28. Jahrgang | Nummer 5 | 10. März 2025

Kursus zur Kritik der Politischen Ökonomie

von Wladislaw Hedeler

Bis zu seinem Tod am 19. August 2023 publizierte der Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczynski als „fester Autor“ im globalisierungskritischen Journal Lunapark21. Die von ihm betreute Rubrik Geschichte & Ökonomie, so hob Sebastian Gerhardt, Mitherausgeber der „Letzten Geschichten“, am Grabe von Thomas Kuczynski hervor, „war fast die einzige Rubrik, die tatsächlich von Anfang bis Ende der Zeitschrift funktionierte“. Von der Nullnummer an „sollten in der Zeitschrift in regelmäßiger Folge aktuelle ökonomische Probleme und Debatten aus historischer Sicht beleuchtet werden“. Aus Interesse an einer Debatte über die von ihm behandelten Themen stimmte Thomas Kuczynski dem Vorschlag des Verlags zu, seine Betrachtungen in Buchform zu veröffentlichen. Der 2014 veröffentlichte erste Band enthält 29 zwischen 2007 und 2014 publizierte Texte.

Gemeinsam mit Annette Vogt und Georg Fülberth gab Sebastian Gerhardt zehn Jahre später die letzten 34 in der genannten Kolumne erschienen Beiträge heraus. Am 22. Januar 2025 stellten die Herausgeber im Berliner Max-Lingner-Haus das Buch vor. Die Veranstaltung ist aufgezeichnet und kann im Internet abgerufen werden.

Ulrich Busch, der zu den Autoren des Blättchens gehört, hat die „Letzten Geschichten“ Anfang 2025 ausführlich gewürdigt. „Bemerkenswert ist auch“, merkt er kritisch an, „dass der Autor, egal welche Problematik er gerade behandelt oder um welche Frage es konkret geht, immer ein passendes Zitat von Marx oder Engels zur Hand hat und es meisterhaft versteht, dieses als Antwort auf die gestellte Frage oder wenigstens als einen Fingerzeig, in welcher Richtung die Antwort zu suchen ist, zu präsentieren. Oftmals sind die Arbeiten von Marx und Engels sogar die einzige Quelle, die Thomas Kuczynski in seinen Kolumnen anführt. […] Aber nicht nur Marx und Engels erscheinen, da als Autoritäten inzwischen aus der Mode gekommen, in ihrer übermäßigen Präsenz heutzutage problematisch. Gleiches gilt auch für andere Referenzgrößen des Autors.“

Hier kommt Wladimir Lenin ins Spiel, über dessen Werk und Rezeption Thomas Kuczynski und ich uns gelegentlich – leider viel zu sporadisch – ausgetauscht hatten. Es ging unter anderem um die Revolutionen 1917, Georgi Plechanows Kritik an Lenin 1917/18, die Neuausgaben von Lenins Abhandlungen über den „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ sowie „Staat und Revolution“. Kuczynskis Entgegnungen sind in die Artikel „Was bleibt von der Oktoberrevolution?“, „Eine Revolution gegen das ,Kapital‘“ und in seine „Überlegungen beim erneuten Lesen eines epochemachenden Werks“ eingeflossen. Zum von ihm kritisierten „ABC des Marxismus“ gehört Lenins, von Engels übernommene Feststellung, es müsse den Arbeitern nur schlecht genug gehen, dann komme die Revolution. Weitere Hinweise auf Lenin, den „Erzrealisten“, „revolutionären Realpolitiker“, im Zusammenhang mit der Diskussion des Verhältnisses von Politik und Ökonomie, Reform und (peripherer) Revolution und des Krisenbegriffs (zyklische beziehungsweise systemische Krise) finden sich in 17 der 66 in beiden Bänden versammelten Texte.

Viele der Überlegungen münden in eine Kritik an Stalin und die Aufwertung der von Letzterem verfemten Rosa Luxemburg, auf deren Ausführungen über die „Jagdgesetze“ Thomas Kuczynski immer wieder zurückkommt. Gemeint ist die im Kapitalismus gesetzlich gesicherte Schonzeit der Arbeitskraft „damit sie rationell zur Ausbeutung durch das Kapital dienen kann“. Neben diesen bekannten Namen und Auffassungen erwähnt Thomas Kuczynski historische Figuren, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind: Wilhelm Cunow und Joseph Schumpeter, um nur zwei Namen zu nennen, gehören dazu. Die vom Austromarxisten Rudolf Hilferding entwickelte Theorie des organisierten Kapitalismus, Nikolai Kondratieffs lange Wellen der Konjunktur, Walter Rathenaus Zukunftsvision und Eugen Vargas mittel- und langfristige Prognosen der Weltwirtschaftsentwicklung skizziert er in diesen Theoretikern gewidmeten Kolumnen.

Kuczynskis 2016 verfasster Kommentar zur Wahl des Nationalisten Donald Trump zum Präsidenten der USA endete mit einem Appell an die Europäische Linke, nicht gegen, sondern in der EU für die notwendigen politischen Veränderungen zu kämpfen. 2023 griff er diesen Gedanken in der letzten Kolumne wieder auf: „Das Fehlen einer politisch akzentuierten antikapitalistischen Bewegung“. Seine Feststellung in „Vasall Kleineuropa“, dass „die USA also die eigentlichen Sieger des Krieges und daher an dessen Beendigung interessiert sind“, wird heute deutlicher denn je.

Thomas Kuczynski: Geschichten aus dem Lunapark. Historisch-kritische Betrachtungen zur Ökonomie der Gegenwart. PapyRossa Verlag, Köln 2014, 127 Seiten, 11,90 Euro.
Thomas Kuczynski: Letzte Geschichten aus dem Lunapark. Historisch-kritische Kolumnen zur Ökonomie der Gegenwart. PapyRossa Verlag, Köln 2024, 183 Seiten, 14,90 Euro.