Grundlegende technologische Umbrüche vollziehen sich gegenwärtig nicht nur über unseren Köpfen, im erdnahen Raum, sondern auch hier auf Erden: Spätestens, seit uns Sam Altman mit ChatGPT konfrontiert hat, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über künstliche Intelligenz (KI) fabuliert wird.
Dabei hat Vieles, was da zur Sprache kommt, mit KI herzlich wenig zu tun. Gleichwohl wird weltweit heftig in die neue Wunderressource investiert – nach Einschätzung der International Data Corporation rund 300 Milliarden US-Dollar bis 2026.
Im März dieses Jahres warnten die Vereinten Nationen erstmals in einer nichtbindenden Resolution vor den Gefahren „rücksichtsloser KI-Entwicklungen“ für die „Wahrung von Menschenrechten und fundamentalen Freiheiten.“ Eingebracht von den USA und mitgetragen von „Problemstaaten“ wie China und Russland, reagierte Washington mit dieser Initiative auf Kritik aus Ländern des „globalen Südens“, deren Positionen in früheren internationalen KI-Vereinbarungen, insbesondere der Bletchley-Deklaration vom November 2023, nur unzureichend Berücksichtigung gefunden hatten.
Der UN-Resolution unmittelbar vorausgegangen war die Verabschiedung eines von der Industrie vehement bekämpftes KI-Gesetzes durch das Europäische Parlament. Im Unterschied zur nichtbindenden Bletchley-Deklaration, fokussiert auf „existentielle Sicherheitsrisiken“, formuliert das EU-Gesetz verbindliche Regeln für den Schutz von Bürgerrechten sowie zur Gewährleistung maximaler Transparenz.
Vor den Gefahren militärischer KI-Anwendungen warnte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres Anfang April vor Beginn einer Sicherheitsratstagung zum Nahen Osten: Er sei tief beunruhigt über Berichte, nach denen Israel sich in seiner militärischen Kampagne in Gaza auf KI zur Zielerfassung in dicht besiedelten Gebieten stütze.
Nur wenige Tage zuvor hatte das US-Außenministerium eine handverlesene Expertenschar aus rund 40 Staaten in die Universität von Maryland geladen, um diese dort hinter verschlossenen Türen über eine „verantwortungsvolle militärische Nutzung Künstlicher Intelligenz“ nachsinnen zu lassen. Nicht zugelassen: China, Russland, Iran, Nordkorea. Aber auch nicht von der Partie: Indien sowie die meisten Staaten der moslemischen Welt. Der Verdacht drängt sich auf, dass mit derart breit angelegten Gesprächsformaten, ähnlich wie im Falle der „Antisatellitenwaffen-Initiative“ Washingtons, auch in Sachen militärischer KI entsprechende UN-Foren torpediert werden sollen.
Während europäische Unternehmen wie Airbus, Siemens oder Renault KI-Regulierungen in ihrer gegenwärtigen Form zwar weitestgehend, aber nur deswegen ablehnen, weil sie die Wettbewerbsfähigkeit sowie die technologische Souveränität des Kontinents gefährdeten, ist anderswo die Skepsis gegenüber bestimmten KI-Entwicklungen spürbarer.
Etwa bei SpaceX/Tesla/X Corp./xAI/Neuralink-Boss Elon Musk, der zusammen mit anderen, darunter Apple-Pionier Steve Wozniak, im März vergangen Jahres in einem offenen Brief ein mindestens sechsmonatiges Moratorium für die Entwicklung fortgeschrittener KI-Systeme forderte, das genutzt werden solle, um entsprechende Sicherheitsprotokolle zu vereinbaren und zu implementieren.
Ein geschickter PR-Gag, um sich zum wiederholten Male als „Retter der Menschheit“ zu präsentieren? Oder einfach nur Frust auf Sam Altman, weil dieser mit ChatGPT dabei ist, aus der einst gemeinschaftlich gegründeten Firma OpenAI eine Goldgrube zu machen? Der von Musk gerichtlich erhobene Vorwurf, sein ehemalige Kompagnon habe die ursprüngliche Idee von OpenAI als einer nicht gewinnorientierten Unternehmung schmählich verraten, ist jedenfalls nach der Veröffentlichung alter E-Mails durch Altman, die nahelegen, dass Musk von Anfang an selbst an fette Profite dachte, nicht länger haltbar.
Allerdings ist da noch die Sache mit der Singularität, jener in den letzten Jahren von Tech-Aktivisten wie Ray Kurzweil vehement verfochtenen These, dass irgendwann ein Punkt erreicht sein werde, an dem künstliche Intelligenz die menschliche überflügele, womit alle Fortschrittsmodelle obsolet und Zukunftsprognosen unmöglich seien.
Tech-Blasen-Bewohner wie Musk scheinen tatsächlich davon überzeugt zu sein, dass wir uns diesem Punkt rasant nähern!
Ganz Transhumanist, forderte er daher bereits vor Jahren, wir alle müssten Cyborgs werden, um den unausweichlichen Aufstand der Roboter zu überleben. Wollten wir uns angesichts von KI nicht selbst abschaffen, so Musk, müssten wir mit Maschinen verschmelzen, um unseren eigenen Intellekt zu erweitern.
Allein ist Musk mit dieser Überzeugung nicht. Auch die langjährige Direktorin der Forschungsbehörde des Pentagon (DARPA), Arati Prabhakar, gab ebenfalls bereits vor Jahren zu Protokoll: „Von meiner Perspektive, die ein breites Spektrum von Forschungsdisziplinen umfasst, scheint klar zu sein, dass wir Menschen uns auf dem Pfad zu einer symbiotischeren Einheit mit unseren Maschinen befinden.“
Was Musk vielleicht von anderen Techies unterscheidet, ist der Umstand, dass in seiner Weltsicht der Mensch letztlich durchaus im Mittelpunkt steht: KI-Fortschritt ist für Musk, so Wired-Autor Liat Clark, nur solange gut, wie er unter menschlicher Aufsicht erfolge: Dieser Aufgabe gerecht zu werden, gelänge aber nur, wenn wir wie die Maschine werden würden …
Erwähnenswert in diesem Zusammenhang: die Warnung des MIT-Professors und Präsidenten des von Musk mitgetragenen Future-of-Life-Instituts, Max Tegmark vor wenigen Tagen auf dem Seouler KI-Gipfel, große Tech-Firmen würden die existentielle Gefahren von KI herunterspielen und so internationale entsprechende Regulierungen verhindern.
Leider spielt das von Musk favorisierte transhumanistische Mensch-Maschine-KI-Denkdreieck in der Kritik an seiner Person selten eine maßgebliche Rolle. Lieber wird sich über seine zahlreichen geschäftlichen Fehlleistungen lustig gemacht, sein auf X demonstriertes Verständnis von Meinungsfreiheit attackiert und penibel Buch darüber geführt, mit welchen Vertretern und Vertreterinnen der „globalen Rechten“ (von Jair Bolsonaro über Narendra Modi bis Giorgia Meloni) er gerade wieder Händchen gehalten hat.
Ultimativer Beleg für Musks „rechte Gesinnung“ ist für viele die Verlegung der Tesla-Zentrale von Kalifornien nach Texas sowie die zunehmend offene Unterstützung Donald Trumps und der Republikanischen Partei. Letzteres freilich gilt inzwischen für nicht wenige Tech-Investoren: Er würde jeden unterstützen, so Ben Horowitz, einer der Gründer der Wagniskapitalfirma Andreessen Horowitz, stellvertretend für viele, der eine „optimistische technophile Zukunft“ unterstütze, und jeden ablehnen, der es nicht tue. Joe Bidens Idee einer „Milliardärssteuer“, bestimmte Personalentscheidungen der letzten Jahre, aber auch wachsender Frust über Washingtons Außenpolitik lassen Silicon Valley zunehmend auf Abstand zu den Demokraten gehen.
Und dann ist da noch die angebliche Vorliebe Musks für Russland, die sich auf besonders verhängnisvolle Weise in der wiederholten Abschaltung seines Starlink-Satellitennetzwerkes über der Ukraine gezeigt habe.
Aus seiner Begeisterung für das sowjetische Weltraumprogramm hat Musk in der Tat nie einen Hehl gemacht. Und in Russland wird sehr genau verfolgt, wie sich der geborene Südafrikaner in den USA und darüber hinaus politisch positioniert. Nicht minder interessant freilich ist, wie russische Techies der Muskschen Tech-Philosophie begegnen – nämlich durchaus kritisch. Nicht, weil Russland aufgrund seiner „orthodoxen Verfasstheit“ mit KI oder gar Transhumanismus nichts am Hut hätte. Ganz im Gegenteil: Von Kosmisten wie Nikolaj Fjodorow (1829-1903) und Alexander Bogdanow (1873-1928) über Konstantin Ziolkowskij (1857-1935), den Begründer der modernen Kosmonautik, bis hin zu Systemanalytikern wie Nikita Mojssejew (1917-2000) und Zukunftsforschern wie Akop Nazaretjan (1948-2019) führt eine direkte Linie zu durchaus eigenständigen Ansätzen in der aktuellen russischen KI-Forschung: So arbeiten Timur Tschukin und Pawel Lukscha, Gründer der staatlich geförderten Organisation Neuronet, an der Schaffung eines – wie es Lukscha formuliert – „genuin kollektiven Bewusstseins, wo zwischen Menschen keine Grenzen existieren, durch die ihr Selbst vom Selbst anderer getrennt wird“. Lukschas Vision: „Es wird so sein, dass sich Menschen in diesen Gemeinschaften wie ein Körper fühlen.“
Dementsprechend skeptisch beurteilte Tschukin Musks Idee eines sogenanntes Brain-Computer-Interfaces, da derart individualisierte Technologien kaum zur Schaffung eines „kollektiven hybriden Intellekts“ beitragen würden.
Tschukin und Lukscha sind sich dabei der Gefahren ihres Ansatzes (Gehirn-Hacking, Machtmissbrauch durch den Staat und anderes mehr) durchaus bewusst. Allerdings sehen sie keinen anderen Weg, die „Komplexitätskrise, in der sich die Menschheit befindet“, zu überwinden.
Nicht ausgeschlossen, dass sich entlang dieser Line – individuelles Cyberbewusstsein kontra kollektives Cyberbewusstsein – ein neuer globaler Systemgegensatz aufbaut. Welche ethischen Fragestellungen eine derartige Entwicklung aufwerfen würde, lässt sich heute nur schwer erahnen …
Schlagwörter: Bewusstsein, Cyber, Elon Musk, Künstliche Intelligenz, Peter Linke, Russland