28. Jahrgang | Nummer 6 | 24. März 2025

Handelsföderation auf dem Kriegspfad

von Erhard Crome

Wer die Star Wars-Saga kennt, weiß, dass die „Handelsföderation“ in der Lage ist, um des Profits willen einen ganzen Planeten zu blockieren und Kriege mit zu verursachen, am Ende aber doch in einer untergeordneten Position verbleibt. So kommt schon ein eigenartiges Gefühl auf, wenn die EU sich jetzt auf den Kriegspfad begibt.

Ursula von der Leyen hat am 19. März ein Weißbuch der EU-Kommission „für europäische Verteidigungsbereitschaft 2030“ vorgestellt. Während es ursprünglich hieß, auf dem turnusmäßigen EU-Gipfel im März 2025 werde es um Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand, Handel und Jobs gehen (Blättchen 1/2025), wurde nun die Kriegstüchtigkeit der EU auf die Tagesordnung gesetzt. Angesichts der Tatsache, dass Donald Trump inzwischen ein zweites längeres Telefongespräch mit Wladimir Putin geführt hat, um nicht nur über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg zu sprechen, sondern auch über die Krisen im Nahen Osten und andere Probleme, fällt die Gegenläufigkeit auf. Während zwischen den atomaren Supermächten wieder Gesprächsfäden gesponnen werden, wollen die (mehr als sieben) Zwerge in Europa Kriegseifer bekunden.

Von der Leyen will EU-Europa auf den möglichen Großkrieg gegen Russland einschwören: „Die Geschichte wird uns Untätigkeit nicht verzeihen.“ Dabei wird – wie immer – von falschen Voraussetzungen ausgegangen. So heißt es: „Sollte Russland seine Ziele in der Ukraine erreichen, werde das Land seine territorialen Ambitionen darüber hinaus ausdehnen.“ Dafür gibt es keinerlei Beweis. Es werden stets imperialistische Ambitionen unterstellt; das eigentliche Argument, dass das Problem Russlands – wie Ende 2021 nochmals deutlich betont – nicht die Ukraine in der NATO ist, sondern die NATO in der Ukraine, wird ausgeblendet. Da das Heranrücken der NATO an die russischen Grenzen jedoch Konzept der Globalisten der USA war, scheint die Trump-Administration dies inzwischen als Problem wahrgenommen zu haben.

Auch die harten Daten zum Militärwesen sprechen eine eigene Sprache. Die weltweiten Rüstungsausgaben betrugen 2023 insgesamt 2,4 Billionen US-Dollar, also 2.400 Milliarden Dollar. Die Gesamtausgaben der NATO lagen 2024 (nach NATO-Standard und konstanten Wechselkursen) bei 1.474,4 Milliarden, darunter der USA bei 967,7 Milliarden, Kanadas 30,5 Milliarden und der europäischen NATO-Staaten insgesamt bei 476,2 Milliarden US-Dollar. Das russische Militärbudget betrug 109 Milliarden US-Dollar, also weniger als ein Viertel dessen, was die europäischen NATO-Staaten ausgeben – die sich angeblich so bedroht fühlen. In Sachen Personal sieht es ähnlich aus. Die NATO-Staaten haben 2025 etwa 3,44 Millionen Soldatinnen und Soldaten aktiv unter Waffen. Werden die Reservekräfte und die paramilitärischen Einheiten hinzugerechnet, ergibt sich für die NATO eine Anzahl von 8,7 Millionen Militärpersonen. Russland verfügte zum gleichen Zeitpunkt über rund 1,32 aktive Soldatinnen und Soldaten, die Gesamtzahl des militärischen Personals lag bei 3,57 Millionen.

Die jetzigen EU-Maßnahmen sollen die Vorhaben von „ReArm Europe“ untersetzen. Dazu gehören laut Kommission ein EU-Kreditrahmen von 150 Milliarden Euro, entsprechende Ausnahmen von den strengen EU-Schuldenregeln sowie eine Lockerung der Auflagen und Vorschriften für die Rüstungsindustrie. Insgesamt sollen in den kommenden vier Jahren 800 Milliarden Euro für Rüstungszwecke mobilisiert werden. Beabsichtigt waren darüber hinaus für dieses Jahr weitere „freiwillige Hilfen“ für die Ukraine in Höhe von 20 bis 40 Milliarden Euro.

Vorstellung der Kommission ist es, „militärische Fähigkeitslücken“ in sieben Schlüsselbereichen zu schließen, darunter rechnen Luftverteidigung und Raketenabwehr, Artilleriesysteme, Drohnen, militärische Transportkapazitäten. Die Kommission fordert die EU-Staaten (denn die entscheiden im nationalen Rahmen über ihre Beschaffung) auf, beim Kauf zu kooperieren und mindestens 40 Prozent der benötigten Waffen und Ausrüstung gemeinsam zu bestellen. Eine gemeinsame europäische Waffenproduktion soll ebenfalls gefördert werden.

Im Hintergrund steht die Befürchtung, die atomare Supermacht USA könnte unter Trump nicht mehr wie bisher das Hinterland einer europäischen Verteidigung bilden. „Die Sicherheitsarchitektur, auf die wir uns verlassen haben, kann nicht länger als selbstverständlich angesehen werden“, hatte von der Leyen erklärt. Nun ist jedoch keine Aussage der US-Regierung – der Verteidigungsminister bei der NATO oder der Vizepräsident und der Außenminister in München – dahingehend interpretierbar, als würden sich die USA aus der NATO zurückziehen. Auch die Trump-Administration weiß natürlich, dass die NATO ihr direkte Eingriffsmöglichkeiten in die europäischen Angelegenheiten gibt, die sie sonst nicht hätte. Allerdings nicht auf Augenhöhe. So hatte EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas auch 24 Stunden nach Trumps zweitem Telefongespräch mit Putin keine Information zum Gesprächsverlauf und versuchte nun, welche zu bekommen.

Militärisch wird bei der Kommission augenscheinlich befürchtet (nicht zuletzt, nachdem die USA den Informationsfluss ihrer Geheimdienste nach Kiew unterbrochen hatten), dass im Falle von Konflikten oder Meinungsverschiedenheiten auch NATO-Partnern gelieferte Waffensysteme aus der Ferne lahmgelegt werden könnten. In einem früheren Entwurf des Weißbuches gab es dazu eine Formulierung, die USA könnten die Nutzung von Schlüsselkomponenten für die militärische Einsatzfähigkeit einschränken oder sogar unterbinden. Diese Passage hatte von der Leyen, wie es hieß, später streichen lassen. Im Weißbuch wird allerdings betont, dass bei komplexen Anschaffungen, wie von Luftverteidigungssystemen, ein europäischer Hersteller die amerikanischen Kernkompetenzen ersetzen können soll. Ob dies angesichts der Schwierigkeiten europäischer Hersteller im Bereich der Hochtechnologien noch gelingen kann, steht auf einem anderen Blatt.

Welt-Online (20.03.2025) schrieb in Vorbereitung auf den Gipfel: „Heute trifft Selenskyj die letzten Freunde, die er noch hat“. Hier allerdings wird eher das Streben EU-Europas sichtbar, sich von den USA zu distanzieren, als umgekehrt. Bei der Betrachtung des Bemühens, nun aus der Handelsföderation ein Kriegsbündnis zu machen, sollten die Personalien nicht übersehen werden. Bei Ursula von der Leyen haben die über fünf Jahre als deutsche Militär-Ministerin gewiss Spuren hinterlassen. Zudem sind bei der Bildung ihrer zweiten Kommission Politiker aus dem Baltikum in zentrale Positionen eingerückt, die – historisch erklärlich – eine offensichtlich russophobe Weltsicht mitbringen, und zwar schon ohne den russischen Ukraine-Krieg.

Andrius Kubilius, konservativer Politiker und früherer Regierungschef Litauens, ist „EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt“, der für die Umsetzung des Rüstungsprogramms in erster Linie verantwortlich ist. Kaja Kallas, ebenfalls frühere Premierministerin, sie in Estland, ist Vizepräsidentin der Kommission und die einflussreiche EU-Außenbeauftragte. Ihr Vater, Siim Kallas, war ebenfalls estnischer Ministerpräsident und Vizepräsident der EU-Kommission. Dessen Großvater, Eduard Alver, war 1918 einer der Gründer der Republik Estland, Militärkommandeur in den „weißen“, antibolschewistischen Streitkräften und 1918/19 erster Polizeichef Estlands.

Das gehört alles zur Geschichte Osteuropas, die weiter zu beachten ist. Ob es aber weltpolitisch für die Europäische Union gut ist, dass deren Ostpolitik unter einer solchen Perspektive gemacht wird, ist eine andere Frage. Da die EU nach wie vor eher ein Staatenbund ist, denn ein Bundesstaat, zumal in den harten Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik, artikulieren sich auch die Gegentendenzen. Bereits vor dem Gipfel war klar, dass Ungarns Regierungschef Viktor Orbán die Ukraine in wesentlichen Punkten nicht weiter unterstützt und inhaltlich eher bei Trump ist. Die Regierungen in Rom, Madrid und Lissabon fürchten weniger einen russischen Angriff als vielmehr  illegale Einwanderung und Terrorismus aus islamischen Staaten. Aus dem Süden der EU kommt auch das Thema gemeinsamer „Eurobonds“, also gemeinsamer Schulden, wieder auf die Tagesordnung, diesmal als „Verteidigungsbonds“, was Österreich, die Niederlande und Deutschland nach wie vor ablehnen.