28. Jahrgang | Nummer 1 | 13. Januar 2025

Signal an die Verbündeten – „Sicherheit, Europa!“

von Jan Opal, Gniezno

Polen hat mit dem 1. Januar 2025 die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Wenn diese Rolle dann am 1. Juli 2025 Dänemark zufällt, wird das Land einen neuen Staatspräsidenten gewählt haben. Völlig offen ist zu Jahresbeginn allerdings, ob das künftige Staatsoberhaupt nationalkonservativ oder liberal ausgerichtet sein wird. Spätestens nach Ostern wird die große innenpolitische Schlacht beginnen, sie wird die bestehende tiefe Polarisierung des politischen Lebens im Lande bestätigen. Das von Jarosław Kaczyński angeführte nationalkonservative Lager rüstet ohnehin zur Revanche für die Wahlschlappe vom Oktober 2023, dem eigenen Mann im Präsidentenamt käme die Rolle des Wellenbrechers zu. Bevor die Nationalkonservativen 2015 ihre großen Wahlsiege feiern durften, hatten sie den Liberalen immer gedroht: auch Warschau wird bald wie Budapest sein! Entsprechend rufen sie jetzt: Warschau wird Washington folgen!

Das von Donald Tusk geführte Regierungslager steht vor der größten außenpolitischen Bewährungsprobe, ziemlich ehrgeizig geht man ins Rennen: „Sicherheit, Europa!“ Die Botschaft ist so deutlich wie vielschichtig. Die Regierung bekräftigt Polens Rolle an der Ostflanke der NATO und an der östlichen Außengrenze der Europäischen Union. Die „Arbeitsteilung“ soll bleiben und nicht angetastet werden: transatlantische Sicherheit plus europäische Integration. Ohne die NATO-Mitgliedschaft wäre Polen nicht der EU beigetreten, dieses Junktim hatte in den 1990er Jahren nach dem Zusammenfall der Sowjetunion schnell den Ausschlag gegeben in einer durchaus kontrovers geführten Diskussion über die zukünftige Sicherheitsarchitektur in Europa. Nachdem früh feststand, dass Polen ernsthaft mit einer EU-Mitgliedschaft rechnen darf und nachdem alle wichtigen politischen Lager diese EU-Perspektive in ihre Programme aufnahmen – von rechts bis links –, einigte man sich in Warschau ebenso rasch auf die transatlantische Sicherheitsperspektive, also auf die NATO-Mitgliedschaft. Dass in die NATO-Entscheidung vor allem historische Erfahrung hineinspielte, soll nicht unerwähnt bleiben.

Als Wladimir Putin am 24. Februar 2022 den militärischen Angriff auf die Ukraine befahl, war allen (!) in Warschau klar, dass mit der NATO-Mitgliedschaft nicht nur die richtige, sondern die einzig mögliche Entscheidung getroffen worden war. Der NATO-Beitritt von Finnland und Schweden bestätigte nur diese Überzeugung. Nach dem Wahlsieg Trumps sind indes dunkle sicherheitspolitische Wolken am Horizont aufgezogen, denn die Ankündigung im Trump-Lager, nach dem Machtantritt im Januar 2025 das ganze NATO-Gefüge aus Finanzierungsgründen auf den Prüfstand zu setzen, wird sehr ernst genommen. Während in Deutschland vor allem Trumps Drohung mit der Zoll- und Handelspolitik die Gemüter umtreibt, ist es in Polen eben das als leichtfertig angesehene Gedankenspiel mit der künftigen Rolle der NATO. Auch das ist verständlich. Insofern zeigt sich Polen bereit, den Anteil der Verteidigungsausgaben am Staatshaushalt zu erhöhen – darüber gibt es kaum innenpolitische Diskussionen, man ist sich weitgehend einig. Es ist ein klares Signal an Washington wie an die europäischen Verbündeten, man sieht sich hier im besonderen Bunde mit Litauen, Lettland, Estland und Finnland, die allesamt an Russland grenzen.

Polen stellt sich auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen ein, die der kommende US-Präsident Trump mit seiner transatlantischen und Europa-Politik heraufbeschwören könnte. Warschau sieht sich gewappnet. Dazu gehört aber untrennbar die EU-Ebene. Ein wichtiges Beispiel: Anders als in Deutschland muss in Polen – einem Land mit längerer EU-Außengrenze – der Zusammenhang von Freizügigkeit an den EU-Binnengrenzen und genügend Sicherheit an den Außengrenzen kaum erklärt werden. Berlins überhasteter Schritt, an den deutschen Staatsgrenzen wieder Personenkontrollen einzuführen, stieß in Warschau auf heftige Kritik. Ein reibungslos funktionierendes Schengen, so hieß es, entscheide über Wohl- und Wehe der Staatengemeinschaft. Hier sei angemerkt, dass Berlin traditionell – siehe 2015! – dem Schicksal der Gemeinschaftswährung Euro viel größere Aufmerksamkeit zukommen lässt. Warschau hofft nun, mit der künftigen Bundesregierung Regelungen zu finden, mit denen das Schengen-System nicht mit vorgeschobener Argumentation unterlaufen wird. Natürlich wird aufmerksam registriert, dass in Ostdeutschland mittlerweile fast eine Mehrheit der Wählerschaft bereit wäre, auf Schengen-Freizügigkeit zu verzichten, um Migration an den Grenzen zu Polen und Tschechien zu stoppen. In Warschau ist die Botschaft klar: Migration an den EU-Außengrenzen kontrollieren und stoppen, die Freizügigkeit an den EU-Binnengrenzen unbedingt belassen.

Und es bleibt bei der entschiedenen Unterstützung der Ukraine. Polen steht ohnehin in der vordersten Reihe der Unterstützerländer. Warschau tritt konsequent für die EU- wie NATO-Perspektive des Nachbarlandes ein, hier folgt man schlichtweg der Erfahrung des eigenen Weges. Doch anders als bei den transatlantischen Beziehungen unter Trump und beim Schengen-System, wo es um jetzige Entscheidungen gehen wird, weiß man in Warschau um die mittelfristige Zielsetzung bezüglich der Ukraine. Aber die Türen von EU wie NATO sollen offengehalten werden.

Obendrein kommt noch innenpolitische Dynamik hinzu: Polens Landbevölkerung lehnt einen EU-Beitritt der Ukraine mehrheitlich ab, was vor allem Wettbewerbsgründe hat, denn die leistungsfähige ukrainische Landwirtschaft würde das Spiel auf dem EU-Agrarmarkt spürbar ändern. Um für die wichtigen Mai-Wahlen zusätzlich zu mobilisieren, müsste die nationalkonservative Opposition nun auch dezidierter von bisherigen Ukraine-Positionen bezüglich EU- und NATO-Mitgliedschaft abrücken, so jedenfalls das Kalkül im Tusk-Lager.