Die Umbenennung der 1905 von Siegfried Jacobsohn aus der Taufe gehobenen Schaubühne erfolgte beiläufig, jedenfalls unspektakulär. Ohne Vorankündigung in der Ausgabe 13/1918, der letzten unter dem alten Titel, und, mit Ausnahme eines Gedichtes von Theobald Tiger*, ohne ein erklärendes Wort in der Nummer 14 vom 4. April 1918, der ersten unter dem neuen Titel. Auf dem Deckblatt hieß es fürderhin:
Die Weltbühne
Der Schaubühne XIV. Jahr
Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft
Der durch die Jahrgangsangabe hergestellte Bezug zu den Anfängen wurde auch später beibehalten.
Seinen Horizont hatte das Blättchen – Jacobsohns liebevoller Diminutiv für sein publizistisches Lieblingskind – im April 1918 aber längst schon über den ursprünglichen, aufs Theater konzentrierten Ansatz hinaus erweitert. Das war zuvorderst Jacobsohns wichtigstem Mitarbeiter zu danken, der, gerade einmal 23-jährig, 1913 zur Zeitschrift gestoßen war – Kurt Tucholsky.
In den Folgejahren entwickelte sich Die Weltbühne zu dem linksliberalen Periodikum der Weimarer Republik, das mit seiner entschiedenen Kritik am Staat und seinen Organen, an diversen politischen Parteien und ihren führenden Repräsentanten, an der Innen- wie Außenpolitik sowie an der Wirtschaft den Finger ein ums andere Mal auf die Defizite und in die Wunden der jungen Demokratie legte. Auch ihre stilistische und künstlerische Qualität, über die insbesondere Jacobsohn bis zu seinem viel zu frühen Tod im Jahre 1926 wie ein Zuchtmeister wachte, machte die Weltbühne zu einem Solitär im Reich.
Zahlreiche renommierte deutsche Publizisten, Journalisten, Kritiker und Schriftsteller der 1920er Jahre ließen es sich zur Ehre gereichen, an diesem Blättchen mitzuwirken. Lion Feuchtwanger, Erich Kästner, Alfred Döblin und Bertolt Brecht zählten dazu, Else Lasker-Schüler, Ernst Toller, Arnold Zweig und Erich Mühsam nicht minder. Kurt Hiller und Heinrich Ströbel lieferten bei Gegnern und Feinden gefürchtete Leitartikel. Mitarbeiter waren Ringelnatz, Klabund, Morus-Lewinsohn, der vielleicht beste Wirtschaftsjournalist seiner Zeit, Arthur Koestler, Hermann Kesten, Leonhard Frank, Otto Flake, Paul Levi, Max Alsberg, Walter Hasenclever, Theodor Lessing … In Elias Hurwicz hatte Die Weltbühne nicht zuletzt einen der profundesten Kritiker von Fehlentwicklungen im jungen Sowjetrussland. Ab 1926 prägte Carl von Ossietzky maßgeblich das politische Profil der Zeitschrift – vor allem im Kampf gegen die aufkommende braune Barbarei. Ossietzky und andere Weltbühne-Autoren sollten ihr Engagement nach der faschistischen Machtübernahme mit ihrem Leben bezahlen.
Fast 2000 publizistische Mitarbeiter wurden es bis 1933, wie Elmar Holly in seinem 1989 erschienenen „Register sämtlicher Autoren und Beiträge“ zusammengetragen hat.
Zwar kam die Auflage auch zu verlegerisch prosperierenden Zeiten nie nennenswert über die 15.000er-Marke hinaus, doch Reichweite und Wirkung der Weltbühne gingen deutlich darüber hinaus. Tucholsky übertrieb keineswegs, als er schrieb: „Durch tausend Netzkanälchen laufen aus dieser Quelle Anregungen, Formulierungen, Weltbilder, Tendenzen und Willensströmungen ins Reich.“ Die Weltbühne setzte Themen, die aufgegriffen wurden … Die Nazis adelten diese herausragende Position, indem sie die „kleine“ Zeitschrift schon Anfang 1933 verboten.
In der letzten Ausgabe vom 7. März hieß es ungebeugt: „Es wird weitergearbeitet, denn der Geist setzt sich doch durch.“ Die Weltbühne ging ins Wiener Exil, dann ins Prager, schließlich nach Paris, wo sie unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – zusammen mit allen anderen dortigen deutschsprachigen Presseorganen – endgültig verboten wurde.
Die Bewertung der Weltbühne-Zeit von 1918 bis 1933 in der jungen Bundesrepublik entsprang deren Zeitgeist, der maßgeblich von Hekatomben wieder zu Amt und Würden gekommener nazistischer Funktionsträger in allen Bereichen des Staatsapparates, im Pressewesen, in Schulen sowie an Universitäten und nicht zuletzt im Kulturbetrieb geprägt wurde. Von diesem Zeitgeist waren selbst namhafte Zeitgenossen, die in keinerlei Sympathieverdacht für das Dritte Reich standen, nicht frei – wie etwa Golo Mann oder Rudolf Augstein. Der Erfinder des „Sturmgeschützes der Demokratie“ soll hier – pars pro toto – aus seiner Besprechung anlässlich der von Weltbühne-Autor Axel Eggebrecht verdienstvoll verantworteten kompletten Reprint-Ausgabe von 1978 zitiert sein: „Zu den Totengräbern der Weimarer Republik, da hilft kein Vertun, muß auch die ‚Weltbühne‘ rechnen […].“
Mit diesem Verdikt entsprach der sich Spiegel-Gründer ganz und gar dem damaligen geistigen Mainstream, dem – wenige Jahre nach dem sogenannten Radikalenerlass und zu Zeiten verbreiteter Berufsverbote – alles Linke Blasphemie und Schlimmeres war.
In dieser Hinsicht hat sich denn doch einiges geändert. So war jetzt in der Zeit ein Fazit von Alexander Gallus zu lesen, das der Rolle der Weltbühne in den Kämpfen der 1920er Jahre wirklich gerecht wird: „Die ‚Weltbühne‘ deckte auf, eckte an und wagte mehr Demokratie […].“ Denn tatsächlich war die Glanzzeit der roten Hefte eine einzige publizistische Vorwegnahme von Willy Brandts sehr viel späterem legendären Credo.
Im Übrigen – ohne Humor, wenn nötig beißend, der ebenfalls ein Markenzeichen der Weltbühne war, wären die politische wie soziale Dramatik der Zeitläufte, die zu den „goldenen Zwanzigern“ zu verklären Späteren vorbehalten blieb, schwerlich durchzustehen gewesen. Und geblieben sind auch Anekdoten – so jene Erklärung Ossietzkys, wie die Seinen zu ihrem „von“ kamen: Einem Vorfahren, der im 17. Jahrhundert Dienst in einem polnischen Ulanenregiment getan habe, hätte der Große Kurfürst ob leerer Kriegskasse den Sold nicht in bar entrichten können. Stattdessen habe er allen Regimentsangehörigen in einen höheren Stand verholfen.
Die Redaktion
* – Tiger dichtete auf Seite 331 des 1918er Jahrgangs:
An die Weltbühne
Mein gutes Blatt! Wie hast du dich verändert!
Den Musentempel schließt du beinah zu;
mit Politik, Kunst, Wirtschaft Dich bebändert,
so geht dein Vorhang auf: auch du, mein Kind, auch du?
Du willst dich gleichfalls in den Strudel stürzen?
Randstaaten? Westfront? Die Veränderungswahl?
Nur eines kann mir meinen Kummer würzen:
Es war einmal …
Es war einmal … da glaubten wir noch Beide
an Kunst und an Kultur, an Menschentum –
an deine ziegelrote Wand schrieb ich mit Kreide
die Namen meiner Lieben an zum Ruhm.
Wir dachten: essen und organisieren
sind Selbstverständlichkeiten, tief im Tal –
und auf den Bergen gehen wir spazieren …
Es war einmal …
Du Lieber Gott, wie hat sich das gewandelt!
Wir schuften, bis dem Land die Schwarte knackt.
Und kein Professor, der nicht gerne handelt,
mit weichem Klitschebrot, das er sich backt.
Es war einmal … Glück auf zur neuen Reise!
Eng wars einmal – heut bist du bunt und weit.
Doch kehrʼ noch manchmal dich zurück im Kreise
zur alten Zeit!
Schlagwörter: Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Schaubühne, Siegfried Jacobsohn, Weimarer Republik, Weltbühne