16. Jahrgang | Nummer 10 | 13. Mai 2013

Er hatte Glück in Berlin

von Renate Hoffmann

Es hätte ihm gefallen, dem Christian Morgenstern, wenn man nicht seinen 150. Geburtstag oder den 100. Todestag (der im nächsten Jahr ansteht) befeiert, sondern den unspektakulären 142. Jubeltag im Mai. Von Ehrungen zum Lebensbeginn hielt er ohnehin mehr als von denen zum Abschied. Da er von 1906 bis 1914 Mitarbeiter der Schaubühne (ab 1918 Die Weltbühne) war und Siegfried Jacobsohn ihm nachrief: „Keiner, der den Menschen gekannt hat, wird heute und morgen sagen können, was wir verloren haben [ …]“, so seien ihm Glückwunschgedanken gewidmet.
Als Christian Morgenstern (1871-1914) gegen Ende des 19. Jahrhunderts nach Berlin kam, obzwar vorerst als Angestellter der Nationalgalerie – doch der Seele nach Literat – fand er rasch Aufnahme in den Kreisen, die er eigentlich suchte; und die ihm den Weg ebneten, den er gehen wollte und letztlich auch ging. Vom Ergebnis ist nun in den einschlägigen Lexika zu lesen: Ab 1894 Schriftsteller, Journalist, Redakteur in Berlin; auch Übersetzer und Lektor.
Im Wirbel der großen Stadt eingetroffen, schreibt er bereits nach kurzer Zeit: „Mir geht’s unberufen gut, und ich lebe in meinem Dachstübchen einen sehr angeregten freudvollen Winter. Ich habe hier wirklich Glück in Berlin, innerlich und äußerlich. An der Neuen Deutschen Rundschau bin ich nun ständiger Mitarbeiter geworden, indem ich große Vierteljahresrevuen über die zeitgenössische Lyrik dort zu schreiben aufgefordert bin.“
Kunst-, Theater- und Literaturkritiken halten ihn in Atem. Journale von Rang suchen seine Mitarbeit. Er verfasst Szenen für Reinhardt / Kayßlers Kabarett „Schall und Rauch“, für von Wolzogens „Überbrettl“. – Die „Galgenlieder“ formieren sich und beziehen ihren nunmehr gültigen Namen aus Berlins Umgebung. Sie entstanden peu à peu und waren für einen „lustigen Kreis“ bestimmt, „der sich auf einem Ausflug nach Werder bei Potsdam, allwo noch heute ein sogenannter ‚Galgenberg’ gezeigt wird, wie das so die Laune gibt, mit diesem Namen schmücken zu müssen meinte.“ Hintergründig-wunderlicher, köstlicher Humor, geschrieben für unkonventionelle Gemüter und gegen die Trübsal des Alltags.
Als sein „neuestes Opusculum“ erschien, erklärte der Verfasser: „Dem einen verursacht es große Heiterkeit, dem anderen eher Betrübnis. Viele glauben auch, es seien Parodien auf moderne Lyriker, aber in Wirklichkeit setzt es sich fast nur aus mehr oder minder unwillkürlichen Produkten guter Laune zusammen, die man sich ja ab und zu wohl auch einmal gestatten darf.“
Diese vergnüglichen Produkte hält der Journalist Morgenstern in ähnlicher Form für eine Zeitungsschau des Jahres 2407 bereit:
„Aus dem Anzeigenteil.
Von morgen ab wieder täglich: Verwandlung von Wasser in Wein. Austern, Kaviar, Champagner, Tafelobst für jedermann auf einfachstem Wege.
Egon Schwarzfuß, Hypnotiseur. Gegenüber dem Ackerbauministerium. –
Nutridentol!! Ist das beste Zahnwasser! Dasselbe besitzt außer seinen reinigenden  Eigenschaften hohen Nährwert. Der Gebrauch ersetzt jedes Abendbrot oder Frühstück! –
Die Vereinigung für Ameisenspiele wird ersucht, sich morgen, den 17. hjs auf dem Tempelhofer Felde einzufinden, um den großen Haufen zu vollenden.“

Wer nun vermutet, der Schriftsteller habe sich dem Dasein ausschließlich auf heitere Weise genähert, der vernehme aus seinen vielen Epigrammen andere Töne.
„O Staat! Wie tief dir alle Besten fluchen!
Du bist kein Ziel. Der Mensch muß weiter suchen.“

Persönlicher Ausklang
Verehrter Herr Morgenstern, heute, am 6. Mai, Ihrem Geburtstag, möchte ich Ihnen, anknüpfend an die Mondschafe, Mitternachtsmäuse, Nasobeme und Glockenwürmer eine Nachfahrin Ihrer Möwe Emma zueignen:
Inspiration
Auf einer kugelrunden / vielflammigen / Straßenlaterne am Alexanderplatz / sitzt eine Möwe – / ganz still. / Was sie will? / Da die Erleuchtung von oben nicht kommt, / Erleuchtung von unten.