Angesichts zunehmender sozialer Ungleichheiten in der Welt und des Versagens der Staaten, tragfähige Lösungen für die Probleme der Menschheit zu finden, wird die Suche nach Alternativen immer dringlicher. Bevor jedoch daran gedacht werden kann, eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung zu etablieren, erscheint es unabdingbar, Klarheit über die sozioökonomischen Grundlagen und Konturen einer solchen zu erreichen. Davon ist man heute bei den Linken aber weit entfernt: Während über die zentralen Kritikpunkte an der kapitalistischen Ordnung grundsätzlich Konsens besteht und ebenso darüber, dass die neue Gesellschaft sich nicht am gescheiterten Modell des Staatssozialismus orientieren soll, weichen die Vorstellungen über die konkrete Ausgestaltung der künftigen Gesellschaft erheblichen voneinander ab. Hier gibt es folglich Diskussionsbedarf.
Die Autoren des vorliegenden Büchleins (14,8 x 10,5 cm), Robin Hahnel und Erik O. Wright, haben dazu einige Überlegungen angestellt, die sie zur Diskussion stellen. Dabei ist das Buch so aufgebaut, dass jeder Autor zuerst sein eigenes Konzept vorstellt und danach am Konzept des anderen „solidarische Kritik“ übt. So kommt ein Dialog unter gleichgesinnten Partnern zustande, die dennoch verschiedenartige Lösungen anstreben. Um dieses Vorgehen hinreichend würdigen zu können, ist es erforderlich, die Unterschiede beider Konzepte kurz zu markieren: Robin Hahnel (Jahrgang 1946) verfolgt mit seiner Idee einer partizipatorischen Ökonomie im Kern einen kommunistischen Ansatz. Erik O. Wright (1947–2019) plädiert dagegen für einen demokratischen Sozialismus. Die Differenz ist beachtenswert und bietet Stoff für die nachfolgende Diskussion. Den Hauptpunkt des Streits bildet die von beiden Autoren gegensätzlich beurteilte Rolle des Marktes in der postkapitalistischen Gesellschaft. Während Hahnel für die vollständige Abschaffung der Institution „Markt“ plädiert („Kein Markt, nirgends“) und diesen als „ein Krebsgeschwür“ für jedes sozialistische Projekt ansieht, neigt Wright zu einem Kompromiss, indem er Märkte in bestimmten Grenzen für zulässig hält und damit eine Hybrid-Ordnung anstrebt.
In Hahnels Konzept fehlt nicht nur der Markt; es fehlt auch das Geld. Trotzdem operiert er mit Kategorien wie Preis, Einkommen, Steuern und dergleichen, was entweder inkonsequent oder schlechthin unsinnig ist. Sein partizipatorisches Modell weist aber noch mehr Unstimmigkeiten auf. So plädiert er – hier übereinstimmend mit Wright – vehement für eine Vergütung der Arbeitskräfte nicht nach dem Ergebnis, sondern gemäß dem Aufwand. Er folgt damit einer „Randglosse“ von Marx, wonach „das Recht seiner Natur nach nur in Anwendung von gleichem Maßstab bestehn kann“. Da die Individuen ihren Anlagen nach aber ungleich sind, müsste das Recht, so Marx nicht ohne Ironie, um diese Ungleichheit auszugleichen „statt gleich vielmehr ungleich sein“.
Daran halten sich nun unsere Autoren. Konkret würde dies bedeuten, dass ein Wissenschaftler, der kreativ und mit großem Nutzen für die Gesellschaft arbeitet, sich dabei aber aufgrund seiner Anlagen, seiner Intelligenz und Kompetenz, nicht zu sehr quälen muss, nur eine sehr geringe Vergütung erhält, während zum Beispiel ein Pförtner oder ein Mauteinnehmer, die mangels Talents und fehlender Qualifikation einer ziemlich öden Beschäftigung nachgehen, zum Ausgleich für ihr „Opfer“ eine hohe Vergütung erhalten. Das angestrebte Vergütungssystem soll also derart beschaffen sein, dass es „materielle Ungleichheiten, die aus Unterschieden im Talent, in der Leistung, der Begabung oder gar der Macht resultieren“, verhindert oder nachträglich ausgleicht. Denn, so der Text, „ökonomische Gerechtigkeit heißt, dass sich die Entlohnung nach Anstrengung oder Arbeitsaufwand bemisst“, nicht aber nach der Leistung oder dem Resultat der Arbeit. Die Verwirklichung des höchsten Ziels, das heißt der allgemeinen Gleichheit, verlangt diesen „entschiedenen Egalitarismus“ bei der Verteilung.
Am deutlichsten wird dies bei der Begründung eines „bedingungslosen Grundeinkommens“, das all jene erhalten sollen, die nicht arbeiten können oder „schlicht nicht arbeiten wollen“, deshalb aber materiell keinesfalls schlechter gestellt werden sollen als diejenigen, die den gesellschaftlichen Wohlstand mit ihrer Arbeitsleistung sichern.
Die einzige Bedingung für die Realisierung der kommunistischen Werte und Zielstellungen sei, so die Autoren, „die Überwindung des Kapitalismus“, denn der sei „mit all diesen Werten und Zielen unvereinbar“. Das stimmt zweifelsohne, ist aber nur die halbe Wahrheit. Dass der angestrebte Wohlstand und die Einführung kommunistischer Verteilungsformen neben phantastischen Ideen auch ein hohes Produktivitätsniveau, eine gesteigerte Dynamik der gesellschaftlichen Produktion und den Beitrag aller zur Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums zur unabdingbaren Voraussetzung haben, scheinen die Autoren nicht zu wissen! Dabei muss jedoch differenziert werden: Der Realutopie von Eric O. Wright lässt sich trotz mancher Einwände durchaus einiges abgewinnen. Seinem Ansatz, wonach „Markt und Planung“ nicht „als Gegensätze zu denken sind“, kann zum Beispiel durchaus zugestimmt werden. Ebenso seinen Überlegungen für eine postkapitalistische Transformation und dem Modell eines Marktsozialismus. Die Vorstellungen von Robin Hahnel dagegen über eine partizipatorische Ökonomie gehen völlig an der Realität vorbei, stehen im Widerspruch zu Marx und lesen sich teilweise eher wie eine Satire über den Kommunismus denn als eine ernstzunehmende gesellschaftstheoretische Konzeption. Das wird noch durch Aussagen unterstrichen, wie zum Beispiel die, dass es zur Verwirklichung der partizipatorischen Wirtschaftsplanung, die den komplizierten Marktmechanismus ablösen soll, keiner „modernen Technologien“ bedarf, „nicht mal eines leistungsfähigen Computers“. Vielmehr reiche dafür „ein Rechenschieber“! – Nun ja, der „Urkommunismus“ galt einigen „Linken“ immer schon als erstrebenswertes Ziel. Ob man damit aber Wahlen gewinnen und Massen mobilisieren kann, ist eine ganz andere Frage.
Robert Hahnel, Erik Olin Wright: Alternativen zum Kapitalismus. Vorschläge für eine demokratische Ökonomie, Bertz + Fischer, Berlin 2021, 244 Seiten, 15,00 Euro.
Schlagwörter: Erik Olin Wright, Kommunismus, Markt, partizipatorische Ökonomie, Robert Hahnel, Ulrich Busch, Wirtschaft