Götz Aly, Historiker & Kolumnist – Sie erinnerten dieser Tage und damit rechtzeitig daran, dass am 21. Juni 1941, also vor 75 Jahren, der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion begann, und Sie fragten: „Was wird unseren politischen Repräsentanten zum 75. Jahrestag einfallen? Hat das Deutsche Historische Museum eine spezielle Ausstellung vorgesehen? Was wird das Militärhistorische Museum in Dresden, betrieben von der Verteidigungsministerin, beitragen? Plant die Kulturstaatsministerin eine Sonderausstellung und eine neue Datenbank zu den Kunstwerken, Buchschätzen und Museumssammlungen, die deutsche Soldaten in der Sowjetunion plünderten und zerstörten? Werden die Berliner Philharmoniker in St. Petersburg, Kiew und Minsk versöhnende Konzerte veranstalten? Nichts davon! Wenn es derart wurstig weitergeht, wird das offizielle Deutschland am 22. Juni geschichtspolitische Ignoranz und bodenlose Rohheit demonstrieren – und das in politisch angespannten Zeiten, in denen es auf symbolischen Akte ankäme.“ Sie sind aber offenbar nicht restlos pessimistisch, denn Sie beendeten Ihre Kolumne in der Berliner Zeitung mit einem: „Wunder sind möglich, jedoch selten.“ Wir befürchten allerdings, das wird sich auch dieses Mal wieder bewahrheiten.
Delmer Berg, an unreconstructed (unbeirrbarer) Communist (O-Ton The New York Times) – Sie waren der letzte Überlebende der Abraham-Lincoln-Brigade, die aus etwa 3.000 US-amerikanischen Freiwilligen bestand und im Spanischen Bürgerkrieg aufseiten der Republik kämpfte. Hunderte Ihrer Kameraden bezahlten dieses Engagement mit Ihrem Leben. Ihnen war es vergönnt, in Ihre Heimat zurückzukehren. Jetzt sind Sie im biblischen Alter von 100 Jahren gestorben. In einem Nachruf, den die New York Times unter dem Titel „Salute to a Communist“ publizierte, hieß es: „Delmer Berg war keine Berühmtheit. Er war weder besonders wohlhabend noch einflussreich. Ein öffentliches Amt bekleidete er nie. Er war Kalifornier. Er arbeitete in der Landwirtschaft und als Steinmetz. […] Als Mr. Berg nach Spanien ging, war er ein sehr junger Mann. Er kämpfte in einer der größten und folgenreichsten Schlachten des Krieges. Er wurde verwundet. Er sah Freunde sterben. Ihm war klar, dass er sein Leben für eine verlorene Sache eingesetzt hatte, für ein Volk, das er kaum kannte, aber dem er sich verpflichtet fühlte und das er nicht im Stich ließ. Dann kehrte er heim […] und kämpfte den Rest seines langen Lebens hindurch für die Dinge, an die er glaubte. An die meisten dieser Dinge glaube ich nicht, ausgenommen hieran: Ich glaube, dass, wie John Donne schrieb, ‚kein Mensch eine Insel‘ ist, ‚vollständig in sich selbst‘ – denn ein jeder ist ‚Teil des Festlands‘, des Ganzen. Und ich glaube, dass ‚der Tod jedes einzelnen Menschen mich vermindert, weil ich Teil der Menschheit bin‘. Delmer Berg lebte diesen Glauben. […] Ich verneige mich vor ihm. Er ruhe in Frieden.“
Der Verfasser dieser Ehrung? John McCain – der rechtskonservative republikanische US-Senator und 2008 Präsidentschaftskandidat.
Jan Böhmermann, zwar nicht der Staatsfeind Nr. 1, aber wohl auch kaum einer, mit dem sich wirklich Staat machen ließe – In der Zeit benoteten Sie gerade Ihren Ziegen-Fi …-Auftritt mit summa cum laude: „Das war eine wahnsinnig gute Nummer […].“ Den nachfolgenden Auftritt der Kanzlerin sehen Sie aber offenbar eher unterhalb rite: Die habe Sie „filetiert, einem nervenkranken Diktator zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei“ aus Ihnen gemacht. Doch mal ehrlich, überschätzen Sie da Ihr politisches Schlachtgewicht nicht ein wenig? Wie auch Ihre Bedeutung für wen oder was auch immer? Von Ihrem kabarettistischen Niveau im Falle Erdoğan gar nicht zu reden. Dass Sie allerdings mit Ihrer sinist‘ren Suada auf den Sonnenkönig vom Bosporus einen in jeder Hinsicht adäquaten Resonanzboden touchieren würden, lag natürlich auf der Hand, denn der betreffende Herr und seine Absonderlichkeiten sind ja hierzulande nicht nur Ihnen hinlänglich vertraut. Insofern und mit Verlaub, Herr Böhmermann, gibt es in diesem ganzen Sturm im Wasserglas zwischen Ankara und Berlin eigentlich nur eine einzige bleibende Enttäuschung: Sie.
Alfred Dorfer, österreichischer Kabarettist und Schauspieler – Sie wurden gefragt, ob man denn gar nichts gegen Rechtspopulisten machen könne und antworteten: „Doch. In Einzelfällen genügt es bereits, ihnen ein schnelles Auto zur Verfügung zu stellen.“ Das führt uns zu der Überlegung, ob die deutsche Automobilindustrie nicht als schnelle Teilwiedergutmachung für ihren Jahrhundertbeschiss in Sachen Schadstoffausstoß eine größere Anzahl entsprechender Damen und Herren hierzulande angemessen PS-stark motorisieren sollte …
Senta Berger, die mit der hinreißenden Ausstrahlung – In frühen Streifen kam Ihre Wirkung vor allem aus Ihrer madonnenhaften jugendlichen Schönheit. Pars pro toto sei hier an Sam Peckinpahs Western „Major Dundee“ von 1965 erinnert. Dann kamen Jahre italienischer Filme, über die des Sängers Höflichkeit am besten schweigt. Doch die haben Sie unbeschadet und künstlerisch gereift überstanden. Spätestens 1985 in der legendären Serie „Kir Royal“ lernte Sie auch ein breites deutsches Publikum kennen und schätzen, in dessen Herzen Sie sich endgültig als „Schnelle Gerdi“ (1989) spielten. Bereits seit 2002 geben Sie in der Ausnahme-Serie „Unter Verdacht“ ein ums andere Mal eine Ermittlerin der etwas anderen Art. Glanzstücke auch Ihre Rollen der Rita Böhm in „Frau Böhm sagt Nein“ (2009) und der Dorothee Lessing in „Operation Zucker“ (2012). Ihre Auszeichnungen sind Legion.
Am 13. Mai feiern Sie ihren 75. Geburtstag. Wir gratulieren schon mal herzlich und wünschen nicht nur Ihnen, alles was sich geziemt, sondern vor allem uns Sie in weiteren bleibenden Rollen!
Heiko Maaß, Verdienter Neuerer des Volkes – Sie sind drauf und dran, als bis dato innovativster Bundesjustizminister in die Annalen dieses Landes einzugehen, denn Sie haben ein Gesetz in Vorbereitung, das sich, träte es formell in Kraft, in praxi sofort selbst wieder außer desselben setzen würde: Sie wollen die bisher verbotene TV- und Radioübertragung von Urteilsverkündungen zumindest aus Bundesgerichten gesetzlich gestatten. Dagegen haben die Präsidenten aller fünf potenziell betroffenen Gerichte schon in einem Frühstadium des Verfahrens und sehr grundsätzlich Widerspruch eingelegt. Unter anderem mit dem Argument, dass es der Würde der Justiz abträglich sei, dass ein Richter, der sich bei einer Urteilsverkündung verspreche, anschließend sofort im nächsten Satire-Magazin oder zumindest auf Youtube lande. Daraufhin haben Sie Ihren Gesetzentwurf in einem zentralen Punkt modifiziert: Bild- und Tonübertragungen sollen künftig demzufolge nur dann möglich sein, wenn der jeweilige Vorsitzende Richter dem zustimmt. Da es aber gerade die Vorsitzenden Richter und Gerichtspräsidenten sind, die prinzipiell gegen solche Übertragungen votieren, dürfte klar sein, dass diese – wiewohl das Gesetz sie ausdrücklich gestattete – auch künftig unterbleiben werden. Das ist wie „Warten auf Godot“ – absurdes Theater. Aber vielleicht wäre aus Ihnen ja ein passabler Dramaturg geworden …
Richard Nixon, Scheusal par excellence – Als solches sind sie, nachdem Sie im Gefolge des Watergate-Skandals aus dem Amt gejagt worden waren, Ihren Landeskindern in Erinnerung geblieben. Daran hat jüngst Kollege Hannes Stein in der Welt erinnert. Um Ihnen dann doch eine Art postumer Ehrenrettung angedeihen zu lassen: „Richard Nixon verfing sich am Ende in den Fallstricken, die er selber ausgelegt hatte […]. Allerdings werden auch seine ärgsten Gegner ihm zugestehen müssen, dass er nicht vollkommen irrational agierte. Er war ruchlos, aber kein Wahnsinniger. Mit einer verkehrstechnischen Metapher zu sprechen: Er überfuhr verschiedene Stoppschilder und rote Ampeln und schnitt anderen Fahrern brutal den Weg ab – aber er hatte immerhin einen Führerschein. Doch nun bewirbt sich ein Mann um das Amt der amerikanischen Republik, der ganz offenkundig nicht Auto fahren kann und das Fahrzeug mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen den nächsten Baum steuern wird. Sollte Donald Trump […] amerikanischer Präsident werden, […] werden [wir] uns […] an Richard Nixon als eine Lichtgestalt erinnern, im Vergleich.“ Wie meint doch der Volksmund so treffend: Schlimmer geht’s immer!
X.Y., anonymer Pedalritter – Vor der die Tagungslocation des jüngsten AfD-Parteitages in Stuttgart hermetisch verrammelnden Polizeikette radelten Sie munter auf und ab, unverdrossen skandierend: „Schießt die Petry auf den Mond, das ist Raumfahrt, die sich lohnt.“ Wir sind ganz Ihrer Meinung!
Tilman Krause, Kollege – Sie haben, sehr zu unserem Wohlgefallen, in einem knappen, „Aufklärung macht Arbeit“ betitelten Essay daran erinnert, dass es für denjenigen, der „Werte wie Freiheit, Vernunft, Gerechtigkeit auf seine Fahnen schreibt“, nicht von Nachteil sein könne, die Gegner dieser Werte zu kennen. Und Sie erinnerten daran, dass der französische Philosoph Alain Finkielkraut sich darüber bereits vor dreißig Jahren in seiner Studie „Die Niederlage des Denkens“ Gedanken gemacht hatte. Finkielkraut zufolge sei es „Europa, wo die Freiheit des Einzelnen, wo das emanzipierte Individuum als der höchste Wert gesetzt sei. Und unzählige Verfolgte und Unterdrückte hätten sich Europa auch aus eben diesem Grund zur Wahlheimat erkoren.“ Dem ist nur insofern zu widersprechen, dass diese Bewertung damals wie heute nur für einen Teil Europas galt und gilt. Nicht widersprechen wollen wir allerdings Ihnen, wenn Sie konstatieren, dass die Selbstbestimmung des Einzelnen in den westlichen Gesellschaften „dreißig Jahre nach Finkielkrauts Analysen noch viel stärker in Gefahr“ sei. Diese Gefahr komme von verschiedenen Seiten – „von den identitären und rechtspopulistischen Bewegungen, die inzwischen in allen europäischen Ländern enormen Zulauf haben“, aber „eben auch von einigen muslimischen Einwanderern, die ihr rückständiges Bild von Frauen, die sich dem Mann unterordnen sollen, nicht alleine auf die Straße oder gar schwimmen gehen dürfen, mit ihrer ‚Kultur‘ begründen“. Letzteren müsse man entgegenhalten: „Dass man einem Dieb die Hand abhackt, ist auch dort unakzeptabel, wo das einem Brauch mit möglicherweise ästhetisch reizvoller göttlicher Symbolik entspricht.“ Dies wiederum hätten wir nicht trefflicher formulieren können!
Gwyllyn Samuel Newton (Glenn) Ford, unvergessener Westerner – Zu einem großen US-Filmpreis hat es in Ihrer Schauspieler-Karriere nicht gereicht – kein Golden Globe, kein Oscar. Aber in der „Western Hall of Fame“ ist Ihr Name verewigt, und das zu Recht: „3:10 To Yuma“ („Zähl bis drei und bete“), in dem Sie einen Ihrer eher seltenen Bösewichte gaben, zählt zu den Klassikern des Genres (2007 durch ein Remake mit Russell Crowe in der Hauptrolle erneut in den Kinos); „Cowboy“ (zugleich die einzige Westernrolle des unvergessenen Jack Lemmon) ist ein Streifen von teilweise fast dokumentarischer Authentizität, und in dem Monumentalwestern „Cimarron“ (Regie: Anthony Mann) stellten Sie (an Ihrer Seite: Maria Schell) einen Zeitungsherausgeber im Wilden Westen dar, der sich – sehr zum Ärger seiner weißen Zeitgenossen – heftig für die Rechte der Indianer einsetzt. Im US-Kino von 1960 keine Selbstverständlichkeit.
Am 1. Mai wären Sie 100 geworden. Wir ziehen unseren Stetson und leeren ein Glas Bourbon auf Sie!
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