Adventsgruß
Ick hab mir jedacht,
wenn ick schon so janz alleene
wieda in meene Bude hock, denn kann ick doch
aus vorweehnachtlische Karanteene
die Leute doch ’ne Freude machn
mit so ’ne paar Zeiln.
Ick denk mir, dit dit viele
helfn tut in solche Zeitn.
Um ma wieda zu schmunzeln,
den Jedanken freien Loof zu lassn
und endlich! endlich eenma nüscht
sich mit Corona zu befassn. –
Allerdings – ick merk jrad: Dit is ’n schwierjet Unterfangn!
Coronafrei sind hier nur der Verse zehn…
Na ja – wat soll’s! Ick hab’t versucht!
Wenn ihr trotzdem Freude hattet: Jern jeschehn!
Kurt Terrier
(Der Autor studierte Volkswirtschaftslehre, lebt und arbeitet in Berlin.)
Schlaue Sprüche zum neuen Jahr
Ich kann freilich nicht sagen,
ob es besser wird,
wenn es anders wird,
aber so viel kann ich sagen:
Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.
Das neue Jahr hat so lange eine weiße Weste, bis man sie anzieht.
Sobald man davon spricht, was im nächsten Jahr geschehen wird, lacht der Teufel.
Begrüße das neue Jahr vertrauensvoll
und ohne Vorurteile,
dann hast du es schon halb
zum Freunde gewonnen.
Im neuen Jahre Glück und Heil
Auf Weh und Wunden gute Salbe!
Auf groben Klotz ein grober Keil!
Auf einen Schelmen anderthalbe!
Ein Rauch verweht,
ein Wasser verrinnt,
eine Zeit vergeht,
eine neue beginnt.
Von wegen Mindestlohn von zwölf Euro …
Laurenz Nurk schreibt im Gewerkschaftsforum, dass die Mindestlohnkommission am 30. Juni 2020 ihren Dritten Beschluss zur Anpassung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns gefasst habe. Die Bundesregierung setzte damit den angepassten Mindestlohn durch eine Rechtsverordnung in Kraft. Am 1.1.2021 steigt der gesetzliche Mindestlohn auf 9,50 Euro, zum 1.7.2021 auf 9,60 Euro, zum 1.1.2022 auf 9,82 Euro und zum 1.7.2022 auf 10,45 Euro, jeweils brutto je Zeitstunde.
Dieses Ergebnis sei nicht nur der Arbeit der Kommission „vor dem Hintergrund der vorliegenden Prognosen zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie der Erkenntnisse zur Beschäftigungs- und Wettbewerbssituation“ geschuldet, sondern beruhe auf einem Deal der Regierungsparteien. Laurenz Nurk urteilt, dass die Festlegung des Mindestlohns durch die staatlichen Institutionen die Gewerkschaften insgesamt vorführe und zeige das Scheitern gewerkschaftlicher Lohnpolitik der letzten Jahrzehnte auf.
Er verweist auch auf den ver.di-Bundeskongress Ende September vergangenen Jahres, der sich auf einen Mindestlohn auf zwölf Euro pro Stunde festgelegt hatte. Die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis kommentierte Ende Juni 2020 die Einigung dennoch so: „Allen Beteiligten ist klar, dass es sich dabei um einen Kompromiss handelt, dessen Ende aber immerhin eine deutliche Erhöhung steht, die den betroffenen Beschäftigten Verlässlichkeit gibt“. Eine kämpferische Gewerkschaft in der Tat …
Mehr Informationen auf gewerkschaftsforum.de.
Musikalischer Weltschmerz in Zeiten des Lockdowns
In den USA aufgewachsen und dann nach Schweden gezogen, klingt der Musiker Christian Kjellvander wie ein klassischer Vertreter der „Americana“ genannten unabhängigen US-amerikanischen Rockszene, auch wenn er von seinem kreativen Schaffen mittlerweile behauptet: „[…] meine Musik ist heute in Schweden oder grundsätzlich in Europa angesiedelt.“
Während im Mai 2020 große Teile Europas sich im staatlicherseits verordneten Lockdown befanden, fuhr ja Schweden einen bewusst anderen Kurs. Und genau zu diesem Zeitpunkt begab sich Christian Kjellvander (Gitarre und Gesang) zusammen mit Per Nordmark (Schlagzeug) und Pelle Anderson (Fender Rhodes und andere Tasteninstrumente) in einen künstlerischen Lockdown – für ihn fast ein Normalzustand: „Wenn ich nicht auf Tour bin, bin ich in einer Art von Lockdown. Ich lebte acht Jahre auf dem Land, in einer umgebauten Kapelle mitten im Nirgendwo.“ Mit dem Eröffnungsstück „Baptist Lodge“ erweist er dieser Form der Selbstisolation nochmals seine Referenz.
Mit seinen neuen Stücken präsentiert sich Kjellvander weiterhin als führender Vertreter des musikalischen Weltschmerzes, prädestiniert durch seine markante Stimme und sein wehmütiges Gitarrenspiel. Und er betont die autobiographische Grundierung der Lieder auf dieser CD: „Ich habe immer offen über Dinge geschrieben, die mir am Herzen liegen, aber diese Platte ist eine besondere. Sie ist sehr offen. Das ist, worauf ich es anlegte. Ich wollte wahrhaftig und verwundbar sein.“
Und so lassen sich die Zeilen „Love turns to past and past turns to fiction. And the happiness is the first thing we forget…“ in dem Song „Actually Country Gentle“ unschwer als ein Abgesang auf seine 13-jährige Ehe dechiffrieren. Auch im Lied „Trouble“ werden schmerzliche Liebeserfahrungen künstlerisch seziert: „when trouble fell in love with itself“.
Nach so viel emotionaler Offenbarung findet sich im finalen Stück eine Art spirituelle Auflösung des aufgestauten Weltschmerzes:
„I’ll play a new rock’n’roll guitar and find God eventually
But every God is a chance
Every God is only a dream
But maybe every God is not just an idea.“
Man mag in diesen Worten auch eine Portion (Selbst-)Ironie herauslesen oder -hören, inwieweit persönliche Ansichten und Erfahrungen zum grundsätzlichen Maßstab gemacht werden können. Kjellvander formuliert es pointiert so:
„Alle große Kunst ist letztendlich nur die Sicht einer Person auf die Dinge und sollte nicht als mehr als das betrachtet werden […]“
Christian Kjellvander: About Love and Loving again, CD 2020, Label: Tapete Records, 16,00 Euro.
Aus anderen Quellen
„US-amerikanische Rechtsvereinigungen wie die American Association of Jurists (AAJ) und das Center for Constitutional Rights (CCR),“ berichtet Ekkehard Sieker, „haben gemeinsam mit international arbeitenden juristischen Institutionen und Juristen einen Brief an den britischen Premierminister Boris Johnson und seine Regierung geschrieben, um ihn von einer Auslieferung Julian Assanges an die USA abzuhalten. Ein solcher Schritt wäre ihrer Ansicht nach illegal: ‚Die Auslieferung wäre rechtswidrig, da der Schutz der grundlegenden Prozessrechte von Herrn Assange in den USA nicht gewährleistet ist. Herr Assange wird vor dem berüchtigten ‚Spionagegericht‘ des Eastern District of Virginia (in Alexandria, der Verf.) vor Gericht gestellt, vor dem kein Angeklagter der nationalen Sicherheit jemals Erfolg hatte. Hier sieht er sich einem geheimen Verfahren vor einer Jury ausgesetzt, die aus einer Bevölkerung ausgewählt wurde, in der die meisten Personen, die für die Auswahl der Jury in Frage kommen, für die CIA, NSA, DOD oder DOS (The Central Intelligence Agency, The National Security Agency, U.S. Department of Defense, U.S. Department of State) arbeiten oder mit dieser verbunden sind.‘“
Ekkehard Sieker: Warum Julian Assange in den USA ein politischer Gefangener wäre, heise.de, 28.11.2020. Zum Volltext hier klicken.
Ders.: Julian Assange in den Fängen der National Security Community der USA, heise.de, 01.12.2020. Zum Volltext hier klicken.
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Im vergangenen Jahr hatte Frankreichs Präsident Macron der NATO das finale Symptom „hirntot“ attestiert. „Alarmiert“, so Jürgen Wagner, „war augenscheinlich auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der dies zum Anlass nahm, eine Expertengruppe damit zu beauftragen, Vorschläge für eine Re-Vitalisierung des Bündnisses auszuarbeiten. Unter dem Ko-Vorsitz von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière machte sie sich seit April an die Arbeit und legte nun ihren Bericht vor.“ Der Titel des Papieres: „NATO 2030“. Die Autoren fordern, „das Bündnis künftig gegen Russland und auch – und das ist relativ neu – gegen China noch aggressiver in Stellung zu bringen“.
Jürgen Wagner: NATO-Markenkern Großmachtkonkurrenz, heise.de, 03.12.2020. Zum Volltext hier klicken.
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Ab 1884 begann das Deutsche Reich – und im Vergleich zu den „klassischen“ europäischen Kolonialmächten wie Spanien, Portugal, England, Frankreich, Belgien und Niederlande reichlich verspätet und demzufolge mit wenig Auswahl –, sich überseeische Kolonien zuzulegen. Zwecks Ausbeutung der dortigen Bevölkerung und Bodenschätze. Zimperlich sein durfte man dabei nicht, wovon nicht nur die fast ausgerotteten Herero in Deutsch-Südwest bis heute ein Lied singen können. Ganz anders die Wirkung im Mutterland. „So kamen dem deutschen Volke daheim“, daran erinnerte kürzlich Maritta Tkalec, „immer mehr exotische Herrlichkeiten vor Augen. Überall machten Kolonialwarenläden auf, alteingesessene Geschäfte nahmen die neuen Waren ins Sortiment und benannten sich um. Kolonialwaren – das klang gut. […]
In Berlin gab es unzählige solcher Läden. Von den kleinen bleibt eine Gruppe bis heute allgegenwärtig: die Einkaufgenossenschaft der Kolonialwarenhändler vom Halleschen Torbezirk zu Berlin, abgekürzt E.d.K., gesprochen Edeka.“
Maritta Tkalec: Wie Berlin zu „deutschen Bananen“ kam, berliner-zeitung.de, 22.11.2020. Zum Volltext hier klicken.
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Die Abgeordneten im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages fanden heraus, „dass die Kanzlerin offenbar trotz der ausdrücklichen Warnung eines ihrer Spitzenbeamten für Wirecard in China lobbyiert habe“, heißt es in einem Sachstandsbericht von Michael Maier. Und der Herausgeber der Berliner Zeitung fährt fort: „Für das Bundesfinanzministerium scheint Wirecard ebenfalls ein wichtiges Vorzeigeprojekt gewesen zu sein. Brisant daran ist, dass die Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin das morsche Konzept von Wirecard schon viel früher hätte erkennen müssen. Ein neues Schlaglicht fällt auch auf Bayern: Die CSU scheint einiges aufgeboten zu haben, um Wirecard bei seinen Expansionsbestrebungen zu unterstützen. So kam jetzt heraus, dass der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein nach seinem Ausscheiden aus der Politik ebenfalls als Wirecard-Lobbyist unterwegs war.“
Michael Maier: Wirecard-Skandal erreicht Spitze der Bundesregierung, berliner-zeitung.de, 16.12.2020. Zum Volltext hier klicken.
Blätter aktuell
Seit feststeht, dass Joe Biden der nächste US-Präsident sein wird, hofft die demokratische Welt auf eine Wiederkehr des Multilateralismus. Doch die Hoffnung könnte trügen, so der Völkerrechtler Norman Paech. Denn schon lange vor Donald Trump hielten sich die USA nur höchst selektiv an das internationale Recht – wenn es denn dem nationalen Interesse dient.
In Brüssel bekämpfen Ungarn und Polen mit aller Macht das Rechtsstaatsprinzip der EU; dahinter aber wirken kluge Strategen. Der Politologe Markus Linden analysiert den ideologischen Wandel im rechten Spektrum und die neue Partnerschaft zwischen Konservativen und Rechtsradikalen.
Alles wurde 2020 von der Pandemie überlagert, nicht zuletzt die unbewältigte Finanzkrise. Dabei ist sie nur weitergewandert, so der Finanzmarktexperte Gerhard Schick. Wie eine nicht auskurierte Krankheit hat sie sich auf dem Immobilienmarkt und bei der privaten Altersvorsorge eingenistet.
Dazu weitere Beiträge, unter anderem: „Ausbeutung 4.0: Die Digitalisierung des Menschen“, Peru, Ecuador, Kolumbien: Gesundheitssystem als Beute“ und Deutschlands Kotau vor der Wegwerfindustrie“.
Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Dezember 2020, Einzelpreis: 9,50 Euro, Jahresabonnement: 79,80 Euro (Schüler & Studenten: 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.
Letzte Meldung
Paris muss Strafe zahlen wegen – zu vieler Frauen in Führungspositionen. Und zwar 90.000 Euro, weil das Ministerium für öffentliche Verwaltung Männer diskriminiert sieht. Die seien nur noch zu 31 Prozent vertreten.
Das war vielleicht etwas voreilig. Was, wenn sich einfach nicht genügend Kerle beworben haben?
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