Eines der Geschichtsrätsel in Maxim Volands Thriller mit dem harmlosen Tarnnamen „Die Republik“ bleibt ungelöst. Warum nämlich die Westalliierten in seiner kontrafaktischen Version der Nachkriegsgeschichte aus ihren Besatzungszonen abzogen und den Sowjets ganz Deutschland überließen. Die so – wie in dem Witz – zur größten DDR der Welt wurde. Gerade als der britische MI6-Veteran Bristol es seiner Untergebenen, der weiblichen 007-Version Harper Parker-Moreau, beim Whisky verraten will, sinkt er von einem Kopfschuss durch die blickdichten Vorhänge seiner Westberliner Luxusbleibe tödlich getroffen zusammen. Und auch was darüber auf dem Zettelchen steht, das Harper am Ende des atemberaubenden Vorbeischrammens an einer Atomkatastrophe findet, erfahren wir nicht. Diese vornehme Zurückhaltung ist aber kein Trick, um sich in einen zweiten Teil zu hangeln. Das Rätsel wird nämlich im Nachwort gelöst …
Diese Super-DDR, also die „andere“ Variante der Nachkriegsgeschichte, funktioniert – im Gegensatz zu ihrem kleinen Vorbild in der Realität bis 1990 – auf vielen Gebieten perfekt. Sie hat es tatsächlich zu den technischen Spitzenleistungen und dem Massenwohlstand gebracht, von denen die SED-Propaganda seit dem Überholen-ohne-Einzuholen von Walter Ulbricht immer träumte. Die Genossen und ihre Werktägigen haben die dem Westen überlegene Technik. Ob Handys, Computer oder Autos. Alles Marke Eigenbau und auf Spitzenniveau. Man fährt natürlich längst mit Wasserstoffantrieb. Als Kehrseite sind aber auch die Armee und der Überwachungsapparat perfektioniert. So eine Art chinesische Lösung … Eine schöne neue Alptraumwelt also.
Nur Berlin-Deutschland, das sich auf die Westsektoren der ehemaligen Reichshauptstadt beschränkt, gehört nicht zu diesem Wunderland. Die City um den Ku’damm ist so eine Art Super-Las Vegas, die Randbezirke sind zu von Mafiaclans beherrschten Slums degeneriert. Drumherum die Mauer. Aber auch von Frankreich aus kommt man nicht so einfach in diese Republik. Und natürlich auch nicht raus.
Nach elf Seiten gibt es mitten in der Hauptstadt – und vom rotierenden Restaurant des Fernsehturms aus gut zu sehen – am Platz der Akademie einen Giftgasanschlag mit vielen Toten. Sofort erwachen alle Geheimdienste zu hektischer Aktivität, um als erster hinter das Was, Wer und Warum zu kommen. Es beginnt eine Jagd nach Informationen, den Terroristen und die Hintermänner und -frauen …
Als Thriller, in dem in jedem Kapitel hinter jeder Ecke jähe Wendungen lauern und mit einem übersichtlichen Personaltableau in Ost-Berlin und Berlin-Deutschland, funktioniert der Plot hervorragend. Man folgt der Jagd nach den Geheimnissen atemlos. Ärgert sich mal kurz über die politisch korrekte Rede von Agentinnen und Agenten. Kommt aber den handelnden Personen, also den Jägern und Gejagten, mit der Zeit durchaus näher. Weil sie der Autor, so ähnlich wie „richtige“ Menschen, mit Ambivalenzen ausstattet.
Der Stasi Oberst Gustav Kuhn etwa kennt sich mit Verhörmethoden und Hinrichtungen bestens aus, hat aber eine junge Geliebte und wollte eigentlich gerade die Seiten wechseln. Als die bei dem Terroranschlag ums Leben kommt, macht er sich auf einen Rachefeldzug im Sonderauftrag von ganz oben. Oder die britische MI6 Geheimagentin Harper Parker-Moreau. Man stellt sie sich als Superwoman mit Sexappeal vor, die in jeder Beziehung zugreift, wenn sich Chancen bieten. Im Job und privat. Sympathieträger ist der von Paris aus bei einem Familienbesuch im Saarland in den Strudel der Ereignisse gezogene Franzose Christopher Mueller. Ein harmloser Dolmetscher mit erheblichem Potenzial zum Action-Helden wenn’s drauf ankommt. An seiner Seite die rebellische Cousine Alicia, deren Familie aus heiterem Himmel ausgelöscht wird.
Am Ende ist man froh, dass die „Richtigen“ mit heiler Haut davon kommen. Und es spricht für das Handwerk des Autors, dass man die Pointe mit der er ein allzu geschmeidiges Happyend unterläuft, und mit dem die Republik ihren Retter kassiert, auch ein wenig bedauert.
„Die Republik“ ist ein Mix aus Vielem. Eine Dosis von James Bonds augenzwinkerndem Charme. Aber auch das verschmitzte Überlegenheitslächeln, mit dem Henry Hübchen und seine Altgenossen als „Kundschafter des Friedens“ die jungen BND-Schnösel aussteigen ließen, kommt vor. Dazu gibt es eine (über-)mächtige Dosis Quentin Tarantino-Ballerei und -Grausamkeit (à la Inglourious Basterds) mit allen Blutspritzern, die noch jeden alltäglich harmlosen Familienkaffeklatsch, jede Tankstellenrast oder das Gespräch mit dem Vorgesetzten in eine Katastrophe verwandeln. Gebaut ist dieses drehbuchartige Feuerwerk durch verschwörungstheoretische Handlungssprünge und unterirdische Zusammenhänge wie bei Dan Browns „Illuminati“. Nur, dass bei Voland am Ende die Bombe doch nicht hochgeht. Mit dem zwar nicht allzu moralischen, aber doch pragmatischen Fazit, dass die mehr oder weniger mit- oder gegeneinander arbeitenden Geheimdienste am Ende doch auch mal was nützen.
Das eigentlich Interessante ist aber die historische Kulisse. Diese Als-ob-Variante, hat ihren Reiz wohl vor allem für Leser dieser „hochgerechneten“ DDR. Schon wegen der Assoziationen, die dort jeder mit dem Namen der Verteidigungsministerin und Marschallin Helene Feist verbindet. Die berühmteste Ministerin der realen DDR hieß mit Mädchennamen Feist. Es war Margot Honecker.
Voland hat mit flottem Pinsel das Gespenst einer Groß-DDR auf die Kulisse seines Thrillers gemalt. Er hat sie mit einer übergesteigerten Klassenkampf- und Sicherheitsobsession versehen und ihr gleichzeitig technologischen und wirtschaftlichen Erfolg zugestanden. Eine Art Euro-China. Die Vorstellung ist für Momente prickelnd. Und es mag sogar bei dem einen oder anderen ein klein wenig fiktive nachholende Genugtuung dabei aufkommen. Aber es bleibt ein vermeintliches Arbeiterparadies mit Mauer drum und perfekter Überwachung. Dann doch lieber Plan A der realen Geschichte. In dem ist Berlin-Deutschland die Berliner Republik. Mit allem Für und Wider.
Maxim Voland: Die Republik, Piper Verlag, 526 Seiten, 22,00 Euro.
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