23. Jahrgang | Nummer 13 | 22. Juni 2020

Währungspolitische Übernahme

von Ulrich Busch

Während die Regierung der DDR im Spätherbst 1989 noch versuchte, ihren Staat und den Sozialismus mit halbherzigen Reformen zu retten, arbeitete man in Bonn bereits fieberhaft an dessen Übernahme. So räumte der damals im Bundesfinanzministerium tätige Thilo Sarrazin ein, am 6. November 1989, also drei Tage vor dem Mauerfall, einen „ersten Plan“ für die Einführung der D-Mark in der DDR vorgelegt zu haben. Er konnte sich dabei auf jahrzehntelange Vorarbeiten des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen und des Forschungsbeirats für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands stützen. Einige Wochen später war das Projekt fertig. Am 6. Februar 1990 präsentierte Bundeskanzler Helmut Kohl dieses, obwohl weder mit der Bundesbank abgestimmt noch mit Finanzexperten aus der Wissenschaft diskutiert, der Öffentlichkeit. Damit waren die Weichen für die deutsche Vereinigung gestellt. Die Bevölkerung der DDR, die zuvor noch mehrheitlich für eine Beibehaltung der DDR als souveräner Staat votiert hatte, änderte daraufhin ihre Meinung und befürwortete nun die „Wiedervereinigung“. Mit dieser Unterstützung im Rücken und unter Verweis auf das „Zeitfenster“, das nicht ewig offenstehe, wurden die bisherigen Überlegungen, die auf „ein organisches Zusammenwachsen“ der beiden deutschen Staaten ausgerichtet waren, verworfen und durch eine Strategie abgelöst, die auf den raschen Anschluss der DDR und deren vollständige Inkorporation in die Bundesrepublik setzte. Mit diesem Programm errang die von der CDU geführte „Allianz für Deutschland“ bei den Wahlen in der DDR am 18. März 1990 einen grandiosen Sieg. Das Wahlergebnis stellte ein klares Votum für die deutsche Einheit dar. Was folgte, war die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen dafür sowie eine entsprechende Umformung der bestehenden Strukturen und Institutionen im künftigen Beitrittsgebiet. Entscheidend aber war die Übernahme der bundesdeutschen Währung. Mit dem währungspolitischen Anschluss der DDR wurde direkt und ohne Verzug deren wirtschaftspolitischer Anschluss bewirkt. Damit war der Prozess der Selbstauflösung der DDR eingeleitet und die 1945 von den Alliierten verfügte Teilung Deutschlands sowie die seit 1949 bestehende Zweistaatlichkeit praktisch beendet. Der offizielle Beitritt am 3. Oktober 1990 und die Herstellung der politischen Einheit Deutschlands waren demgegenüber nur noch eine Formsache.

Während der 3. Oktober wie in jedem Jahr, so sicherlich auch diesmal, zum 30. Jubiläum, als „Tag der Deutschen Einheit“ feierlich begangen werden wird, ist der 1. Juli, das Datum der „Währungsunion“, schon fast vergessen. Dies hat seine Gründe: Einigen Ostdeutschen ist es inzwischen vielleicht peinlich, daran erinnert zu werden, wie verrückt sie sich damals gebärdet hatten, als sie die ersten D-Mark-Scheine in den Händen hielten. Andere, Ost- wie Westdeutsche, erinnern sich ungern an die auf Billigwaren und westlichen Massenkonsum versessenen „Ossis“, die 1990 scharenweise die Aldi-Geschäfte, Woolworth-Warenhäuser und C&A-Filialen stürmten. Nicht wenige erlebten bald darauf, als ihnen bewusst wurde, dass mit der Einführung der D-Mark der ostdeutschen Wirtschaft systematisch und ökonomisch zwingend das Wasser abgegraben wurde, eine schmerzliche Desillusionierung. Die wirtschaftlichen Folgen der Währungsunion waren katastrophal: Die Industrieproduktion fiel binnen weniger Monate um fast zwei Drittel, die gesamtwirtschaftliche Leistung ging um mehr als ein Drittel gegenüber dem Niveau von 1989 zurück. Die Folge war ein rasanter Anstieg von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und prekärer Beschäftigung von faktisch Null auf 20 bis 40 Prozent. Für anderthalb Jahrzehnte lag die Arbeitslosenquote im Beitrittsgebiet bei mindestens 20 Prozent und betrug die Unterbeschäftigung rund ein Drittel. Mehr als ein Drittel der Arbeitsplätze ging dauerhaft verloren. Drei Viertel der Beschäftigten mussten sich neu orientieren und verschlechterten sich nicht selten dabei, trotz D-Mark-Bezahlung. Mehr als fünf Millionen Ostdeutsche verließen ihre Heimat und zogen dahin, wo es Arbeit und berufliche Chancen gab: in den Westen. Von vielen so nicht erwartet worden war auch der signifikante Preisniveauanstieg: im zweiten Halbjahr 1990 waren es 12,7 Prozent. 1991 stiegen die Verbraucherpreise im Beitrittsgebiet um 21,5 und 1992 um 11,2 Prozent. Dadurch erhöhte sich der nominale Verlust von rund einem Drittel der Geldvermögen, den die DDR-Bevölkerung durch die 2:1-Umstellung ihrer Ersparnisse erlitten hatte, real noch einmal spürbar. Inzwischen sind die Löhne, Gehälter, Renten und anderen Sozialeinkommen kräftig gestiegen und ist die Differenz gegenüber dem Altbundesgebiet entsprechend zurückgegangen, bis auf circa 20 Prozent. Was aber geblieben ist, ist der Abstand bei den privaten Vermögen, die im Osten aktuell kaum ein Drittel des Westniveaus erreichen. Dies ist zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die Modalitäten des Beitritts und die Währungsunion zurückzuführen, fand damals als zu erwartende Konsequenz in der Diskussion aber kaum Beachtung.

Versucht man im Rückblick die damals als „Währungsunion“ apostrophierte Übertragung der D-Mark auf die DDR zu beurteilen, so kommt man nicht umhin, diese als eine ökonomische Katastrophe zu bewerten. Sie ebnete politisch den Weg der Deutschen in die staatliche Einheit, war ökonomisch aber ein (zu) teures und mit (zu) vielen negativen Sofort- und Nachwirkungen behaftetes Projekt. Für die Ostdeutschen, weil dadurch der Zusammenbruch ihrer Wirtschaft bewirkt und befördert, zumindest aber enorm beschleunigt worden ist. Für die Westdeutschen, weil die Ausgestaltung des Vereinigungsprozesses als „Beitritt“ hohe Transferzahlungen der öffentlichen Haushalte im Beitrittsgebiet unabdingbar machte und dies die „Vereinigungskosten“ hochtrieb, was eine bisher ungekannte Staatsverschuldung nach sich zog. Hinzu kommen Spätfolgen, die erst jetzt so richtig spürbar werden, wie die anhaltende Vermögensdiskrepanz, die Überalterung der Bevölkerung im Beitrittsgebiet durch den Wegzug einer halben Generation Ostdeutscher, die Strukturschwäche des Ostens infolge der währungspolitisch bewirkten Zerstörung der Industrie und das Ausbleiben ihrer Rekonstruktion und anderes mehr.

Es hätte im Frühjahr 1990, vor 30 Jahren, andere und klügere Entscheidungen geben können als den Verzicht auf die Währungshoheit der DDR durch die Übernahme der D-Mark. Es hat sie nicht gegeben. Und man hat wohl auch nichts daraus gelernt.