24. Jahrgang | Nummer 18 | 30. August 2021

Antworten

Frank-Walter Steinmeier, Hausherr auf Schloss Bellevue – Mit bedeutungsschwangerem Timbre sehr Ernstes wenigstens anzusprechen, wenn auch nicht immer im Hinblick auf möglichst realistische Lösungsansätze hin zu erläutern, ist ja geradezu Ihr Markenzeichen als Bundespräsident geworden. Und so klang es auch jetzt: „Die Bilder der Verzweiflung am Flughafen Kabul sind beschämend für den politischen Westen.“ Eine „menschliche Tragödie“.

Wir allerdings fragen uns: Ist das noch der Frank-Walter Steinmeier von neulich? Der als Bundesaußenminister den damaligen afghanischen Präsidenten Karsai drängte, eine von den USA geforderte Vereinbarung zu unterzeichnen, auf deren Grundlage Kriegsverbrechen der US-geführten Militär-Allianz in Afghanistan nicht mehr hätten verfolgt werden können. (Wir erinnern Sie nur an das „Massaker von Kandahar“, das sich am 11. März 2012 ereignete. Der US-Soldat Robert Bales tötete in einer einzigen Nacht 16 Zivilisten, darunter 9 Frauen und 3 Kinder, das jüngste war zwei Jahre alt. Er wurde später zumindest von einem US-Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt.) Karsai hatte gegenüber Washington abgelehnt, Sie aber argumentierten dagegen, dass die Straffreiheit der Soldaten und Söldner der Allianz nicht nur wünschenswert, sondern notwendig sei.

Bis zur Beantwortung unseres Problems durch Ihr Büro halten wir uns einfach an Matthäus 7,16: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen – Trost wuchs Ihnen dieser Tage auf der Leserbriefe-Seite der Berliner Zeitung zu: „Ehefrau mit zwei Kindern ohne richtigen Bildungsabschluss zu sein, keine Ahnung in Geschichte und Geographie zu haben ist doch keine Schande“, stellte Klaus A. aus Fredersdorf fest.

Recht hat er!

Doch der Trost währte nur einen Wimpernschlag, denn schon im nächsten Satz hieß es: „Es ist aber auch nun gerade kein Argument, Bundeskanzlerin werden zu wollen.“

Recht hat er.

Karl Nehammer, österreichischer ÖVP-Innenminister mit sehr eigener Realitätssicht – Nach dem offensichtlich islamistisch konnotierten Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020 – weder Sie noch Ihre Behörden haben natürlich auch nur den klitzekleinsten Fehler gemacht; allerdings starben vier Menschen und 23 wurden teils schwer verletzt – gehen Sie nun auf Nummer sicher. Schotten dicht… „Es gibt keinen Grund, weshalb ein Afghane jetzt nach Österreich kommen sollte“, äußerten Sie nach dem Fall Kabuls. Wenn sich so etwas durchsetzt, sehen wir keinen Grund, überhaupt nach Österreich zu kommen. Aber 2024 sind ja wieder Nationalratswahlen …

Marcus Grotian, Wahrheiten aussprechend – Inmitten eines Meeres von geheucheltem Mitgefühl für das Schicksal afghanischer Ortskräfte der Deutschen, die am Flughafen Kabul verzweifelt auf eine Ausreisemöglichkeit warten, – man denke an AKK, Maas und Merkel, aber auch die Medien, die dem Regierungskurs unbeirrbar folgten – hebt sich Ihre Stimme deutlich ab. Sie ist wahrhaftig mit Ihrer Wut, Trauer und Frust über Untätigsein deutscher Behörden, die das Leben vieler ehemaliger Angestellter aufs Spiel gesetzt haben. „Unterlassene Hilfeleistung“ werfen Sie, der Gründer des Patenschaftsnetzwerkes Afghanische Ortskräfte, den Regierenden vor. Sie belegen dies mit den zahlreichen bürokratischen Hürden, die deutsche Behörden der Rettung dieser Menschen in den Weg gelegt hatten. Bei Regierung und Medien wird jetzt „die falsche Einschätzung der Lage“ hervorgehoben – und dass man nicht allein mit dieser Fehleinschätzung sei. Sie sind fassungslos über Ignoranz und Wegschieben der Verantwortung. Ja!

Wir sind allerdings zynisch genug, uns zu fragen, ob es sich bei dem Regierungshandeln wirklich um „Fehleinschätzungen“ handelt oder um absichtsvolles Handeln. Eine Flüchtlingsdiskussion im Wahlkampf … um Himmels Willen.

Charlie Watts, Meister-Drummer – Sie haben das Krawall-Image der Rolling Stones mit Sex, Drugs and Rock’n Roll nicht zu verantworten; das übernahmen die frühen Mick Jagger und Keith Richards. Auch brauchten Sie keinen bombastischen Wall von Schlagwerkzeugen um sich herum, sondern nur eben mal das Nötigste, um den Sound der Band nachhaltig mitzuprägen. Und ebenso wenig legten Sie Wert auf ausufernde Schlagzeug-Soli bei Live-Konzerten wie manche Ihrer Kollegen. Man muss sehr lange suchen, um überhaupt eines von Ihnen zu finden, und hat man’s dann (am Anfang von „Get Off Of My Cloud“), dann währt es gerade mal drei (!) Sekunden. Mit anderen Worten – fast 60 Jahre. lang waren Sie menschlich und künstlerisch der Gentleman der Rollenden Steine und vielleicht gerade deshalb – gleich einem Fels in der Brandung – ein entscheidender Faktor für den langen Zusammenhalt der Truppe. An Selbstbewusstsein mangelte es Ihnen trotzdem nicht. Üblicherweise gelten Drummer als treue Diener ihres Leadgitarristen und ihres Leadsängers. Von Ihnen ist Anderes überliefert. Als Mick Jagger Sie einmal in den frühen Morgenstunden – sie hatten sich bereits schlafen gelegt – anrief und mit den Worten „Where is my fucking drummer?“ begrüßte, reagierten Sie erst ungehalten, doch dann auf ganz eigene Weise – Sie sprangen in Ihre Klamotten, eilten zur After-Show-Party ins Hotelfoyer, griffen sich den Kopf Ihres Freundes Mick, drückten ihn geradewegs ins kalte Büffet und beschieden ihn: „Ich bin nicht dein Drummer. Du bist mein Sänger!“

Jetzt haben Sie sich, 80-jährig, zu all den bereits dahin gegangenen Größen des Blues und des Jazz versammelt, die Sie so überaus schätzten. Wir neigen unsere Häupter in stillem Gedenken und lauschen dann der Hymne der Stones: (I Can’t Get No) Satisfaction – natürlich mit voll aufgezogenen Boxen!

Heiko Maas (SPD), immer noch amtierender deutscher Chefdiplomat – Für die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann waren Sie bereits 2019 eine „absolute Fehlbesetzung“. Das Blatt DIE WELT hat jetzt mal rekapituliert, wie es eigentlich kam, dass Deutschland mit Ihnen auf Ihrem derzeitigen Posten abgestraft wurde: Nachdem es bei Ihnen in der saarländischen Landespolitik trotz langen Anlaufes zum Ministerpräsidenten nicht gereicht habe, hätten Sie „eine umstrittene Amtszeit“ als Bundesjustizminister absolviert. Aber: „Als Außenpolitiker sah ihn niemand, auch er selbst sich nicht. Seine Ernennung verdankt sich lediglich einer verworrenen Binnenlogik der Sozialdemokraten.“ Nachdem diese Anfang 2018 vom Bundespräsidenten quasi genötigt worden seien, noch einmal eine GroKo zu bilden, „verband den damaligen SPD-Parteichef Martin Schulz und das Führungsduo im Wartestand, Andrea Nahles und Olaf Scholz, ein gemeinsames Interesse: Die politische Karriere des noch amtierenden Außenministers und früheren SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel zu beenden“. Schulz habe dies genutzt, „um sich in der allerletzten Nachtsitzung der Koalitionsverhandlungen selbst das Außenministerium als Trostpflaster für seine gescheiterte Kanzlerkandidatur zu organisieren“. Doch da habe ihm die SPD-Basis in die Suppe gespuckt, hatte er doch „zuvor erklärt […], niemals in ein Kabinett Merkel eintreten zu wollen“. Schulz musste vor der Mission demissionieren. Finale: „[…] Nahles und Scholz improvisierten und zogen einen Ersatzkandidaten aus dem Hut, der […] schwach genug war, ihre Kreise nicht zu stören: Heiko Maas.“

Das Kalkül von Nahles (Wer war das eigentlich?) und Scholz ging zwar völlig auf, nur leider hatten die Sie endgültig auf das Level Ihrer Inkompetenz befördert – das Peter-Prinzip lässt grüßen. Allein was Sie seither an öffentlichen Auftritten im Amt so abliefert haben ließ den Tagesspiegel jüngst hämen: Wenn Sie sprächen, fühle man sich bisweilen an Wilhelm Busch erinnert: „Ohne Hören, ohne Sehen, / steht der Gute sinnend da. / Und er fragt, wie das geschehen, / und warum ihm das geschah.“

Doch mal Scherz gänzlich beiseite, Heiko, wenn der Kanzlerkandidat Ihrer Partei nicht umgehend und vor allem coram publico einen heiligen Eid schwört, dass Sie nach der Bundestagswahl allenfalls noch als Einlass am Willy-Brandt-Haus reüssieren, dann ist die SPD am 26. September einfach nicht wählbar.

Alfred Kerr, unerreichbares Vorbild mit kritischem Blick – 1924 bereisten Sie zum dritten Mal die Vereinigten Staaten von Amerika. Noch in Salt Lake City (Utah) ahnten Sie, dass Ihr Reisebericht daheim bei den berufsmäßig Rummäkelnden wenig Gefallen finden wird: „Eines weiß ich voller Zorn: in Europa malt man alle Yankees verrückter als sie sind. Es ist ein Schwindel: um spaßhaft Eindruck zu machen. Dann ein Schwindel aus Neid. Vorwiegend ein Schwindel aus Krähwinkeltum.“

Lieber Kerr, es wird Sie nicht beruhigen. In dieser Frage hat sich seit 1924 nichts, aber auch gar nichts geändert.

Olaf Scholz (SPD), Kanzlerkandidat – Sie als Phönix aus der Asche zu apostrophieren, wäre glatte Untertreibung. Gerade noch dümpelte Ihre Partei in den Umfragen knapp oberhalb der Zehn-Prozent-Marke, und nun ist sie mit 23 Prozent (Stand: 24.08.2021) an der Union (22 Prozent) vorbeigezogen. Sie selbst haben mit 29 Prozent Ihre Mitbewerber von der CDU (15 Prozent) und von den Grünen (13 Prozent, Stand: 17.08.2021) so weit hinter sich gelassen, dass von Konkurrenz kaum mehr die Rede sein kann.

Für diesen Aufschwung finden manche allerdings böse Gründe. Ihre gravierenden Fehler, meint etwa Gabor Steingart, lägen einfach lange genug zurück, um dem Vergessen anheimzufallen – wie jener Abend, als in Hamburg der G-20 Gipfel in eine Gewaltorgie mündete und Sie sich in der Elbphilharmonie entspannten; Ihre an „Understatement“ nicht mehr zu toppenden Worte damals: „Es ist trotz aller Vorbereitung nicht durchweg gelungen, die öffentliche Ordnung aufrecht zu halten. Nicht zu jedem Zeitpunkt und nicht überall. Dafür bitte ich die Hamburgerinnen und Hamburger um Entschuldigung.“

Für andere, wie die Schandschnauze Dietmar Wischmeyer, sind Sie „ein schon tot geglaubtes Wesen, das die SPD-Doppelstumpfe aus dem Wachsfigurenkabinett exhumiert hat“ und das den meisten Deutschen plötzlich „als der kanzlerichste unter den Nichtwählbaren“ erscheine. Wenn Sie gewännen, erhielte „die Farce dieser Bundestagswahl ihre Schlusspointe“.

Es hat jedoch nicht den Anschein, als gingen Ihnen derartige Anwürfe irgendwohin, geschweige denn unter die Haut. In Ihrer hanseatischen Unterkühltheit wirken Sie vielmehr, als hielten Sie es mit Reinhard Mey und tun, „was ein Baum tun würde, wenn ein Schwein sich an ihm kratzt […].“

Doch Vorsicht, was die Umfragen und Ihre Chancen anbetrifft: Manchmal sind auch die letzten Pflaumen madig, und Hochmut hat noch stets die Fallhöhe gesteigert.

Franziska Giffey, will Berlins Regierenden Bürgermeister beerben – Mit Blick auf den für den 26. September 2021 in der deutschen Hauptstadt anberaumten Volksentscheid über die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen (mit über 3000 Wohnungen im Land Berlin) haben Sie jetzt geäußert: „Für mich ist das Thema Enteignung schon eine rote Linie. Ich möchte nicht in einer Stadt leben, die das Signal sendet, hier wird enteignet.“

Solches zu äußern ist ebenso Ihr gutes Recht wie damit Ihre möglichen künftigen Koalitionspartner, die Linken und die Grünen, wie auch Teile Ihrer eigenen Basis zu brüskieren, die eine Vergesellschaftung befürworten. Fragen allerdings wirft Ihre Begründung auf: Sie seien selbst im Osten Deutschlands groß geworden und hätten erlebt, was Enteignung für die Menschen bedeute sowie für den Zustand und die Entwicklung einer Stadt.

Die letzten 11.000 Familienbetriebe mit im Schnitt fünf Beschäftigten wurden in der DDR 1972 enteignet; das war gegenüber den Betroffenen ein Akt von Willkür und staatlichem Diebstahl.

Sie jedoch sind Jahrgang 1978. Wo, mit Verlaub, kommen da die eigenen Erfahrungen her?

Und dann noch die Gleichsetzung von produzierenden Kleinunternehmen wie den Sika Werken, die in Leipzig Plastikfolien aller Art herstellten und 1972 enteignet wurden, mit Immobilienkraken, die ihr Geschäft mit dem Grundbedürfnis Wohnen machen und durch profitgierige Mieterhöhungen immer mehr Menschen an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten treiben: Wer solches tut, der geht entweder auf Dummenfang oder der weiß es tatsächlich nicht besser …

Currywurst, Auslaufmodell? – Fleischhaltige Ernährung führt zu erhöhtem Ausstoß von Methan und CO2, den Klimakillern schlechthin, und sei überdies auch noch ungesund. Fleischessen gilt quasi als das neue Rauchen, und Sie als der Diesel unter den Kantinenklassikern. Meinen zumindest Kritiker. Das hat Ihre Myriaden von Fans nicht angefochten. Bisher. Doch nun hat eine Erhebung des Cateringunternehmens Apetito ergeben, dass „Spaghetti Bolognese“ Ihnen, der „Currywurst mit Wellenschnittpommes“, den Rang als das beliebteste Kantinengericht abgelaufen hat. Schon dass erschien unglaublich. Aber jetzt hat Sie auch noch eine der VW-Kantinen in Wolfsburg aus dem Programm gekegelt, weil dort fürderhin nur Fleischloses serviert werden soll. Das hat Ihren größten Aficionado aus der Versenkung geholt: „Currywurst mit Pommes ist einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion. Das soll so bleiben“ (Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder). Das bekannte Basta war deutlich mitzuhören.

Widerspruch kam von den üblichen Verdächtigen: „Glauben Sie uns, es lässt sich wunderbar ohne Currywurst leben, und bei uns ist noch kein Arbeiter vom Stuhl gekippt“, mokierte sich etwa die Umweltorganisation WWF.

Wie?

World Wildlife Found?

Da kann man doch wirklich nur hysterisch auflachen und sich fragen: Welche Arbeiter eigentlich?