Strategen der Rechten wie Götz Kubitschek oder Martin Sellner wussten, wie die Wahlerfolge der AfD vorzubereiten wären – durch den Aufbau „metapolitischer, vorpolitischer Macht“, um „das Meinungsklima zu ändern“. Das gelang; heute bestimmt diese Partei maßgeblich den politischen Diskurs hierzulande. Dahinter verbirgt sich das Konzept der „Besetzung von Feldern im vorpolitischen Raum“, um „Informationen und Lebensgefühl durch ein ganzes Kapillarsystem sickern zu lassen“. Nur „eine Subkultur garantiert längerfristig die Durchsetzung eigener Zielvorstellungen“. Die Pointe: Das Konzept ist den Schriften des italienischen Marxisten Antonio Gramsci (1891-1937) entlehnt. Auch dieser ging davon aus, dass eine politische Wende – bei ihm natürlich hin zu einem politischen Sieg der Linken im damaligen Italien –, die sich in Wahlerfolgen niederschlägt, das langwierige Beeinflussen des vorpolitischen Raums voraussetzt. Diese Rechten kopieren die Strategie des Linken.
Zu Lasten des politischen Gegners wilderte auch Angela Merkel; zwar nicht im „vorpolitischen“, so doch im politischen Raum. Ihr Konzept der „Asymmetrische Demobilisierung“ zielte darauf ab, die Wählerschaft der gegnerischen Parteien zu „demobilisieren“, während die eigene Basis erweitert und mobilisiert wurde. Merkel plünderte deren politischen Lagerbestand, übernahm Positionen, die für das linke Spektrum standen, wodurch diesem Angriffsflächen entzogen wurden. Oppositionsparteien blieben so oft ohne klare Profilierungschance. SPD-Anhänger sahen wenig Unterschied zwischen den Volksparteien und verloren ihre Motivation zur Wahl zu gehen. Dieses gewolltes Abdriften in unklare politische Konturen, in Profillosigkeit, verurteilte Peter Sloterdijk mit den Worten: „Die politischen Primärfarben sind vergraut“. Martin Schulz, in der Wahl 2017 SPD-Konkurrent Merkels um die Kanzlerschaft, urteilte, dass die Union bewusst in Kauf nähme, dass weniger Menschen wählen gingen, weil eine sinkende Wahlbeteiligung zulasten der anderen Parteien gehe: „Dann nennt man das in Berliner Kreisen vielleicht asymmetrische Demobilisierung. Ich nenne das einen Anschlag auf die Demokratie“, so Schulz.
Eine weitere Spielart, gegen politischer Gegner vorzugehen, ist das Negative Campaigning. Es bezeichnet eine Form von politischer Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit, mittels derer versucht wird, den (politischen) Rivalen um des eigenen Vorteils willen zu denunzieren. Private, aber auch gesellschaftliche oder geschäftliche (vermeintliche) Verfehlungen werden öffentlich gemacht, um die betreffende Person, Partei oder Organisation gezielt zu skandalisieren. Charakteristisch ist dabei, dass sachliche Argumente keine Rolle spielen und es stattdessen um persönliche Herabsetzung geht. Diese Art des „schmutzigen“ Wahlkampfers ist vor allem in den USA verbreitet; einer der Protagonisten war und ist Steve Bannon.
Bannon ist kein unbeschriebenes Blatt. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde der Publizist, Filmemacher und politische Berater bekannt, als er im August 2016 zum Leiter von Donald Trumps Wahl-Kampagne ernannt wurde; später zu dessen Sicherheitsberater. Trumps Einflüsterer war und ist ein Vordenker der radikal Rechten in den USA, ein Mann, der Chaos und Zerstörung propagiert, der kommende Blutbäder ankündigt und Kriege als unvermeidliche und heilsame Momente in der Geschichte versteht. Bald darauf feuerte ihn Trump; dessen Schwiegersohn Jared Kushner urteilte über Bannon: „Er verstärkt die dunkelsten Instinkte meines Schwiegervaters“.
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Heute ist die Rechte weiter: am Ziel? All das oben Beschriebene – die Übernahme einer linken Strategie zum rechten Nutzen, das Besetzen linker Themen, auch durch Konservative, das Denunzieren und Verächtlichmachen politischer Gegner, namentlich linker, findet seine Vollendung in der „Spiegelung“. Diese Metapher fand die kanadische Journalistin und linke politische Aktivisten Naomi Klein, um Phänomene zu beschreiben, bei denen eigene linke Überzeugungen und Ideen von rechten oder populistischen Akteuren gespiegelt werden. Positionen, die ursprünglich linke oder progressive Anliegen verkörpern, werden in einem verzerrten Gegenbild als Teil von Verschwörungsmythen oder rechten Narrativen zurückgespiegelt und nehmen eine radikal andere, gegensätzliche Bedeutung an. Es geht nicht mehr um das Kopieren, sondern darum, der Linken Themen grundsätzlich wegzunehmen, zu vereinnahmen. Betroffen ist nicht mehr nur der politische Raum, sondern die gesamte mediale Sphäre ist zur Arena im Kampf um die Deutungshoheit geworden.
Auch er ist wieder im Gespräch – Bannon verfolgt exakt diese Strategie. Er integriert Themen wie Kapitalismuskritik, die Kluft zwischen „Eliten“ und „Arbeiterklasse“, Bekämpfung der Globalisierung oder Staatsskepsis in seine eigene Agenda und versteht sie auf eine Weise zu rahmen, dass sie zu seinen eigenen politischen Vorstellungen und Zielen werden. Bannon und andere Protagonisten verleihen diesen Themen eine nationalistisch-völkische respektive populistische Wendung und machen sie so für die breit aufgestellte Rechte politisch handhabbar, zu erfolgversprechenden Wahlkampfthemen. (In kleinen Zirkeln der Rechten gab es schon immer Kapitalismus- oder Globalisierungskritik). Während liberale Gruppierungen über Inklusion und Diversität sprechen, dreht Bannon die Argumente um und spricht stattdessen von der „Bedrohung“ der nationalen oder kulturellen Identität. Er greift hier wieder gleiche Begrifflichkeiten auf, verkehrt sie jedoch ins Gegenteil – zu einer Abwehrhaltung gegenüber Zuwanderung und Diversität; zusätzlich aufgeladen mit Ressentiments und „Gefühlen“. Ob es hierzulande schon einen „Bannon“ gibt? Mediale Praktiken im rechts(extremen) Spektrum sind denen in den USA jedenfalls zum Verwechseln ähnlich.
Die Wirkung auf linke politische Aktivisten ist signifikant – sie verlieren ihre politische Identität und so auch in Teilen ihre persönliche, denn sie können nun nicht mehr „einfach“ und unbefangen ihre Kritik an den Zuständen vortragen. Wer den Kapitalismus oder soziale Missstände auf die gleiche Weise wie Rechte kritisiert, erscheint (und fühlt sich möglicherweise) selbst wie ein Rechter. Es gleicht dem Märchen vom Hasen und dem Igel: Der linke Hase kommt oben am Acker an; vulgo tritt mit einer kritischen Meinung an die Öffentlichkeit und der oben am Acker schon wartende rechte Igel ruft „ick bün all hier“, vulgo hat diese Meinung schon zu seiner eigenen gemacht. Und nicht nur das – desgleichen ist die Wirkung auf den gesamten politischen Diskurs desaströs: Wie es in modernen Gesellschaften konservative und liberale Elemente geben muss für eine politische Balance, bedarf es des linken Elements!
Diese Gesamtschau auf die Politik ist zugleich Ansatz zu linker Selbstkritik. Hat nicht beispielsweise linker Skeptizismus gegenüber staatlichen Maßnahmen zu Corona-Zeiten dazu beigetragen, dass rund um die Pandemie rechte Verschwörungsmythen gedeihen konnten? Oder war eher das Problem, dass viele Linke in der Covid-Ära zu zaghaft und zu staatsgläubig waren? Immer dann also, wenn die Linke meint, das politische Abdriften der Rechten mit einer prägnanten These dingfest gemacht zu haben, muss die Linke bei sich selber nachhaken: Ist das nicht zu einfach? Sind hier nicht eigene verdrängte Krisen und Versäumnisse im Spiel? Was sagt die Entwicklung von rechten Protagonisten über die Versäumnisse bei der Linken, also über deren Aktivisten? Die Aktivisten, die sich nach wie vor als Linke verstehen, stehen Rechtsfanatikern gegenüber, die mit ihren Parolen manchmal wie die rôle travesti oder Hosenrolle der Linken daherkommen …
Führte Merkels konturlose, ihre die Politik „entpolitisierende“ Politik seinerzeit „nur“ zum „Vergrauen der politischen Primärfarben“, so scheinen inzwischen – um im Bild zu bleiben – diese Farben zu einem dunklen, erdigen Braunton (!) vermengt, die Grenzen zwischen rechts und links aufgehoben; und in der Folge auch die zwischen richtig und falsch, Fakt und Meinung. Liberale Demokratien taumeln am Rande der Autokratie, weil rechte Mächte in ihrem Innern ihre Institutionen – Sprache, Wahlen, Recht – übernommen haben. Die Dominanz des angeblich „links-rotgrün versifften“ Mainstreams ist eine Chimäre und die „Gefährdung der Demokratie“ inzwischen zur beschönigenden, verhüllenden Umschreibung dessen geworden, womit wir es (in Teilen der Welt) zu tun haben.
PS: Der Text ist vor Trumps Wahlsieg geschrieben worden; dieser Sieg verleiht ihm eine noch höhere Aktualität.
Schlagwörter: Angela Merkel, Donald Trump, Linke, Politik, Rechte, Stephan Wohanka, Steve Bannon