Wer den Krieg vorbereitet,
wird den Krieg bekommen.
Bischof Friedrich Kramer,
Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland
Die Kriegstüchtigmachung Deutschlands für eine militärische Auseinandersetzung mit Russland – von der Bundesregierung über die zügig steigenden jährlichen Militärbudgets hinaus mit nach oben unbegrenzten Sonderschulden zusätzlich gepampert* und damit ein, wenn nicht der Hauptgrund dafür, dass der „Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, […], nicht mehr finanzierbar“ sei (Friedrich Merz), hat weiter an Fahrt aufgenommen.
Geraffte Einblicke in das Syndrom eines um sich greifenden gesellschaftlichen Irrsinns.
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Im Januar 2025 hat die Bundeswehr die Aufstellung einer vierten Division im Verbund der Landstreitkräfte verkündet – neben den bisherigen drei Kampfdivisionen, die im Kriegsfall vermutlich an der Ostfront zum Einsatz kämen, soll sich eine weitere dem Heimatschutz widmen. Dazu sollten zum 1. April 2025 die für diesen Zweck bereits bestehenden fünf Heimatschutzregimenter (in Bayern, NRW, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) zusammengefasst und um ein sechstes (in Berlin) erweitert werden. Jedem Regiment sind vier bis zehn Heimatschutzkompanien unterstellt; insgesamt 42 sind geplant.
Verlautbarungen aus Bundeswehrkreisen zufolge gilt als „Kernauftrag“ der „Schutz und die Sicherung verteidigungswichtiger Infrastruktur“; konkret gehe darum, im Krisen- und Kriegsfall „Munitions- und Materiallager, Seehäfen, Verladebahnhöfe“ oder auch „Convoy Support Center“ – „Umschlagpunkte der Truppe bei großen Verlegungen“ – vor Sabotage oder auch direkten militärischen Angriffen zu schützen, des Weiteren Brücken, Bahnanlagen, Verkehrsknoten und Pipelines.
Von kritischer, weil überlebenswichtiger ziviler Infrastruktur wie etwa der Stromversorgung der Wirtschaft und der Zivilbevölkerung war in diesem Kontext bisher nicht die Rede. Das mag daran liegen, dass die Heimatschutzeinheiten derzeit bundesweit nicht mehr als 6000 Mann umfassen, wohingegen Militärplaner zur bundesweiten Abdeckung nur des definierten Aufgabenspektrums mindestens eine hohe fünfstellige Zahl an Heimatschützern für nötig erachten.
Was zivil ungeschützt in der Luft hängt, ist dieser Tage im Südosten von Berlin einmal mehr deutlich geworden. Ein Anschlag auf nur zwei Strommasten führte für ein städtisches Areal mit 50.000 Stromabnehmern zu einem 60-stündigen Energieausfall: kein Trinkwasser, kein Internet, kein Handyverkehr, keine Abwasserentsorgung, keine Lebensmittel aus dem Supermarkt, kein ÖPNV und keine digitale Verkehrsregelung, keine medizinische Standardversorgung, kein Geld aus dem Automaten, kein … kein … kein …
Seit 2011, seit der Veröffentlichung einer entsprechenden umfassenden Studie für den Bundestag („Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung“), kann man nachlesen, was Experten für den Fall eines längeren flächendeckenden Stromausfalls erwarten: „dass bereits nach wenigen Tagen im betroffenen Gebiet die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit (le-bens)notwendigen Gütern und Dienstleistungen nicht mehr sicherzustellen ist. Die öffentliche Sicherheit ist gefährdet, der grundgesetzlich verankerten Schutzpflicht für Leib und Leben seiner Bürger kann der Staat nicht mehr gerecht werden. (119) Und: „Eine ‚nationale Katastrophe‘ wäre ein langandauernder Stromausfall […] auch deshalb, weil weder die Bevölkerung noch die Unternehmen, noch der Staat hierauf vorbereitet sind […].“ (16)
Eine aktualisierte Untersuchung heute würde nichts anderes feststellen, wobei die existenzielle gesamtgesellschaftliche Vulnerabilität infolge der fortschreitenden Digitalisierung vieler Lebensbereiche inzwischen ein sehr viel höheres Niveau erreicht hat und weiter zunimmt.
Nach dem jüngsten Zwischenfall in Berlin wiegelte die FAZ ab: Die Bundesregierung habe „das Problem erkannt und will die Betreiber von Netzen und Kraftwerken zu einem besseren physischen Schutz ihrer Anlagen verpflichten. Sie sollen ihre Anlagen künftig bei den zuständigen Behörden registrieren lassen, regelmäßig Risikoanalysen durchführen und auf dieser Basis umfassende Resilienzpläne erstellen. Das geht aus einem Gesetzentwurf hervor […].“
Das ist Aktionismus und im Übrigen Augenwischerei: Selbst wenn man einen Teil der zentralen Anlagen der zivilen Stromgewinnung und -verteilung mit Containments ähnlich denen von Kernkraftwerken (zu aufgrund der schieren Anzahl allerdings wohl unbezahlbaren Kosten) versähe, blieben genügend Angriffspunkte übrig: Das Stromnetz in Deutschland ist 1,9 Millionen Kilometer lang; knapp 20 Prozent davon verlaufen oberirdisch. Die neuralgischsten, weil mit dem geringstem Aufwand und dem größten Kaskadeneffekt im System angreifbaren Punkte sind Umspannwerke, die überwiegend auf der grünen Wiese stehen und außer durch einen Zaun durch nichts sonst geschützt sind. Förmlich eine Einladung, durch punktuelle Angriffe durch Drohnen oder ballistische Raketen große Teile der Gesellschaft in kürzester Zeit ins Chaos zu stürzen und den Staat an den Rand des Kollapses zu bringen, wenn nicht darüber hinaus.
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„Das deutsche Gesundheitssystem sei nicht ausreichend auf einen Kriegsfall vorbereitet, warnen Intensivärzte und Notfallmediziner. Es gebe keine Konzepte, keine digitale Vernetzung. Schon jetzt kämen Kapazitäten an Grenzen“, so die Welt am 15.09.2025.
Für den Fall eines Krieges mit Russland gehen Experten hierzulande von an der Ostfront bis zu 1000 Verwundeten täglich aus, die in Deutschland zu versorgen wären. (Gegenwärtig hat man es im Lande mit durchschnittlich 85 Schwerverletzten pro Tag zu tun.) Legt man allerdings die Annahme von Reservistenverbandspräsident Sensburg von womöglich 5000 Todesopfern an der Front pro Tag zugrunde, dann wäre die Zahl der Verwundeten, einschlägigen Kriegserfahrungen nach, noch deutlich höher. Bundeswehr-Generalstabsarzt Johannes Backus verriet daher kein Geheimnis, als er konstatierte: „Die fünf Bundeswehrkrankenhäuser allein reichen nicht aus“, zumal „große Teile ihrer Fachkräfte […] im Ernstfall an der Front benötigt“ würden.
Im 2024 von fünf Bundestagsabgeordneten verschiedener Parteien (nicht beteiligt war lediglich die AfD) herausgegebenen Grünbuch „Zivil-Militärische Zusammenarbeit 4.0 im militärischen Krisenfall“ findet sich folgende Konkretisierung: „Dietmar Pennig, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), glaubt, dass derzeit die Bettenzahl auf militärischer Ebene innerhalb von 48 Stunden ausgeschöpft wäre. Innerhalb von zwei Tagen müssten verletzte Soldaten also auch in zivilen Krankenhäusern und Kliniken behandelt werden.“
Und was wird dann aus der Zivilbevölkerung? Dazu hat Angelika Claußen, Co-Vorsitzende des Vereins Ärzte zur Verhütung eines Atomkrieges (IPPNW) der Berliner Zeitung folgendes berichtet: Ein Bundeswehrvertreter habe auf einer Charité-Veranstaltung zum Thema „Zivile Verteidigung der Berliner Krankenhäuser“ im Sommer dieses Jahres sinngemäß gesagt, „dass sich die Zivilbevölkerung bei Bedarf verstärkt selbst helfen soll“.
Ganz spezieller Bedarf ergäbe sich beispielsweise, setzte Russland im Falle einer drohenden Kriegsniederlage Atomwaffen auch gegen deutsche Städte ein, denn bei Atomexplosionen tritt das Phänomen des sogenannten Hitzeblitzes auf. Dazu macht der von der Atomenergiekommission der USA erstmals 1950 veröffentlichte offizielle Bericht „Die Wirkungen der Kernwaffen“, der unter anderem auf empirischen US-Erhebungen in Hiroshima und Nagasaki beruht, folgende Angaben: „Verbrennungen durch Hitzeblitz kamen […] sowohl in Hiroshima als auch in Nagasaki sehr häufig vor. Aus Hiroshima wurden z. B. über 40 000 ziemlich schwere Fälle von Verbrennungen gemeldet.“ Die Einwohnerzahl der Stadt lag vor dem Bombenabwurf am 6. August 1945 zwischen 240.000 und 270.000. Quellen zufolge überlebten nur zehn Prozent des medizinischen und pflegerischen Personals, die Krankenhäuser der Stadt waren weitgehend zerstört. In den folgenden Wochen und Monaten starben Zehntausende, die sich „selbst helfen“ mussten, auf fürchterliche Weise.
Schwere Verbrennungen erfordern in der Regel intensivmedizinische Versorgung. Dem offiziellen DIVI-Intensivregister zufolge gab es mit Stand vom 17.09.2025 in Deutschland 13.112 betreibbare Intensivbetten, von denen 10.920 belegt waren.
Hinzu kommt, dass die derzeit in Deutschland laufende Krankenhausreform insgesamt stationäre Kapazitäten nicht etwa im Lichte der von Politik und Medien dauerbeschworenen Möglichkeit eines Krieges mit Russland aufstocken, sondern mit dem Ziel einer Kostensenkung reduzieren wird.
Um nicht missverstanden zu werden: Die hier skizzierten Probleme im Gesundheitssektor lassen sich – wie jene im Hinblick auf die zivile Stromversorgung – auch durch noch so umfassende Vorsorge nicht aus der Welt schaffen, sondern nur dadurch, dass sie infolge konsequenter Kriegsvermeidung gar nicht erst auftreten.
Leider spielt dieser Aspekt im öffentlichen Hype um unsere unbedingt erforderliche Kriegstüchtigkeit Deutschlands keine Rolle.
PS: Die Strahlenschutzkommission, ein Beratungsgremium des Bundesinnenministeriums, hat bereits 2023 in einem „Schutzstrategien bei Nuklearwaffeneinsatz“ betitelten Papier und unter ausdrücklichem Hinweis auf Erfahrungen aus der Corona-Pandemie das Tragen von FFP-2-Masken empfohlen und „die Verminderung der externen Exposition durch Aufsuchen von Innenräumen in den ersten 24 Stunden bis 48 Stunden“ als „die vordringlichste Schutzmaßnahme“ für die Bevölkerung herausgestellt – natürlich „bei geschlossenen Fenstern und Türen sowie abgestellter Belüftung“!
In den 1960er Jahren wurde für den Fall des Falles noch angeraten, den Kopf mittels einer Aktentasche zu schützen. Da sind wir doch echt einen Schritt weiter …
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„Die Ereignisse zeigen, wie vulnerabel unsere kritische Infrastruktur ist“, so – laut FAZ – nach dem erwähnten jüngsten Vorfall im Berliner Südosten Carsten Schiewe, Partner beim Beratungsunternehmen KPMG und dort mit Geopolitik und Verteidigung beschäftigt. Es sei relativ einfach, „Kernstücke“ wie Stromnetze oder Gesundheitsversorgung zu sabotieren. „Und das ist keine gute Nachricht für ein Land, welches in vier Jahren kriegstüchtig sein möchte, wie es nicht zuletzt der Bundeskanzler formuliert hat.“
Keine gute Nachricht?
Der Mann hat wahrlich Sinn für Understatement.
* – Die Plattform german-foreing-policy.de listete am 27.08.2025 unter Berufung auf das Bundesverteidigungsministerium auf: „Der Bundeswehretat für dieses Jahr [2025 – S.] ist gegenüber dem Vorjahr um rund 20 Prozent auf 62,4 Milliarden Euro erhöht worden; es kommen rund 24 Milliarden Euro aus dem sogenannten Sondervermögen hinzu. Für 2026 sehen die Planungen ein Budget von 82,7 Milliarden Euro zuzüglich 25,5 Milliarden Euro aus dem ‚Sondervermögen‘ vor. 2027 – im letzten Jahr, in dem Mittel aus dem ‚Sondervermögen‘ fließen – soll der Etat 93,4 Milliarden Euro betragen, 2028 beinahe 136,5 Milliarden Euro, 2029 gut 152,8 Milliarden Euro. Noch nicht eingerechnet sind die Ausgaben für militärisch nutzbare Infrastruktur, für die 2029 ungefähr 70 Milliarden Euro in Aussicht stehen.“
Bisherige Beiträge zum Mantra der „Kriegstüchtigkeit“ – siehe Blättchen 23/2024, 24/2024, 1/2025, 4/2025 und 8/2025.
Schlagwörter: Gesundheitssystem, kriegstüchtig, Sarcasticus, Stromversorgung


