von Margit van Ham
Der britische Innenminister hat die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange an die USA befohlen. Dort drohen bis zu 175 Jahre Gefängnis. Die britischen Gerichte haben nun zu entscheiden. Für Julian Assange, der schwerkrank im Gefängniskrankenhaus liegt, aber wird die Situation immer kritischer und es gibt keinen Aufschrei in den Medien. Es scheint, man hat sich arrangiert. Der Beitrag des Publizisten Milosz Matuschek in der NZZ Digital ist eine Ausnahme. Er sagt: „Der Fall Assange ist ein Kristallisationspunkt für die Dekadenz der Demokratie: Entweder hat der Bürger Entscheidungsmacht auf Basis transparenter Informationen, oder er ist Untertan.“ Aber wie gesagt, solche Bekundungen sind rar. Im Medienwald rauscht es weit mehr, wenn Diskreditierendes zu verbreiten ist.
Im Westend Verlag erschien in dieser allgemeinen Medienruhe eine Publikation des freien Journalisten Mathias Bröckers zur Causa Julian Assange mit dem Titel „Don’t kill the messenger! Freiheit für Julian Assange“. Mathias Bröckers beleuchtet die Hintergründe der Jagd auf Assange und konzentriert sich ausgehend von der Geschichte von WikiLeaks auf das Verhältnis von Macht, Medien und Demokratie. Er erklärt, warum Julian Assange zum Aussätzigen nicht nur der Staaten und Geheimdienste, sondern auch der etablierten Medien wurde.
Diese Konzentration wird möglich, weil seinem Text eine ausführliche Widerlegung der Anschuldigungen und Verleumdungen durch die australische Journalistin Caitlin Johnstone beigefügt ist (Selbstbezeichnung „rogue journalist“, was in etwa „unangepasste Journalistin“ bedeutet). Das sollte Stoff für viele weitere Medienberichte geben, aber wie schon konstatiert – es herrscht Ruhe. Sie demonstriert die gezielte Diskreditierung der Person Assange, die vom Eigentlichen ablenken soll – den durch WikiLeaks offengelegten Fakten über Kriegsverbrechen im Irak, in Afghanistan, Machtmissbrauch durch Regierungen und Konzerne, Korruption und Wahlbetrug.
Bröckers listet akribisch wichtige Veröffentlichungen von WikiLeaks seit 2007 auf. Es ist eine beeindruckende Liste – und kein einziges Dokument hat sich als Lüge oder unwahr herausgestellt. Dieser wesentliche Punkt wird selten erwähnt und Bröckers folgert, dass Assange gerade deshalb derart verleumdet wird, weil die Authentizität und Relevanz der WikiLeaks-Veröffentlichungen so unbestreitbar sei.
Bröckers zitiert den ehemaligen britischen Botschafters Craig Murray:
„Julian revolutionierte das Publikationswesen, indem er der Öffentlichkeit direkten Zugang zu großen Mengen Rohmaterial verschaffte, das zeigte, was die Regierung geheim halten wollte. Durch den der Öffentlichkeit gewährten, direkten Zugang wurden die Filter und Moderationen durch die journalistische und politische Klasse umgangen. Im Gegensatz zu etwa den ‚Panama Papers‘, von denen – entgegen aller Versprechungen – gerade mal zwei Prozent des Materials veröffentlicht wurden, wobei große westliche Unternehmen und Persönlichkeiten vor Enthüllungen vollständig geschützt waren, weil die Mainstreammedien als Vermittler genutzt wurden.[…].“ Der investigative Journalismus erhielt mit WikiLeaks eine völlig neue Dimension und schuf bessere Voraussetzungen für Whistleblower, anonym aktiv zu werden.
Es geht um Grundsätzliches in der Causa Assange, hebt Bröckers hervor: „Eine Volkssouveränität – Kern jeder parlamentarischen Demokratie – kann es nur geben, wenn die Macht rechenschaftspflichtig ist, und das kann sie nur sein, wenn sie transparent ist.“ Das erfordert eine funktionierende Kontrolle der Mächtigen durch die Medien als „vierte Gewalt“. Bröckers’ Befund: Diese Wachhundfunktion ist in den letzten Jahrzehnten unter die Räder gekommen. Die immer stärker werdende Konzentration der Medienbranche habe die Vielfalt der Meinungen im öffentlichen Debattenraum zu einer kontrollierten „Konsens-Manufaktur“ (Noam Chomsky) geschrumpft und den „Wachhund“ zu einem Schoßhund der Mächtigen gemacht. WikiLeaks hatte die Wachhundfunktion übernommen – und schon 2008 richtete die US-Regierung eine Taskforce ein, die Wege finden sollte, diesen Wachhund zum Schweigen zu bringen.
Der Angriff auf WikiLeaks und Julian Assange ist im Kern ein Angriff auf die Pressefreiheit. Deshalb wird offiziell immer wieder betont, dass Assange kein Journalist sei. Sogar die New York Times, sonst eifrig beim Verbreiten von Falschinformationen über Assange, vermerkt, dass WikiLeaks das tut, was traditionelle Presseorganisationen tun: Informationen finden und publizieren, die die Regierung geheim halten will, einschließlich Angelegenheiten der nationalen Sicherheit, und Schritte zu unternehmen, um ihre Quellen zu schützen.
Mathias Bröckers warnt eindringlich vor dem Präzedenzfall, dass die USA einen ausländischen Journalisten anklagen, weil er ihre Geheimnisse publiziert habe. Erstmals soll mithilfe eines Gesetzes aus dem 1. Weltkrieg ein Publizist wie ein feindlicher Spion behandelt werden. Nicht weil er spioniert hat, sondern weil er das von Insidern zur Verfügung gestellte Material über illegale Aktivitäten veröffentlicht hat. Wenn die Auslieferung mit dieser Anklage gelingt und Assange in den USA verurteilt wird, obliegt es dann nicht mehr einer demokratischen Verfassung zu entscheiden, was Journalismus ist und was nicht, sondern dem Gutdünken der US-Regierung und ihrer Geheimdienste. Es geht letztlich darum, das Aufdecken von Verbrechen als Verbrechen zu bestrafen. Edward Snowden sagt dazu: „Wenn das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird, werden wir von Verbrechern regiert.“
Bröckers beendet seine Analyse der Fakten und Zusammenhänge mit einem Aufruf, die Isolationshaft von Assange sofort zu beenden, damit dieser Zugang zu Medien und Kommunikationsmöglichkeiten erhält, um sich angemessen verteidigen zu können. Er fordert Freiheit für Julian Assange, weil dieser keine Verbrechen begangen hat, er hat sie aufgedeckt. „Er hat der Propaganda, den Vertuschungen und Verbrämungen der Kriege im Irak, in Afghanistan, im Jemen den Horror der Wahrheit entgegengesetzt. Er hat nicht gelogen, betrogen oder gestohlen, sondern informiert und aufgeklärt. … Er hat nichts Verbotenes getan, sondern der Öffentlichkeit, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gedient.“
Das ist ein gut recherchiertes und durchdachtes Büchlein, – und nicht zu vernachlässigen – gut geschrieben. Eine engagierte Publikation, nein – da schreibt kein „neutraler“ Journalist, sondern einer, der leider im Gegensatz zu vielen Journalistenkollegen noch „Wachhund“ sein will. Der Publikation sind viele Leser zu wünschen – und Julian Assange viele Unterstützer.
Mathias Bröckers: Don’t kill the messenger. Freiheit für Julian Assange. Mit einem Beitrag von Caitlin Johnstone, Westend Verlag, Frankfurt/Main 2019, 126 Seiten, 8,50 Euro.
Eine Petition für die Freilassung von Julian Assange ist unter anderem hier zu finden.
Schlagwörter: Demokratie, Julian Assange, Margit van Ham, Mathias Bröckers, Pressefreiheit, wikileaks