erfolgreich verhindert hat und nicht nur unser Land, sondern die dieser Gesellschaft »offiziell« zugrundeliegende Idee ruinierte?

    Doch nur wer einmal Großem sich verpflichtet fühlte und glaubte, Größeres sei in absehbarer Zukunft trotz allem zu erreichen, nachdem er das Abgründigste deutscher Geschichte schlechthin hinter sich hatte, und nun fühlte, darin schuldhaft verwoben gewesen zu sein, selber vertrieben, den Hinterbliebenen der Opfer ins Auge sehend, Widerstandskämpfern begegnend, nur der mag ermessen, wie es einer geht, deren mühsam errungene Nachkriegsorientierung in vierzig Jahren allmählich verloren ging. Nur der kann den Sturz ermessen und das entweder-oder-zugespitzte Aufbäumen »Für unser Land« begreifen.

    Wer einmal Freunde in gemeinsamer größerer Sache hatte, kann sich hineinfühlen, wie hart es ist, von den Seinen »im Interesse der Sache« herausgebissen zu werden, ideologisch-idiotischen Machtattitüden wehrlos ausgeliefert zu sein und doch selber »im Interesse der Sache« dabeizubleiben, weil noch immer auf letztendlich fruchtbare Differenz hoffend, zwischen dem Ziel und dem gegenwärtigen Sach- und Machtwaltern auf dieses Ziel.

    Wer bis 1989 seinen dünnen roten Faden zu einer Partei hielt, die insgesamt ruinös für dieses Land wirkte, gerade für diese »Sache«, der mag ermessen, welches Glücksgefühl darin bestand, endlich dem Reichtum der Demokratie statt der Demokratie des Reichtums für einen Augenblick ins Auge sehen zu können.

    Da ist es kein Wunder, dass die Herzschwäche just nach dem großen Moment am 4. November 1989 auf der Alexanderplatz-Lkw-Tribüne einsetzte. Ahnte der Körper schon vor dem Geist, dass so viel Ende nie war wie in diesem Anfang?

    Nun wieder die Voraussetzungen von Scheitern untersuchen, wieder Tabus brechen, wieder fragen, wie wir so geworden sind, wie wir sind. »Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man allmählich zu schweigen aufhören.« Dieser Satz wird im Vereinigungsgetümmel von Schweigen, Rechtfertigen und neuem Schuldzufügen wieder aktuell. Und vor allem, vor allem anderen, sich Zeit zu lassen zum Träumen. »Denn wer keine Zeit zum Träumen mehr hat, hat auch keine Kraft mehr zum Kämpfen.«

    (Aus einer Rede bei einer Geburtstagsfeier

    für Christa Wolf zur Leipziger Buchmesse,

    in »Neues Deutschland« veröffentlicht

    am 11. April 1994)

  197. Zitator sagt:

    Friedrich Küppersbusch in der Taz zur medialen Wiederauferstehung Guttenbergs:
    Mal abseits von “Kommt er zurück” oder “Kommt er später” – “oder nie”: Wer zum Himmel braucht den? … Wenn es zu kompliziert ist, eine Wurst zu kaufen, bringen sie uns eine Pelle und bejubeln die. Die können mich doch mal am Naturdarm.

  198. Werner Richter sagt:

    Weihnachtsmärchen
    Oh ja, ich glaube dem lieben Elmar vom ZDF, der am gleichen Tag, an dem wir von der schrecklichen Tat der bösen Buben hörten, schon wußte, es waren nur diese, völlig isoliert und gar nicht so sehr neonazistisch, eher krankhaft getrieben, und das Mädchen. Wer das so schnell weiß und so feine Unterschiede kennt, der muß es ganz genau wissen. Hat er auch sehr gut gemacht und die lieben Onkels von Justiz, Verfassungsschutz und Politik halten sich auch ganz fest an seine Erleuchtung. Sie werden es ihm auch danken und in seine Akte ein Bienchen eintragen, vielleicht darf er das sogar selbst machen, schön. Auch wenn da ein Dutzend Unterstützer schon aufgetaucht sind und viele Solikonzerte mit Geldsammlungen unter den glänzenden Köpfen, das war reines Mitleid mit den armen Teufeln, die in kalten Nächten im dunklen Wald leben mußten.
    Auch daß der Verfassungsschutz keine Ahnung von den Anschlägen haben konnte, glaube ich ganz fest, die Anwesenheit von dessen Beamten an späteren Tatorten oder dabei oder danach ist reiner Zufall. Das ist oft so, ich habe selbst erst vor kurzem meinen Bruder getroffen, den ich nicht kannte. So einfach auf der Straße, er trat zu mir und fragte: Bist Du nicht mein Bruder? Ja, sowas gibt es und oft. Also, ich hätte an deren Stelle auch sofort an Alibaba und die vierzig Räuber gedacht, die da ihr Märchen fortsetzen, ehrlich. Neonazis können das nie gewesen sein, die NPD weiß das ja ganz genau und die muß wissen, ob sie dabei waren oder nicht. Die sind ja immer bei deren zünftigen Aufmärschen dabei und die drei schlimmen Finger waren inkognito in der Partei, was nicht sehr schön von denen war.
    Und es ist nicht schön, den Verfassungsschutzleuten vorzuwerfen, sie wären auf dem rechten Auge blind! Können sie doch gar nicht, sie haben ja gar kein rechtes Auge. Sie haben nur eines für Linksterroristen und Kanaken und sind voll beschäftigt, deren Terrorismus, den es eigentlich so richtig gar nicht gibt, zusammen zu glauben. Außerdem ist demnächst der Verfassungsschutz mit seiner Vergangenheit beschäftigt, es waren ja bis vor kurzem so schrecklich viele Nazis im Amt, da konnte man das ja nicht machen, es hätte diese schwer beleidigt. Ich habe schon mal eine Ausstellung solcher Aufarbeitung gesehen, im Bundesverwaltungsamt, das ja die schwere Bürde des Reichsverwaltungsamtes tragen mußte. Ich sah eine schön geordnete Aufreihung von Dokumenten und Fotos, ganz ohne irgendeine politische Zuordnung, die blanken Dokumente. Und alle sollten sie sich ansehen, sprechen wollte der Chef darüber nicht, so erschöpft war er. So richtig allerdings konnte ich nicht verstehen, was mir da gezeigt wurde, aber gesehen habe ich es. Meine Frage, was denn in den Sammellagern im Osten während des Krieges mit den nicht als Deutsche anerkannten Russen geschehen ist, ob man ihnen eine Fahrtkarte zurück nach Hause oder eine Freifahrt ins benachbarte Auschwitz gab, wollte niemand beantworten. Auch nicht die Frage, warum alle Verbrecherbanden der SS als “kämpfende Truppe” eingeordnet waren, damit deren volksdeutsche Angehörige Aussiedlerstatus erhielten. Jetzt haben die alten Nazis gar nichts mehr zu sagen, leben ja auch nur noch ganz wenige. Die Bürde ist vom Amt gefallen und die demokratischen Kräfte können sich ganz unbelastet ihren demokratischen Aufgaben zuwenden, und das machen sie auch ganz gewiß. Sie werden auch weiterhin uns vor den wirklichen Gefahren schützen, wozu sie Moscheen, linke Parlamentarier und harmlos erscheinende Journalisten unentwegt beobachten müssen, auch wenn letztere nur über Neonazis berichten. Hätten sich ja ein anderes Arbeitsgebiet aussuchen können.
    Richtig rührend finde ich, wie rücksichtsvoll alle Sicherheitsorgane mit dem tragischen Ende der verzweifelten Jungen umgehen. Sie stellen deren Ehre wieder her, da die sich selbst gerichtet und damit der Gerechtigkeit zum Sieg verhalfen. Ist doch klar, wenn ich z.B. an deren Stelle gerade erfolgreich eine Bank ausgeraubt habe, wäre ich auch verzweifelt über meinen Frevel. Da kann ich mir vorstellen, daß mich Reue überkommt und ich mich selbst entleibe, bei Gott. Nur würde es rein technisch schwierig werden, mich mit einem Jagdgewehr, wie es die Fama berichtete, zu erschießen, diese meinem Kumpel, dem das gleiche traurige Schicksal beschieden ist, zu überlassen und dabei den Wohnwagen, der nun nicht mehr im finstren Walde stehen mußte, in die Luft zu jagen. Die Pistole, kann ich dann ja nicht nehmen, die braucht doch für Spuren und so die Kriminaltechnik. Ist doch klar, so war es. Sagen ja auch die Elmars und Innenminister und Ex-Generalstaatsanwälte und Innenminister und Ermittler, die wissen das ganz genau. Jetzt aber legen diese alles der Öffentlichkeit vor, naja, alles geht nicht wegen der armen V-Leute, aber das, was diese Variante beweist. Und wie es das arme Mädchen da in Zwickau machte, das ist auch eindeutig. Erst sprengt sie ihre Wohnung in die Luft, geht ganz rasch zur Polizei und ist dann ganz stumm. Würde ich wohl auch so machen, wenn ich kein V-Mann wäre und nicht Angst vor einem dritten Knall hätte. Ist ja auch nur zu blöd, wenn sich die Kameraden erschießen, nicht da zu sein und bei der Explosion im Wohnhaus dummerweise nicht zu Hause. Hoffentlich holt sie sich keinen Schnupfen, jetzt in der kalten Zelle zu dieser Jahreszeit, und fällt ins Koma. Aber die Polizei wird schon aufpassen wie schon vorher und der Verfassungsschutz und die Innenminister und das BKA. Nur reden sollte sie doch mit den Vernehmern, ist doch nicht lustig, tagelang sitzen die zusammen und die armen Beamten fragen sich Löcher in die Schuhsohlen und sie sagt gar nichts. Wenn das nicht aufhört, müssen ihre die braven Männer wenigstens sagen, was sie sagen muß, wenn sie dann spricht. Dann wäre das Ganze nicht umsonst gewesen. Ich meine die Gespräche, Gespräch ist gut, was? Und dann müssen die Polizisten höllisch aufpassen, daß nicht so ein fieser linker Anwalt ihr heimlich eine Pistole zusteckt, damit sie sich nachts aufhängen kann wie in Stammheim.
    Wird schon schiefgehen. Jedenfalls bin ich sehr froh, daß jetzt alles klar ist oder klar werden soll, wenn die Organe erst richtig anfangen. Den Ärmsten fehlten ja bisher die wichtigsten Instrumente zur vorherigen Aufklärung. Mit Zusammenlegung von Geheimdienste und Polizei, nicht RSHA, das geht überhaupt nicht, denn das Reich ist auch totgemacht, uneingeschränkten Abhör- und Dossierungsrechten, vielleicht auch erweiterter Schutzhaft, hätten sie auch nichts anderes gemacht als bisher. Elegant läßt man die Beobachteten gewähren, wenn sie für die eigenen Ziele nützlich sind, aber benötigt werden diese Dinge garantiert, um künftige Morde zu verhindern. Sagen die Verantwortlichen schon viele Jahre und jetzt wieder, denn sie wissen, was sie tun.
    Schön ist es, die Klarheit noch vor Weihnachten beigebracht zu bekommen. Ich freue mich umso toller auf den Weihnachtsmann, an den glaube ich nämlich auch.

    • Heinz W. Konrad sagt:

      Diesmal möchte Sie mit einer Anmerkung ergänzen, lieber Werner Richter.
      Um jene nämlich, die heute der Berliner Zeitung zu entnehmen war. In einem Beitrag über die “Grauzone”, in der sich der Verfassungsschutz mit seinen V-Leuten bewegt, wird dabei an die Aussagen von Wolfgang Frenz erinnert, der bis zu seiner Enttarnung als V-Mann 2002 NPD-Landesvize in NRW war. “Seine Verbindungsführer vom LfV, so sagte Frenz
      damals, seien alle Brüder im Geiste gewesen. Bis auf einen, ´der auschwitzgläubig blieb´, habe er niemanden kennengelernt, ´der das politische System der Republik bejahte und es für in Ordnung befand´. Die meisten von ihnen hätten sogar rechte Parteien gewählt.”
      Nun ist bei Bekenntnissen von Figuren wie Frenz gewiß Vorsicht geboten; wenn aber auch nur die Hälfte von seinen Aussagen zutrifft, ist es um unsere Verfassung bei solcherart Schützern schmlimm bestellt …

  199. Werner Richter sagt:

    Zum Beitrag von Heinz W. Konrad Blättchen 25/2007
    Ich irre bestimmt nicht, werter Heinz W. Konrad aus Blättchen 25/2007, hinter Ihren wohl rein akademischen Überlegungen ein Augenzwinkern zu erkennen, hoffe ich jedenfalls. Oh, wäre es paradiesisch in einer Welt ohne Verbote, halleluja! Den ganzen Tag frei wie ein Vogel ohne Zwang und Angst alles tun können, was mir Spaß macht. Obwohl, bei Angst bin ich mir da nicht so sicher. Mir als Anarchen böte es die ideale Welt. Anarch ist der richtige Begriff, Anarchist ist zu belastet, außerdem klingt er nach Monarch, Patriarch, Oligarch, also ganz gut. Ich würde auch bestimmt niemanden tatsächlich ins Jenseits befördern, auch wenn er mich zur Weißglut getrieben hat, worauf mir Mordsgedanken aufstiegen und die Sinne benebelten. Eine Reihe von Mechanismen hielten mich bisher von der Tatausführung ab und ich denke, auch in Zukunft. Kann ich mal so einfach sagen. Zunächst hinderte mich meine gute Erziehung, so was tut man nicht und ergäbe außerdem einen ekligen Anblick, den man sich und der Umwelt erspart. Daneben bremste mich meine Überzeugung, als zivilisierter Mensch solchen Frevel nicht verantworten zu können, die Strafe wäre dem Anlaß nicht angemessen. Zu guter Letzt hielt mich die Ratio zurück, das Wissen über das Strafrechtsverbot und die lange Sühnezeit. Wegen so einem Lumpen nur für den Augenblick innerer Befriedigung, jetzt schon den Rest des Lebens, hinter dicken Mauern zu vegetieren ist kein Ansporn. Die Strafrechtskonsequenz spielt in meiner Welt nur eine Nebenrolle, die moralischen Elemente dominieren. Also, ich würde in einer verbotslosen Welt bestimmt gut zurechtkommen, die Mehrheit der Leute ebenso. Aber, die Erfahrung lehrt es, ich muß eine ausreichende Menge von Individuen und Organisationen fest einrechnen, die von Gewalttaten nur durch das Verbot abgehalten werden. Der Raubtierinstinkt, der Neandertaler ist nicht, wie man uns ständig glauben machen wollte, ausgestorben, sondern assimiliert, lebt verborgen in uns Menschen. Wie verhielten sich Menschen, die bar von Moral und Kinderstube nur ihrem Egoismus verpflichtet sind und kein Verbot, keine Strafe fürchten müssen? Einige Tausend allein im guten alten Deutschland würden sich auf Kosten der anderen frei entfalten, also nehmen, was ihnen gefällt, auch mit Gewalt und Mord. Andere, nicht so gestrickte, aber ängstliche, würden mitmachen, wie einst brave Polizisten in den besetzten Gebieten an der Judenjagd. Wie verhielte ich mich dann: gäbe ich mit freudigem Herz mein letztes Hemd und hielt noch die andere Backe hin oder wehre ich mich? Da bekäme der eigentümliche Brauch des Händeschüttelns wieder seine ursprüngliche Bedeutung zurück: siehe, ich bin unbewaffnet und komme mit reinen Händen in friedlicher Absicht! Schöne Aussichten, aber die Statistiken wären revolutioniert, es gäbe keine Morde, Einbrüche, Überfälle, Geiselnahmen, Betrügereien, Körperverletzungen zu verzeichnen. Sogar den Duden können wir dann entrümpeln, weg mit diesen Begriffen. Wenn es die Bezeichnungen nicht mehr gibt, existieren die Taten doch auch nicht mehr, schön. Mich deucht, vor mir hatten diese Gedanken schon andere und sie werden umgesetzt. So etwa ließen sich die sinkenden Arbeitslosenzahlen erklären. Sprach früher nicht Heiner Geisler vom politischen Instrument der Semantik? Hier tun sich enorme Möglichkeiten auf! Die völkerrechtlichen Konsequenzen, es gäbe keine Überfälle, Kriege, Kriegsverbrechen, Massenmorde, Völkermorde mehr, für die beabsichtigte Sicherung unserer Absatz- und Bezugsmärkte sind gar nicht zu überblicken. Die gut ausgestatteten Willensvollstrecker der Finanz- und Handelsoligarchen sind in Gremien wie der WTO, die die Weltwirtschaft strategisch ausrichten, schon seit längerem daran, den Globalplayern völlige Autonomie zu schaffen, Freiheit total, natürlich nur für die Leistungsträger. Ja, sie sind unentwegt daran, den Begriff „Wirtschaftsverbrechen“ aus der menschlichen Gesellschaft zu entfernen, denn Wirtschaft wirtschaftet ausschließlich, was Verbrechen ausschließt. Gewinn kann nicht verbrecherisch sein, das wußten sogar die großdeutschen Konzerne hinsichtlich ihrer Bilanzen in Monowitz zu erklären.
    Die hehren Begriffe Freiheit und Solidarität erhalten mittels Semantiktricks neue Inhalte. Nur, ob die vielen Toten dann nicht doch tot sind, weiß ich nicht. Ist auch nicht so wichtig.

  200. Redaktion sagt:

    Wenn der Staat versagt
    von Heribert Prantl

    Der Verfassungsschutz observiert mit Akribie kritische Demokraten – gewalttätige Neonazis lässt er in Ruhe oder beschäftigt sie als V-Leute. Bei solchen Fehlleistungen kann man sich verzweifelt fragen, ob nicht nur die NPD, sondern auch der Verfassungsschutz verboten gehört. Der Staat muss aus seinen Fehlern lernen – und nicht mit Vorschlägen wie einem Neonazi-Register vom Versagen ablenken.

    Als es in diesem Jahr drei Monate lang kein gültiges Bundeswahlrecht mehr gab, war von einer “schlummernden Staatskrise” die Rede. Die jetzige Krise schlummert nicht. Sie siedet, sie kocht.
    *
    Auf der Basteibrücke in der Sächsischen Schweiz entrollt im Jahr 2009 ein Demokratiebündnis für eine weltoffene und tolerante Tourismusregion ein Banner mit der Aufschrift “Nazis? Nein Danke”. Das Bündnis reagiert damit auf den engen Bezug der Sächsischen Schweiz mit der NPD. Angefangen mit den zweistelligen Wahlergebnissen bis hin zu den Skinheads Sächsische Schweiz.

    Seitdem bekannt geworden ist, dass eine Neonazi-Bande ungehindert, unerkannt und unverfolgt mordend durch Deutschland ziehen konnte; seitdem klar geworden ist, dass also die Verfassungsschutzberichte seit 15 Jahren falsch sind; seitdem die Innenpolitiker bekennen müssen, dass die Folgerungen, die sie auf dieser Basis gemacht haben, nicht tragfähig sind; seitdem jeden Tag neue Fehlleistungen des Verfassungsschutzes bekannt werden und immer neue Details über die Distanzlosigkeit, die zwischen einzelnen Verfassungsschützern und Rechtsextremisten herrscht – seitdem mag man sich verzweifelt fragen, ob womöglich nicht nur die NPD, sondern auch der Verfassungsschutz verboten werden sollte.

    Solche Verzweiflung ist kein guter Ratgeber, aber sie ist verständlich. Die aktuellen Nachrichten handeln ja nicht nur von einer neuen Dimension des Terrors, sondern auch von einer neuen Dimension des Versagens der Sicherheitsbehörden. Pralle Säcke mit Fragezeichen werden derzeit zwischen den Ministerien, zwischen Berlin, den Landeshauptstädten und Karlsruhe hin- und her geschleppt: Sie betreffen die Täter, sie betreffen die Taten und die derzeitigen Erkenntnisse, die hinten und vorne nicht zusammenpassen, sie betreffen die verrückt anmutenden Fehler der Sicherheitsbehörden. Die Säcke sollen nun bei der Sonderkonferenz aller Innen- und Justizminister auf den Tisch geschüttet werden.

    Gewiss: Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ermittelt nicht “wegen Staatskrise”, sondern wegen “Bildung terroristischer Vereinigungen” – aber damit indirekt auch wegen Staatsversagens, weil die zuständigen Behörden von dieser terroristischen Vereinigung offenbar nicht das mindeste mitgekriegt haben. Die Ermittlungen können eine Staatskrise zur Folge haben – zumal dann, wenn sich ergibt, dass es gegen Rechtsextremisten eine heimliche Linie der Schonung und Nachsicht gegeben haben sollte.

    Immer mehr Menschen fragen sich, wer denn die Verfassung vor einem Verfassungsschutz schützt, der mit Akribie und Eifer kritische Demokraten observiert, aber gewalttätige Neonazis in Ruhe lässt oder als V-Leute beschäftigt. Wenn es dem Verfassungsschutz nicht gelingt, seine rechtsextremistischen V-Leute unter Aufsicht zu halten, darf man ihm dann geheimdienstliche, also grundrechtsaggressive Ermittlungsmethoden in die Hand geben?

    Dem Verfassungsschutz sind in den Anti-Terror-Gesetzen, die soeben wieder verlängert worden sind, Abhörrechte und geheime Befugnisse abseits jeder Kontrolle durch die Justiz eingeräumt worden. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Befugnisse nicht adäquat eingesetzt werden.

    Eine Duldsamkeit gegenüber dem Rechtsextremismus und die Unduldsamkeit gegenüber dem Linksextremismus könnte mit dem Kalten Krieg zu tun haben, in dem ein Teil der Verfassungsschützer groß geworden ist. Vierzig Jahre starrte die Bundesrepublik, hochgerüstet mit den Waffen der wehrhaften Demokratie, in den Osten. Als dann das Feindbild Kommunismus verblasste, wurden die Verbrechen der RAF mit dem alten Feindbild assoziativ verknüpft. Und als die RAF sich auflöste, wurde sie vom islamistischen Terrorismus substituiert. Der Gesetzgeber produzierte zwar Sicherheitsgesetze am laufenden Band – angewendet wurden sie aber gegen die Linksextremisten und die Islamisten.
    Der Rechtsextremismus hat seine alten Einfluss-Sphären schon vor der deutschen Einheit, schon seit Mitte der achtziger Jahre, verlassen können. Ihm gelang der Generationensprung aus dem Ghetto der Altherrenvereine, ohne dass die demokratischen Alarmsysteme anschlugen. Er wurde eine verjüngte Bewegung, aber die demokratischen Parteien nahmen das nicht oder zu spät zur Kenntnis. Aus dem späten “Aufstand der Anständigen”, nach einer Serie rechtsextremer Gewaltanschläge im Sommer 2000, wurde ein Aufstand der Unfähigen – als der Verbotsantrag gegen die NPD vor dem Bundesverfassungsgericht an seiner schlechten Begründung scheiterte.

    Ein neuer Anlauf zu einem Verbot muss nicht falsch sein – weil die als Durchlauferhitzer für Gewalt fungiert. Die Demokratie kann gewalttätige Neonazis aushalten, ein Einwanderer nicht. Ein Verbot der NPD kann also vorbeugender Opferschutz sein. Die Diskussion darüber darf aber nicht wieder so geführt werden, als handele es sich beim Verbot um den großen Exorzismus, der vom Neonazismus befreit. Sie darf auch nicht von den unfasslichen staatlichen Fehlern bei der Organisation von Sicherheit ablenken.
    Zu diesen Ablenkungsmanövern gehören geplante neue Register und Organisationszentralen. Es gibt sie schon zuhauf; sie müssen nur vernünftig arbeiten. Und der Staat muss aus seinen Fehlern lernen: 2003 scheiterte das NPD-Verbot an der V-Leute-Seligkeit des Verfassungsschutzes. Daraus sind bis heute keine Konsequenzen gezogen, über eine rechtsstaatliche Regulierung der V-Praktiken ist nicht einmal nachgedacht worden. Jetzt fliegen dem Staat die Fetzen der Versäumnisse um die Ohren.

    Mit freundlicher Genehmigung des Autors entnommen der „Süddeutschen Zeitung“ vom 17.11.2011