20. Jahrgang | Nummer 2 | 16. Januar 2017

Bemerkungen

Die Namenspatronin der Sibylle

Sie gab einem der interessantesten Print-Erzeugnisse der DDR ihren Namen, der sechsmal im Jahr erschienenen Modezeitschrift Sibylle. Trotz beträchtlicher Auflagenhöhe (200.000 Exemplare wurden regelmäßig gedruckt) war die Zeitschrift ebenso wie Das Magazin „Bückware“. Die Rede ist von Sibylle Boden-Gerstner. Die von ihr verantwortete Null-Nummer im Jahre 1956 hieß so – und dabei sollte es auch bleiben. Sie selbst, 1920 in Breslau geboren, der jüdische Vater kam in der Nazi-Haft ums Leben, arbeitete in den 1950er Jahren in der DDR als freischaffende Malerin und Kostümbildnerin. Verheiratet war sie mit dem Journalisten Karl-Heinz Gerstner (manche werden sich noch an dessen wöchentliche Kolumne auf Radio DDR I erinnern: „… sachlich, kritisch und optimistisch – wie immer!“). Bei der Sibylle hielt es sie als stellvertretende Chefredakteurin und künstlerische Leiterin bis 1961. Ihr Weggang hatte offenbar etwas mit offiziöser Kritik an ihrer Modekonzeption als „zu französisch“ zu tun. Ein Vergleich mit den Pramo-Ausgaben (bis 1963 Praktische Mode – die hatte in jeder Ausgabe zwei Schnittmusterbögen!) jener Jahre lohnt sich. Mit dem biederen Horizont der SED-Frauenpolitik war der Anspruch der Sibylle tatsächlich nicht kompatibel. Mode galt zudem in jenen Jahren als unnützes bürgerliches Erbe, dessen man sich möglichst rasch entledigen zu können glaubte. In der Propaganda jedenfalls. Und ein – wenn auch verstohlener – Blick auf die Inkarnation spätbürgerlicher Dekadenz, auf Paris, stand nun hochgradig unter Kosmopolitismus-Verdacht und ging gar nicht. Die im Jahre des Boden-Gerstnerschen Ausstiegs bei der Sibylle als Moderedakteurin eingestiegene Dorothea Bertram (später Melis) sah die Gründungsjahre der Zeitschrift entschieden anders: Sie schrieb 1998 in einem Aufsatz über die Geschichte der Sibylle von „einem begrenzten intellektuellen Anspruch“, biederer Modeauffassung und „simplen Modefotos, die höchstens einer Schnittmusterzeitung gerecht wurden“.
Jedenfalls arbeitete Boden-Gerstner dann wieder als Kostümbildnerin für Film und Fernsehen, vor allem in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Kasprzik. Wer Filme wie „Kleiner Mann was nun“ (1967), „Die Brüder Lautensack“ (1973) und „Abschied vom Frieden“ (1979) sieht, spürt ihre Handschrift. Da ist es wieder, das leichte „Französisch“, mit dem sie Aktricen wie Inge Keller oder Angelica Domröse einkleidete. Das Ehepaar Gerstner hatte zwei Töchter: Daniela Dahn (geboren 1949) und Sonja (geboren 1952). Die jüngere litt an einer psychotischen Erkrankung und musste die bitterböse Erfahrung machen, dass auch in der DDR eine psychiatrische Behandlung mit vollkommener Aufgabe der eigenen Persönlichkeit und schmerzhaft-zerstörerischen, letztlich sinnlosen Therapien verbunden war. Sie ging 1971 aus dem Leben. Zehn Jahre später veröffentlichte die Mutter unter dem Pseudonym Sibylle Muthesius mit „Flucht in die Wolken“ einen berührenden und zutiefst erschütternden Bericht über ihre Tochter, der sich als wohl erste Publikation im Lande kritisch mit den Grenzen der traditionellen Psychiatrie auseinandersetzte und zum Bestseller wurde. In der Folge kam es auch in der DDR zu dem, was man heute „Psychiatrie-Debatte“ nennen würde – ein auch in der neuen deutschen Republik noch längst nicht erledigtes Thema.
Sibylle Boden-Gerstner starb am 25. Dezember im Alter von 96 Jahren in Berlin.

Alfred Askanius

Staatsopern-Eklat

Es war so oder so eine angemessene Ehrung für einen Mann, der die Staatsoper Unter den Linden (damals Deutsche Staatsoper) so lange wie wenige andere leitete. Prof. Hans Pischner fungierte von 1963 bis 1984 als Intendant und bescherte dem Hause eine künstlerisch glückliche Ära. Anfang Oktober besuchte der 102-Jährige eine Premiere im Ausweichhaus Schillertheater, wie Intendant Jürgen Flimm berichtete. Ende Oktober starb der auch als Cembalist gefeierte einstige Herr des Hauses. (Blättchen 25/2016).
„Zwischen den Jahren“ fand im dicht besetzten Gläsernen Foyer des Schillertheaters eine Trauerfeier mit einer klugen Mischung aus Quintetten, Gesang und Reden statt. Unter den prominenten Gästen wurden nicht nur solche aus dem Musikleben erkannt, auch Schauspieler Manfred Borges, die Schriftsteller Volker Braun und Christoph Hein sowie Grafik-Experte Harald Kretzschmar waren erschienen. Jürgen Flimm und Daniel Barenboim sprachen sehr achtungsvoll über den Dahingeschiedenen und erhielten entsprechenden Applaus. Als Kammersänger Siegfried Lorenz jedoch für persönliche Erinnerungen ans Pult trat, blieb es nicht gemütlich. Der gefeierte Schubert- und Mahler-Interpret, der als junger Künstler von Pischner 1978 an die Staatsoper geholt wurde und dort als lyrischer Bariton in Wagner-, Mozart- und Pfitzner-Partien glänzte, hob nicht nur diese Ära hervor. Pischners Stellvertreter und Nachfolger Günter Rimkus übergehend, beklagte er den künstlerischen und personellen Umbruch, der unter der Intendanz Georg Quanders 1991 einsetzte. Quander kam – ebenso wie einst Pischner – vom Rundfunk, aber dem Westberliner. Und wenn er damals 700 Opern-Mitarbeiter vom künstlerischen wie vom technischen Personal „freisetzte“, so entsprach er damit nicht nur eigenen Wünschen, sondern auch denen der Politik. Lorenz griff Quander, der zur Ehrung seines Vor-Vorgängers im Parkett saß, als Vernichter an. Das war nur ein Teil seines würdigenden Pischner-Nachrufs, bewirkte aber einen Beifallsorkan im Publikum.
Das ließen Flimm und Barenboim nicht auf sich sitzen. Der Intendant zeigte sich in einem kurzen Statement enttäuscht, dass der Gast Lorenz die Trauerfeier nutzte, um „alte Rechnungen aufzumachen“. Nach einer musikalischen Einlage fühlte sich auch Barenboim, seit 1992 an Quanders Seite Generalmusikdirektor der Staatsoper, bemüßigt, Flimm zur Seite zu springen. Man habe sich nur von Mitarbeitern getrennt, die „nicht mehr gut“ waren. Ein deutlicher Affront gegen Lorenz, der zu Beginn der neunziger Jahre Mitte vierzig war und noch auf dem Zenit seines Könnens stand.
Zu weiteren Bekundungen kam es nicht mehr – also nur ein kleiner Eklat, der aber zeigt, wie gespalten die Berliner Kulturpolitik ist, und dass allzu Vieles nicht aufgearbeitet wurde. Hans Pischner war jemand, der Gräben überwinden wollte, aber doch wohl nur als sympathischer Greis galt. Das wurde dem ehemaligen stellvertretenden Kulturminister der DDR nicht gerecht.

Frank Burkhard

Nekrologe-Nachtrag

Auffällig ist schon, wie die Jahresrückblicke in den „gesamtdeutschen“ Medien ausfallen. Selbst an sehr bekannte Künstler, die uns 2016 verlassen haben, wird – wenn überhaupt – nur mit Namensnennung, wenn´s hoch kommt noch mit einem Foto erinnert, wie bei Gisela May, Hermann Kant oder Lothar Kusche. Eine Freundin hat beim ZDF mitgezählt. Von rund fünf Dutzend mit einer Erinnerung Geehrten hatte etwa ein Zehntel wesentliche künstlerische Wirkung im Osten erreicht (und da ist der Russe Oleg Popow schon mitgezählt). Noch schlechter sähe die Bilanz aus, wenn Schauspieler, die ab Ende der siebziger Jahre in der BRD Karriere machten, nicht berücksichtigt würden, wie Hilmar Thate oder Manfred Krug, der ja laut unseren Medien bei der DEFA nur einen einzigen Film gedreht hat: „Spur der Steine“.
Umso mehr bedauere ich, dass Prominente, die selbst im Jahresrückblick des neuen deutschlands stiefmütterlich behandelt wurden, auch bei uns in Nr. 26 unter den Tisch fallen mussten. Dreien sei hier gedacht.
Anne-Rose Neumann, die im April mit 80 Jahren in Greifswald starb, war für mehr als ein Jahrzehnt ständiger Gast auf DDR-Bildschirmen. Die Palucca-Schülerin war von Walter Felsenstein nach Berlin geholt worden. Als sie zum Friedrichstadtpalast wechselte, spielte sie nebenher Kabarett. Durchaus nicht folgerichtig war, dass sie zum Fernsehfunk wechselte, um in der Aktuellen Kamera die Nachrichten zu sprechen (wo sie ihre kabarettistische Ader unterdrückte). Als sie am Frauentag 1963 zum ersten Mal erschien, war sie mit weitem Abstand die erste Frau unter den vielen Nachrichten-Herren im gesamten deutschsprachigen Fernsehen. 1976 verabschiedete sie sich in den Hintergrund und hatte als Mutter dreier Kinder ein journalistisches Studium absolviert. Bis 1990 wirkte sie als Redakteurin.
Zu den international angesehensten Filmregisseuren der DDR zählte Kurt Weiler, der im August 2016 wenige Tage vor seinem 95. Geburtstag in Kleinmachnow starb. Sein Metier war der Animationsfilm. Viele Werbefilme entstanden für die DEWAG, zahlreiche Kinderfilme für die DEFA. Weiler, als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Niedersachsen aufgewachsen, konnte nach einer ersten Verhaftung nach den Pogromen von 1938 kurz vor Kriegsausbruch mit einem Kindertransport nach England entkommen. In Oxford begann er ein Kunststudium, das ihm als „feindlichem Ausländer“ aber bald verwehrt wurde. Im Krieg arbeitete Weiler in verschiedenen Berufen und schloss sich der sehr aktiven britischen FDJ an. Bei einem kleinen Studio erlernte Kurt Weiler nach dem Krieg das Handwerk des Trickfilmers und zog 1950 in die DDR. Hier drehte er Puppen- und Zeichenfilme, auch einen Kinderspielfilm. Auf diesem Gebiet wurde Weiler in den siebziger Jahren enger Mitarbeiter für Tricksequenzen in den Kinderfilmen des ebenfalls 2016 verstorbenen Rolf Losansky. Weilers Filme waren selten gefällig, oft ästhetisch anspruchsvoll und erhielten auch im Ausland Preise – von Moskau bis Bilbao. Darum war er der richtige Mann für die Betreuung des in der DDR angesiedelten Archivs der ASIFA, einer internationalen Vereinigung von Trickfilmern. 2004 erhielt er den Ehrenpreis der DEFA-Stiftung.
Jung und Alt erfreute auf ganz andere Weise ein Mann, der im November mit 84 Jahren starb. Der Komiker Paul Arenkens mit der charakteristischen Glatze wirkte in vielen Fernsehschwänken mit. In erster Linie war er jedoch langjähriges Mitglied des Metropol-Theaters, wo er beispielsweise den Sigismund im „Weißen Rössl“ spielte. Als „Type“ war er in verschiedenen Filmen mit dabei – vom „Unsichtbaren Visier“ über „Spuk unterm Riesenrad“ bis zu den „Drei reizenden Schwestern“. Nach schmerzlicher Abwicklung des Metropol-Theaters stand Arenkens unter anderem im Theater Karlshorst in Wolfgang Helfritschs kabarettistischem Musical „Paul Lincke ist nicht totzukriegen“ auf der Bühne. Nach einem Herzinfarkt spielte er 2000 eine letzte Vorstellung und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Fürs Publikum schmerzlich, aber ihm gab dieser Entschluss noch einige schöne Jahre.

F.-B. Habel

Sendeschluss vor 25 Jahren

In den zurückliegenden Monaten häuften sich die „silbernen“ Jahrestage zur deutschen Vereinigung – von der Maueröffnung über die letzte Volkskammerwahl, die Währungsunion, den Einigungsvertrag bis hin zum Tag der Deutschen Einheit. Ein beinahe abschließendes Datum dieser historischen Entwicklung war der 31. Dezember 1991. Im Artikel 36 des Einigungsvertrages war dieses Datum festgeschrieben, bis zu dem der „Rundfunk der DDR“ und der „Deutsche Fernsehfunk“ als gemeinschaftliche staatsunabhängige, rechtsfähige Einrichtung weitergeführt werden sollten. Dabei war erst am 12. März 1990 aus dem „Fernsehen der DDR“ wieder – wie bis 1972 – der „Deutsche Fernsehfunk“ geworden.
Der Einigungsvertrag sah auch die Berufung eines „Rundfunkbeauftragten“ vor, der bis zum „bitteren Ende“ die Exekutivgewalt über das ganze Fernseh- und Rundfunkwesen in den östlichen Bundesländern und in Ost-Berlin übernehmen sollte. Für die Abwicklung wurde ausgerechnet der bereits pensionierte CSU-Mann Rudolf Mühlfenzl ausgewählt – übrigens auf persönliche Intervention von Helmut Kohl. Mühlfenzl, der bereits in den Siebzigerjahren als Fernsehchefredakteur den Bayerischen Rundfunk nach parteipolitischen Interessen ausgerichtet hatte, bekam also den politischen Auftrag, die Sendezentralen in Adlershof und der Nalepastraße zu zerschlagen.
Am 8. November 1990 trat Mühlfenzl sein Amt mit der Maxime „Rundfunkfragen sind Machtfragen“ an – zu einer Zeit, da sich das neue DFF-Programm bei den Ostdeutschen wachsender Beliebtheit erfreute. Das Fernsehen der DDR erlebte eine kreative Aufbruchstimmung – zahlreiche neue und kritische Sendeformate waren entstanden. Doch Mühlfenzl und seine bundesdeutsche Beratergruppe waren nicht als Entwicklungshelfer, sondern als Abwickler gekommen. Bis Ende 1990 wurden bereits 2000 Mitarbeiter entlassen – und das war erst der Beginn des Personalabbaus. Bis Ende 1991 sollten ihm immerhin rund 10.000 Hörfunk- und Fernsehmitarbeiter aus allen Sparten zum Opfer fallen.
Die erste Stufe der Abschaltung erfolgte bereits am 15. Dezember 1990, als ARD und ZDF auf die DFF 1-Frequenz aufgeschaltet wurden. Für das DFF-Programm blieb die Frequenz des bisherigen 2. Programms. Durch diesen „Frequenzcoup“ – übrigens ohne jegliche Rechtsgrundlage – sollten die beiden Westprogramme auch in den bisherigen „Tälern der Ahnungslosen“ Uckermark und Sächsische Schweiz in guter Qualität erreichbar sein.
Am 31. Dezember 1991 um 19.50 Uhr trat Mühlfenzl schließlich vor die Fernsehkamera und verkündete das Ende des „Staatsrundfunks der DDR“. Ganze vier Minuten dauerte diese öffentliche Vollzugsmeldung. In der abschließenden Silvestergala, der letzten Sendung des DFF, flimmerten noch einmal zahlreiche DDR-Stars wie Frank Schöbel, Herbert Köfer, Dagmar Frederic, Wolfgang Stumph oder das Fernsehballett über den heimischen Bildschirm. Danach wurde in Adlershof das Licht nach 39 Jahren und elf Tagen ausgeknipst. Damit vollendete sich der bisher wohl tiefstgreifende Einschnitt in die deutsche Rundfunkgeschichte.

Manfred Orlick

Musikalische Inspirationen durch Friedhofsarbeit

Ein herausragendes Album aus dem Kalenderjahr 2016, in dem so viele Musikheroen – von Prince bis Leonard Cohen – verstorben sind?
Es lohnt, den Blick wieder mal gen Norden zu richten. Christian Kjellvander hat hierzulande immer einen Geheimtipp-Status. Der Musiker hat vor einigen Jahren in Österaker, einem winzigen schwedischen Dorf, eine alte Kirche gekauft. Und dort hat er zusammen mit seiner Band die CD „A Village: Natural Light“ aufgenommen. Der Kirchenraum bietet ein stimmiges Ambiente für dieses Werk – und gleichzeitig eine akustische Verstärkung für das Album. Das melodisch-melancholische Gitarrenspiel wie auch die markante, tiefe Stimme des Bandleaders verweben sich zu einem dichten Klangteppich.
Nicht Weltschmerz und die Sehnsucht nach exotischen oder heilen Welten bestimmen die Lieder. Im Fokus steht „the village“ (das Dorf). Der Blick auf sich selbst, auf die Familie und die Freunde bedarf keiner grellen Großstadtilluminationen.
Interessanterweise hatte Christian Kjellvander in der Zeit, als diese Songs entstanden sind, einen Teilzeitjob auf einem Friedhof angenommen. Möglichst handfeste Arbeit als Basis für musikalische Kreationen. Und das Dorf als Mikrokosmos der Welt, in der wir leben und eines Tages auch sterben.
Christian Kjellvander widerstrebt affektiertes Gehabe und Wichtigtuerei. „Please forget me, when I’m gone. I was never here…“ (Bitte vergiss mich, wenn ich gegangen bin. Ich war nie hier), heißt es im Lied „Riders in the Rain“.
Nein, diese Musik wirkt nach, wirkt länger – und hinterlässt Spuren.

Thomas Rüger

Christian Kjellvander: „A Village: Natural Light“, Tapete Records, circa 15 Euro.

Wirsing

In mehreren Ausgaben von rbb aktuell wurde das Fernsehpublikum über Schreckliches informiert: „Eine Maschine der Fluggesellschaft Air Berlin ist am frühen Morgen außerplanmäßig in Nürnberg notgelandet.“ Offenbar wird nicht gemeldet, wenn Maschinen dieser Gesellschaft planmäßig sonstwo notlanden. Darüber würde ich mich als Besitzer dieser Linie beim rbb ausdrücklich beschweren.

Fabian Ärmel

Späte Erkenntnis eines gelegentlichen Müsli-Essers

Die Kulturheidelbeere ist ein artifizielles Produkt, dem sich nur mittels eines Geschmacksverstärkers wie Zucker noch eine Restidee von Heidelbeeraroma entlocken lässt.
Bei der Kulturbrombeere gelingt nicht einmal mehr dieses.
Einziger Trost: Wer nie Waldheidel- oder wilde Brombeeren aß, hat keine Vorstellung davon, was ihm vorenthalten wird.

Alfons Markuske

Medien-Mosaik

Dunkle Jahre mit Depressionen und Drogenexperimenten liegen hinter der jungen Luca. Jetzt hat sie sich gefangen und will auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur nachholen. Mit ihrem älteren Mitschüler Kurt entwickelt sich eine wirkliche Freundschaft, während das Verhältnis zu ihrer Mutter nicht unproblematisch ist.
Regisseur Philipp Eichholtz hat einen sympathischen kleinen Alltagsfilm voller Humor gedreht, der die Stadt von einer ungewohnten Seite zeigt. Die Schauspieler (überzeugend Martina Schöne-Radunski und Hans Heinrich Hardt als Luca und Kurt) improvisierten mit Frische und gaben der Geschichte Glaubwürdigkeit. Im vergangenen Jahr holte sich der Film in Görlitz zu Recht den Publikumspreis des Neiße-Filmfestivals.

Luca tanzt leise. Regie Philipp Eichholtz, Verleih Daredo Media, ab 19. Januar in ausgewählten Kinos.

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Den Deutschen Karikaturenpreis 2016 erhielt Klaus Stuttmann für sein Blatt „Das Elend dieser Welt“ zur Flüchtlingsproblematik aus dem April. Selten hat jemand das Thema „arm und reich“ so bitterböse auf den Punkt gebracht. Wer es sehen möchte – auf S. 91 von Stuttmanns neuem Jahresband für 2016 „Voll auf Kurs“ kann er es finden. Das Titelblatt schmückt eine angeschlagene Angela Merkel. Und tatsächlich ist Stuttmann ja gerade für seine Ideen zu unserer Kanzlerin berühmt. 2016 läuft ihr aber ein anderer fast den Rang ab. Klaus Stuttmann porträtierte Donald Trump schon im Januar, als wir alle uns das „dicke Ende“ noch nicht vorstellen konnten. Sein Fazit zur Wahl: „Was für ein Geschenk!“ (Aber nur für Karikaturisten …) Das durchgehend farbige Buch ist wie gewohnt in Monatskapiteln eingeteilt, für die Walther Fekl schöne Erinnerungshilfen beigesteuert hat. Ein intelligenter Jahresrückblick zum Nachdenken und Schmunzeln.

Klaus Stuttmann: Voll auf Kurs. Schaltzeitverlag, Berlin 2016, 224 Seiten, 19,90 Euro.

bebe

Blätter aktuell

Ob in den Vereinigten Staaten, Frankreich oder Ostdeutschland: Überall wenden sich große Teile der Arbeiterschaft rechtspopulistischen Parteien zu. Den Grund  sieht der Erziehungswissenschaftler und Blätter-Mitherausgeber Micha Brumlik im Zusammenspiel von Globalisierung und Digitalisierung. Beide Prozesse bedrohen die Existenz der Arbeiterschaft und treiben sie in die Hände von Reaktionären.
Im August dieses Jahres jährt sich der Beginn der Finanzkrise zum zehnten Mal. Doch obwohl insbesondere die neoklassischen Ökonomen den Crash mitproduzierten und zugleich nicht vorhersahen, haben sie sich seither nicht mit ihrem Scheitern auseinandergesetzt. Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann warnt eindringlich vor den fatalen Konsequenzen einer solch realitätsfremden Wissenschaft. Sie fordert: Die Ökonomie muss zu Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes zurückkehren und sich zugleich neu erfinden.
Noch vor ein paar Jahren galt Afrika als Boomkontinent. Doch mit dem Rückgang der Rohstoffpreise endete der wirtschaftliche Aufschwung. Damit ist eine Chance vergeben worden, bilanziert der Afrika-Experte Jörg Goldberg. Mehr noch: Die ohnehin schmale industrielle Basis ist weiter erodiert. Hoffnung macht ein Aufschwung sozialer und demokratischer Bewegungen, die sich zunehmend auch mit wirtschaftlichen Fragen wie der Aufteilung und der Kontrolle der Ressourcenrenten befassen.
Dazu weitere Beiträge – unter anderem: „Die neuen Medienmacher. Wie Konzerne Marketing als Journalismus verkaufen“, „Frankreich: Schockstrategie gegen Le Pen“ und „Verdunklung als Prinzip: Geheimdienste und rechter Terror“.

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Blätter für deutsche und internationale Politik, Berlin, Januar 2017, Einzelpreis 9,50 Euro, Jahresabonnement 79,80 Euro (Schüler & Studenten 62,40 Euro). Weitere Informationen im Internet.

WeltTrends aktuell

Heute operiert der Heilige Stuhl global. Nicht nur ist der Vatikan weltweit bestens vernetzt – mit der „ältesten Diplomatie der Welt“, so der hiesige Nuntius in seinem Beitrag. Er agiert höchst aktiv (und mediengewandt) auf den Bühnen der Welt, ob bei UN-Vollversammlungen oder Klimakonferenzen. Und in der Regel applaudiert man ihm dabei, egal ob die Delegierten katholisch, protestantisch oder atheistisch sind. Beim genaueren Blick auf die politischen Praktiken in der Vergangenheit fällt der Beifall schwächer, die Kritik stärker aus. Dieses ganze Spektrum umfasst das Thema der aktuellen WeltTrends-Ausgabe – der ersten im 25. Jahr des Bestehens der Zeitschrift.
2016 war nicht nur turbulent, sondern auch kriegerisch. Opfer von Gewalt waren weltweit zu beklagen; ob in Syrien, Irak, Afghanistan, im Osten Afrikas, in Europa, im Osten wie im Westen, oder an den südlichen Grenzen der EU. Es wird Zeit, dass sich Deutschland seiner Verantwortung bewusst wird, sich entschiedener und selbstbewusster für die politische Lösung der Konflikte und für globale Kooperation auf fairen Grundlagen einsetzt. Mit Blick auf die Bundestagswahlen im Herbst 2017 könnte eine rot-rot-grüne Außenpolitik dafür eine gute Voraussetzung sein, schreibt hoffnungsvoll der Grünen-Politiker Jürgen Trittin im Kommentar.

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WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 123 (Januar) 2017 (Schwerpunktthema: „Päpste und Politik“), Potsdam / Poznań, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.