14. Jahrgang | Nummer 14 | 11. Juli 2011

Wegweiser Volkspartei

von Holger Politt, Warschau

Parlamentswahlen brachten dem Land bislang stets neue Regierungen ein. Darauf konnten sich die Bürger Polens verlassen. So 1993, als das frisch formierte Bündnis von Linksdemokraten (SLD) den verdutzt dreinschauenden Eliten der „Ethos“-Parteien aus dem einstigen „Solidarność“-Lager die Siegespalme entriss, so 1997, als eine schnell aus der Taufe gehobene Wahlaktion „Solidarność“ alles wieder zurückdrehte, so 2001, als die Linksdemokraten – nun als frischgebackene Partei – erstmals die absolute Mehrheit schrammten, so 2005, als die Nationalkonservativen (PiS) um die Kaczyński-Brüder ziemlich überraschend das Rennen machten, und so schließlich 2007, als Donald Tusk mit seiner wirtschaftsliberalen Bürgerplattform (PO) zum überragenden Sieger aufstieg.
Nun stehen im Oktober 2011 wieder Parlamentswahlen an und es scheint bereits ausgemacht, dass der amtierende Ministerpräsident auch der neue sein wird. Ein Bruch der bisherigen Regel, den die Umfragewerte in der letzten Zeit immer mehr zu bestätigen scheinen. Hinzu kommen teils spektakuläre politische Schachzüge, die allesamt von der überlegenden Position zeugen, der sich die PO im Meinungsspiegel erfreuen darf. Noch vor Monaten sorgte der Linksliberale Janusz Palikot für Unruhe, als er Tusk und die Partei mit dem nachvollziehbaren Argument verließ, sie ließen weltanschaulich kein liberales Profil erkennen.
Jetzt ist die offene Flanke wieder geschlossen. Einmal, weil Tusk draufgängerisch erklärte, er und die Partei würden vor den Schwarzkitteln in der katholischen Kirche künftig nicht mehr auf die Knie gehen. Er meint es rhetorisch, denn an den Zuständen, in denen besagte Schwarzkittel das Sagen haben, will und kann er gar nicht rütteln. Ein Beispiel etwa das rigide Abtreibungsrecht. In Deutschland werden legal pro Jahr etwas mehr als 200.000 Abtreibungen vorgenommen, in Polen bei der Hälfte der Einwohnerzahl ganze 500. Doch, so Gesundheitsexperten ungeschminkt, komme auch Polen auf eine Zahl von 100.000 pro Jahr, nur geschehe das eben nicht „legal“.
Und außerdem konnte Tusk prominenten Zulauf vermelden. Einen Überläufer aus den Reihen der Linksdemokraten, der dort im Frühjahr noch als große Zukunftshoffnung gehandelt wurde, machte Tusk schnell zu einem Minister für die Ausgeschlossenen. Ein Amt, welches es in der Geschichte der jetzigen Republik überhaupt noch nicht gegeben hat. Fraglich, ob es die Wahlen überleben wird. Und mit Joanna Kluzik-Rostowska wechselte eine der bekanntesten Sozialpolitikerinnen zu Tusk. Sie war Arbeits- und Sozialministerin unter Jarosław Kaczyński, im letzten Jahr sogar die Chefin des Wahlstabes, als der Nationalkonservative nach dem Präsidentenamt griff. Jetzt sitzt sie ungeniert im einstigen Feindeslager und meint, der Weg der PO sei auch der ihre.
Als die PO 2007 das Regierungsruder in die Hand nahm, war es die erste Regierung seit 1989, die über kein gewerkschaftliches Hinterland verfügte. Da aber im letzten Jahr selbst „Solidarność“ einen entschiedenen PO-Gegner als Vorsitzenden ab- und einen moderateren Mann an die Spitze wählte, scheint auch diese heikle Frage nun bestens gelöst. Eingemeindungen und Neutralisierungen bescherten der Regierungspartei rechtzeitig vor den Wahlen einen beruhigenden Vorsprung vor der nationalkonservativen Opposition. Das spiegelt sich auch im öffentlichen Meinungsbild wieder, denn längst werden dem Herausforderer Kaczyński nur noch Außenseiterchancen zugebilligt.
Das führt mitunter zu ganz eigenartigen Verschlingungen. Jarosław Marek Rymkiewicz, weithin bekannter Dichter und bekennender Kaczyński-Anhänger, ein Patriot durch und durch, einer, der in der Öffentlichkeit gerne kräftig zulangt, griff mit der „Gazeta Wyborcza“ das Flaggschiff der liberalen Meinung an, indem er die Zeitungsmacher um Adam Michnik als geistige Erben der Kommunistischen Partei Polens bezeichnete. Wegen der Eltern und des ganzen EU-unterwürfigen Geistes, der da herrsche. Als er nun auf tiefere Recherche ging, kam er zu dem verblüffenden Ergebnis, das Teufelsweib Rosa Luxemburg habe sich in ihren Werken die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl ausgedacht.