22. Jahrgang | Nummer 23 | 11. November 2019

Die Sache mit unserem Botschafter

von Tino Eisbrenner

Vor 30 Jahren war Tino Eisbrenner ein umjubelter Popstar der DDR. Die bekanntesten Titel seiner Band Jessica finden sich bis heute in allen „Best of“ Sammlungen von DDR-Popmusik. Älter und weiser geworden ist der Musiker und Poet heute abseits des Formatradios unterwegs. Sein derzeit wichtigstes Projekt heißt „Das Lied vom Frieden“. Er singt Lieder von Wladimir Wyssotzki, Bulat Okudshawa, Victor Jara, Paul Simon und Sting und hat viele davon in die deutsche Sprache übertragen. Unermüdlich bereist er osteuropäische Länder, singt zusammen mit den einheimischen Künstlern und trägt deren gemeinsames Credo „Musik statt Krieg“ in die Welt. Darüber hat er ein Buch geschrieben.
Der hier nachfolgende Ausschnitt zeugt von den Schwierigkeiten, Verbündete zu finden, selbst wenn man sich gerade unter seinesgleichen wähnt.

Werner Krumbein*

Da sind sie nun wieder, die Bilder von Moskau. Der Flughafen, der beeindruckend schöne und berühmte Беларуский Вокзал (Weißrussischer Bahnhof), das Majakowski-Denkmal, die Mahnwache an der Kreml-Mauer … Im legendären Hotel Metropol treffen wir den deutschen Botschafter auf ein Gespräch über seinen Blick auf Russland. Organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, wird er uns seine Sicht auf die politischen Verhältnisse in Russland und ihre Außenwirkung schildern.
Nach 20 Minuten bin ich stocksauer und kann angesichts dessen, was der offizielle und oberste Vertreter deutscher Botschaft(en) da von sich gibt, die geschulte Ruhe eines Politikers wie Dietmar Bartsch nur noch bewundern. Nicht aber teilen! Ich bekomme das Wort und kann nicht anders, als anzugreifen … Es macht mich wütend, wenn „unser“ Botschafter uns tatsächlich einreden will, dass Russland in der Ukraine der Aggressor sei und zum Glück die deutsche Politik immer wieder helfen würde, friedliche Lösungen herbeizuführen. Und unsere Sanktionen seien eben ein Mittel zu diesem Zweck und eine Reaktion auf Russland als Aggressor. Als ich ihn frage, wo er denn bei seiner Einschätzung von Aktion und Reaktion den Nullpunkt setzen würde und ob nicht die NATO, wie auch Deutschland, den Ukrainekonflikt nicht doch mindestens miterzeugt hätten (Osterweiterung, Regierungsputsch, Maidan etc.), manövriert er sich in die Ecke und tönt, sein Nullpunkt sei der 8.5.1945. Was denn? Will er uns weismachen, von dem Tage an wäre der Westen heilig geworden und die Aggression kam ab da von Russland? Und fällt ihm nicht auf, dass da z. B. die Krim noch klar (und von deutschen Bomben regelrecht zermörst) zu Russland gehörte? Und gab es keine NATO-Osterweiterung und Russland-Bashing seit dem Abzug der Roten Armee in den Neunzigern? Glaubt der Mann sich selbst oder hält der mich für einen ungebildeten Vollidioten, dem er das antworten kann? Ich frage weiter, frage nach dem Plan von NATO und EU, ausgerechnet in mit Russland so befreundeten Ländern wie z. B. Bulgarien, deren EU-Beitrittsantrag mit der Auflage zu beantworten, sich dort zuerst mal einen NATO-Stützpunkt hinsetzen zu lassen, dessen Raketen gen Moskau zeigen. Ob das auch alles nur Reaktionen seien, will ich von ihm wissen.
Und ob ihn die Menschen auf der Krim eigentlich überhaupt interessieren würden, von denen sechsundneunzig Prozent 2014 für den Wiederanschluss an Russland gestimmt haben, weil sie eben nicht von der neuen Kiewer Regierung in einen Bürgerkrieg gestürzt werden wollten. Einer Regierung übrigens, die wir Deutsche maßgeblich mit ins Amt gehoben haben, allen Warnungen und Informationen zum Trotz, dass diese Regierung faschistische Züge tragen werde. Der Herr Botschafter bekommt Schnappatmung und zu meiner Verblüffung wird die Diskussion an der Stelle abgewürgt. Jemand anderer bekommt noch das Wort, stellt eine vergleichsweise belanglose Frage, die der Botschafter mit zwei Sätzen kommentiert, um sich dann eilends zu entfernen.
„Da hat er ja Glück gehabt, dass sie Dich nicht weiter haben bohren lassen“, klopft mir jemand ermunternd die Schulter. Glück? Ist er nicht ein Volksvertreter, mit dem man solche Dinge ausdiskutieren müsste?! Dies heute war nicht der Rahmen, bekomme ich erklärt. Aber wann und wo ist denn Rahmen dafür? Wenn uns das alles um die Ohren fliegt, brauchen wir nichts mehr zu diskutieren!
Und ein Botschafter wie Herr Rüdiger von Fritsch, ehemaliger Vizepräsident des BND und bereits vordem maßgeblich an den Verhandlungen zur EU-Osterweiterung beteiligt, gehört nicht auf den Posten eines deutschen Botschafters in Russland gehoben. Eine solche Wahl lässt doch ganz klar Rückschlüsse auf die Außenpolitik Deutschlands gegenüber Russland zu.
Je länger ich darüber wütend bin, desto wütender werde ich auch über unsere Delegationsleitung, die mir beschwichtigend erklärt, dass ja völlig klar wäre, dass die LINKE ganz andere Auffassungen habe als dieser Mann und dass man das dann in so einem internen Rahmen auch nicht ewig mit dem zu diskutieren brauche.
Ja, aber wozu haben wir uns dann mit ihm getroffen? Solche Zahnlosigkeit führt nach meiner Einschätzung zu dem Stimmenverlust, den die Linken beklagen. Die Menschen trauen der Partei nicht mehr zu, dass sie wirklich eingreift, wo es nötig ist. Zahnloser Tiger im Bundestag. Und so wählen viele Linke gar nicht mehr oder mal zur Abwechslung die AfD, weil die nämlich Biss hat.
Ich spreche am nächsten Tag darüber bei einem Arbeitstreffen in den Räumen der RLS mit dem deutschen Korrespondenten Ulrich Heyden und Wladimir Sergijenko, dem ukrainischen Buchautor und Journalisten, in dessen Berliner Gesprächsrunde „ West-östlicher Diwan“ ich schon zweimal Gast war und der gerade vor ein paar Wochen mit mir zusammen in Sankt Petersburg den Kunst-Friedenspreis „ Master“ verliehen bekommen hat.
Beide sind sehr empört und werden aktiv. Ulrich Heyden verfasst einen Artikel für den „ Freitag“ und Sergijenko spricht im russischen Fernsehen über meinen „Vorfall mit dem Botschafter“. Dies wiederum ruft Russia Today Deutsch auf den Plan, das berichtet und, wie schon Heyden, mein Facebook-Post über diese Geschichte zitiert. Außerdem fügen sie ihrem Bericht einen Mitschnitt der Bundespressekonferenz bei, auf welcher sie das Auswärtige Amt fragen, ob die Haltung des Botschafters Fritsch vom AA geteilt würde? Die Pressesprecher sind auf diese Frage natürlich nicht vorbereitet und eiern rum, bis sie sich zu dem Statement hinreißen lassen: „ Wir haben in Moskau einen hervorragenden Botschafter.“
Und genau das glaubt man eben nicht, wenn man seine Definition von Gut und Böse, von Aktion und Reaktion in Sachen Russland kennt.
Ich schreibe öffentlich an die LINKE und frage, was man jetzt tun kann, um solche Männer von solchen Posten zu entfernen? Keine Antwort.
Tage später meldet das Moskauer Büro der RLS in Form von Kerstin Kaiser ein Telefonat an. Es gebe wegen meiner Offensive etwas Stress und, ja, es wäre doch am Anfang gesagt worden, dass es sich bei dem Treffen mit dem Botschafter um ein internes gehandelt habe. Na, das tut mir leid, antworte ich ihr, ich kenne Eure politischen Verklausulierungen nicht und wenn es dazu einen Hinweis gegeben habe, dann ist der mir vielleicht dadurch entgangen. Und ich bin ja nicht mal in der Partei, Ihr könnt es also meiner politischen Unerfahrenheit zuschreiben, die Euch, da bin ich sicher, an dieser Stelle doch eigentlich zu Hilfe kommt. Auf geht es, Freunde! Stellt Anfragen und Anträge, dass es kracht. Und auch wenn dieser Botschafter sich gerade anschickt, in Rente zu gehen, bleiben Leute wie er und die Gesinnung des Auswärtigen Amtes doch weiterhin gefährlich für uns. Friedenspolitik fühlt sich anders an.

Tino Eisbrenner: „Das Lied vom Frieden – Reisebilder eines Songpoeten“, NORA Verlagsgemeinschaft, Berlin 2019, 326 Seiten, 19,90 Euro. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlages.

* – Vom Blättchen-Leser und gelegentlichen -Autor Werner Krumbein stammte die Anregung, diese Buchpassage ins Blättchen zu übernehmen; er kümmerte sich dankenswerter Weise auch um die Einholung der Genehmigungen.