Sprache entwickelt sich weiter, sie ist nicht starr und ein für alle Mal festgeschrieben. Das ist eine Binsenweisheit. Einige Bereiche der Sprache entwickeln sich schneller, andere langsamer, manche bleiben über Jahrhunderte konstant.
Matthias Heine hat sich in den vergangenen Jahren als Kulturredakteur der Welt und als Buchautor mit diesem Sprachwandel intensiv beschäftigt. Bücher von ihm wurden auch im Blättchen besprochen (23/2022 und 16/2024). Diese erschienen im DudenVerlag.
Sein jüngstes Buch – „Der große Sprachumbau. Eine gesellschaftspolitische Katastrophe“ – kam hingegen im Langen Müller Verlag heraus. Man kann mutmaßen, warum das so ist. Betrachtet man die aktuelle Editionspolitik des DudenVerlags (Stichwort „geschlechtergerechter“ Sprachgebrauch) bis hin zu den überraschenden Neuerungen im Online Duden mit den permanenten Doppelnennungen maskuliner und femininer Formen der Lexeme, scheint sicher zu sein, dass Heines Buch wegen der Unvereinbarkeit von sprachpolitischen Positionen nicht publiziert worden wäre. Trotz seiner bisher erfolgreich verkauften Bücher. Daher das Ausweichen zu einem neuen, eher sprachkonservativen Verlag.
Herausgekommen ist ein streitbares, mitunter auch strittiges, aber auf jeden Fall für Benutzer der deutschen Sprache, also für uns alle, empfehlenswertes Kompendium.
„Wer ist schuld am Sprachkampf?“, fragt sich Heine beim Blick auf die vielen Auseinandersetzungen um angemessenen Sprachgebrauch in der Gegenwart. Dabei polemisiert er zunächst gegen Henning Lobin, Direktor des Leibnitz-Instituts für Deutsche Sprache, der in seinem Buch „Sprachkampf“ von 2020 vor allem einen Angriff Rechter, einschließlich der AfD, auf die Sprache zu vernehmen meinte. Im Gegensatz zu Lobin sieht Heine vornehmlich eine Instrumentalisierung der Sprache durch Linke.
Vereinnahmung der Sprache für politische Zwecke von rechts und/oder links – was kann man dem entgegensetzen?
Im ersten Teil seines Buches beleuchtet Heine äußerst anschaulich den historischen Sprachumbau als langen Weg zur deutschen Einheitssprache. Er beginnt mit der Bibelübersetzung Martin Luthers und wertet sie als „folgen- und segensreichste[n] Sprachumbau der Geschichte“. Die Bibel sei der Quell, aus dem das heutige „Standarddeutsch“ entstanden ist. Die bedeutsamen Einflüsse von Martin Opitz und Johann Christoph Gottsched im 17. und 18. Jahrhundert werden zudem beschrieben, wobei besonders Gottsched gewürdigt wird, der die Großschreibung der Hauptwörter im Deutschen einführte und zugleich den Begriff „Hauptwörter“ erfand.
Die „Luther-Opitz-Gottsched-Sprache“ bekam erst zum Ende des 19. Jahrhunderts eine überregionale, für alle deutschen Sprachgebiete verbindliche Form. Das ist vor allem Konrad Duden mit seiner gemäßigten Kompromissschreibung zu verdanken. Den Weg zu den ersten amtlichen Rechtschreibreformen bis 1901 zeichnet Heine anschaulich nach, auch die Widerstände des Kanzlers Otto von Bismarck, der bis zuletzt an einer Privatrechtschreibung festhielt, „die seine Beamten als ‚Ottographie‘ verspotteten“. Bismarck war ein Gegner der Antiquaschrift und befürwortete die Frakturschrift, welche auch als „deutsche“ oder abwertend als „gotische“ Schrift bezeichnet wurde. Das Ende der Fraktur führte ausgerechnet ein „Führererlass“ herbei: Die zwölfte Dudenauflage 1942 erschien neu gesetzt in Antiqua. Fraktur wurde von nun an fälschlich, als aus „Schwabacher Judenlettern“ bestehend, diffamiert.
Ebenfalls durch Befehl Hitlers ab 1941 abgeschafft wurde die deutsche (Kurrent-)Schreibschrift, entwickelt von Ludwig Sütterlin 1915, und durch eine „Normalschrift“ ersetzt. Von Hitler „begnadigt“ wurde lediglich das „ß“, welches in Schreib- und Druckschrift erhalten blieb.
Die Abneigungen gegen die Dialekte im „Dritten Reich“ wie in der DDR werden durch Matthias Heine nachgezeichnet, nicht differenzierend genug, was die DDR betrifft. So kann ich mich an zwei Germanistikprofessoren an der Karl-Marx-Universität in Leipzig erinnern, die Mitte der 1980er Jahre bewusst breit sächselten und entsprechende Empfehlungen für den Schulunterricht ausgaben …
Weitere Themen bei Heine sind natürlich der „ewige Streit um die Fremdwörter“ und der „Kampf gegen die Majuskeln“. Das Deutsche hat ja bekanntlich als einzige Sprache der Welt die Großschreibung der Substantive beibehalten – bis 1948 gab es sie lediglich noch in Dänemark.
Soweit der erste Teil des Buches, den man gut als eine kleine, aber sehr informative Sprachgeschichte des Deutschen lesen kann.
Im zweiten, doppelt umfangreichen Teil wendet sich Heine anschließend der „gesellschaftspolitischen Katastrophe“ zu. Hier macht er „Umbaumaßnahmen auf mindestens sieben Baustellen“ aus, die die „Gereiztheit von Menschen, die die deutsche Sprache lieben und als Heimat betrachten“, auslösen. Das sind in seiner Reihenfolge: Die Rechtschreibreform von 1996 als Mutter aller gegenwärtigen Sprachumbauten; die geschlechtergerechte, respektive gendergerechte Sprache; die Erfindung zahlreicher neuer Pronomen zur Bezeichnung diverser Geschlechter; „diskriminierende“ Begriffe; die Wahl der „Unwörter“ des Jahres; die „leichte“ und die „einfache“ Sprache; Denglish, Anglizismen und Globish. Im Einzelnen lassen sich die unzähligen und gut gewählten Beispiele hier nicht referieren.
Deshalb nur einige Stichpunkte. Die Rechtschreibkompetenzen deutscher Schüler sinken seit Jahren in allen Schulformen und Altersstufen. Die Rechtschreibreform hat dies eher beschleunigt, statt dagegen – wie postuliert wurde – anzugehen. Das Blättchen hatte seinerzeit übrigens die unausgegorene Rechtschreibreform nicht mitgetragen und ging erst nach der Korrektur der Reform zur neuen Rechtschreibung über.
Mit der „feministischen Linguistik“, ursprünglich aus den USA stammend, bekannte sich laut Heine erstmals ein ganzer Zweig der Geisteswissenschaften zu einem politischen Ziel. „Das hatte es bisher so nur im Nationalsozialismus mit seiner Rassenkunde oder in der DDR mit ihren Professorenstellen für Historischen Materialismus gegeben. Damit begann eine Verwandlung der Geisteswissenschaften […] Es gibt rechte und linke Germanisten, Romanisten, Philosophen und Historiker.“ Laut Heine gibt es jedoch keine Konservativen in der feministischen Linguistik oder den Gender Studies, den Postcolonial Studies und ähnlichen Theorien.
Das Gendern führe letztlich zu einer ausgeprägten Sexualisierung der Sprache. Ihrem Wesen nach sei die Gendersprache nichts anderes als ein Politjargon „sich besonders aufgeklärt und gesellschaftlich avanciert dünkender Eliten“.
Am Beispiel der Schwulen- und Lesbenbewegung bis hin zu aktuellem LGBTQIA+ zeigt Heine, wie sich eine „Internationale der Diskriminierten und der sich diskriminiert Fühlenden“ neu erfunden habe und unaufhaltsam wächst. Marxisten suchten noch nach objektiven „materialistischen“ Diskriminierungsursachen in den Klassenverhältnissen, heute hingegen komme es „nur“ noch darauf an, sich diskriminiert zu „fühlen“.
Heine erkennt einen sich verstärkenden ideologischen Kampf um die Sprache, bei dem diejenigen, die gegen „geschlechtergerechte“ Sprache aufträten, als Rechte oder gar als AfD-Anhänger verunglimpft würden. Hier geht er insbesondere auf die Webseite antifeminismus-melden.de ein, wo das Sichwehren gegen den von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnten Politjargon in eine Reihe mit Straftaten gestellt würde. Andererseits verweist er auf die Webseite linguistik-vs-gendern.de, auf der Wissenschaftler massive Kritik an der Genderpraxis der öffentlich-rechtlichen Sender übten.
Den Einfluss der in den USA entwickelten (linken?) Weltanschauungsspielarten auf die sich stets fortschrittlich gebenden Aktivisten in Deutschland zeigt Heine beispielhaft im Gebrauch der Begriffe „Blackfacing“ und „Woke“. Die aktuelle Gegenbewegung dazu unter der Regierung Donald Trumps hat keinen Eingang ins Buch gefunden, das im Oktober 2024 abgeschlossen wurde.
„Die europäische identitätspolitische Linke ist von den US-Universitäten so abhängig wie die traditionelle Linke von Moskau oder Peking.“ Hier und an anderen Stellen schießt Heine über das Ziel hinaus, indem er „Linke“ häufig pauschalisiert. Er verwahrt sich zurecht dagegen, dass bewahrende Kritiker ihrer Muttersprache als rechtsradikale Demokratiefeinde abgestempelt werden. Andererseits stellt er fest, dass der große Sprachkampf „durch eine merkwürdige Allianz aus linken, grünen und kapitalistischen Fortschrittshysterikern“ vom Zaun gebrochen worden sei.
Ich, also der Autor des vorliegenden Beitrages, kenne viele Linke – mich eingeschlossen –, die sich durchaus als bewahrende Kritiker ihrer Muttersprache verstehen. Allerdings nicht – gleichfalls wie Mathias Heine auch – als puristische Sprachkonservatoren.
Wir leben nicht in einer Sprachdiktatur, wie manche meinen. Es ist auch kein Delikt, nicht zu gendern. Doch übergriffigen Weltverbesserern, Apologeten einer gendergerechten Sprache, Unwortjägern und Diskriminierungsfahndern, die meinen, durch oktroyierte Sprachveränderung werde dringend notwendige reale Veränderung ungerechter Verhältnisse erreicht, muss widersprochen werden. Matthias Heine gibt dafür wichtige Impulse.
Matthias Heine: Der große Sprachumbau. Eine gesellschaftliche Katastrophe, Langen Müller Verlag,
München 2025, 235 Seiten, 24,00 Euro.
Schlagwörter: gendergerechte Sprache, Jürgen Hauschke, Linke, Matthias Heine, Rechte, Rechtschreibreform, Sprachumbau