28. Jahrgang | Nummer 22 | 15. Dezember 2025

Blanker Unfug: Argumente für Aufrüstung

von Jürgen Wagner

„Mittlerweile“, daran erinnert der Autor von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung e.V. in seiner kürzlich erschienenen Studie Kriegswirtschaft in Deutschland und Europa, „haben sich bis auf Spanien sämtliche EU-Staaten auf ein neues militärisches Ausgabenziel von 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verpflichtet. Statt wie im Jahr 2025 auf ohnehin schon üppige Militärausgaben der EU-Mitgliedstaaten von 392 Mrd. Euro zu kommen, rechnet die EU-Kommission bei einer Umsetzung des 5-%-Ziels mit einem Betrag von rund 900 Mrd. Euro.“ Jahr für Jahr, wohlgemerkt. „Dies erfordert“, so Wagner weiter, „die Einführung kriegswirtschaftlicher Elemente, um die Produktionskapazitäten drastisch zu erhöhen.“ Und unterstreicht: „Kriegswirtschaft bedeutet nichts anderes als die Umstellung erheblicher Teile von Produktion und Gesellschaft auf die Anforderungen des Krieges.“

Dafür operieren die Akteure in Politik, Militär, Wirtschaft, Geheimdiensten und Medien mit Begründungen, denen Wagner im fünften Kapitel seiner Studie auf den Grund geht. Sein Ergebnis: „Blanker Unfug“.

Nachfolgend dokumentieren wir das Kapitel. Auf die Wiedergabe der Zwischenüberschriften und Quellen wurde verzichtet; diese können auf der IMI-Homepage eingesehen werden (hier klicken!), auf der auch die Gesamtstudie zum Downloaden bereitsteht (hier klicken!).

 

Die Schreibweise des Originals wurde beibehalten.

Die Redaktion

 

Gerade aufgrund seiner gewaltigen Dimensionen gilt es die Annahmen bzw. Rechtfertigungen, mit denen der aktuelle Rüstungsschub begründet wird, kritisch zu hinterfragen. Sicherheitspolitisch wird dabei auf die Behauptung gesetzt, Russland hätte sowohl die finanziellen und materiellen Möglichkeiten als auch den Willen, NATO-Territorium anzugreifen. Und ökonomisch wird versucht, die Umstellung auf Kriegswirtschaft als neues Wachstumsmodell zu verkaufen. Beides sind friedenspolitische wie auch wirtschaftliche Irrwege, die schleunigsten verlassen werden müssen.

Wer im Weißbuch zur europäischen Verteidigung nach Begründungen für die ausgerufene „Ära der Aufrüstung“ sucht, stolpert vermutlich schnell über eine Stelle, die behauptet, die Militärausgaben der EU-Länder lägen „unter denen Russlands“ (Weißbuch 2025: S. 20). Tatsächlich weist die Military Balance für 2024 aber russische Militärausgaben von „nur“ 145,9 Mrd. Dollar aus. Nur über den Klimmzug, kaufkraftbereinigte Zahlen anzugeben, kommt Russland 2024 – übrigens auch dann erst zum allerersten Mal – mit 462 Mrd. Dollar auf eine größere Summe als die EU-Staaten (während die europäischen NATO-Staaten im Übrigen mit 484,2 Mrd. Dollar immer noch darüber liegen). Kaufkraftbereinigte Zahlen sind aber alles andere als unproblematisch: Die Military Balance gibt selber an, sie könne für die EU-Staaten keine zur Verfügung stellen und das renommierte Friedensforschungsinstitut SIPRI erachtet kaufkraftbereinigte Zahlen generell als ungeeignet, weil sich die Berechnungsgrundlage ziviler Güter und Dienstleistungen zu stark von militärischen unterscheiden würden. Und selbst wenn man kaufkraftbereinigte Zahlen nimmt, haben die europäischen NATO-Staaten seit 2014 weit über 1.000 Mrd. Dollar mehr als Russland in das Militär gesteckt. Wie erwähnt: Bei heutiger Umsetzung hätte das 5%-Ziel EU-Militärausgaben von 900 Mrd. Euro zur Folge – zum Vergleich: Der gesamte russische Staatshaushalt wurde für 2025 mit rund 410 Mrd. Euro veranschlagt.

Die geplanten Erhöhungen der Militärhaushalte lassen sich über den Verweis auf Russland also nur schwer rechtfertigen, zumal die Kräfteverhältnisse bereits heute selbst ohne die USA eklatant zugunsten der europäischen Staaten ausfallen. Trotzdem warnt etwa der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, dass Russland spätestens bis 2029 zu einem „großmaßstäblichen Krieg gegen Bündnisgebiet, wie wir es nennen, in der Lage wäre.“ Immer wieder ist in diesem Zusammenhang von einem internen Nato-Papier die Rede, demzufolge Russland spätestens ab 2029 hierzu willens und in der Lage sei. Der ansonsten eher zu den Hardlinern zählende Professor an der Bundeswehruniversität München, Carlo Masala, findet hierzu überaus deutliche Worte: „Niemand hat es [das NATO-Papier] lesen können. Ohnehin wird die Zahl 2029 von Politikern strategisch genutzt. Sie müssen sagen, dass Russland 2029 einen Krieg führen könnte, um die Menschen auf höhere Verteidigungsmaßnahmen einzustimmen. […] Ein russischer Einmarsch in Deutschland ist für mich ausgeschlossen.“

Selbst wenn der Wille zu einem großangelegten Angriff vorhanden wäre, mangelt es Russland an den Mitteln. Für eine „erfolgreiche“ Offensive wird davon ausgegangen, dass eine Überlegenheit von mindestens 3:1 benötigt wird (für die Einnahme von Städten sogar 6:1). Ein in einer Greenpeace-Studie vom November 2024 angestellter Vergleich ergibt aber bei allen militärischen Großgeräten (außer Atomwaffen) eine Überlegenheit der europäischen NATO-Staaten gegenüber Russland in etwa um den Faktor drei. Auch die neuesten Zahlen der Military Balance bestätigen diese deutliche Überlegenheit selbst für den Fall, dass nur die Fähigkeiten der EU, Norwegens und Großbritanniens berücksichtigt würden […]. Der Ex-Diplomat Hellmut Hoffmann kommt daher zu dem vernichtenden Urteil, ein Vergleich der Kapazitäten zeige, „dass die andauernd kolportierte Behauptung hoffnungsloser europäischer Unterlegenheit“ nichts anderes als „eine Legende zur Beförderung forcierter Aufrüstungspolitik ist“, die einer „europäischen Selbstermächtigungsagenda“ diene.

Angesichts der drückenden Überlegenheit der NATO käme ein russischer Angriff einem suizidalen Verhalten gleich, meint auch August Pradetto, ein emeritierter Professor der Bundeswehr-Universität in Hamburg: „Die russischen Streitkräfte sind trotz höchster Anstrengung in den letzten drei Jahren gegen die vergleichsweise schwache ukrainische Armee nicht weiter als 100 Kilometer vorgedrungen und dort stecken geblieben. […] Russland hat überhaupt keine Kapazitäten, um ein NATO-Land anzugreifen. […] Der gegenwärtige Panikmo- dus und der Überbietungswettbewerb in Fragen der Aufrüstung ist völlig verfehlt. […] Das Dümmste, das wir machen können, ist, uns selbst totzurüsten.“

Inzwischen räumen wie erwähnt selbst Hardliner wie Carlo Masala ein, ein russischer Großangriff sei mehr als unwahrscheinlich – das hält sie allerdings nicht davon ab, weiter Unsummen in die Rüstung pumpen zu wollen. Deswegen geht zum Beispiel Masala mit dem „Narwa-Szenario“ hausieren. Russland könne Nadelstiche versuchen, etwa die Einnahme der estnischen Grenzstadt Narwa, die dann durch eine Drohung mit Atomschlägen abgesichert werde, um so die NATO zu testen. Darauf erwidert Ex-Diplomat Hoffmann: „Warum Moskau für einen territorial unerheblichen und politisch hochgradig hypothetischen Gewinn nun plötzlich doch einen Krieg mit der Nato riskieren sollte, bleibt ebenso unklar, wie die Antwort auf die Frage, inwieweit weitere Aufrüstung von 32 bereits klar überlegenen Nato-Staaten ein Jota an dem durch eine Nukleardrohung aufgeworfenen Entscheidungsdilemma der Nato ändern würde.“ Als zweites Szenario, unterhalb des viel beschworenen Großangriffs wird vor hybrider Kriegsführung gewarnt (Cyberattacken, Sabotage, Drohnenüberflüge, Auftragsmorde, False-flag-Anschläge, Desinformation, Unterstützung populistischer Bewegungen etc.). Auch hier erschließt sich aber nicht, wie der aktuelle Rüstungsschub davor schützen soll, wie erneut Hellmut Hoffmann kritisiert: „Welchen Beitrag forcierte Aufrüstung, insbesondere mit exorbitant teurem Großgerät (ein Eurofighter kostet 100 Millionen Euro), zur Abwehr dieser Gefahren leisten soll, wüsste man gern.“

Dementsprechend hieß es in der bereits erwähnten Greenpeace-Studie im November 2024: „Die Analyse der militärischen Kapazitäten der Nato und Russlands lässt keinen Zweifel an der allgemeinen militärischen Überlegenheit der Nato. […] Die Notwendigkeit, in Deutschland die Militärausgaben weiter und dauerhaft zu erhöhen und dabei – in logischer Konsequenz – andere essenzielle Bereich wie Soziales, Bildung oder ökologische Transformation nicht ausreichend zu finanzieren, lässt sich daraus nicht ableiten.“

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Immer weniger Menschen dürften die bisherigen Erklärungen einleuchten, weshalb man meint, sich zugunsten der Militärhaushalte bis über beide Ohren verschulden zu müssen. Deshalb wird inzwischen neben sicherheitspolitischen Erwägungen immer stärker auch auf ökonomische Gründe verwiesen, weshalb hohe Rüstungsausgaben eine geradezu segensreiche Angelegenheit wären. Gänzlich neu ist das allerdings nicht, die EU-Kommission hantiert schon lange mit derlei Rechtfertigungen herum: „Investitionen im Verteidigungsbereich haben einen erheblichen wirtschaftlichen Multiplikatoreffekt, was die Gründung von Spin-offs, Technologietransfers auf andere Wirtschaftszweige sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen betrifft.“

Ganz ähnliche Argumente werden in jüngster Zeit vor allem auch in Deutschland buchstäblich ins Feld geführt, um die Umstellung auf Kriegswirtschaft als ein neues Wachstums- und Erfolgsmodell zu verkaufen. In einem „Olivgrünen Wirtschaftswunder“ läge der Ausweg für das in die Krise geratene Industriemodell. Ganz vorne mit dabei ist hier das arbeitgebernahe „Kieler Institut für Weltwirtschaft“ (IfW), das vehement für Aufrüstung plädiert und gleichzeitig die „Vorteile“ hoher Militärausgaben großzügig zurechtrechnet.

Zentral war hier eine im Februar 2025 pünktlich zur Münchner Sicherheitskonferenz veröffentlichte Studie mit dem Titel „Waffen und Wachstum: Die wirtschaftlichen Folgen steigender Militärausgaben“. Aufrüstung tut – zumindest der Wirtschaft – gut, so lautet die Kernbotschaft der von Ethan Ilzetzki, Professor an der London School of Economics, verfassten Studie. Zentrale Ergebnisse der Arbeit werden in der entsprechenden Pressemitteilung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft folgendermaßen wiedergegeben: „Ein neuer Report des IfW Kiel zeigt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,9 bis 1,5 Prozent im Jahr steigen könnte, wenn die EU-Staaten in dem entsprechenden Jahr ihre Militärausgaben vom NATO-Ziel von 2 Prozent auf 3,5 Prozent des BIP anheben und von überwiegend US-amerikanischen auf heimische Hightech-Waffen umsteigen würden.“ Ergo sei es auch kein Problem, wie aktuell praktiziert, Unsummen in die Rüstung umzuleiten – im Gegenteil: „Das bedeutet, dass Europa über seine Militärausgaben im Lichte seiner Prioritäten für die regionale Sicherheit entscheiden kann, ohne sich von der Angst vor einer wirtschaftlichen Katastrophe ablenken zu lassen.“

Ein Multiplikator von 0,9 bis 1,5 ist allerdings weit am oberen Ende bisheriger Untersuchungen zum Thema angesiedelt, wie kritische Stimmen anmerken: „In den Studien, die die Verteidigungsausgaben isoliert oder auch stellvertretend für alle Staatsausgaben untersuchen, finden die Wissenschaftler im Allgemeinen einen Multiplikator zwischen 0,6 und 1,2 – was bedeutet, dass eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben um 1 Dollar zu einem Anstieg des BIP zwischen 0,60 Dollar und 1,20 Dollar führen würde. […] Interessanterweise befinden sich die Multiplikatoren für Verteidigungsausgaben in neueren Studien eher am unteren Ende des Spektrums.“ Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk kommen in ihrer Studie „Wirtschaftliche Auswirkungen von Militärausgaben in Deutschland“ vom Juni 2025 auf noch einmal deutlich niedrigere Werte: „Der kurzfristige Fiskalmultiplikator für Militärausgaben dürfte in Deutschland höchstens bei 0,5 liegen, mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt er sogar weit darunter.“

Die Prognosen der Kieler-Studie (und noch manch anderer Akteure) hängen vor allem mit zwei problematischen Annahmen zusammen: Einmal, dass es zu erheblichen „Spin-Offs“ kommen werde, womit technologische Innovationen gemeint sind, die vom Rüstungssektor eingeführt werden und danach massiv zur volkswirtschaftlichen Entwicklung beitragen.0 Dieses Phänomen existiert allerdings lediglich in der Phantasie der Rüstungsbefürworter – oder in der Vergangenheit. Heute sind technologische Innovationen fast ausschließlich Sache ziviler Akteure, der sich dann Militär und Rüstung bedienen: „Innovation findet sich immer weniger in staatlich finanzierten Verteidigungsprogrammen und immer mehr auf dem kommerziellen Markt.“

Auch mit der zweiten Annahme, der eines olivgrünen Jobwunders, ist es nicht allzu weit her. Richtig ist natürlich, dass in der deutschen Rüstungsindustrie die Arbeitsplätze in den letzten Jahren deutlich steigen: Allein Rheinmetall, Diehl Defence, Thyssenkrupp Marine Systems und MBDA haben rund 16.500 zusätzliche Stellen geschaffen und wollen bis 2026 wohl weitere 12.000 hinzufügen. Europaweit gibt der größte Lobbyverband der Branche seine Beschäftigten für 2023 mit 581.000 (+8,9 %) an (bei einem Umsatz von 158,8 Mrd. Euro, einem Anstieg von 16,8 % gegenüber dem Vorjahr) – für dasselbe Jahr weist allein Volkswagen 654.359 Beschäftigte aus. Allein anhand dieser Zahlen wird ersichtlich, dass der Rüstungsbereich gänzlich ungeeignet ist, um im großen Stil Arbeitsplatzabbau in anderen Branchen aufzufangen. Dies bestätigen auch Untersuchungen für die USA, die zu dem Ergebnis gelangen, kein anderer Sektor erzeuge weniger zusätzliche Arbeitskräfte pro investierter Steuermilliarde wie die Rüstungsbranche. Und dies gilt auch hierzulande: „Die Hochrüstung könne zum ‚Jobmotor‘ der Zukunft werden, jubilierte etwa Carlo Masala in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. […] Allerdings sollte man sich nicht zu früh freuen. […] Die Erwartungen an den Beschäftigungseffekt der Hochrüstung [sind] eher gering: […] Investitionen in Infrastruktur, Klimaschutz, Gesundheit, Bildung usw. hätten einen 2- bis 3-mal höheren Beschäftigungseffekt.“

Darüber hinaus ist die Aussage der Kieler IfW-Studie, dass hohe Rüstungsausgaben zu einem Anstieg des BIPs führen werden, alles andere als spektakulär, sondern nahezu unstrittig: Wenn kurzfristig schuldenfinanziert riesige Beträge in irgendeinen Bereich der Wirtschaft gekübelt werden, hat dies fast zwangsläufig einen Anstieg des BIPs zur Folge. Allerdings kommt aber fast jede Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Gelder in so gut wie jedem anderen Bereich zu weit höheren Wachstumseffekten führen. Krebs und Kaczmarczyk schreiben dazu: „Investitionen in die öffentliche Infrastruktur oder soziale Dienstleistungen wie Kitas und Ganztagsschulen weisen dagegen Multiplikatoren zwischen 2 und 3 auf, also vier- bis sechsmal höhere Produktionseffekte pro eingesetztem Euro. […] Jeder Euro, der in Panzer, Flugzeuge und Munition investiert wird, fehlt an anderer Stelle, etwa bei der Modernisierung von Strom- und Bahnnetzen, beim Ausbau der Kinderbetreuung, bei der Förderung grüner Technologien oder bei der Qualifikation von Fachkräften. Die Vorstellung, dass der Staat alle diese Ziele gleichzeitig verfolgen kann, verkennt die Realität begrenzter finanzieller und real- wirtschaftlicher Ressourcen.“

Langfristig deutet zudem vieles darauf hin, dass sich Militärausgaben – abseits aller sonstigen Bedenken – sogar nachteilig auf das Wirtschaftswachstum auswirken: „Im Jahr 2020 ergab die groß angelegte Metastudie „Military Expenditures and Economic Growth“, in der 231 Studien ausgewertet und zusammengefasst wurden, dass hohe Rüstungsausgaben insgesamt einen überwiegend negativen Effekt auf das Wirtschaftswachstum haben. Der „Militär-Keynesianismus“ macht die Menschen also real ärmer, und hinten kommt nichts Gutes heraus. Nichts bis auf einen großen Haufen totes Metall.“

Anstatt sich aber allzu lange mit vorhandenen Studien zum Thema aufzuhalten, könnte man auch einfach die ansonsten derzeit ja gern zitierten Rüstungshardliner Christian Mölling (Bertelsmann) und Torben Schütz (DGAP) zitieren. Bei capital.de schrieben sie bereits voriges Jahr: „Aufrüstung ist teuer und unpopulär – daher verfallen einige Politiker auf eine neue Idee: Die Rüstungsmilliarden könnten eine Konjunkturspritze sein. […] Doch unterm Strich ist die Idee des Rüstungs-Keynesianismus ein gut gemeinter Versuch, sicherheitspolitisch notwendige Investitionen über Wohlstandseffekte zu vermitteln. […] Rüstung ist bekanntermaßen eine vergleichsweise schlechte Investition, wenn es um die Förderung der Volkswirtschaft geht. Hier bringen Investitionen in Bildung oder Infrastruktur viel höhere Effekte.

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Rüstungsinvestitionen führen also, wenn überhaupt, nur kurzfristig zu einem relativ geringen Wirtschaftswachstum, langfristig wirken sie sich negativ aus, was die Frage aufwirft, woher die Gelder dafür stammen sollen: „So oder so, das ‚Deficit spending‘ des Staates zugunsten der Rüstungsindustrie muss auf die eine oder andere Weise refinanziert werden. Entweder direkt über erhöhte Steuern oder per Kredit, der aber früher oder später auch zu begleichen ist. Die Frage, wer die Zeche für Kriegsgerät zahlt, gerät dann direkt zu einer klassenpolitischen Angelegenheit.“

Eine schuldenfinanzierte Aufrüstung soll allenfalls über einen gewissen Zeitraum betrieben werden, perspektivisch plädiert zum Beispiel IfW-Chef Moritz Schularick dafür, das Geld über Kürzungen in anderen Bereichen im Haushalt aufzubringen: „Ich kann sehr gut mit der vereinbarten Ausnahme der Verteidigungsinvestitionen von der Schuldenbremse leben. Aber klar ist: Langfristig müssen wir die Ausgaben in den regulären Haushalt einbinden. Wir müssen also umschichten aus anderen Ausgabenposten oder neue Einnahmen finden.“

Da das IfW wenig davon hält, die Einnahmeseite etwa durch Reichensteuern oder dergleichen zu verbessern, ist es auch kaum eine Überraschung mehr, wo bzw. auf wessen Kosten „umgeschichtet“ werden soll. So forderte Schularick unter Zuhilfenahme eines in die Nazizeit zurückreichenden Spruchs unter dem Titel „Wir müssen aufrüsten für den Wohlstand“: „Deutschland und Europa müssen aufrüsten, auch wenn die Konsequenzen für die Staatsfinanzen dramatisch sein werden. […] Wie viel mehr Geld müssten wir dafür ausgeben? Wenn wir uns an anderen Ländern orientieren, scheint eine Erhöhung der Militärausgaben bis zum Ende des Jahrzehnts auf 150 Milliarden Euro jährlich realistisch. […] Wie kann und wie sollte ein solches Paket daher finanziert werden? Mittelfristig wird kein Weg daran vorbeiführen, harte Budgetentscheidungen zwischen ‚Kanonen und Butter‘ zu treffen.“

Es ist schon einigermaßen kaltschnäuzig, wenn Menschen, die sich um die Butter auf ihrem Brot keine Sorgen zu machen brauchen, die ärmsten in der Bevölkerung dazu auffordern, für „den Wohlstand“ die Gürtel noch enger zu schnallen.

 

Nachtrag: Rüstung statt Rente – Kanonen statt Butter

Neben dem Kieler IfW sticht besonders das Münchner Ifo-Institut in der Debatte über höhere Rüstungsaus-gaben unangenehm heraus. So forderte ifo-Chef Clemens Fuest bereits im Februar 2024: „Kanonen und Butter – das wäre schön, wenn das ginge. Aber das ist Schlaraffenland. Das geht nicht. Sondern Kanonen ohne Butter.“ Und Anfang 2025 machte sich Niklas Potrafke vom Ifo-Institut mit ähnlichen Forderungen nach Sozialkürzungen bemerkbar: „Kernaufgabe der Politik ist es, Prioritäten zu setzen. Deutschland wird nicht nach Belieben konsumtive und investive Ausgaben erhöhen können. […] Verteidigung ist eine Kernaufgabe des Staates und gehört deshalb in den Kernhaushalt. […] Der größte Posten im Bundeshaushalt sind Zuschüsse in die Rentenversicherung – alsbald 130 Milliarden Euro im Jahr. Das ist eine klassische konsumtive Ausgabe. Wir haben es über Jahre verschlafen, wesentliche Strukturreformen anzugehen. Ein prominentes Beispiel ist der Umgang mit dem demographischen Wandel. Wir sollten nun dringend zusehen, durch entschlossenes Anpassen des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung die Zuschüsse in die Rentenversicherung zu reduzieren.“

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors.