25. Jahrgang | Nummer 16 | 1. August 2022

FDP auf gefährlichem Kurs

von Bernhard Romeike

Das Außenministerium von Taiwan bekundete seine helle Freude. Mit Nicola Beer, für die FDP Vizepräsidentin des EU-Parlaments, hat die bisher ranghöchste EU-Politikerin die Insel besucht. Nach einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten, Su Tseng-chang, sagte sie: „Es reicht nicht, dass Europa hinterher bedauert, es muss frühzeitig auf der Bildfläche stehen.“ Nachdem sie auch von Staatspräsidentin Tsai Ing-wen empfangen wurde, erklärte sie, die EU unterstütze Taiwan für eine „souveräne“ Zukunft. Sie sei besorgt, dass Peking „sich in eine Richtung bewegt, die einseitig den Status Quo verändern könnte“. Die EU bestärke Taiwan in dem Bestreben nach einer „souveränen Existenz“.

Auf der Webseite von Frau Beer wurde mitgeteilt, Taiwan dürfe „kein geopolitisch blinder Fleck“ werden. Die EU reiche Taiwan „die Hand der vertieften Partnerschaft“ und sende „damit ein klares Signal an Peking: Chinas Drohgebärden entgehen Europa nicht, sie sind inakzeptabel. Europa war zu langsam bei Hongkong, wurde überrascht von Russland – diese politische Naivität darf uns nicht wieder passieren.“ Bereits hier ergeben sich politische Grundprobleme. Zunächst setzt die Insel-Besucherin wieder einmal die Europäische Union mit „Europa“ gleich, obwohl doch Großbritannien im Westen und Russland sowie die Ukraine im Osten ebenfalls zu dem wirklichen Europa gehören. Zudem wäre es eine interessante Frage, ob sie tatsächlich FDPbevollmächtigt war, für „die EU“ zu sprechen, oder ob sie meint, das als Parlaments-Vizepräsidentin qua Amt für sich in Anspruch nehmen zu sollen.

Die eigentliche politische Botschaft ging dann so: China zündele „mit dem Frieden in der Region“. Und weiter: „Jegliche einseitige Änderung des Status Quo wäre fataler Auslöser eines regionalen Brandes, der sich weltweit Bahn brechen kann. Die Ukraine lehrt uns schmerzhaft, die Kosten der Unentschlossenheit sind immens hoch.“ Nicola Beer möchte daher „wachsam und geschlossen“ sein. Die Vizepräsidentin agiert hier unter der Voraussetzung völliger Unkenntnis der chinesischen Angelegenheiten, oder aber sie ist bemüht, ihrerseits im Namen westlicher Entschlossenheit den Status Quo verändern zu wollen.

Zunächst einmal haben die Ukraine und Taiwan nichts miteinander zu tun. Die Ukraine wurde mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 ein souveräner Staat, wie die anderen vorherigen Sowjetrepubliken ebenfalls. Russland hatte das de facto und de jure anerkannt, hat jetzt also einen anderen souveränen Staat überfallen. China (1,4 Mrd. Einwohner) geht davon aus, dass die 1949 gegründete Volksrepublik Rechtsnachfolger der früheren Republik China ist und Anspruch auf das gesamte chinesische Staatsterritorium hat. Deshalb kamen die frühere portugiesische Kolonie Macao und die britische Kolonie Hongkong bereits zu China zurück. Taiwan (23,5 Millionen Einwohner) war vor 1945 japanische Kolonie und wurde nach der Niederlage Japans im zweiten Weltkrieg an China – damals noch die Republik China der Kuomintang – zurückgegeben.

Die Besonderheit Taiwans entstand dadurch, dass die Kuomintang-Regierung in dem chinesischen Bürgerkrieg unterlag und 1949 nach Taiwan flüchtete. Auch sie betrachtete China stets als eine Einheit. In diesem Sinne war Taiwan sozusagen das andere „Gesamt-China“ und hatte bis 1971 auch weiterhin den Ständigen Sitz Chinas im UNO-Sicherheitsrat inne. 1971 änderte sich das, nicht ohne Zutun der USA, und die Volksrepublik nahm diesen Platz ein. Die USA akzeptierten Pekings „Ein-China-Politik“ und stellten unter dieser Voraussetzung 1971/72 ihre politischen Beziehungen zur Volksrepublik her, 1979 folgte die Herstellung voller diplomatischer Beziehungen. Jedoch ohne dass die USA ihre wirtschaftlichen und vor allem militärischen Beziehungen zu Taiwan aufgaben. Die ursprüngliche Diktatur der Kuomintang auf Taiwan wurde seit den 1990er Jahren schrittweise durch bürgerlich-parlamentarische Verhältnisse abgelöst. Die derzeit regierende Demokratische Volkspartei (DDP) steht eher für eine stärkere Eigenstaatlichkeit der Insel. Das widerspricht jedoch dem bisherigen politischen Arrangement zur Ruhigstellung des Konflikts. Solange die Insel nicht ihre Unabhängigkeit erklärt, den Namen des Staates nicht ändert und in ihrer Verfassung die Beziehungen zur Volksrepublik nicht als „zwischenstaatliche Beziehungen“ definiert, sieht Peking die „Ein-China-Politik“ nicht substantiell verletzt. Das gibt den USA oder „dem Westen“ jedoch die Möglichkeit, nach Belieben die Beziehungen zu China unter Spannung zu setzen, indem die Regierung Taiwans animiert wird, genau dies zu tun. Die politische Essenz des Treibens von Frau Beer in Taiwan ist folglich, dass sie im Namen der Warnung vor einem „regionalen Brand“ genau diesen anzufachen hilft.

Der Sinn dessen erschließt sich, wenn man auf kürzliche Umtriebe in Nürnberg schaut. Am 13. und 14. Mai fand dort die „Nürnberger Sicherheitstagung 2022“ statt, „endlich wieder als Präsenzveranstaltung“. Veranstalter war die „Thomas-Dehler-Stiftung“, das ist die Bayerische Landesstiftung der „Stiftung für die Freiheit“ der FDP, in Kooperation mit der Deutschen Atlantischen Gesellschaft, dem Deutschen BundeswehrVerband, der Clausewitz-Gesellschaft und anderen. Eröffnungsvorträge hielten General a.D. Egon Ramms, der im deutschen Fernsehen schon mehrmals das baldige Scheitern des russischen Ukraine-Krieges vorhergesagt hatte, und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages. Sie wiederholte den zentralen Propaganda-Satz der derzeitigen deutschen Regierungspolitik: „Die Freiheit Europas wird durch ukrainische Menschen verteidigt“, und gab dann unverhüllt zu: „Es ist ein Stellvertreterkrieg.“ Um dann erneut zu verkünden: „Das ist ein Krieg, der gewonnen werden muss.“

Den zentralen Vortrag am zweiten Tag hielt Prof. Dr. Maximilian Terhalle, angekündigt als Oberstleutnant der Reserve und Politikprofessor am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel. Dort steht auf der Webseite, er sei „Gastprofessor an der London School of Economics“ und er habe den „unzureichenden deutschen Diskurs zu strategischen Fragen“ bereits „früh kritisiert und konzeptionelle wie praktische Vorschläge gemacht“.

Ganz in diesem Sinne empfahl er sich als konsequenter Vorschläger deutscher Kriegspolitik und entfaltete ein entsprechendes Panorama: Die Ukraine führe „unseren Krieg“, Russland müsse nicht nur militärisch geschlagen, sondern zum Rückzug aus der gesamten Ukraine gezwungen werden. Dann müsse Putin verschwinden, mit ihm sei nicht zu verhandeln. Die SPD müsse „ihr Weltbild ablegen“ und sich ebenfalls auf eine Position der Stärke begeben, um den Russen „klare Grenzen“ zu setzen.

Das war aber nur der Einstieg. Terhalles eigentlicher Punkt: Die USA bereiten jetzt den Krieg gegen China vor. Das sei in Deutschland noch nicht allen klar. Die USA müssten sich jetzt auf die EU verlassen können. Aber die europäische Säule müsse die der NATO, unter Einbeziehung Großbritanniens sein. Die USA könnten keinen Zweifrontenkrieg führen. „Europa“ müsse dazu beitragen, Russland in Schach zu halten, damit es den Krieg der USA gegen China nicht stört. Russland werde Atomwaffen nur einsetzen, wenn jemand sein Territorium betritt. Da die NATO das nicht vorhabe, sei damit jetzt nicht zu rechnen. Es brauche jedoch strategische Atomwaffen des Westens in Europa, um Russland selbständig „abzuschrecken“. Dazu würden die britischen und französischen Atomwaffen nicht ausreichen. Kurzum: Es braucht die deutschen Atomwaffen (auch wenn an denen EU oder NATO dransteht). Das hat Terhalle so nicht gesagt. Aber das war das Gemeinte. „Deutschland braucht Atomwaffen“, hatte er – damals noch Reserve-Major – bereits 2017 ganz offen gefordert.

Terhalle denkt den Zweifrontenkrieg, nicht der USA, sondern des Westens. Deutschland soll seinen Part spielen und endlich auf der Seite der Sieger sein. Während Nicola Beer sich bemüht, Anlässe für diesen Krieg zu produzieren.

Der Kreis der FDP schließt sich. Das Erbe der Entspannungspolitik ist nicht nur eines der SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt, sondern auch der FDP-Vizekanzler und Außenpolitiker Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher. FDP-Außenminister Guido Westerwelle hatte später maßgeblich dafür gewirkt, dass Deutschland nicht an dem schmutzigen Libyen-Krieg beteiligt wurde. Jetzt könnten Strack-Zimmermann und Beer sich das Bild eines anderen früheren FDP-Vizekanzlers an die Wand hängen, eines entschiedenen Gegners von Entspannungspolitik: Erich Mende. Am besten ein Porträt mit Ritterkreuz um den Hals.