Am 2. Februar 1943 endete die Schlacht von Stalingrad mit der deutschen Kapitulation. Zum 80. Jahrestag dieses Sieges veranstaltete die russische Führung in Wolgograd, das bis 1961 Stalingrad hieß, eine Gedenkveranstaltung. Der russische Präsident Wladimir Putin hielt eine kurze Rede, in der er eine direkte Parallele zum derzeitigen Kriegsgeschehen zog. Wieder sei die Existenz Russlands bedroht, und wieder seien es deutsche Panzer „mit ihren Kreuzen“, die Russland heimsuchten.
Ob das zutrifft, wäre die Frage. Die deutschen Panzer mussten auf ukrainisch umgespritzt werden, bevor sie ausgehändigt wurden, weil Deutschland erklärte, nicht direkt Kriegspartei zu sein. Dann würden die Kreuze verschwinden. In deutschen Medien wurden jedoch immer wieder Bilder deutscher Panzer für die Ukraine präsentiert, auf denen die Kreuze prangten.
Weiter sagte Putin: „Es ist unfassbar, aber eine Tatsache: Wir werden erneut mit dem deutschen Panzer Leopard bedroht.“ Der Spiegel höhnte: „Anders als von Putin dargestellt, gab es damals [im Zweiten Weltkrieg – E.C.] keine Leopard-Panzer.“ Dies hinwiederum war nur halb richtig. Hierzulande liebte man es schon immer, Kampfpanzer nach möglichst großen Raubkatzen zu benennen: So hießen sie im Zweiten Weltkrieg „Panther“, die größere Variante „Tiger“ und zum Ende des Krieges gab es dann noch den „Königstiger“. Das Projekt „Löwe“ konnte nicht mehr realisiert werden, der Krieg ging zu schnell verloren.
Da klang der spätere „Leopard“ der BRD zunächst etwas genüglicher. Aber man blieb bei den Katzentieren, und der Rüstungskonzern Rheinmetall hatte Mitte 2022 bereits einen neuen „Panther“ vorgestellt. Der Konzern hatte dann angekündigt, diesen Panzer an die Ukraine zu liefern. Die Ukraine sei „der erste Kunde für das Fahrzeug“, schrieb das Handelsblatt. Deutschland schaut abermals auf Kriegsführungsfähigkeit, der Raubkatzen-Zyklus geht weiter.
Gleichwohl zog ein internes Bundeswehr-Papier eine ernüchternde Bilanz des Einsatzes deutscher Waffen in der Ukraine: „Untauglich für den Kriegseinsatz“ (Tagesspiegel). Deutschland hatte der Ukraine etliche, teils sehr moderne Waffensysteme geliefert: Leopard-Panzer, die Panzerhaubitze 2000 und sowie das bodengestützte Flugabwehrraketen-System IRIS-T. Doch sie zeigten im Einsatz unter Realbedingungen erhebliche Schwächen. Der Krieg in der Ukraine wurde zu einem Experimentierfeld zur Erprobung deutscher Waffensysteme unter realen Bedingungen. Ein internes Protokoll der Bundeswehr, über das zuerst ein Rechercheteam von WDR, NDR und der Süddeutschen Zeitung berichtete, dokumentierte die Performance deutscher Waffen im Kriegseinsatz.
In dem als Verschlusssache eingestuften Papier zog der Militärattaché der Deutschen Botschaft in Kiew eine in weiten Teilen ernüchternde Bilanz der ukrainischen Erfahrungen mit deutschem Gerät. Die Leopard-Panzer zeigten demnach große Schwächen. Der ältere Leopard 1A5 sei zwar „zuverlässig“, werde aber aufgrund von „zu schwacher Panzerung oft nur als Behelfsartillerie eingesetzt“, ohne an der Front bewegt zu werden. Der modernere Leopard 2A6 habe zwar viele Vorzüge, könne aber an der Front oft nicht eingesetzt werden, weil der „Aufwand der Instandsetzung so hoch“ sei. Besonders kritisch fiel das Urteil über die Panzerhaubitze 2000 aus. Die Artillerie sei ein „hervorragendes Waffensystem“, zeige aber eine „so hohe technische Anfälligkeit, dass die Kriegstauglichkeit stark infrage gestellt wird“. Mit anderen Worten: deutsche Spitzen-Ingenieurskunst ist auf dem Schlachtfeld eher hinderlich.
Auch bei der Luftverteidigung ergab sich ein gemischtes Bild. Das hochmoderne System IRIS-T galt als „sehr wirkungsvoll“, doch die Munition sei „nicht in der notwendigen Zahl vorhanden“ und zudem zu teuer. Das US-amerikanische Patriot-System sei ebenfalls grundsätzlich ein „hervorragendes Waffensystem“, aber praktisch „untauglich für den Kriegseinsatz“, da die Trägerfahrzeuge von MAN zu alt seien und es keine Ersatzteile mehr für sie gebe.
Einzig der ältere und bei der Bundeswehr bereits ausgemusterte Flugabwehrpanzer Gepard wurde durchweg positiv bewertet. Aus ukrainischer Sicht war er das „beliebteste, effizienteste und zuverlässigste Waffensystem“. Durch die enorme Ausweitung des Drohneneinsatzes im Krieg spielen Systeme zur Luftverteidigung im Nahbereich, wie der Gepard, eine immer zentralere Rolle. Insgesamt zog der Militärattaché das Fazit: „Uneingeschränkt kriegstauglich ist kaum ein deutsches Großgerät.“ Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius zeigte sich über die Berichte überrascht.
Schon aus den beiden Weltkriegen wissen wir, dass die weitreichendsten Neuerungen im Verlaufe des Krieges kommen. Im Ersten Weltkrieg waren dies Panzer und Kriegsflugzeuge, im Zweiten Weltkrieg Düsenflugzeuge, Angriffsraketen (V1, V2) und Atombomben. Im Ukraine-Krieg sind es nun die Drohnen. Die waren in anderen Kriegen, so zwischen Aserbaidschan und Armenien, auch schon im Einsatz, aber nirgends so massiv wie jetzt, und zwar auf beiden Seiten. Massenhafte Einsätze der Panzerwaffe wurden erheblich erschwert, weil vergleichsweise preiswerte Drohnen recht teure Panzer zerstören können. Das klappt offenbar nicht nur mit Drohnen aus der russischen Militärindustrie, sondern mit solchen, die ukrainische Freiwillige in ihrer Garage zusammengebaut haben.
Um ihre Soldaten sowie das Gerät zu schützen, rüstet die Ukraine ihre Kampfpanzer nach. Besonders im Fokus: der deutsche Leopard 2, von dem Kiew Schätzungen zufolge über 100 Stück in verschiedenen Varianten von NATO-Staaten erhalten hat. Grund für die Nachrüstung sind sogenannte Kamikaze-Drohnen. Dabei handelt es sich meist um FPV-Drohnen (First Person View), also ferngesteuerte Kleindrohnen mit Kamera und Sprengsatz, die präzise die verwundbarsten Stellen ihrer Ziele ansteuern; bei Panzern etwa das Dach des Turms, das bei vielen Modellen nicht ausreichend geschützt ist. Solche Drohnenangriffe stellen ein vergleichsweise neues Bedrohungsszenario dar – auf das ältere Modelle des Leopard 2 serienmäßig nicht ausgelegt sind.
Ein Video, das das ukrainische Verteidigungsministerium auf X veröffentlichte, zeigte einen umgebauten Leopard 2A4 mit einer auffälligen Metallkonstruktion über dem Turm. Diese improvisierten Gitter sollen verhindern, dass Drohnen ihre Sprengsätze direkt an der empfindlichsten Stelle des Panzers zünden. Trotz der Nachrüstung verzeichnet die ukrainische Armee auch unter Kampfpanzern hohe Verluste. Nach Angaben der Open-Source-Plattform Oryx, die militärisches Gerät anhand von Bild- und Videomaterial dokumentiert, wurden bis zum 18. Mai 2025 insgesamt 43 Leopard 2-Panzer durch Kampfhandlungen zerstört, beschädigt oder aufgegeben. Darunter 26 Leopard 2A4, 13 Leopard 2A6 sowie vier Leopard 2R-Minenräumpanzer, die Finnland 2023 geliefert hatte.
Neben den Leopard-Panzern sind auch andere Waffensysteme im Einsatz zerstört worden. Demnach verlor die Ukraine bislang 42 Marder-Schützenpanzer (von insgesamt 140 gelieferten), 173 amerikanische Bradley-Schützenpanzer (von über 300 gelieferten) sowie 22 Abrams-Kampfpanzer (von 31 gelieferten). Insgesamt beziffert Oryx die Verluste der ukrainischen Streitkräfte seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf über 8.900 Fahrzeuge.
An die Ukraine wird nun der deutsche Schützenpanzer Lynx geliefert. (Diesmal hat man die altgriechische Bezeichnung für den Luchs gewählt – man bleibt also bei den Raubkatzen.) Rheinmetall plant, dieses Modell künftig vollständig vor Ort herzustellen. „Wir können unsere Produktion noch ausweiten – in der Ukraine wie in Deutschland“, schrieb Armin Papperger, Vorstandsvorsitzender der deutschen Rüstungsschmiede Rheinmetall. Die Perspektive ist daher nicht der deutsche Rüstungsexport in die Ukraine, sondern die Kooperation vor Ort. Das hat auch deshalb eine besondere Komponente, da die Ukraine zu sowjetischen Zeiten einer der wichtigsten Standorte des Militärisch-Industriellen Komplexes war.
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Der Rüstungskonzern KNDS N.V. ist aus einer Fusion des deutschen Rüstungskonzerns Krauss-Maffei Wegmann und des französischen Rüstungsunternehmens Nexter hervorgegangen. Er ist hälftig im Besitz des französischen Staates und der deutschen Wegmann-Gruppe. Der Sitz des Konzerns ist jetzt in den Niederlanden, und er gilt als niederländischer Konzern. Neben dem Leopard entwickelt und produziert das Unternehmen zahlreiche weitere Militärfahrzeuge wie Panzerhaubitzen, Radfahrzeuge wie Boxer und Artilleriesysteme. KNDS gilt als zentrale Industrieplattform für Großprojekte wie künftige Panzer- und Artilleriesysteme. Die Bundesregierung hat mitgeteilt zu prüfen, in das Unternahmen einzusteigen.
In einer Werbung von KNDS heißt es: „Militärische Systeme sind komplexe, hochgradig vernetzte Spitzentechnologie. Damit sie ihr volles Potential entfalten können, muss das Ganze mehr sein als die Summe seiner Teile. […] Unsere Kunden erwarten einen Partner, der das Ganze beherrscht. Einen Partner, der Lösungen aus einer Hand liefert und betreut.“
So nett hat sich die Rüstungsindustrie lange nicht verkauft. Auch das ist „Zeitenwende“.


