In einer schönen Frühlingsnacht des Jahres 1905 steht ein junger Mann in Rom am Fenster seines Hotelzimmers, zutiefst ergriffen und beglückt von den Volksmusikern, die auf der Straße singen und spielen. „Sie dürfen nicht aufhören. Und wenn ich hungrig zu Bette soll. Ich werfe immerzu Geld hinunter und verlange eine Oper nach der anderen. Das geht seit zwei Stunden …“
Der Mann am Fenster ist der 25-jährige Siegfried Jacobsohn. Vor Monaten ist er in Berlin aufgebrochen, zu einer Reise durch Frankreich und Italien. Überwältigt von den Eindrücken in den großen Kulturstädten Europas, in Wien, Paris, Neapel, hat er inzwischen Abstand gewonnen von den Ereignissen, die ihn aus Berlin vertrieben haben. Längst arbeitet sein Kopf an dem neuen Projekt, das jetzt sein Leben werden soll: Die eigene Zeitschrift.
Es ist für ihn keine Frage, dass sie nur ein Thema haben kann: das Theater. Das Theater ist seine Leidenschaft. Seine große Liebe. Und er ist überzeugt davon, dass die Verhältnisse in Deutschland besser würden, wenn die Deutschen ein besseres Theater hätten.
Wie viele der Jungen, die es nun in der Kunst zu etwas bringen wollen, kommt er aus gutbürgerlicher, jüdischer Familie, und auch er zeigt wenig Neigung, das Geschäft des Vaters fortzuführen. Mit sechzehn nimmt er sein Leben in die eigene Hand. Er verlässt die Schule und kümmert sich nun selbst um seine Ausbildung. An der Berliner Universität kann man auch ohne Abitur acht Semester studieren. Das tut er, mit ungeheurem Engagement. Er besucht Vorlesungen, rennt in alle Theater, in die Proben, in Generalproben, in dritte, vierte Vorstellungen, liest, diskutiert mit Gleichgesinnten … Wer sich über ihn damals und später äußert, scheint vor jedes der Substantive ein groß zu setzen. Vor seine ungeheure Arbeitswut, vor seine nie erlahmende Kämpfernatur, sein berühmtes Lachen, seinen sich in Feindschaft und Freundschaft immer wieder bewährenden Charakter.
Schon als Halbwüchsiger kannte er alle Berliner Inszenierungen, er ist zwanzig, als er Kritiker der Welt am Montag wird, von Anfang an ein sicherer Stilist, ein Kenner der Szene, einer, der genaue Vorstellungen davon hat, wie das Theater der Zukunft aussehen soll.
Und somit auch seine Zeitschrift. Er nennt sie Schaubühne, ganz im Sinne von Friedrich Schiller, der sie als eine moralische Anstalt und ein Instrument der Aufklärung betrachtete. Das alles soll sein Blatt werden. Er gewinnt Autoren, die seine Liebe teilen und die nicht selten genau so jung sind wie er. Die in der Kunst leben und sie als einen Protest gegen die Welt der Väter betrachten, in der sie keinen Platz finden. Noch heute kennt man sie: Hugo von Hofmannsthal, Frank Wedekind, Theodor Lessing, Egon Friedell, Lion Feuchtwanger, Christian Morgenstern, Julius Bab, Bernard Shaw, Peter Altenburg. Unzählige andere.
Längst hat „Berlin“ den kleinen Skandal vergessen, dessen Mittelpunkt S. J., wie er sich nun in seinem Blatt nennt, 1904 wurde: Um sich selbst zu beweisen, hatte er in den vergangenen Jahren, ganz nebenbei, eine Geschichte der „Theater der Reichshauptstadt“ geschrieben. Nun, da sie erschien, fanden sich Leute, die seinen Text mit anderen verglichen – und fatale Ähnlichkeiten feststellten. Dieses oder jenes hatten andere schon vor ihm geschrieben. Hellmut von Gerlach und Maximilian Harden verteidigten ihn, sprachen von seinem phänomenalen Gedächtnis … Er war 21, 22. als er das Buch geschrieben hat. Er lernt. Und nun geht es vorwärts, weiter, ins Neue, Offene. Am 7. September 1905 erscheint das erste Heft.
„Was wollte er nicht alles“, so S. J. „Speere werfen und die Götter ehren … des Hasses Kraft, die Macht der Liebe auf Gebilde schlechter, guter Kunst entsenden.“ Das Blatt bringt Rezensionen, Porträts von Schauspielern und den großen Kritikern, Gedichte, gelegentlich sogar eine Skizze von Inszenierungen, Betrachtungen über Kunst. Jede Woche neu, ein Spiegel der Theaterszene.
Die Auflage ist gering – in den Anfängen nicht höher als 400 bis 500 Exemplare pro Woche. Aber die Zahl der Kulturzeitschriften, die am Beginn des neuen Jahrhunderts emporwachsen, ist auch kaum zu überblicken. In jedem Jahr kommen neue hinzu. Und sie werden gelesen, viele lesen mehr als eine. Die junge Intelligenz dieses Landes ist in einem permanenten Austausch über Literatur und Kunst. Das ist ihr Leben. Das ist ihre Hoffnung auf die Zukunft. Nebenbei studiert man dann vielleicht noch ein bisschen Jura …
Die Honorare, die Jacobsohn zahlen kann, sind gering. Aber wer etwas zu sagen hat, rennt in die Redaktionen und schreibt und diskutiert und streitet. Manche sind noch Schüler, die meisten so jung wie Jacobsohn selbst. Und wenn’s gut geht, haben sie noch einen kleinen finanziellen Rückhalt von Vaters Firma.
Wofür S. J. streiten wird, sagt er klar und deutlich: Während anscheinend das ganze Bürgertum erfüllt ist von unendlicher Begeisterung für Wagner, den großen neuen Star, ist der ihm „nur ein Sammelname für die hassenswürdigsten Begriffe: Krampf, Unklarheit, Großmannssucht, Unanmut, Brunst und Dunst, Lautheit, Breite, Kulisse, Treibhaus, Öde und Schwerfälligkeit“. Man wird erschlagen vom Furor, mit dem S. J. streitet. Was hier Zorn ist, wird Begeisterung, sobald er sich in der Welt Mozarts befindet. Bei ihm sieht er „Helligkeit, Grazie, Natur, Heiterkeit, Unschuld und Leidenschaft, Adel, Süße, Tiefe, Gefühl, Schwermut und Schwerelosigkeit“.
Das ist natürlich mehr als die Wahrnehmung zweier Komponisten. Dahinter stehen ein Charakter und dessen Verachtung für eine Geisteshaltung, an der er Deutschland kranken sieht: Den Wilheminismus und die Kunst, die dieser Kaiser fördert.
S. J. 1915: „Was ein wollender Mensch will, ist immer auf einen einzigen Satz zu bringen. Ich werde bis zu meinem hundertsechzigsten Jahre nichts andres wollen, nichts andres zu erreichen trachten, als daß die Deutschen sich vom ‚Ring des Nibelungen‘ angewidert, von ‚Figaros Hochzeit‘ beglückt fühlen. Das ist die Arbeit eines Lebens wert. Denn darin liegt, richtig verstanden, alles. Dort ist vereint, was wir in uns abtöten, hier, was wir in uns züchten und hegen müssen.“ Vorhang.
Von seinen Autoren verlangt er anderes. Hier darf jeder Seins sagen, so er es mit zwingenden Argumenten vorträgt. Mit Witz und gutem Stil … Man stritt in diesem Blatt, oft erbittert, denn immer zählte die eigene Meinung. S. J. sagt in seinen Rezensionen „ich“ und wer seine Eigenes überzeugend darstellen kann, ist willkommen. Nie wäre Jacobsohn auf die Idee verfallen, seine Leser zu fragen, welche Themen die Schaubühne im kommenden Jahr vertreten solle. Das bestimmte er, das bestimmten seine Autoren. Der Leser hatte das Recht, das Blatt zu lesen oder es nicht zu lesen – mehr nicht. So herrschte also schon in der jungen Schaubühne die Demokratie, was die Vielfalt der Ansichten betraf. Und die Monarchie gegenüber den Lesern. Lest mich oder lasst es. Das war die Grundlage der geistigen Freiheit, die sich allwöchentlich hinter der ziegelroten Fassade des Blattes finden ließ.
Schon bald übersteigt die Schaubühne die engen Grenzen des Theaters. Beiträge aus anderen Bereichen der Kunst erscheinen. Neue Autoren kommen zum Blatt, andere verlassen es. Manche im Streit. Dann, 1913, scheinbar von einem Tag auf den anderen, ändern sich die Konditionen.
Am 25. September 1913 erfährt der Leser die große Neuigkeit: unter „Antworten“ – gerichtet an die „getreuester aller Leserinnen“ – teilt S. J. mit, er wolle „künftig das Fenster seines Arbeitszimmers öffnen, ein wenig hinausblicken und Ihnen dann berichten, was es draußen gibt“.
Was ist passiert mit dem Mann, der sich ganz bewußt über Jahre zu einer Haltung fern der Politik bekannt hat?
1913 ist auch das Jahr, in dem Tucholsky zum Blatt kommt, bald auch vier seiner berühmten 5 PS. Schon am 9. Januar, in Heft 2, erscheint sein erster Beitrag. Tucholsky ist gerade 23 und bereits eine Berühmtheit. Soeben hat er „Rheinsberg“ veröffentlicht, die heitere Geschichte vom Ausflug mit der klugen Claire, mit ihrer freien Vorstellung von der Welt und der Liebe.
Tucholsky hat Jura studiert, wenn auch mit geringem Eifer, doch er weiß, was er der Familie schuldet. Sein Leben aber gehört der Literatur und den großen Ideen seiner Zeit.
Jacobsohn fördert ihn, gibt ihm Sicherheit, kritisiert … Es ist eine große Freundschaft, die sich in der Arbeit am „Blättchen“ entwickelt. Denn dieser junge Mann, neun Jahre jünger als Jacobsohn, hat etwas einzubringen. Er weiß um die sozialen Probleme, er schätzt Heinrich Manns Bekenntnis zur Demokratie. Und er ist dabei, das Thema und den Ton seines Lebens zu finden. Zuhause in den Varietés der Stadt, in den Bars, den Theatern, dem Kabarett, hört er hinein in die Sprache der Straße, kennt sie von Kindheit an, studiert, woher die Clowns und Conferenciers und Chanconetten ihre Wirkung beziehen.
„Jede Objektivität ist grotesk. Sieh zugleich das Nahe und das Ferne, und du lachst.“ Wenig später über Max Pallenberg, einem der bedeutendsten Charakterkomiker dieser Jahre: er zeige, „daß sich letzten Endes Tragik und Humor berühren, eins werden […]. Den Humor haben viele, keiner – das andre“.
Kenner der Weltbühnen-Geschichte sehen Tucholsky im Hintergrund der Veränderung von 1913. Hat er S. J. dazu gebracht, die Richtung zu wechseln? Ein wenig zumindest? Tucholsky dementiert. Es gibt Argumente, die dafür sprechen, doch auch andere, dagegen. S. J.s enge Verbundenheit mit seinem Blatt, sein starker Charakter … Wird einer, der so eigenwillig ist, dessen Lebensaufgabe dieses Blättchen ist, sich so einfach …?
Wie auch immer: „die beste deutsche Theaterzeitschrift, die wir besitzen“, wie Maximilian Harden feststellt, verlässt die gesicherten Positionen. Und öffnet sich der Welt.
Für den regelmäßigen, aufmerksamen Leser beginnt die Veränderung keineswegs mit der Mitteilung an die „getreueste aller Leserinnen“ vom September. Dieses ganze Jahr 1913 ist vom neuen Blick auf die Welt durchzogen. Im März erscheint ein neuer Autor. Er nennt sich Vindex und was er schreibt, ist in hohem Maße bemerkenswert: Es ist „Börsentheater – Theaterbörse“, wie die Überschrift sagt. Und die Börse ist kein Synonym für irgendetwas, hier ist die Börse wirklich die Börse. Vindex zeigt, was hinter den Dingen liegt, den Urgrund aller Politik, die Wirtschaft, wenn er darüber schreibt, wie Theater gerade in die Pleite geraten.
Vindex benennt als Ursache jene „Art der Finanzierung von Theaterunternehmungen, jene Verquickung von Grundstücksspekulation, Bauunternehmungen, Bareinlagen-Engagements und Lieferantenbeteiligungen in Zeiten wirtschaftlichen Umschwungs, die schwere Gefahren für die Beteiligten mit sich bringt: selbst dann, wenn das Publikum zu regulären Preisen in Massen die Kunsttempel füllt (was es nicht tut) und die Stücke, die man gibt, gut sind (worüber ich lieber nicht urteilen möchte)“.
Wer von den Kunstjüngern hätte gedacht, dass über Kunst nicht nur Geschmack und Können entscheidet? Dass da ganz andere Kräfte im Untergrund wirken? Nicht nur in der Kunst?
Ein halbes Jahr später, im September, weist Jacobsohn in einer großen Ankündigung darauf hin: „Es gibt hundert Zusammenhänge [des Theaters – H.H.], mit den anderen Feldern, die auf die Dauer doch nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Wir können uns nicht entziehen, wenn der Reichsbankdiskont hinaufgesetzt wird. Und letzten Endes hängen wir alle an Fäden, die in der Burgstraße [dem Sitz der Börse – H.H.] zusammenlaufen. An feinen Fäden, die wir nicht immer sehen. Aber gerade deswegen sollten wir sie sorgfältig ansehen, sollten wir lernen, wie es auf der Welt zugeht. Denn schließlich sitzt im Theater […] auch ein Publikum, von dem hier noch zu wenig gesagt worden ist.“
Vindex, dessen Bedeutung für das Blatt von 1913 gar nicht hoch genug geschätzt werden kann, war Autor durch Tucholksky geworden. Er war Dozent an der Berliner Verwaltungakademie, mit richtigem Namen Martin Friedlaender, und hatte den Studenten K. T. als Repetitor aufs Examen vorbereitet. Also doch: Tucholsky als Initiator?
Die Wahrheit dürfte woanders zu suchen sein. 1913, im Jahr vor Ausbruch des Krieges, hatte sich die Welt verändert. Innenpolitische Probleme spitzten sich zu, außenpolitische Konfrontationen wuchsen. Bevor das Gewitter losbricht, ändert sich die Atmosphäre, und eine hoch sensibilisierte junge Generation, deren Interessen bis dahin nur der Kunst gegolten hatten, reagiert darauf. Sie schält sich aus ihren Hüllen und öffnet die Fenster. Erfüllt von dem vagen Gefühl, dass sich was ändern müsse im Land.
Ganz in diesem Sinne erscheint bereits im Juni 1913 Jacobsohns Generalabrechnung mit dem, was dieser Kaiser, Wilhelm II., seinem Volk gegeben hat. „Was verdankt die Kunst diesem Kaiser?“, fragt S. J.. Und die Antwort, so kurz wie entschieden: „Nichts.“ Sein Fazit: „Heer und Marine haben sich durch ihn entwickelt. Sport und Verkehrswesen mit ihm. Handel, Technik und Wissenschaft ohne ihn; die Künste gegen ihn.“ Dieser Kaiser hat seine wichtigste Aufgabe nicht erfüllt: die Veredelung des Menschen und damit die Verbesserung der Welt. Das Ziel, mit dem Jacobsohn angetreten ist.
„Wenn fünfundzwanzig Jahre lang ein lärmendes Scheinwesen, eine seelenlose Pracht gefördert worden ist, dann haben schließlich fast alle Gebiete des öffentlichen Lebens gelitten. Betriebsamkeit ist die Losung […]. Glanz geht über innern Gehalt. Und selbst der Glanz ist nicht echt.“
Jacobsohns Abrechnung ist kein Einzelfall im Blatt. Das Jahr hat kaum begonnen, da lesen wir, was Herbert Ihering über den Kaiser zu sagen hat: er sei eine „Vereinigung von lautem Imperialismus und verschämtem Merkantilismus, von mittelalterlichem Herrscher und amerikanischem Geschäftsmann“.
Im März gibt Arnold Zweig der Resignation der Geistigen eine Stimme: „Es ist ein überpersönliches Warten, es ist die Gerechtigkeit der Welt, die verletzt ward, und die nun im Zustand der Spannung bleibt, bis irgendwann Sühne kommt, oder bis in alle Ewigkeit, wenn am Ende der Tage […] alle zerstörten Wesenheiten, die Gerechtigkeit, die Wahrheit, der Friede wieder in ihrer Gesamtheit hergestellt sind.“
Und zum Jahresende konstatiert Robert Breuer, wenn er reflektiert, was der Kaiser hat bauen lassen, so ganz nebenbei das Ende einer Epoche: „Es kommt die Bauperiode der Demokratie: der Eisenbeton ist ihr ein Pionier. Sie kommt unaufhaltsam.“
Wie sehr die neue Schaubühne nun dem Geist der Zeit entsprach, zeigt eine einfache Feststellung: Während die Auflage jahrelang nur wenige hundert Exemplare erreichte, steigt sie 1913 auf über 4000. Auch so hat der Leser das Wort.
Es muss sich etwas ändern, fordert eine ganze Generation. Erfüllt vom Ungenügen ihrer Zeit. Sie schreiben darüber, sie empören sich. Doch es bleibt ein Gefühl. Allgemein – und ziellos.
Kurt Tucholsky reagiert darauf im April 1914: „Wir haben hundert Dogmen der Reflexion, aber kaum eines des Handelns […]. Macht und Geist sind zwei Faktoren, die einander heute ferner sind denn je.“ Auch er sieht das vage Warten einer Generation auf Veränderung. Mit tausend Vorstellungen von dem, was anders werden, und viel zu geringem Wissen von dem, was getan werden müsste. Dazu Tucholskys Stoßseufzer: „Gott gebe uns ein paar rechte Kerle, damit wir über diesen faulen Vormärz herüberkommen, in einen richtigen Frühling hinein.“
Dann ist die Veränderung da. Der Krieg bricht aus. Und erreicht eine bürgerliche Welt mitten in den Ferien. Sie reisen heim, mit einer Visitenkarte als einziger Legitimation, denn noch gibt es keine Pässe. Sie erleben Begeisterung, die hysterische Jagd auf Spione, bald auch den Kitsch und die Dummheit auf den Bühnen. Nicht wenige glauben, nun würde alles anders. Der Krieg als Einiger des Volkes, der die Nation bessern und stärken werde. Sie glauben an den Sieg. Sie glauben an die deutsche Überlegenheit.
Auch in der Schaubühne.
Doch zugleich erleben wir, wie Menschen versuchen, schreibend ihre Zeit zu begreifen. Den Sinn des Krieges, das Elend an den Fronten. Ohne andere Kenntnis von den täglichen Ereignissen als dem, was sie von Gleichgesinnten hörten. Denn was ihnen die Zeitungen täglich zumuten, zensierte Zeitungen, ist fern der Wahrheit. Da steht nichts über das tägliche Leid in den Schützengräben, nichts über Drill und Stumpfsinn, nichts über einen Alltag, der die Seelen tötet, nichts über das Leid der Zivilisten. Und, natürlich, auch nichts über die tatsächlichen Ursachen des großen Mordens.
Dass der Krieg kein tapferes Männerhandwerk ist, kein Ereignis, das das Volk einigt und reinigt und erhebt, dass er ein großes Verbrechen ist – das ist ein langer Prozess der Erkenntnis. In der Schaubühne der Kriegsjahre kann man ihn verfolgen, Jahrgang um Jahrgang.
An seinem Ende aber steht – pazifistisch, kämpferisch, unerschrocken – eine der berühmtesten Zeitschriften der Weimarer Republik: Die Weltbühne. Wie man den Krieg bekämpfen kann, wie man ihn entzaubert und in seiner ganzen Erbärmlichkeit zeigt – hier wird es zu lesen sein.
Ob S. J.s Credo von der Notwendigkeit, den Menschen durch Kultur zu veredeln, damit widerlegt ist, bleibt allerdings eine offene Frage.
Schlagwörter: Heidemarie Hecht, Kurt Tucholsky, Schaubühne, Siegfried Jacobsohn, Vindex, Weimarer Republik, Weltbühne


