27. Jahrgang | Nummer 6 | 11. März 2024

Erlesenes

von Thomas Behlert

Am 10. Juli 1888 kam Anne Pauline Wilhelmine Schaich in Althütte zur Welt. Sie war eins von sechs Kindern und besuchte nach dem Umzug der Familie eine Frauenarbeitsschule. Eine höhere Schulbildung war nicht vorgesehen. Später lernt sie den Philosophiestudenten Albert Haag kennen, den sie heiratet und mit ihm nach Rumänien zieht. Hier beginnt sie für deutsche Zeitungen über das Land zu berichten. Später zieht die Familie zurück nach Deutschland und Anne Haag schreibt einige Romane. 1935 wird Albert aufgrund der pazifistischen Einstellung der Familie strafversetzt und Anna darf nichts mehr veröffentlichen. Von 1940 bis 1945 führt die Schriftstellerin und Autorin Tagebuch. Es entstehen 20 Bände, die sich eingehend mit dem Krieg und seinen Folgen beschäftigen. Damit die Schriften bei Hausdurchsuchungen nicht gefunden werden, sind sie tief im Kohlenkeller versteckt. Nach dem Krieg gründet Anna Haag die Württembergische Sektion der Frauenliga neu, wird Abgeordnete der SPD und setzt sich für die Aussetzung von Strafverfahren wegen Abtreibung ein.

Nun erscheint zum richtigen Zeitpunkt ihr Tagebuch neu. Man liest pointierte Skizzen, die das tägliche Leben der Bevölkerung beschreiben. Der Leser erfährt, wieviel die Bevölkerung über die Verbrechen des NS-Regimes wusste, denn Anna Haag berichtet über gehörte Gespräche in der Straßenbahn, bei Behördengängen oder in Geschäften. Immer wieder kommt es zum Wortwechsel zwischen ihr und dem regimetreuen Apotheker. Weiter beschreibt Haag genau, wann sie auf Gegner des Nationalsozialismus trifft und wie ihre heimlichen Treffen mit BBC-Hörern verlaufen. In all diesen Eintragungen wird deutlich, dass sie noch Hoffnung hatte und den Faschismus zum Teufel wünschte. Der letzte Eintrag stammt vom 22. April 1945, als viele deutsche Soldaten bereits auf der Suche nach Zivilkleidung waren, aus den beschossenen Wäldern flohen und sich schließlich in Gefangenschaft begaben.

Anna Haags Tagebücher sind wichtige Literatur, die in der heutigen Zeit unbedingt wieder gelesen werden muss.

Anna Haag, „Denken ist heute überhaupt nicht mehr Mode“. Tagebuch 1940-1945, Reclam Verlag, (als Taschenbuch) Ditzingen 2023, 487 Seiten, 15,00 Euro.

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Gerade in den letzten Wochen und Monaten ist die Landwirtschaft in aller Munde, zumal die Landwirte streikten und mit ihren Traktoren Straßen und Auffahrten versperrten und von den Politikern gehört werden wollten. Ok, manche drehten am Rad, zeigten verbotene Symbole oder eine gewisse Aggressivität. Darum ist es verdammt wichtig, dass gerade ein Buch von Dr. Hermann Onko Aeikens erschienen ist: „Unsere Landwirtschaft besser verstehen“. Der 1951 geborene Autor weiß, wovon er spricht und schreibt, denn er entstammt einer Familie, die seit Generationen in Ostfriesland Landwirtschaft betreibt. Außerdem studierte er Agrarwissenschaften, promovierte und war lange Zeit im Landwirtschaftsministerium in Sachsen-Anhalt und im Bundeministerium für Ernährung und Landwirtschaft tätig.

Mit dem Buch bringt er besonders den Menschen ohne große Ahnung die Landwirtschaft näher. Keiner sollte nämlich ohne Wissen große Reden (vergiften alles, alles viel zu teuer, fahren angeberische Maschinen) schwingen. Aeikens schreibt verständlich, reiht Fakt an Fakt und erklärt den Lesern wie die Landwirtschaft funktioniert. So wird gleich in den ersten Kapiteln der Bauer „erklärt“ („Gibt es den Bauern?“) und auch auf dessen Verdienst („Was verdienen unsere Bauern?“) eingegangen. Weiter geht mit dem Handel, der nicht immer „böse“ ist. Geklärt wird außerdem, dass Direktvermarker immer noch die besten Botschafter der Landwirtschaft sind. In weiteren Kapiteln geht Aeikens dann auf die Politik, speziell die Agrarpolitik ein, erläutert den Zustand unserer Böden und warum die Bauern überhaupt in der Kritik stehen. Schließlich wird mit dem letzten Kapitel die Politik noch einmal ganz nahe an die Landwirtschaft gebracht und Fragen dazu geklärt: „Wie versöhnen wir Landwirtschaft und Gesellschaft?“ und „Gutes tun und darüber reden“. Städter lest das Buch!

Hermann Onko Aeikens: Unsere Landwirtschaft besser verstehen: Was wir alle wissen sollten, Mitteldeutscher Verlag, Halle / Saale 2023, 276 Seiten, 24,00 Euro.

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Weimar, die wohl bekannteste Stadt Thüringens, hat ihren kulturellen Aufschwung vor allem Herzogin Anna Amalia zu verdanken. Schon ab 1756 begann sie in der Stadt an der Ilm Politik und Kultur zu verbinden. Goethe schlug auf und veröffentlichte von dort ewige Meisterwerke der Literatur und des Denkens, brachte das Theater voran und war als Geheimrat tätig. Schiller wurde von Weimar aus in der Literatur unsterblich, Liszt in der Musik und später Harry Graf Kessler und Henry van de Velde in der modernen Kunst und in der Architektur. Unbedingt nennen sollte man außerdem, dass in Weimar die Verfassung der ersten deutschen Republik beschlossen wurde und Walter Gropius das Bauhaus gründete. Letzteres beeinflusst bis heute alle Gebiete der Gestaltung und wird in Weimar wieder geehrt. Über diese Zeit und über die prägenden Persönlichkeiten hat der Autor und Publizist Helge Hesse ein wunderbares und spannendes Buch geschrieben. Er verdeutlicht die Wirkung von Weimar auf die Welt und erinnert an einen Ort, der das deutsche Versprechen für eine bessere Welt war: „Mit alldem verbunden ist ein nie direkt gegebenes, aber immer wieder zu ahnendes Versprechen eines Deutschlands, das friedlich zum Fortschritt der Menschheit beiträgt, eines Deutschlands, das aus seiner Kultur, seiner Sprache, seinem Denken, seinen Ideen und seiner Kreativität heraus offen ist für Einflüsse anderer Kulturkreise…“. Hesse beendet das Buch mit dem Untergang der Weimarer Republik, als die Faschisten 1933 die Macht ergriffen, ihre brutale Diktatur errichteten und Weimar als eines ihrer nationalsozialistischen Zentren auserkoren.

Helge Hesse: Ein deutsches Versprechen. Weimar 1756-1933, Reclam Verlag, Ditzingen 2023, 283 Seiten, 28,00 Euro.