Die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus, hier und heute zumeist Nationalsozialismus genannt, habe in der DDR durchaus stattgefunden, jedoch in Kunst und Literatur umfangreicher und tiefgründiger als in der Geschichtswissenschaft – jedenfalls sobald es um die Verführbarkeit der Volksmassen ging. Diese Feststellung verbinden die Herausgeber des Sammelbandes „Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung“ mit der Folgerung, damit sei auch in der DDR die Ablehnung des Faschismus zwar „moralisch verinnerlicht“ worden. Doch habe die Reduzierung des Hitler-Regimes auf ein reines monopolkapitalistisches Machtgefüge empfindliche Leerstellen gelassen, sobald es um „politische, gesellschaftliche oder persönliche Schlussfolgerungen“ für die faschistische Gefolgschaft und gar um den Einzelnen ging. Klaus Bästlein, Enrico Heitzer und Anetta Kahane betonen im gemeinsamen Vorwort, dies sei eine, wenn auch nicht die alleinige Ursache für die Tatsache, dass neurechtes Gedankengut auch im Bereich der Geschichtspolitik so massiv an Zustimmung in den (nicht mehr so) neuen Bundesländern gewann.
Doch steht dabei die auch in anderer Hinsicht in sich gespaltene Rechte hier vor einem Dilemma: Auf der einen Seite ist die DDR für sie die verachtenswerte kommunistische Diktatur, der Mauerschützenstaat, die Marionette Moskaus mit Ähnlichkeiten zum Hitler-Regime, auf der anderen Seite habe die DDR viel mehr Deutsches bewahrt als die vom amerikanischen Ostküsten-Kapital beherrschte BRD, in der eine dekadente, von Schwarzen verunstaltete Pseudo-Kultur alles patriotische deutsche Erbe ausgelöscht habe.
Solche drastischen Worte finden sich eher am Stammtisch, denn in neurechten Publikationen, aber die Stoßrichtung ist auch dort klar: Es geht darum, die DDR-Geschichte insgesamt zu verwerfen und doch Bruchstücke ihres Erbes zur Wiederverwendung in ein nationalistisches, fremdenfeindliches Weltbild einzuspeisen. Doch richtet sich die Offerte nicht nur an politisch desorientierte Ostdeutsche. Auch an Westdeutsche ergeht die hier in falscher Absicht geäußerte Forderung, die Lebensleistung früherer DDR-Bürger ernst zu nehmen, hätten diese doch unter sozialistischer Tarnung ein unverfälschtes Deutschtum bewahrt: Die DDR habe zwar nach viereinhalb Jahrzehnten sozialistischer Misswirtschaft ein äußerlich düsteres Bild abgegeben, doch sei sie im Kern von der seelenlosen McDonaldisierung verschont geblieben. Erst die Wiedervereinigung habe dies geändert: Die korrupten kapitalistischen Eliten und ihre amerikanischen Drahtzieher hätten den Ruf des Volkes nach deutscher Einheit als Votum für eine neue Kapitalanlage missbraucht.
Es ist diese gefährliche Mischung aus Antisozialismus und einem Antikapitalismus von rechts, mit dem die AfD und ihr Umfeld auch im Bereich der Geschichtspolitik punktet. Die ehrwürdige Totalitarismus-These „Rot gleich Braun“ hat keineswegs ausgedient, ist aber nur noch ein ideologisches Angebot von mehreren. Im neurechten Schlachtruf „Vollenden wir die Wende!“ bündeln sich eingängig, nicht immer durchschaut, beide Strategien. Doch damit ist es nicht getan: Der Ruf nach solcher „Vollendung“ gilt vor allem auch solchen Ostdeutschen, die sich im Herbst 1989 erst dann auf die Straße wagten, als die DDR unumkehrbar ins Rutschen geraten war. „Vollenden wir die Wende!“ – unter diesem Kampfruf kann sich sogar jene Minderheit der Bürgerbewegung wiederfinden, die von den neuen Herren aus dem Westen rasch in ihre Grenzen verwiesen wurde und fast aller Mitgestaltungsrechte in den fünf neuen Bundesländern verlustig ging, dies aber nicht, wie das Gros der Bürgerbewegung, mit der Rückbesinnung auf liberale und auch auf im Kern urlinke Werte der alten Protestbewegung des Herbstes 1989 beantwortete. Vielmehr trieb ein Nonkonformismus, der zum Selbstzweck wurde, einst mit Recht geachtete DDR-Dissidenten wie Siegmar Faust und Michael Beleites auf die radikale Rechte zu und schließlich in deren Arme, wie der soeben nur 55-jährig verstorbene Habbo Knoch in seinem einprägsamen Beitrag über „Rechtsruck in der DDR-Aufarbeitung? Thesen zum Verhältnis von Erinnerungspolitik und Rechtspopulismus“ zeigt.
Jenny Wüstenberg argumentiert ähnlich: Der gestaltungs- und auch erinnerungspolitisch an den Rand gedrängte rechte Teil der einstigen Bürgerbewegung unterstellte nacheinander der SPD und später auch der CDU ein Paktieren mit den SED-Erben, weshalb die AfD als einziger authentischer Sprecher des Antikommunismus übriggeblieben sei. Laut Helmut Müller-Enbergs habe die insgesamt detailreiche und nüchterne Aufarbeitung der Geschichte des MfS in der Forschung darunter gelitten, dass der pauschalen These von Hubertus Knabe über die flächendeckende Unterwanderung der westdeutschen Linken durch die Stasi nicht früh genug widersprochen wurde. Auch dies habe unfreiwillig Räume für die neurechte Agitation geboten, wonach sich die westdeutsche Linke allgemein aus Geltungssucht von der DDR unterwandern ließ. Das neulinke Milieu heute stehe mit seiner Anfälligkeit für sozialistische Wunschträume uneingestanden noch immer in einer DDR-Tradition, ist eine immer wieder kolportierte, doch unbewiesene Behauptung auch nachgewachsener neurechter Autoren.
Diese Beiträge zu Grundlinien der Forschung werden durch eine Reihe von Detailstudien ergänzt, auf die aus Platzgründen hier nur summarisch hingewiesen sei. Sie alle enthalten aber gedankenreich präsentiertes Material, das für die weitere Beschäftigung mit diesem Gegenstand unerlässlich ist. Zu nennen sind nur die Kritiken von Stephan Hilsberg, Annica Peter und Klaus Bästlein über die Auseinandersetzungen um die MfS-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen oder von Enrico Heitzer über das Menschrechtszentrum Cottbus, dessen Ausführungen Sylvia Wähling, die langjährige Leiterin des Zentrums, indes widerspricht. Martin Jander berichtet über die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft. Bei Anetta Kahane zeigen sich nachdenkliche Töne, wenn sie das antifaschistische Engagement ihrer jüdischen Eltern in Einklang mit ihrem (hier weniger entschieden als früher vorgebrachten) Argument zu verbinden sucht, der DDR-Antifaschismus sei alles in allem bloß verordnet gewesen. Man kann nur bedauern, dass sie, wohl auch aus rechtlichen Gründen, nicht Ross und Reiter nennt, wo die neurechte Kritik an ihr und der Amadeu-Antonio-Stiftung in antisemitische Diffamierung mündet.
Dass Antisemitismus und Antikommunismus nicht immer, aber doch oft eine unselige Einheit auch auf diesem Kampffeld der Geschichtspolitik bilden, durchzieht als Folgerung des Geschriebenen mehrere Beiträge. Sie entstanden hauptsächlich als Produkt einer Fachtagung zum obigen Thema, die die soeben genannte Stiftung, die Aneta Kahane mehrere Jahre leitete, am 14. Februar 2019 durchgeführt hat. Die Folgen der Corona-Pandemie verhinderten eine frühzeitigere Publikation der Beiträge. Der Band ist insgesamt sehr lesenswert und in jedem Fall eine notwendige Lektüre für alle, denen die aufklärende Kritik neurechter Geschichtspolitik am Herzen liegt.
Klaus Bästlein / Enrico Heitzer / Anetta Kahane (Hrsg.): Der rechte Rand der DDR-Aufarbeitung, Metropol-Verlag, 2023, 272 Seiten, 22,00 Euro.
Schlagwörter: Aufarbeitung, DDR, Geschichtspolitik, Mario Keßler, MfS, Stasi