26. Jahrgang | Nummer 23 | 6. November 2023

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (VIII)

von Wolfram Adolphi

Am 25. November 1936 verbündeten sich Deutschland und Japan im „Abkommen gegen die Kommunistische Internationale“, kurz: Antikominternpakt. Damit war die offen zum Weltkrieg treibende „Achse Berlin-Tokio“ geboren; der faschistisch-militaristische Antikommunismus zog in die internationalen Beziehungen ein. Es traten dem Pakt später bei: 1937 Italien, 1939 Ungarn, der japanische Satellitenstaat Mandschukuo und Spanien, 1941 (nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion) Rumänien, Finnland, Kroatien, die Slowakei, Bulgarien, das von Deutschland besetzte Dänemark und die japanische Marionettenregierung im besetzten China.

Im Artikel I des unmissverständlich antisowjetischen und konterrevolutionären Paktes kam man überein, „sich gegenseitig über die Tätigkeit der Kommunistischen Internationale zu unterrichten, über die notwendigen Abwehrmaßnahmen zu beraten und diese in enger Zusammenarbeit durchzuführen“; Artikel II legte fest, dass man „dritte Staaten, deren innerer Friede durch die Zersetzungsarbeit der Kommunistischen Internationale bedroht wird, gemeinsam einladen“ werde, „Abwehrmaßnahmen im Geiste dieses Abkommens zu ergreifen oder an diesem Abkommen teilzunehmen“. In geheimen Zusatzvereinbarungen sicherten sich Japan und Deutschland zu, mit der Sowjetunion keine Verträge abzuschließen, die dem Geiste des Pakts widersprächen. Diesen Passus würde Japan später als durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 verletzt betrachten.

Aber nicht darum soll es hier gehen, sondern um die Rolle des Paktes für das japanische und auch deutsche Vorgehen in China. In den Augen des von Norden her vorrückenden Japans war China genau jener „dritte Staat“, wie er im Artikel II gemeint war als einer, dessen „innerer Friede durch die Zersetzungsarbeit der Kommunistischen Internationale bedroht wird“. In seinen Planungen zur Schaffung einer von ihm beherrschten „Großostasiatischen Sphäre der Ko-Prosperität“ verfolgte der japanische Machtblock 1936 daher das Ziel, die Guomindang für eine gemeinsame Ausschaltung der kommunistischen Bewegung in China zu gewinnen und sich dabei kraft des Paktes auch deutscher Unterstützung zu versichern.

Über die Annahme des japanischen Angebots kam es in der Guomindang zu heftigen Auseinandersetzungen, die am 12. Dezember 1936 in der als „Xi’an-Zwischenfall“ in die Geschichte eingehenden Verhaftung Jiang Jieshis durch die beiden ihm unterstellten Armeeführer Marschall Zhang Xueliang und General Yang Hucheng einen dramatischen Höhepunkt erlebten. Die faschistische deutsche Presse war alarmiert. „Tschangsueliang [Zhang Xueliang]“ – so meldete die Badische Presse und Handels-Zeitung am 16. Dezember – strebe „eine Verbindung mit dem General Mao“ an, der „rein kommunistisch“ und „außerdem von jeher ein Feind Tschiangkaischeks [Jiang Jieshis]“ gewesen sei. Die Dresdner Neuesten Nachrichten mit Handels- und Industrie-Zeitung berichteten gleichen Tages, dass Zhang Xueliang „auf Umgestaltung der Regierung auf kommunistischer Grundlage“ dränge. Die Lage sei jedoch unklar, weil Zhangs Truppen eigentlich „im Auftrag Nankings [Nanjings]“ – das heißt: Jiang Jieshis – die „roten chinesischen Truppen“, die „unter dem Befehl des Generals Mao stehen“, bekämpfen sollten.

„Klarheit“ im Sinne des faschistischen Weltbildes schuf am 23. Dezember 1936 in Der Führer. Hauptorgan der NSDAP Gau Baden ein Ernst v. Ungern-Sternberg. Der „rote Schatten Moskaus“ – schrieb er – habe sich „wieder einmal über dem Horizont Chinas erhoben“. Der „berüchtigte rote General Mao-tse-tung [Mao Zedong]“ – „Chef der chinesischen Kommunisten“, „Vertrauter, fast Freund Stalins“, „in Moskau an der von Radek gegründeten kommunistischen Propagandauniversität“ ausgebildeter und, „des Russischen mächtig“, „mit der Komintern in ständiger enger Verbindung“ stehender „Drahtzieher aller Aufstände und Revolutionen in China, die im Interesse Moskaus liegen“, – habe sich „in einem Flugzeuge nach Sianfu [Xi’an] begeben“. „Erst kürzlich“ habe er „in Moskau […] längere Besprechungen mit Stalin, Woroschilow und Dimitroff gehabt“, und „auf der Rückfahrt“ habe es „in Sianfu eine geheime Zusammenkunft mit dem Marschall Tschanghsueliang [Zhang Xueliang]“ gegeben. All dies lasse keinen Zweifel: Beim „Wetterleuchten in Sianfu“ handele es sich „nicht um eine lokale Rebellion“, sondern vielmehr „um einen Zugriff Moskaus in den Weltfrieden“, und es sei nur zu „hoffen“, dass es „der bewährten Statsklugheit [sic] Japans im Verein mit dem hoffentlich bald befreiten Marschall Tschiangkaischek [Jiang Jieshi] gelingen“ werde, „der bolschewistischen Schlange rechtzeitig den Kopf zu zertreten“.

Fakt war an dieser Darstellung nur eines: Mao war seit 1935 tatsächlich Chef der Gongchandang. Alles andere war Lüge pur. Nie war Mao in Moskau gewesen (erst 1949 würde er dorthin fahren), nie hat er dort studiert, nie sprach er russisch, keineswegs war er Stalins Freund und nie traf er mit Zhang Xueliang in Xi’an zusammen. Was es tatsächlich in Xi’an gab, war eine Gongchandang-Delegation aus Yan’an, die unter der von Mao mitbeschlossenen Leitung Zhou Enlais in Übereinstimmung mit Zhang Xueliang und Yang Hucheng am 23. Dezember 1936 mit Jiang Jieshi eine Vereinbarung aushandelte, die auf eine Beendigung des Bürgerkriegs und die Herstellung einer antijapanischen Einheitsfront hinauslief. Jiang Jieshi, der wieder freigelassen wurde, musste – wie Oskar Weggel in seiner „Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert“ (Stuttgart 1989) treffend vermerkt – „die politische Weitsicht seiner kommunistischen Gegner grimmig anerkennen“.

Nachsatz: Zur Schreibweise der chinesischen Eigennamen. In den Zitaten wird die originale Schreibweise verwendet und in eckigen Klammern die heutige Pinyin-Schreibweise angefügt. Nicht hinzugefügt wird die Pinyin-Fassung dann, wenn bereits im Original mit Pinyin gearbeitet ist. Ebenfalls mit Pinyin gearbeitet wird im Fließtext.

Wird fortgesetzt.