Das Schauspiel Köln ist gerade auf der Suche nach einer neuen Intendanz. Doch weil Entscheidungsträger (Kulturpolitiker, Stadträte) Kandidaten-Beurteilungen sich nicht zutrauen (auch das war mal anders), wird eine Jury bestellt. Die erwählt und schlägt vor, wobei der Vorschlag einem Befehl gleichkommt. Wird er abgelehnt, heißt es: Undemokratisch! Also wird, wenn es sein muss, blindlings angenommen.
Gerade deshalb – Befehlsgewalt der Jury! – hat sich eilends die landesweit wohlorganisierte Aktivisten-und-Aktivistinnen-Szene organisiert, um öffentlich zu fordern, wie diese für die Zukunft des Kölner Stadttheaters so wichtige Jury, genannt Findungskommission, zu sein hat: nämlich „divers“. Also besetzt mit „nicht-weiß positionierten Menschen, mit mixed-abled Menschen, mit Frauen*, trans*, inter* und queeren Akteur*innen of Color“. – Anders gesagt: Es geht darum, Druck aufzubauen für die einzig richtige, also identitätspolitisch korrekte Entscheidung bei der Berufung einer neuen Theaterspitze. Künstlerische Kompetenz bleibt da offensichtlich Nebensache.
Grundsätzlich ist gegen Offenheit und Toleranz nichts einzuwenden. Natürlich auch nichts gegen Diversität. Die Frage „Wem gehört die Bühne und wer findet bei uns statt?“ ist seit jeher eine grundsätzliche. Doch ist es längst nicht zielführend, die Lösung von Personalproblemen Diversity-Eliminationen absolut unterzuordnen. Denn drehte sich auf dem Intendanten-Karussell alles ausschließlich um LGBTIQ oder BIPoC (Black, Indigenous, People of Color), um Female, Lesbian, Inter, Non-Binare, Trans*-Personen oder Cis-Menschen, also um Geburtsdaten, Hautfarben, Geschlechter, dann regierte Identitätsterror. Dann blieben vor lauter Dogmatismus Fragen nach Führungsqualitäten wie Fachverstand oder Empathie unreflektiert.
Entgegen der hochtourigen identitären Sortiererei, die nicht selten einhergeht mit – das wollen wir nicht verschweigen – verstecktem Neid und Eigennutz, entgegen all dem ist Vernunft dringlich geboten bei der Besetzung der Chefsessel. Sollten doch Intendanten, ganz gleich welcher Identität, welchen Alters und Geschlechts, zuerst eine langzeitlich erworbene fachlich-künstlerische und dazu eine bewiesene psychosoziale Kompetenz vorweisen. – Eigentlich eine Binse.
Dennoch: In letzter Zeit schockieren immer wieder Folgen von krasser Inkompetenz. Die Rede ist von Übergriffigkeit, von Nötigung bis hin zu sexualisiertem Machtmissbrauch durch männliche Intendanten (gleich Arbeitgeber). Gerade erschüttern die ruchbar gewordenen Fälle „Spuhler“ Karlsruhe und „Dörr“ Volksbühne Berlin die Welt unseres Theaters und die Amtsstuben der Kulturpolitik. Es klappt einfach nicht mit dem Psychosozialen, mit Charakter und Redlichkeit, mit dem Führungsklima.
Das übrigens stellte vor zwei Jahren schon der Frankfurter Professor für Theatermanagement Thomas Schmidt in seiner Studie über Macht und Struktur im Theater fest. Da wurden 2000 Theaterleute befragt, von denen 55 Prozent, also mehr als die Hälfte, von Belästigung bis Missbrauch berichteten.
Zur ganz speziellen, folgenschweren Macht-Ausstattung von Intendanten durch die Politik gehört eine zunehmend aus dem Ruder laufende Gagenpolitik: Die Gehälter der Führungsgrößen sind mit 200.000 Euro jährlich eine gängige, nach oben offene Größe an ersten Instituten; obendrauf kommen frei verhandelbare Extras sowie für regieführende Intendanten oft geradezu horrende, einen „Genie-Status“ festigende Regie-Honorare.
Das zentrale Machtinstrument fürs Intendanten-Management ist derweil das System Normal-Vertrag (NV) Solo fürs künstlerische Personal mit nach Geschick oder Marktwert verhandelbaren Gagen (Mindestgage Schauspiel: läppische 1850 Euro brutto) sowie mit befristeten Verträgen für ein bis zwei Jahre oder eben länger.
In all dem steckt ein gewaltiges, gewaltträchtiges Potenzial für Erpressung, Angstmache, Klimavergiftung und Zwang zu rigoroser Leistungssteigerung, die oft Ausbeuterei gleicht und in Burnouts treibt. (Freilich: Wer den harten Kampf durchsteht, kann Ruhm und Geld gewinnen.)
Im Übrigen werden durch das System der Solo-Zeitverträge (fürs Personal Technik/Verwaltung gelten Tarifverträge) wachsende Ensemblebindungen nahezu verhindert. Der häufig bilderstürmerische Fall: die totale Auflösung der bestehenden Truppe und der Einzug einer komplett neuen, zusammen mit dem jeweils neuen, selbstherrlich strahlenden Intendanten. – Andererseits: NV-Solo mit Augenmaß angewandt, ermöglicht eine kontinuierliche Auffrischung und Durchmischung des Ensembles.
Wie auch immer: Es ist einiges faul an den Strukturen: viel zu viele Macker-Männer, viel zu viele Sonnengötter als Chefs. Hingegen fehlen ein klar definiertes Regelwerk, institutionalisierte Machtkontrolle, eine neue Führungskultur, die Machtmissbrauch sanktioniert und das anachronistischer Fürstenwillkür ähnelnde Allmachtsystem des Theaterdirektors (der Theaterdirektorin) ersetzt. Sich allein auf „psychosoziale Kompetenz“, auf Charakter, auf den Einbau von „Checks and Balances“ oder auf Compliance-Regeln zu verlassen, wird Ungerechtigkeit, Demütigung und Ausschluss höchstens eindämmen.
Klar, Strukturen müssen sich ändern. Mit verbissen identitärer Auslese oder ebenso verbissen durchgesetzten Frauen- und sonstigen Quoten ist es noch lange nicht getan. Doch immerhin: Auch die MeToo- oder Black-Lives-Matter-Bewegung, die Vertrauensstelle Themis oder die Organisation „ensemble-netzwerk“ sensibilisieren wenigstens die Öffentlichkeit für das, was hinter den Kulissen abgeht.
Kein Scherz: Kürzlich erst stand in einer links bewegten überregionalen Tageszeitung die hoffnungsfrohe Feststellung, dass mit dem Ende des weißen deutschen Intendanten alle Hierarchien an deutschen Theatern fallen würden. Eine Antwort darauf gab die Berliner Schaubühne schon vor zwei Jahren mit der den Spieß umdrehenden Satire „Status quo“ von Maja Zade, in der Brutalo-Frauenmacht mit diskriminierender Übergriffigkeit, Beleidigung und sexueller Ausbeutung die männlich abhängig Beschäftigten schikaniert. Großer Lacher. Galliger Geschmack.
Schlagwörter: Identitätspolitik, Intendanz, Köln, Reinhard Wengierek, Theater, Theaterstrukturen