26. Jahrgang | Nummer 16 | 31. Juli 2023

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (II)

von Wolfram Adolphi

„Tschu-Mao, der Popanz des ‚Temps‘“ schaffte es im Herbst 1930 auch in die bürgerliche deutsche Presse. Am 28. Oktober 1930 war in der Neuen Mannheimer Zeitung unter der Überschrift „Radikales in China“ zu lesen, dass in „Chinas trauriger Entwicklung, die im Moment noch immer abwärts führt“, „das Schlimmste […] das gesetzlose Volk“ bleibe, „das sich heute teilweise ‚Kommunisten‘ nennt“. Dies habe „keine einheitliche Führung“ – „Shu Teh [Zhu De], Mao Tze Tung [Mao Zedong] und Lo Lung [gemeint ist wohl He Long]“ hätten es schließlich „nie über je 10.000 Banditen gebracht“, – und es bestehe zu „90 v. H. aus Räubern“, „zu 9 [v. H.] aus Mitläufern“, und das verbleibende 1 v. H.: das sei „der bolschewistisch angeworbene Agent und Agitator, gut bezahlt, also ‚politisch‘ durchaus radikal“, und „solchen Radikalismus auszutilgen“ hätten „die Gemäßigten alle Ursache [Hervorhebung i. O.].“

Kein Zweifel: Es war Revolution in China, die Klassenfrage war gestellt, die Idee der Weltrevolution fand Auftrieb und neue Nahrung, und das spiegelte sich auch in Deutschland ohne Umschweife.

Dafür noch einmal ein Schwenk zurück: Was für die Neue Mannheimer als „abwärts führende Entwicklung“ erschien, waren für die kommunistische Rote Fahne schon seit 1925 vorwärts weisende „welthistorische Ereignisse“. Voller Empörung hatte sie am 20. Dezember 1927 – eine Woche nach der Niederschlagung des Kantoner [Guangzhouer] Aufstands durch die Guomindang – dem sozialdemokratischen Vorwärts vorgeworfen, die Nachrichten aus China „so gesiebt“ zu haben, dass „seinen Lesern […] alle Einzelheiten aus dem heldenhaften Kampf der chinesischen Arbeiter und Bauern […] unterschlagen“ und zugleich die „Nachrichten über den weißen Terror des reaktionären Militarismus in China und des Imperialismus“ mit „solchen Überschriften versehen“ würden, dass daraus „ganz eindeutig seine Parteinahme für die mordende Konterrevolution und gegen die chinesische Revolution zum Ausdruck“ gekommen sei (zitiert nach Aus dem Kampf der deutschen Arbeiterklasse zur Verteidigung der Revolution in China, Dietz Verlag Berlin 1959, S. 86).

Es ist unübersehbar: KPD und SPD waren auch in der Chinafrage schier ausweglos ineinander verhakt. Hier: Die Rote Fahne, die mit großen Artikeln unter Überschriften wie „Nieder mit den imperialistischen Räubern in China! Es lebe der Freiheitskampf des chinesischen Volkes“ (11. Juni 1925), „Hände weg von China! Hände weg von der Sowjetunion!“ (17. September 1926) oder „Massenaufmarsch für das revolutionäre China. Überfüllte Massenversammlungen – Zehntausende auf dem Bülowplatz“ (19. Februar 1927) erschien und auch Parallelen zu ziehen sich nicht scheute: „Der chinesische Noske wütet. 100 Hinrichtungen in Schanghai [Shanghai] durch Tschangkaischek [Jiang Jieshi]“ (21. April 1927). Da: der Vorwärts, der den Antikommunismus der Guomindang begrüßte und manchmal ins Feuilletonistische auswich. „China in Aufruhr“ titelte die Vorwärts-Spätausgabe Der Abend am 29. März 1928, setzte die Unterzeile „Vier chinesische Lokale in der Kantstraße“ hinzu und gab dann einem K. W. das Wort:

„Kurz nach dem Krieg, als Berlin wieder international zu werden begann, tat sich in der Kantstraße ein chinesisches Lokal auf, welches Chinesen und auch Japaner von den barbarischen Eßsitten und Speisenfolgen Europas unabhängig machen sollte. Das ging auch eine Zeitlang ganz gut. Einträchtig saßen die gelben Männer bei Reis, Rattenkotelett und gebackenen Mehlwürmern und warteten auf die Befreiung der Kolonialvölker.

Aber 1927, nach dem Zwischenfall von Schanghai [Shanghai], bei dem japanische Industrielle und Werkmeister keine sehr rühmliche Rolle gespielt hatten“ – hier geriet dem Vorwärts etwas durcheinander: gemeint ist der 30. Mai 1925, an dem die britische Kolonialpolizei in Shanghai eine studentische Flugblattaktion in einem zum letzten Auslöser der Revolution werdenden Blutbad erstickte –, „wurden die Angehörigen dieser Nation in ihrem Stammlokal so schlecht behandelt, dass sie beschlossen, sich selbständig zu machen. Das geschah, sie zogen aus und machten einige Häuser weiter ihren eigenen Laden auf.

Freilich sollten sich die Zurückbleibenden nicht lange der politisch gereinigten Atmosphäre erfreuen können; denn als bei dem nun einsetzenden Befreiungskampfe Chinas die Kommunisten in die Kuo-Min-Tang [Guomindang] einzogen, wollte den wohlhabenden Industriellen- und Gutsbesitzersöhnen das Mittagessen in der Gesellschaft ihrer roten Landsleute nicht mehr schmecken. Auch sie wanderten also aus und ließen dicht bei den beiden vorhandenen ein drittes Speisehaus entstehen, in dem sie die Gewähr hatten, dass ihre Nationalgerichte auch von national gesinnten Köchen gekocht, von national gesinnten Kellnern serviert und von national gesinnten Hungrigen verzehrt würden.

Nun waren auch die Revolutionäre endlich unter sich, aber nur, bis dem sozusagen revolutionären Tschang Kai-Scheck [Jiang Jieshi] in seinem Generalshirn die Einsicht dämmerte, dass nicht die Imperialisten, sondern die Sozialisten Chinas schlimmste Feinde seien, gegen welche er denn auch fortan, unter hörbarem Aufatmen aller Engländer, zu Felde zog. Infolgedessen setzte denn auch in der Kantstraße eine erbitterte Parteinahme für und wider Tschang Kai-Scheck ein. Jede Gruppe berief sich auf Sun Yat-sen [Sun Yixian, meist: Sun Zhongshan] und schimpfte die andere verräterisch und abtrünnig, bis auch hier die reinliche Scheidung durchgeführt wurde, so dass man jetzt dicht nebeneinander vier chinesische Gaststätten hat, in denen nicht nur jedem Geschmack, sondern auch jeder politischen Weltanschauung Rechnung getragen wird. K. W. [Hervorhebungen i. O.]“.

Wird fortgesetzt. 

Der erste Teil dieses Beitrags erschien in Ausgabe 15/2023.