von Jürgen Leibiger
Alljährlich versammeln sich die Mitglieder der American Economic Association (AEA) Anfang Januar zu ihrer Jahrestagung. Diesmal fand sie vom 4. bis 6. Januar mit über 13.000 Teilnehmern in Atlanta, der Hauptstadt des Bundesstaates Georgia statt. Hunderte von Vorträgen, Diskussionen, Poster-Sessions und Panels wurden in einer thematisch schier unglaublichen Breite abgehalten. Insgesamt 59 führende Universitäten, Forschungseinrichtungen und ökonomienahe Vereinigungen organisierten neben der AEA eigene Veranstaltungen und hielten Empfänge ab. Auch die heterodox und marxistisch geprägte Union of Radical Political Economists war mit über einem Dutzend Veranstaltungen vertreten, was in Deutschland wohl undenkbarer wäre. Freilich: Zu diesen Veranstaltungen kamen jeweils nur ein paar Dutzend Teilnehmer, während sich in den Sälen, in denen die Mainstream-Ökonomen referierten, zu denen in den USA sowohl neoklassisch wie keynesianisch geprägte Richtungen gehören – auch das ist hierzulande eher nicht der Fall – jeweils hunderte Teilnehmer und Disputanten drängelten.
Ein Highlight der dreitägigen Mammutevents ist immer die Presidential Address. Diesmal sprach Olivier Blanchard, viele Jahre Chefökonom des IWF und heute wieder am Massachusetts Institut of Technology MIT tätig, über „Öffentliche Schulden und niedrige Zinssätze“. Der französischstämmige Blanchard gilt als Keynesianer und dementsprechend fiel auch sein Resümee aus. Er plädiere zwar in der gegenwärtigen Situation nicht für eine höhere Staatsverschuldung; angesichts von Zinsen unterhalb der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts – die auch aus historischer Sicht typische Konstellation – würden deren Risiken jedoch oft übertrieben.
Zu den wichtigsten Veranstaltungen gehört auch die Richard-T.-Ely-Lecture zu Ehren des Gründers der Vereinigung. Ely, der unter anderem in Heidelberg bei Karl Knies, einem namhaften Vertreter der Historischen Schule, studiert hatte, initiierte die Vereinigung 1885 nach dem deutschen Vorbild des Vereins für Socialpolitik. Diesmal hielt David H. Autor vom MIT den Vortrag und sprach über „Arbeit in der Vergangenheit, Arbeit in der Zukunft“ und ging dabei insbesondere auch auf die Auswirkungen der neuen Technologien ein. Sowohl hinsichtlich des Bildungsniveaus, der Einkommenssituation und der geografischen Verteilung der Arbeit konstatiert er eine auch künftig wachsende Polarisierung. Gutbezahlte Jobs fänden sich immer mehr nur in akademischen, sich in städtischen Agglomerationen (den superstar-cities) konzentrierenden Segmenten, wohin sich auch die jüngeren, karrierebewussten und männlich dominierten Jahrgänge bewegten.
Der wichtigste Preis der AEA ist die John-Bates-Clark-Medaille. Der US-Amerikaner Clark begründete die Grenzproduktivitätstheorie, die heute in den Lehrbüchern dominierende neoklassische Verteilungstheorie. Die Preisträger gelten nicht selten als Anwärter auf den Wirtschafts-Nobelpreis, den nicht weniger als 23 ehemaligen Präsidenten der Assoziation erhalten haben. Diesmal gewann der Bildungsökonom Parag Pathak vom MIT die Medaille. In der Begründung hieß es, er habe aus den Ergebnissen seiner Forschungen, die auf ausgefeilten und innovativen empirischen und theoretischen Techniken beruhten, bildungspolitische Vorschläge abgeleitet, die das öffentliche Schulwesen und das Leben von über einer Million Schüler positiv beeinflusst hätten. Die Medaille wurde von Ben Bernanke, dem vormaligen Chef der amerikanischen Zentralbank und designiertem Präsidenten der AEA überreicht.
Viele Beiträge befassten sich mit Fragen der globalen Wirtschaftsentwicklung, darunter nicht zuletzt auch mit China, seiner Rolle in der Weltwirtschaft sowie mit dem Handelskrieg zwischen den USA und China. Diese Frage dominierte auch ein von David Lipton, dem ersten Stellvertretenden Direktor des IMF, geleitetes Forum über „Die Zukunft der Weltwirtschaft. Integration oder Fragmentierung?“ In seiner Einführung wies Lipton darauf hin, dass es in der Geschichte der Weltwirtschaft schon immer mal Unterbrechungen der Globalisierungstendenz gegeben habe, die weitgehend politisch und durch Krisen oder Kriege verursacht worden waren. Die Podiumsdisputanten waren sich darin einig, dass der Globalisierungsprozess mit disruptiven Tendenzen auf einzelnen Gebieten einhergehe. Es käme deshalb darauf an, stärker ihre positiven Wirkungen herauszustellen und zu befördern. Keiner der Disputanten konnte sich ein Zurückdrehen dieses Prozesses vorstellen; ein Protektionismus à la Trump werde langfristig nicht erfolgreich sein. Trotzdem seien verbesserte und verstärkte Regularien im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO erforderlich. Der Vertreter der Universität Peking, der am Podium teilnahm, betonte, die Auseinandersetzung dazu habe sogar zu Reformen der chinesischen Handelspolitik geführt, welche die Bemühungen zur Integration dieses Landes in die Weltwirtschaft fördere und die Globalisierungstendenz letztlich bestärke. Mehr Diplomatie geht wohl kaum.
Am Morgen des ersten Tages der Tagung fand eine interessante Interviewrunde mit dem amtierenden Präsidenten der Fed, der US-amerikanischen Zentralbank, Jarome Powell, seiner Vorgängerin Yanet Yellen und deren Vorgänger Ben Bernanke statt. Alle drei betonten, die US-Wirtschaft sei angesichts des Wachstums, der hohen Beschäftigungszahlen und einer moderaten Inflationsrate gut in Form. Über Risiken wurde nur sehr allgemein gesprochen, explizit erwähnten sie nur das verlangsamte Wachstum in China und Asien sowie die Handelsauseinandersetzungen. Risiken innerhalb der US-Wirtschaft oder die allenthalben diskutierte Rezessionsgefahr wurden kleingeredet. Im Übrigen habe man seine Lektion gelernt und viele Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte – Stichwort makroprudenzielle Politik – seien durchgesetzt worden. Auf die Nachfrage des Interviewers, ob das alles hinreichend sei, wurde eingeräumt, es sei noch viel zu tun und Yellen betonte, dass die Erforschung systemischer Risiken weiterhin wichtig bleibe. Als Powell gefragt wurde, ob sein Arbeitsplatz angesichts seiner Differenzen mit Präsident Trump, der die Fed öffentlich für die Zinserhöhung kritisiert hatte, nicht unsicher geworden sei, guckte der erst etwas irritiert und verneinte dass; dann schaute er aber unter allgemeinem Gelächter der Anwesenden kurz auf das Display seines Kommunikationsgeräts und fügte hinzu, zumindest habe er dazu keine Neuigkeiten mitzuteilen. Allerdings wiederholte er in seinem schriftlich vorbereiteten Statement zur Fed-Politik nicht jene Bemerkungen von Mitte Dezember, die dahingehend ausgelegt worden waren, dass die Zentralbank die Zinsen noch weiter anheben würde. Neil Irwin von der New York Times, der die Interview-Runde leitete, vermerkte in einem Artikel einen Tag später, der S&P 500 Index sei daraufhin um 3,4 Prozent nach oben gesprungen. Donald Trump wird es gefreut haben.
Videos, Präsentationen und Papers sind im Internet zugänglich.
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