18. Jahrgang | Nummer 25 | 7. Dezember 2015

Antworten

Anonymus – Bestimmte CDU/CSU-Hinterbänkler und gewisse Vorturner derselben Parteien, sekundiert von den üblichen Medien, versuchen ob Angela Merkels Flüchtlingspolitik den Aufstand gegen die Kanzlerin heraufzubeschwören, wenn nicht gar ihren Sturz.
An anderer Stelle rechnet man offenbar mit dem Schlimmsten. Dem Blättchen anonym zugespielt (von der deutschen Automobilwirtschaft? von Beate Baumann, Kanzleramt? von der Linkspartei?) wurde dieser Tage – mit dem Betreff „In memoriam Angela Merkel“ – ein augenscheinlich bereits voll ausformulierter Nekrolog auf die Regierungschefin.
Darin unter anderem folgende Sätze:
„[…] wir verabschieden uns heute von […] Angela Merkel. […]
Angela Merkel wird uns allen fehlen, den vielen Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Amtszeit als Bundeskanzlerin bewusst miterlebt haben […].
Angela Merkel war eine Instanz. […]
Ihr hohes Ansehen hat seinen guten Grund. Mir kommt dazu ein Wort in den Sinn: Verantwortung. Angela Merkel war bereit und fähig, jede Situation und jede Aufgabe, die ein Amt mit sich brachte, anzunehmen und sich ihnen zu stellen, seien sie auch noch so schwierig. […]
Damit gelang es ihr, eine noch schlimmere Katastrophe als ohnehin schon zu verhindern und Menschenleben zu retten. Damit lebte sie vor, dass außergewöhnliche Situationen außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Und sie lebte vor, was es bedeutet, in einer solchen Situation Verantwortung zu übernehmen.
Wenn Angela Merkel überzeugt war, das Richtige zu tun, dann tat sie es. Sie war wirklich nicht immer einfach oder gar freundlich im Umgang; ihre Gegner können davon auch ein Lied singen. Aber, und das zählt, sie war bereit, selbst den höchsten Preis zu zahlen. Denn die Gefahr des Scheiterns bei dem, was sie tat, war stets einkalkuliert – zuletzt selbst der Verlust ihrer Kanzlerschaft.
Gegen teils erhebliche Widerstände auch in der eigenen Partei und in der Bevölkerung hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel […] eingesetzt. […] Doch letztlich waren es der Mut, für eigene Überzeugungen einzustehen, und die Bereitschaft, Konsequenzen in Kauf zu nehmen, die Angela Merkel Achtung und Respekt bis heute eintrugen.
Sie war standhaft. Sie war sich der Bedeutung ihres Handelns für andere bewusst. Sie sah es als ihre Pflicht an, ihre politische Gestaltungskraft auf das Gemeinwohl auszurichten. Bei allem Willen zur Tat – sie war davon überzeugt, dass eine Entscheidung nur dann reif zu fällen war, wenn sie vorher durchdacht und mit Vernunft durchdrungen war. Denken und Handeln gehörten für sie untrennbar zusammen.
Zu ihrem nüchternen Pragmatismus gesellte sich ihre Resistenz gegenüber ideologischer Einengung. Wer kennt sie nicht, die vielzitierte Empfehlung Angela Merkels: ‚Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.‘ Sie selbst hat die Aussage später wie folgt eingeordnet: ‚Es war eine pampige Antwort auf eine dusselige Frage.‘ Angela Merkel kannte die Sehnsucht nach Idealen, nach großen Entwürfen für eine gerechtere Gesellschaft. Doch sie wehrte sich gegen jede Form blinder Ideologie – sicherlich vor allem aufgrund ihrer Erfahrungen […].“
Und weiter:
„Angela Merkel brannte für die Demokratie und die ihr zugrunde liegenden Werte. Gleiches gilt für die europäische Idee. Sie verstand früher als viele andere, dass die Welt offener wird, dass dies neue Aufgaben mit sich bringen und eine stärkere globale Zusammenarbeit erfordern wird.“
Wir hoffen sehr, dass dieser Nekrolog noch lange in der Schublade ruhen kann. Aber wenn es denn doch irgendwann einmal sein muss, dann wird er uns aus dem Herzen gesprochen sein!

Maren Kroymann, Kabarettistin, Sängerin und Schauspielerin – Der Curt-Goetz-Ring erinnert an einen großartigen, sehr vielseitigen Künstler (Autor, Schauspieler). Der jeweilige Träger „dieses wirklich ungewöhnlich scheußlichen, aber wahnsinnig wertvollen Schmuckstücks“, wie der bisherige Inhaber Harald Martenstein die Klunker respektlos-respektvoll beschrieben hat, reicht den Ring alle fünf Jahre weiter. Ganz nach eigenem Gusto, und niemand muss zuvor – wie beim Iffland-Ring – das Zeitliche segnen. Martenstein hat diesen Akt gerade vollzogen. Zur nächsten Trägerin erkor er Sie, und das mit gutem Grund: „Ich halte Sie – das klingt jetzt leider ein bisschen pathetisch, aber es muss sein – für eine der großen deutschen Unterhaltungskünstlerinnen. Sie dürfen es aber nicht oft genug zeigen. Zu meinen alltäglichen Kulturerfahrungen gehören fade TV-Movies, bei denen ich mich frage, wieso eigentlich nicht Sie die Hauptrolle spielen, dann wäre der Film mit einem Schlag interessanter. Sie haben ein paar Mal für historische Momente gesorgt, soweit das in dieser Branche möglich ist. Sie waren die erste Frau, die im deutschen Fernsehen eine eigene Kabarett-Serie bekommen hat, ‚Nachtschwester Kroymann‘. Sie haben in ‚Oh Gott, Herr Pfarrer‘ gemeinsam mit Robert Atzorn den deutschen Zuschauern zum ersten Mal einen Liebesakt im Pfarrhaus zugemutet, und zwar unmittelbar nach der Beerdigung. In Doris Dörries ‚Klimawechsel‘, einer mehrteiligen Komödie über das Klimakterium, sind Sie als Gynäkologin des Grauens unvergesslich geworden und haben den Fachbegriff ‚Vaginalstraffung‘ auch medizinischen Laien plausibel gemacht. […] Diese Aufzählung klingt jetzt vielleicht für einige so, als seien Sie eine Fachfrau fürs Schlüpfrige. Das Gegenteil ist richtig. Sie können sympathische und unsympathische Charaktere spielen, Sie können ernst sein oder heiter, aber Sie haben, glaube ich, nie eine Ihrer Figuren an die Klamotte oder das Zotige verraten. Sie können ein Biest sein, eine Klapperschlange, aber selbst in Ihren bösesten Momenten schimmert immer etwas von Ihrer Wärme durch. […] keines Ihrer Biester sähe man nicht gerne gerettet.“
Da können wir nur sagen: „Recht hat er!“
P.S.: Ein bisschen Macho war der gute Curt Goetz zwar auch („Die Frauen sind das Beste in dieser Art.“), alles andere aber überwog bei ihm eindeutig.

Arno Widmann, leitartikelnde Edelfeder – Sie äußerten gerade: „Unsere Demokratie wird weniger infrage gestellt von den Flüchtlingen als vielmehr von der Art und Weise, wie wir mit ihnen umgehen. Wir sind nicht schon deshalb eine Demokratie, weil wir demokratische Institutionen haben. Wir wissen nur zu gut, wie anfällig auch demokratische Institutionen für antidemokratische Tendenzen sind. Auch der Rechtsstaat ist keiner per se. Er muss täglich praktiziert werden.“ Und Sie fügten die Warnung an: „Es wird auch bei uns nicht an Versuchen fehlen, die Demokratie zu kapern. In Italien war das Silvio Berlusconi für ein paar Jahre gelungen. Diese Gefahr ist – angesichts bestens vernetzter systemrelevanter Interessenverbände – tausendfach größer, als dass muslimische Radikale sie übernehmen.“ Erstens – d’accord. Und zweitens – muss man nicht sogar sagen, dass die nämlichen Interessenverbände beim Kapern der Demokratie längst einen unaufholbaren Vorsprung gegenüber selbst radikalsten Muslimen haben?

Wolfgang Schäuble, Elderstatesman – Manche meinen ja, andere befürchten, dass Sie nun in die Fußstapfen von Helmut Schmidt als Welterklärer treten werden. Mit dem Alt-Bundeskanzler haben Sie neben der Affinität zur großen Politik und zum Philosophieren aber auch gemeinsam, einem Bonmot hier, einer Sottise da nicht abgeneigt zu sein. Ihrer Chefin sagten Sie vor kurzem: „Ich habe bei Ihnen alle möglichen Vorstellungen, aber nicht die von einem Skifahrer.“ Daraus darf man wohl schließen, dass Sie die Kanzlerin nicht mit Draufgängertum, Rasanz und heftiger Zickzackfahrt beim Slalom assoziieren. Das könnten dann allerdings Eigenschaften sein, ohne die man besser durch Krisen kommt als andere. Und das kann gerne so bleiben!

Sir Anthony Atkinson, Professor in Oxford und an der London School of Economics – Sie gelten als einer der weltweit führenden Ungleichheitsforscher. In einem Interview mit einer Berliner Tageszeitung führten sie jüngst aus: „Ich stehe nicht für eine Idee der Utopie der völligen Gleichheit. Jedoch hat sich der Grad der Ungleichheit in unserer Zeit dramatisch verändert. Die politischen Ziele sollten nicht solche sein, sie auf null zu reduzieren, aber sie sollten grundsätzlich den Versuch unternehmen, die Ungleichheit zu mildern. Die Zunahme der Ungleichheit ist besorgniserregend – auch in Deutschland. Sie berührt elementare Fragen der Gerechtigkeit.“ Und nicht nur diese: „Armut ist […] der bedeutendste Aspekt von Ungleichheit. Sie reduziert Lebenserwartung und steigert die Fettleibigkeit.“ Als Gegenmedizin predigen sie jedoch nicht gleich den Umsturz der Gesellschaft, sondern die Nutzung der therapeutischen Möglichkeiten derselben: „Wir sollten dafür sorgen, dass das Steuersystem wieder progressiver wird. Eine zivilisierte Gesellschaft braucht hohe Steuern. […] Wir müssen Vermögen stärker besteuern. Schon John Stuart Mill forderte, dass wir das Vererben von Vermögen verhindern sollten. Er war ein großer Liberaler wohlgemerkt.“ Sie plädieren dabei zugleich für die kreative Weiterentwicklung des Millschen Ansatzes: „Ich finde, jedem Staatsbürger ab dem 18. Geburtstag sollte ein Erbe ausgezahlt werden, damit alle in den Genuss jener Sicherheit gelangen, die Erben nun einmal haben. Das könnte durch höhere Erbschaftssteuern finanziert werden.“
Daher unser Vorschlag an die Führung der SPD: Ladet Sir Anthony doch einfach mal zu Eurem Parteilehrjahr ein! Im schlimmsten Fall schadet es nichts …

Anonymus, Nachtrag aus gegebenem Anlass – Knäpplichst vor Redaktionsschluss bemerkte eine Blättchen-Volontärin, dass sich da jemand einen höchst makabren Scherz erlaubt hatte. Die Passagen aus dem vorgeblichen Nekrolog auf die Kanzlerin entstammen wortwörtlich deren eigener Rede auf dem Staatsakt für Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt am 23. November 2015. Es waren lediglich die Namen und Personal- sowie Possessivpronomina ausgetauscht worden.
Von diesem Bubenstück distanzieren wir uns aufs Schärfste!