14. Jahrgang | Nummer 4 | 21. Februar 2011

HOCHTIEF hat es im Namen

von Judith Dellheim

Wären da nicht die Ängste der Beschäftigten und ihrer Familien vor dem Verlust von Arbeitsplätzen und den sozialen Folgen, könnte trefflich gelästert werden: Erst ging es mit dem Unternehmen scheinbar nur hoch, dann eben ziemlich plötzlich ganz schön tief runter. Nur wenige Tage vor dem Knall – dem offiziellen Übernahmeangebot durch ACS am 1. Dezember 2010 – erklärte der Vorstandsvorsitzende Herbert Lütkestratkötter munter: „Unsere Strategie hat sich als nachhaltig und belastbar erwiesen: Unser Geschäftsmodell ist profitabel … Unser Konzern ist ein grundsolides Unternehmen … Auch die Finanzkrise hat HOCHTIEF … erfolgreich gemeistert.“ Die Sorge um die soziale Lage der HOCHTIEF-Belegschaft ist nachvollziehbar. Aber angesichts der nationalistischen Töne, die seit Monaten die Kommentare einiger Betriebsräte und zahlreiche Medienberichte zur konzipierten Übernahme durch die spanische ACS-Gruppe begleiten, ist sie von links aus nicht ganz so einfach kommunizierbar. Zum Beispiel titelte wissen.de am 22. September 2010: „Betreten der Hochtief-Baustelle für Spanier verboten“. Wäre die Konstellation umgekehrt, würde sicher rückhaltlos gejubelt werden. Diese Behauptung kann durch zahlreiche Fakten, auch aus der HOCHTIEF-Geschichte, gestützt werden. Dabei ist doch einsichtig: Wer unentwegt „Gewinner der Globalisierung“ sein will, kann eben auch verlieren. Wer immer auf Konkurrenz und den Sieg über Schwächere setzt, macht anderen Solidarität kompliziert. Und: weder die Übernahme von HOCHTIEF durch ACS noch die Übernahme von ACS durch HOCHTIEF wird beziehungsweise würde die Bedingungen für sozialökologischen Umbau verbessern – für Schritte hin zu einer Gesellschaft, in der jede und jeder selbstbestimmt in Würde, in solidarischem Miteinander und intakter Natur leben könnten. Dies jedoch interessiert die Konzernlenker und Großaktionäre von HOCHTIEF genauso wenig wie die von ACS.
HOCHTIEF wurde 1875 gegründet und beschäftigt heute weltweit über 71.000 Arbeitskräfte. Der Jahresumsatz liegt bei über 14 Milliarden Euro. Das Gründungsdatum veranlasst die Bemerkung, dass das Unternehmen an Großprojekten im faschistischen Deutschland beteiligt war. Stichworte dafür: Westwall, Atlantikwall, Berghof, Wolfschanze und „Führerbunker“, die KdF-Anlagen in Prora auf der Insel Rügen. Sozial und ökologisch verheerende Megabauten wie Atomkraftwerke, Talsperren, Rohstoffabbau und „Verkehrslösungen“ wie riesige Brücken und Flughäfen bewirkten demokratische Proteste gegen die Praktiken von und mit HOCHTIEF. Hinzu kommen die Geschäfte im Facility-, Asset- und Property Management sowie im Immobilienwesen. Wenn es um „innovative Finanzierungen“ unsinniger Projekte geht, ist das Unternehmen „Spitze“ mit seinen sechs Bereichen Hochtief Americas, Hochtief Asia Pacific, Hochtief Europe, Hochtief Real Estate und Hochtief Services. Der „deutsche Baubranchenprimus“ ist ein in den Finanzmärkten und in der „Realwirtschaft“ umtriebiger transnationaler Konzern. Die HOCHTIEF-AG transformierte 2004 zur Publikumsgesellschaft mit internationaler Aktionärsstruktur. Eine Publikumsgesellschaft ist eine Personengesellschaft, die auf die Beteiligung von zahlreichen Gesellschaftern orientiert und diesen als Kapitalanlage dient. Ende 2004 betrug der Streubesitz von Hochtief über 80 Prozent des Aktienkapitals. Der führende spanische Baukonzern ACS war also indirekt eingeladen, sich zu beteiligen und stieg über einen Umweg ein: 2006 hatte August von Finck mit seinem Unternehmen Custodia Holding eine Beteiligung von 25,01 Prozent an HOCHTIEF erworben und ACS kaufte im März 2007 die Custodia-Anteile für fast 1,3 Milliarden Euro auf. ACS kaufte noch etwas weiter und hatte im September 2010 einen stolzen Anteil von 29,9 Prozent an den HOCHTIEF-Aktien. Dieser Anteil begründete das öffentliche Übernahmeangebot durch ACS vom 16. Oktober 2010 und die Werbung für den Tausch von ACS- gegen Hochtief-Aktien. Das fand Hochtief „feindlich“ und rief alle möglichen Institutionen an, um ACS unlauterer Praktiken zu überführen. Das klappte aber nicht, denn ACS handelte in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz und Anfang Januar konnte das Unternehmen erklären, über 30 Prozent aller Hochtief-Aktien zu halten. Anfang Februar waren es 33,49 Prozent. Völlig rechtskonform kann damit ACS im freien Börsenhandel weitere Aktien kaufen und sich die Mehrheit – über 50 Prozent – am HOCHTIEF-Besitz organisieren. Im freien Börsenhandel, auf den Finanzmärkten agieren vor allem die ökonomisch Mächtigsten und eignen sich wesentlich über die Finanzmärkte Einkommen von Bevölkerungsmehrheiten an – auch wenn Unternehmen wie eben ACS rechtskonform agieren. Also wäre zunächst gegen die Hauptakteure auf den Finanzmärkten zu mobilisieren, was sich dann auch in rechtlichen Änderungen widerspiegelte. Aber die SPD dachte anders rum: Ein neues Übernahme-Gesetz sollte deutsche Unternehmen besser schützen und dies zuerst im Falle von HOCHTIEF. Ihr war offenbar nicht aufgefallen, dass man in der Opposition schwerlich erfolgreich für Neuregelungen in Deutschland eintreten kann, wenn man vorher als Regierungspartei wirtschaftspolitische Liberalisierung forcierte.
Von wirtschaftspolitischer Liberalisierung im europäischen Rahmen gewann nicht zuletzt die 1997 gegründete Aktiengesellschaft ACS. Sie ist bereits ein Fusionsprodukt und nunmehr das größte spanische Bau- und Telekommunikationsunternehmen. Mit circa 145.000 Beschäftigten und einem Umsatz von über 16 Milliarden Euro gehört der Konzern zu den wichtigsten spanischen Unternehmen. Die US-Fondsgesellschaft Southeastern mischt bei ACS kräftig mit und hat Interesse an der Übernahme von HOCHTIEF. Nach dieser wäre ACS Europas Nummer Eins in der Baubranche und könnte Zugriff auf die lukrativen HOCHTIEF-Geldflüsse und -Märkte erlangen. Das betrifft asiatische, nordamerikanische (Verkehr) und dank der HOCHTIEF-Tochter Leighton australische (insbesondere Kohle) Märkte und Branchen. Keine schlechten Aussichten, insbesondere wenn man wie ACS, die auch Windparks und Autobahnen betreibt, Schulden hat. Auch ACS wurde von der Immobilienkrise erfasst und schwer angeschlagen. So betragen laut einiger Meldungen die ACS-Schulden „ganz schön viel“. ACS wäre also klug beraten, die fast schuldenfreie HOCHTIEF-AG zu erwerben, Leighton und einige andere wertvolle Konzernteile zu verkaufen, sich auf Bau und Telekommunikation zu konzentrieren und dafür wichtige HOCHTIEF-Unternehmensbereiche zu erhalten, zu hegen und zu pflegen. So wäre es aus Gründen einfacher Profit-Kalkulation von ACS ganz schön dumm, wollte das Unternehmen nach der Übernahme HOCHTIEF zerschlagen. Das erkannte auch HOCHTIEF-Aufsichtsratsmitglied Klaus Wiesehügel und startete als Gewerkschaftsvorsitzender der IG BAU Gespräche mit ACS, was ihm die Wut von Betriebsräten einbrachte, die viel zu lange in Übereinstimmung mit dem HOCHTIEF-Vorstand Gespräche mit ACS ablehnten. Dass ihre HOCHTIEF-Chefs durch Konzentration auf Kernkompetenzen die Unternehmens-Aktien im Kurs steigen lassen wollen und damit den Zukauf von Aktien durch ACS verteuern, macht schon ökonomisch Sinn, gepflegte nationalistisch motivierte Gesprächsverweigerung nicht.
Was aber heißt das alles für Linke, die Wirtschaftspolitik betreiben (sollten), um soziale und ökologische Zerstörung strukturell zurückzudrängen und letztendlich zu überwinden? Zuerst sich an die Seite jener zu stellen, die sozial und global die schwächsten Opfer der transnationalen Konzerne HOCHTIEF, ACS und ihrer Star-Aktionäre sind; also gegen Armut und soziale Ausgrenzung, gegen soziale Spaltungen, gegen die Verschmutzung der Luft, des Wassers, der Böden, gegen die Zerstörung der Ökosysteme vorgehen – für soziale und ökologische Mindeststands eintreten. Das verlangt zielgerichtete Kämpfe gegen die Akteure profitdominierter Globalisierung, die lokal, regional, europäisch und global vernetzt zu führen sind: vor allem für den Erhalt und die Demokratisierung des Öffentlichen und damit auch für die Demokratisierung der öffentlichen Haushalte und Finanzen. Die wichtigsten Akteure dieser Globalisierung sind Regierungen und die sie tragenden Parteien in den globalen Industrieregionen, die Konzerne wie HOCHTIEF und ACS, die Banken, Versicherungen und Finanzfonds, das militärische Establishment mit seinen Vordenkern und dem militärisch-industriellen Komplex – die global Herrschenden.