16. Jahrgang | Nummer 4 | 18. Februar 2013

Ein Mörder, geboren 1913

von Erhard Crome

Am 21. August 1940 bekam Stalin aus Mexiko die Meldung, dass es endlich gelungen war, seinen alten Feind Lew Dawydowitsch Bronstein, genannt: Trotzki, zu ermorden. Nach etlichen vergeblichen Angriffen war es dem aus Spanien stammenden Ramón Mercader gelungen, die Tat zu vollbringen. Mercader, 1913 in Barcelona geboren, wurde schon in jungen Jahren Kommunist und kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg als Offizier in der Republikanischen Armee gegen die Franco-Truppen. Bereits seine Mutter hatte für den sowjetischen Geheimdienst gearbeitet; der Sohn folgte ihr und erhielt 1937 in der Sowjetunion eine militärische Ausbildung. Im Juli 1938 ließ er sich als angeblicher Sohn belgischer Diplomaten unter dem Namen Jacques Mornard in Paris nieder und es gelang ihm, das Vertrauen einer aus den USA stammenden Verehrerin Trotzkis, Sylvia Ageloff, zu erringen. Sie hatte als Dolmetscherin am Gründungskongress der „Vierten Internationale“ in Paris teilgenommen. Mit ihr reiste er unter dem Namen Frank Jacson mit einem gefälschten kanadischen Ausweis in die USA, erklärte ihr den Namenswechsel mit der Absicht, dem belgischen Militärdienst entgehen zu wollen. Er verlobte sich mit Ageloff und lebte mit ihr in New York City.
Die Entscheidung, Trotzki zu ermorden, war von Stalin mit eifriger Unterstützung etlicher Mitglieder des Politbüros der KPdSU (Bolschewiki) bereits Anfang der 1930er Jahre getroffen worden. Trotzkis Misstrauen, sein Wechsel der Aufenthaltsländer und noch häufigerer Wechsel der Wohnorte hatten jedoch zur Folge, dass er jahrelang schneller wieder weg war als der sowjetische Geheimdienst sein Mordnetz knüpfen konnte. (Hier folge ich den Darstellungen von Dimitri Wolkogonow, der durch seine spezifischen Zugangsmöglichkeiten zu den sowjetischen Archiven eine Reihe von Dokumenten als erster gesehen und ausgewertet hatte.) Angesichts der drohenden Kriegsgefahr forderte Stalin Anfang 1939 eine Verstärkung der Bemühungen zur Liquidierung Trotzkis. So wurde ein Spezialkommando nach Mexiko geschickt, dem nicht nur Lateinamerika-Spezialisten des sowjetischen Geheimdienstes (NKWD) angehörten, sondern auch Spanier; die meisten von ihnen – Spanier und Russen – hatten im spanischen Bürgerkrieg gekämpft und kamen jetzt als Flüchtlinge vor Franco nach Mexiko. Nach Überzeugung britischer Anhänger Leo Trotzkis hatte es bei der Ermordung zudem eine systematische Kooperation des NKWD mit dem FBI der USA gegeben. Über die Kommunistische Internationale (Komintern) war die Kommunistische Partei Mexikos aufgefordert worden, eine Kampagne zur Ausweisung Trotzkis aus Mexiko zu entfalten. In der Umgebung des inzwischen befestigten und streng bewachten Hauses von Trotzki in Coyoacán – damals eine Vorstadt von Mexiko-Stadt – standen immer wieder verdächtige Autos und lungerten ständig unbekannte Personen herum, die die Besucher Trotzkis observierten.
Mercader alias Mornard alias Jacson reiste mit seiner Verlobten Ageloff im Oktober 1939 nach Mexiko. Nachdem ein Kommandounternehmen, das von der Führung der mexikanischen KP zusammengestellt worden war, es mit Maschinengewehrfeuer und Handgranaten im Mai 1940 nicht geschafft hatte, Trotzki zu ermorden, wurde auf den gezielt einzuschleusenden Einzeltäter umgeschaltet. Der sowjetische Führungsoffizier erklärte Mercader, dass er eine Hinrichtung zu vollstrecken habe, die auf ein „rechtmäßiges Urteil“ zurückgeht, das in Moskau ergangen sei; durch diese Tat werde er als Held in die Geschichte des Sozialismus eingehen. Es sei Gesetz der Revolution, „Verräter“ zu beseitigen. Über seine Verlobte hatte Mercader das aus Frankreich kommende Ehepaar Marguerite und Alfred Rosmer kennengelernt, das in Mexiko bei Trotzki wohnte, und über diese Bekanntschaft erlangte der Mörder erstmals Zugang in Trotzkis Haus; bis zum 20. August hatte er das Haus zehnmal betreten, das Bewachungspersonal kannte ihn mittlerweile und hielt ihn für unverdächtig. Am Tag des Mordes hatte Mercader sich wiederum Zugang zu Trotzki erschlichen und ihm schließlich einen hineingeschmuggelten Eispickel in den Schädel gerammt. Über die Situation sagte der Mörder in seinem Prozess in Mexiko: „Trotzki stieß einen Schrei aus, den ich in meinem Leben niemals vergessen kann. Es war ein sehr langgezogenes ‚A, a, a…‘ unendlich lang, und mir scheint, dass dieser Schrei noch heute mein Hirn durchbohrt. Mit einem Ruck sprang Trotzki auf, warf sich auf mich und biss mir in die Hand. Schauen Sie: Die Spuren seiner Zähne sind heute noch zu sehen. Ich stieß ihn weg, und er fiel zu Boden. Dann erhob er sich und lief stolpernd aus dem Zimmer…“ Am 21. August 1940 erlag Leo Trotzki seinen schweren Kopfverletzungen.
Ramón Mercader hatte den Polizeibehörden nur den Namen Mornard angegeben, erst 1953 wurde seine wahre Identität aufgedeckt. Des Mordes an Trotzki schuldig, wurde er zu zwanzig Jahren Gefängnishaft verurteilt, und da er keinerlei Reue zeugte, musste er diese vollständig verbüßen. Stalin hatte ihn bereits im Jahre 1940 zum „Helden der Sowjetunion“ ernannt und ihm den Leninorden verliehen. Beide Auszeichnungen hatte zunächst seine Mutter entgegen genommen; der Sohn war ja wegen Einsitzens im Gefängnis verhindert. Nach seiner Entlassung erfolgte 1961 die Übergabe der Auszeichnung als Held der Sowjetunion an Mercader. Auch fünf Jahre nach der grundstürzenden Rede des damaligen sowjetischen Partei- und und späteren Regierungschefs Nikita Chruschtschow gegen Stalin 1956 auf dem 20. Parteitag der KPdSU wurde dessen Verdikt gegen Trotzki beibehalten. Mercader starb 1978 in Havanna an Krebs und wurde auf dem Moskauer Friedhof Kunzewo beigesetzt.