16. Jahrgang | Nummer 19 | 16. September 2013

Poesie in Theater und Kunst – „Sagerts Welt“

von Peter Liebers

„Das Theater ist immer die Ecke im Leben, eine große Ecke.“ Dieses Bekenntnis des Malers Horst Sagert lässt aufhorchen, so hat das Verhältnis zwischen Künstler und Bühne noch niemand gesehen. Sagert hält das Theater für einen „Glücksfall von Kollektivität“, der „Individualität voraus- bzw. freisetzt“. Andere bleiben bei den „Brettern, die die Welt bedeuten“. Letztere suchen dort nach der Ewigkeit. Für den 1934 in Pommern geborenen Maler, Bühnenbildner und Regisseur Horst Sagert gilt: „Wenn eine Arbeit am Theater fertig ist, gehört man nicht mehr dazu, man ist plötzlich aus dem Kontext ausgestoßen.“
In Sagerts Schulzeit seien die Theaterfahrten das „herausragende Ereignis“ gewesen, erinnert sich der 79-Jährige. Das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin setzte damals Maßstäbe in der deutschen Theaterlandschaft, aber es war nicht nur der Zauber der Verwandlung auf der Bühne, die auf den Schüler nachhaltigen Eindruck machte. Bei diesen Theaterfahrten „berührte man die Mädchen. Das hat sich in meinem Gedächtnis eingegraben – die Verbindung von Theater und Erotik“. Aus dieser ursprünglichen Erfahrung Sagerts wuchs die Überzeugung, der „Grund einer Theaterwelt ist der Mensch“, und damit war ihm klar, „man kann in die Ecke gestellt werden oder aber sich so in die Ecke stellen, dass sie etwas ausstrahlt, dass dieser Winkel Berechtigung entfaltet“. Damit ist angedeutet, warum sich ein in den 1960/70er Jahren international hoch gerühmter Künstler wie Horst Sagert trotz seiner Reputation bei Kurt Hübner, Peter Stein oder Peter Zadek nicht auf westdeutschen Bühnen platzieren konnte – und sich heute vor allem Theatergänger im Alter von 50 Plus an seine, gemessen an seiner Bekanntheit und Wertschätzung merkwürdig seltenen Arbeiten am Deutschen Theater und an der Berliner Volksbühne erinnern.
Die tun das freilich umso intensiver, denn Sagerts Bühnen- und Kostümgestaltung zu Benno Bessons Aufsehen erregenden Inszenierungen „Der Drache“ (1965) und „Ödipus Tyrann“ (1967) am Deutschen Theater sind Legende. Dazu zählen weitere Theatererfolge aus den 60er Jahren wie „Der Tartüff“ oder „Turandot oder der Kongress der Weißwäscher“. Sie stehen für den bis heute oft verkannten Rang ostdeutscher Theaterkunst bis in die 80er Jahre hinein und erhielten auf Gastspielreisen wie zum Theaterfestival der Nationen in Paris 1966 höchste Anerkennung.
Die Gespräche, die der Regisseur Stephan Suschke mit Horst Sagert seit mehr als zehn Jahren führte und das von Suschke gemeinsam mit dem Berliner Maler und Bühnenbildner Mark Lammert entworfene Konzept haben die Stiftung Schloss Neuhardenberg davon überzeugt, mit einem aufwändigen Ausstellungsprojekt an Sagerts Leistung zu erinnern. Diese Wiederentdeckung liegt nahe, hatte die Stiftung doch bereits in ihrem Gründungsjahr 2002 eine Ausstellungs-und Veranstaltungsreihe etabliert, in der einst renommierte Künstler und deren Arbeiten für das Theater neu entdeckt wurden. Nach „Einar Schleef. Deutsche Szenen“ (2002), Heiner Müllers „Partisanen der Utopie“ (2004), sowie der Schau „In Masken geht die Zeit“ (2010) zum Werk des im Brandenburgischen lebenden Chefmaskenbildners des Deutschen Theaters, Wolfgang Utzt, ist nun „Sagerts Welt“ die vierte Schau, die einer herausragenden Persönlichkeit des Theaterschaffens der DDR gewidmet ist.
Dabei lag den Kuratoren der auf Schloss Neuhardenberg zu sehenden Ausstellung „nicht am Spektakulären oder der Verklärung der Vergangenheit“. Sowohl für Stephan Suschke, von Haus aus Dramaturg und lange Jahre Ermöglicher der Utopien des Dramatikers Heiner Müller für ein zeitgenössisches Theater, als auch für den Maler Mark Lammert ist der so schwer zu fassende Künstler Sagert als eine „vielgestaltige Persönlichkeit“ interessant, die sich auf einen „geistesgeschichtlichen Kontext bezieht, der bisher in der Bewertung seiner Leistung zu wenig Beachtung gefunden“ habe. Beide versichern gleichsam, dass sie die Leidenschaft Sagerts und die Komplexität seines Werks tief beindruckt habe. Sie fühlen sich ihm nicht zuletzt deshalb verbunden, weil sie mit seinem Prinzip übereinstimmen: „Der Grund einer Theaterwelt ist der Mensch, ist die Angst, wie die Sonne zu erkalten.“
Das Konzept der beiden Kuratoren ist überzeugend, weil sie die Lebensleistung Sagerts nicht allein als das Ergebnis der Produktivität des Künstlers zeigen. Für sie ist das Theater ein kollektives Werk, an dem neben Technikern und Mechanikern zu Sagerts Zeit hervorragend ausgebildete Schneiderinnen, Näherinnen und Putzmacherinnen beteiligt waren, die über die Fähigkeit verfügten, seine Entwürfe umzusetzen.
Lammert und Suschke liegt daran, Sagert nicht als einen Grenzgänger zwischen Malerei und Theaterkunst zu begreifen, sondern zu zeigen, dass bereits seit seinem Studium an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee 1953-1958 und damit vor den „öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen seiner Bühnenbilder“ ein bedeutendes malerisches Werk entstanden war, das wiederum die Voraussetzung und den Rahmen seiner Theaterarbeiten bildet.
Seinen Lehrer in Weißensee, Heinrich Kilger, empfand Sagert nicht nur in künstlerischer Hinsicht als prägend. „Als ich nach zwölf Jahren Schulzeit in einer mecklenburgischen Kleinstadt entlassen und Heinrich Kilgers Schüler wurde, hatte ich das Gefühl, davongekommen zu sein. Er war der erste Lehrer, der mit dem Marxismus nicht erpresserisch umging. Immer wenn er marxistische Gedanken aussprach, hatten sie Zuversicht“, erinnert sich Sagert an seinen Lehrer.
Kilger beeinflusste auch das Arbeitsethos Sagerts, das ihn immer wieder in Schwierigkeiten brachte. Sagert versteht sich als „multiplen Künstler, der für seine Gedankenwelt einen adäquaten Ausdruck in unterschiedlichen Genres sucht“, stellt Lammert fest. Das erwies sich für das vielgestaltige Werk des Künstlers als eine Basis, aus der heraus er nach Bessons Weggang aus der DDR 1978 und damit dem Ende einer kongenialen Zusammenarbeit weitere wichtige Arbeiten für das Theater schaffen konnte.
Sagerts Unbedingtheit hatte Konsequenzen für seinen künstlerischen Weg: „Man wusste nie, ob eine Inszenierung herauskommt oder nicht“, beschreibt Suschke Sagerts Situation. Damit in Übereinstimmung habe der „immer für die Ewigkeit gearbeitet“. Das betrifft nicht nur die kulturpolitische Situation in der DDR, sondern auch Probleme, die sich für Sagert mit Einladungen bedeutender Regisseure an große westdeutsche Bühnen ergaben.
1976 distanzierte er sich von einer Inszenierung Hansgünther Heymes von Shakespeares „Sommernachtstraum“ in Köln, 1978 blieb eine mehrfach geplante Zusammenarbeit mit Peter Zadek in Hamburg unvollendet. Möglicherweise zog sich Horst Sagert auch deshalb in den siebziger Jahren häufig nach Märkisch-Oderland zurück.
Nach „Dona Rosita bleibt ledig oder Die Sprache der Blumen“, Federico Garcia Lorcas Märchen über den Verzicht auf Glück, wo Sagert nicht nur in opulenter Ausstattung, sondern auch als Regisseur eine wachsende Verbitterung über die Sinnlosigkeit des Lebens in traumverlorener Weise zeigte, feierte er mit dem „Urfaust“ 1984 am Berliner Ensemble seinen letzten großen Triumph als Regisseur und Bühnenausstatter. Zugleich sanktionierte er in dieser Inszenierung mit der Besetzung von Corinna Harfouch als Gretchen und Hermann Beyer als Faust die Karrieren dieser inzwischen renommierten Darsteller.
Der um eine Generation jüngere Maler Mark Lammert sieht in der Neuhardenberger Ausstellung „eine einmalige Gelegenheit, Sagerts Begabung weit über dessen Arbeiten für das Theater hinaus“ zu zeigen. So entwirft „Sagerts Welt“ mit Gemälden, Grafiken, Collagen und Skulpturen eine Bildwelt, die in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt geblieben ist. Mit 150 Exponaten führt die Neuhardenberger Ausstellung die vielfältigen Arbeiten des im wahrsten Sinne des Wortes „Ausnahmekünstlers“ Horst Sagert zusammen, und macht so darauf aufmerksam, dass das Ouevre des 78-Jährigen noch auf eine Einordnung in die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wartet.
Mit dem im Verlag Theater der Zeit herausgebrachten Katalogbuch „Horst Sagert. Zwischenwelten“ legen Lammert und Suschke eine Bestandsaufnahme vor, die dazu herausfordert wahrzunehmen, wie Sagert seit sechzig Jahren „durch seinen radikal subjektiven Blickwinkel Personen, Gegenstände und Epochen zum Tanzen bringt“.

Sagerts Welt, Ausstellung im Kavaliershaus Ost auf Schloss Neuhardenberg, bis 10. November,
Di-So 11-19 Uhr, Eintritt 8 Euro, ermäßigt 4,50 Euro.