28. Jahrgang | Nummer 2 | 27. Januar 2025

Fluchtpunkt Nation

von Erhard Crome

Donald Trump hat am 20. Januar 2025 sein Amt als Präsident übernommen – ohne besondere Vorkommnisse. Es sei denn, man betrachtet seine Rede zur Amtsübernahme und die anderen Reden am Vorabend und am Vereidigungstag vor seinen Anhängern als solche. Der Simultandolmetscher Frank Deja, der für den deutschen Sender Phoenix die Antrittsrede übersetzt hat, war plötzlich mit einer Frage an die Regie zu vernehmen: „Sag mal, wie lange wollt ihr bei dem Scheiß bleiben?“ Der Sender erklärte, das sei eine technische Panne gewesen und spiegele „selbstverständlich nicht die Meinung des Senders wider“.

Das passte jedoch in die deutsche Landschaft. Unmittelbar vor der Amtseinführung war ein diplomatischer Bericht des deutschen Botschafters in den USA, Andreas Michaelis, der eigentlich intern an die Außenministerin gegangen war, der Presse durchgestochen worden. Trumps Agenda ziele auf eine „maximale Machtkonzentration beim Präsidenten zu Lasten von Kongress und Bundesstaaten“. Das System der Gewaltenteilung in den USA – Checks and Balances – werde ausgehebelt. Legislative, Gesetzesvollzug und Medien würden ihrer Unabhängigkeit beraubt und politisch missbraucht. Annalena Baerbock hat sich davon nicht etwa distanziert; es sei Aufgabe des Botschafters klarzumachen, worauf sich Deutschland künftig einstellen müsse.

Der eigentliche Punkt besteht darin: Mit Trump endet die Ära der globalistischen Weltpolitik der USA, die nach dem Ersten Weltkrieg begann und nach dem zweiten Weltkrieg dominant wurde. Das „America First“ war bereits in seiner ersten Amtszeit durchzusetzen versucht worden, wurde aber durch die vier Jahre unter Joseph Biden unterbrochen, der wieder auf eine globalistische Linie einschwenkte. Das Endresultat fasste der französische Demograph und Historiker Emmanuel Todd unter der Überschrift vom „Niedergang“ des Westens zusammen. Dessen Krise sei jetzt „die treibende Kraft der Geschichte“, zentral der Niedergang der USA. Die versuchten nach dem Kalten Krieg Weltreich zu werden, hörten aber nicht auf, Nation zu sein. Das bedeutete, die Kosten für die imperiale Politik mussten von der Nation, den US-amerikanischen Steuerzahlern getragen werden. (Blättchen 26/2024)

Donald Trump nun sieht sein Land in einer Konkurrenz der großen Mächte, in der die USA ihren ersten Platz verteidigen müssten. Also kein weltkapitalistisches „Empire“, wie uns der internationale Trotzkismus immer wieder einzureden versucht, und dessen Garantiemacht die USA sein müssten. Vielmehr ein „Konzert der Mächte“, das auf Konkurrenz und Kooperation beruht und in dem die USA den ersten Platz einnehmen. Diese Verwandlung führt zu einer „Entwestlichung“ der internationalen Machtverhältnisse in dem Sinne, dass die sogenannte regelbasierte Ordnung als westliches Konzept für die Weltordnung gescheitert ist.

Es entsteht eine Pluralität von geopolitischen Machtzentren, die jedoch unterschiedliches Gewicht haben. Hier bleiben die USA Supermacht. Sie haben bei allen wesentlichen Machtressourcen – Militär, ökonomisches Potential, Technologie, politischer Einfluss und Softpower – nach wie vor eine Spitzenstellung. Mit ihren Militärallianzen und über 800 ausländischen Militärstützpunkten, mit ihren Konzernen, dem Dollar als internationaler Währung, ihren Geheimdiensten, Medien und ihrer Kulturindustrie verfügen sie über eine einzigartige Präsenz auf der ganzen Welt. Nüchtern betrachtet gibt die Verfügung über die ganze Bandbreite von Machtressourcen Washington eine Vielfalt von Handlungsoptionen wie keinem anderen Land, und konstituiert in allen Außenbeziehungen – zu Freund und zu Feind – eine Asymmetrie. Die USA können ihre Interessen mehr als jeder andere durch Machtressourcen unterhalb der militärischen Schwelle durchsetzen, so durch Technologie- und Wirtschaftssanktionen und politischen Druck.

In diesem Sinne ist Trumps Rede zur Amtseinführung das entsprechende politische Programm. „Viele Jahre lang hat ein radikales und korruptes Establishment unseren Bürgern Macht und Reichtum entzogen, während die Säulen unserer Gesellschaft zerbrochen […] sind.“ Die Regierung habe „unbegrenzte Mittel für die Verteidigung ausländischer Grenzen bereitgestellt“, sich aber geweigert, die Grenzen der USA zu verteidigen. Seine Wahl sei Auftrag, das alles „vollständig rückgängig zu machen und den Menschen ihren Glauben, ihren Reichtum, ihre Demokratie und in der Tat ihre Freiheit zurückzugeben“. Trump unterstrich: „Das Goldene Zeitalter Amerikas beginnt genau jetzt.“ Dazu sollen illegale Einreisen im Süden gestoppt, die Inflation besiegt sowie Erdöl und Erdgas gefördert werden, um die Energiepreise zu senken. Amerika soll wieder „eine reiche Nation sein“. Versteht sich, dass mit „Amerika“ stets nur die USA gemeint sind.

Zu den über 100 Präsidentenerlassen der ersten zwei Tage gehörten nicht nur die Verschärfung der Migrationspolitik, die Lockerung der Vorschriften für die Erdölindustrie, der Austritt aus dem internationalen Klimaabkommen sowie die Begnadigung der Stürmer auf das Capitol vor vier Jahren, sondern auch die Abschaffung aller staatlichen Kontrollen über die sozialen Medien. „Nach Jahren illegaler und verfassungswidriger Bemühungen auf Bundesebene, die freie Meinungsäußerung einzuschränken,“ ordne er an, „jegliche staatliche Zensur sofort zu beenden und die Redefreiheit in Amerika wiederherzustellen“. Während für die EU-Kommission und den deutschen Botschafter in Washington die Abschaffung staatlicher Überwachung der sozialen Medien gegen „Fake News“ bewirke, die Unabhängigkeit der Medien zu beseitigen, ist dies aus traditioneller Sicht der USA staatliche Zensur, die Trump nun abgeschafft hat. Es sei nicht Sache des Staates zu entscheiden, was wahr und was falsch ist.

Genau betrachtet hat Trump ein Programm nationaler Erweckung und Formierung präsentiert, das aus einer Perspektive post-nationaler deutscher Selbstgerechtigkeit aus der Vergangenheit stammt, tatsächlich jedoch auf die Zukunft gerichtet ist. Es sei „an der Zeit“, „dass wir wieder mit dem Mut, der Kraft und der Vitalität der größten Zivilisation der Geschichte handeln“. Es sei „manifeste Bestimmung“ der USA, zu den Sternen zu fliegen und Astronauten starten zu lassen, „um die Stars and Stripes auf dem Planeten Mars zu hissen“. „Amerikaner sind Entdecker, Erbauer, Innovatoren, Unternehmer und Pioniere. Der Geist der Pionierzeit ist in unsere Herzen geschrieben.“ In diesem Sinne haben die Amerikaner Schienen verlegt, Wolkenkratzer und Autobahnen gebaut, „gewannen zwei Weltkriege, besiegten den Faschismus und den Kommunismus“. Am Ende betonte Trump: „In Amerika ist das Unmögliche das, was wir am besten können.“ Er wolle Friedensstifter sein. Die USA sollten nicht an den Schlachten gemessen werden, die sie gewinnen, sondern an den Kriegen, die sie beenden oder in die sie nie hineingezogen werden.

In gewissem Sinne ist die Wahl Trumps Ausdruck eines neuen Konsenses in den USA: Die Mehrheit will sich wieder frei entfalten – was der „amerikanische Traum“ ist und US-amerikanische Tradition seit über 250 Jahren. Sie will sich von irgendwelchen „Eliten“ und Intellektuellen nichts vorschreiben lassen, auch nicht in Sachen Geschlecht und Gender. Dem folgt die reale Politik: „Trump will fix it“ (Trump wird es richten) stand als Losung an der Wand der Sporthalle, in der seine Anhänger die Inauguration feierten. Nachdem die Bevölkerung der USA die Kosten der globalistischen „Weltgestaltung“ nicht mehr tragen wollte, steht jetzt mit „MAGA“ die Nation im Zentrum. Nun nimmt die Großmächtekonkurrenz erst richtig Fahrt auf.

Deutschland sitzt derweil irgendwo in der dritten Reihe und kann nicht einmal mehr das Mögliche. Der Freitag machte Heft 3/2025 mit der Titelzeile auf: „Er ist wieder da. Noch einmal vier Jahre Drama, Lüge, Wahnsinn? Donald Trumps zweite Amtszeit beginnt.“ Es hätte besser heißen sollen: „Noch einmal vier Jahre deutscher Dünkel, Besserwisserei und weltpolitische Unfähigkeit“.