von Mario Keßler, New York
Der Historiker Hermann Weber prägte zwei Generationen lang die westdeutsche, schließlich auch die gesamtdeutsche Forschung zur Geschichte des deutschen Kommunismus und der DDR. Das Interesse an der Arbeiterbewegung war sozusagen erblich: Der 1928 in Mannheim Geborene wuchs in einem kommunistischen Elternhaus auf, das ihn gegen die Naziideologie immunisierte, aber auch nach dem Krieg zunächst seine Hinwendung zur westdeutschen KPD bestimmte. Diese delegierte den Nachwuchskader in den Osten, zur SED-Parteihochschule nach Kleinmachnow.
Doch aus der Funktionärslaufbahn wurde nichts. Im Kältesten Krieg in Westdeutschland wegen sogenannter Geheimbündelei verhaftet, erfuhr Hermann Weber, in dem schon ideologische Zweifel nagte, vom Juni-Aufstand in der DDR. Dies führte zum inneren Bruch mit dem Parteikommunismus, den Weber jedoch erst 1955, längere Zeit nach der Haftentlassung vollzog. Er wollte nicht als Kapitulant erscheinen.
Die westdeutsche bürgerliche Gesellschaft nahm ihn nicht mit offenen Armen auf. Gemeinsam mit seiner Frau Gerda, die eine ähnliche politische Entwicklung vollzogen hatte, musste er harte Jahre als schlecht bezahlter Journalist und kaum besser entlohnter Volkshochschuldozent durchstehen, ehe er über den zweiten Bildungsweg Geschichte und politische Wissenschaften studieren konnte. Doch schon längst hatte er sich als politischer Publizist einen Namen gemacht; er gehörte zum Urgestein der ernsthaft betriebenen DDR-Forschung in der Bundesrepublik. In fast jeder Ausgabe des „Deutschland-Archivs“, des einzigen Monatsmagazins, das sich ernsthaft mit Fragen der DDR befasste, erschien ein Beitrag von ihm. Es folgten Bücher im Auftrag der Bundeszentrale und der Landeszentralen für politische Bildung.
Den wissenschaftlichen Durchbruch schaffte Hermann Weber mit der Publikation der 1968 an der Reformuniversität seiner Heimatstadt Mannheim eingereichten Dissertation, die im folgenden Jahr unter dem Titel „Die Wandlung des deutschen Kommunismus: Die Stalinisierung der KPD“ erschien. In diesem Standardwerk wies er nach, dass die KPD keineswegs als antidemokratische, verschwörerische Sekte begonnen hatte, sondern als radikal-demokratische Alternative zur restaurativen Ordnung nach 1918. Doch der Ausgrenzung durch die bürgerliche Gesellschaft und die rechte Sozialdemokratie folgte die fatale Selbstausgrenzung der KPD. Deren realpolitischer Flügel wurde durch die ultralinke Parteiführung um Ruth Fischer und Arkadij Maslow immer mehr an den politischen Rand gedrängt, bevor diese schließlich selbst durch die stalintreuen Kräfte um Ernst Thälmann entmachtet wurden.
Eine solche Lesart musste natürlich auf erbitterte Gegenwehr von Seiten der DDR stoßen. In deren Publikationen wurde in Erinnerung an Webers KPD-Vergangenheit so oft vom Renegaten Weber geschrieben, dass der Begriff fast zum Bestandteil des Namens zu werden schien. In der Bundesrepublik aber war es die geistige Öffnung nach 1968, die einer solch differenzierten Interpretation der Geschichte akademische Chancen einbrachte. Mit Unterstützung unter anderem von Arkadij Gurland und Ossip Flechtheim übernahm Weber nach der Habilitation 1973 eine Professur für Politische Wissenschaft in Mannheim, wo er noch einige Jahre an der Seite seines Lehrers Erich Matthias wirken konnte. Nach dessen Unfalltod 1983 bestimmte Weber fast anderthalb Jahrzehnte lang das Profil des dortigen Fachbereichs. Er schrieb und edierte eine große Zahl an Büchern, von einer Lenin-Biografie bis zu mehreren Bänden, die der Gewerkschaftsgeschichte und dem deutschen Widerstand nach 1933 gewidmet waren. Seine in mehreren Auflagen erschienene „Geschichte der DDR“ gilt als sein zweites Standardwerk. Politisch und öffentlich engagierte er sich in der SPD und im Deutschen Gewerkschaftsbund.
Der Zusammenbruch der DDR bestärkte Weber zunächst in der Meinung, mit seiner Kritik grundsätzlich recht gehabt zu haben. Dementsprechend hart fiel seine Kritik an der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung aus, auch in den „Evaluationen“, denen sich die um den Verbleib in der Wissenschaft bemühten ostdeutschen Forscher zu unterziehen hatten. Mit der Zeit kamen ihm jedoch ernste Zweifel an der Richtigkeit der Massenabwicklung ostdeutscher Forschungseinrichtungen. Zudem machte Weber den Rechtsschwenk der SPD nicht mit und ohne seine politische Position zu revidieren fand er sich nun am linken Rand des deutschen intellektuellen Establishments wieder. Kritik von verbohrten Rechten wie von gewendeten Ex- oder Pseudolinken focht ihn nicht an. Er beteiligte sich vielmehr federführend am „Biographischen Handbuch“ des deutschen Kommunismus, das er gemeinsam mit Andreas Herbst in mehreren Bänden und Auflagen im Karl Dietz Verlag edierte. Lernfähige Ex-DDR-Bürger, die Selbstkritik übten, aber dem politisch rechten „Zeitgeist“ widerstanden, waren ihm nun die willkommensten Diskussionspartner. Ihnen bot, so sie wissenschaftliche Ergebnisse vorlegten, das von ihm 1993 initiierte „Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung“ ein Forum intellektueller Debatten.
So ist es kein Zufall, dass die von ihm und seiner Frau Gerda gemeinsam verfassten Erinnerungen den Titel trugen „Leben nach dem ‚Prinzip Links’“. Die Kritik an den vormals herrschenden kommunistischen Regimes dürfe, schrieb er darin, nicht den Blick auf den Kommunismus „als Teil der sozialen Bewegung, die eine bessere Welt schaffen will“, versperren.
Bis zuletzt politisch und bildkünstlerisch hochinteressiert, verstarb Hermann Weber nach langer, schwerer Krankheit am 29. Dezember 2014 in Mannheim.
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