28. Jahrgang | Nummer 10 | 26. Mai 2025

Der Neue Weltraum

von Peter Linke, zz. Almaty

Uns sind Berichte bekannt, wonach Russland die Möglichkeit prüft, Atomwaffen im Weltraum zu platzieren“, warnte ausgerechnet am 12. April, dem Tag des Gagarin-Flugs, NATO-Generalsekretär Mark Rutte in der Welt am Sonntag: Moskaus Fähigkeiten im Weltraum seien „veraltet“ und nicht auf dem Niveau des Westens. „Darum ist die Entwicklung von Atomwaffen im Weltraum ein Weg für Russland, seine Fähigkeiten zu verbessern. Das ist sehr besorgniserregend.“

Die Behauptung, Moskau wolle zur Bekämpfung feindlicher Satelliten Atomwaffen in den Weltraum verbringen, ist nicht neu. Zuletzt wurde sie Anfang vergangenen Jahres von US-Medien breit gestreut. Schließlich nahm sich das Weiße Haus des Themas an: Während der damalige Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan und CIA-Direktor William Burns direkt im Kreml nachhakten, drängte auf der Münchner Sicherheitskonferenz US-Außenminister Antony Blinken seine Kollegen aus China und Indien, in dieser Angelegenheit Einfluss auf Moskau zu nehmen.

Dem Vernehmen nach befürchtete Washington insbesondere den Bruch des so genannten Weltraumvertrages von 1967, der an vorderster Stelle verbietet, Kernwaffen oder andere Arten von Massenvernichtungswaffen im Weltraum zu stationieren.

Daher nahm es auch nicht Wunder, dass die USA mit ihren „Befürchtungen“ nur kurze Zeit später in den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen liefen. Gemeinsam mit Japan brachten sie dort einen Resolutionsentwurf ein, der die zum damaligen Zeitpunkt 114 Vertragsparteien zur Erneuerung ihres Bekenntnisses zu einem Weltraum ohne Kernwaffen aufforderte. Der Entwurf scheiterte am Veto Russlands, China enthielt sich der Stimme; alle anderen 13 damaligen Mitglieder des Sicherheitsrates unterstützten die Vorlage.

Wie der ständige Vertreter Russlands bei den Vereinten Nationen, Wasilij Nebenzja, nach dem Veto erklärte, habe die russische Delegation mehrere Wochen lang versucht, den Entwurf der USA und Japans durch eine Reihe von Änderungen in ein „balanciertes Produkt“ zu verwandeln. So habe man gemeinsam mit China vorgeschlagen, im Text auf die Notwendigkeit zu verweisen, den Weltraum nicht nur frei von Massenvernichtungswaffen, sondern frei von jeglichen Waffen zu halten, auf Gewaltandrohung, respektive -anwendung gegen kosmische Objekte zu verzichten und dafür auf schnellstem Wege international verpflichtende juristische Instrumente zu erarbeiten.

Nach Russlands Veto jedoch ging die US-Administration kommunikativ endgültig in die Offensive: „Die USA sind extrem besorgt, dass Russland erwägen könnte, Nuklearwaffen in seine militärischen Weltraumprogramme aufzunehmen“, klagte Anfang Mai vergangenen Jahres Mallory Stewart, im US-Außenministerium zuständig für Rüstungskontrolle, Abschreckung und Stabilität.

Doch während Politiker und Diplomaten sich gegenseitig beharkten, begannen sich Experten zu fragen, ob es überhaupt sinnvoll sei, den Weltraum zu nuklearisieren: „Nuklearwaffen im Weltraum“, so Jessica West von der kanadischen NGO Ploughshares „sind eine wirklich blöde Idee, nicht nur weil sie verboten sind, sondern weil sie unmittelbare und langwierig-undifferenzierbare Auswirkungen auf das kosmische Umfeld haben, das heißt, dass alle, einschließlich der Indienststeller und deren Verbündete, betroffen sind.“

Und selbst Todd Harrison vom konservativen American Enterprise Institute warnte: „Es besteht keine Notwendigkeit, nukleare Sprengköpfe im Weltraum zu stationieren. Mit ihnen Interkontinentalraken zu bestücken, kostet weniger, macht sie flexibler in der Anwendung, erleichtert ihre Modernisierung und Wartung […].“

Sehr viel wahrscheinlicher sei daher, so Brian Weeden von der Secure World Foundation, dass Russland nicht an einer nuklearen Weltraumwaffe arbeite, sondern an nukleargetriebenen Weltraumsystemen. Genannt wird in diesem Zusammenhang das vom Petersburger Konstruktionsbüro Arsenal vorangetriebene System Ekipash, eine Satellitenplattform, wahrscheinlich vorgesehen für elektronische Kriegführung aus dem All.

Nukleargetriebene Satelliten haben Moskau und Washington seit den 1960er Jahren entwickelt. Russland hat Ende der 1990er Jahre an entsprechende sowjetische Forschungen angeknüpft. Über die Arbeiten an Ekipash weiß man seit mindestens zehn Jahren Bescheid. Warum also gerade jetzt die Panikmache um Russlands angebliche nukleare Weltraumpläne?

Zum einen, weil sie sehr gut die aktuelle Wehr- und Rüstungspropaganda EU-Europas bedient. Zum anderen aber auch und vor allem, weil sie einen wichtigen Hebel dafür liefert, das existierende Weltraumrecht aus den Angeln zu heben.

Künstliche Intelligenz (KI) ist dabei, unsere Vorstellung vom Weltall radikal umzukrempeln. Und das Militär spielt dabei eine herausragende Rolle, indem es über entsprechende Forschungsprojekte insbesondere die Entwicklung autonomer Satellitensysteme zügig vorantreibt. So präsentierte vor einem Jahr Slingshot Aerospace mit Agatha ein von der DARPA, der Forschungs- und Entwicklungsagentur des Pentagons, gefördertes KI-System, dass in der Lage ist, auffällige Objekte in großen Satellitenkonstellationen zu markieren, ohne dass dem System vorher mitgeteilt wurde, wonach es suchen soll. Und Anfang dieses Jahres stellten zwei in Arlington, Virginia ansässige Startups, NOVI und Sedaro, eine von der US-Luftwaffe finanzierte Technologie vor, die es Satelliten ermöglicht, selbstständig ihre Umlaufbahn zu verändern, ihren Energiebedarf zu regulieren sowie ihre Kommunikationskanäle zu optimieren. In einem militärischen Kontext könnten derart „selbstbewusste“ Satelliten feststellen, ob sie verfolgt oder ins Visier genommen werden und entsprechend reagieren.

All diese Entwicklungen lassen die Grenzen zwischen defensiven und offensiven Waffensystemen immer weiter verblassen. Auf alle Fälle ist vor diesem Hintergrund besser zu verstehen, warum Washington Moskaus Vorschlag, auf die Stationierung jeglicher Waffensysteme im Weltraum zu verzichten, (seit Jahren) vehement ablehnt: Es steht dem erklärten Ziel der US-Amerikaner, den Weltraum in eine weitere „Kriegsdomäne“ (warfighting domain) zu verwandeln, diametral entgegen. „Der Weltraum“ konstatieren die Washingtoner Geostrategen Clayton Swope und Tom Karako „ist zu einem Ort geworden, wo Kriege geführt werden, ein Ort, der nach Meinung führender US-Militärs geschützt und operativ genutzt werden muss.“

Dies propagandistisch abzusichern, dafür muss ganz offensichtlich auch die aktuelle nukleare Dämonisierung Russlands herhalten: Moskau und nicht Washington unterminiere das internationale Weltraumrecht und sei dabei, das Weltall endgültig aus einem durch internationale Rüstungskontrollverträge „geschützten“ (sanctuary) in einen konfliktträchtig „umkämpften“ (contested) Raum zu verwandeln. Dies wiederum widerspricht eklatant Geist und Buchstaben des 1967er „Vertrags über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeit von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper“ (so sein vollständiger Titel).

Jahrzehntelang hat man in den USA darüber gestritten, ob der Weltraum „sanctuary“ oder „contested“ sein soll. Bereits mit der Schaffung der Space Force in seiner ersten Amtszeit hat Donald Trump entscheidende Weichen in letztere Richtung gestellt. Nun hat er mit seiner Idee eines „Iron / Golden Dome for America“ noch einen draufgesetzt: Zwar dürfte auch dieses Projekt wie weiland Ronald Reagans „Strategic Defense Initiative“ (SDI) letztlich an überbordenden Kosten, technologischen Hürden, bürokratischen Querelen sowie an elementaren Gesetzen der Physik scheitern. Aber bis dahin wird der Entwicklung diverser autonomer Weltraumwaffensysteme gewaltig Vorschub geleistet.

Und hoffentlich verfängt bei wichtigen Entscheidern nicht Trumps wahnwitzige Idee, wonach es möglich sei, einen umfassenden Abwehrschirm aufzuspannen, der sowohl „gegen ballistische Raketenschläge sowie Schläge mit Hyperschallwaffen und strategischen Marschflugkörpern […] sowohl seitens ebenbürtiger, wie auch nicht ganz ebenbürtiger und schurkischer Gegner“ universellen Schutz biete.

Das nämlich wäre des Ende aller bisherigen Abschreckungslogik. Oder wie es Carnegie-Nuklearwaffenanalyst Ankit Panda auf den Punkt bringt: Moskaus Unterschrift unter dem New-Start-Vertrag (2011) sei an die Bedingung geknüpft gewesen, dass sich Washingtons Raketenabwehrpolitik nicht fundamental ändere: „Das wichtigste Prinzip nuklearer Abschreckung“ so Panda „ist das Prinzip des garantierten Zweitschlages. Sollten die Vereinigten Staaten nun versuchen, neuartige Raketenabwehrverfahren, einschließlich weltraumgestützter Abfangsysteme, zu entwickeln, werden Russland und China sicherstellen, dass sie über die notwendigen Vergeltungs- und Penetrationsmittel verfügen.“

Es sieht verdammt so aus, als ob der Neue Weltraum ein kriegerischer sein wird …