von Clemens Fischer
William Genrikowitsch Fischer, seit 1919 britischer Staatsbürger, der als Funker des sowjetischen Geheimdienstes schon in den 1930er Jahren Informationen der legendären Cambridge Five um Kim Philby nach Moskau übermittelt hatte, wurde unter seinem Alias Rudolf Abel einer der erfolgreichsten Agenten der Sowjetunion in den USA. Dort hatte er sich seit 1948 aufgehalten und unter anderem Atomspionage betrieben. Abel fiel einem Verräter aus den eigenen Reihen zum Opfer und wurde im Juni 1957 verhaftet. Ein US-Richter verurteilte ihn, der nicht gestand und jegliche Angebote zum Überlaufen ablehnte, zu insgesamt 45 Jahren Gefängnis und 3.000 Dollar Geldstrafe – unter anderem wegen „Agententätigkeit für einen fremden Staat ohne behördliche Genehmigung“. (Das betreffende US-Gesetz, der sogenannte Agent Registration Act, ist immer noch in Kraft. Als Russland sich vor einigen Jahren ein vergleichbares Gesetz gab, war das Gezeter auch in amerikanischen Medien ebenso lautstark wie bigott.)
Zu den gefährlichsten, weil unkalkulierbare Eskalationsrisiken in sich bergenden militärischen Aktivitäten der USA gegen die UdSSR während des Kalten Krieges zählten seit Mitte der 1950er Jahre regelmäßige Spionageflüge über sowjetisches Territorium. Federführend dabei war die CIA, wobei die Flüge selbst direkt vom US-Präsidenten genehmigt wurden. Im Juli 1956 etwa starteten solche Flüge vom bundesdeutschen Militärflugplatz Erbenheim in Richtung Leningrad und Moskau. Aufgeklärt wurden dabei Raketen-, Radar- und U-Boot-Stützpunkte. Zum Einsatz kam das von Lockheed entwickelte Spionageflugzeug U-2 (mit Hochleistungskameras), das mit seinem einstrahligen Triebwerk zwar kaum 500 Meilen pro Stunde schaffte, aber in über 20 Kilometern Höhe flog. Damit, so nahmen die USA in ihrer (bis heute ungebrochenen) technischen Überlegenheitsarroganz an, vielleicht nicht außerhalb sowjetischen Radars, aber auf jeden Fall außerhalb sowjetischer Abwehrmöglichkeiten. Dieser Allmachtsglaube währte genau bis zum 1. Mai 1960, als eine U-2 mit dem Piloten Gary Powers auf einem Flug von Peshawar (Pakistan) nach Bodø (Norwegen) nahe Swerdlowsk dann doch vom Himmel geholt wurde. Der Pilot überlebte und wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. (Die UdSSR ließ daraufhin das für den 16. Mai 1960 geplante Gipfeltreffen zwischen Chruschtschow und Eisenhower platzen. Die Spionageflüge wurden noch lange fortgesetzt. Ab 1966 mit dem U-2-Nachfolgemodell SR-71, ebenfalls von Lockhheed, das bis zu dreifache Schallgeschwindigkeit erreichte und damit sowie mit seiner Dienstgifpelhöhe von 25 Kilometern über Jahre tatsächlich außerhalb sowjetischer Abwehrmöglichkeiten lag.)
Es gab nur einen Moment im Leben von Abel und Powers, zu dem sie sich gemeinsam am gleichen Ort befanden – das war am 10. Februar 1962 auf der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam, also dort, wo damals die Grenze zwischen der DDR und Westberlin verlief und der erste Agentenaustausch zwischen Ost und West über die Bühne ging.
Im Regierungsauftrag von amerikanischer Seite eingefädelt hatte den Deal James B. Donovan, zuvor Abels Verteidiger und als solcher im Nachklang der antikommunistischen Hysterie der McCarthy-Ära öffentlichen Anfeindungen und persönlichen Bedrohungen ausgesetzt. Denen hatte er sich nicht gebeugt.
Von diesem Mann zuvorderst handelt Steven Spielbergs Film „Bridge of Spies“. Verkörpert wird Donovan von Tom Hanks. Der Film ist ein mit Pathos, Kitsch und Klischees zwar nicht überfrachtetes, aber davon auch keineswegs freies Plädoyer für Vernunft, Fairness und grundsätzliches Festhalten an Wort und Geist der US-Verfassung – auch und gerade im Umgang mit Gegnern, und dieses Plädoyer richtet Spielberg in erster Linie an seine eigenen Landsleute. Das ist – zumal in Zeiten, in denen sein Präsident international vorwiegend mit militärischer Gewaltandrohung und -anwendung operiert und bei seiner Drohnenjagd auf Terroristen immer wieder auch unbeteiligte Zivilisten hinschlachten lässt – ein doch ganz beachtliches Statement. Für den Einsatz im Ethikunterricht jedenfalls wäre der Streifen vorzüglich geeignet.
Eine Kino-Entdeckung ist dabei Mark Rylance! Den britischen Schauspieler hatte Spielberg bei einem Theaterbesuch „entdeckt“ und spontan entschieden: „Das ist mein Abel.“ Den spielt der Brite mit einer so stoischen Coolness, dass dahinter die ganze, in Jahrhunderten antrainierte Leidensfähigkeit der Russen zu stehen scheint. Aber zugleich verpasst ihm das Drehbuch, dem die schwärzesthumorigen Brüder Joel und Ethan Cohen den letzten Schliff gaben, auch eine Lakonie, wie man sie etwa von Spionage-Protagonisten John le Carreés kennt. Das ist – cineastisch – eine wahre Freude. Die dem Film-Abel mehrfach, auch angesichts drohender Todessstrafe, gestellte Frage, ob er sich denn nie Sorgen um sein Schicksal mache, beantwortet der ebenso stereotyp wie trocken mit immer derselben Gegenfrage: „Würde das etwas nützen?“
„Bridge of Spies“, Regie: Steven Spielberg. Derzeit in den Kinos.
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In der Redaktion gab es zu diesem Streifen noch ein weiteres Diktum, das zwar für die Rubrik Antworten abgefasst ist, aber aus naheliegenden Gründen trotzdem hier wiedergegeben wird:
Steven Spielberg, Vielgerühmter – Es ist kaum zu glauben, aber Sie haben mit „Bridge of Spies“ einen echten Flop hingelegt. Und das trotz erstklassiger Besetzung (Tom Hanks) und einem Thema – der Kalte Krieg – das Potential für einen „richtigen“ Film hätte abseits von Propagandawissen und Klischees. Der durchaus anspruchsvolle Beginn des Films in den USA fand ein Ende in der Klamotte mit reinen Bösewichten in Deutschlands Osten. Die waren sogar hässlicher gezeichnet als die Russen. Rechtsanwalt Vogel war nicht einfach ein Rechtsanwalt der anderen Seite, der vielleicht auch Menschen half wie sein Westpartner, sondern nur ein karrieregeiler Bösling. Nebenbei machten Jugendbanden Ostberlin unsicher, während zugleich überall im grauen und verarmten Osten Armee und Polizei präsent waren. Wie die Banden das wohl hinbekommen haben?
Ungläubiges Kopfschütteln über so viel Realitätsverlust gepaart mit offensichtlichem Propagandahalbwissen – und Hoffnung auf Ihre Rückkehr zum richtigen Kino mit differenzierenden Charakteren und Geschichten.
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Wohin gehen wir?
Nach Hause.
Immer nach Hause.
Novalis
Grandios, berührend, komisch, opulent, hinreißend, unaufgeregt, ästhetisch, sensibel, dramatisch, grotesk, phantastisch, traurig, erschreckend, witzig, skurril, geistvoll, lebensweise, heiter, überraschend, empatisch, unglaublich, erotisch, zurückhaltend – das und einiges mehr ist „Ewige Jugend“, der neue Film des neapolitanischen Regisseurs Paolo Sorrentino. Natürlich nicht in Gänze und alles auf einmal, aber doch in summa … Überdies ein Kabinettstück von selten gediegener Stimmigkeit für die beiden Alt-Mimen Michael Caine und Harvey Keitel. Auch eine altersmäßig zwischen Caine und Keitel zu verortende Jane Fonda darf ihrem schauspielerischen Affen noch einmal ordentlich Zucker geben. Und wie sie das tut! Im Übrigen wäre der Soundtrack allein Grund genug, den Film nicht zu verpassen, der schon wegen wiederholter Kamerafahrten über atemberaubende Landschaften (Schweizer Alpen) und langer Naheinstellungen von nicht weniger beeindruckenden Gesichtern (keineswegs nur Caine, Keitel und Fonda) die große Leinwand braucht.
Zusatztipp für Fußballfans: Der Streifen bringt auch ein Wiedersehen mit Diego Maradona (oder zumindest mit einem recht ähnlichen Double) und ist in einer Szene eine so frappierend noch nie gesehene Hommage an den Dribbelkünstler von einst.
„Ewige Jugend“, Regie: Paolo Sorrentino. Derzeit in den Kinos.
Schlagwörter: Clemens Fischer, DDR, Garry Powers, Glienicker Brücke, Harvey Keitel, Jugend, kalter Krieg, Michael Caine, Paolo Sorrentino, Rudolf Abel, Sowjetunion, Spionage, Tom Hanks, U2, USA, Wolfgang Vogel