von Mathias Iven
Clevere Geschäftsfrau, skrupellose Fälscherin, herrische Verwandte – Elisabeth Förster-Nietzsche vereinte all diese Eigenschaften in einer Person. Doch kann man ausgehend von diesen charakterlichen Eigenschaften eine abschließende Beurteilung des Geleisteten vornehmen? Die in den letzten Jahren erschienenen Biographien von Carol Diethe (2001) und Kerstin Decker (2016) haben sich ihr, wie sollte es auch anders sein, sehr unterschiedlich genähert. Zum einen wurden die Ehe mit dem Antisemiten Bernhard Förster und ihre Anbiederungsversuche bei den nationalsozialistischen Machteliten in den Mittelpunkt gestellt, zum anderen waren es Elisabeths Besitzansprüche auf das geistige Erbe des Bruders und die daraus erwachsenen editorischen Verdrehungen.
Es ist, so formuliert es der in Marburg lehrende Historiker und Philosoph Ulrich Sieg, eine „schwierige Aufgabe, eine heftig kritisierte Person, zu der sich leicht verfängliches Material finden lässt, nicht schwärzer, sondern schärfer zu sehen“. Bereits in seinem Buch Geist und Gewalt. Deutsche Philosophen zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus befasste sich Sieg mit einigen Facetten von Elisabeth Förster-Nietzsches Persönlichkeit. Für die nun von ihm vorgelegte Biographie hat er sich noch einmal eingehend mit ihrem Weimarer Nachlass befasst, der – man mag es kaum glauben – vom Umfang her selbst Goethes hinterlassene Papiere überragt und dennoch nicht vollständig erhalten ist. Dementsprechend lassen sich die Motive ihres Handelns nur bedingt mit Dokumenten belegen. Umso mehr überrascht den Historiker die Eindeutigkeit der bisher über sie gefällten Urteile. Gerade wenn es um die Familiengeschichte geht, folgten bisherige Darstellungen „nicht selten den von Elisabeth erfundenen und geglätteten Narrativen“.
Lange Zeit wurde vernachlässigt, dass sich hinter dem ihr aufgezwungenen weiblichen Rollenklischee eine selbstbewusste und selbständig handelnde Persönlichkeit verbarg, die ganz im Sinne ihres Vorbildes Cosima Wagner ihre Interessen in einer von Männern dominierten Welt zu verfolgen wusste. Ihr Tagebuch belegt, dass „Elisabeth eine intelligente Frau mit hoher Beobachtungsgabe und vielfältigen Interessen“ war, deren „Beschäftigung mit geistigen Dingen“ jedoch nur „selten in die Tiefe“ reichte. Im persönlichen Umgang konnte sie dieses Manko problemlos ausgleichen. Die von ihr entfaltete Ausstrahlung sollte vor allem für den seit 1894 betriebenen Aufbau des Nietzsche-Archivs nützlich sein.
„Ohne Paraguay kein Nietzsche-Archiv.“ So brachte es Nietzsches Cousin und Vormund Adalbert Oehler auf den Punkt. Als Elisabeth nach dem Tod ihres Ehemannes Bernhard Förster und dem endgültigen Scheitern des 1886 gemeinsam begonnenen kolonialen Projektes „Nueva Germania“ im August 1893 aus Paraguay zurückkehrte, hatte sie bereits einen Entschluss gefasst: das Werk ihres in geistiger Umnachtung dahindämmernden Bruders musste gezielt vermarktet werden. Es galt nicht nur, Nietzsche „als Marke zu etablieren“, dem Bruder sollte zuvorderst ein „Ehrenplatz im Pantheon der deutschen Geistesgeschichte“ gesichert werden. Dabei stand außer Frage, „dass Nietzsches Genie-Nimbus nach Abgrenzung und Ausschärfung des eigenen Profils verlangte“.
Bei ihrer neuen Aufgabe profitierte Elisabeth vornehmlich davon, dass man sie gemeinhin unterschätzte. Ging es um biographische Details, so betonte sie „den authentischen Zug ihrer Erinnerungen“, schließlich habe sie ihren Bruder wie keine zweite Person gekannt. Für Streitfragen bei der Edition nutzte sie den Umstand, dass ein Gutteil der Originaldokumente in ihrem Besitz war und sie somit darüber bestimmen konnte, wer den Zugang erhielt. Die daraus resultierende Einseitigkeit von Elisabeths Nietzsche-Deutung wurde von nur wenigen Wissenschaftlern durchschaut. Für das Gros galt sie als „Expertin in Sachen Nietzsche“.
In seiner sachlich ausgewogenen Darstellung zeigt Ulrich Sieg anhand bisher wenig beachteter Quellen all die Widersprüchlichkeiten von Elisabeths Persönlichkeit. Sein Resultat lautet: „Die Bedeutung Elisabeths für die Durchsetzung ihres Bruders ist fraglos höher, als es viele Nietzsche-Enthusiasten gern hätten.“
Gerade ihre von der Nachwelt zu Recht verurteilten Fälschungen müssen aus einer anderen Perspektive gesehen werden. Denn, so Sieg, „umsichtig gelesen, zählen Fälschungen zu den wertvollen Quellen des Historikers, die Aufschlüsse über die Wertmaßstäbe einer Epoche geben können“, da sie „gezielt auf die Wünsche der Zeitgenossen ausgerichtet“ sind. Nicht anders bei Elisabeth Förster-Nietzsche. Für Sieg steht jedenfalls fest: „Sie propagierte ihr Nietzsche-Bild erfolgreich, weil sie sagte, was die Menschen hören wollten, und weil sie ebenso bedacht wie zielstrebig vorging.“
Ulrich Sieg: Die Macht des Willens – Elisabeth Förster-Nietzsche und ihre Welt, Hanser Verlag, München 2019, 430 Seiten, 26,00 Euro.
Schlagwörter: Elisabeth Förster-Nietzsche, Friedrich Nietzsche, Mathias Iven, Philosophie, Ulrich Sieg